EUROPA UND DIE KRIM-KRISE
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ANALYSEN /// Die Russlandpolitik der EU zwischen Konfrontation und Kooperation EUROPA UND DIE KRIM-KRISE CHRISTIAN FORSTNER /// Die Annexion der Krim offenbarte den Vertrauensverlust zwischen der EU und Russland. Europa ist unsicher, wie mit dem schwierigen Partner und Konkurrenten im Osten umzugehen ist. Russland-Versteher sind zusehends in der Defensive. Während sich die NATO durch die Krise mit Russland konsolidiert, tut sich die EU mit ihrer föderalen Außenpolitik strategisch schwer. An Maßnahmen zur Vertrauensbildung wird jedoch kein Weg vorbeiführen. Auf Initiative von Schweden und Polen ren. Zudem schlitterte die EU in eine legte die EU 2009 ein Programm zur Wirtschafts- und Finanzkrise, Brüssel östlichen Partnerschaft auf:1 Ein Ring musste das eigene Haus in Ordnung der Stabilität an Europas Außengrenze bringen und lief Gefahr, nun nicht nur sollte dafür sorgen, dass die EU von als politischer, sondern auch als wirt- Freunden umgeben sei. Die östliche schaftlicher Zwerg wahrgenommen zu Partnerschaft der EU zielte auf Stabili- werden und fortan auch seiner Wirt- tät, Wohlstand und soziale Entwicklung schaftskraft verlustig zu gehen. Doch in den an Europa angrenzenden Räu- Russland unterschätzte die anhaltende men ab. Im Bewusstsein ihrer Attrakti- wirtschaftliche Attraktivität der euro- vität bot die EU den jeweiligen Ländern päischen Soft Power. Das Angebot, über vertiefte Beziehungen an, ohne einen eine engere Anbindung und Zusam- EU-Beitritt in Aussicht zu stellen. Vom menarbeit Innovations- und Moderni- erfolgreichen europäischen Wirt- sierungsprozesse in Gang zu setzen, schafts-, Gesellschafts- und Sozialmo- wurde trotz Wirtschaftskrise nachge- dell sollte nicht nur der Insider-Club der fragt. Und Moskau begriff die EU-Poli- Nach der Annexion der EU-Mitglieder profitieren. tik zusehends als Herausforderung für Krim-Halbinsel durch Russland sah den Bestrebungen der den eigenen Herrschaftsanspruch in Russland weiten sich die EU in der gemeinsamen Nachbarschaft Osteuropa. Freihandels- und Assoziie- Konflikte auf den Osten der anfangs desinteressiert zu. Der Gegner rungsabkommen der osteuropäischen Ukraine aus: Prorussische Quelle: xxxxxxxxxxxxxxx hieß NATO, nicht EU, und es galt, den Staaten mit der EU bedeuteten für Russ- Separatisten und Unter- amerikanischen Wunsch nach einer land den Verlust von Absatz- und Han- stützer besetzen Verwal- Ausdehnung der NATO nach Osteuro- delsmärkten, und politisch würde der tungsgebäude wie hier am pa und in den Südkaukasus abzuweh- gesellschaftliche Wandel in letzter Kon- 9. April 2014 in Donezk. 44 POLITISCHE STUDIEN // 455
ANALYSEN sequenz auch vor dem Kreml nicht halt nicht nach, sie übernahmen die von der Parlamentspräsidenten Sergej Narysch- machen. Fällt Kiew, so die Logik Putins, EU verhängten Einreisesperren nicht. kin und Valentina Matwijenko. Mit dem fällt irgendwann auch Moskau. Die EU wurde für Russland zum Unterdessen schwillt die Kritik an Ausschluss dieser ranghohen Parlamen- Moskau ließ die Muskeln spielen Konkurrenten in Osteuropa, auf die der Aussetzung des Visum-Dialogs an. tarier ist dem politischen Dialog sicher- und stellte der auf langfristigen Wandel europäische SOFT POWER reagierte Genau damit, so die warnenden Stim- lich nicht gedient.4 angelegten Soft Power der EU russische Moskau mit HARD POWER. men, forciere man die Selbstisolation in Wie in der Anwendung von Sanktio- Hard Power entgegen. Über die Energie- Russland, grenze man wichtige gesell- nen muss die EU auch im Umgang mit preise wurde außenpolitisches Verhal- schaftliche Kräfte Russlands wie Stu- der neuen ukrainischen Regierung vor- ten belohnt oder bestraft, fragile Staaten denten und Unternehmer aus Europa sichtig sein. Zur Exekutive in Kiew ge- wie Armenien und Aserbaidschan wur- aus und setze sie der russischen Medien- hören auch Vertreter von rechtsradika- den auf ihre prekäre Sicherheitslage hin- propaganda umso stärker aus. Russland len und nationalistischen Gruppen wie gewiesen. Die Handelskriege letztes ne Stimme in Europa, die an dieser Auf- brauche heute seitens der EU mehr Frei- der Bewegung „Freiheit“ oder „Rechter Jahr mit der Ukraine, Belarus und Li- fassung rüttelt.3 Ausdruck des europäi- zügigkeit, nicht weniger. Die EU ist ein Sektor“, deren Radikalisierung nicht zu- tauen standen im Kontext der europä- schen Konsenses ist die Verständigung attraktiver Raum und nicht zufällig der letzt vor dem Hintergrund ausbleiben- isch-russischen Spannungen und wirk- auf einen 3-Stufen-Mechanismus von Traum für viele aus der jungen Generati- der Reformen und neuer repressiver Ge- ten wie Vergeltungsmaßnahmen Russ- Sanktionen, die zuerst zur Aussetzung on in der Ukraine und Russland, die setze unter dem inzwischen gestürzten lands auf die drohende Abwendung des Visa-Dialogs sowie der Verhandlun- sich durch die korrupte Führung in ih- Präsidenten Viktor Janukowitsch erfolg- vom großen slawischen Bruder. Brüssel gen zum Partnerschafts- und Kooperati- rer Heimat ihrer Zukunftschancen be- te. Auch nach dem Regimewechsel in konstatierte ratlos, dass die Assoziie- onsabkommen führten, sodann gezielte raubt sieht. Die politische Elite scheint Kiew muss sich der Westen konsequent rungsabkommen mit der EU einerseits Restriktionen gegen Personen beinhal- dagegen auf mögliche Konflikte mit von allen gewaltbereiten Kräften distan- und eine Zollunion mit Russland ande- teten und schließlich in der letzten Pha- dem Westen vorbereitet: Seit Jahren zieren. Dies ist ein Gebot der politischen rerseits konkurrierende Integrationsmo- se Wirtschafts- und Finanzsanktionen Glaubwürdigkeit und gilt gegenüber delle sind. Verbal hatte man immer an- gegen Russland nach sich ziehen sollen. dem ausländerfeindlichen „Front Natio- deres deklariert: Eine EU-Mitglied- Ein genauerer Blick auf die EU-Reaktion Die EU muss sich von allen gewalt- nal“ in Frankreich genauso wie gegen- schaft sei nicht gegen Russland gerich- offenbart jedoch anhaltende Meinungs- bereiten, ultra-nationalistischen über den neuen ukrainischen Ultra-Na- tet. Faktisch war aber klar, dass ein EU- unterschiede. In der Frage der Sanktio- und korrupten Kräften in der Ukraine tionalisten. Die absolut berechtigte Kri- Beitritt nicht mit dem russischen Projekt nen forderte Großbritannien signifikan- DISTANZIEREN. tik an Russlands Krim-Politik darf in einer Zollunion vereinbar war. Aus dem te Einschnitte bei den Energiebeziehun- Brüssel nicht dazu verleiten, über Fehl- vermeintlich inklusiven Ansatz der EU gen, was auf Widerstand bei Deutsch- entwicklungen in der Ukraine hinweg- im Rahmen der östlichen Partnerschaft land traf. Umgekehrt präferierte müssen Russlands Politiker und Beamte zusehen. Der desaströse Zustand des wurde folglich eine neue Ost-West-Kon- Deutschland Finanzsanktionen, was ihre Vermögensverhältnisse offenlegen Landes mit Korruption, politischer Jus- frontation.2 wiederum London nicht gefiel. Und und seit Kurzem ist ihnen Auslandsbe- tiz und staatlicher Ineffizienz ist in ers- Frankreich hielt grundsätzlich an seinen sitz untersagt. Moskau verkaufte diese ter Linie dem kollektiven Versagen der Europäische Geschlossenheit Rüstungsdeals mit Russland fest. We- Gesetzgebung als Instrument im Kampf politischen Elite geschuldet. Doch Brüs- oder Ende der bürokratischen gen der unterschiedlichen Interessen ak- gegen Korruption, offensichtlich ging es sels Diplomaten liefen Gefahr, von die- Außenpolitik? tivierte man daher beim Europäischen aber wohl eher darum, Russlands Groß- ser Verantwortlichkeit abzulenken. In Die EUz ist sich in der Einschätzung der Rat am 20./21. März nicht die Stufe 3, und Kleinoligarchen von langer Hand ihrem Kampf um die Ukraine setzten sie Krim-Krise einig: Das russische Vorge- sondern erweiterte die Blacklist von Stu- auf mögliche Kontosperrungen und bis zuletzt auf die Unterzeichnung des hen ist völkerrechtswidrig, widerspricht fe 2 um mehr Personen. Die Nöte für Enteignungen im Westen vorzubereiten. Assoziierungsabkommens auf dem Gip- den Vereinbarungen zur Sicherheit und alle Beteiligten, in der Russland-Politik Wenn dem so ist, würden westliche fel in Vilnius im November 2013. Zu territorialen Integrität der Ukraine, ver- mit einer Stimme zu sprechen, zeigen Sanktionen gegen Russlands Elite teil- diesem Zeitpunkt stand die Ukraine be- stößt gegen den Geist der guten Nach- sich exemplarisch am Verhalten einiger weise verpuffen. Auf der Sanktionsliste reits finanziell mit dem Rücken zur barschaft in Europa und bringt die Mit- Beitrittskandidaten. Der Aufforderung finden sich neben Regierungs- und Mili- Wand, und wäre dieses Abkommen zur tel des 19. Jahrhunderts zurück in die der EU, das Sanktionsregime zu über- tärvertretern auch Abgeordnete des rus- Heranführung der Ukraine an die EU Politik des 21. Jahrhunderts. Es gibt kei- nehmen, kamen Serbien und die Türkei sischen Parlaments, darunter die beiden unterschrieben worden, kurz bevor das 46 POLITISCHE STUDIEN // 455 455 // POLITISCHE STUDIEN 47
ANALYSEN oben wird am Bild noch was angesetzt ambitionierte Road Maps. Doch durch Konfrontation oder Kooperation: die Selbstbeschäftigung mit Konsultati- die Russland-Strategien der EU on und Verwaltung schwanden die Res- Offiziell wird in Brüssel immer betont, sourcen für das strategische Ziel, einer- dass Russland zu Europa gehört und Si- seits die Modernisierungspartnerschaft cherheit in Europa nur mit und nicht mit Russland anzugehen und anderer- gegen Russland zu erreichen ist. Trotz seits die östliche Partnerschaft so zu ge- der 2010 zwischen José Manuel Barro- stalten, dass sie Russland keinen Vor- so, Herman Van Rompuy und Dmitrij wand für ernste politische Spannungen Medwedjew verabredeten Modernisie- liefern würde. rungspartnerschaft war die EU in ihrer Die Krim-Krise wird zur Wegschei- Russland-Strategie immer gespalten. de der europäischen Außenpolitik wer- Die EU-Neumitglieder in Mittelosteuro- den. Integrationsbefürworter werden pa, geprägt von ihrem sowjetischen Un- Quelle: xxxxxxxxx vehement eine geschlossene europäi- terdrückungstrauma, forderten immer sche Linie einfordern, da man nur so eine harte Linie gegenüber Moskau, dem großen Russland standhalten kön- während Deutschland auf strategische ne.5 Europa-Skeptiker werden dagegen Kooperation, gemeinsame Interdepen- davor warnen, Brüsseler Technokraten denz und allmähliche Wertekongruenz strategische Entscheidungen anzuver- bei Rechtsstaatlichkeit und Menschen- Die Unruhen in der Ukraine stellen die Europäische Union vor große Herausforderungen: Auf dem trauen. Dazu sei der Brüsseler Apparat rechten setzte. Die argumentative Not EU-Gipfel in Brüssel unterzeichnete der ukrainische Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk (2.v.r.) am weder institutionell ermächtigt noch der sogenannten Russland-Versteher ist 21. März 2014 ein Assoziierungsabkommen mit der Europaischen Union. personell befähigt. Und in der Tat man- heute offensichtlich, auch wenn sie si- gelt es der EU-Spitze an politischem cherlich ins Feld führen können, dass Charisma. Auch nach dem historischen Kooperation grundsätzlich besser sei als Land seine Zahlungsunfähigkeit hätte men Vorgehens Russlands einen Riegel EU-Sondergipfel zur Ukraine am 6. Konfrontation und eine Eindämmungs- erklären müssen, dann hätte es in der vorzuschieben. Doch unter vorgehalte- März, an dem mit Arsenij Jazenjuk erst- strategie nur die russische Selbstisolati- öffentlichen Wahrnehmung als Auslö- ner Hand wird in Brüssel schon das mals ein Nicht-EU-Regierungschef teil- on verstärke. Zudem zeigt das histori- ser des Staatsbankrotts interpretiert Scheitern des Ansatzes der föderalen nahm, traten EU-Ratspräsident Her- sche Beispiel aus der deutschen Wieder- werden können. Genau auf diese Wech- Außenpolitik zugegeben. Die neue poli- man Van Rompuy und EU-Kommissi- vereinigungspolitik, dass man für man- selwirkung von EU-Abkommen und tische Eiszeit mit Russland legt heute onspräsident José Manuel Barroso mit che strategischen Ansätze einen sehr Wirtschaftseinbußen hatte die russi- auch die Unzulänglichkeiten des büro- Sprechzetteln vor die Presse, so dass langen Atem braucht. Und schließlich sche Propaganda im Vorfeld des Gipfels kratischen Ansatzes europäischer Au- zwangsläufig der Eindruck entstand, stand die Partnerschaftsstrategie mit abgezielt. ßenpolitik bloß. Zwar agieren Europas dass die beiden ranghöchsten EU-Ver- Russland immer vor gewaltigen Heraus- Europas Ukraine-Politik zerschellte Diplomaten nur im Rahmen des vom treter mehr Verwalter als Gestalter sind. forderungen. Der zivilgesellschaftliche zunächst einmal an Putins Machtpoli- Rat erteilten Mandats, doch aus techni- Dialog konnte sich nicht voll entfalten, tik. Die EU wollte auf neuer Vertrags- schen Fragen der Zusammenarbeit mit auch weil die russische Seite immer die grundlage zu mehr Kohärenz in der Au- der Ukraine entwuchs ein geopolitischer Kontrolle behalten wollte. Mit den rus- ßenpolitik finden, man gab sich einen Konflikt mit Russland, auf den Brüssel sischen Pseudo-Parteien war keine Zu- Auswärtigen Dienst und stärkte die nicht vorbereitet war. Europas Diploma- sammenarbeit möglich, die Verwal- Hohe Beauftragte. Zur offensichtlichen tie arbeitet akribisch, orientiert sich an die EU eint oder Indiz für die tungskooperation mit russischen Stellen Machtlosigkeit kommt jetzt auch noch Dokumenten und Abkommen, kommu- strategische ÜBERFORDERUNG der verharrte auf niedrigem Niveau und der die Unsicherheit über die richtige Strate- niziert extensiv mit den Mitgliedsstaaten EU ist. Schüler- bzw. Studentenaustausch blieb gie hinzu. Vorerst wurden nur die Sank- und reibt sich an den Hauptstädten auf, hinter den Erwartungen zurück. So ver- tionsstufen 1 und 2 aktiviert. Die EU schmiedet Kompromisse, beschließt Ar- wundert es nicht, dass die Modernisie- hofft damit, einer Eskalation des illegiti- beitsprogramme und formuliert gerne rungspartnerschaft über keinen nach- 48 POLITISCHE STUDIEN // 455 455 // POLITISCHE STUDIEN 49
ANALYSEN haltigen Unterbau verfügte. Doch ange- ins Legitimationsabseits, auf Augenhö- meist frustrierend. Der Versuch vor eini- jetzt darauf, eine weitere politische und sichts der militärischen Eskalation in he kann die Duma mit dem Europäi- gen Jahren, zwischen der EU-Chefdiplo- militärische Eskalation zwischen dem der Ukraine gehen den Befürwortern schen Parlament nicht debattieren. matin Catherine Ashton und dem russi- Westen und Russland zu verhindern. des pragmatischen Dialogs mit Russ- Die Kontakte der EU mit Russland schen Außenminister Sergej Lawrow ei- 2008 sträubte sich Berlin erfolgreich land die Argumente aus. Laut herr- sind institutionell so dicht wie mit kei- nen High-Level-Dialog zu etablieren, gegen die NATO-Aufnahme Georgiens schender Meinung in Brüssel ist die nem anderen Land. Zwei jährliche Gip- verlief erfolglos. Und Brüssel blockierte und der Ukraine, doch die Frage der Theorie der Verflechtung mit Russland fel zwischen den Präsidenten werden auch alle Anregungen, einen Sonderbe- NATO-Politik in Osteuropa und der si- gescheitert. ergänzt durch regelmäßige Minister- auftragten für Russland zu benennen. cherheitspolitischen Konsequenzen aus und Kommissarstreffen, Arbeitsgrup- Dagegen waren die Beziehungen zu den der russischen Aggression wird jetzt Krisenmanagement und pen tagen, und der sektorale Fachdialog USA Chefsache: Ashton sprach regelmä- Vertrauensbildung riss nie ab. Doch gleichwohl rutschte ßig, lange und ausführlich mit ihrer Die gegenwärtige Krise ist in erster Linie man in eine kolossale Vertrauenskrise. Freundin Hillary. Auf der EU-Agenda Russland war für die EU nie PRIORITÄR. eine Vertrauenskrise, die Beziehungen Der Fall von Dmitrij Rogosin, derzeit dominierten das Verhältnis zu Amerika, zwischen der EU und Russland ver- stellvertretender Ministerpräsident für der Nahost-Konflikt, das internationale schlechterten sich aber schon seit Jah- Verteidigung und Rüstung, ist ein be- Krisenmanagement im Iran und die Sta- wieder auf die Tagesordnung kommen. ren. Der parlamentarische Dialog stockt, zeichnendes Beispiel. Dmitrij Rogosin, bilisierung des Balkans. Russland stand Während Berlin die russische Seite auf europäischer Seite bestimmen russ- mächtiger Sprecher der patriotischen nie auf der Prioritätenliste. Es spricht durch verstärkte NATO-Aktivitäten in landkritische Osteuropäer und idealisti- Kräfte in Russland und immer wieder Bände, dass der diesjährige Träger des Osteuropa nicht reizen will und im sche Menschenrechtsvertreter den Ton. gehandelt als möglicher Putin-Nachfol- Karlspreises, Herman Van Rompuy, zur Bündnis einen Abwehrkampf gegen Beide Lager zeichnet eine Eindäm- ger, war vier Jahre Botschafter in Brüs- großen Verleihungszeremonie in Aachen Scharfmacher aus Osteuropa führt, mungspolitik gegenüber Russland aus, sel. Er war mehr Politiker als Diplomat, die Ministerpräsidenten der pro-europäi- warnte der scheidende NATO-General- die liberale ALDE-Fraktion, getrieben liebte den öffentlichen Auftritt und stell- schen Nachbarschaftsländer Ukraine, sekretär Anders Fogh Rasmussen, dem von den Kreml-Kritikern Kristiina Oju- Moldawien und Georgien einlud. Auch immer eine besondere Nähe zu Wa- land und Guy Verfofstadt, stimmt darin mit solchen Gesten kann man Öl ins rus- shington nachgesagt wurde, Russland mit den Bürgerechtlern und ehemaligen sische Feuer gießen. vor der militärischen Reaktion der Dissidenten aus der Fraktion der Grü- Die Perspektiven in den westlich- NATO. Dazu zählte er die Stationierung nen überein. Die europäischen Sozialis- Russland-Versteher sind in russischen Beziehungen sind wenig er- substanzieller Truppen in Mittelosteu- ten favorisieren grundsätzlich einen argumentativer Not gegenüber freulich. Die nächsten Jahre könnten ropa genauso wie die Erhöhung der NA- Kurs des Dialogs mit Russland, womit Befürwortern einer neuen geprägt sein von abgesagten Dialogfo- TO-Einsatzbereitschaft sowie die Auf- sie auf Linie mit dem Flügel der Moder- EINDÄMMUNGSPOLITIK. ren, eingefrorenen Kontakten und ei- forderung an die NATO-Mitgliedsstaa- nisierungsstrategen in der EVP liegen. nem abgekühlten Gesprächsklima. Die ten, ihre Verteidigungsetats zu erhöhen. Die Gewichte in der EVP verschieben Zeiten von Saunabesuchen und Schlit- Und mit dem Norweger Jens Stoltenberg sich jedoch im Lichte der Krim-Krise, tenfahrten mit russischen Präsidenten rückt am 1. Oktober 2014 jemand an die und die Partnerschaftsbefürworter kön- sind passé. Die Zeichen heute stehen auf Spitze des Verteidigungsbündnisses, der nen sich heute gegen die Containment- Eindämmung, nicht auf Modernisie- durch die direkte Grenze mit Russland Politiker aus Osteuropa nicht mehr te sich jeder Diskussion. Doch Brüssel rungspartnerschaft, nicht auf wachsen- eigene Erfahrungen im Umgang mit durchsetzen. Im Kräftespiel zwischen nutzte diese Chance nicht und ignorier- der Verflechtung. In NATO und EU fällt Moskau sammeln konnte. Dialog- und Sanktionsanhängern haben te die Tatsache, dass Rogosin zwar ein es Deutschland schwer, eine positive Die USA werden am Kurs des um- es die pragmatischen Vorsitzenden der unbequemer Partner war, aber Zusagen Agenda im Verhältnis zu Russland fänglichen Drucks auf Russland festhal- EU-Russland-Delegation Knut Flecken- hielt und Abmachungen auch gegenüber durchzusetzen, die Befürworter der Ein- ten, schließlich halten sie an ihrer Rolle stein oder Aloiz Peterle schwer, bei ihren Putin durchsetzte. dämmungstheorie gegenüber Russland als Garantiemacht des Budapester Me- Parlamentskollegen Gehör zu finden. Kaum jemand in Brüssel hat heute ei- gewinnen die Oberhand. Für Deutsch- morandums von 1994 fest, das der Uk- Und mit der letzten nicht allzu demokra- nen kurzen Draht zu Russlands Spitzen- land, das sich im NATO-Bündnis im- raine territoriale Integrität im Verzicht tischen Parlamentswahl in Russland politikern. Die Beziehungen zu Russland mer gegen eine schroffe Anti-Russland- auf Atomwaffen garantierte. In ihrem 2011 stellte sich die russische Seite selbst waren nicht vorrangig, da schwierig und Politik wehrte, liegt das Augenmerk Verständnis als Schutzmacht der freien 50 POLITISCHE STUDIEN // 455 455 // POLITISCHE STUDIEN 51
ANALYSEN und forcierter Selbstisolation anderer- auch, bei dem in der Krim-Krise die Fä- seits wird nur schwer zu finden sein. den zusammenlaufen. Der Westen muss Westliche Eindämmungspolitik Putin, anfänglich kooperationswil- daher beides tun: die keineswegs mono- und russische Großmachtpolitik lig im Kampf gegen den internationalen lithischen Akteure in Russland identifi- verheißen wenig Gutes für die Terrorismus und offensichtlich desillu- zieren und dabei immer mit Präsident ZUKUNFT. sioniert nach der amerikanischen Auf- Putin in Kontakt bleiben. Der Kreis der- kündigung des ABM-Vertrags 2002 und jenigen, die auf Gehör und Vertrauen im den westlichen Alleingängen im Irak Kreml stoßen, ist klein. Doch es lohnt und in Libyen, ist nach wie vor der sich, darüber nachzudenken. /// mächtigste Mann im Kreml und damit auch der wichtigste russische Ansprech- Welt senden die USA damit eine klare partner zur Lösung der Krise. Aber er Botschaft an alle Staaten, dass man kei- selbst steht innenpolitisch mehr unter nen Präzedenzfall einer gewaltsamen Druck, als es nach außen scheint. Er Landnahme duldet. Solange die völker- muss die widerstrebenden Interessen in rechtswidrige Annexion der Krim beste- seiner Umgebung ausbalancieren. Ex- hen bleibt, dürften die USA also nicht portorientierte, innovationsinteressierte auf eine neue Entspannungspolitik ge- und kooperationswillige Oligarchen lie- genüber Moskau umschwenken. Und es gen im Clinch mit Geheimdienstlern, /// CHRISTIAN FORSTNER spricht im Moment nichts dafür, dass der Rüstungsindustrie und einer refor- ist Leiter der Verbindungsstelle der Russland die Krim wieder zurückgibt. munwilligen Beamtennomenklatura. Hanns-Seidel-Stiftung in Brüssel. Die auf der Krim stationierte Schwarz- Russland hat ein grundsätzliches Ei- meerflotte ist für Russland durch den geninteresse an Stabilität in der Nach- Zugang zum Mittelmeer strategisch barschaft und an einer Modernisierung Anmerkungen 1 Matveeva, Anna: Traditionen, Kalküle, Funktio- wichtig und Sewastopol gehört zu den der Wirtschaft. Krisen wie in der Ukrai- nen. Russlands Rückkehr nach Zentralasien, in: Heldenstädten des Zweiten Weltkriegs. ne beschleunigen den Kapitalabfluss Osteuropa 8-9/2007, S. 291. 2 Zur zunehmenden Interessenkonkurrenz zwi- Der Sieg über Hitler-Deutschland ist und werfen Russland auf den Weg zu schen der EU und Russland vgl. Stewart, Susan: zentrales Element des russischen Ge- globaler Wettbewerbsfähigkeit zurück. The EU, Russia and a Less Common Neighbour- hood, in: SWP Comments 3, January 2014. schichtsbewusstseins. In den Augen Putins Popularität speiste sich die letz- 3 Für eine hervorragende völkerrechtliche und Moskaus gehören zur neuen Kiewer Re- ten Jahre aus ständigem Wirtschafts- politische Analyse vgl. das Interview mit Bruno Simma, in: Der Spiegel, 15/2014, S. 24-25. gierung auch faschistische Kräfte. Mos- wachstum und dadurch bedingter Stei- 4 Zur westlichen Sanktionspolitik und der dadurch kau warnt eindringlich davor, die russi- gerung des Lebensstandards. Es wäre bedingten Konsolidierung der russischen Elite vgl. Trenin, Dmitri: A War of Escalation, in: http:// sche Bevölkerung in der Ukraine zu un- ein falscher Weg, wenn Putin diese out- carnegie.ru/2014/03/19/war-of-escalation/h4x2 5 Zur Notwendigkeit einer starken EU in der terdrücken und umstrittenen nationa- put gespeiste innenpolitische Legitima- Außen-, Sicherheits- und Nachbarschaftspolitik listischen NS-Kollaborateuren wie Ste- tion fortan ersetzt durch Großmachtpo- als Konsequenz der Krim-Krise vgl. Guiliani, pan Bandera zu huldigen. In diesem litik, anti-westliche Feindbilder und Jean-Dominique (Präsident der Robert-Schuman- Stiftung): Premières leçons russes pour l’Europe, strategischen und historischen Kontext Neo-Imperialismus. Auf der nationalen in: Newsletter der Robert-Schuman-Stiftung, wäre also für Putin die Rückgabe der Welle kann er leicht zum Getriebenen http://www.jd-giuliani.eu/fr/article/cat-2/371_ Cold-War-II.html Krim ein zu großer Gesichtsverlust, der seiner Großmachtpolitik werden. Putin 6 Zur Annexion der Krim als Legitimationsquelle ihn innenpolitisch schwächen und an- sitzt zweifellos (noch) fest im Sattel, und nach innen und Verhandlungsmasse gegenüber dem Westen vgl. Rogov, Kirill: Konflikt ne s Ukra- greifbar machen würde.6 Somit verstär- von Zeit zu Zeit zeigt er, wer der starke inoj, a s Zapadom, in: Vedomosti, 4.3.2014. 7 Vgl. dazu das Interview mit Khodorkowvskij, ken sich die Entwicklungen der westli- Mann im Kreml ist. Mit der überra- Mikhail: Kreml‘ v chornoj zone, in: Moskovskij chen Eindämmungspolitik und der rus- schenden Freilassung von Mikhail Cho- Komsomolets, 25. Januar 2014, http://www. sischen Großmachtpolitik, ein Ausweg dorkowskij demonstrierte Putin seine mk.ru/politics/russia/interview/2014/01/ 25/9754 85-kreml-v-chyornoy-zone.html aus Sanktionen und Isolation einerseits ungebrochene Machtstellung.7 Er ist es 52 POLITISCHE STUDIEN // 455 455 // POLITISCHE STUDIEN 53
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