Ersetzt Klima- die Entwicklungshilfe? - Alliance Sud

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Ersetzt Klima- die Entwicklungshilfe? - Alliance Sud
NUMMER 58 | SOMMER 2015

                                                                                    Globalisierung und Nord / Süd-Politik

                          Arbeitsgemeinschaft Swissaid | Fastenopfer | Brot für alle | Helvetas | Caritas | Heks | www.alliancesud.ch

                          Ersetzt Klima- die Entwicklungshilfe?
                          Die EZA, wie sie Bafu-             Konzerninitiative                        FfD : Neuauflage des
                          Direktor Oberle sieht              schreckt das Business auf                Nord-Süd-Konflikts
Ersetzt Klima- die Entwicklungshilfe? - Alliance Sud
Kurz notiert

Botschaft IZA: Drohender Spardruck                    das internationale Netzwerk OECD Watch,         schwemmen hilft, überprüft werden. Und
es. (Fast) alles dreht sich bei der Diskussion        das 200 Klagen von NGOs aus den letzten         es soll den reichen Ländern weiterhin er-
über die Botschaft für die internationale Zu-         fünfzehn Jahren untersucht hat. Folgende        laubt bleiben, ihre Landwirtschaft zu sub-
sammenarbeit 2017 – 2020 ums Geld. Die                Punkte gilt es zu verbessern : Den NKP fehlt    ventionieren, ohne gleichzeitig den Markt-
Wachstumsprognosen für die Schweizer                  es ( zu ) oft an Unabhängigkeit und Unvorein-   zugang für Länder des Südens zu verbessern.
Euro-Wirtschaft haben sich nach Aufhebung             genommenheit, was mit der Nähe der NKP          Schwellen- und Entwicklungsländer zeigen
des Mindestkurses durch die Nationalbank              zu staatlichen Stellen zu tun hat, die Inves-   kein Interesse daran, diese Rabatte zu ge-
verschlechtert, Steuerreformen wie die Un-            titionsförderung betreiben ; es gibt Wider-     währen.
ternehmenssteuerreform II hinterlassen                stand, Verletzungen der Menschenrechte
Löcher in der Staatskasse. Erst im Herbst             in abschliessenden Erklärungen festzuhal-       real21 – die Welt verstehen
wird das Budget der Schweizer IZA für die             ten ; es fehlen Sanktionsmöglichkeiten. Un-     dh. Zusammen mit der Schweizer Journa-
nächste Botschaftsperiode bekannt sein.               der denselben Mängeln leidet auch der vom       listenschule MAZ setzt sich Alliance Sud für
Dann wird sich zeigen, ob die Verpflichtung,           Seco betreute Schweizer NKP, wie der Bericht    qualitativ hoch stehenden Auslandjourna-
0,5 Prozent des Bruttonationaleinkommens              « Remedy Remains Rare » zur Behandlung          lismus ein. Die beiden haben den Verein
für IZA auszugeben, eingehalten wird, oder            des Falls Triumph von 2009 unterstreicht.       « real21 – die Welt verstehen » gegründet,
ob bei den Ärmsten weltweit gespart wer-              www.oecdwatch.org                               der ausgezeichnete Berichterstattung über
den soll. Derzeit wird die Zivilgesellschaft                                                          globale Entwicklung mit einem Fonds und
zum Inhalt der Botschaft konsultiert. Im              Doha-Zyklus : Zangengeburt in Nairobi?          einem Preis fördert. Jährlich sollen 54 000
Dezember 2015 soll sie vom Bundesrat ver-             ia. « Re-Kalibrierung » lautet das Zauber-      Franken für Recherchen ausgeschüttet
abschiedet werden, Ende 2016 vom Parla-               wort, mit dem die Industrieländer Errun-        werden, dazu kommen ein Hauptpreis von
ment.                                                 genschaften des Doha-Zyklus der WTO in          10 000 sowie ein Förderpreis von 5000 Fran-
                                                      Frage stellen und die Verhandlungsrunde         ken. Die erste Ausschreibung des Medien-
OECD-Leitlinien : Magere Bilanz                       beim nächsten Ministertreffen im Dezem-         fonds läuft von Ende August bis Ende Okto-
me. Vermittlungen nationaler Kontakt-                 ber in Nairobi zum Abschluss bringen möch-      ber 2015. Die ersten Medienpreise werden im
punkte ( NKP ) bei der Umsetzung der OECD-            ten. Unter dem Vorwand der Vereinfachung        Herbst 2016 vergeben. Finanziert wird real21
Leitlinien für multinationale Konzerne ha-            wollen die reichen Länder Zugeständnisse        von der Deza, die damit eine durch das Ende
ben zuletzt zu einigen Zusagen geführt, es            bei den Agrar- und Industrieprodukten wie-      von InfoSud in der Deutschschweiz entstan-
mit der Beachtung der Menschenrechte ge-              der verwässern. In der Landwirtschaft etwa      dene Lücke füllt. Weiterführende Informati-
nauer zu nehmen. Aber das ist die Ausnah-             soll der spezielle Schutzmechanismus, der       onen gibt es auf der Website www.real21.ch.
me statt die Regel. Zu diesem Schluss kommt           den Entwicklungsländern gegen Import-

    Impressum                                         Alliance Sud auf einen Blick
    GLOBAL +                                          Präsidium                                       – Konzerne und Menschenrechte
    erscheint viermal jährlich.                       Melchior Lengsfeld, Direktor Helvetas             Michel Egger, Tel. + 41 21 612 00 98
                                                                                                        michel.egger@alliancesud.ch
    Herausgeberin:                                    Geschäftsstelle
    Alliance Sud                                      Peter Niggli ( Geschäftsleiter )
                                                                                                      – Medien und Kommunikation
    Arbeitsgemeinschaft                               Kathrin Spichiger
                                                                                                        Daniel Hitzig, Tel. + 41 31 390 93 34
    Swissaid | Fastenopfer | Brot für alle |          Monbijoustrasse 31, Postfach 6735, 3001 Bern
                                                                                                        daniel.hitzig@alliancesud.ch
    Helvetas | Caritas | Heks                         Tel. + 41 31 390 93 30
    E-Mail: globalplus@alliancesud.ch                 Fax + 41 31 390 93 31
                                                                                                      InfoDoc Bern
    Website: www.alliancesud.ch                       E-Mail : mail@alliancesud.ch
                                                                                                      Jris Bertschi / Emanuela Tognola /
    Social Media: www.facebook.com/alliancesud,
                                                      Entwicklungspolitik                             Emanuel Zeiter
    www.twitter.com/AllianceSud
                                                                                                      Tel. + 41 31 390 93 37
                                                      – Entwicklungszusammenarbeit :
    Redaktion:                                                                                        dokumentation@alliancesud.ch
                                                        Eva Schmassmann, Tel. + 41 31 390 93 40
    Daniel Hitzig ( dh ), Kathrin Spichiger ( ks ),
                                                        eva.schmassmann@alliancesud.ch
    Tel. + 41 31 390 93 34/30                                                                         Regionalstelle Lausanne
    Bildredaktion: Nicole Aeby                                                                        Isolda Agazzi / Michel Egger / Katia Vivas
                                                      – Internationale Finanz- und Steuerpolitik
    Grafik: Clerici Partner Design, Zürich                                                            Tel. + 41 21 612 00 95/Fax + 41 21 612 00 99
                                                        Mark Herkenrath, Tel. + 41 31 390 93 35
    Druck: s+z: gutzumdruck, Brig                                                                     lausanne@alliancesud.ch
                                                        mark.herkenrath@alliancesud.ch
    Auflage: 2400
    Einzelpreis: Fr. 7.50                                                                             InfoDoc Lausanne
                                                      – Klima und Umwelt
    Jahresabo: Fr. 30.–                                                                               Pierre Flatt / Nicolas Bugnon /
                                                        Jürg Staudenmann, Tel. + 41 31 390 93 32
    Förderabo: mind. Fr. 50.–                                                                         Amélie Vallotton Preisig
                                                        juerg.staudenmann@alliancesud.ch
    Inseratepreise/Beilagen: auf Anfrage                                                              Tel. + 41 21 612 00 86
    Bildnachweis Titelseite: In einem Lager                                                           documentation@alliancesud.ch
                                                      – Welthandel und Investitionen
    für intern Vertriebene in Gareida in                Isolda Agazzi, Tel. + 41 21 612 00 97
    Süd-Darfur, Sudan. © Sven Torfinn/Panos                                                           Regionalstelle Lugano
                                                        isolda.agazzi@alliancesud.ch
                                                                                                      Lavinia Sommaruga / Mirka Caletti
                                                                                                      Tel. + 41 91 967 33 66/Fax + 41 91 966 02 46
    Die nächste Ausgabe von GLOBAL +                                                                  lugano@alliancesud.ch
    erscheint Anfang Oktober 2015.

2    GLOBAL + SOMMER 2015
Ersetzt Klima- die Entwicklungshilfe? - Alliance Sud
Mehr Klimaschutz,
                                                                     weniger Entwicklungshilfe?
                                                                     Der Klimawandel kommt teuer zu stehen. Wenn wir ihn nicht bremsen,
                                          Foto : © Daniel Rihs

                                                                     nehmen Ernteausfälle, Überflutungen tief gelegener Küstenregionen,
                                                                     Krankheiten, Massenwanderungen und bewaffnete Konflikte um Res-
                                                                     sourcen zu. Ihn zu bremsen, kostet ebenfalls. Dazu müssen Energie-
                                                                     gewinnungs-, Produktions- und Transportsysteme global auf erneuer-
                                                                     bare Energien umgestellt werden – was unter dem Begriff Klimaschutz
                                                                     verstanden wird. Moderate Schätzungen gehen von jährlich 200 Milliar-
                                                                     den Dollar aus, welche dafür ab 2020 in Schwellen- und Entwicklungs-
                                                                     ländern investiert werden müssten. Hinzu kommen 50 Milliarden jähr-
                                                                     licher Investitionen, um sich an den Klimawandel anzupassen. Dazu
                                                                     gehören Küstenschutzsysteme gegen den Meeresspiegelanstieg, Verän-
                                                                     derungen der Wasserläufe oder Umsiedlungen innerhalb betroffener
                                                                     Länder, um nur ein paar Punkte zu nennen.
                                                                          Diese 250 Milliarden fallen in den Entwicklungsländern zusätzlich
                                                                     zu dem an, was der weitere Ausbau der Bildungs- und Gesundheits-
                                                                     systeme oder der Infrastruktur kostet. Die Industrieländer versprachen
                                                                     in Kopenhagen 2009, sich an den gesamten Klimakosten mit 100 Milli-
                                                                     arden jährlich, also zu 40 Prozent, zu beteiligen. Und zwar zusätzlich zur
                                                                     Entwicklungshilfe von heute 135 Milliarden. Unsere Länder könnten die-
                                                                     se 100 Milliarden leicht und verursachergerecht generieren, wenn sie die
                                                                     heimischen Treibhausgasemissionen preislich mehr belasten, als sie es
                                                                     ohnehin tun müssen, wenn sie den eigenen Klimaschutz vorantreiben.
                                                                     Vom Willen, die dazu nötigen politischen und gesetzlichen Vorkehrungen
                                                                     zu treffen, ist in vielen Industrieländern, auch in der Schweiz, aber wenig
Aus dem Inhalt                                                       zu spüren. Das zeigt exemplarisch das Interview mit Bruno Oberle, dem
                                                                     obersten Umweltschützer der Schweiz, in diesem Heft.
                                                                          Oberle behauptet apodiktisch, es sei politisch schon entschieden,
    Foto : © Daniel Rihs

                                                                     dass der Klimabeitrag der Schweiz aus dem Entwicklungsbudget finan-
                                                                     ziert werde. Da dieses auf 0,5 Prozent erhöht worden sei, handle es sich
                                                                     um « neues, zusätzliches » Geld. Das widerspricht den internationalen
                                                                     Vereinbarungen. Schon bisher nahmen die Schweiz und andere westliche
                                                                     Länder ihre homöopathisch dosierten Klimabeiträge aus dem Entwick-
                                                                     lungsbudget. Ab 2020 geht es aber um mehrere hundert Millionen Fran-
                                                                     ken jährlich zulasten der Entwicklungsaufgaben von Deza und Seco. Für
                                                                     Oberle ist das kein Problem. Die Prioritäten der Entwicklungshilfe seien
                                                                     ständigem Modewandel unterworfen. Habe man sich früher auf Gender
                           Bafu-Chef vor Klimagipfel in Paris        oder Dezentralisierung konzentriert, müsse man sich nun eben auf Klima
                                                                     ausrichten. Das nütze den Armen auch. Klima kann man aber so wenig
4                          « Keine zu hohen Erwartungen, bitte ! »
                                                                     essen, wie man genug zu essen kriegt, wenn der Klimawandel völlig aus
                                                                     dem Ruder läuft. Ceterum censeo : Oberles Vorhaben widerspricht dem
                           Unternehmen und Menschenrechte            Entwicklungshilfegesetz.
8                          Bund im Schlepptau der Wirtschaft
                                                                     PS : Das ist mein letztes Editorial. Dem Job entsprechend ist es nicht zu
                                                                     einem besinnlichen Rückblick, sondern zur Vorschau auf kommende
   TISA-Abkommen soll 2016 kommen                                    Auseinandersetzungen geworden. Am 1. August übergebe ich die Ge-
10 Wikileaks legt Inhalte offen                                      schäftsleitung in jüngere Hände.

                                                                                                  Peter Niggli, Geschäftsleiter von Alliance Sud
   Entwicklungsfinanzierung
12 Das Ringen um Kompromisse

   Peter Niggli wird pensioniert
15 Das Ende einer Ära

                                                                                                                        GLOBAL + SOMMER 2015   3
Ersetzt Klima- die Entwicklungshilfe? - Alliance Sud
Interview mit Bruno Oberle, Direktor des Bundesamtes für Umwelt ( Bafu )

« Klimazahlungen
werden aus Entwicklungs-
Budget bezahlt »
Jürg Staudenmann und Daniel Hitzig   Gegen eine Milliarde Franken jährlich soll die Schweiz
ab 2020 an den internationalen Klimaschutz zahlen. Der für die Klima-
politik zuständige Bafu-Direktor geht im GLOBAL+-Gespräch in die Offensive:
Die Deza werde umdenken müssen. Statt auf Gender oder Gouvernanz
zu setzen, soll die Schweizer EZA auf Klima umgepolt werden.

                                                                                    GLOBAL+ : Was braucht es, damit der Klimagipfel in Paris in
                                                                                    sechs Monaten nicht krachend scheitert wie jener in Kopen-
                                                                                    hagen ( 2009 ) ?
                                                                                    Bruno Oberle : Wir erwarten nicht, dass in Paris alle anstehen-
                                                                                    den Probleme gelöst werden. Wir müssen aber vermeiden, all-
                                                                                    zu hohe Erwartungen zu wecken, um Enttäuschungen vorzu-
                                                                                    beugen. Ich fand das Ergebnis von Kopenhagen allerdings gar
                                                                                    nicht so schlecht. Immerhin haben wir 100 Milliarden US-Dollar
                                                                                    Klimafinanzierung pro Jahr für arme Entwicklungsländer ab
                                                                                    2020 beschlossen ; und wir hatten die Staatsoberhäupter ver-
                                                                                    sammelt, also das Thema dort platziert, wo es hingehörte.
                                                                                         Paris soll nun konkretisieren, was man sich in Durban ( 2011 )
                                                                                    vorgenommen hat : Die Aufteilung der Welt zu überwinden in
                                                                                    eine Hälfte, die reich und schuldig ist und liefern muss. Und
                                                                                    eine andere, die arm und unschuldig ist und abwarten darf.
                                                                                         Ein zentraler erster Pfeiler dazu sind die INDC, die Intended
                                                                                    Nationally Determined Contributions. Mit diesen kann jedes
                                                                                    Land selber sagen, wie viel CO2-Aussstoss zu reduzieren es
                                                                                    bereit ist. Ein wichtiger zweiter Pfeiler sind die Regeln : MRV
                                                                                    steht für Measurable, Reportable, Verifyable, das heisst, die Ziele
                                                                                    sind zwar nicht verpflichtend, müssen aber überprüfbar sein.
                                                                                    Diese neu vereinbarten Zielvorgaben und prozeduralen Regeln
                                                                                    erlauben es reichen Staaten wie den USA und gewissen Ent-
                                                                                    wicklungsländern, an Bord zu kommen und jenes Tempo anzu-
                                                                                    schlagen, das sie selbst für angebracht halten. Ein wichtiger
                                                                                    dritter Pfeiler ist die Finanzierung, die in Kopenhagen beschlos-
                                                                                    sen wurde. Dazu dienen verschiedene Quellen, der Green
                                                                                    Climate Fund ist eines der Instrumente. Frankreich hat jetzt
                                                                                    noch einen vierten Pfeiler definiert, und den finde ich klug :
                                                            Fotos : © Daniel Rihs

                                                                                    Nach dem Motto « Lasst tausend Blumen spriessen » will man
                                                                                    schauen, was der private Sektor, was alternative Initiativen aus-
                                                                                    richten können.

4   GLOBAL + SOMMER 2015
Ersetzt Klima- die Entwicklungshilfe? - Alliance Sud
Klimakonferenzen setzen den Konsens aller Länder voraus,            sie. Jetzt kann man uns nacheifern, oder auch nicht. Ein Element,
weshalb man sich nur auf den kleinsten gemeinsamen                  das hilft, Probleme zu lösen, sind Technologien ; die Schweiz ent-
Nenner einigt.                                                      wickelt und exportiert solche. China etwa produziert massen-
Über die einzelnen Staaten hinaus sind aber viele andere Player     haft Sonnenkollektoren, zu denen die Schweizer Wirtschaft
aktiv. Die Welt besteht nicht bloss aus einer Anzahl Regierun-      massgebliche Technologie geliefert hat.
gen. Man hat immer gewusst, dass der US-Senat die Kyoto-Ver-
pflichtung nie ratifizieren wird. Hingegen sind US-Bundesstaa-        Ihr Vergleich mit Deutschland unterschlägt allerdings, dass
ten so gross wie europäische Länder und eine Vielzahl privater      die Schweiz durch ihren viel höheren Konsum von impor-
Akteure aktiv geworden. Generell gibt es überall lahme Enten        tierten Gütern pro Kopf nochmals so viele Emissionen im
und Pioniere. Die Pioniere handeln aus Überzeugung, weil sie        Ausland erzeugt wie im Inland.
wissen, dass es sie in der künftigen Welt konkurrenzfähiger         Kyoto und UNFCCC ( UN-Klimarahmenkonvention ) sehen vor,
macht. Im Zuge der Klimakonferenz in Paris öffnet man jetzt         dass die Rechnung nur die nationalen Emissionen erfasst. Wür-
quasi ein grosses Buch, in das jedes Land sein Reduktionsziel       den alle Emissionen erfasst, für die wir verantwortlich sind,
eintragen kann. Darin kann man später nachschauen und die           dann müsste der Staat ein Steuerungsinstrument besitzen,
Länder auf ihrem Wort behaften.                                     also Importe mit viel grauer Energie verbieten können. Damit
                                                                    würde man aber gegen Handelsabkommen verstossen.
Aber dabei gerät doch das Ziel aus den Augen, dass der glo-
bale Temperaturanstieg 2 Grad Celsius nicht übersteigen darf ?      Wie dem auch sei, Ende Mai ist Deutschland der « Carbon
Das ist natürlich das alles überstrahlende Ziel, das stellt nie-    Pricing Leadership Coalition » beigetreten. Das gibt der
mand in Abrede. Aber das Klima ist nur ein Element in einer viel    ursprünglich schweizerischen Idee eines globalen CO2-Preises
breiteren Agenda, in deren Richtung wir uns entwickeln sollten.     wieder Aufwind : Wäre die Zeit nicht reif für die Schweiz,
Nämlich die der Sustainable Development Goals ( SDG ). Das ist      den Vorschlag erneut aufzutischen ?
« The World We Want » beziehungsweise « The World We Need ».        In letzter Zeit gibt es ermutigende Signale. Es spricht nach wie
                                                                    vor sehr viel für einen globalen CO2-Preis, weil das ein ord-
Wenn wir Sie richtig verstehen, schwingt eine gewisse               nungspolitisch sauberes Instrument und eine ideale Quelle für
Desillusionierung über die Regierungsebene mit : Die                notwendige globale Investitionen wäre. Unser Vorschlag ging
Einigung auf ein griffiges Abkommen mit ausreichenden                aber davon aus, dass alle Emissionen in allen Ländern einer Ab-
Reduktions- und eben auch finanziellen Zielvorgaben                  gabe unterworfen wären. Um den Entwicklungsländern entge-
halten Sie für eine überzogene Erwartung.                           genzukommen, hatten wir einen unterschiedlichen Abgabesatz
Wenn Sie es so formulieren, machen Sie wieder nichts anderes,       für reiche und weniger reiche Länder vorgesehen. Zudem schlu-
als die Enttäuschung vorwegzunehmen. Was ich sage ist : Um          gen wir vor, dass die Erträge aus der Abgabe von Entwicklungs-
Resultate zu erzielen, brauchen wir die Mitwirkung von ganz         ländern in nationalen Fonds verwaltet und für lokale Klima-
vielen. Mit dem erwähnten Buch geben Staatsvertreter und            massnahmen verwendet werden sollten.
führende Vertreter des privaten Sektors die allgemeine Rich-
tung an und signalisieren, dass die Fragestellung relevant ist.
Die Problemstellung, also das 2-Grad-Ziel, ist bekannt. Aber
                                                                               Die Schweiz und Deutschland
Merkel, Putin, Modi und Obama werden das Problem nicht al-
leine lösen. Sie werden quasi der Welt verkünden : « Dies ist ein              sind sich sehr ähnlich – doch
wichtiges Thema, dieses Ziel müssen wir anstreben, es geht in
                                                                               wir emittieren nur gut halb so viel
diese Richtung. » Und dann werden sie, aber auch andere, ihre
Beiträge liefern.                                                              CO2 wie sie. Jetzt kann man
                                                                               uns nacheifern, oder auch nicht.
Es könnten sich ja auch einzelne Länder oder Gruppen quasi
als « fortschrittliche Klima-Clubs » in dieses Buch eintragen
und signalisieren : « Selbst wenn Ihr noch nicht so weit seid,      Kommen wir zur internationalen Klimafinanzierung :
wir schreiten voran. »                                              Die 100 Milliarden Dollar sind zwar versprochen, aber es gibt
Es können sich schon Koalitionen von Willigen bilden, aber wich-    keinen Fahrplan, wie wir bis 2020 dorthin kommen sollen.
tig bleibt, dass diese eine gewisse Durchschlagskraft haben.        Deutschland hat vor Kurzem angekündigt, ab 2020 jährlich
Wenn sich Vanuatu, Tonga und die Schweiz zusammenschlies-           4 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern bereitzustellen.
sen, dann werden sie die Welt nicht ändern. Man weiss, welches      Auf die Schweiz umgerechnet, würde das 750 bis 800 Mil-
die grossen CO2-Emittenten sind. Wenn die nicht ein Teil dieser     lionen Franken pro Jahr entsprechen. Ist die Schweiz bereit,
Initiativen sind, dann könnte es bei schönen Worten bleiben.        Deutschland zu folgen ? Das würde den Entwicklungslän-
                                                                    dern Mut machen, sich ebenfalls zu ambitiösen Reduktions-
Verglichen mit unseren europäischen Nachbarn sind die Ziele         massnahmen zu verpflichten.
der Schweiz weit weniger ambitiös. Würden wir uns mit               Differenzieren wir : « Die Entwicklungsländer » gibt es nicht. Es
Deutschland oder anderen grösseren Akteuren zusammen-               besteht absolut kein Zweifel, nirgendwo, dass die LDC, die Least
tun, könnten wir auch als kleines Land viel mehr erreichen.         Developed Countries, unterstützt werden müssen und dass sie,
Die inländischen Pro-Kopf-Emissionen der Schweiz sind knapp         zumindest heute, so gut wie nichts beitragen zur Klimaerwär-
die Hälfte geringer als jene Deutschlands. Die zwei Länder sind     mung. Das gilt aber nicht zwingend für alle G-77-Staaten. Gros-
sich sehr ähnlich – doch wir emittieren nur gut halb so viel wie    se, aufstrebende Industrieländer wie China, Brasilien oder Süd-

                                                                                                             GLOBAL + SOMMER 2015   5
Ersetzt Klima- die Entwicklungshilfe? - Alliance Sud
Weiterbildungsangebot in
   Entwicklung und Zusammenarbeit
                         Herbstsemester 2015

Planung und Monitoring von Projekten                    21.09. - 25.09.

Wirkungsanalysen: Methoden & Anwendungen                06.10. - 09.10.

M4P - Making Markets Work for the Poor                    12.10. - 16.10.

Non-Renewable Resources - Fueling Development            20.10. - 23.10.
or Undermining the Future?

Participatory Approaches and Qualitative Methods        26.10. - 30.10.

Aktuelle strategische Debatten in der IZA                 18.11. - 20.11.

Fragile States - Politics, Security and Development       23.11. - 27.11.

VET between Poverty Alleviation and Economic              30.11. - 04.12.
Development

               Auskunft über Zulassung und Anmeldung:
                           www.nadel.ethz.ch
Ersetzt Klima- die Entwicklungshilfe? - Alliance Sud
afrika sind nicht mehr im selben Ausmass auf ökonomische
Hilfe angewiesen. Es wird im Gegenteil darüber diskutiert wer-
den, inwiefern sich diese Länder künftig an der Klimafinanzie-
rung beteiligen.

Klar, wir sprechen von den ärmeren Entwicklungsländern.
Aber gerade von diesen wird erwartet, dass sie das zustande
bringen, was wir nicht schafften : Sich zu entwickeln, ohne
auf diesem Weg massiv mehr Klimagase zu emittieren.
Um die Menschheit auf diesem Planeten nachhaltig und wür-
dig zu organisieren, braucht es ausserordentlich grosse Finanz-
mittel. Heute ist dies dringender denn je, weil wir alle die ne-
gativen Folgen des Klimawandels zu spüren beginnen. Eine
Verzögerung der nötigen Investitionen würde uns enorm viel
Geld kosten, ganz abgesehen von Menschenleben. In einer sol-
chen Situation sind die öffentlichen Finanzen schlicht und ein-
fach überfordert.

Das Problem ist nicht die Höhe der benötigten Finanzen. Es
werden sowieso Aber-Milliarden in Infrastrukturen, Trans-
port- und Produktionssysteme investiert. Es geht doch darum,
sie in die richtige, treibhausgasarme Richtung zu lenken.
Und um solche notwendigen Anreize zu schaffen, braucht es
öffentliche Gelder.
Ja, es sind sehr hohe Beträge im Klimabereich, aber auch in an-
deren Bereichen der Nachhaltigkeit. Und nein, es braucht nicht
nur öffentliche Gelder. Sie werden ein Teil der Lösung sein, aber
auch private Investoren müssen davon überzeugt werden, sich
in diesem Bereich zu engagieren. Investoren, private und öf-
fentliche, verlangen aber klar strukturierte Projekte, eine ver-
trauenerweckende Gouvernanz und eine Rendite.                                                                                     Fotos : © Daniel Rihs

Das ist ja der Punkt : Um private Investoren « zu überzeugen »,     weiterziehen. Aber weil die schweizerische ODA auf
sind öffentlich finanzierte Marktsteuerungsmassnahmen                0,5 Pr0zent plafoniert ist, ginge die Finanzierung der inter-
notwendig. Das macht der Privatsektor nicht allein. Aber            nationalen Klimabeiträge ab 2020, wie Sie sie skizzieren,
solche dürfen und können nicht aus dem Entwicklungshilfe-           auf Kosten von Nahrung, Bildung, Gesundheit oder anderer
budget finanziert werden, weil dies auch dem Entwick-                klassischer Entwicklungsprojekte.
lungshilfegesetz widerspricht ...                                   Ja, das kann sein. Doch was heisst denn « klassische Entwick-
Zurück zur Frage der 100 Milliarden Dollar für die Klimafinan-       lungshilfe » ? Die Prioritäten der ODA werden sowieso in Zyklen
zierung. Unsere Position unterscheidet sich von jener Deutsch-      immer wieder neu gesetzt : Es war schon Gender, oder auch De-
lands. Deutschland übernimmt 10 Prozent der 100 Milliarden,         zentralisierung oder Demokratieförderung. Im Moment ist das
und zwar zu 40 Prozent mit öffentlichen, zu 60 Prozent mit          Klima im Fokus. Und es wurde entschieden, dass die Klimafi-
privaten Geldern. Die Schweiz macht bei der Bestimmung des          nanzierung im Rahmen der ODA stattzufinden hat. Im Übrigen
eigenen Anteils an den 100 Milliarden eine Mischrechnung            ist dies voll und ganz im Interesse der Ärmsten, denn sie wer-
zwischen der Höhe des Bruttosozialprodukts und unserem              den von den Folgen des Klimawandels am härtesten getroffen.
inländischen Anteil an den Emissionen. Das entspricht der
schweizerischen Gesetzgebung und ergibt einen Beitrag von           Wir sind gespannt, zu erfahren, was die Direktion für Ent-
grob geschätzt einer halben Milliarde. Davon sind ein Drittel       wicklung und Zusammenarbeit ( Deza ) von Ihrer Inter-
öffentliche, zwei Drittel private Gelder.                           pretation hält, was ODA ist und was daraus bezahlt wird.
                                                                    Die Entwicklungsleute sind eine Community, die lernen wird,
Versprochen wurden die 100 Milliarden Dollar aber                   mit diesen neuen Aufgaben umzugehen. Sie müssen, weil das
als zusätzliche Gelder zur bestehenden Entwicklungshilfe.           die Verpflichtungen sind, weil das die Richtung ist, die die Poli-
Die öffentlichen Mittel sind, wie in Kopenhagen beschlossen,        tik vorgibt. Das ist eine vernünftige Politik, und wieso sollte sich
neu und zusätzlich, und zwar im Rahmen der Aufstockung des          diese Community auf die Länge dagegen sperren, ein Instru-
ODA1-Rahmenkredites auf 0,5 Prozent des BNE. Sie sind in der        ment einer guten Entwicklung zu sein ?
Finanzplanung entsprechend vorgesehen.
                                                                    Bruno Oberle, danke für dieses Gespräch.
Das war bis jetzt vielleicht so. Und wenn auf die inter-
national vereinbarten 0,7 Prozent des BNE für ODA auf-
gestockt würde, könnte man diese Argumentation sogar                 1 ODA : Official Development Assistance, öffentliche Entwicklungshilfe

                                                                                                                  GLOBAL + SOMMER 2015               7
Ersetzt Klima- die Entwicklungshilfe? - Alliance Sud
Die Strategie gegen die Konzernverantwortungsinitiative

Gemeinsam gegen
verbindliche Regeln
                Michel Egger          Die Konzernverantwortungs-        Muttergesellschaften sind für Schäden, die von von ihnen kon-
                                                                        trollierten Firmen angerichtet wurden, zivilrechtlich haftbar,
                initiative befeuert die Debatte um                      ausser sie beweisen, dass sie notwendige Massnahmen getrof-
                Wirtschaft und Menschenrechte.                          fen haben. Die Unterschriftensammlung ( siehe Beilage in die-
                                                                        sem Heft ) kommt gut voran, Anfang Juni sind schon mehr als
                Weit auseinanderliegende Positionen                     20 000 Unterschriften beisammen.

                sind in Bewegung geraten. Dabei                         Gespaltener Privatsektor
                zeichnet sich eine « unheilige Allianz »                Das Business hat schnell reagiert. Die NGOs wurden eingeladen,
                                                                        die Initiative vor dem Global Compact Network Switzerland zu
                der Regierung mit der Wirtschafts-                      präsentieren, dasselbe gilt auch für die Generalversammlung
                                                                        der Anlagestiftung Ethos und den « Nachhaltigkeitsgipfel » der
                lobby ab.                                               Migros. Dabei zeigt sich der Privatsektor alles andere als geeint.
                                                                        Ein kleinerer Teil begrüsst einen Smart mix aus freiwilligen
                                                                        Massnahmen und verbindlichen gesetzlichen Regeln, so wie es
Die Ende April lancierte Volksinitiative zielt auf die Einführung       die Uno-Leitprinzipien für Unternehmen und Menschenrechte
einer Sorgfaltsprüfungspflicht für Schweizer Unternehmen, da-            vorsehen. Zu diesem Teil zählen aktive oder frühere Unterneh-
mit auch deren Tochter- und Zulieferfirmen die Menschen-                 merInnen wie Antoinette Hunziker-Ebneter ( Forma Futura In-
rechte und Umweltstandards überall auf der Welt einhalten.              vest ), Marc Bloch ( La Semeuse ) und Jacques Zwahlen ( Veillon ),

            Foto : © Martin Bichsel / Konzernverantwortungsinitiative

8   GLOBAL + SOMMER 2015
Ersetzt Klima- die Entwicklungshilfe? - Alliance Sud
aber auch die Verbands- beziehungsweise Stiftungsvertreter          Der Initiative den Boden entziehen
Nick Beglinger ( Cleantech ) und Dominique Biedermann ( Ethos ).    Die Abteilung menschliche Sicherheit ( AMS, EDA ) setzt sich für
Letztere hatten auch die Motion der aussenpolitischen Kom-          einen weniger defensiven Ansatz in Sachen Unternehmen und
mission des Nationalrats in der Frühlingssession aktiv unter-       Menschenrechte ein. Der abtretende Direktor Claude Wild hofft,
stützt, die eine Sorgfaltspflicht für Unternehmen verlangte und      dass freiwillige Massnahmen dereinst eher de facto als de iure
nur um Haaresbreite abgelehnt wurde.                                obligatorisch werden. Seiner Meinung nach ist dieses Vorgehen,
     Die Anhänger dieses Lagers sind zahlreicher, als man ver-      auf das er mit den Rohstoffhändlern setzt, das vielversprechen-
muten könnte. Zahlreiche Unternehmen haben schon heute              dere als der mühsame Weg der Gesetzgebung. Das Ziel ist –
Sorgfaltsprüfungen eingeführt und von der Initiative dement-        indem man das Vertrauen der Unternehmen gewinnt und
sprechend wenig zu befürchten. Sie leiden unter jenen Firmen,       gleichzeitig die NGOs mit im Boot hat –, zu einer Anleitung zu
welche die Schweizer Wirtschaft mit ihrer verantwortungslo-         kommen, wie die Uno-Leitprinzipien umgesetzt werden und
sen Haltung gegenüber Menschenrechten und Umweltstan-               die Unternehmen auch darüber Rechenschaft ablegen müssen.
dards in Verruf bringen. Dies öffentlich zu sagen, ist jedoch et-
was anderes, denn niemand will die Wirtschaftslobbys gegen
sich aufbringen.
     Offiziell haben Economiesuisse und Swissholdings noch                     Der Nationale Aktionsplan ( NAP )
keine Position bezogen, aber ihr Njet ist dasselbe wie gegen die
APK-Motion. Für sie genügen freiwillige Massnahmen, und die-
                                                                              soll der CSR-Position unter-
se müssen international von allen umgesetzt werden, damit                     geordnet werden. Um ihn damit
die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Unternehmen ja nicht
leidet. Was sie nicht sagen, ist, dass Lobbys wie die internatio-
                                                                              zu neutralisieren.
nale Industrie- und Handelskammer alle entsprechenden Re-
gulierungsversuche auf Uno-Ebene hintertrieben haben. Ein-
zelne Schweizer Lobbyisten wie Stéphane Graber von der                   Die Direktion für Entwicklungszusammenarbeit ( Deza ) hat
Geneva Trade and Shipping Association ( GTSA ) sind aber            ihrerseits vor Kurzem mit dem Global Compact Network Swit-
überzeugt, dass der internationale Trend Richtung Regulierung       zerland ( GCNS ) eine öffentlich-private Partnerschaft über drei
geht. So zumindest hat er seine Unterstützung der Motion be-        Jahre mit einem Budget von 1,2 Mio. Franken abgeschlossen.
gründet.                                                            Gemäss Jean-Christophe Favre von der Deza « ist das Ziel, den
                                                                    Rahmen für einen geschützten Dialog mit dem Privatsektor
Nationaler Aktionsplan soll neutralisiert werden                    und anderen Akteuren wie der Zivilgesellschaft und der akade-
Im Grossen und Ganzen hat sich die Regierung die Position der       mischen Welt zu schaffen. Er soll erlauben, ohne taktische Hin-
Wirtschaft zu eigen gemacht und setzt auf die Selbstregulie-        tergedanken zu diskutieren, aber auch um Instrumente zu ent-
rung der Firmen. Ein gutes Beispiel hierfür ist ihr Positionspa-    wickeln, die den im Ausland engagierten Schweizer KMU helfen,
pier zur sozialen Unternehmensverantwortung ( CSR ), das sie        die Uno-Leitprinzipien umzusetzen ». Dies sei eine der Haupt-
am 1. April veröffentlicht hat. Ausgeheckt wurde es vom Staats-     achsen der geplanten Aktivitäten.
sekretariat für Wirtschaft ( Seco ), im Gegensatz zur EU wurde           Diese Partnerschaft ist Teil eines Neustarts des Schweizer
hierfür aber weder eine richtige Vernehmlassung durchgeführt,       Netzwerks, das heute nur von 21 der 84 Schweizer Firmen un-
noch wurde analysiert, welche Auswirkungen die CSR-Praktiken        terstützt wird, die beim Global Compact der Uno mitmachen.
der Schweizer Unternehmen haben. Rhetorisch bekennt sich            Es wird von Antonio Hautle, dem ehemaligen Direktor des Fas-
der Bundesrat zwar zum Smart mix, Fleisch ist aber keiner am        tenopfers, geleitet. Ein flankierender Stakeholder-Rat mit fünf
Knochen. Das lässt nichts Gutes erahnen für den Nationalen          bis neun Mitgliedern, die Mehrheit davon aus der Zivilgesell-
Aktionsplan ( NAP ) zur Umsetzung der Uno-Leitprinzipien, den       schaft, soll die Glaubwürdigkeit, die Transparenz und die Effi-
der Bundesrat als Antwort auf das Postulat von Graffenried am       zienz des GCNS stärken. Eine Idee ist, dass das Schweizer Netz-
Erarbeiten ist. Vorgesehen war die Veröffentlichung des NAP         werk als Plattform dient, um Umsetzungsfragen der CSR-Posi-
schon vor sechs Monaten, erwartet wird sie diesen Sommer.           tion und des zukünftigen NAP zu behandeln.
     Die NGOs fragen sich besorgt, welchen Status denn der
NAP mit den Menschenrechten im Zentrum gegenüber der CSR-           Fazit : Es zeichnet sich ab, dass Regierung und Privatwirtschaft
Position, die mit Themen wie Umwelt oder Korruption weiter          an einer gemeinsamen Strategie arbeiten, um dem Druck auf
gefasst ist, haben wird. Für den Bundesrat sind die beiden Pa-      die Regulierung von Unternehmen entgegenzuwirken. Das
piere « komplementär ». Wenn das wirklich der Fall ist, warum       Prinzip : Nein zu gesetzlichen Massnahmen. Die Regel : kein
hat das Seco dann alles daran gesetzt, die CSR-Position vor dem     Schritt ohne die Zustimmung des Business. Der Motor : Multi-
NAP zu veröffentlichen, und warum soll Letzterer eine der Mass-     stakeholder-Prozesse. Wir erleben damit auf der Schweizer
nahmen sein, um Erstere umzusetzen? Wenn nicht alles täuscht,       Ebene dasselbe wie auf internationaler Ebene, wo erfolgreich
geht es ( jedoch ) darum, einen Rahmen zu schaffen, dem man         verhindert wurde, dass bindende Regeln für Unternehmen ein-
den NAP unterordnen kann. Um ihn damit besser zu neutrali-          geführt werden. Das Problem der Menschenrechtsverletzungen
sieren. Genauso sieht es übrigens das Business.                     und Umweltverschmutzungen jedoch besteht weiterhin. Mit
                                                                    dem Smart-mix-Ansatz macht die Initiative einen wichtigen
                                                                    Schritt, dass der Graben zwischen Globalisierung und gesetz-
Lancierung der von einer breiten NGO-Koalition getragenen           lich verankertem Schutz der Menschenrechte und der Natur
Konzernverantwortungsinitiative, Bern, 21. April 2015               endlich verkleinert wird.

                                                                                                            GLOBAL + SOMMER 2015   9
Ersetzt Klima- die Entwicklungshilfe? - Alliance Sud
Multilaterales Dienstleistungsabkommen TISA

Aus der Dunkelkammer
auf die Zielgerade
Isolda Agazzi   Die Verhandlungen für das Dienst-                        Der Anhang über die Transparenz ist problematisch. Er wür-
                                                                    de ausländischen Firmen das Recht erteilen, sich in die Entwick-
leistungsabkommen TISA könnten 2016                                 lung der Gesetzgebung jedes TISA-Drittstaates einzumischen.
abgeschlossen werden. Am umstrittensten                             Jener über die innerstaatliche Regulierung sieht vor, dass na-
                                                                    tionale Gesetze und Regeln eliminiert würden, die es Multi-
sind die Anhänge des Vertrages. Darin                               nationalen heute erschweren, ihre Dienstleistungen auf den
                                                                    Markt zu bringen.
bezeichnen die Staaten, auf welche Ge-                                   Auch der Anhang über die Energie wirft Fragen auf. Dieser
biete er sich genau beziehen wird.                                  Sektor ist speziell sensibel in Bezug auf Umweltfragen. Wer die
                                                                    Philosophie solcher Verträge kennt, muss befürchten, dass die
Auch Kantone und Gemeinden sind von                                 Freiheit der Staaten, der Kantone und Gemeinden einge-
                                                                    schränkt werden soll, im Bereich Umweltschutz eigene Regeln
TISA betroffen.                                                     zu erlassen.
                                                                         Zusammen mit der EU und den USA strebt die Schweiz im
                                                                    Bereich der Finanzdienstleistungen ( Banken und Versicherun-
Seit 2012 verhandeln 24 Mitglieder der Welthandelsorganisa-         gen ), des elektronischen Handels und der Telekommunikation
tion WTO – jedoch ausserhalb dieses Rahmens – ein ausgedehn-        eine weitgehende Liberalisierung an. Die EU und die USA haben
tes Vertragswerk über Dienstleistungen, das unter dem engli-        gemeinsam grosse Interessen bei Postdienstleistungen ( « de-
schen Kürzel TISA ( Trade in Services Agreement ) bekannt           livery » ). Die Schweiz und die EU wiederum spannen beim Luft-
geworden ist. Auch die Schweiz sitzt am Verhandlungstisch.          verkehr zusammen.
Neu ist, dass die Verhandlungen 2016 abgeschlossen werden                Verschiedene Länder, darunter die Schweiz, setzen alles da-
sollen. Das mag damit zu tun haben, dass die geheimen Ver-          ran, dass die innerstaatliche Regulierung auf ein Minimum
handlungen dank NGOs, Medien und einiger Parlamente zu              reduziert wird, namentlich bei der Gewährung von Lizenzen.
einem öffentlichen Thema wurden. Die Unterhändler wollen            Man weiss jedoch, dass beim Service public dieses Regulie-
jetzt rasch zu einem Abschluss kommen und gegebenenfalls            rungsinstrument eine wichtige Rolle spielt, vor allem wenn es
auch auf den Druck reagieren.                                       um die generelle Erbringung von staatlichen Leistungen geht.
     Das Abkommen soll 17 Anhänge umfassen, welche die Ver-         Wird dieser Anhang erlauben, die ganze Breite der staatlichen
pflichtungen der beteiligten Staaten in folgenden Bereichen          Dienstleistungen im Rahmen von Lizenzregimes zu erhalten?
regeln : Finanzdienstleistungen, elektronischer Handel und frei-    Das ist gar nicht sicher.
er Datenaustausch, Meeres-, Luft- und Strassentransporte so-             Die industrialisierten Länder mit der EU und den USA an
wie Logistik, Personenverkehr ( sogenannter Modus 4, s. unten ),    der Spitze sind nicht bereit, beim Personenverkehr Konzessio-
Post- und Energiedienstleistungen, öffentliches Beschaffungs-       nen zu machen. Der diskutierte Modus 4 erlaubt Kurzaufent-
wesen, freie Berufe ( auch solche mit Bezug zur Bildung ), Ex-      halte, was für den Handel von Entwicklungsländern wie etwa
portsubventionen, Dienstleistungen aus den Bereichen Touris-        der Türkei zentral ist. Die Schweiz setzt sich, zusammen mit Ka-
mus, Gesundheit und Umwelt, innerstaatliche Regulierung so-         nada und Australien, für einen unbürokratischen Vorschlag ein.
wie Transparenz.
                                                                    Parlamentarische Vorstösse auf Bundesebene
Wikileaks schafft Öffentlichkeit                                    Das Seco führt die Verhandlungen aus eigenem Antrieb, der
Diese Anhänge sollten zwar geheim bleiben, doch das Staats-         Bundesrat hat nie ein Mandat dafür erteilt. Bundesrat Schnei-
sekretariat für Wirtschaft ( Seco ) hat fast alle auf seiner Web-   der-Ammann und das Seco informieren die zuständigen parla-
site zugänglich gemacht. Nicht darunter war namentlich jener        mentarischen Kommissionen im Nachhinein nach dem Prinzip
über den freien Datenverkehr, der den Staaten erlauben würde,       der vollendeten Tatsachen. Das heisst, sie wurden nie konsul-
ohne Einschränkung persönliche Daten zu sammeln und ins             tiert, bevor über so Gravierendes wie die Negativliste, die Sperr-
Ausland zu transferieren. Dieser und andere Anhänge sind            klausel oder den Datentransfer verhandelt wurde. Zur Erinne-
jedoch am 3. Juni via Wikileaks an die Öffentlichkeit gekommen.     rung : Die Negativliste bedeutet, dass all jene Dienstleistungen,
Im Rahmen dieses massiven, offenbar orchestrierten Lecks sind       die jetzt nicht explizit aufgeführt werden, in Zukunft automa-
jetzt auch die Anhänge über die innerstaatliche Regulierung,        tisch liberalisiert werden. Die Sperrklausel besagt, dass eine
die Transparenz und die Transporte bekannt.                         Vertragspartei niemals auf eine Liberalisierung zurückkommen

10   GLOBAL + SOMMER 2015
darf, die nach der Ratifizierung des Abkommens eingeführt
würde. Ausser es würde jetzt explizit erwähnt. Diese Prinzipien
kannte bis jetzt weder die EU noch die Schweiz, aber jedes
am Abkommen beteiligte Land muss sie erfüllen. Und sie schei-                  Die Frage stellt sich, wie lange
nen in unterschiedlicher Ausprägung auch für die Anhänge
zu gelten.                                                                     die Schweiz ihre Position halten
      2014 gab es erste parlamentarische Vorstösse zu TISA. Nicht              kann. Wie wird sie reagieren,
weniger als dreizehn – Interpellationen, Fragen, eine Motion
und ein Postulat – wurden eingereicht.1 Unruhe lösten vor al-                  wenn sie unter Druck kommt und
lem die Auswirkungen von TISA auf den Service public aus. Der                  andere Staaten Forderungen zu
Bundesrat antwortete, deren Liberalisierung stünde nicht zur
Diskussion. Tatsächlich hat die Schweiz in ihrem Angebot2 der-                 ihrem Angebot stellen?
massen viele Vorbehalte angebracht, dass es praktisch beim
Selben bleibt wie im GATS-Abkommen der WTO von 2004, wo
Post, Energie, Gesundheit und Bildung von der Deregulierung
ausgeschlossen blieben. Die Frage stellt sich allerdings, wie lan-
ge die Schweiz diese Positionen noch halten kann. Sie könnte
eines Tages durch andere Staaten unter Druck kommen, zumal
es immer wieder darum geht, neue Angebote zu unterbreiten.
Und wie reagiert die Schweiz, wenn andere Staaten Forderun-
gen zum Schweizer Angebot stellen?
      Handkehrum gibt sich der Bundesrat zugeknöpft, was ge-
wisse Anhänge betrifft : Transporte, Post, Energie, öffentliche
Beschaffung, freie Lehrberufe – das alles gehört auch zum Ser-
vice public. Das ist umso beunruhigender, als das Verhältnis
zwischen den Anhängen und den Schweizer Angeboten unklar
ist. Es ist wahrscheinlich, dass die Anhänge Vorrang geniessen.
Das hiesse nichts anderes, als dass Sektoren liberalisiert werden
müssten, die die Schweiz in ihrem Angebot ausgeschlossen hat.

Kantonale und Gemeindeebene
Vor allem in den Kantonen Genf, Waadt, Zürich und Bern gab
es auch zahlreiche Vorstösse auf kantonaler und Gemeinde-
ebene, denn diese werden direkt von TISA betroffen sein. Das
Seco bestätigt, dass die Schweiz die Sperrklausel auf Kantons-
und Gemeindeebene ausgeschlossen hat. Aber kann es diese
Position bis zum Schluss der Verhandlungen durchhalten? Und
damit ermöglichen, dass Gemeinden, die es wünschen, ihre
Energieversorgung wieder selbst in die Hand nehmen oder das
Abfall-, Abwasser- und Entsorgungswesen weiter selbst or-
ganisieren, so wie es heute in den meisten Schweizer Gemein-
den der Fall ist.
    Wie auch immer die Verhandlungen ausgehen, Alliance
Sud möchte, dass das Ergebnis dem fakultativen Referendum
unterstellt wird, so wie es Art. 141 der Bundesverfassung für in-
ternationale Verträge mit derartiger Tragweite vorsieht.

 1 Alle Vorstösse auf einen Blick via www.admin.ch, http:// bit.ly/1ctkMSy
2 Überblick über das Schweizer Angebot via www.seco.admin.ch,
  http:// bit.ly/1sM9w7c

                                                        Auch in der Schweiz
                                                             schliessen sich
                                                      immer breitere Kreise
                                                         dem Protest gegen
                                                    das TISA-Abkommen an.
                                                                                                         Foto : © Martial Trezzini / Keystone

                                                                                                  GLOBAL + SOMMER 2015                  11
Der Streit über die Entwicklungsfinanzierung

Diplomatisches Tauziehen
im Schicksalsjahr
            Eva Schmassmann   Im Juli will die internationale Staatengemeinschaft in Addis Abeba
            das Schlussdokument zur Entwicklungsfinanzierung verabschieden. Doch
            die Verhandlungen verlaufen harzig, in zentralen Fragen sind noch keine Kom-
            promisse in Sicht. Drei zusätzliche Verhandlungswochen sollen den Durch-
            bruch bringen. Die Analyse der Hauptstreitpunkte.

Die Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung ( Financing for De-       Schutz der Ozeane – ist diese Angst verständlich. Entsprechend
velopment, FfD ) in Addis Abeba soll den Weg weisen, wie die        fordert die G-77 eine klare Zusage für eine vierte Konferenz zur
Uno-Agenda für nachhaltige Entwicklung ( Sustainable Deve-          Entwicklungsfinanzierung.
lopment Goals, SDG ) finanziert werden kann. Diese wird im                Neben dieser grundlegenden prozessualen Frage haben
September von der Uno-Generalversammlung verabschiedet              sich in den Verhandlungen zwei inhaltliche Knackpunkte her-
werden.                                                             auskristallisiert. Können sie nicht gelöst werden, droht sich der
                                                                    Streit auf den Uno-Gipfel im September zu übertragen. Ganz
                                                                    zu schweigen davon, dass sich die politischen Blockaden in den
                                                                    Klimaverhandlungen noch schwerer lösen lassen werden.
            Die G-77 fordert eine Zusage
                                                                    Streitpunkt 2 : Ein Gremium für Steuerfragen
            für eine weitere Konferenz                              Der Streit dreht sich um die Frage, wie Steuereinnahmen in den
                                                                    Dienst der Entwicklung gestellt werden können. Die Industrie-
            zur Entwicklungsfinanzierung.
                                                                    länder sehen in der Mobilisierung nationaler Steuereinnahmen
            Ausserhalb der SDG.                                     in Entwicklungsländern grosses Potenzial. Effizientere Steuer-
                                                                    verwaltungen könnten somit einen wichtigen Beitrag im Be-
                                                                    reich Bildung, Gesundheit und Armutsbekämpfung leisten. Da-
Streitpunkt 1 : Wie verhalten sich FfD und SDG zueinander?          für wollen Länder wie die Schweiz auch Entwicklungsgelder in
Die Industrieländer, allen voran die EU, sehen die Entwicklungs-    die Hand nehmen und die entsprechenden Institutionen stär-
finanzierung als integralen Teil der SDG-Agenda. Addis Abeba         ken. Dies ist sicherlich wichtig. Allerdings lenkt es ab vom
soll die Mittel zur Umsetzung der ambitiösen Ziele für eine         eigentlichen Skandal der internationalen Steueroptimierung
nachhaltige Entwicklung liefern und das Ziel 17 der SDG ( « Stär-   und Steuerflucht, durch die den Entwicklungsländern je nach
kung der Mittel zur Umsetzung » ) ausformulieren und die Um-        Schätzung jährlich zwischen 170 und 280 Mrd. US-Dollar an
setzung von Ziel 17 quasi vorwegnehmen. Anderer Meinung ist         Steuereinnahmen entgehen. Die Entwicklungsländer beharren
die G-77, der Zusammenschluss der Schwellen- und Entwick-           daher zu Recht darauf, dass diese Geldabflüsse gestoppt wer-
lungsländer. Sie wollen sich die Möglichkeit offen halten, bis      den müssen. Dazu braucht es aus ihrer Sicht ein intergouverne-
September über gewisse Umsetzungsoptionen der SDG zu ver-           mentales Gremium, ausgerüstet mit den notwendigen Mitteln
handeln. Ausserdem bietet für sie die bei der Uno angesiedelte      und dem entsprechenden Mandat. Deutschland hat signali-
FfD-Konferenz einen universellen Rahmen, um über Themen zu          siert, dass es bereit wäre, das bestehende Komitee finanziell
verhandeln, die ansonsten gern von den reichen Ländern unter        stärker zu unterstützen. Dessen Mandat soll jedoch nicht aus-
sich abgemacht werden, beispielsweise in der OECD. Wenn es          gebaut werden. Den G-77 geht dies zu wenig weit. Sie bestehen
künftig nur noch einen gemeinsamen Follow-up-Prozess zum            darauf, dass die Ausgestaltung der Zusammenarbeit in Steuer-
gesamten Post-2015-Rahmenwerk der SDG gibt, wie dies unter          fragen nicht länger der OECD überlassen wird. Dieser exklusive
anderem von der Schweiz und der EU favorisiert wird, so sehen       Club der reichen Industrieländer hat derzeit die Federführung
die G-77 die Gefahr, dass die traditionellen FfD-Themen ihre        der internationalen Initiativen gegen Steuerflucht und Steuer-
Eigenständigkeit verlieren. Angesichts des breiten Themen-          hinterziehung. Die Entwicklungsländer sind vom Entschei-
spektrums der SDG – vom Zugang zu sauberer Energie bis zum          dungsprozess ausgeschlossen. Das neu zu schaffende Gremium

12   GLOBAL + SOMMER 2015
soll hingegen allen Ländern gleichberechtigte Mitsprache           Der Dauerbrenner : Die Höhe der ODA
garantieren.                                                       Doch auch in anderen Fragen herrscht Uneinigkeit. Darunter
                                                                   die Höhe und Rolle der öffentlichen Entwicklungszusammen-
Streitpunkt 3 : Verfahren für Schuldenrestrukturierung             arbeit ( Official Development Assistance, ODA ). Die Industrie-
Auch beim zweiten inhaltlichen Knackpunkt stehen sich die          länder wollen ODA stärker als Katalysator zur Mobilisierung
G-77 und die Industrieländer diametral gegenüber. Die Entwick-     privater und nationaler Mittel nutzen. Die Entwicklungsländer
lungsländer fordern schon lange ein geregeltes Verfahren zur       sehen dies skeptisch. Denn der Erhalt öffentlicher Gelder spielt
Schuldenrestrukturierung. Da Staaten nicht Konkurs anmelden        für sie weiterhin die zentrale Rolle in der Entwicklungsfinan-
können, schleppen sich aussichtslose Verschuldungssituatio-        zierung. Insbesondere fordern sie, dass das vor Jahrzehnten
nen oft zu lange hin ( siehe GLOBAL+ Nr. 57, Frühling 2015 ). Um   gegebene Versprechen, 0,7 Prozent des Bruttonationalein-
die alten Schulden zu bedienen, müssen sie neue Kredite auf-       kommens ( BNE ) für Entwicklungshilfe einzusetzen, endlich ein-
nehmen, und die Schuldenspirale dreht sich immer schneller.        gelöst wird – und zwar spätestens 2020. Die Industrieländer
Diese Gelder könnten mit einem fairen und transparenten In-        sind zwar einverstanden, das Ziel erneut zu bestätigen. Sie sind
solvenzmechanismus für nachhaltige Entwicklungsprojekte            jedoch nicht bereit, sich auf einen verbindlichen Zeitrahmen
freigesetzt werden.                                                einzulassen.
     Im September 2014 wurde in der Uno die Basis gelegt für            Fazit : Bis Ende Juni soll ein bereinigter Entwurf des Schluss-
Verhandlungen hin zu einem multilateralen Rechtsrahmen für         dokuments für die Entwicklungskonferenz in Addis Abeba vor-
die Restrukturierung von Staatsschulden. Die Entwicklungslän-      liegen. Die Zeit drängt, sich in den zentralen Fragen zu einigen.
der fordern, dass die Notwendigkeit eines solchen Verfahrens       Für Alliance Sud ist klar, dass es jetzt an den Industrieländern
in Addis Abeba bestätigt wird. Doch insbesondere die USA sper-     liegt, zu zeigen, dass sie bereit sind, die Entwicklungsländer bei
ren sich dagegen. Für sie sollen weiterhin der Internationale      der Erreichung der SDG zu unterstützen. Dazu braucht es ein
Währungsfonds sowie die OECD die Debatte dazu führen. Im           Entgegenkommen in zumindest einer der zentralen Forderun-
IWF haben die USA aufgrund der Stimmgewichtung faktisch            gen : dem internationalen Kampf gegen Steuerflucht und
ein Vetorecht.                                                     -hinterziehung oder jener der Entschuldung. Es braucht aber
     Auch die Schweiz sperrt sich offenbar gegen die Erwäh-        auch die Zusage für finanzielle Mittel. Damit würde sich wohl
nung des Uno-Verfahrens im Schlussdokument. Damit gefähr-          auch der Streitpunkt über die Eigenständigkeit des FfD-Pro-
det sie nicht nur die Konferenz in Addis Abeba. Wenn die Indus-    zesses entschärfen lassen. Wenn das in Addis Abeba unter-
trieländer nicht mindestens in einem der beiden inhaltlichen       schriebene Schlussdokument zufriedenstellend ist, kann auch
Streitpunkte der Forderung der G-77 nachgeben, wird dies auch      die G-77 es als Umsetzungsplan der SDG akzeptieren.
die Klimaverhandlungen zusätzlich belasten.
                                                                          Eine ungewisse Zukunft erwartet diese Kinder. Von einer lokalen NGO
                                                                                           geführte Krippe in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka.
Foto : © Sven Torfinn / Panos

                                                                                                                GLOBAL + SOMMER 2015      13
Lesezeichen                                                                             Zeitschriften-Lese ( n )

Kindheit in Afrika                                                                                       Eine letzte Druckausgabe
                                                                                                         « Entwicklung und Zusammenarbeit : E + Z »
                                                                                                         ist im Mai das letzte Mal als gedrucktes
                                       Afrikanische Kindheiten :                                         Monatsheft erschienen und wird fortan als
                                       Soziale Elternschaft
                                                                                                         E-Paper angeboten. Das aktuelle Titelthe-
                                       und Waisenhilfe in der Sub-
                                                                                                         ma lautet « Benachteiligte Gruppen », die oft
                                       sahara / Michaela Fink,
                                       Reimer Gronemeyer ( Hg. )                                         Mehrfachdiskriminierungen ausgesetzt sind.
                                       Bielefeld : Transcript,                                           Beispiele sind Frauen in Bolivien, die unter
                                       2014. 262 S.                                     geschlechtsspezifischer Gewalt leiden, Vertriebene infolge von
                                                                                        Land Grabbing oder die Rohingya-Minderheit in Burma.
                                Armut, Hunger, Gewalt, aber auch                        www.dandc.eu/de
                                 die Aids-Epidemie sind in Afrika
                                 mitverantwortlich für die sich rasch                   Ein fünfzigster Geburtstag
                                 ändernden Familienstrukturen. Ent-                     « Africa Spectrum », eine der führenden wissenschaftlichen
                                 sprechend komplex sind die The-                        Publikationen zu Afrika, begeht mit Ausgabe 1/2015 das 50-Jahr-
                                 men soziale Elternschaft und Wai-                      Jubiläum. Von den sechs Hauptbeiträgen sei die Analyse der an-
                                 senhilfe. Der Schwerpunkt der                          geblichen Proteste gegen « Charlie Hebdo » in Niger herausgegrif-
Beiträge in « Afrikanische Kindheiten » liegt in Namibia, einem der                     fen. Für den Autor stehen nicht die Mohammed-Karikaturen,
Länder mit der weltweit höchsten HIV-Prävalenzrate.                                     also religiös-fundamentalistische Motive, hinter den Unruhen
    Gemäss Schätzungen haben gegenwärtig 15 Millionen Kinder                            vom Januar 2015, sondern die fehlende Perspektive der meist
und Jugendliche in Afrika einen oder beide Elternteile durch Aids                       jugendlichen Protestierenden.
verloren. Bislang sind diese Waisen meist von ihren erweiterten                         www.africa-spectrum.org
Grossfamilien aufgenommen und versorgt worden. Wegen der gros-
sen Anzahl an Waisen geraten die familiären Strukturen jedoch an
die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Auch Modernisierungsprozesse wie
Mobilität und Urbanisierung bringen die traditionellen Familien-                          Monbijoustrasse 29/31, 3011 Bern
zusammenhänge zunehmend durcheinander.                                                    Öffnungszeiten : 13.30 – 17.30 h ( Mo – Fr )
                                                                                          dokumentation@alliancesud.ch, www.alliancesud.ch/dokumentation
> Ausleihbar bei Alliance Sud InfoDoc unter der Signatur : AF/af/129

Karussell

    — Nach fast zwanzig Jahren hat                         — Der Datenbankmanager Andreas Kür-                dinatorin in der Botschaft in Amman, wird
Albert Schnyder, Bereichsleiter Internatio-                steiner stösst von World Vision zu Helvetas.       neu stv. Sektionschefin Qualitätssicherung.
nale Zusammenarbeit, Caritas zugunsten                     Der Personalentwickler Philippe Vaneberg           Sie löst Lothar Seethaler ab, der als Pro-
neuer Herausforderungen verlassen. Direk-                  hat sich selbständig gemacht.                      grammbeauftragter in den Niger geht. Die
tor Hugo Fasel übernimmt ad interim.                       — Maya Tissafi, bisher Chefin der Regio-             neue Programmbeauftragte in der Abtei-
— Bei Brot für alle übernimmt Bernard                      nalen Zusammenarbeit und Vizedirektorin            lung Westafrika ist Maria Brüning. Sie löst
DuPasquier am 1. September die Geschäfts-                  der Deza, wird Botschafterin in den Vereinig-      Nicole Gantenbein ab, die als stv. Koordi-
leitung von Beat Dietschy. Die Leiterinnen                 ten Arabischen Emiraten. Ihr Nachfolger ist        natorin ins Kobü Niamey wechselt. Robert
zweier neu geschaffener Ressorts, Elke Fass-               Thomas Greminger, bisher OSZE-Botschaf-            Odile, bisher EDA-Generalsekretariat, wird
bender ( Fundraising & Marketing ) und Re-                 ter in Wien. Silvio Flückiger, bisher stv. Koor-   Programmbeauftragter in der Abteilung
gula Reidhaar ( Kommunikation & Bildung )                  dinator im Kobü Kigali, wird Stabschef der         Ost- und Südliches Afrika. Aus dem EDA-
sind neu auch Mitglieder der Geschäftslei-                 Humanitären Hilfe, er löst Nicole Ruder ab,        Stab wechselt Melanie Büsch als Programm-
tung. Die Leitung des Ressorts Knowledge                   die Chefin der Abteilung Globale Institu-           beauftragte ins Kobü Kabul. Dort wird
Sharing & Kooperationssysteme übernimmt                    tionen wird. Barbara Jäggi Hasler, bisher          Esther Oester, bisher in Juba im Südsudan,
Barbara Lutz von Bernard DuPasquier. Neuer                 stv. Koordinatorin im Kobü La Paz, wechselt        die neue Koordinatorin. Sie löst Marianne
Leiter von Bildung & Theologie ist der Pfarrer             in derselben Funktion zum Regionalpro-             Huber ab, die in die Zentrale in die Abteilung
Jan Tschannen. Das Fundraising-Team wur-                   gramm Mekong in Vientiane, dies im Job-            Südasien zurückkehrt. Géraldine Zeuner,
de durch Mathias Raeber verstärkt.                         sharing mit ihrem Ehemann Martin Hasler.           bisher Chefin IZA in Daressalam, wird neu
— Die neue Fachverantwortliche Bildung                     In La Paz übernimmt Nadia Ottiger, bisher          Programmbeauftragte für Kultur und Ent-
und Theologie bei Fastenopfer heisst Son-                  Programmbeauftragte im Kobü Pretoria.              wicklung in der Abteilung Lernen, Wissen,
ja Kaufmann. Neu in den Fastenopfer-Stif-                  Olivier Chave wechselt aus Tansania in die         Kultur. In Tansania wird sie von Romana
tungsrat wurden Alt-Regierungsrat Luigi                    Schweizer Mission bei den UN-Organisati-           Tedeschi abgelöst. Aus der Uno-Mission in
Pedrazzini, die Ständerätin Anne Seydoux-                  onen in Rom. Irène Kränzlin Espinoza wird          New York wechselt Beate Elsässer als Chefin
Christe, der Unternehmer Beat Curau-Aepp-                  Programmbeauftragte in der Abteilung               ins Kobü Dhaka.
li sowie Peter Niggli ( S. 15 ) gewählt.                   Westbalkan. Lea Valaulta, bisher stv. Koor-

14   GLOBAL + SOMMER 2015
Zum Abschied von Peter Niggli von Alliance Sud

                                                             Der Unpensionierbare
                                                             Melchior Lengsfeld*   Mit Superlativen soll man vorsichtig umgehen.
                                                             Doch der Abschied von Peter Niggli Ende Juli als Geschäftsleiter
                                                             von Alliance Sud markiert das Ende einer Ära.

                                                                                                                                    aufgrund genau recherchierter Fakten.
                                                                                                                                    Das gilt auch für seine beiden Bücher
                                                                                                                                    « Nach der Globalisierung » ( 2004 ) und
                                                                                                                                    « Der Streit um die Entwicklungshilfe »
                                                                                                                                    ( 2008 ), die zu eigentlichen Standardwer-
                                                                                                                                    ken geworden sind.
                                                                                                                                         Seine Arbeit bei Alliance Sud war für
                                                                                                                                    Peter mehr als ein Job. Ob in unzähligen
                                                                                                                                    Vorträgen, in der Bildungs- und Vermitt-
                                                                                                                                    lungsarbeit, bei der Einführung von neu-
                                                                                                                                    en Mitarbeitenden bei Alliance Sud oder
                                                                                                                                    ihren Träger- und Partnerorganisationen :
                                                                                                                                    Peters hoher persönlicher Einsatz und
                                                                                                                                    Engagement waren für ihn immer selbst-
                                                                                                                                    verständlich. Wie er es geschafft hat, sich
Foto : © Daniel Rihs / Alliance Sud

                                                                                                                                    in den Aktenstössen, Artikelsammlun-
                                                                                                                                    gen und Analysen aus den verschiedens-
                                                                                                             Peter Niggli: Kein
                                                                                                             Mangel an Argu-
                                                                                                                                    ten Quellen, die sich in seinem Büro tür-
                                                                                                             menten für die Sache   men, zurechtzufinden, das habe nicht
                                                                                                             von Alliance Sud.      nur ich bewundert. Sein Gedächtnis, sein
                                                                                                                                    Sinn für das Ganze, seine Fähigkeit, Welt-
                                      Peter Niggli war schon sieben Jahre Ge-          politischen Gespür, seiner Fähigkeit zu      politik auch in kleinen Geschichten und
                                      schäftsleiter der Arbeitsgemeinschaft            überzeugen, Koalitionen und Allianzen        Anekdoten auf den Punkt zu bringen !
                                      der Schweizer Hilfswerke, als ich 2005           zu schmieden, profitiert. Drei Direktoren     Und nicht zu vergessen : Peter hat einen
                                      die Leitung von Helvetas übernahm. Also          der nationalen Entwicklungsagentur           unvergleichlichen Schalk und Humor –
                                      just in jenem Jahr, als unsere entwick-          Deza hat er erlebt, die Entstehung und       eine nicht zu unterschätzende Stärke im
                                      lungspolitische Fachorganisation den             Umsetzungen von vier Botschaften über        nicht immer einfachen Umfeld, in dem
                                      viel eleganteren Namen Alliance Sud an-          die Ausgestaltung der Schweizer Ent-         wir uns bewegen.
                                      nahm. Als Geschäftsleiter war Peter in           wicklungszusammenarbeit hat Peter mit             Dass Peter Ende Juli pensioniert
                                      den letzten 17 Jahren der Denker und Len-        seinem scharfen Verstand mitgeprägt.         wird, scheint schwer vorstellbar : Sein
                                      ker hinter zahlreichen Kampagnen, hin-           Ein dicker roter Faden war dabei Peters      Temperament und seine politische Ener-
                                      ter deren Argumentation und Strategie            Pochen auf entwicklungspolitischer Ko-       gie im Ruhestand? Und tatsächlich wer-
                                      und – das ist es, was letztlich zählt – hin-     härenz, was ihm selbst bei den politi-       den wir nicht ganz auf seine Stimme ver-
                                      ter deren Erfolg im politischen Räder-           schen Gegnern bis weit ins konservative      zichten müssen. Peter ist in den letzten
                                      werk der Schweiz. Der Einsatz für ein Ja         Lager unverhohlenen Respekt verschaff-       Wochen in den Vorstand von Fastenopfer
                                      zum Schweizer Uno-Beitritt, die Veran-           te. Ob in der Politik oder in der Verwal-    gewählt worden, der Generalversamm-
                                      kerung des Ziels, dass 0,5 Prozent des           tung, unter NGO-Leuten, mit denen man        lung von Helvetas ist er zur Wahl in den
                                      Schweizer Nationaleinkommens in die              sich für eine gemeinsame Sache einsetz-      Zentralvorstand vorgeschlagen. Und er
                                      Entwicklungszusammenarbeit fliessen               te oder im Kontakt mit Medienschaffen-       ist Mitglied im Initiativkomitee der Kon-
                                      sollen, und die erfolgreiche Petition            den : Peters klare und kompetente Analy-     zernverantwortungsinitiative. Für seinen
                                      « Recht ohne Grenzen », die schliesslich         sen liessen niemanden unbeeindruckt.         Einsatz und seine Verdienste für eine so-
                                      zur Lancierung der ersten ausschliesslich        Und er liebt es zu debattieren, war und      lidarische Schweiz, die sich ihrer Verant-
                                      von NGOs getragenen Volksinitiative ge-          ist ein geschliffener Redner, dem zuzuhö-    wortung in der Welt bewusst ist, gebührt
                                      führt hat, das sind nur die herausragen-         ren eine Freude ist. Dabei ging es Peter     ihm höchste Anerkennung. Ein ganz gros-
                                      den Stationen, die in Peters Amtszeit fal-       bei aller Liebe zur Zuspitzung und zur ge-   ses Dankeschön für alles, lieber Peter !
                                      len. Alliance Sud, und überhaupt die             schickt gesetzten Pointe immer um die
                                      ganze Schweizer NGO-Welt, hat dabei              Sache. Unzulässige Übertreibung ist           * Melchior Lengsfeld ist zurzeit Präsident
                                      enorm von Peters Sachkenntnis, seinem            nicht seine Sache, dafür präzise Analyse        von Alliance Sud.

                                                                                                                                                        GLOBAL + SOMMER 2015      15
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