Erstellung eines schlüssigen Konzepts zur Ermittlung angemessener Unterkunftskosten - gemäß 22 SGB II und 35 SGB XII
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Erstellung eines schlüssigen Konzepts zur Ermittlung angemessener Unterkunftskosten gemäß § 22 SGB II und § 35 SGB XII im Landkreis Altenkirchen Erstauswertung 2019
Auftraggeber Kreisverwaltung Altenkirchen Auftragnehmer empirica ag Büro: Bonn Kaiserstraße 29, 53113 Bonn Telefon (0228) 91 48 9-0 Fax (0322 295 661 69) www.empirica-institut.de Bearbeitung Petra Heising, Arthur Rachowka Projektnummer 201905616 Bonn, 14. Oktober 2019
Mietobergrenzen im Landkreis Altenkirchen – Erstauswertung 2019 i INHALTSVERZEICHNIS KURZFASSUNG ............................................................................................................................. 1 1. Vorbemerkungen ............................................................................................................. 1 1.1 Aufgabenverständnis ............................................................................................................... 1 1.2 Aufbau des Berichts ................................................................................................................. 2 1.3 Regionale Einordnung des Landkreises Altenkirchen .............................................................. 2 2. Angemessene Nettokaltmieten (Grundmieten) ................................................................. 4 2.1 Arbeitsschritt 1: Definition einer angemessenen Wohnung ................................................... 4 2.1.1 Physische Angemessenheit: Angemessene Wohnungsgrößen ....................................... 4 2.1.2 Räumliche Angemessenheit: Bildung von Vergleichsräumen ......................................... 5 2.1.3 Qualitative Angemessenheit: Abgrenzung des unteren Marktsegments ....................... 9 2.2 Arbeitsschritt 2: Lokalspezifische Aufbereitung der Datenbasis ........................................... 12 2.2.1 Datengrundlage: Mieten verfügbarer Wohnungen....................................................... 12 2.2.2 Filtersetzung und Fallzahl .............................................................................................. 15 2.3 Arbeitsschritt 3: Mietspektrum verfügbarer Wohnungen..................................................... 17 2.3.1 Mietspektrum im Vergleichsraum I ............................................................................... 17 2.3.2 Mietspektrum im Vergleichsraum II .............................................................................. 20 2.3.3 Grundsicherungsrelevanter Mietspiegel (empirica) für den LK Altenkirchen ............... 21 2.4 Arbeitsschritt 4: Plausibilitäts- und Qualitätskontrolle.......................................................... 23 2.5 Arbeitsschritt 5: Richtwerttabelle für den Landkreis Altenkirchen ....................................... 24 3. Angemessene Nebenkosten ............................................................................................ 25 3.1 Vorbemerkung und Datenquellen ......................................................................................... 25 3.2 Verlangte Abschlagszahlungen für Nebenkosten .................................................................. 26 3.2.1 Datengrundlage ............................................................................................................. 26 3.2.2 Kalte Nebenkosten (Betriebskosten) ............................................................................. 26 4. Beurteilung der Angemessenheit im Landkreis Altenkirchen ............................................ 30 4.1 Ergebnistabellen für den Landkreis Altenkirchen (Übersicht) ............................................... 30 4.2 Mögliche Prüfschemata zur Angemessenheit von Unterkunftsbedarfen ............................. 31 4.3 Prüfschema im Landkreis Altenkirchen: Bruttokaltmiete ...................................................... 32 5. Ausblick und Aktualisierung ............................................................................................ 33 empirica
Mietobergrenzen im Landkreis Altenkirchen – Erstauswertung 2019 ii ANHANG .................................................................................................................................... 34 1. Das empirica-Konzept ..................................................................................................... 34 1.1 Kern der Analyse .................................................................................................................... 34 1.2 Basisanalyse: Die fünf Arbeitsschritte des empirica-Konzepts .............................................. 36 1.3 Ergänzende Leistungsbausteine (optional) ............................................................................ 37 2. Anhang zu Kap. 2 (Grundmiete) ...................................................................................... 38 2.1 Details zu Arbeitsschritt 2: Eckwerte der empirica-Preisdatenbank ..................................... 38 2.2 Details zu Arbeitsschritt 3: Angebots- und Bestandsmieten im Landkreis Altenkirchen ...... 39 2.3 Details zu Arbeitsschritt 4: Plausibilisierung für den Landkreis Altenkirchen ....................... 45 2.3.1 Plausibilisierung durch räumlichen Vergleich................................................................ 45 2.3.2 Qualitätsbeschreibung angemessener Wohnungen ..................................................... 47 2.3.3 Überprüfung von Verfügbarkeit und Mindeststandard ................................................ 51 2.4 Details zu Arbeitsschritt 5: Basistabelle für den LK Altenkirchen (Erstausw. 2019) .............. 55 3. Anforderungen an ein KdU-Konzept und Erfahrungen in der Praxis .................................. 57 3.1 Einfache und systematische Herleitung (Anforderung von empirica) ................................... 57 3.2 Schlüssiges Konzept (Anforderungen des BSG) ..................................................................... 58 3.3 Inhaltlicher Austausch mit Sozialrichtern .............................................................................. 60 3.4 Fachbeiträge zur Herleitung von Angemessenheitsgrenzen ................................................. 61 3.5 Sozialgerichtliche Bestätigungen aus verschiedenen Bundesländern ................................... 61 3.6 Referenzliste .......................................................................................................................... 64 empirica
Mietobergrenzen im Landkreis Altenkirchen – Erstauswertung 2019 KURZFASSUNG Nach § 22 SGB II werden Bedarfe für Unter- Neben den mittleren kalten Nebenkosten kunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen (Median) werden auch Grenzwerte für auffal- Aufwendungen anerkannt, jedoch nur soweit lend hohe kalte Nebenkosten abgeleitet sie angemessen sind. Zuständige Leistungsträ- (Abbildung 3). ger sind die Kreise und kreisfreien Städte. Es liegt in ihrer Zuständigkeit, den unbestimmten Aus den Ergebnissen aller Analysen (Abbildung Rechtsbegriff der Angemessenheit auszufül- 22, Seite 30) legt der Grundsicherungsträger len. ein Prüfschema fest: Der Landkreis Altenkir- chen beurteilt die Angemessenheit der Bedar- Ziel der vorliegenden Erstauswertung 2019 für fe für Unterkunft anhand der Bruttokaltmiete. den Landkreis Altenkirchen ist es, Transparenz Zur Richtwertermittlung addiert er die Richt- über die über die aktuellen Verhältnisse an werte für angemessenen Nettokaltmieten den lokalen Mietwohnungsmärkten zu schaf- (Abbildung 2) mit den Grenzwerten für auffal- fen und Richtwerte für angemessene Unter- lend hohe kalte Nebenkosten (Abbildung 3). kunftskosten festzulegen. Der Landkreis Das Ergebnis ist eine Richtwerttabelle für an- Altenkirchen wird dazu in zwei Vergleichs- gemessene Bruttokaltmieten im Landkreis räume unterteilt. In jedem Vergleichsraum Altenkirchen zum Stand 2019 (Abbildung 4). wird für fünf Haushaltsgrößen die Mietober- grenzen gerade so festgelegt, dass Bedarfs- Die Richtwerte sollen helfen, unangemessene gemeinschaften immer ein Drittel der öffent- von angemessenen Unterkunftskosten zu un- lich inserierten Wohnungen in angemessener terscheiden. Wohnungen mit gehobenem Größe im Vergleichsraum anmieten können. Standard gelten lt. BSG nicht als angemessen Damit lässt sich ihr Unterkunftsbedarf decken. (deren Mieten sollten also oberhalb der Miet- obergrenze liegen), aber die Verfügbarkeit von Das Mietspektrum öffentlich inserierter Woh- Wohnungen mit einfachem Standard muss nungen in angemessener Größe wird dazu als gewährleistet sein (deren Mieten sollten also aufsteigende Linie dargestellt, so dass sich der unterhalb der Mietobergrenze liegen). Damit Richtwert ablesen lassen (Abbildung 1). Aus- sind der Wahl der Mietobergrenze – unabhän- wertungszeitraum sind die acht Quartale gig vom verwendeten Konzept – leicht über- II/2017 bis I/2019. Die Mietspektrenkurven prüfbare Grenzen gesetzt. (Seite 20 ff.) bilden wertungsfrei die aktuellen Verhältnisse am lokalen Mietwohnungsmarkt Die konkrete Angemessenheit lässt sich online ab, wie sie sich für jeden Wohnungssuchen- überprüfen: Eine Internetsuche zeigt schnell, den (z.B. beim Blick ins Internet) darstellen. welche konkreten Wohnungen aktuell im Landkreis Altenkirchen tatsächlich anmietbar Die Erstauswertung 2019 führt zu einer Richt- sind. Zu beachten ist, dass nicht jeden Tag werttabelle für angemessene Nettokaltmie- überall jede Wohnungsgröße angeboten wird. ten im Landkreis Altenkirchen zum Stand 2019 Deshalb haben Bedarfsgemeinschaften zur (Abbildung 2). Im Ergebnis unterscheiden sich Wohnungssuche sechs Monate Zeit. Aber egal, die Richtwerte in beiden Vergleichsräumen wie viele Mietwohnungen vor Ort angeboten kaum. Hintergrund ist, dass die Mietniveaus werden: Im Schnitt sollte davon immer ein ähnlich sind (Abbildung 8, Seite 8). Drittel auch angemessen sein – denn mit die- sem Ziel wurden die Richtwerte hier ermittelt. Außerdem werden die in Wohnungsinseraten enthaltenen Angaben zur Höhe der Abschlags- zahlungen für Wohnnebenkosten im Land- kreis Altenkirchen ausgewertet. empirica
Mietobergrenzen im Landkreis Altenkirchen – Erstauswertung 2019 Abbildung 1: Mietspektrum verfügbarer Wohnungen im VR II, 2019* * II/2017 bis I/2019. Quelle: empirica-Preisdatenbank (empirica-systeme). Vgl. Abbildung 13. empirica Abbildung 2: Richtwerttabelle für angemessene Nettokaltmieten im LK Altenkirchen (Stand 2019) Angemessene Netto-Monatskaltmiete (Euro) Vergleichsraum 1-Personen- 2-Personen- 3-Personen- 4-Personen- 5-Personen- Haushalt Haushalt Haushalt Haushalt Haushalt VR I 280 320 380 400 480 VR II 280 320 380 420 490 I: Flammersfeld, Altenkirchen und Hamm; II: Kirchen, Daaden-Herdorf, Betzdorf-Gebhardshain und Wissen. - Quelle: Vgl. Abbildung 15 (Seite 24) empirica Abbildung 3: Grenzwert für auffallend hohe kalte Nebenkosten für ca. 60 m² große Wohnungen* im LK Altenkirchen, 2019** Quelle: empirica-Preisdatenbank (Basis: empirica-systeme), eigene Auswertung. Vgl. Abbildung 19 (Seite 28)empirica Abbildung 4: Richtwerttabelle für angemessene Bruttokaltmieten im LK Altenkirchen (Stand 2019) Angemessene Bruttomonatskaltmieten (Euro/Wohung) Vergleichsraum 1-Personen- 2-Personen- 3-Personen- 4-Personen- 5-Personen- Haushalt Haushalt Haushalt Haushalt Haushalt I 370 430 520 540 650 II 370 430 520 560 660 Quelle: Vgl. Abbildung 23 (Seite 32). empirica empirica
Mietobergrenzen im Landkreis Altenkirchen – Erstauswertung 2019 1 1. Vorbemerkungen 1.1 Aufgabenverständnis Nach § 22 Abs. 1 Sozialgesetzbuch II (SGB II) werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung Angemessenheit von in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, jedoch nur soweit sie angemessen Unterkunftskosten sind. Zuständige Leistungsträger für Kosten der Unterkunft sind nach § 6 SGB II die Krei- se und kreisfreien Städte. Es liegt in ihrer Zuständigkeit, den unbestimmten Rechtsbe- griff der Angemessenheit unter Beachtung der Rechtsprechung auszufüllen. Die Kreis- verwaltung Altenkirchen hat empirica in diesem Zusammenhang mit der Erstellung eines schlüssigen Konzepts zur Ermittlung angemessener Unterkunftskosten im Landkreis Altenkirchen nach dem empirica-Konzept beauftragt. Das empirica-Konzept zeichnet sich durch Transparenz und Marktnähe aus: Im Vorder- empirica-Konzept grund steht, dass zu den ermittelten Mietobergrenzen Wohnungen, die den Wohnbe- darf decken (das ist das Wichtigste) und gleichzeitig nicht unangemessen teuer sind (so § 22 SGB II), auch wirklich verfügbar sind. Dazu wird das Mietspektrum verfügbarer Woh- nungen als aufsteigende Linie dargestellt und über die Festlegung einer Mietobergrenze ein Teil davon (optisch ablesbar) für Bedarfsgemeinschaften zugänglich gemacht. Zudem wird dargestellt, ab welcher Höhe Nebenkostenvorauszahlungen vor Ort auffallend hoch sind. Die von empirica dargestellten Kurven (vgl. Abbildung 12ff.) bilden wertungsfrei die ak- Einfachheit tuellen Verhältnisse am lokalen Mietwohnungsmarkt ab, wie sie sich für jeden Woh- nungssuchenden (z.B. beim Blick ins Internet) darstellen. Ihr Verlauf hängt allein von der Wohnungsmarktsituation vor Ort ab und ist unabhängig vom verwendeten Konzept! Nur mit Kenntnis dieser aktuellen Verhältnisse am lokalen Mietwohnungsmarkt lassen sich die Kosten für Unterkunft und Heizung auf ein angemessenes Maß beschränken! Beim empirica-Konzept werden die Mietobergrenzen im Sinne der Leistungsempfänger Erfahrung grundsätzlich so hoch gewählt, dass angemessene Wohnungen auch wirklich verfügbar sind. Die erforderlichen Daten liegen bei empirica bereits vor und können je nach den Verhältnissen vor Ort noch um weitere Daten ergänzt werden. Damit ist das Konzept auch für ländliche Kreise geeignet, in denen andere Datenquellen nur unzureichend zur Verfügung stehen. Sozialgerichte haben das empirica-Konzept bereits bestätigt (vgl. Seite 61). Das Konzept wird inzwischen in über 40 Landkreisen und kreisfreien Städten verwendet (vgl. Seite 64). Leistungsträger beauftragen regelmäßig Aktualisierungen. Sie können offenbar in der Praxis gut mit den Werten arbeiten. Das ist uns wichtig. Eine gute Methodik zur Herleitung von Angemessenheitsgrenzen ist auch effizient: Ein Effizienz Konzept wird nicht allein dadurch besser, wenn viele Daten (z.B. veraltete Bestandmie- ten) erhoben werden. Ein Konzept sollte schlüssig sein. Aber das reicht noch nicht. Auch schlüssig hergeleitete Mietobergrenzen können (irgendwann) zu niedrig sein. Wichtig für Bedarfsgemeinschaften ist allein das Ergebnis: „Können zu den ermittelten Mie- tobergrenzen bedarfsgerechte Wohnungen (kein gehobener Standard) auch wirklich aktuell vor Ort angemietet werden?“ Nur dann sind die Mietobergrenzen (noch) gut gewählt. Daher stellt das empirica-Konzept diese Frage in den Vordergrund und konzentriert sich auf die dafür erforderlichen Auswertungen. empirica
Mietobergrenzen im Landkreis Altenkirchen – Erstauswertung 2019 2 1.2 Aufbau des Berichts Die Herleitung von Richtwerten für angemessene Nettokaltmieten erfolgt in fünf Ar- beitsschritten (Kap. 2). Es kann um die Herleitung von Obergrenzen für angemessene Nebenkosten erweitert werden (Kap. 3). Das letztliche Prüfschema, d.h. die Daten und Auswertungen zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen, legt der Grundsicherungs- träger fest (Kap. 4).1 Mieten können sich ändern. Daher wird zudem der Trend der Mie- tenentwicklung der letzten Jahre aufgezeigt (Kap. 5). Jedes Kapitel beginnt mit Erläuterungen zur Methodik, wie sie in allen empirica- Gutachten zur Herleitung von Angemessenheitsgrenzen angewendet wird. So profitiert jeder Leistungsträger von Antworten auf Fragen und Anmerkungen, die auch andernorts zum empirica-Konzept gestellt wurden. Allgemeine Hinweise zum empirica-Konzept und Details zu den Auswertungen sind im Anhang dargestellt. Spätere Aktualisierungen im Rahmen des empirica-Konzepts sind keine simplen Indexfortschreibungen, sondern er- folgen im gleichen Umfang wie die Erstauswertung. Es werden nur aktuellere Mieten berücksichtigt: Richtwerte ändern sich auch bei Aktualisierungen nur dann und nur so weit, wie sich auch der Wohnungsmarkt seit der letzten Auswertung verändert hat. Die konkreten Ergebnisse für den Landkreis Altenkirchen sind zum schnelleren Auffinden Ergebnisse für den durch Randstriche markiert. Ergebnis der vorliegenden Erstauswertung 2019 sind die LK Altenkirchen Ergebnistabellen (Abbildung 22, Seite 30), aus denen sich das neue Prüfschema des Landkreises Altenkirchen ableiten lässt (ab Seite 32). 1.3 Regionale Einordnung des Landkreises Altenkirchen Der Landkreis Altenkirchen ist der nördlichste Landkreis in Rheinland-Pfalz. Im Norden grenzt er, von West nach Ost, an die nordrhein-westfälischen Kreise Rhein-Sieg-Kreis, Oberbergischer Kreis, Kreis Olpe und Kreis Siegen-Wittgenstein. Im Südosten grenzt er an den rheinland-pfälzischen Westerwaldkreis und im Südwesten den Landkreis Neu- wied (Abbildung 5). Die überregionale verkehrliche Anbindung wird in Nord-Süd- Richtung durch die Autobahn A3 (Köln - Frankfurt) gewährleistet, die entlang der Süd- westgrenze des Landkreises verläuft. Im Nord-Osten stellt die B62 die regionale Anbin- dung an die Großstadt Siegen und im Süd-Westen die B256 an die Städte Neuwied und Koblenz sicher. Zusätzlich verbindet die B8 den Landkreis mit den Städten Hennef im Norden und Limburg an der Lahn im Süden. 1 Vgl. BSG-Urteil - B 4 AS 9/14 R - Urteil vom 18.11.2014: „Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass es - im Rahmen der vom BSG anerkannten Methodenfreiheit bei der Erstellung von schlüssigen Konzepten - zu- nächst Aufgabe der Grundsicherungsträger ist, für ihren Zuständigkeitsbereich ein schlüssiges Konzept zu entwi- ckeln, auf dessen Grundlage die erforderlichen Daten zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze zu erheben und auszuwerten sind (vgl. § 40 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 20 SGB X).“ [Hervorheb. durch empirica] empirica
Mietobergrenzen im Landkreis Altenkirchen – Erstauswertung 2019 3 Abbildung 5: Regionale Einbindung des LK Altenkirchen empirica empirica
Mietobergrenzen im Landkreis Altenkirchen – Erstauswertung 2019 4 2. Angemessene Nettokaltmieten (Grundmieten) Die Herleitung der angemessenen Nettokaltmiete erfolgt in fünf Arbeitsschritten. Me- thodik und Aufbau des empirica-Konzepts sind im Anhang, Kap. 1, beschrieben. 2.1 Arbeitsschritt 1: Definition einer angemessenen Wohnung Die Angemessenheit von Kosten der Unterkunft gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II und § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII soll unter Berücksichtigung der aktuellen Wohnungsmarktsituation vor Ort festgestellt werden. Dazu ist eine Definition dessen erforderlich, was als „ange- messene Wohnung“ gelten soll (Arbeitsschritt 1). 2.1.1 Physische Angemessenheit: Angemessene Wohnungsgrößen Zur Beurteilung von Angemessenheit von Unterkunftskosten muss festgelegt werden, Angemessene welche Wohnungsgröße für jede Haushaltsgröße als angemessen angesehen werden Wohnungsgrößen soll. In der Praxis haben sich bundeslandspezifische Werte herausgebildet, die sich an den Bestimmungen zur Wohnraumförderung orientieren. Physische Angemessenheit: Der Landkreis Altenkirchen übernimmt als angemessene Festlegung im LK Wohnungsgrößen die Wohnungsgrößen gemäß der Wohnbauförderrichtlinien des Lan- Altenkirchen des Rheinland-Pfalz: Für einen 1-Personen-Haushalt gilt eine Wohnung bis zu 50 m² Wohnfläche als angemessen groß, für einen 2-Personen-Haushalt bis zu 60 m², für einen 3-Personen-Haushalt bis zu 80 m², für einen 4-Personen-Haushalt bis zu 90 m² und für einen 5-Personen-Haushalt eine Wohnung bis zu 105 m² Wohnfläche. Bei größeren Be- darfsgemeinschaften werden jeder weiteren Person +15 m² zusätzlich zugesprochen. Zur Einschätzung des Preisniveaus für z. B. 50 m² große Wohnungen wäre es zu eng ge- Wohnungsgrößen- fasst, nur die „genau 50 m² großen“ Wohnungen zu betrachten. Stattdessen müssen klassen Wohnungsgrößenklassen gebildet werden. In den folgenden Auswertungen wird grund- sätzlich eine Bandbreite von +/-10 m² um den vorgegebenen Wert zugrunde gelegt. Das Preisspektrum aller „ca. 50 m² großen Wohnungen“ stellt hier genau genommen das Preisspektrum aller 40 bis unter 60 m² großen Wohnungen dar. (Bemerkung: Diese m²- Werte dürfen nicht mit den Werten zur Definition der physischen Angemessenheit ver- wechselt werden. Wenn man Wohnungen „bis 50 m²“ für angemessen hält, dann dürfen zur Darstellung des Mietspektrums nicht die Mieten „aller Wohnungen bis 50 m²“ in die Auswertung einfließen, also z. B. nicht die Mieten für 20-m²-Wohnungen. Vielmehr geht es darum, als Mietobergrenze festzulegen, was denn die maximal zulässigen ca. 50 m² großen Wohnungen kosten. Eine gleich große Abweichung nach unten und auch nach oben vom eigentlichen Zielwert „50 m²“ stellt sicher, dass keine statistischen Verzerrun- gen hinsichtlich des Medians bei der Preisbeurteilung auftauchen2) Die auch von Sozialgerichten empfohlene Produktregel soll beachtet werden. Dies be- Produktregel deutet, dass die als angemessen angesehenen Wohnungsgrößen zwar zur Herleitung des Richtwerts für eine angemessene Monatsmiete herangezogen werden, dass letztlich aber die tatsächliche Größe der Wohnung unerheblich ist, solange die Gesamtkosten pro 2 Da aus allen Wohnungen mit 40 m² bis unter 60 m² nur das untere Preissegment betrachtet wird, sind dies – bei sonstiger Gleichheit der Wohnungen – tendenziell weiterhin eher die kleineren Wohnungen dieses Größenspekt- rums, also vor allem die bis zu 50 m² großen Wohnungen. empirica
Mietobergrenzen im Landkreis Altenkirchen – Erstauswertung 2019 5 Monat (Produkt aus Quadratmetermiete und Wohnfläche) den errechneten Richtwert nicht überschreiten. Diese Produktregel hat den Vorteil, dass jede Bedarfsgemeinschaft die Wahlfreiheit hat, ob sie beispielsweise eine kleinere Wohnung in besserer Quali- tät/Lage bewohnt oder lieber eine größere Wohnung in einfacherer Qualität/Lage. In- nerhalb dieser Wahlfreiheit bleiben die Kosten je Bedarfsgemeinschaft dennoch nach oben begrenzt und damit für die öffentliche Hand kalkulierbar. Die Flexibilität des Mark- tes, die aufgrund dieser unterschiedlichen Präferenzen (Nachfrage) und der konkreten Vielfalt des Wohnungsangebots vor Ort (Angebot) dringend geboten scheint, bleibt so erhalten. So kann es auch nicht zu Verwerfungen kommen, etwa weil Wohnungen einer bestimmten vorgeschriebenen Größe gar nicht am lokalen Markt angeboten werden (z. B. Mangel an verfügbaren Kleinstwohnungen am Markt), denn unter Umständen können auch größere Wohnungen als angemessen gelten, solange diese nicht teurer sind. Um die Produktregel konsequent anwenden zu können, werden die Mietobergrenzen in Einheit des der Richtwerttabelle in der Einheit „Euro/Wohnung“ ausgewiesen, nicht in „Euro/m²“. Richtwerts Denn es soll nur die Gesamtmiete für die Wohnung begrenzt sein, nicht die Quadratme- termiete. Die Wahl der Einheit „Euro/Wohnung“ führt außerdem dazu, dass der Richt- wert keinen Anreiz für Vermieter zur Mieterhöhung bildet: Da die Mietobergrenze nicht von der Wohnungsgröße, sondern allein von der Haushaltsgröße abhängt, kann der Vermieter keine bestimmte Maximalmiete allein auf Basis der Wohnungsgröße errech- nen. Vielmehr hängt die erzielbare Maximalmiete für seine Wohnung (falls er sie an Bedarfsgemeinschaften vermietet) allein davon ab, wie viele Personen er in seiner Woh- nung unterbringt. Dies ist anreizverträglich, denn auch der Leistungsträger hat zum Ziel, große Haushalte unterzubringen. Gleichzeitig wird aber kein Haushalt gezwungen, eine bestimmte Wohnung zu beziehen: Die Richtwerte wurden so festgelegt, dass auch Wohnungen in einer für den Haushalt angemessenen Größe am Markt verfügbar sind. 2.1.2 Räumliche Angemessenheit: Bildung von Vergleichsräumen Möglicherweise muss für einzelne Bedarfsgemeinschaften ein Kostensenkungsverfahren Angemessener eingeleitet werden, was den Umzug in eine kostengünstigere Wohnung erforderlich Vergleichsraum machen kann. Dafür muss die räumliche Angemessenheit des Umzugsradius’ definiert werden, innerhalb dessen der Bedarfsgemeinschaft ein Umzug zugemutet werden kann. Es soll verhindert werden, dass die Bedarfsgemeinschaft durch den Umzug ihre sozialen und räumlichen Bezüge (z. B. Schule der Kinder) verliert. Der für diesen Haushalt rele- vante Wohnungsmarkt bildet den sog. Vergleichsraum, dessen Mietstruktur untersucht wird. Ein Vergleichsraum muss einen zusammenhängenden Umkreis um den derzeitigen Wohnort bilden (z. B. das Gemeindegebiet, in dem die Bedarfsgemeinschaft derzeit wohnt). Ein Vergleichsraum sollte ausreichend groß sein: Erforderlich ist ein Raum der Mietwohnbebauung, aus dem ausreichend viele Mieten von verfügbaren Wohnungen bekannt sind, um statistisch relevante Aussagen treffen zu können. In ländlichen Kom- munen mit ohnehin nur wenigen Mietwohnungen können mehrere Gemeinden zu ei- nem Vergleichsraum zusammengefasst werden. Zusammengefasste Gemeinden müssen ebenfalls räumlich aneinandergrenzen, um in räumlicher Nähe zum derzeitigen Woh- nort Mietwohnungsangebote im Vergleichsraum finden zu können. Gemeinden, die zusammengefasst werden, sollten hinsichtlich ihrer Lagekriterien und Infrastrukturaus- stattung vergleichbar (homogen) sein. Homogenität ist aber keine eindeutig messbare Kategorie. Die Grenzen sind fließend. empirica
Mietobergrenzen im Landkreis Altenkirchen – Erstauswertung 2019 6 Typischerweise sind attraktive Lagen teurer als unattraktive Lagen. Daher ist das Mietni- veau ein guter Indikator für Homogenität: Vergleichsräume mit einem größeren Mietge- fälle sind offensichtlich nicht homogen – sonst hätten sie ein vergleichbares Mietniveau. Wenn in unterschiedlich teuren Gemeinden dennoch die gleiche Mietobergrenze gelten würde, könnten Bedarfsgemeinschafen nur in den günstigen Gemeinden angemessene Wohnungen finden. Jede Aufforderung zur Kostensenkung würde tendenziell die soziale Segregation („Ghettobildung“) verstärken. Zur Vermeidung eines solchen Rutschbahnef- fekts ist es daher wichtig, nur Gemeinden mit ähnlichem Mietniveau zu einem Ver- gleichsraum zusammenzufassen. Die Berücksichtigung der kleinräumigen Mietniveauun- terschiede ist damit eine notwendige Bedingung bei der Abgrenzung von Vergleichsräu- men. Sie gilt für alle Mietobergrenzen und ist unabhängig vom verwendeten KdU- Konzept. Im empirica-Konzept erfolgt die Festlegung von Vergleichsräumen (VR) systematisch daher unter bestmöglicher Beachtung folgender drei Grundsätze: (1) Als Indikator für einen ausreichend großen Raum der Mietwohnbebauung: Min- destfallzahl von 500 Mietwohnungsangeboten je Vergleichsraum (2) Als Indikator für die räumliche Nähe: Ggf. Zusammenfassung nur benachbarter Gemeinden/Stadtteile zu einem Vergleichsraum (3) Als Indikator für die Homogenität innerhalb eines Vergleichsraums: Nur Zusam- menfassung von Gemeinden mit ähnlichem Mietniveau (Mietgefälle von möglichst nicht mehr als 1 Euro/m² Wohnfläche). Eine Einteilung in verschiedene Vergleichsräume erfolgt in städtischen und ländlichen Regionen analog. Wenn es kein größeres Mietgefälle gibt, kann der gesamte Landkreis oder das gesamte Stadtgebiet als ein einziger Vergleichsraum angesehen werden.3 Die Zusammenfassung mehrerer Gemeinden zu einem Vergleichsraum erfolgt in Absprache mit dem Auftraggeber, um sein Ortswissen über sozialräumliche Bezüge (Schulen, Ar- beitsplätze, Ärzte, Einkaufsmöglichkeiten) mit einzubeziehen. Datengrundlage zur Festlegung der Vergleichsräume sind die in der empirica- Preisdatenbank4 enthaltenen Mietwohnungsangebote aus dem gesamten Zuständig- keitsbereich des Leistungsträgers (Landkreis, kreisfreie Stadt). Für jede Gemeinde wer- den sämtliche Mietwohnungsangebote im Auswertungszeitraum und die jeweilige Quadratmetermiete herausgefiltert. Die Medianmiete einer Gemeinde, d. h. die mittlere Quadratmetermiete über alle Wohnungsgrößen in einer Kommune bzw. in einem Stadt- teil, ist ein Maß für das Mietniveau. Es wird ausgewiesen, wenn die Mindestfallzahl von 30 erreicht wird. Datengrundlage zur Festlegung von Vergleichsräumen (VR) im Landkreis Altenkirchen Kommunale sind die kommunalen Mietniveaus gemäß empirica-Preisdatenbank (Basis: empirica- Mietniveaus im systeme). LK Altenkirchen 3 Auch eine Großstadt ist nicht immer homogen: Wenn es besonders teure Stadtteile gibt, führt ein einheitlicher Richtwert (1 Vergleichsraum) dazu, dass vor allem in den günstigeren Stadtteilen angemessene Wohnungen zu fin- den sind. Um dies zu vermeiden, kann man mehrere Vergleichsräume mit eigenen Richtwerten bilden. In teuren Stadtteilen gelten dann höhere Richtwerte, sodass auch hier angemessene Wohnungen zu finden sind. 4 Details zur empirica-Preisdatenbank, vgl. im Anhang, Kap. 2.1. empirica
Mietobergrenzen im Landkreis Altenkirchen – Erstauswertung 2019 7 Aus dem Zeitraum 1. April 2017 bis 31. März 2019 (acht Quartale) liegen im Landkreis Altenkirchen gut 2.300 Mietangebote vor. Die sich daraus ergebenden kommunalen Mietniveaus und Fallzahlen sind in Abbildung 6 tabellarisch (sortiert nach der Höhe des Mietniveaus) und in Abbildung 8 kartografisch dargestellt. Ergebnis: Die Mietniveaus der Verbandsgemeinden im Landkreis Altenkirchen unterscheiden sich kaum: Die Mietspan- ne reicht von 5,00 Euro/m² (Verbandsgemeinde Hamm/Sieg) bis 5,66 Euro/m² (Ver- bandsgemeinde Kirchen/Sieg). Räumlich betrachtet zeigt sich ein ganz leichtes Mietge- fälle von Nordosten und Südwesten aus abfallend hin zur Mitte des Landkreises. Räumliche Angemessenheit: Der Landkreis Altenkirchen hatte die Kommunen bereits Festlegung der VR im 2016 zu zwei Vergleichsräumen zusammengefasst.5 Die Verbandsgemeinden Altenkir- LK Altenkirchen chen/Westerwald, Flammersfeld und Hamm/ Sieg bilden den Vergleichsraum I. Der Vergleichsraum II setzt sich aus den Verbandsgemeinden Kirchen/Sieg, Daaden-Herdorf, Wissen und Betzdorf-Gebhardshain zusammen. Diese beiden Vergleichsräume werden in der vorliegenden Erstauswertung 2019 von empirica beibehalten (Abbildung 6). Denn sie erfüllen selbst auf Basis der aktuellen kommunalen Mietniveaus und Fallzahlen im Landkreis Altenkirchen auch die drei empirica-Grundsätze bei der Vergleichsraumbildung (siehe oben): Jeder Vergleichsraum hat eine ausreichende Anzahl von Fällen (min. 500) und die Spanne des Mietniveaus innerhalb jedes Vergleichsraumes ist kleiner als 1,00 Euro/m² (Abbildung 7). Zudem bildet jeder Vergleichsraum ein zusammenhängen- des Gebiet (Abbildung 8). Der Landkreis Altenkirchen erläutert hierzu: „Hinsichtlich der Herleitung der beiden Vergleichsräume wird außerdem auf die Ausführungen in den seinerzeit von der Firma Transfer erstellten Unterkunftskos- tenkonzepten aus dem Jahr 2016 verwiesen, an denen der Landkreis Altenkirchen auch weiterhin festhält. Das LSG Rheinland-Pfalz hat sich in seinem Beschluss vom 18.12.2018 (Az L 3 AS 109/16) ausdrücklich mit dieser Vergleichsraumbil- dung befasst und hiergegen keine Einwände erhoben.“ Abbildung 6: Vergleichsräume im LK Altenkirchen 2019* (Tabelle) Vergleichs- Median in Verbandsgemeinde Fallzahl raum Eur/m² I Flammersfeld 5,53 210 I Altenkirchen (Westerwald) 5,33 513 I Hamm (Sieg) 5,00 185 II Kirchen (Sieg) 5,66 455 II Daaden-Herdorf 5,36 201 II Betzdorf-Gebhardshain 5,27 502 II Wissen 5,21 286 LK Altenkirchen 5,37 2.352 * Auswertungszeitraum: Quartale II/2017 bis I/2019. Quelle: empirica-Preisdatenbank (Basis: empirica-systeme.de) empirica 5 Vgl. transfer - Unternehmen für soziale Innovation: „Schlüssiges Konzept“ zur Ermittlung angemessener Unter- kunftskosten im Landkreis Altenkirchen: Abschlussbericht, Dezember 2016; vgl. dort. Kap. 4, Seite 14ff. empirica
Mietobergrenzen im Landkreis Altenkirchen – Erstauswertung 2019 8 Abbildung 7: Mietniveaugefälle je Vergleichsraum im LK Altenkirchen 2019* Median (Euro/qm) Vergleichsraum Fallzahl min max Spanne I 5,00 5,53 0,53 908 II 5,21 5,66 0,46 1.444 Summe 2.352 * Auswertungszeitraum: Quartale II/2017 bis I/2019. Quelle: empirica-Preisdatenbank (Basis: empirica-systeme.de) empirica Abbildung 8: Kommunale Mietniveaus* im LK Altenkirchen 2019** und Zusammenfassung zu Vergleichsräumen * Mittlere Quadratmetermiete (Median) über alle Wohnungsgrößen in einer Verbandsgemeinde. ** Auswertungszeitraum: Quartale II/2017 bis I/2019. Quelle: empirica-Preisdatenbank (Basis: empirica-systeme). empirica empirica
Mietobergrenzen im Landkreis Altenkirchen – Erstauswertung 2019 9 2.1.3 Qualitative Angemessenheit: Abgrenzung des unteren Marktsegments Schließlich muss definiert werden, welche Wohnqualität für Bedarfsgemeinschaften als Angemessene angemessen gelten soll: Der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit (§ 22 Wohnungsqualität SGB II) beschreibt, dass offensichtlich einige Wohnstandards für Bedarfsgemeinschaften auszuschließen sind (z. B. Luxuswohnungen). Nach geltender Rechtsprechung sollen Bedarfsgemeinschaften nicht alle verfügbaren Wohnungen, sondern nur Wohnungen mit einem einfachen und im unteren Segment liegenden Ausstattungsgrad zustehen.6 Dies soll über die Festlegung einer Mietobergrenze erreicht werden: Wohnungen bis zur Mietobergrenze gelten dann als angemessen, teurere Wohnungen als unangemessen. Wo diese Grenzen des unteren Wohnungsmarktsegments genau verlaufen sollen, haben weder Gesetzgeber noch BSG konkretisiert. Es gibt keine offizielle Definition, welcher Wohnstandard „einfach“ und welcher „gehoben“ ist. Denn die Grenzen sind fließend. Selbst wenn zur Beschreibung des einfachen Standards eine vollständige Auflistung aller Wohnwertmerkmale in allen möglichen Kombinationen möglich wäre, ließe sich nicht jede Wohnung eindeutig zuordnen (etwa bei der Bewertung, wie viele Quadratmeter Balkon ein älteres Baualter kompensieren). Die Bewertung würde zudem regional unter- schiedlich ausfallen (z. B. bei der Frage, ob ein kleiner Balkon nun zum einfachen oder gehobenen Standard zählt). Daher empfiehlt sich eine relative Definition des einfachen Standards: Bedarfsgemein- schaften wird grundsätzlich ein fester Anteil des aktuellen lokalen Wohnungsangebots zugesprochen, unabhängig davon, wie diese jeweils günstigsten Wohnungen konkret ausgestattet sind.7 Damit wird automatisch berücksichtigt, dass es von den lokalen Ver- hältnissen abhängt, ob z. B. ein kleiner Balkon bereits zum gehobenen Standard zählt (weil nur wenige Wohnungen überhaupt einen Balkon haben) oder ob auch Wohnungen des einfachen Standards einen kleinen Balkon haben (weil praktisch alle Wohnungen in der Region einen Balkon haben). Eine Abgrenzung, die Bedarfsgemeinschaften grund- sätzlich Zugang zu einem bestimmten Teil des Wohnungsmarkts garantiert, ist überall möglich (systematisches Vorgehen), aber bleibt dennoch hinsichtlich des konkreten re- gionalen Wohnungsangebots flexibel. Die genaue Abgrenzung des Wohnungsmarktseg- ments, zu dem Bedarfsgemeinschaften Zugang haben sollen, hängt von den örtlichen Gegebenheiten ab (z. B. von der Qualität des Wohnungsbestands). Wie auch die Festle- gung einer angemessenen Wohnungsgröße gibt es hier kein Richtig oder Falsch. Viel- mehr geht es um die sozialpolitische Kernfrage: „Welchen Wohnstandard will, kann und muss der Sozialstaat Hilfebedürftigen finanzieren – angesichts der jeweils konkreten Situation vor Ort?“ Im empirica-Konzept wird daher die Obergrenze der qualitativen Angemessenheit in Arbeitsschritt 1 so definiert, dass aus der Mietverteilung aller Wohnungsangebote einer Wohnungsgrößenklasse (vom einfachen bis luxuriösem Standard, vgl. Mietspektren- Kurven in Arbeitsschritt 3) grundsätzlich ein gewisser Anteil als qualitativ angemessen angesehen wird (z B. das untere Drittel). Datengrundlage ist die empirica-Preisdaten- bank, in der auch Wohnmerkmale erfasst sind, die in der Anzeige erwähnt werden.8 6 „Sodann ist der Wohnstandard festzustellen, wobei dem Hilfebedürftigen lediglich ein einfacher und im unteren Segment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung zusteht.“ BSG-Urteil vom 07.11.2006/ B 7 b A 5 18/06R. 7 Sie müssen lediglich einen gewissen physischen Mindeststandard erfüllen, so z. B. Heizung, WC und Bad haben. Die Definition des Mindeststandards gilt deutschlandweit für jeden (z. B. auch für Asylbewerber usw.). 8 Details zur empirica-Preisdatenbank: vgl. im Anhang, Kap. 2.1. empirica
Mietobergrenzen im Landkreis Altenkirchen – Erstauswertung 2019 10 Durch die Bildung einer Mietobergrenze gelten nur Wohnungen bis zu dieser Höchst- miete (bzw. mit den Merkmalskombinationen, die man dazu anmieten kann) als ange- messen. Die Festlegung erfolgt in Absprache mit dem Leistungsträger, so dass angesichts des konkreten Wohnungsangebots vor Ort bis zu dieser Höchstmiete Wohnungen an- mietbar sind, die einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügen.9 Dies wird in Arbeitsschritt 4 sicherheitshalber noch einmal am aktuellen Markt überprüft (und die gewählte Abgrenzung vor Fertigstellung des Endberichts ggf. noch einmal angepasst). Die Mietobergrenzen für verschiedene Wohnungsmarktabgrenzungen werden im Grundsicherungsrelevanten Mietspiegel (empirica) ausgewiesen (Abbildung 14, Sei- te 22). Die verschiedenen Spalten der Tabelle nennen die Höchstmieten für verschiede- ne Wohnungsmarktabgrenzungen. In der Praxis der Wohnungsmarktbeobachtung wird als unteres Wohnungsmarktsegment häufig das sog. „untere Drittel“ angesetzt.10 Aber auch Abgrenzungen z. B. beim unteren Fünftel (20 %) oder unteren Viertel (25 %) sind denkbar.11 In Deutschland sind praktisch alle öffentlich inserierten und/oder von Woh- nungsunternehmen angebotenen Wohnungen bewohnbar. Selbst eine Wohnung beim 5 %-Quantil hat meist schon eine Heizung und ein Bad. Bedarfsgemeinschaften werden also nie auf einen unzumutbar schlechten Standard verwiesen, wenn man ihnen ermög- licht, 20 %, 25 % oder 33 % der angebotenen Wohnungen anzumieten.12 Sie haben im- mer noch Auswahlmöglichkeiten. Im Rahmen des empirica-Konzepts wird der Bericht zunächst als Entwurf zur Verfügung gestellt. Bei Erstauswertungen enthält der Entwurf standardmäßig als Abgrenzung des unteren Wohnungsmarktsegments das „untere Drittel“. Diese Abgrenzung kann vom Leistungsträger nach Durchsicht des Berichtsentwurfs aber noch einmal an die lokale Wohnungsmarktsituation angepasst werden. Insbesondere liefert die Qualitätsprüfung in Arbeitsschritt 4 Aussagen darüber, welche Wohnqualitäten vor Ort zum ermittelten Richtwert des „unteren Drittels“ (33 %) angemietet werden können: Wenn der Leis- tungsträger die zu diesem Richtwert anmietbaren Wohnungen für „zu gut“ hält, sollte er eine engere Abgrenzung wählen, z.B. das untere Fünftel (20 %) oder untere Viertel (25 %), wenn er sie für „zu schlecht“ hält, entsprechend eine großzügigere Abgrenzung (z.B. 40 %).13 Der endgültige Bericht enthält die Richtwerte der letztlich gewünschten Abgrenzung. 9 Vgl. BSG-Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R – RdNr 20: „Angemessen sind die Aufwendungen für eine Wohnung nur dann, wenn diese nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist.“ 10 Dies entspricht auch den Empfehlungen des LSG NRW: Am 26.3.2014 hat das LSG NRW in einem Verfahren das empirica-Konzept zugrunde gelegt und dabei als Grundsatz eine Abgrenzung beim unteren Drittel empfohlen (Proto- koll L 12 AS 1159/11). Vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 18/09 R, RdNr. 22: „Ein schlüssiges Kon- zept kann sowohl auf Wohnungen aus dem Gesamtwohnungsbestand (einfacher, mittlerer, gehobener Standard) als auch auf Wohnungen nur einfachen Standards abstellen.“ 11 Das Bundessozialgericht hat auch schon eine Abgrenzung beim unteren Fünftel akzeptiert (vgl. z. B. BSG-Urteil vom 10.9.2013: „Dass das LSG von den ermittelten Wohnungen ‚um die 50 m² letztlich die unteren 20 % des preislichen Segments zur Grundlage seiner Entscheidung über die Angemessenheit gemacht hat, begegnet ebenfalls keinen durchgreifenden Bedenken.“ (B 4 AS 77/12 R, Rd.Nr 37). 12 In jedem empirica-Konzept wird dies in Arbeitsschritt 4 überprüft. Wenn sich im Zuge der Bearbeitung herausstellt, dass die von Bedarfsgemeinschaften anmietbare Wohnqualität aus Sicht des Auftraggebers zu niedrig wäre, würde die Abgrenzung hier in Arbeitsschritt 1 großzügiger gewählt. 13 Allerdings gibt es auch nach oben Grenzen: Werte oberhalb des Medians enthalten auch bereits Wohnungen des gehobenen Standards (den die Angemessenheitsgrenzen ja gerade ausschließen sollen). Zudem können Bedarfsge- meinschaften dann die Hälfte aller verfügbaren Wohnungen anmieten, das ist mehr als sich Geringverdiener mit ei- genem Einkommen leisten können. empirica empfiehlt daher eine Abgrenzung zwischen den unteren 10% und den unteren 40% des anmietbaren Wohnungsangebots. empirica
Mietobergrenzen im Landkreis Altenkirchen – Erstauswertung 2019 11 Ist die Abgrenzung aber erst einmal durch den Leistungsträger definiert worden (z. B. als das untere Drittel), dann sorgen die gewählten Richtwerte des vorliegenden Konzepts schlüssig und transparent dafür, dass dann für alle Haushaltsgrößen in allen Vergleichs- räumen die gleiche relative Wohnqualität am Wohnungsmarkt als angemessen gilt. Zur Verdeutlichung sind die entsprechenden Werte in den Mietspektrenkurven markiert, so dass die Richtwerte abgelesen werden können (vgl. Arbeitsschritt 3). Die Plausibilisie- rung der ermittelten Werte und die Überprüfung der anmietbaren Wohnstandards er- folgt auch über eine Auswertung der zum Richtwert anmietbaren Wohnwertmerkmale sowie über eine Online-Stichprobe (Arbeitsschritt 4) vor Fertigstellung der Richtwertta- belle (Arbeitsschritt 5). Qualitative Angemessenheit: Der Landkreis Altenkirchen definiert als angemessenes Unteres Markt- Marktsegment, zu dem Bedarfsgemeinschaften Zugang haben sollen, das untere Woh- segment im nungsmarktdrittel der verfügbaren Wohnungen. (In Arbeitsschritt 4 wird dazu sicher- LK Altenkirchen heitshalber noch überprüft, ob sich bei dieser Abgrenzung der Wohnbedarf eines Haus- halts decken lässt und gleichzeitig ein gehobener Wohnstandard ausgeschlossen wird.) empirica
Mietobergrenzen im Landkreis Altenkirchen – Erstauswertung 2019 12 2.2 Arbeitsschritt 2: Lokalspezifische Aufbereitung der Datenbasis In Arbeitsschritt 2 wird der Beobachtungsgegenstand näher beschrieben, die Art und Weise der Datenerhebung dokumentiert und auf die Repräsentativität und Validität der Datengrundlage verwiesen. 2.2.1 Datengrundlage: Mieten verfügbarer Wohnungen Datengrundlage zur Beurteilung von angemessenen Kosten der Unterkunft sind die Mie- ten verfügbarer Wohnungen. • Dazu zählen zum einen die Mieten öffentlich inserierter Wohnungen (Woh- nungsinserate in Internet und Zeitung), wie sie z. B. in der empirica-Preisdaten- bank erfasst werden, zum anderen auch Mieten nicht öffentlich inserierter Wohnungen, die ebenfalls von Bedarfsgemeinschaften angemietet werden können, z. B. Daten von örtlichen Woh- nungsunternehmen, die möglicherweise nicht alle ihre Angebote öffentlich inserieren, sondern über Wartelisten vergeben.14 Öffentlich inserierte Wohnungsangebote Eine repräsentative Stichprobe der Mieten und Kaufpreise öffentlich inserierter Immo- empirica- bilien wird in der empirica-Preisdatenbank (Basis: empirica-systeme, bis 2011 IDN Immo- Preisdatenbank daten GmbH) erfasst. Die empirica-Preisdatenbank stützt sich auf einen ausgewogenen Mix an Datenquellen verschiedenster Vertriebskanäle. Neben großen Immobilienporta- len fließen auch spezialisierte Internetquellen (z. B. für Privatanbieter, Genossenschaf- ten oder Wohngemeinschaften) und Printmedien (Kleinanzeigen lokaler, regionaler und überregionaler Zeitungen) ein. Die Daten werden kontinuierlich, deutschlandweit und flächendeckend recherchiert und im Querschnitt (über alle Quellen) und im Längsschnitt (über die Zeit) professionell um Doppler bereinigt. In der empirica-Preisdatenbank (Basis: empirica-systeme) werden die in den Inseraten enthaltenen Wohnwertmerkmale (z. B. Ort, Wohnungsgröße, Baujahr, Ausstattung usw.) mit erfasst. Auf die empirica-Preisdatenbank (Basis: empirica-systeme) wird auch in der Fachliteratur verwiesen (vgl. u. a. Forschungsbericht des BMAS15). Weitere Details zur empirica-Preisdatenbank: vgl. Anhang-Kap. 2.1. 14 Ausdrücklich nicht aufgenommen werden lediglich Wohnungsangebote, die „unter der Hand“ zwischen Freunden und Verwandten vermittelt werden. Denn diese sind für das Gros der Bedarfsgemeinschaften nicht zugänglich und sollten daher nicht als Grundlagen für Richtwerte gelten. 15 Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS): Ermittlung der existenzsichernden Bedarfe für die Kosten der Unterkunft und Heizung in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), Download unter: http://www.bmas.de/DE/Service/Medien/Publikationen/Forschungsberichte/Forschungsberichte- Arbeitsmarkt/fb478-ermittlung-existenzsicherende-bedarfe.html, vgl. S.181. empirica
Mietobergrenzen im Landkreis Altenkirchen – Erstauswertung 2019 13 Nicht öffentlich inserierte Wohnungsangebote Mietwohnungsangebote, die nicht öffentlich inseriert wurden, können zusätzlich mit Daten von ausgewertet werden. So wird z. B. ein Wohnungsunternehmen, das über größere Woh- Wohnungsunter- nungsleerstände verfügt oder das seine Wohnungen unterhalb der marktüblichen Miete nehmen anbietet (z. B. ein kommunales Wohnungsunternehmen), nicht alle Wohnungsangebote öffentlich inserieren. Das Gleiche gilt für freiwerdende Sozialwohnungen. Wenn Woh- nungen, etwa aus sozialen Gründen, besonders günstig angeboten werden, erfolgt die Vergabe häufig nach Warteliste, und einige Wohnungen werden erst gar nicht inseriert. Diese Angebote können dann auch nicht in der empirica-Preisdatenbank enthalten sein. Gleichwohl sind sie ein Teil des Marktes verfügbarer Wohnungen. Deshalb werden grundsätzlich weitere lokalspezifische Datenquellen erfragt. In einer standardisierten Tabellenabfrage können Wohnungsunternehmen angeben, zu welchen Mieten welche Wohnungen im Auswertungszeitraum den Mieter gewechselt haben bzw. wie viele Wohnungen welcher Größe aktuell leer stehen und zu welcher Miete angemietet wer- den könnten. Abgefragt werden von Wohnungsunternehmen nur Angebote, die nicht auch öffentlich inseriert wurden.16 Diese Daten werden über den Leistungsträger an empirica weitergeleitet und dann von empirica zusätzlich in den Auswertungsdatensatz aufgenommen. Zur Relevanz von Mieten nicht verfügbarer Wohnungen (Bestandsmieten) Die aktuelle Rechtsprechung äußert sich widersprüchlich zur Relevanz von Bestandsmieten. Einerseits soll eine Angemessenheitsgrenze die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwoh- nungsmarkts wiedergeben und andererseits wird teilweise verlangt, der Leistungsträger müsse Bestandsmieten bei der Ermittlung der Angemessenheitsgrenze berücksichtigen. Das wider- spricht sich. Denn Bestandsmieten sind die Angebotsmieten von gestern. Es handelt sich um die alten Mieten inzwischen vermieteter Wohnungen, in welche aktuell eben gerade niemand mehr einziehen kann. (Sobald die Wohnung wieder frei wird, kann der Vermieter eine andere Miete verlangen.) Fest steht, dass ein Haushalt, der zur Kostensenkung durch Umzug aufgefor- dert wird, ausschließlich die Mieten von verfügbaren Wohnungen zur Auswahl hat, aus denen er eine angemessene auswählen muss. Daher halten wir die Kenntnis über die Miethöhen von verfügbaren Wohnungen für das Wichtigste, um Wohnbedarfe decken und gleichzeitig auf ein angemessenes Maß beschränken zu können.17 Laut Angaben des Landkreises Altenkirchen gibt es im Landkreis Altenkirchen gar keine Datengrundlage den größeren Mietwohnungsbestände von kommunalen, gemeinnützigen oder privatwirt- LK Altenkirchen schaftlichen Wohnungsunternehmen. Zur Herleitung von Mietobergrenzen im Landkreis Altenkirchen fließen in die Erstauswertung 2019 daher lediglich öffentlich inserierte Mietwohnungsangebote aus der empirica-Preisdatenbank (Basis: empirica-systeme) ein, und zwar aus dem Zeitraum 01.04.2017 bis 31.03.2019 (acht Quartale: II/2017 bis I/2019). 16 Wohnungen, die nicht öffentlich inseriert wurden, können auch nicht in der empirica-Preisdatenbank enthalten sein (keine Doppler). 17 Einige Sozialgerichte bestätigen diese Auffassung (vgl. dazu im Anhang Kap. 3.5: Sozialgerichtliche Bestätigungen aus verschiedenen Bundesländern, Seite 63). empirica
Mietobergrenzen im Landkreis Altenkirchen – Erstauswertung 2019 14 Der Landkreis Altenkirchen erläutert zur verwendeten Datengrundlage Folgendes: „Der Landkreis Altenkirchen hat sich dafür entschieden, bei der Ermittlung der Richtwerte auf eine Methodik zurückzugreifen, die ausschließlich Angebotsmie- ten einbezieht und Bestandsmieten unberücksichtigt lässt. Zwar bestimmt § 22c Abs 1 SGB II, dass – bei einer satzungsrechtlichen Festlegung – in eine entspre- chende Datenauswertung auch Neuvertrags- und Bestandsmieten einfließen sol- len. Schon die Wahl des Begriffs „sollen“ macht aber deutlich, dass der Gesetz- geber eine solche Berücksichtigung nur für den Regelfall vorschreiben und den Leistungsträgern bei Vorliegen besonderer Umstände auch andere Handlungsop- tionen offenhalten wollte. Solche besonderen Umstände sind im Landkreis Altenkirchen gegeben, da hier eine valide und repräsentative Bestandsmietenermittlung aufgrund der konkre- ten örtlichen Gegebenheiten nicht möglich ist. Die im Landkreis Altenkirchen an- zutreffende ländlich/kleinstädtische Wohnstruktur wird von einer hohen Eigen- heimquote und einem – in Bezug auf die Diversität der Eigentumsverhältnisse – breit aufgestellten Mietwohnungsmarkt geprägt. Anders als in anderen Land- kreisen oder Städten existieren hier keine kommunalen, gemeinnützigen oder privatwirtschaftlichen Wohnungsbauunternehmen, die in großer Zahl Daten über Bestandsmieten zur Verfügung stellen könnten. Der anmietbare Wohnraum wird vielmehr nahezu ausschließlich in mittelgroßen Mehrfamilienhäusern und in von den Eigentümern selbst bewohnten Immobilien (z. B. Zweifamilienhaus, Einlie- gerwohnung) vorgehalten. Irgendwelche Datenbänke oder Register, aus denen der Landkreis Altenkirchen Daten über den vermieteten Wohnraum beziehen könnte, bestehen nicht. Der Landkreis kann daher Informationen über Bestands- mieten nur in der Weise erlangen, dass er potenzielle Vermieter hierzu schriftlich und anonym befragt, in der Erwartung, dass diese in möglichst großer Zahl frei- willig zutreffende Angaben machen werden. Eine solche Befragung hat der Landkreis im Rahmen der Erstellung der ersten beiden Unterkunftskostenkonzepte (2013 und 2016) durchgeführt, wobei er – in Ermangelung anderer Alternativen – auf die Grundstückseigentümerdatenbank seines Abfallwirtschaftsbetriebes (AWB) zurückgegriffen hat. Die etwa 40.000 vom AWB übermittelten Datensätze enthielten dabei für jeden Aufstellort eines Abfallgefäßes aber nur den Namen und die Anschrift des Grundstückseigentü- mers; Informationen über eine etwaige Vermietung lagen hingegen auch dem AWB nicht vor. Es war also nicht möglich, aus den 40.000 Datensätzen des AWB gezielt jene heraus zu filtern, bei denen eine Vermietung vorlag und die deshalb für eine Abfrage zu den Bestandsmieten in Betracht gekommen wären. Da es un- verhältnismäßig gewesen wäre, allen 40.000 Grundstückseigentümern den Fra- gebogen zu übersenden, obwohl der weitaus überwiegende Teil von ihnen gar keinen Wohnraum vermietete, wurde der Fragebogen nur denjenigen Grund- stückseigentümern zugesandt, bei denen ihre Wohnanschrift und der Aufstellort des Abfallgefäßes nicht identisch waren und mithin eine Vermietung vermutet werden konnte. Hierbei musste allerdings in Kauf genommen werden, dass eine Vielzahl von Mietwohnungen – nämlich jene, bei denen Wohnraum im vom Grundstückseigentümer selbst bewohnten Haus vermietet wurde (zB Zweifamili- enhaus, Einliegerwohnung) – nicht in die Erhebung einbezogen werden konnte. Dies führte in zahlreichen Widerspruchs- und Klageverfahren immer wieder zu erheblicher Kritik am Unterkunftskostenkonzept, die letztlich auch nicht von der Hand gewiesen werden konnte. empirica
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