Handelsnation Schweiz: Heimat der Agrargiganten
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PUBLIC EYE MAGAZIN Nr 18 Juni 2019 Handelsnation Schweiz: Heimat der Agrargiganten Agrarhandelsexperte Tomaso Ferrando im Interview s.12 Zum Nutzen weniger: Umstrittene Medikamententests s.18 Pestizide: Riesenwirbel in Brasilien nach unserer Recherche s.27
EDITORIAL An den Schalthebeln der globalen Landwirtschaft Die meisten der global wichtigen Agrarrohstoffhändler haben eine Handelsniederlassung in der Schweiz. Warum, liegt auf der Hand: Die Schweiz begnügt sich mit tiefen Steuern, bietet eine gute Infrastruktur, hat zahlreiche Banken – und sie schaut nicht so genau hin, was die Firmen im Ausland tun. Viele der von hier aus operierenden Agrarrohstoffgiganten besitzen Land, verarbeiten ihre Rohstoffe selbst, haben eigene Hafentermi- nals und Schiffsflotten. Indem sie fast die ganze Wertschöpfungs- kette kontrollieren, verfügen sie über eine unheimliche Macht. Die Bäuerinnen und landwirtschaftlichen Arbeiter in den produzieren- den Ländern haben dieser kaum etwas entgegenzusetzen. Beim Anbau von Agrarrohstoffen für den globalen Markt kommt es immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen, wie unsere Titel geschichte zeigt. Und die Politik scheint bisher nicht sonderlich interessiert daran, korrigierend einzugreifen. Die Schweiz profitiert von ihren Agrarhändlern. Genauso wie von der Pharmabranche. Novartis und Roche machen ihre Milliarden- Alice Kohli umsätze unter anderem mit unfassbar teuren Krebsmedikamenten. Vor ihrer Marktzulassung testen sie diese auch in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen, um Geld zu sparen. Wenn die Medikamente auf dem Markt sind, halten sie es aber nicht für nötig, die Preise an die wirtschaftlichen Verhältnisse der Länder anzupas- Dank Ihnen! sen, wie wir im zweiten Schwerpunkt dieses Magazins zeigen. Die Die Reportagen und Analysen in unserem Magazin und die Recherchen, auf denen diese beruhen, sind Pharmafirmen wären ethisch dazu verpflichtet, ihre Medikamente nur dank der Unterstützung unserer Mitglieder in ehemaligen Testländern zugänglich zu machen. möglich. Sie sind bereits Mitglied? Herzlichen Dank! Und doppelten Dank, falls Sie jemandem eine Schweizer Banken wiederum sind gesetzlich dazu verpflichtet, vor einer Mitgliedschaft verschenken. Kreditvergabe Massnahmen zu treffen, um Straftaten wie Bestechung Sie sind noch nicht Mitglied? Für 75 Franken pro Jahr werden Sie es und erhalten regelmässig oder Geldwäscherei zu verhindern. Wie konnte es dennoch dazu unser Magazin. Oder lernen Sie uns erst kennen kommen, dass Milliardenkredite eines Tochterunternehmens der Credit und bestellen Sie gratis ein Testa bonnement. Suisse in Mosambik veruntreut wurden? In dem bitterarmen Land sind Wir freuen uns, von Ihnen zu hören – per Antwortkarte oder auf deswegen die Staatsschulden explodiert. Weil die Schweizer Bundes- www.publiceye.ch/mitglieder anwaltschaft diesem Fall nicht von sich aus nachgeht, hat Public Eye eine Strafanzeige gegen die Credit Suisse eingereicht. Ob im Agrarhandel, bei Pharmafirmen oder Banken: Dieses Magazin zeigt exemplarisch, wie notwendig die Schaffung verbind- licher Regeln ist, damit Schweizer Firmen Menschrechte und Umweltstandards respektieren – hier und überall auf der Welt. PUBLIC EYE – MAGAZIN Nr. 18 Juni 2019 VERANTWORTLICH TITELBILD KONTAKT POSTKONTO Timo Kollbrunner – Paulo Fridman / Corbis / Getty Public Eye, 80-8885-4 Redaktion (D) & Produktion — Dienerstrasse 12, — DRUCK Postfach, 8021 Zürich Das Public Eye Magazin Raphaël de Riedmatten – Vogt-Schild Druck AG erscheint sechs Mal pro Jahr. Produktion & Redaktion (F) Tel. +41 (0) 44 2 777 999 Cyclus Print & Leipa, FSC — kontakt@publiceye.ch — LAYOUT — AUFLAGE opak.cc ISSN 2504-1266 D: 24 000 Ex. / F: 9000 Ex.
INHALT Die Schweiz als Agrarhandelsplatz Eine Recherche von Public Eye zeigt erstmals auf, welche Bedeutung die Schweiz als Han- delsplatz für Agrarrohstoffe hat – und welche Probleme die immer grösser werdende Macht von wenigen Konzernen verursacht. S. 4 Experte Tomaso Ferrando im Interview. S. 12 Strafanzeige gegen Credit Suisse In grossem Stil veruntreute Kredite einer Toch- terfirma der Credit Suisse brachten Mosambik in arge Finanznöte. Was wusste das Mutterhaus? Public Eye verlangt, dass die Bundesanwalt- schaft dieser Frage nachgeht. S. 16 Medikamentenzugang – eine Lotterie Unsere Studie zeigt: Längst nicht alle, die an klinischen Versuchen von Roche oder Novartis teilnehmen, profitieren davon. S. 18 © Issouf Sanogo/Getty Die Kampagne zu kranken Medikamentenpreisen hat eine breite Debatte ausgelöst. Doch die offizielle Schweiz zeigt sich apathisch. S. 22 Pestizide: Empörung Ivorische Arbeiter leeren am Hafen Abidjans Kakao aus in halb Brasilien Säcken in einen Container. Der Abnehmer: Cargill, eines der grössten Rohstoffhandelsunternehmen der Welt, das seine Im April machten Public Eye und Repórter Brasil Handelsabteilung 1956 in Genf angesiedelt hat. publik, dass sich im brasilianischen Trinkwasser ein Cocktail von bis zu 21 Pestiziden findet. Die Reaktionen waren heftig. S. 27 Klare Worte vom UNO-Sonderberichterstatter an der GV von Public Eye. S. 30 Zudem in diesem Heft Rückschritt in Bangladesch Fortschritt in Benin Textilindustrie: Gewalt gegen Protestierende, «Dirty Diesel»: Der westafrikanische Staat senkt Gebäudesicherheit auf der Kippe. S. 25 seinen Grenzwert drastisch. S. 26
Handelsdrehscheibe Schweiz – Unser Beitrag an eine ungerechtere Welt Die Schweiz beherbergt nicht nur die weltweit grössten Händler von Öl, Kohle, Erzen und Metallen, sie ist auch ein bedeutender Handelsplatz für Agrarrohstoffe wie Kaffee, Kakao, Zucker oder Getreide. Die Geschäfte laufen praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab. Public Eye hat die Branche über Monate analysiert und kann aufzeigen, wie die Handelsfirmen zu riesigen Agrarkonglomeraten geworden sind – und welche bitteren Aus- wirkungen das auf Menschen und Umwelt in den Anbauländern hat. Denn Menschenrechtsverletzungen sind im Anbau von Agrarrohstoffen omniprä- sent: vom Fehlen existenzsichernder Einkommen und Löhne über Kinder- arbeit bis zu Vergiftungen durch Pestizide. Auch das Risiko für zweifelhafte Steuerdeals und Korruption sind im Agrarhandel hoch. Die Schweiz setzt zur Lösung der in diesem intransparenten Sektor verursachten Probleme nach wie vor auf das freiwillige Engagement der Konzerne. Dabei sind ver- bindliche Massnahmen längst überfällig. ©: Diego Giudice/Bloomberg/Getty TEXT: ALICE KOHLI MITARBEIT: THOMAS BRAUNSCHWEIG UND SILVIE LANG
AGRARHANDELSPLATZ SCHWEIZ 5 Die Schweiz hat sich zu einer der global wichtigsten Han- kurs ist. Dieser Trend lässt sich bei vielen Unternehmen delsdrehscheiben für Agrarrohstoffe entwickelt – und feststellen. Im Getreidehandel teilten sich bis vor Kurzem kaum jemand hat es gemerkt. Oder wussten Sie, dass rund die vier grössten Konzerne gegen 90 Prozent des Markts 50 Prozent des weltweiten Getreidehandels und mindestens auf, im Teehandel zeichnen drei Firmen für 80 Prozent, 40 Prozent des globalen Zuckerhandels über die Schweiz im Bananenhandel vier Firmen für knapp die Hälfte der laufen? Dass mindestens jede dritte aller Kakao- und Kaffee globalen Handelstätigkeit verantwortlich. Doch die M&A's bohnen auf dem Weltmarkt von hier aus gehandelt wird? beschränken sich nicht auf den Handel allein. Oder dass mindestens ein Viertel des globalen Handels mit In den meisten Fällen geht es um eine Ausweitung Baumwolle über die Schweiz abgewickelt wird? der Geschäftstätigkeit entlang aller Stufen der Wertschöp- Und das sind nur die konservativen Schätzungen fungskette von Agrargütern, etwa in den Anbau, aber auch von Public Eye auf Grundlage einer Analyse von 16 der in die Verarbeitung von Agrarrohstoffen und die Herstel- weltweit wichtigsten Agrarhändler und deren Aktivitäten lung von Lebensmitteln (siehe dazu auch unser Experten- in der Schweiz, die wir Anfang Monat veröffentlicht haben. interview ab Seite 12). Archer Daniels Midland (ADM) bei- Die Handelsanteile, die der Branchenverband STSA (Swiss spielsweise, ein amerikanisches Unternehmen mit globaler Trading and Shipping Association) angibt, liegen sogar Handelsabteilung in Rolle im Kanton Waadt, besitzt rund noch höher. In den letzten Jahrzehnten haben viele der welt- zehn Hochseeschiffe, 1800 Lastkähne, 100 Boote, 12 000 weit führenden Firmen in diesem Sektor ihren Hauptsitz Eisenbahnwaggons, 360 Lastwagen und 1200 Anhänger. oder wichtige Handelsabteilungen am Genfersee oder in der Zentralschweiz eröffnet. So haben heute praktisch alle Die düstere Seite grossen Agrarrohstoffhändler einen Sitz in der Schweiz. Wer die Geschäftsberichte der Unternehmen studiert, Angelockt wurden die Multis von einer attraktiven Steuer- könnte meinen, dass alles rund läuft. Die Firmen zeigen politik, einem diskreten und geschäftsfreundlichen Umfeld seitenweise Bilder von lachenden Bauern und zufriede- – und fehlender Regulierung in Bezug auf die menschen- nen Erntehelferinnen. Doch die Konzentrationsprozes- rechtlichen Auswirkungen ihrer Geschäfte im Ausland. se im Agrarsektor haben weitreichende Folgen für die Kaum bekannte Riesen 2011 hat Public Eye das erste Buch über die unbekannte und verschwiegene Branche des Rohstoffhandels in der Je mächtiger die Firmen werden, desto grösser wird Schweiz veröffentlicht. Seither konnten wir mit unseren ihre Verhandlungsmacht. Entsprechend können sie Recherchen und Analysen immer wieder aufzeigen, wie vorgeben, was unter welchen Bedingungen angebaut Schweizer Händler von Öl, Kohle, Erzen und Metallen wird – und vor allem, was sie dafür bezahlen. zu Korruption, Veruntreuung und Menschenrechtsver- letzungen beitragen. Konzerne wie Glencore, Vitol und Trafigura – die drei umsatzstärksten aller Schweizer Firmen – sind mittlerweile vielen ein Begriff. Menschen, die in der Herstellung der Exportgüter tätig Das gilt weniger für Cargill (die Nummer vier sind; seien es die Pflückerinnen auf Kakaoplantagen, die der umsatzstärksten Schweizer Firmen), COFCO oder Arbeiter auf Maisfeldern oder die Kleinbäuerinnen und Bunge – dem Namen nach könnten diese Unternehmen Kleinbauern weltweit. Denn je mächtiger die Firmen wer- auch mit Autoersatzteilen handeln. Doch auch wenn den, desto grösser wird ihre Verhandlungsmacht. Entspre- ein Maisfeld für gewöhnlich weit weniger bedrohlich chend können sie vorgeben, was unter welchen Bedingun- aussieht als eine Kupfermine: Die Aktivitäten der Agrar- gen angebaut wird – und vor allem, was sie dafür bezahlen. rohstoffhändler sind keineswegs per se weniger proble- Unsere Recherche förderte die düstere Seite des glo- matisch als jene von Öl- oder Metallhändlern. balen Handels mit Agrarrohstoffen zutage. Was die bunten Etwas, das sofort auffällt, wenn man sich mit der Prospekte nämlich verschleiern: Die Arbeitsbedingungen in der Öffentlichkeit noch sehr wenig bekannten Branche in der Landwirtschaft sind vielerorts ausbeuterisch – ins- des Agrarrohstoffhandels auseinandersetzt: Sie ist überaus besondere im Anbau arbeitsintensiver Exportgüter wie stark konzentriert. Durch Firmenzusammenschlüsse, Ko- Kakao, Kaffee, Baumwolle, Bananen oder Orangen. Gejätet, operationsabkommen und Übernahmen werden die weni- gesprüht, geschnitten und geerntet wird meist von Hand – gen Unternehmen immer mächtiger: Für Bunge etwa, eine und das für einen Lohn, der nicht zum Leben reicht. Im Hin- amerikanische Firma mit Handelsabteilung in Genf, lassen blick auf die Firmen, die Agrarrohstoffe über die Schweiz sich dreissig Geschäftszusammenschlüsse und -übernah- handeln, haben wir Berichte von NGOs und Medien aus- men (Mergers & Acquisitions, M & A) dokumentieren – und gewertet. Die Anzahl Fälle, auf die wir gestossen sind, das in nur sechs Jahren, von 2013 bis 2018. Bunge ist nicht ist so hoch, wie die Probleme vielfältig sind. In diesem die einzige Agrarrohstoffhändlerin, die auf Expansions- Magazin reicht der Platz nur für eine kleine Auswahl.
6 PUBLIC EYE MAGAZIN Nr. 18 Juni 2019 Die Schweiz und der globale Agrarrohstoffhandel Der gehandelte Anteil einzelner Agrarrohstoffe Der Marktanteil der Schweiz am globalen Handel mit … an der Gesamtproduktion Getreide über 50% Zucker über 40% Kakao über 30% 5% 13% 18% 25% 29% 35% 35% 38% 40% 70% 71% 77% 78% Kaffee über 30% Baumwolle über 25% Konservative Schätzungen von Public Eye Reis Mais B ananen Weizen Tee B aumwolle Zucker Tabak S oja Kakao Palmöl Kaffee Orangensaf t Reis Mais Bananen Weizen Tee Baumwolle Zucker Tabak Soja Kakao Palmöl Kaffee Orangensaft Lesebeispiel: Während über drei Viertel des global angebauten Kaffees in den internationalen Handel kommt, ist es beim Reis gerade mal ein Zwanzigstel. Der Exportwert der wichtigsten Agrarrohstoffe 60 Mrd. $ $ Die Marktkonzentration 30 Mrd. bei der Verarbeitung von Kakao und Orangensaft 15 Mrd. $ Kakao Orangensaf t Tee Kakao B ananen Tabak B aumwolle Kaffee Reis Mais Zucker Palmöl Weizen S oja Orangensaft Tee Kakao Bananen Tabak Baumwolle Kaffee Reis Mais Zucker Palmöl Weizen Soja 17% Durchschnittswert 2015 bis 2017 in US-Dollar 19% 29% 35% Andere Die Marktkonzentration beim Handel von Agrarrohstoffen Orangensaft 100% 100% 100% 90% 15% 80% 80% 80% 25% 60% 60% 60% 4 44% 40% 40% 33% 4 3 20% 20% 20% 27% Andere 0% 0% 0% Bananen Getreide Tee Von den sechs Konzernen, die die Verarbeitung von Kakao und 4 Firmen kontrollierten 4 Firmen kontrollierten 3 Firmen kontrollierten Orangensaft grösstenteils unter sich aufteilen, operieren bis auf 2014 44% des Handels. 2012 90% des Handels. 2017 80% des Handels. die brasilianische Citrosuco alle aus der Schweiz. Quelle Sämtliche hier dargestellten Zahlen finden sich im englischen Fachbericht «Agricultural Commodity Traders in Switzerland – Benefitting from Misery?»
MAGAZIN 7 Klum/National Geographic/Getty Diego Giudice/Bloomberg Haribhau Kumbhekar wurde im Oktober beim Ausbringen eines Pes- tizidmixes vergiftet — und hat sich nicht mehr vollständig erholt. © Mattias «Er ist nicht mehr derselbe», sagt seine Tochter Annapurna. Indonesischer Arbeiter bei der Ernte von Ölpalmfrüchten auf der malaiischen Insel Borneo. HUNGERLÖHNE KRANK MACHENDE ARBEIT 2016 untersuchte die investigative NGO Repórter Die Arbeit in der Landwirtschaft ist oft gesundheits- Brasil, mit der Public Eye kürzlich auch zum Thema schädigend. Abgesehen vom körperlichen Verschleiss Pestizide kooperiert hat, die Arbeitsbedingungen auf wegen der schweren Plackerei auf Plantagen und Kaffeefarmen in Brasilien. Was sie vorfand, war skan- Feldern gehören durch Pestizide verursachte Vergif- dalös: Die Plantagenbesitzer zogen den Arbeitern und tungen und chronische Krankheiten zu den grössten Arbeiterinnen Vorschüsse von den Gehältern ab, die gesundheitlichen Gefahren dieser Arbeit. sie nie ausbezahlt hatten. Zudem führten Abwesen- Viele der hochgefährlichen Pestizide, die in Län- heiten zu Gehaltsreduktionen – auch für Tage, an denen dern wie Brasilien, Argentinien oder Indien allen voran die Ernte witterungsbedingt unmöglich war. Manche vom Basler Multi Syngenta verkauft werden, sind in der der Angestellten auf den untersuchten Farmen kamen Schweiz und in der EU schon längst verboten, wie eine wegen dieser Praktiken auf nicht einmal die Hälfte im April veröffentlichte Recherche von Public Eye unter des gesetzlichen Mindestlohns – von einem existenz- dem Titel «Highly Hazardous Profits» aufgezeigt hat. sichernden Lohn ganz zu schweigen. Was das mit unse- Ein krasser Fall von gefährlichem Pestizidein- ren Schweizer Firmen zu tun hat? Der Kaffee aus die- satz wurde 2017 auf Bananenplantagen in Ecuador sen Farmen wurde auch einer Tochtergesellschaft von dokumentiert. Die Pestizide – unter anderem der Syn- ECOM Agroindustrial verkauft, einem der wichtigsten genta-Bestseller Gramoxone mit dem in der Schweiz Kaffeehändler mit Hauptsitz in Pully im Kanton Waadt. seit 30 Jahren verbotenen Wirkstoff Paraquat – wurden Das Fehlen von existenzsichernden Einkommen flächendeckend aus der Luft ausgebracht. Weder erging und Löhnen ist eines der grundlegendsten Probleme in eine vorgängige Warnung an die Arbeitenden, noch der globalisierten Landwirtschaft. Die Armutslöhne und wurden geeignete Schutzvorkehrungen getroffen. Das -einkommen reichen nicht aus für ein würdevolles Leben dänische Medien- und Forschungszentrum Danwatch, der Arbeitnehmenden und ihrer Familien und führen vie- spezialisiert auf investigativen Journalismus, dokumen- lerorts zu Verletzungen grundlegender Menschenrechte. tierte in seiner Recherche, dass diese Plantagen auch Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Bauern und Bäue- Chiquita belieferten. Der weltgrösste Bananenhändler rinnen aufgrund der viel zu tiefen Einkommen Abstri- ist in Etoy im Kanton Waadt beheimatet und gehört zur che bei der Arbeitssicherheit machen müssen oder sich Hälfte dem ebenfalls in der Schweiz ansässigen Banker gezwungen sehen, für die Arbeit Kinder oder Menschen Joseph Safra, der mit der Bank Safra Sarasin hierzu- ohne Arbeitserlaubnis zu Tieflöhnen einzusetzen. lande auch über eine Bankenlizenz verfügt.
8 PUBLIC EYE MAGAZIN Nr. 18 Juni 2019 © Edgard Garrido/Reuters Zwei Knaben mit Körben frisch geernteter Kaffeebohnen auf einer Plantage Im Südosten von Honduras. porterlöse aus. Die Regierungen zwingen während der Erntesaison Angestellte von staatlichen Unternehmen, MODERNE SKLAVEREI auf den Baumwollfeldern zu arbeiten. Angesichts der hohen Arbeitslosenquote wagen sich viele nicht, Wider- Ein gravierendes Problem in der landwirtschaftlichen stand zu leisten, und ihr Einkommen reicht nicht, um sich Produktion ist Zwangsarbeit. Gemäss der Internationa- von dieser Arbeit freizukaufen. Trotzdem handelt der in len Arbeitsorganisation ILO ackern weltweit mehr als 3,5 der Schweiz ansässige Baumwollhändler Paul Reinhart Millionen Menschen unter sklavenähnlichen Bedingun- mit Baumwolle aus Turkmenistan, wo auch Kinderarbeit gen in der Landwirtschaft, Fischerei und Forstwirtschaft. nach wie vor ein systemisches Problem darstellt – obwohl Die deutsche NGO Christliche Initiative Romero der turkmenische Präsident 2008 ein Verbot erlassen hat. und die österreichische NGO Global 2000 berichteten von Arbeiterinnen und Arbeitern auf einer Orangen- plantage in Brasilien, die mehrere Wochen nicht bezahlt wurden. Ihre Schulden stiegen täglich an, da ihnen KINDERARBEIT gleichzeitig die Kosten für Transport, Unterkunft und Verpflegung vom Plantagenbesitzer zu extrem hohen Auf den Agrarsektor entfallen 71 Prozent der miss- Ansätzen in Rechnung gestellt wurden. Die Arbeiten- bräuchlichen Kinderarbeit weltweit, dies entspricht den konnten sich deshalb die Busfahrt nach Hause nicht knapp 108 Millionen Kindern. Zum Vergleich: In allen leisten und hatten keinerlei Möglichkeit, die Plantage Staaten der EU zusammen leben zurzeit rund 70 Millio- zu verlassen. Der Bericht bezeichnet dies als moder- nen Kinder zwischen 5 und 17 Jahren, der Altersspanne, ne Sklaverei. Und das brasilianische Arbeitsministe- welche die ILO zur Berechnung der Anzahl arbeitender rium hat Sucocitrico Cutrale, den Orangensaftriesen Kinder verwendet. Unter Kinderarbeit werden nicht, mit Handelsniederlassung in Lausanne, der von diesen wie manchmal falsch dargestellt wird, Arbeiten ver- Plantagen Orangen bezog, auf die «schmutzige Liste» standen, bei denen Kinder gelegentlich ihren Eltern von Firmen gesetzt, die von Sklavenarbeit profitieren. auf Familienbetrieben helfen. Die missbräuchliche In den Baumwollfeldern Zentralasiens ist Zwangs- Kinderarbeit, wie sie in der Landwirtschaft noch viel arbeit ein endemisches Problem. Die Zwangsmobilisie- zu häufig vorkommt, ist von der ILO klar definiert und rung von Arbeitenden in Usbekistan und in Turkmenis- umfasst Arbeiten, welche Kinder ihrer Kindheit, ihres tan ist ein Überbleibsel aus der Sowjetzeit. Beide Länder Entwicklungspotenzials und ihrer Würde berauben und werden von autoritären Regimen geführt, und Baum- physisch sowie mental schädigend sind. Solche Tätig- wollverkäufe machen einen erheblichen Teil ihrer Ex- keiten halten Kinder vom Zugang zu Bildung ab und
© Diego Giudice/Bloomberg © Pascal Maitre/Panos Arbeiterinnen bei der Kakaoernte in der Elfenbeinküste. nehmen ihnen Perspektiven auf ein besseres Leben. So unorganisierten Kleinproduzenten und Arbeiterinnen. wird die Armut über Generationen hinweg zementiert. Diese haben gegenüber den riesigen Agrarkonglomera- Der französische Fernsehsender France 2 berich- ten in der Regel kaum Verhandlungsmacht, um bessere tete Anfang dieses Jahres über den illegalen Kakao Arbeits- und Produktionsbedingungen für sich auszu- anbau in Schutzgebieten in Côte d'Ivoire. Jede dritte handeln oder sich gegen Risiken abzusichern. Person, die auf diesen Plantagen arbeitete, war ein Wie die Händler ihre Macht ausspielen können, Kind. Die Journalisten dokumentierten auch Fälle von zeigt sich beispielsweise beim Thema Landaneignungen. Kinderhandel aus dem benachbarten Burkina Faso. Zwischen 2006 und 2016 dokumentierte die Organisa- Unter anderem kaufte der Handelskonzern Cargill, der tion GRAIN weltweit fast 500 Fälle von Landraub, die eine wichtige Handelsniederlassung in Genf betreibt, zusammen über 30 Millionen Hektar Land betreffen. Kakao, der auf diesen Plantagen angebaut wurde. Oft geht es um Land, das ursprünglich von Kleinbauern familien bewirtschaftet wurde, traditionelle Weideland- schaften gehören dazu, geschützter Wald, aber auch dicht besiedeltes Land. Die riesigen Flächen, wie sie LANDRAUB etwa für den Soja-, Palmöl- oder Maisanbau benötigt werden, sind nicht einfach frei verfügbar. Aber die Wie eingangs erwähnt, sind viele der aus der Schweiz Händler dieser Rohstoffe wissen sich zu helfen. Die bri- operierenden Handelsunternehmen nicht nur im tische NGO Oxfam hat etwa nachgewiesen, wie Cargill Handel tätig, sondern dringen auch in die Produktion zwischen 2010 und 2012 trotz gesetzlicher Beschrän- und Verarbeitung der Rohstoffe ein. Manche besitzen kungen riesige Landflächen in Kolumbien akquirierte. Land, andere pachten es oder gehen Verträge ein, die Der Konzern gründete nicht weniger als 36 Briefkasten- es ihnen ermöglichen, die Produktion zu kontrollieren. firmen, die es erlaubten, eine gesetzlich vorgeschriebene Viele der Agrarrohstoffhändler mit Sitz in der Schweiz Maximalgrösse für den Erwerb von staatlichem Land sind sogenannte Global Value Chain Managers, die an zu überschreiten. Mit über 50 000 Hektaren erwarb der gesamten Wertschöpfungskette beteiligt sind – vom Cargill schliesslich mehr als das 30-Fache des für einen Feld bis zur Gabel, «From Farm to Fork», wie es die Lou- einzelnen Eigentümer gesetzlich zulässigen Landes. is Dreyfus Company (LDC), die ihre grösste Handels- Einer der berüchtigtsten Fälle von Landraub be- niederlassung in Genf betreibt, stolz von sich behaup- trifft die Kaffeeproduktion in Uganda. Das Food First tet. Mit dem Zugriff auf die Produktionsstufe stehen Information and Action Network hat den Fall minutiös mächtige Händler in direkten – und allzu oft alles an- recherchiert, der damit begann, dass die ugandische Ar- dere als fairen – Geschäftsbeziehungen mit weitgehend mee 2001 die Einwohnerinnen und Einwohner von vier
PUBLIC EYE MAGAZIN Nr. 18 Juni 2019 © Dado Galdieri/Bloomberg/Getty Ein Cargill-Frachter wird im brasilianischen Hafen Santarem mit Soja beladen. Dörfern gewaltsam vertrieb. Die Regierung hatte das Land fungsketten von in der Schweiz ansässigen Rohstoffhänd- zuvor an die Kaweri Coffee Plantation Ltd. verpachtet, lern zu verhindern. Die mächtigen Agrarhändler agieren eine Tochtergesellschaft der Deutschen Neumann Kaffee weitgehend ausserhalb der öffentlichen Wahrnehmung. Gruppe, die ihre Plantagen über das NKG Tropical Farm Das hat auch damit zu tun, dass der Agrarrohstoffhandel in Management mit Sitz in Baar im Kanton Zug verwaltet. der Schweiz fast gänzlich aus sogenanntem Transithandel Bis heute kämpfen die Vertriebenen für ihre Rechte. besteht, der in den Handelsstatistiken nicht auftaucht, da die Rohstoffe dabei nicht physisch in die Schweiz gelan- gen. Viele der Firmen sind zudem privat gehalten – ohne öffentliche Rechenschaftspflicht an Aktionärinnen und KORRUPTION Aktionäre. Einem Kontrollorgan, wie sie der Staat mit der Finanzmarktaufsicht FINMA für Banken und Versicherun- Schon angesichts der bislang erwähnten Fälle verwun- gen kennt, müssen Rohstoffhändler auch keine Auskünfte dert es, mit welcher Sorglosigkeit die Schweiz ihre erteilen: Ein solches existiert nicht. Public Eye hat mit der Agrarrohstoffhändler gewähren lässt. Die offizielle Idee einer Rohstoffmarktaufsicht Schweiz (ROHMA) schon Schweiz setzt sich aktiv dafür ein, dass sich Agrarroh- 2014 eine Lösung präsentiert, wie unser Land diesem Man- stoffhändler hier niederlassen – jedoch ohne sicherzu- gel entgegenwirken könnte. Denn solange der Staat nicht stellen, dass diese ihre Sorgfaltspflichten in Bezug auf die genauer hinschaut, dürfen sich die Händler fast alles erlau- Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards ben. Das zeigen auch die zahlreichen Fälle von Korruption wahrnehmen. Im Mai 2017 unterzeichnete der Kanton und Geschäften mit politisch exponierten Personen, auf die Genf eine Absichtserklärung mit dem staatlichen chi- wir bei unserer Recherche gestossen sind. nesischen Agrarrohstoffhändler COFCO und sicherte Einer der grössten Korruptionsfälle, die ans Licht dem Unternehmen die volle Unterstützung für seine kamen, betrifft den Getreideriesen Archer Daniels Mid- Geschäftsausweitung zu. Der Kanton verpflichtete sich land (ADM). Eine ADM-Tochtergesellschaft bekannte sich ausserdem, dem Unternehmen ein «freundliches Ge- schuldig, im Jahr 2013 ukrainische Regierungsbeamte mit schäftsumfeld» bereitzustellen. COFCO eröffnete dar- rund 22 Millionen Dollar bestochen zu haben. Aufgrund aufhin seinen internationalen Handelshauptsitz in Genf. eines Bundesgesetzartikels in den USA, dem Foreign Cor- Die Schweiz verlässt sich einzig auf verantwortungs- rupt Practices Act, musste das Unternehmen in der Folge volles unternehmerisches Handeln, also die sogenannte eine Busse von 17 Millionen Dollar zahlen. Corporate Social Responsibility. Sie setzt somit weiterhin Im November 2017 berichtete die französische auf Freiwilligkeit und kennt bis heute keine Vorschriften, Fernsehsendung «Cash Investigation» über die prob- um Menschenrechtsverletzungen entlang der Wertschöp- lematischen Geschäfte der Louis Dreyfus Company in
© Simon Dawson/Bloomberg/Getty Trader von Glencore, dem weltweit grössten Rohstoffhändler mit Hauptsitz im Kanton Zug, an der Arbeit im Handelszentrum in Rotterdam. Brasilien. Die Genfer Agrarhändlerin ging im Jahr 2010 Dabei ist die im globalen Agrar- und Ernährungssystem mit einer Tochtergesellschaft des weltgrössten Sojapro- beobachtete Machtasymmetrie keine Zufälligkeit. Im Ge- duzenten Amaggi ein Joint Venture ein. Diese Firma wie- genteil, sie ist strukturell bedingt. Damit ist die Politik derum gründete im selben Jahr eine auf den Cayman Is- gefordert. Sie muss mächtige Unternehmen zu verantwor- lands ansässige Treuhandgesellschaft. Die wirtschaftlich tungsvollem Handeln zwingen, indem sie diese zur ver- Begünstigten dieses Trusts waren allesamt Familienmit- bindlichen Einhaltung der Menschenrechte bei all ihren glieder von Blairo Maggi, dem als «Sojakönig» bekannten Geschäftstätigkeiten verpflichtet, stringente Transparenz- Besitzer der Firma Amaggi und damaligen Gouverneur vorschriften erlässt und wettbewerbspolitische Massnah- des Staates Mato Grosso. Der Gouverneur hatte also in men ergreift, welche die Verhandlungsmacht der Agrar- seiner exponierten Position als Politiker seine privaten rohstoffhändler gegenüber Bauernfamilien einschränkt. und geschäftlichen Interessen vermischt, was bei LDC Letztlich braucht es eine fundamentale Verschie- die Alarmglocken hätte läuten lassen müssen. bung der Machtverhältnisse zwischen den Händlern und Gegen Maggi, der zwischenzeitlich Landwirt- den Menschen, die im Anbau der Agrarrohstoffe tätig schaftsminister Brasiliens war, wurde 2018 Anklage sind, um grundlegende Menschenrechte wie das Recht erhoben, weil er in jener Zeit als Gouverneur ein Sys- auf einen angemessenen Lebensstandard zu sichern. tem monatlicher Bestechungszahlungen aufgebaut ha- Genau hier müssen Bundesrat und Parlament ansetzen, ben soll – im Austausch für politische Unterstützung. wenn sie sicherstellen wollen, dass der Schweizer Agrar- handelssektor nicht länger im Dunkeln auf Kosten von Was muss in der Schweiz passieren? Mensch und Umwelt Geschäfte macht. Die Annahme Hübsche Bilder in Jahresberichten, bunte Websites und der Konzernverantwortungsinitiative wäre ein wichtiger schmissige Slogans können nicht darüber hinweg- Schritt: Sie würde dafür sorgen, dass sich aus der Schweiz täuschen, wie viel im globalen Agrarrohstoffsektor heraus operierende Konzerne künftig proaktiv um Men- schiefläuft. Aber im Gegensatz zu den Millionen von schenrechts- und Umweltrisiken kümmern müssten. � Kleinbauern und Landarbeiterinnen sind die wenigen riesigen multinationalen Unternehmen in der Lage, die Spielregeln und die jetzt schon ungleichen Geschäfts Welche Rolle spielt die Schweiz im globalen Agrarhandel? beziehungen weiter zu ihren Gunsten zu formen oder Finden Sie es heraus und testen Sie Ihr Wissen in unserem auszulegen. Die Resultate sind ein unzureichender Men- Online-Quiz unter www.publiceye.ch/agrarhandel, wo schenrechtsschutz, fehlende Transparenzvorschriften Sie auch den Fachbericht «Agricultural Commodity Traders und eine Wettbewerbspolitik, die dem zunehmenden in Switzerland – Benefitting from Misery?» sowie weitere Machtungleichgewicht wenig entgegenzusetzen hat. Informationen zum Thema finden.
PUBLIC EYE MAGAZIN Nr. 18 Juni 2019 «Sollen wir akzeptieren, dass sich das Ernährungssystem danach richtet, wo am meisten für ein Lebensmittel bezahlt wird?» Tomaso Ferrando, Experte für die Zusammenhänge zwischen Recht und Ernährung, sieht zwei do- minierende Trends im globalen Agrarhandelssystem: Konzentrationsprozesse auf allen Stufen der Nahrungskette und den zunehmenden Einfluss von Finanzakteuren. Im Interview spricht er über die Folgen dieses globalisierten Systems für Bäuerinnen, Konsumenten und die Umwelt – und skizziert Ansätze, wie den daraus erwachsenden Ungerechtigkeiten begegnet werden kann. © Tom Pilston/Panos INTERVIEW: SILVIE LANG UND ALICE KOHLI
TOMASO FERRANDO 13 Das globale Agrar- und Ernährungssystem hat sich in Finanzakteure Anteile an mehreren Unternehmen halten, den letzten Jahren erheblich gewandelt. Was sind aus die auf demselben Markt tätig sind. Das heisst: Unterneh- Ihrer Sicht die wichtigsten Veränderungen? men, die eigentlich miteinander konkurrenzieren sollten, Ich würde sagen, es gibt zwei Hauptdynamiken. Die eine kooperieren mit dem Ziel, möglichst hohe Gewinne für ist die zunehmende Konzentration, das heisst, dass im- oftmals dieselben Aktionärinnen und Aktionäre zu gene- mer weniger Firmen einzelne Sektoren oder Wertschöp- rieren. Das Handeln dieser Akteure zielt nicht auf einen fungsstufen dominieren, etwa im Saatgut- und Chemie- möglichst guten Preis für Konsumentinnen und Konsu- sektor. Nehmen wir die Übernahme von Monsanto durch menten ab, sondern auf eine möglichst hohe Rendite. Bayer. Die Tatsache, dass Wettbewerbsbehörden sowie Politikerinnen und Politiker die Fusion dieser beiden Sind Sie demnach für einen hart umkämpften Markt Riesenkonzerne zuliessen, ist emblematisch. Sie zeigt, mit aggressiver Preispolitik? dass es trotz einer verstärkten Aufmerksamkeit für die Ich sage nicht, dass die Senkung von Preisen oder eine problematischen Aspekte unseres Ernährungssystems aggressive Preispolitik per se gut sind. Aber die von den leider offensichtlich nach wie vor grosse politische und Finanzakteuren provozierte Dynamik hat das klassische rechtliche Lücken gibt. Obwohl Monsanto seit Jahren Ernährungssystem komplett durcheinandergebracht. für öffentliche Empörung sorgte, kam es zur Übernahme Entscheidungen werden nicht mehr danach getroffen, und somit zur Fortführung dieses problematischen Ge- wer welche Nahrung benötigt, sondern danach, was den schäftsmodells. Die zweite Hauptdynamik ist die zuneh- höchsten Profit einbringt. mende Finanzialisierung des ganzen Ernährungssystems. Wer ist am stärksten negativ betroffen von dieser Finanz- Finanzialisierung? Was bedeutet das genau? ialisierung und diesen Konzentrationsprozessen? Insbesondere in den letzten vier bis sechs Jahren ist eine Bei der horizontalen Integration, beispielsweise im Saat- viel stärkere Präsenz von Finanzakteuren in der Nahrungs- gutsektor, sind in erster Linie die Bäuerinnen und Bauern mittelkette zu beobachten. Dabei geht es nicht mehr nur um betroffen, die dieses Saatgut benötigen. Die Saatgutprei- den Handel mit Derivaten und anderen Wertpapieren aus se sind höher, weil die Unternehmen, die sie verkaufen, dem Agrarsektor. Finanzakteure kaufen mittlerweile buch- nicht in Konkurrenz zueinander stehen. Betrachtet man stäblich ganze Teile der Nahrungskette auf. Sie erwerben die Finanzialisierung als ganzheitliches Phänomen, sieht Land, sie sind an den Inputmärkten beteiligt, an der Verar- man, dass es nur ein Ernährungssystem geben kann, das beitung und Lieferung von Lebensmitteln, im Einzelhandel. sieben bis zwölf Prozent Kapitalrendite verspricht. Dieses Das verändert das globale Ernährungssystem grundsätz- System ist auf grenzüberschreitenden Handel ausgerichtet lich. Die Finanzakteure involvieren sich im System, weil sie und basiert auf Monokulturen mit intensiven Inputs und daraus finanziellen Wert schöpfen wollen. Doch sie ziehen hohen Outputs. Für die Gesellschaft und die Umwelt ist nicht nur Wert aus dem System ab, sie verwandeln es auch dies unglaublich problematisch. Alle jene, die versuchen, in der für sie gewinnbringendsten Weise. Und das geschieht alternative Formen von Landwirtschaft zu entwickeln, mit grosser Intensität und Geschwindigkeit. welche weniger Profit für die Finanzinvestoren verspre- chen, werden kaum an Kapital kommen, nicht mit Infra- Warum haben sich die Finanzakteure plötzlich so struktur unterstützt werden, nicht wettbewerbsfähig sein. sehr für den Agrar- und Lebensmittelsektor zu inte- ressieren begonnen? Welche sozialen und ökologischen Probleme verur- Weil mehr Lebensmittel produziert werden, und weil es sacht diese hochintensive Landwirtschaft konkret? auf globaler Ebene zu Umstellungen bei der Ernährung wie Die grösste unmittelbare Sorge sind die Treibhausgase, etwa einem höheren Fleischkonsum kommt, gibt es mehr die beim Transport von Gütern produziert werden. Das Geld zu verdienen. Die Finanzinvestoren haben erkannt, globale Handelssystem allein ist bereits heute für fünf dass sie am meisten Gewinn generieren können, wenn sie bis sieben Prozent aller Treibhausgase verantwortlich. auf allen Stufen des Produktionsprozesses investieren, vom Wenn sich der Handel im gleichen Tempo intensiviert, Saatgut bis zum Einzelhandel. Was daraus resultiert, ist ein werden es 2050 schon 23 Prozent aller Treibhausgase sehr spezifisches Agrarsystem. Eines, das sehr kapitalinten- sein. Die global ausgerichtete Landwirtschaft erfordert siv ist, auf Massenproduktion setzt und global vernetzt ist. zudem eine aufwendige, teure Infrastruktur, was be- deutet, dass nur sehr wenige Akteure überhaupt Zu- Sie haben Konzentrationsprozesse erwähnt. Können gang zu ihr haben. Je länger die Entfernungen sind und Sie diese beschreiben? je weniger sichtbar die Wertschöpfungskette ist, desto Diese sogenannte horizontale Integration ist eine der mehr wird es zu einer Machtkonzentration bei eini- Folgen von Finanzinvestitionen entlang der Wertschöp- gen wenigen Schlüsselkonzernen kommen, die über fungskette von Lebensmitteln. Also davon, dass dieselben die nötige Infrastruktur verfügen, um Güter zu lagern,
14 PUBLIC EYE MAGAZIN Nr. 18 Juni 2019 zu verarbeiten und zu transportieren. Das hat Konse- Was könnte getan werden, um dieses Machtun- quenzen für kleinere Händler, Kleinbäuerinnen und gleichgewicht zwischen Konzernen und Bauern Konsumierende weltweit. familien zu mindern? Das ist die 100-Millionen-Dollar-Frage. Nehmen Sie Welche Konsequenzen? Kaffee als Beispiel: Es gibt mindestens fünfzehn Länder, Der globale Handel verlangt nach spezifischen Pro- in denen Kaffee produziert wird, aber jedes Land hat ein dukten. Gewisse Lebensmittel und bestimmte Sorten anderes Arbeitsrecht, andere Produktionskosten, eine sind resistenter und deshalb besser geeignet, über andere Qualität, erhält auf dem Markt einen anderen weite Strecken transportiert zu werden. Es gibt nur Preis. In manchen Ländern beschäftigen Grossgrund- eine Sorte Ananas, die weltweit gehandelt wird, genau besitzer und -besitzerinnen Landarbeitende, in anderen dasselbe gilt für die bekannte Cavendish-Banane. Das sind die Händler bei der Produktion auf Kleinbauern- hat natürlich Auswirkungen auf die landwirtschaftli- familien angewiesen. Das heisst, wir können keine glo- che Produktion und die Biodiversität. Bäuerinnen und bale Lösung finden – und erst recht nicht eine, die auf Bauern müssen produzieren, was das System will – und alle Rohstoffe anwendbar ist. nicht, was dem Boden guttut oder was der biologische Kreislauf erfordern würde. Ich war vor Kurzem im spa- Das klingt nicht sehr ermutigend. nischen Murcia, wo sie eine Tomate anbauen, die sich Es gibt natürlich Möglichkeiten. Viele Wettbewerbs gut eignet, um verschifft zu werden. Das Problem ist, expertinnen und -experten versuchen, die Politik dazu dass die Früchte sehr hoch an der Pflanze wachsen. zu bewegen, die Marktmacht der Konzerne, deren Grös- In der Folge leiden die Arbeiterinnen und Arbeiter an se und Dominanz zu beschränken. Auch eine stärke- Rücken- und Nackenschmerzen, weil sie die ganze Zeit re Koordination und Kooperation auf der Ebene der nach oben schauen müssen, um die Tomaten über ihren Kleinbäuerinnen und lokalen Produzenten gibt diesen Köpfen abzuschneiden. Nur weil der Markt nach einer die Möglichkeit, ihre Verhandlungsmacht gegenüber bestimmten Tomate verlangt, die haltbar ist und über den Konzernen zu stärken. Wenn sie sich zusammen- längere Distanzen transportiert werden kann, opfern tun und kollektiv einen Preis bestimmen, können sie wir die Gesundheit der Arbeitenden auf den Plantagen. ihre Position gegenüber den Handelsunternehmen und Und, wie gesagt, die Biodiversität. Grossverteilern verbessern, statt sich von diesen gegen- einander ausspielen zu lassen. Auch im Einzelhandel gibt es starke Konzentrations- prozesse. Welche direkten Konsequenzen haben diese Was kann in den Sitzstaaten dieser mächtigen Firmen für Bäuerinnen und Kleinproduzenten? getan werden? Schauen Sie, was in Sardinien geschah. Die Milch- Es ist immer eine politische Entscheidung, ob inter- bauern und -bäuerinnen gerieten durch die Händler veniert werden soll oder nicht. Dabei kommt es darauf und Grossverteiler derart stark unter Druck, dass sie an, ob man überzeugt davon ist, dass sich der Markt ihre Milch zu einem Preis verkaufen mussten, der selbst ausreichend reguliert – oder nicht. Ob man sich unter den Produktionskosten lag. Aus dem einfachen einig ist, dass die Effizienz des Markts das Ziel der Grund, dass es eine grosse Machtkonzentration auf der Gesellschaft ist – oder nicht. Es hängt von der wirt- Ebene der Handelsfirmen und des Einzelhandels gab. schaftlichen und finanziellen Lage der Regierung eines Die Bäuerinnen und Bauern gingen auf die Strasse, es Landes ab und davon, ob alternative Modelle politisch kam zu Ausschreitungen. Aber viele Bauern, etwa im attraktiv sind. Ein erster wichtiger Schritt wäre, dass Süden Italiens, wählen eine andere Option: Sie stellen eine Regierung überhaupt erkennt, in welche Richtung Migrantinnen und Migranten ohne Papiere an, ohne sich das Ernährungssystem entwickelt hat. Und dann ihnen irgendeine Form von Unterstützungsleistungen, überlegt, welche Rolle das Land bei einer Änderung Renten oder Sozialversicherungen zu bezahlen. Um bei dieses Systems spielen soll. so niedrigen Preisen profitabel wirtschaften zu können, muss man die Produktionskosten irgendwie senken. Welche Weichen sollten konkret in der Schweiz Das kann auf Kosten der Arbeitnehmenden, aber auch gestellt werden? auf Kosten der Natur geschehen. In Vietnam zum Bei- Die Schweiz als einer der wichtigsten Rohstoffhandels- spiel werden für die Ausweitung der Kaffeeproduktion plätze der Welt sollte versuchen, die Handelsunterneh- grosse Teile des Regenwalds abgeholzt. Dasselbe ge- men zur Übernahme der sozialen und ökologischen schah im Cerrado, der Savannenlandschaft Brasiliens, Kosten ihres Tuns zu zwingen. Das könnte zum Bei- für Soja. Der Druck von Grossverteilern und Handels- spiel bedeuten, dass die Unternehmen bei ihren globa- unternehmen hat immer soziale oder ökologische Aus- len Einkaufspraktiken existenzsichernde Löhne und wirkungen. Einkommen gewährleisten müssen.
TOMASO FERRANDO 15 Haben die Gesetze und Vorschriften mit den radika- globalen Ernährungssystem, in Bezug auf den welt- len Veränderungen im Ernährungssystem überhaupt umspannenden Handel oder den Marktzugang nicht Schritt gehalten? wirklich in Angriff genommen. Manche Gesetze und Vorschriften haben diese Entwick- lungen erst möglich gemacht. Es besteht ein politisches Können wir das Gespräch dennoch mit einem Beispiel Interesse daran, ein System zu stützen, das günstige abschliessen, das Hoffnung macht? Lebensmittel produziert. Die Idee dahinter ist, dass Nehmen wir Kolumbien als Beispiel, den Kaffeesektor. Menschen, die sich gut ernähren können, nicht auf die Der Preis für Kaffee ist so tief wie nie seit 13 Jahren, Strasse gehen, wie das in Nordafrika während des Arabi- tiefer als die Produktionskosten in Kolumbien. Also schen Frühlings geschah oder in verschiedenen Ländern gingen die Bauernfamilien auf die Strasse und protes- Südamerikas. In Europa hat dieses Ernährungssystem tierten, und schliesslich sprach die Regierung 30 Mil- in den letzten fünfzig Jahren den Zugang zu erschwing- lionen US-Dollar, um die Einkommensverluste auszu- lichen Lebensmitteln für eine Mehrheit gewährleistet gleichen. Vor einigen Wochen trafen sich Kaffeehändler – aber auf Kosten der Menschen anderswo, der Umwelt und -röster in Genf, und auch sie kamen zum Schluss, und auch der Produzentinnen und Produzenten. Die dass sie existenzsichernde Preise anstreben müssen. Grundsatzfrage ist doch: Sollen wir akzeptieren, dass Und die Internationale Kaffeeorganisation verlangt als die Entscheidungen im Agrarhandel nach der Prämisse Folge der Vorkommnisse in Kolumbien nach einer Be- gefällt werden, Lebensmittel möglichst effizient dort ab- obachtungsstelle für den Kaffeepreis. Es ist das erste zusetzen, wo die Menschen am meisten dafür bezahlen? Mal, dass die Organisation das anerkennt: Produzen- Oder wollen wir, dass die grossen Akteure zumindest tinnen und Produzenten können nicht einfach einem die Rechte der Menschen in den Ländern, in denen sie internationalen Preissetzungsmechanismus ausgesetzt einen Rohstoff beziehen, respektieren? Wenn sie das tun werden, der durch die finanzielle Dynamik auf globaler würden – würden sie dann weiterhin Rohstoffe über Ebene bestimmt wird. Der Fall zeigt: Wenn sich die die halbe Welt transportieren, um sie etwa in China an Bäuerinnen und Bauern zusammentun, können sie ihr Schweine zu verfüttern oder in Europa als Ethanol zu Anliegen von den Strassen Kolumbiens bis nach Genf verfeuern? Oder würden sie diese Güter eher dort belas- und auf die internationale Ebene bringen. Die Dinge sen, wo sie sind, was die Verfügbarkeit dort erhöhen und können sich ändern, wenn der Druck von unten auf so den Preis senken würde? Lebensmittel global zu han- verschiedenen Ebenen des Ernährungssystems ausge- deln bedeutet letztlich: Du nimmst gewissen Menschen übt wird – vom Bauern bis zur Konsumentin. Das ist ein zentrales Gut weg und bringst es zu anderen Leuten. ermutigend. Aber es geschieht nicht einfach so. � Wenn die Handelsunternehmen auch diesen Aspekt und nicht nur die Kaufkraft berücksichtigen müssten, würde sich die Dynamik im globalen Handel verändern. Aber das werden sie nicht freiwillig tun. Sie sind in erster Li- nie am Gewinn interessiert, nicht an Menschenrechten. Das bedeutet? Ich denke, sie müssten dazu gezwungen werden. Oder zumindest müssten sie davon überzeugt werden, dass auch sie ein Interesse daran haben, die Situation der Zur Person Plantagenarbeiter oder der Kleinbäuerinnen zu ver- Tomaso Ferrando bessern. Diese stellen die Produkte her, mit denen die Unternehmen handeln. Es ist ganz einfach: Wenn du Dr. Tomaso Ferrando, geboren 1985 in Turin, ist den Bauern oder die Arbeiterin verhungern lässt, wird Dozent für Rechtswissenschaften an der niemand mehr den Rohstoff produzieren. Und aus einer Universität Bristol in England und Rechtsbera- Umweltperspektive: Wenn man keine nachhaltigeren ter der UN-Sonderberichterstatterin für das Anbaumethoden etabliert, wird es in fünf, zehn Jah- Recht auf Nahrung, Hilal Elver. Er hat mit dem ren gewisse Rohstoffe nicht mehr zu kaufen geben. Ich International Panel of Experts on Sustainable glaube, manche Handelsunternehmen haben das auch Food Systems (IPES-Food) zusammengearbei- erkannt. Nur: Wenn ein Umdenken lediglich deshalb tet und an der Formulierung einer gemeinsa- geschieht, weil das Geschäft mächtiger Akteure davon men Lebensmittelpolitik der EU mitgewirkt. In abhängt, und wenn es nach deren Vorstellungen ge- seiner jüngsten wissenschaftlichen Arbeit hat schieht, dann werden die grundsätzlichen Probleme er die Finanzialisierung des globalen Ernäh- rund um die Machtverteilung und -konzentration im rungssystems unter die Lupe genommen.
16 PUBLIC EYE MAGAZIN Nr. 18 Juni 2019 Schulden für Mosambik: Public Eye reicht Strafanzeige gegen Credit Suisse ein Kredite von über zwei Milliarden US-Dollar, die in grossem Stil veruntreut wurden, haben im bit- terarmen Mosambik die Staatsschulden explodieren lassen. Die Hälfte dieser Summe stellte die britische Tochtergesellschaft der Credit Suisse bereit. Public Eye hat deshalb Ende April in Bern eine Strafanzeige gegen Credit Suisse eingereicht: Die Bundesanwaltschaft soll abklären, ob die Bank ihrer Verpflichtung zur Überwachung der Tochtergesellschaft nachgekommen ist. DAVID MÜHLEMANN Im Frühling 2016 hat das Wall Street Journal einen mas- sambikanische Amtsträger sowie zwei Kader von Pri- siven Kredit- und Schuldenskandal in Mosambik auf- vinvest Anklage. Alle sollen sich bei der Kreditvergabe gedeckt. Es ging um Kredite in der Höhe von über zwei durch Bestechungs- und sogenannte Kickbackzahlun- Milliarden Dollar, die die britische Tochtergesellschaft gen bereichert haben. Die amerikanischen Ermittler der Credit Suisse (CS), Credit Suisse International, und gehen davon aus, dass mindestens 200 Millionen die russische Bank VTB drei halbstaatlichen mosambi- US-Dollar von der Kreditsumme abgezweigt wurden. kanischen Unternehmen gewährt hatten. Die Kreditge- schäfte waren durch Staatsgarantien gesichert, ausge- Credit Suisse in schiefem Licht stellt durch den damaligen Finanzminister. Vorgesehen Seit 2017 verfolgt das US-amerikanische Justizministe- waren die Gelder in erster Linie für den Aufbau einer rium – als oberste Anklagebehörde der USA – die Strategie, Thunfisch-Fangflotte und für Schnellbote für den Küs- dass die Strafverfolgung ihren Fokus auf die Individuen tenschutz. richten soll und nicht mehr in erster Linie auf Unterneh- men. Gleichwohl kommen die CS und ihre Compliance- 500 verschwundene Millionen Abteilung, die mit der Sorgfaltsprüfung im Rahmen der Die Banken zahlten die Kreditsummen aber nicht di- Kreditvergabe betraut gewesen war, in der Anklageschrift rekt an Mosambik oder die mosambikanischen Unter- nicht gut weg. Diese hält zwar fest, dass die drei Ban- nehmen aus, sondern an die Schiffbaugruppe Privinvest ker der Compliance-Abteilung gegenüber falsche Anga- aus Abu Dhabi. Diese war auch die treibende Kraft, dass ben gemacht hatten. Die internen Kontrollmechanismen die Kredite überhaupt zustande kamen. Die schliess- hätten allerdings verlangt, dass die Mitarbeitenden der lich gelieferten Schiffe waren zum Teil jedoch massiv Compliance das Korruptionsrisiko innerhalb der Kredit- überteuert und auch Monate nach Auslieferung nicht projekte abklären und die involvierten Personen über- betriebsbereit. Zu diesem Schluss kam die unabhängi- prüfen. Die CS hatte zudem als Teil ihrer internen Kon- ge Prüfgesellschaft Kroll, die den Kreditskandal unter- trollen Bedingungen für die Gewährung des Kredits an suchte. Was sie ebenfalls konstatierte: Von mindestens Mosambik aufgestellt: die Genehmigung der Kreditverga- 500 Millionen US-Dollar fehle jegliche Spur. be durch die Zentralbank Mosambiks, deren Bestätigung Da die Investitionen ohne Ertrag blieben, konnten durch das mosambikanische Verwaltungsgericht sowie die drei mosambikanischen Unternehmen ihren Kre- eine Mitteilung an den IWF. Nur: Gemäss dem Prüfungs- ditverpflichtungen ebenso wenig nachkommen wie bericht wurde keine dieser Bedingungen eingehalten, die der schon stark verschuldete Staat. Die lange geheim Kredite wurden aber dennoch ausbezahlt. Die amerika- gehaltenen Kredite und die staatliche Absicherung nischen Strafverfolger kommen zum Schluss, dass die flogen schliesslich auf, und der internationale Wäh- ComplianceAbteilung der CS zwar kritische Fragen ge- rungsfonds (IWF) sowie weitere Geberländer – unter stellt habe. Sie habe die Antworten jedoch nicht überprüft ihnen auch die Schweiz – stoppten ihre Budgethilfe. und «es verpasst, ihre Untersuchungen weiterzuziehen». Die daraufhin gestiegene Inflation und die Sparmass- Die schweizerische Bundesanwaltschaft hat bis- nahmen der Regierung trafen die Bevölkerung eines her auf Medienanfragen verlauten lassen, dass sie keine der ärmsten Länder der Welt. Strafuntersuchung gegen die CS eröffnet habe. Auch als Die amerikanischen Strafverfolgungsbehörden Mosambik anfangs 2018 ein Rechtshilfeersuchen an die erhoben am 19. Dezember 2018 gegen drei ehemalige Schweiz stellte, seien für die Eröffnung eines Strafver- Manager der britischen CS-Tochter, den ehemaligen fahrens nicht genügend Hinweise auf ein strafbares mosambikanischen Finanzminister, zwei weitere mo- Verhalten vorgelegen.
VERUNTREUTE KREDITE 17 Ist die Schweiz zuständig? ihre Tochtergesellschaft CS International vollständig, und Eine wichtige Frage für die strafrechtliche Aufarbeitung Aufgaben in Sachen Risk Management und Compliance des Falls in der Schweiz ist jene nach der Zuständigkeit sind bei den beiden Banken eng verbunden. Zudem gab der hiesigen Strafverfolgungsbehörden. In Korruptions- es im fraglichen Zeitraum diverse personelle Überschnei- fällen gilt eine Straftat als am Ort des Handelns (oder dungen; nicht nur bei den Verwaltungsräten, sondern Unterlassens) begangen. Bei der Zuständigkeit im Be- auch im geschäftsführenden Management. So war etwa reich der strafrechtlichen Unternehmenshaftung gilt aber die Verwaltungsratspräsidentin in Grossbritannien auch Folgendes: Die Schweiz kann nicht nur Begehungsort Verwaltungsrätin bei der CS Group AG in Zürich, der Chief der Straftat sein, sondern auch der Ort des Organisa- Risk Officer der Gruppe zugleich auch Verwaltungsrat der tionsmangels des beteiligten Unternehmens. Es war die britischen Tochter. Auch der CEO der CS International Bundesanwaltschaft selbst, die in einem Entscheid zum übte am Hauptsitz eine geschäftsführende Position aus. französischen Transportkonzern Alstom die Praxis eta- blierte, dass die Zuständigkeit der schweizerischen Justiz Bundesanwaltschaft soll aktiv werden bei multinationalen Unternehmensgruppen auch damit Wenn die Unternehmensführung von den Modalitäten der begründet werden kann, dass das Organisationsversagen Kreditvergabe wusste, entlastet es die Bank nicht per se, in der Schweiz anzusiedeln ist. Für den Fall der Credit dass es drei Angestellte in London waren, welche die kor- Suisse und Mosambik gilt das ebenso: In unserer Straf- rupten Geschäfte abgeschlossen haben. Gemäss schwei- anzeige zeigen wir auf, dass es genügend Hinweise dafür zerischem Strafrecht haftet das Unternehmen unabhängig gibt, dass die Unternehmensführung in Zürich Informa- von der Strafbarkeit der natürlichen Personen, wenn es tionen über die Kreditvergabe gehabt haben muss und nicht alle zumutbaren und erforderlichen organisatorischen trotz klarer Warnzeichen nicht eingeschritten ist. Massnahmen getroffen hat, um Straftaten wie Bestechung fremder Amtsträger und Geldwäscherei zu verhindern. Enge Verbindung Zürich–London Mit der Strafanzeige fordert Public Eye die Bun- Gemäss Privatrecht verfügt eine juristische Person bereits desanwaltschaft nun auf, die Frage zu klären, ob die CS dann über rechtlich relevante Kenntnis eines Sachverhalts, Group AG ihren organisatorischen Pflichten zur Über- wenn das betreffende Wissen innerhalb ihrer Organisation wachung der Tochtergesellschaft und zur Verhinderung objektiv abrufbar ist. Dafür gibt es verschiedene Hinwei- illegaler Verhaltensweisen nachgekommen ist – so wie se: Nach eigenen Angaben kontrolliert die CS Group AG es das Schweizer Strafrecht von Unternehmen verlangt. � © Mark Henley/Panos Die Credit Suisse in Zürich: Was wusste man hier?
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