Erwarten - PFARRBRIEF - AUSGABE 2/2020 - Erzbistum Köln
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PFARRBRIEF 1/2020 TITELTHEMA // ERWARTEN EDITORIAL aus, dass Sicherheiten verloren gegangen sind. Vertrautes ist pulverisiert. Was heute vereinbart INHALT Ein merkwürdiges Jahr geht zu Ende. Eins, das und entschieden ist, kann ja morgen schon Maku- 2/2020 Titelthema // erwarten ohne Zweifel gesellschaftlich, politisch und latur sein. kirchlich eine gewaltige Zäsur in Gang gesetzt hat. Hätte jemand ernsthaft am Neujahrstag Vielleicht ist aber gerade in diesen Zeiten das sekttrunken verkündet, dass wir alle dauerhaft Nachdenken über Erwartungen eine sinnvolle Masken tragen, zwei Mal das gesellschaftliche und und notwendige Expedition. Denn wo einer etwas // Titelthema kulturelle Leben fast zum Erliegen kommt und die erwartet, da ist noch Dynamik, Energie, womög- Lufthansa nur mit gewaltigen Geldspritzen vor der lich so etwas wie Zuversicht. Und zwischen vielen Dreiergespräch: » Ich möchte eine Hoffnung haben, die nicht an der Oberfläche bleibt « 4 Pleite gerettet werden wird, dass das Osterfest in Sprengseln von Zweifel erzählen viele Geschichten Montagsgeschichte: Bizzelwasser 9 den Kirchen gewissermaßen ausfällt, die Men- von Erwartungen, die Kreativität und Hoffnung Hintergrund: Willkommen?! 10 schen sich weitgehend in ihre vier Wände in Gang setzen. Geschichten, die vom „Trotzdem“ Testimonial: Stell dir vor, die Kirche macht auf 13 zurückziehen, Fußball-EM und erzählen. Wir wissen noch nicht, wie das sein Notiz: Gebetswand 15 Olympische Spiele entfallen wird: ein Jahr ohne Karneval. Vielleicht gerade Hintergrund: Kackplatz oder Kirchgarten? 16 und die Menschheit sehn- deswegen erzählt Carolin Dörmbach von der KG Interview: » Die Kirche kann in der Coronazeit punkten « 20 süchtig auf einen Impf- Große Eigelsteiner, die sich 2019 gegründet hat Kommentar: Diesseitserwartungen 24 stoff wartet – niemand und deren zweite Session direkt in die Coronatris- Kommentar: Von Amöben und Menschen 26 hätte diesen Nostrada- tesse führt. Uli Merz erzählt, warum am Brüsseler Hintergrund: Singe zu Hus 28 mus ernstgenommen. Platz vielleicht gerade jetzt die Zeit für ein neues Testimonial: » Meistens geht alles gut, und wenn nicht, bin ich da! « 30 Gemeindeprojekt gekommen ist und was er davon Interview: Die glitzernde Schwärze des Alls 32 Nun ist es so gekommen. erwartet. Hilde Naurath stellt ein neues Projekt vor, Wir haben ein Jahr hinter bei dem Ehrenamtliche Besucher und Touristen in uns, das die Menschen an ihre den romanischen Kirchen erwarten und willkom- // Weitere Themen Grenzen geführt hat. Persönlich und men heißen. Drei höchst unterschiedliche Frauen gesellschaftlich. Psychisch und körperlich. Wirt- sprechen über Erwartungen, Rollenbilder und Hintergrund: Kirchengemeindeverband KGV 40 schaftlich, politisch und auch in sozialer Hinsicht. Hoffnungen im Berufs- und Glaubensleben. Und Es war ein anstrengendes Jahr für Körper und Klaus Nelißen hat Gerhard Thiele getroffen. Der Seele. Und nichts deutet darauf hin, dass im kom- deutsche Astronaut hat zwölf Jahre auf seinen Flug // Rubriken PFARRBRIEF 2/2020 menden Jahr die Anstrengungen weniger werden. ins All gewartet. Er erzählt auch davon, was im Le- Der persönliche permanente Stresstest, aber ben wichtig wird, wenn das 40. Lebensjahr rum ist. Erstkommunion 2020 38 auch der Stresstest, dem viele Institutionen – die Nachrichten 41 Demokratie, die Schulen, die Kirchen – ausgesetzt Jetzt entlässt die Redaktion das Heft in Ihre Hand. Impressum 42 sind: Sie werden weitergehen. Vorerst. Vielleicht Ob wir erwarten können, dass seine Geschichten Getauft & Verstorben 42 2 für lange Zeit. Ihnen zusagen? Wir wissen es nicht. Wir sind aber Fragebogen 43 voller Hoffnung. Es scheint schwierig, geradezu absurd, in diesen Zeiten über Erwartungen nachzudenken und zu Eine anregende Lektüre wünscht www.st-agnes.de sprechen. Denn die Zeiten zeichnet ja vor allem Peter Otten
TITELTHEMA // ERWARTEN TITELTHEMA // ERWARTEN » Ich möchte eine Hoffnung haben, DIE NICHT AN DER OBERFLÄCHE BLEIBT « Eine Hebamme, eine Anlagenmechanikerin, eine Schwester: drei Frauen sprechen über Erwartungen, Rollenbilder und Hoffnungen im Berufs- und Glaubensleben. Drei Frauen reden über Erwartungen: Victoria Gaevert, Franka Knauf und Schwester Jeannette Wegerich. Text & Fotos: Hoffnung zu geben, das war meine Erwartung Carolin Dörmbach, Judith Uebing beim Eintritt in die Gemeinschaft. Victoria Gaevert: Zum Thema Erwartung fällt mir Sind auch Ängste da? die schwierige Situation auf dem Lehrstellenmarkt Knauf: Ich denke schon, dass die meisten Schwester Jeannette, mit 27 Jahren bist du in Hast du das Gefühl, dass Gott Erwartungen ein. Wir brauchen dringend Azubis im Handwerk. Schwangeren im Unterbewusstsein abgespeichert die Gemeinschaft der „Dienerinnen und Die- an dich hat? Aber die Leute, die kommen, können es schwer haben, dass es nicht einfach laufen könnte. Trotz ner des Evangeliums“ eingetreten. Hattest du Sr. Jeannette: Gott hat keine Erwartungen in aushalten, wenn ihnen jemand mal eine Ansage guter Diagnostik bleibt da einfach ein Geheimnis Erwartungen in dem Moment, in dem du den dem Sinne, dass ich irgendwas erfüllen muss, macht. Dabei ist das nie böse gemeint. Aber wenn bei der Geburt. Das ist eine kleine Wundertüte: Schritt getan hast? dass ich Leistung erbringen muss. Erstmal will er, man zusammen arbeitet, geht es ja um Sicherheit Kinder bringen viel mit an Persönlichkeit. Viele Sr. Jeannette: „Erwartung“ ist natürlich ein dass ich, wie jeder Mensch, glücklich bin, dass ich und Qualität der Arbeit. Da kann man nicht immer Menschen denken, ein Neugeborenes ist überwie- großer Begriff. Für mich war ein entscheidender mich ganz entfalten kann. Das wünscht er sich. Ich nur sanft sein und erklären und alles toll finden, gend ein unbeschriebenes Blatt. Hoffnungen und Punkt, dass ich Sozialarbeiterin war und meinen glaube, erwarten ist nicht das richtige Wort. was jemand macht, der vieles noch nicht weiß. Erwartungen der Eltern gehen viel in die Richtung Beruf in dem Seniorenzentrum geliebt habe. Und Da haben wir als Betrieb Erwartungen. Und die der eigenen Vorstellungen – und die begegnen gleichzeitig war schon diese innere Unruhe da, Ist dann „Erwartung“ generell ein schwieriger werden in letzter Zeit weniger erfüllt. dann oft einer überraschend eigenen Persönlich- ob Gott mich noch weiter ruft. Es gab Situationen Begriff für dich? keit des Kindes. in einigen Zimmern, in denen ich gesehen habe, Sr. Jeannette: Ich denke, es ist ein großer Begriff. Was sind denn Erwartungen, die an den Beruf dass eine Dame ein Kreuz oder einen Rosen- „Warten“ kann ich auch auf den Bus an der Halte- der Hebamme gestellt werden? Haben sich im Lauf der Zeit die Erwartungen der PFARRBRIEF 2/2020 PFARRBRIEF 2/2020 kranz hatte, weshalb ich auch über den Glauben stelle, aber „Erwartungen“ sind für mich eng mit Franka Knauf: Am Anfang geht es primär um die Eltern an die Hebamme verändert? sprechen konnte. Ich habe gemerkt, wie dankbar Hoffnung verknüpft. Das ist was Tiefes. Ich möchte Frauen, die sich meist recht früh, zu Anfang der Knauf: Ich finde, dass das von der Grundtendenz die Damen dafür waren, wie viel Kraft ihnen das eine Hoffnung haben, die nicht an der Oberfläche Schwangerschaft, melden. Ich denke schon, dass her gleich geblieben ist, weil sich an der Geburt gegeben hat. Ich kann den Menschen weder bleibt. Zum Beispiel kann ich hoffen, dass eine sie von einer Hebamme erhoffen und erwarten, selber nichts geändert hat. Viele Sachen drum- die Krankheit noch das Leid und den Schmerz Impfung kommt für Corona, aber ich kenne weder eine kompetente Begleitung zu haben, die unter- herum haben sich aber geändert. Was ich schon 4 nehmen, doch ich kann ihnen Hoffnung geben. einen Zeitpunkt noch kann ich was absehen. Die stützt, die ansprechbar ist, sich Zeit nimmt und sagen würde, ist, dass Frauen unglaublich hohe 5 Ich finde, dass es Menschen braucht, die ihr Leben christliche Hoffnung besteht für mich darin, dass manches Mal auch ein bisschen als Übersetzerin Erwartungen an sich selber haben und diese ganz dafür einsetzen, vom Glauben und von Gott Gott in allem, was wir leben gegenwärtig ist, Kraft fungiert zwischen medizinischen Befunden und auch von außen gestellt werden. Das ist das Bild, zu erzählen. Das zu leben, anderen Menschen hat, lebendig ist. werdender Mutter. das allgemein erzeugt wird: Die Powerfrau, die
TITELTHEMA // ERWARTEN TITELTHEMA // ERWARTEN FRANKA KNAUF Gaevert: Ich will auch gerne wieder arbeiten. meinschaft. In den Jahren habe ich immer mehr braucht, um ein Kind mit großzuziehen. Das musst 53, Hebamme, verheiratet, Mutter Mit Kind. Natürlich nicht sofort, aber irgend- gemerkt, dass da was Größeres und Tieferes du nicht alleine schaffen. von 4 Kindern (3 Töchter, 1 Sohn); wann schon. Da ich jetzt in der Schwangerschaft ist, das mich erwartet, was Gott mir vorschla- 3 Enkelkinder; 30 Jahre im Agnes- nicht arbeiten darf, fällt mir ganz schön die gen möchte. Davon habe ich mich immer mehr Welche Erwartungen hat man an eine Frau viertel gelebt und gearbeitet, seit Decke auf den Kopf. Aber natürlich macht die angezogen gefühlt. Das ist kein gegeneinander in einem klassischen Männerberuf? Erlebst Mai auf Spiekeroog. momentane Schonung Sinn. In meinem Beruf Aufwiegen, sondern jede Berufung ist die Erfül- du Unterschiede im Umgang mit dir und im muss ich schwer heben, viel über Kopf arbeiten lung und die Fülle für die jeweilige Person. Für Umgang mit Männern? SCHWESTER JEANNETTE und laufe immer Gefahr, mit Chemikalien oder mich ist das das Leben, in dem ich mich kom- Gaevert: : In meinem jetzigen Team fühle ich WEGERICH Gas in Kontakt zu kommen. Das würde dem plett entfalten kann. So erfüllen sich ganz viele mich als gleichberechtigtes Mitglied. Aber da ich 35, Schwester in der Gemeinschaft Kind schaden. Erwartungen, aber eben anders, als ich sie vorher im Betrieb meines Vaters arbeite, kennen viele der Dienerinnen und Diener des gesehen habe. mich schon, seit ich ein kleines Mädchen war. In Evangeliums, ursprünglich aus Welche Erwartungen hast du an dich als Mutter? der Ausbildung war es teilweise ganz schön krass. Essen, zum Studium der sozialen Was willst du deinem Kind beibringen oder Mit welchen Erwartungen an dich selber bist Da musste ich schon gegen Vorurteile ankämpfen. Arbeit nach Köln gekommen, mitgeben? du gestartet als Hebamme? Im besten Fall kommen Beschützerinstinkte hoch. dabei über die Jugendpastoral Gaevert: Ich möchte, dass mein Kind Unabhän- Knauf: Für mich war das ein Traumberuf. Ich Sonst allerdings eher Unterstellungen, dass ich die Gemeinschaft kennengelernt; gigkeit lernt – egal, ob es ein Mädchen oder ein konnte vorher schon im Krankenhaus auf Station als Frau weniger kann. In der Berufsschule musste daher 5 Jahre in Argentinien und Junge wird. Gut wäre es, wenn es lernt, mit Geld mithelfen, ‚Sonntagsdienst‘ nannte man das da- ich mir meinen Platz erkämpfen. Das war ziemlich seit 3 Jahren wieder in Köln. umzugehen. Toll wäre es natürlich, wenn es sich mals. Und als ich mit 16, 17 auf die Berufsfindung ungewohnt. Vorher war ich auf einer katholischen für einen handwerklichen Beruf entscheiden zuging, konnte ich mir Hebamme schon irgendwie Mädchenschule und habe eher ‚Mädchensachen‘ VICTORIA GAEVERT könnte. Ich finde, es gibt eh schon so viele, die stu- vorstellen. Dann durfte ich bei einer Geburt dazu- gemacht. 28, Anlagenmechanikerin Sanitär, dieren. Wir brauchen wirklich Handwerker. kommen. So eine richtige Traumgeburt war das, Heizung, Klima; zur Zeit des Inter- Sr. Jeannette: Die Ideale werden auch höher. strahlender Sonnenschein, völlig problemlos, das Gab es mit Männern im Beruf auch grenzwertige views schwanger. Häufig wird in der Gesellschaft vieles idealisiert war so innig, dieser Moment. Ich war so fasziniert Situationen? und das immer mehr, aber wie dann die Realität davon, wie das Kind bei den Eltern landete, so still Gaevert: Brenzlig war es nie. Mich hat nie jemand ist … da wird man oft enttäuscht. und freudig. Das hat mich total ergriffen. Und das wirklich fies angemacht oder vorgeführt. Aber ich hat sich wie ein roter Faden durch all die Jahre konnte mich auch ganz gut durchsetzen. Blöd und War es schwer, Gewohnheiten loszulassen, nach gezogen. Das, was ich mir erhofft hatte, habe ich nervig waren und sind immer wieder Provokati- alles gewuppt bekommt. Hat fünf, sechs Kinder, einer Jugend und Ausbildung, die du nicht im über weite Strecken erleben dürfen und bin darü- onen. Einmal hat mir in der Ausbildung einer vor ist irgendwo im Vorstand, sieht tiptop aus, die Kontext der Gemeinschaft, sondern ‚normal‘ ber sehr glücklich. Kollegen einen Porno gezeigt. Da habe ich zum PFARRBRIEF 2/2020 PFARRBRIEF 2/2020 Kinder sehen zauberhaft aus – und dann sitzt da erlebt hast? Glück gelassen reagieren können. eine Wöchnerin im Wochenbett, zehnter Tag, hat Sr. Jeannette: Klar, meine Erwartung war, Familie Welches Rollenbild wolltest du für deine drei Nächte hinter sich, die ein Albtraum waren, zu haben, Kinder zu haben und Sozialarbeiterin Kinder leben? Und jetzt? alles tut weh. Das muss doch zu Frust führen. Das zu sein. Das war in der ersten Zeit eine ziemliche Knauf: Das Bild einer sehr selbstständigen Frau. Gaevert: Schleppe ich auch Heizkörper. Nur war vor dreißig Jahren nicht anders, aber nicht so Umstellung, da ich auch in meiner Jugend kaum Manchmal vielleicht auch zu selbstständig. Da nutze ich Technik statt Kraft. Gegenüber man- 6 deutlich. Hier können und sollten Hebammen die Kontakt zu Nonnen oder Priestern hatte. Das war mussten die Erwartungen den Erfahrungen be- chen Männern habe ich den Vorteil, dass ich 7 jungen Eltern unterstützen, gut im Familienalltag schon wie das Umlegen eines Hebels, von einem gegnen und daran wachsen. Die Jahre haben mir geduldiger bin und filigraner arbeite. Mein Mann anzukommen – sie stärken und ermutigen, ihren Lebensentwurf, den ich mir ausgemalt hatte, von gezeigt, dass man als Familie sehr viel Unterstüt- sagt, dass ich richtige Männerhände habe. Und eigenen Weg zu gehen. meinem Freund und meinem Beruf, hin zu der Ge- zung bekommen sollte, dass es ein ganzes Dorf irgendwie hat er Recht. Nagellack trage ich erst,
TITELTHEMA // ERWARTEN TITELTHEMA // ERWARTEN seitdem ich wegen der Schwangerschaft nicht ich habe nie die Erwartung gehegt, Karriere zu mehr arbeiten darf. machen; das war mir nicht so wichtig. Wie reagieren Kunden? Findest du Erwartungen eher in dir oder eher Gaevert: Die meisten machen zum Glück keine von außen an dich herangetragen? große Sache daraus, dass eine Frau kommt. Sr. Jeannette: Ich glaube, ich möchte vor allem Allerdings gibt es immer wieder Männer, die mir immer wieder alles von Gott erwarten. Wenn erklären wollen, wie ich meinen Job machen ich äußere Umstände erwarte, wird das schnell soll. Und Männer, die extra sagen, dass „die Frau“ enttäuscht. Also irgendwie beides. Und an mich das nächste Mal bitte nicht mehr kommen soll. selber als Christin, Zuversicht zu haben, weil Gott Bizzel WASSER Andererseits gibt es Frauen – vor allem ältere – die diese Welt gerade in den derzeitigen Umständen sich explizit wünschen, dass ich komme. Sexuelle nicht vergisst und weiter für sie sorgt. Übergriffe habe ich zum Glück auch bei Kunden- terminen noch nicht erlebt. Wenn ich ein mulmi- Franka, du lebst seit dem Frühjahr nicht mehr in ges Gefühl habe, nehme ich trotzdem lieber einen Köln, sondern auf Spiekeroog. Was erwartest du Kollegen oder Azubi mit. momentan? Besuch vom dreijährigen Nachbarskind, und ich schenke mir Was- Knauf: EEinen guten Winter auf der Insel, ankom- ser ein. Volle Aufmerksamkeit schon beim Aufdrehen des Deckels. Und wie wird es weitergehen? Wirst du den men, zur Ruhe kommen. Und irgendwie erhoffe Dieses plötzliche Zischen. Wie es klingt, wenn Wasser und Kohlen- Betrieb übernehmen? ich das auch im Großen, für die Gesellschaft: dass säure im Glas herumwirbeln. Und dann das Funkeln der Luftblasen Gaevert: Ja, das ist so geplant. Mein Vater wollte sie nicht auseinander knallt. im Sonnenlicht. sich sogar schon ab übernächstem Jahr so lang- sam zurückziehen. Da ist jetzt meine Schwanger- So spannend, dass sie ihre Schorle vergisst, die ich wie üblich mit schaft dazwischengekommen. Ich will auf jeden stillem Wasser gemixt habe. Stattdessen müssen wir schauen. Mit Fall das erste Jahr zu Hause bleiben. Vielleicht dem Finger den Blasen folgen, die sich nach oben schieben und Montagsgeschichten Gebetszettel aus der auch länger. Und wer weiß, vielleicht werde ich Gebetswand in St. Agnes, dort platzen. Muss ich diese seltsamen Wörter langsam sagen, bestellen: dann auch noch einmal schwanger. Ich will das siehe Seite 15. damit sie sie andächtig wiederholen kann. Sprudelwasser, Kohlen- Diese und andere Montags- auf mich zukommen lassen. säure, Bläschen. geschichten gibt es auch als Grußkarten – vorne das Foto, Wie ist das mit den Karriereaussichten einer Und dann diese Mischung aus Skepsis und Neugier, mit der sie das ganz hinten der Text und in PFARRBRIEF 2/2020 Schwester in der Kirche? Glas ansetzt, vorsichtig nippt. Es wieder absetzt und ausnahmsweise der Mitte viel Platz für eigene Sr. Jeannette: Der Begriff passt einfach nicht sehr vorsichtig abstellt. Strahlen, Kichern und ein Wort: „Nochmal!“ Geschichten oder Grüße für in die Kirche. Auch wenn ich einen Posten mit einen lieben Menschen. Zu höherer Verantwortlichkeit übernehme, ist das bestellen unter: keine Karriere. Wir bezeichnen das als Dienst. Aber www.carolindoermbach. 8 Noch mehr Montagsgeschichten? de/meine-angebote/ 9 www.montagsgeschichten.de publikationen
TITELTHEMA // ERWARTEN TITELTHEMA // ERWARTEN WillKOMMEN?! Kirchen mit weit offenen Türen, Menschen, die sich willkommen fühlen: Das ist das Ziel des im Herbst 2020 angelaufenen Projektes ‚Kirchenempfang in den romanischen Kirchen‘. Ansprechpartner Thomas Zalfen erzählt von unter- schiedlichen Blickwinkeln. Text: Hilde Naurath erfreulichen Motiven in so ein respektheischen- Fotos: Silvia Bins, Hilde Naurath des Bauwerk voller Kostbarkeiten. Es gibt sie, die handfesten Gründe für die Anwesenheit von Die Kirchengäste aufmerksamen Menschen. In St. Kunibert ist von Die beiden romanischen Kirchen St. Kunibert und St. Ursula der Agnesgemeinde sind beim Kirchenempfangsprojekt mit dabei. Menschen, die in eine Kirche kommen, erwarten der Statue des heiligen Antonius das Jesuskind ganz Unterschiedliches. Manche kommen zum gestohlen worden; für die Gemeinde ein schmerz- Gebet, zum Stillwerden, manche aus kunsthistori- hafter Skandal. Respektlosigkeit und Vandalismus bildet sich auch dort gerade ein Team, das den gen wiederum sind laut Zalfen ebenfalls recht schem Interesse, manche wollen in Ruhe gelassen sind ebenfalls ein Problem, vor allem in Kirchen Kirchenempfang gewährleisten will. unterschiedlich. Es seien oft Menschen „jenseits werden, manche treten ganz ohne Erwartungen mitten im Innenstadtgewühl wie St. Aposteln, Das Anliegen des Kirchenempfangsprojekts ist des Gemeindehorizontes“, oft kurz vor der Rente ein und sind fasziniert, wenn ihnen erklärt wird, wie St. Andreas oder der Minoritenkirche, in denen es demnach, noch mehr Menschen für dieses oder gerade verrentet, nicht unbedingt religiös, sich teils jahrtausendealte Geschichte in einem Got- Drogensüchtige und andere Störer schon mal Ehrenamt zu begeistern. Es legt den Fokus dabei sondern beispielsweise kunsthistorisch interes- teshaus manifestiert. Was aber so gut wie gar nicht pöbeln und urinieren. Auch St. Agnes machte weniger auf die Aufsicht denn auf den Empfang. siert; manche hätten persönliche Bezüge zu einer erwartet wird? Ein Willkommen. Ein freundlicher bereits Bekanntschaft mit Zeitgenossen, die sich Ehrenamtliche „voller Offenheit“ sollen dort Kirche wie über ihre Taufe oder Eheschließung. Kirchenempfang. Das ist höchstens aus anderen mit Schmierereien und sonstigen Hinterlassen- präsent sein, wohin auch nur entfernt Kircheninter- Viele wollten zwei Stunden pro Woche etwas für Ländern bekannt: „Wenn da jemand ist, der sofort schaften unrühmlich hervortaten. essierte kommen, die vielleicht mit Öffnungszeiten „ihre Kirche“ tun. Im Gegenzug hat der 48-Jährige sagt: ‚Hut ab!‘ kommt das anders an als jemand, von Pfarrbüros nichts am Hut haben, die sich aber ihnen ein „Rundumprogramm“ zusammengestellt: der sagt: ‚Schön, dass Sie da sind. Schauen Sie So gibt es nicht erst seit dem Kirchenempfangs- jedenfalls willkommen fühlen sollen. „einen einführenden Infoabend, einige Lehrein- sich gerne um‘“, berichtet Thomas Zalfen. Er ist projekt ehrenamtliche Kirchenmitglieder, die heiten zum ‚Sichermachen im Dienst‘ inklusive PFARRBRIEF 2/2020 PFARRBRIEF 2/2020 Pastoralreferent im Sendungsraum Köln-Mitte mit nach dem Rechten schauen und Besuchern mög- Das Kirchenempfangsprojekt Gesprächsführung und Umgang mit schwierigen Schwerpunkt an St. Gereon und erzählt vom neuen lichst weiterhelfen. In der Kunibertsbasilika küm- Das Motto des Kirchenempfangsprojekts lautet Menschen, ein Erste-Hilfe-Kurs, eine Einführung ‚Kirchenempfang‘. Gerade in der Coronazeit, im mert sich seit geraumer Zeit ein gutes Dutzend dementsprechend: „Es ist schön, willkommen zu in romanische Kirchen sowie eine Hospitation bei Lockdown, hat er Wert auf offene Kirchentüren und Ehrenamtlicher darum, dass die Kirche täglich sein.“ Zunächst stehen die 12 großen romanischen einem ‚alten Hasen‘“. Er plant zudem einen eige- einladende Schilder gelegt. In der Folge kamen von 10 bis 18 Uhr geöffnet sein kann. In St. Ursula Kirchen im Mittelpunkt, für die Köln auch weltbe- nen Dankeschöntag in ihrer Kirche, an dem nur für 10 bereits mehrere Menschen hereinspaziert und schützt auch das Gitter vor dem Hauptschiff vor rühmt ist. Insgesamt haben sich auf einen Aufruf sie „alle Türen offen“ stehen, also „alle Schränke, 11 erzählten, sie wohnten nebenan, sie guckten immer unerwünschten Besuchern – hindert aber gleich- knapp 90 Interessierte gemeldet, vor allem für die Galerie, der Glockenturm“. Eine Textilfachfrau auf die Kirche, waren aber noch nie drin. zeitig Interessierte daran, im Innenraum zu beten St. Andreas und St. Maria im Kapitol; für St. Ursula und ein Kirchenhistoriker erläutern dann all die Manche Menschen kommen auch mit weniger oder ihn kennenzulernen. Erfreulicherweise sieben und für Kunibert fünf. Deren Erwartun- Schätze, die sich da auftun. Selbstverständlich ist
TITELTHEMA // ERWARTEN TITELTHEMA // ERWARTEN so eine Anerkennung allerdings nicht, das ist dem Theologen nur zu bewusst. Er wird nachdenklich. „Der Umgang mit Ehrenamtlichen ist ein Thema. Gott sei Dank nur Ausnahmen, aber sie zeigen: Ein Kulturwandel ist dringend nötig. Und es tut uns als Gemeinden und unseren Kirchen gut, wenn Stell dir vor, In einer Kirche ist es schon passiert: Ein alter Hase und ein Neuer hatten sich verabredet. Sie kamen sich Menschen engagieren, die einen anderen Blick mitbringen!“ DIE KIRCHE MACHT AUF! zur Kirche, und dann war da ein Gottesdienst. Der Alte war perplex, der Neue verwundert: Sie konn- Und andere Blicke, andere Blickwinkel – davon ten ihren Dienst nicht tun. Niemand hatte sie infor- können unsere Kirchen, kann unsere Kirche noch Eine Gemeinde(neu)gründung an St. Michael am Brüsseler Platz miert. Das ist kein Respekt, keine Wertschätzung. viele gebrauchen! mit Lisa Brentano und Uli Merz. Ich erwarte, dass unsere Kirche Ehrenamtliche mit ins Boot holt und über Abläufe informiert. Das ist eine Erwartung an das System. Die Beispiele sind Text & Fotos: Uli Merz Das Belgische Viertel gehört zu den angesagtesten Orten in Köln. Alternative, Innovative und Sinn- Möchten Sie Ihrer Kirche ein Gesicht suchende wohnen und arbeiten hier. Das Veedel geben? Informationen zum Kirchen- ist sehr lebendig. Der Brüsseler Platz, der be- empfang in den romanischen Kirchen herrscht wird von der drittgrößten Kirche Kölns, Kölns erhalten Sie von Thomas Zalfen, St. Michael, ist immer voll. Die Kirche ist immer 0176 45 62 11 25 oder kirchenemp- leer. Direkt neben der Kirche ist ein Spielplatz, der fang@katholisch-in-koeln.de oder von vielen Familien besucht wird. Hier ist Poten- Lisa Brentano im Gespräch. www.katholisch-in-koeln.de/mitma- tial! Gemeindliches Leben? Bis auf den verbliebe- chen/kirchenempfang nen Seniorenklub: Fehlanzeige! Klar ist, dass eine Gemeindeneugründung mitten im Belgischen Veedel nicht mit den klassischen Es gab Initiativen gegenzusteuern. Art & Amen katholischen Formaten gelingen wird. Denn die oder 922m2, die gut, aber nicht nachhaltig waren. wurden ja jahrzehntelang angeboten und waren Es gab Ausstellungen und Aktionen, die St. Micha- offensichtlich nicht anschlussfähig. el als Veranstaltungsraum bekannt machten. Die Bedeutung als Ort gelebten Glaubens verschwand Also ganz neu denken. Wer wohnt hier? Was er- PFARRBRIEF 2/2020 PFARRBRIEF 2/2020 aus dem öffentlichen Bewusstsein. warten Leute von einer Gemeinde? Woran können sie sich andocken? Was tun? Entweder wir geben den Ort auf oder wir starten einen ernsthaften Versuch, das Ruder Ergebnis und Vision rumzureißen. Und genau das versuchen wir jetzt. So ein ‚altbackener‘, gewöhnlicher Name wie 12 Eine Gemeindeneugründung. Im Bereich von St. Michael schafft nicht viel Aufmerksamkeit. 13 katholischer Kirche echte Pionierarbeit und eine Ein Name muss her, der ein Statement ist und große und tolle Herausforderung. neugierig macht: Kirche für Köln! Gebetszettel aus der Gebetswand in St. Agnes, siehe Seite 15.
TITELTHEMA // ERWARTEN TITELTHEMA // ERWARTEN Wir haben 6 Leitbilder entwickelt, ausgehend von sauber erklären und vor allem deren Bedeutung Aber nichts ersetzt direkte Begegnungen. Seit Joh 13,34-35: „Ein neues Gebot gebe ich euch: für das eigene Leben aufzeigen. Erkenntnisgewinn September gibt es einen Alphakurs. Das ist ein Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so für Herz und Hirn. Glaubenskurs. Mit leckerem Essen, Vortrag und sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle Austausch. Toll! erkennen, dass ihr meine Jünger seid ...“ Wie an Menschen kommen? Wir suchen Leute, die für diese Art von Gemeinde Ein zweiter Baustein: Mystic Yoga. In der Krypta In den Leitbildern wird deutlich, dass wir aus- brennen! Für das Welcometeam, für Technik und von St. Michael findet christliches Yoga statt. Mit drücklich auch für diejenigen eine geistliche Catering. Wir suchen Musiker*innen, Leute, die aramäischen Mantren. Ein innovatives Instrument Heimat werden wollen, die sich viel zu lange nicht was mit kleinen Gruppen starten wollen! der Evangelisierung. Großartig! willkommen und stigmatisiert gefühlt haben. Z.B. homosexuelle Menschen oder wiederverheiratet Wer Leute kennt, die religiös neugierig, aber Mit #machet wollen wir ein caritatives Aushänge- Geschiedene. skeptisch sind, darf sie gerne auf Kirche für Köln schild der Gemeinde entwickeln. Ein einprägsames Logo, mit dem wir auf dem aufmerksam machen. Wir werden viel Unterstüt- Markt der religiösen Anbieter mithalten und die Wir wollen Engagement ermöglichen, zung brauchen! Unsere Internetseite: www.kirchefuerkoeln.de sozialen Medien gut bespielen können, brau- neue Dienste etablieren. Ruf gerne an, wenn du Fragen hast: 0170 6063061 chen wir. Mit bunten Schnipseln, die wie Konfetti Wer die Kirche betritt, trifft auf einen Welcome- Wir versuchen, über Facebook und Instagram aussehen, aber auch an die bunten Kirchenfenster Point. Wir wollen eine freundliche Willkommens- Kirche für Köln zu platzieren. Youtube soll folgen. von St. Michael erinnern. So bunt, wie wir uns die kultur etablieren. Daneben ist ein Barbereich. Hier Gemeinde wünschen. gibt es Getränke und kleine Snacks. Gebetswand in Ein Motto: Stell dir vor, die Kirche macht auf … In den Seitenschiffen gibt es Sitzecken. Wohnzim- und jeder geht hin! meratmosphäre in der Kirche. Der erste Teil ist bewusst doppeldeutig: Zum einen sollen unsere Türen, so oft es geht, offen Beherrscht wird der Kirchenraum von einer Bühne, hinter der ein 12 Meter hoher Theatervor- St. Agnes sein. Alle, die möchten, können hingehen. hang den Kirchenraum vom dahinterliegenden Sakralraum abgrenzt. Hier wollen wir die Gottes- Seit dem ersten Lockdown Noch wichtiger ist die zweite Bedeutung im dienste feiern. Die Bänke sind raus, die Reihen vor liegen in der Turmhalle von St. Sinne von: Kirche öffnet sich für die Realitäten der Bühne sind bestuhlt. An Traversen hängen Agnes Steine. Menschen können PFARRBRIEF 2/2020 PFARRBRIEF 2/2020 des Lebens. Jeder Mensch ist Adressat der Liebe ein Beamer, eine Leinwand und viele Schein- Gebete, Wünsche und Gedan- Gottes. Die Konsequenz sollte sein, dass wir ohne werfer. Unsere kirchenmusikalische Ausrichtung ken auf kleine Zettel schreiben, Schere im Kopf offen sind für Menschen mit ihren ist Worshipmusik (christliche Popmusik) in ihrer diese zusammenrollen und in unterschiedlichen Lebensrealitäten. Wir denken klassischen und in ihrer modernsten Form. Da kleine Löcher in den Steinen Katholischsein nicht eng, sondern weit. können viele andocken. Gepredigt wird mindes- schieben. Inzwischen sind über 14 tens eine halbe Stunde. Das hört sich für katholi- 700 Zettel zusammengekom- 15 Mit Lisa Brentano und mir haben eine Frau und sche Ohren viel zu lange an. Aber langweilig wird’s men. Eine Auswahl haben wir im ein Mann die geistliche Leitung gleichberechtigt nicht. Unterstützt mit einer ‚Powerpoint‘ und in Heft abgedruckt. inne. Ein Statement! ‚normaler‘ Sprache wollen wir Inhalte theologisch
TITELTHEMA // ERWARTEN TITELTHEMA // ERWARTEN KACKPLATZ oder Kirchgarten? Michael Lakermann setzt sich für das Wildblumenprojekt rund um die Agneskirche ein. Text & Fotos: Hilde Naurath Handschwinge eines Habichtweibchens beschrei- ben kann, zu einer detaillierten Problemanalyse Prolog und Lösungssuche. Lakermann nennt weitere Un- An einem lauen Sommerabend vor der Sakristei terstützer: der NABU Köln ist dabei, der Umwelt- der Agneskirche. Michael Lakermann, der Pfleger beauftragte des Generalvikariats steht mit Rat und der Grünflächen rund um das Gotteshaus, klagt Tat zur Seite, es gibt Mitstreiter im Kirchenvorstand sein Leid. „Hier, diese Orchidee, habe ich heute und in der Gemeinde, die wiederum Kontakte in So könnte es hier aussehen: Michael Lakermann zeigt eine Vorzeigewiese – nicht an St. Agnes. entdeckt. Eine Seltenheit. Unglaublich, dass sie die städtischen Gremien pflegen. hier blüht. – Ich gehe davon aus, dass sie morgen, das auch noch bei zunehmend heißen, trockenen es wird im Gegenteil schlimmer mit dem Müll und übermorgen zertrampelt ist.“ Idee und Wirklichkeit Sommern. Nun gibt es auf der Sonnenseite im den Kothaufen. Er hat schon erklärt: „Ich bin raus.“ Die Wiese vor seinem eigenen Haus einige Westen Wildblumenrasen, am Schattenstandort Daraufhin wurde er gefragt: „Was muss passieren, Eine Arbeit verrichten, bei der man davon hundert Meter weiter hat Lakermann zu einem hinter dem Schaukasten einheimische Waldpflan- damit das Projekt weiterlaufen kann?“ ausgeht, dass ihre Blüten im wahrsten Sinne Vorzeigegarten gestaltet, stolz zeigt er einen zen, hinter dem Chor den „Krötenkreis“ und an der des Wortes zerstört werden? Wieso? Das Thema Artikel im katholischen Magazin Theo, auf dem er Sakristei den Schriftzug „Liebe gewinnt“ aus Efeu. Störeinflüsse dieses Pfarrbriefs war geboren: Was erwarten inmitten eines Blütenmeers zu sehen ist. „Das ist Die Pflege ist arbeitsintensiver als geplant, aber Es kann nicht die eine große Lösung geben, das wir eigentlich? ein 80–90%-Niveau, das ist ein superklasse Foto“, das ist okay. Nicht okay aber ist, wie mit diesen ist dem Analytiker glasklar, und so benennt er vier weil es die Schöpfung als Gesamtkunstwerk zeigt, Beeten umgegangen wird. Rund um Agnes gibt Hauptstöreinflüsse sowie kleinere Störfaktoren. Der Pfleger und genau da wollte er auch mit Agnes hin. Vor es nur ein „10–20%-Prozent-Niveau“, und dann Das größte Problem sind demnach die Vertreter PFARRBRIEF 2/2020 PFARRBRIEF 2/2020 Dr. Michael Lakermann ist in der Agnesgemein- vier Jahren hat er mit Subsidiar Bernhard Wagner nimmt der 60-Jährige kein Blatt mehr vor den einer Spaßgesellschaft, die als Wildpinkler traurige de kein Unbekannter. Seit der Zeit von Pfarrer dazu gesprochen, der die „tolle Idee“ sofort Mund. Drei Jahre lang hat er Scheiße weggeräumt, Bekanntheit erlangt haben und von denen einige Hans-Ulrich Wiese ist er in der Gemeinde aktiv, die unterstützt hat, er hat die Stadt Köln einbezogen, im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn er mit Was- nicht nur pinkeln, sondern auch koten, die sich jeweiligen Pfarrer, das Pastoralteam, die Gremien, der die Flächen gehören, und er hat beim NABU serschläuchen über die Wiese zieht, dann zieht er jedes Jahr aufs Neue in der warmen Jahreszeit am die Gemeindemitglieder, man kennt sich. Der Köln angefragt, der gleich dabei war. Gemeinsam sie durch braune, auch menschliche Hinterlassen- Büdchen gegenüber treffen und sich an der Kirche 16 promovierte Chemiker hat sich als Habichtexperte wurde das Projekt „Wildblumen für St. Agnes“ mit schaften, das erkennt er nicht nur an dem weißen erleichtern, im Corona-Sommer noch einmal 17 einen Namen gemacht, und in seiner Darstellung heimischen Pflanzen geschaffen, die sich auf dem Papier, das „Fifi nun mal nicht benutzt.“ Das Prin- drastisch mehr als sonst. Das zweitgrößte Problem des Agneswildblumenprojekts mischen sich die mit Bauschuttresten durchsetzten, sandigen und zip, Müll wegzuräumen, sodass es im Laufe der sind Eltern, die ihre Kinder nicht mehr anleiten, Akribie und die Leidenschaft, mit der er die vierte humusarmen Boden durchsetzen können, und Zeit weniger Müll gibt, es funktioniert hier nicht, die ihnen kein Benehmen beibringen. Die Kinder
TITELTHEMA // ERWARTEN TITELTHEMA // ERWARTEN „pflücken nicht mehr, sie reißen Blumen“, und hat, finden sich Eisbecher, viele weggeworfene eine kleine Zaunlösung und eine große, billigere zudem rennen sie über die Beete und trampeln Eisbecher rund um Agnes. und teurere, die zum Selbermachen, die Profi- sie kaputt. Die namensgebende Kröte aus Ton im umsetzung, die auf zwei oder drei Seiten, enger Krötenkreis hat er umsiedeln müssen, weil sie ein Lösungsansätze oder weiter, höher oder niedriger, mit Staketen, Kindermagnet und dementsprechend alles um Die verschiedenen Probleme und Beete benötigen Stabgitter, Drahtgitter, Edelstahl – jede Variante sie herum niedergetreten gewesen war. An dritter je eigene Lösungsansätze, auch das ist eindeutig. ist mit Vor- und Nachteilen bereits fertig aus- Stelle kommen Hundehalter mit Hunden, die Eine erste Methode ist Aufklärung, mit den Störern gearbeitet. Seinen Vorschlägen entgegen steht ebenfalls pinkeln und koten und kaputttrampeln. sprechen – bei der Hundehalter-Community hat die Meinung, dass es „keine Zäune um Kirchen“ An vierter Stelle, und darauf legt Lakermann Wert, das einigermaßen geklappt, die Masse an Hunde- geben solle, doch diese Ansicht teilt Lakermann erst an vierter Stelle kommen bei ihm als Problem kot ist zurückgegangen. Bis zu einem gewissen Grad ganz und gar nicht, zudem sind quasi alle Kölner die Obdachlosen, die viele sofort an erster Stelle klappt die Ansprache auch bei Eltern und ihren Kirchen umzäunt: Bei St. Gereon ist der Zaun zu nennen würden. Aber mit den Obdachlosen lässt Kindern; wenn er erklärt, wie Margeriten einzeln niedrig, da heben die Halter ihre Hunde drüber, sich reden, über „Liebe gewinnt“ kommt man gepflückt werden können, ist Verständnis da – aber bei St. Mauritius ebenso zu niedrig, Ergebnis: Wo gepinkelt wird, da wächst nichts mehr. schnell ins Gespräch, und ein polnischer Obdach- gegen die gesellschaftliche Entwicklung der Un- „zugekackt ohne Ende“, aber St. Michael auf dem loser hat ihm gesagt, „in Polen pinkelt keiner an achtsamkeit kommt er nicht an. Sowieso, er kann Brüsseler Platz, der sensibelste Punkt überhaupt, das Haus Gottes.“ Miteinander reden, das ist schon und will nicht als Oberaufpasser patrouillieren. mit Klo und angemessenem Zaun, dort sind die Terrasse vor der Sakristei könnte die Gemeinde ein erster Lösungsansatz, aber zunächst gibt es Grünflächen in gutem Zustand: der Beweis, dass dabei auch gleich wieder aufgreifen, „diese Idee noch weitere Störfaktoren, vereinzelt und traurig- Als Abhilfe gegen die Wildpinkler strebt er – ge- es geht. ließe sich wunderbar mit dem angedachten kurios. Da ist die Dame, die auch im Sommer im meinsam mit Mitstreitern – ein Toilettenhäuschen Kirchgarten vereinbaren und dann könnten im Pelzmantel herumläuft, die sowohl in der Kirche an. Dafür ist die Stadt zuständig, mit der der Erwartungen und Traum Sommer Sitzungen aus dem Borromäussaal als auch drumherum die Begonien, nein, alle Kontakt auf verschiedenen Ebenen läuft, die aber Lakermanns Erwartungen sind bescheiden. Falls nach draußen verlegt werden.“ Seine Augen Blüten pflückt, und zwar – für ihre Gesichtsmas- grundsätzlich dagegen zu sein scheint, weil ein sich jemand anderes für die Arbeit findet, übergibt fangen an zu glänzen: „So ein Garten, das ist ja ken. Da sind die circa 13–16-jährigen Halbstarken, Toilettenhäuschen die Situation zementiere und er sie gerne sofort, geordnet und mit Freude. Noch auch ein Stück Seelsorge – seit dem Garten Eden die die Baumstämme, die die Beete begrenzen, noch mehr Leute kommen würden. aber setzt er sich für die Sache ein. Noch fleht steht ein Garten ja auch für die Sehnsucht des herumwerfen – und die alles, was senkrecht steht, er geradezu um Abhilfe: „Ich plädiere für einen Menschen nach Gott! Im Garten Gottes gibt es herausreißen. Das Kreuz an der Ostseite wird Schließlich bringt Lakermann Zäune ins Spiel, vernünftigen Minimalschutz!“ Am Anfang vielleicht ein 100%-Niveau! Und es wäre doch ein klares als Klettergerüst genutzt, und seitdem an der und zwar nicht etwa als vage Idee, sondern ver- wie an Herz Jesu am Zülpicher Platz mehrere Zeichen der Seelsorge, sich dem anzunähern!“ Er Straßenecke gegenüber die Eisdiele aufgemacht schiedene, detailliert durchdachte Zaunlösungen, Hinweisschilder gegen Urinieren an die Kirchen- gerät endgültig in Fahrt: „Und Schutz und Pflege, wand, vielleicht Stabgitterzäune um die brachen Sorgfalt und Rückzugsräume brauchen wir! Und PFARRBRIEF 2/2020 PFARRBRIEF 2/2020 Pinkeleckenbeete. das gilt natürlich nicht nur für die Außenanlage einer Kirche, sondern erst recht für ihr Inneres Das Bild von der Theo aber zeigt: Sein Traum ist – und auch für das Innere unserer Seelen! Das größer. Sein Traum ist ein geschützter, artenrei- gehört zusammen!“ Und man glaubt es ihm cher Kirchgarten, ein Rückzugsraum für Pflanzen endgültig: Ein circa 90%-iger Kirchgarten wäre 18 und Menschen: „Ich wäre der erste, der sonntags ein großes Stück Seelenpflege auf Erden. 19 nach der Messe die Leute hineinlässt und gerne auch die Eigenarten von Nelkenwurz, Waldzwenke Die Orchidee damals hat übrigens eine knappe und Buschwindröschen erklärt.“ Die Idee einer Woche überlebt.
TITELTHEMA // ERWARTEN TITELTHEMA // ERWARTEN » DIE Kirche KANN IN In den Gemeinden hängt es von den persönlichen Bindungen und Kontakten ab, wie gut Kirche funktioniert, denn eine funktionierende Gemeinde DER CORONAZEIT PUNKTEN « kann auch ihre Rebellen besser halten. In einer Studie Ihres Institutes empfehlen Sie, auch Menschen anzusprechen, die nicht mit Sabine Loch, Psychologin beim Rheingold Institut in Köln, der katholischen Messe aufgewachsen sind. unterhielt sich mit Georg Thünemann über Kirche und Corona. Spirituelle Handlungen sollen erläutert werden und moderne Ausdrucksformen darin einfließen. Sabine Loch, Psychologin und Senior Erreicht die spirituelle Sprache der Pfarrer und Research Consultant beim Rheingold Text: Georg Thünemann von Krankheit, Verlusten, nahendem Ende noch- der Bischöfe heute noch die Menschen? Wie muss Institut in Köln, war für das Erzbistum Fotos: Rheingold Institut, Klaus Nelißen mal präsenter. Nämlich in der Auseinandersetzung die Sprache der Kirche sein, damit sie Menschen Köln für die Studie ‚Warum in der Kirche mit der Frage: Was kommt dann? Das wäre dann heute erreicht? bleiben?‘ (2018) mitverantwortlich. Sie Was hält moderne Menschen in der Kirche, der Faktor „erlösende Kirche“, der zum Lebensen- Für eine spirituelle Beeindruckung braucht es betreut darüber hinaus weitere Befra- speziell Frauen und Alleinstehende? de hin stärker Gewicht bekommt. natürlich auch eine Sprache und Rituale, die dies gungen in den Bereichen Glauben und Familien sind über ihre großen Lebensereignisse inszenieren. Die müssen gar nicht auf Anhieb Religion. sehr stark an die Kirche gebunden. Da sind die Wie könnte denn die katholische Kirche die Men- verständlich und nachvollziehbar sein, denn es großen Inszenierungen rund um die Themen schen halten? Was muss da sichtbar werden? geht ja darum, zu beeindrucken. Aber natürlich Heirat, Taufe und Kommunion. Ihnen bietet die Bevor die Leute austreten, passiert immer noch- muss auch jemand da sein, der den Laien Rituale Kirche sehr viel. Das entgeht natürlich den Singles mal was an Auseinandersetzungen. Die Leute, die erklären kann. Nicht jeder erlebt diese spirituellen und manchmal auch den Paaren, die nicht mehr schimpfen, sind noch gebunden. Diese Auseinan- Handlungen und weihevollen Worte von Kindheit auch nochmal zeigen, wer sich mit zunehmenden heiraten. Und da gibt es in den mittleren Lebens- dersetzung kann und sollte geführt werden, um an. Es gibt auch Quereinsteiger, Menschen, die Beschränkungen traut, trotzdem in Kontakt zu jahren eine große Spanne, wo gerade diese Leute Menschen zu halten. Einmal im übergreifenden aus anderen Ländern herkommen, Menschen, die treten. Im Frühjahr haben sich viele nicht getraut, häufig keine enge Bindung mehr an die Kirche Zusammenhang, was die großen Strukturen der sich eventuell auch im Erwachsenenalter nochmal was vermutlich schlichtweg daran lag, dass auch haben, es sei denn, sie sind tatsächlich in eine Institution Kirche betrifft, aber natürlich auch in entscheiden, katholisch zu werden. Auch die müs- kirchliches Personal Angst vor Corona hat. Gemeinde sehr gut eingebunden und vielleicht den Gemeinden mit den Pfarrern. sen hereingeholt werden. Deshalb muss es auch sogar kirchlich engagiert. möglich sein, Rituale, Handlungen und weihevolle Im Umgang mit der Coronakrise gibt es Men- Diejenigen, die rebellieren gegen Kirche, die sind Worte auf eine Alltagssprache herunterzubrechen. schen, die haben sehr darunter gelitten, dass die PFARRBRIEF 2/2020 PFARRBRIEF 2/2020 In dieser Lebensphase kann die „fürsorgliche vielleicht auf halbem Weg im Begriff zu gehen. Beides ist notwendig und beides hat seinen Platz. Kontakte eingeschränkt wurden. Andere haben Kirche“ eine wichtige Rolle spielen. Sie bietet Aber sie sind mit einem Bein noch da und können davon profitiert, nämlich die, die sich nicht so einerseits die Möglichkeit, sich zu engagieren, und noch gehalten werden, wenn man sich auf ihre Wer hat bislang in der Krise besser reagiert, viele Kontakte wünschen. Die hatten endlich mal andererseits in bestimmten Lebenskrisen Angebo- Kritik einlässt. Das heißt, Auseinandersetzung ist die Katholiken oder die Protestanten? Haben die Freiheit, sich zurückzuziehen mit einer guten te und Unterstützung. wichtig, Entgegenkommen ist wichtig. Sie beobachtet, wer besser auf die Menschen Rechtfertigung und es sich zuhause so richtig 20 zugehen kann? gemütlich zu machen. Diese beiden Gruppen gibt 21 Zum Lebensende hin wird es dann wieder für alle Das ist meiner Meinung nach auch das Motto, Hier kann man nicht zwischen katholisch und es natürlich auch beim kirchlichen Personal. Es relevant. Alle, die irgendeine Form von Religiosi- unter das man die Auseinandersetzung mit evangelisch unterscheiden, denn das ist stark gibt Menschen, denen kommt es entgegen, dass tät, von Glauben pflegen, wird dieser in Phasen Maria 2.0 stellen könnte. von einzelnen Gemeinden abhängig. Es wird sich man nicht viel darf. Die werden jetzt sicherlich
TITELTHEMA // ERWARTEN TITELTHEMA // ERWARTEN nicht alles offen halten und viele Kontaktange- sind erlaubt. Hier kommen Menschen sowieso kurrenz. In Corona-Zeiten kann man die großen bote machen. Sie haben einen guten Grund zu zusammen, warum also nicht auch diesen Raum Feste natürlich nicht so feiern, die großen Ereignis- sagen, nein, das mache ich nicht. Dann gibt es zum Austausch ermöglichen? Da müsste man se nicht so pompös begehen. Aber solange noch aber andere, denen ist das selber wichtig und die auch mal auf unkonventionelle Ideen kommen. Messen und Gottesdienste möglich sind, ist etwas wissen, dass es auch für die Gemeinde wichtig möglich. Taufen und Hochzeiten können trotzdem ist, Kontaktangebote aufrechtzuerhalten. Das Die Menschen suchten in diesen ungewissen Zei- gefeiert werden. sind die Gemeinden, die besser durch die Krise ten Orientierung, sie erlebten sich als verletzlich, begleiten. sterblich und trostbedürftig. Wie kann die Kirche In diesen Zeiten sollte man eher versuchen, diese Menschen abholen, wenn persönliche die Zweier-Kontakte stärker zu fördern und die Für viele Jugendliche sind in den letzten Monaten Begegnungen vermieden werden sollen? Gottesdienste zu nutzen, um untereinander etwas coronabedingt Treffpunkte geschlossen worden. Die Ich denke gerade jetzt an die alten und an die entstehen zu lassen. So bekommen die Menschen unter freiem Himmel, dann wird man von solchen weichen jetzt auf Parks und auf private Treffen aus. einsamen Menschen, die häufig in den Gottes- ein bisschen Trost und Stärkung im Alltag besonderen Ereignissen bestimmt jahrzehntelang Denn es ist für Jugendliche doch eine elementare diensten zu finden sind und die die Messen auch sprechen. Dies zu inszenieren ist doch großartig. Lebensaufgabe: rausgehen, Welt kennenlernen, für ihre Tages- und Lebensstruktur unbedingt Wenn die Kirche, die eigentlich ein Lebensbeglei- Menschen kennenlernen, Paarungspartner finden. brauchen. Da ist es wichtig, eins zu eins Kontakte ter ist, in der Krise nicht präsent ist, dann ist das Ich glaube ansonsten, für den Alltagsbetrieb und zu organisieren. Das muss nicht alles vom Pfarrer ein Armutszeugnis für eine Kirche? die sonntäglichen Messen, dass Menschen, die Warum also in dieser Zeit einen Gottesdienst nicht selbst ausgehen, das können auch Helfer der Die Kirche muss jetzt bis an die Grenzen des ängstlicher sind und sich Sorgen machen, derzeit auch zum informellen Austausch nutzen? Messen Kirche übernehmen. Wichtig ist, sich zu vernetzen, Möglichen gehen, was an Kontakten zugelassen wegbleiben. Aber alle anderen bekommt man gut analog bzw. nicht nur online. Online wird man ist. Die Kirche kann sich jetzt nicht zurücklehnen eingefangen. Für die Sensitiveren unter denen, viele nicht erreichen. Tatsächlich kann online und sagen: „Wir machen mal Pause – wenn es die kommen, ist es wichtig, dass Hygienekonzepte analog nicht ersetzen, weder in der sinnlichen Be- vorbei ist, dann sind wir wieder da.“ Nein, Kirche in einem freundlichen und sehr klaren Modus eindruckung noch auf der zwischenmenschlichen ist Krisenbegleiter. abgebildet werden. Unaufgeregt, aber klar. Also Ebene. Das ist ein ganz anderer Modus, in dem keiner, der dann Hektik verbreitet und anfängt, man da unterwegs ist. Neue Hygieneregeln, Social Distancing und digi- Leute wegzuschicken oder herumscheucht, son- tale Kommunikationsformen haben die gesamte dern Markierungen auf dem Boden, klare Schilder, Angesichts von Covid-19 christliches Profil zu Gesellschaft seit März 2020 vor neue Herausfor- eine freundliche Ansprache mit ein bisschen zeigen, bedeutet zuallererst, menschliche Nähe derungen gestellt. Was ist mit Leuten, die aktuell Humor. Eine Maske mit einem Smiley drauf oder zu leben. Wie kann das in Corona-Zeiten weiter nicht mehr in den Gottesdienst gehen? Kommen so ähnlich. funktionieren? die nach der Pandemie wieder? PFARRBRIEF 2/2020 PFARRBRIEF 2/2020 Es gibt sonst nichts, was einen tatsächlich von Wenn diese Leute eine Beziehung zur Kirche In anderen Befragungen erfahren wir, wie die Leu- der Geburt bis ins Grab begleitet. Das kann nur haben, dann denke ich, dass die auch wiederkom- te auf der Straße, in Verkehrsmitteln und Einkaufs- Kirche bzw. Religion. In allen Lebensereignissen, men. Ich glaube allerdings, dass es wenige gibt, stätten aufeinander reagieren. Es gab eine Zeit, da in Lebenskrisen genauso wie in den positiven die unter den aktuellen Bedingungen abgewiesen ist man sehr aggressiv miteinander umgegangen. Feier-Momenten, präsent zu sein und diese auch werden müssen. Die Kirchenräume sind so groß, Das wollen die meisten nicht mehr. Sie haben 22 gestalten zu können. Da hat die Kirche wenig Kon- dass viele reinpassen. Weihnachten wird sicher- genug davon. Sie wollen Friedfertigkeit hinter der 23 lich eine große Herausforderung für die Kirchen Maske, alles ein bisschen herunterdampfen. Dabei werden. Die Häuser sind da traditionell voll. Aber hilft eine große Klarheit – visuelle Klarheit und Sinnliche Beeindruckung – analog. wenn es alternative Angebote gibt, zum Beispiel Klarheit in der Ansprache.
TITELTHEMA // ERWARTEN TITELTHEMA // ERWARTEN Diesseits ERWARTUNGEN Platzhalter Bildunterschrift Wie Corona das Warten neu lehrt und was das mit Advent zu tun hat. Launige Betrachtungen von Klaus Nelißen. Text: Klaus Nelißen deckten, oder den Spaziergang im Wald. Als das Fotos: Volker Adolf, Klaus Nelißen Kleine, das Lokale, groß und wichtig wurde und das Große, der Horizont, in weite Ferne rückte. Es begab sich aber zu der Zeit, da alle aufgefor- Für Ungeduldige war diese Zeit eine Qual, denn dert waren, sich in Listen einzutragen. Es war das Warten war ihnen abhandengekommen. jene Zeit, da in den Herbergen kein Platz war Erfüllung? – aber bitte sofort: Der Online-Versand – wegen der Beherbergungsverbote. Genau zu verspricht die Zulieferung am selben Tag; die jener Zeit begab es sich, dass landauf, landab Mitteilungsfunktion am Handy unterbricht jeden das Warten neu gelernt wurde – mit Abstand: Gedankengang; der Tweet eines durchgeknallten Vielleicht warten wir auch darauf, dass wir wieder warten wie vor Corona. beim Brötchenholen, an der Supermarktkasse, Präsidenten sorgt binnen Sekunden für Kurs- beim Arzt. Warten auf das Testergebnis, Warten schwankungen auf dem Meinungsmarkt. von Hoffnung, von Zuversicht. Es war Advent – aus: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in auf den Impfstoff. die Zeit, in der die Christen jahreszeitlich bedingt Ewigkeit, Fürst des Friedens.“ Eine Ahnung vom Warten hatten noch die wer- und vorsätzlich ‚schwanger gehen‘ mit dem Das war, als das Zeitraffer-Leben der Vorjahre denden Mütter. Eine Schwangerschaft ist eben Gedanken: Gott wird Mensch. Wenn man so will, ist dies die Mutter aller messiani- plötzlich weitergelebt werden musste in Zeitlupe; keine 5-Minuten-Terrine, sondern braucht ihre schen Texte. Und nicht umsonst wird diese Passage als die Ferienflieger stillstanden und viele das Zeit. Neues Leben muss wachsen: neun Monate Advent ist das Warten auf Weihnachten zu. Die aus dem Jesaja-Buch an Heiligabend in der Kirche Zwitschern der Vögel des Himmels wiederent- warten, ‚guter Hoffnung sein‘. biblischen Texte sprechen vom Warten des Volkes gelesen, denn die Christen sehen in Jesus die Erfül- Israel auf einen Retter, einen neuen Gesalbten lung dieser uralten Prophezeiung. Ein Warten, das Überhaupt: Die Hoffnung. Sie ist die zappelige – keinen König von dieser Welt, sondern den Mes- über Jahrhunderte dauerte, ging für die Christen Schwester des Wartens – wortwörtlich: die sias. „Tröstet, tröstet mein Volk“, heißt es da aus damit zu Ende. Das Judentum indes wartet immer Hoffnung ist das hüpfende Erwarten, mittelnie- dem Munde des Propheten Jesaja. Der Überliefe- noch auf den Messias – für sie ist es Jesus nicht. Da- PFARRBRIEF 2/2020 PFARRBRIEF 2/2020 derdeutsch: das ‚hopen‘. Aber nein, die Hoff- rung nach hatte Jesaja seine Eingebungen unter her: Juden sind, wenn man so will, Meister des War- nung ist nicht nur die zappelige, sie ist auch dem Vorzeichen des Exils in Babylon. Also in einer tens, des „Harrens auf Gott“, wie es in den Psalmen die schöne Schwester des Wartens. Denn sie Zeit, als das Volk Israel vertrieben ist, in größter heißt. Christen in Köln (und nicht nur da) warten richtet sich auf eine bessere Zukunft. Hoffnung Not. „Das Volk, das in der Finsternis wandelt, derweil aufs Jüngste Gericht, aufs Reich Gottes, auf ist Zu-ver-sicht. sieht ein helles Licht“, so heißt es in der Vision des Akteneinsicht, auf bessere Zeiten – und manchmal Ein Warten 24 Propheten. Was aber macht Jesaja für die Zukunft auf alles zugleich. Das Hoffen, das sollten sie dabei 25 hat ein Ende: Ein Kind Es begab sich also in jener Zeit, als das Warten so hoffnungsvoll? „Ein Kind wird uns geboren, nie aufgeben. Denn, so die eschatologische Kurz- wurde uns neu gelernt wurde, da lasen sie in den Kirchen ein Sohn wird uns geschenkt. Die Herrschaft wird formel: am Ende wird alles gut – und wenn es nicht geboren! jene uralten Texte, die von Erwartung künden, auf seine Schulter gelegt. Man ruft seinen Namen gut ist, ist es noch nicht das Ende.
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