EUROPA UND DIE KRIM-KRISE

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EUROPA UND DIE KRIM-KRISE
ANALYSEN

/// Die Russlandpolitik der EU zwischen Konfrontation und Kooperation

EUROPA UND DIE KRIM-KRISE
CHRISTIAN FORSTNER /// Die Annexion der Krim offenbarte den Vertrauensverlust
zwischen der EU und Russland. Europa ist unsicher, wie mit dem schwierigen Partner
und Konkurrenten im Osten umzugehen ist. Russland-Versteher sind zusehends in
der Defensive. Während sich die NATO durch die Krise mit Russland konsolidiert, tut
sich die EU mit ihrer föderalen Außenpolitik strategisch schwer. An Maßnahmen zur
Vertrauensbildung wird jedoch kein Weg vorbeiführen.

          Auf Initiative von Schweden und Polen        ren. Zudem schlitterte die EU in eine
          legte die EU 2009 ein Programm zur           Wirtschafts- und Finanzkrise, Brüssel
          östlichen Partnerschaft auf:1 Ein Ring       musste das eigene Haus in Ordnung
          der Stabilität an Europas Außengrenze        bringen und lief Gefahr, nun nicht nur
          sollte dafür sorgen, dass die EU von         als politischer, sondern auch als wirt-
          Freunden umgeben sei. Die östliche           schaftlicher Zwerg wahrgenommen zu
          Partnerschaft der EU zielte auf Stabili-     werden und fortan auch seiner Wirt-
          tät, Wohlstand und soziale Entwicklung       schaftskraft verlustig zu gehen. Doch
          in den an Europa angrenzenden Räu-           Russland unterschätzte die anhaltende
          men ab. Im Bewusstsein ihrer Attrakti-       wirtschaftliche Attraktivität der euro-
          vität bot die EU den jeweiligen Ländern      päischen Soft Power. Das Angebot, über
          vertiefte Beziehungen an, ohne einen         eine engere Anbindung und Zusam-
          EU-Beitritt in Aussicht zu stellen. Vom      menarbeit Innovations- und Moderni-
          erfolgreichen      europäischen      Wirt-   sierungsprozesse in Gang zu setzen,
          schafts-, Gesellschafts- und Sozialmo-       wurde trotz Wirtschaftskrise nachge-
          dell sollte nicht nur der Insider-Club der   fragt. Und Moskau begriff die EU-Poli-     Nach der Annexion der
          EU-Mitglieder profitieren.                   tik zusehends als Herausforderung für      Krim-Halbinsel durch
              Russland sah den Bestrebungen der        den eigenen Herrschaftsanspruch in         Russland weiten sich die
          EU in der gemeinsamen Nachbarschaft          Osteuropa. Freihandels- und Assoziie-      Konflikte auf den Osten der
          anfangs desinteressiert zu. Der Gegner       rungsabkommen der osteuropäischen          Ukraine aus: Prorussische

                                                                                                                                Quelle: xxxxxxxxxxxxxxx
          hieß NATO, nicht EU, und es galt, den        Staaten mit der EU bedeuteten für Russ-    Separatisten und Unter-
          amerikanischen Wunsch nach einer             land den Verlust von Absatz- und Han-      stützer besetzen Verwal-
          Ausdehnung der NATO nach Osteuro-            delsmärkten, und politisch würde der       tungsgebäude wie hier am
          pa und in den Südkaukasus abzuweh-           gesellschaftliche Wandel in letzter Kon-   9. April 2014 in Donezk.

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EUROPA UND DIE KRIM-KRISE
ANALYSEN

          sequenz auch vor dem Kreml nicht halt                                                        nicht nach, sie übernahmen die von der      Parlamentspräsidenten Sergej Narysch-
          machen. Fällt Kiew, so die Logik Putins,                                                     EU verhängten Einreisesperren nicht.        kin und Valentina Matwijenko. Mit dem
          fällt irgendwann auch Moskau.                  Die EU wurde für Russland zum                     Unterdessen schwillt die Kritik an      Ausschluss dieser ranghohen Parlamen-
              Moskau ließ die Muskeln spielen            Konkurrenten in Osteuropa, auf die            der Aussetzung des Visum-Dialogs an.        tarier ist dem politischen Dialog sicher-
          und stellte der auf langfristigen Wandel       europäische SOFT POWER reagierte              Genau damit, so die warnenden Stim-         lich nicht gedient.4
          angelegten Soft Power der EU russische         Moskau mit HARD POWER.                        men, forciere man die Selbstisolation in        Wie in der Anwendung von Sanktio-
          Hard Power entgegen. Über die Energie-                                                       Russland, grenze man wichtige gesell-       nen muss die EU auch im Umgang mit
          preise wurde außenpolitisches Verhal-                                                        schaftliche Kräfte Russlands wie Stu-       der neuen ukrainischen Regierung vor-
          ten belohnt oder bestraft, fragile Staaten                                                   denten und Unternehmer aus Europa           sichtig sein. Zur Exekutive in Kiew ge-
          wie Armenien und Aserbaidschan wur-                                                          aus und setze sie der russischen Medien-    hören auch Vertreter von rechtsradika-
          den auf ihre prekäre Sicherheitslage hin-                                                    propaganda umso stärker aus. Russland       len und nationalistischen Gruppen wie
          gewiesen. Die Handelskriege letztes          ne Stimme in Europa, die an dieser Auf-         brauche heute seitens der EU mehr Frei-     der Bewegung „Freiheit“ oder „Rechter
          Jahr mit der Ukraine, Belarus und Li-        fassung rüttelt.3 Ausdruck des europäi-         zügigkeit, nicht weniger. Die EU ist ein    Sektor“, deren Radikalisierung nicht zu-
          tauen standen im Kontext der europä-         schen Konsenses ist die Verständigung           attraktiver Raum und nicht zufällig der     letzt vor dem Hintergrund ausbleiben-
          isch-russischen Spannungen und wirk-         auf einen 3-Stufen-Mechanismus von              Traum für viele aus der jungen Generati-    der Reformen und neuer repressiver Ge-
          ten wie Vergeltungsmaßnahmen Russ-           Sanktionen, die zuerst zur Aussetzung           on in der Ukraine und Russland, die         setze unter dem inzwischen gestürzten
          lands auf die drohende Abwendung             des Visa-Dialogs sowie der Verhandlun-          sich durch die korrupte Führung in ih-      Präsidenten Viktor Janukowitsch erfolg-
          vom großen slawischen Bruder. Brüssel        gen zum Partnerschafts- und Kooperati-          rer Heimat ihrer Zukunftschancen be-        te. Auch nach dem Regimewechsel in
          konstatierte ratlos, dass die Assoziie-      onsabkommen führten, sodann gezielte            raubt sieht. Die politische Elite scheint   Kiew muss sich der Westen konsequent
          rungsabkommen mit der EU einerseits          Restriktionen gegen Personen beinhal-           dagegen auf mögliche Konflikte mit           von allen gewaltbereiten Kräften distan-
          und eine Zollunion mit Russland ande-        teten und schließlich in der letzten Pha-       dem Westen vorbereitet: Seit Jahren         zieren. Dies ist ein Gebot der politischen
          rerseits konkurrierende Integrationsmo-      se Wirtschafts- und Finanzsanktionen                                                        Glaubwürdigkeit und gilt gegenüber
          delle sind. Verbal hatte man immer an-       gegen Russland nach sich ziehen sollen.                                                     dem ausländerfeindlichen „Front Natio-
          deres deklariert: Eine EU-Mitglied-          Ein genauerer Blick auf die EU-Reaktion     Die EU muss sich von allen gewalt-              nal“ in Frankreich genauso wie gegen-
          schaft sei nicht gegen Russland gerich-      offenbart jedoch anhaltende Meinungs-       bereiten, ultra-nationalistischen               über den neuen ukrainischen Ultra-Na-
          tet. Faktisch war aber klar, dass ein EU-    unterschiede. In der Frage der Sanktio-     und korrupten Kräften in der Ukraine            tionalisten. Die absolut berechtigte Kri-
          Beitritt nicht mit dem russischen Projekt    nen forderte Großbritannien signifikan-     DISTANZIEREN.                                   tik an Russlands Krim-Politik darf in
          einer Zollunion vereinbar war. Aus dem       te Einschnitte bei den Energiebeziehun-                                                     Brüssel nicht dazu verleiten, über Fehl-
          vermeintlich inklusiven Ansatz der EU        gen, was auf Widerstand bei Deutsch-                                                        entwicklungen in der Ukraine hinweg-
          im Rahmen der östlichen Partnerschaft        land traf. Umgekehrt präferierte                müssen Russlands Politiker und Beamte       zusehen. Der desaströse Zustand des
          wurde folglich eine neue Ost-West-Kon-       Deutschland Finanzsanktionen, was               ihre Vermögensverhältnisse offenlegen       Landes mit Korruption, politischer Jus-
          frontation.2                                 wiederum London nicht gefiel. Und               und seit Kurzem ist ihnen Auslandsbe-       tiz und staatlicher Ineffizienz ist in ers-
                                                       Frankreich hielt grundsätzlich an seinen        sitz untersagt. Moskau verkaufte diese      ter Linie dem kollektiven Versagen der
              Europäische Geschlossenheit              Rüstungsdeals mit Russland fest. We-            Gesetzgebung als Instrument im Kampf        politischen Elite geschuldet. Doch Brüs-
              oder Ende der bürokratischen             gen der unterschiedlichen Interessen ak-        gegen Korruption, offensichtlich ging es    sels Diplomaten liefen Gefahr, von die-
              Außenpolitik?                            tivierte man daher beim Europäischen            aber wohl eher darum, Russlands Groß-       ser Verantwortlichkeit abzulenken. In
          Die EUz ist sich in der Einschätzung der     Rat am 20./21. März nicht die Stufe 3,          und Kleinoligarchen von langer Hand         ihrem Kampf um die Ukraine setzten sie
          Krim-Krise einig: Das russische Vorge-       sondern erweiterte die Blacklist von Stu-       auf mögliche Kontosperrungen und            bis zuletzt auf die Unterzeichnung des
          hen ist völkerrechtswidrig, widerspricht     fe 2 um mehr Personen. Die Nöte für             Enteignungen im Westen vorzubereiten.       Assoziierungsabkommens auf dem Gip-
          den Vereinbarungen zur Sicherheit und        alle Beteiligten, in der Russland-Politik       Wenn dem so ist, würden westliche           fel in Vilnius im November 2013. Zu
          territorialen Integrität der Ukraine, ver-   mit einer Stimme zu sprechen, zeigen            Sanktionen gegen Russlands Elite teil-      diesem Zeitpunkt stand die Ukraine be-
          stößt gegen den Geist der guten Nach-        sich exemplarisch am Verhalten einiger          weise verpuffen. Auf der Sanktionsliste     reits finanziell mit dem Rücken zur
          barschaft in Europa und bringt die Mit-      Beitrittskandidaten. Der Aufforderung           finden sich neben Regierungs- und Mili-      Wand, und wäre dieses Abkommen zur
          tel des 19. Jahrhunderts zurück in die       der EU, das Sanktionsregime zu über-            tärvertretern auch Abgeordnete des rus-     Heranführung der Ukraine an die EU
          Politik des 21. Jahrhunderts. Es gibt kei-   nehmen, kamen Serbien und die Türkei            sischen Parlaments, darunter die beiden     unterschrieben worden, kurz bevor das
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ANALYSEN
                    oben wird am Bild
                    noch was angesetzt

                                                                                                                                ambitionierte Road Maps. Doch durch              Konfrontation oder Kooperation:
                                                                                                                                die Selbstbeschäftigung mit Konsultati-          die Russland-Strategien der EU
                                                                                                                                on und Verwaltung schwanden die Res-         Offiziell wird in Brüssel immer betont,
                                                                                                                                sourcen für das strategische Ziel, einer-    dass Russland zu Europa gehört und Si-
                                                                                                                                seits die Modernisierungspartnerschaft       cherheit in Europa nur mit und nicht
                                                                                                                                mit Russland anzugehen und anderer-          gegen Russland zu erreichen ist. Trotz
                                                                                                                                seits die östliche Partnerschaft so zu ge-   der 2010 zwischen José Manuel Barro-
                                                                                                                                stalten, dass sie Russland keinen Vor-       so, Herman Van Rompuy und Dmitrij
                                                                                                                                wand für ernste politische Spannungen        Medwedjew verabredeten Modernisie-
                                                                                                                                liefern würde.                               rungspartnerschaft war die EU in ihrer
                                                                                                                                    Die Krim-Krise wird zur Wegschei-        Russland-Strategie immer gespalten.
                                                                                                                                de der europäischen Außenpolitik wer-        Die EU-Neumitglieder in Mittelosteuro-
                                                                                                                                den. Integrationsbefürworter werden          pa, geprägt von ihrem sowjetischen Un-
Quelle: xxxxxxxxx

                                                                                                                                vehement eine geschlossene europäi-          terdrückungstrauma, forderten immer
                                                                                                                                sche Linie einfordern, da man nur so         eine harte Linie gegenüber Moskau,
                                                                                                                                dem großen Russland standhalten kön-         während Deutschland auf strategische
                                                                                                                                ne.5 Europa-Skeptiker werden dagegen         Kooperation, gemeinsame Interdepen-
                                                                                                                                davor warnen, Brüsseler Technokraten         denz und allmähliche Wertekongruenz
                                                                                                                                strategische Entscheidungen anzuver-         bei Rechtsstaatlichkeit und Menschen-
                         Die Unruhen in der Ukraine stellen die Europäische Union vor große Herausforderungen: Auf dem          trauen. Dazu sei der Brüsseler Apparat       rechten setzte. Die argumentative Not
                         EU-Gipfel in Brüssel unterzeichnete der ukrainische Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk (2.v.r.) am     weder institutionell ermächtigt noch         der sogenannten Russland-Versteher ist
                         21. März 2014 ein Assoziierungsabkommen mit der Europaischen Union.                                    personell befähigt. Und in der Tat man-      heute offensichtlich, auch wenn sie si-
                                                                                                                                gelt es der EU-Spitze an politischem         cherlich ins Feld führen können, dass
                                                                                                                                Charisma. Auch nach dem historischen         Kooperation grundsätzlich besser sei als
                         Land seine Zahlungsunfähigkeit hätte                men Vorgehens Russlands einen Riegel               EU-Sondergipfel zur Ukraine am 6.            Konfrontation und eine Eindämmungs-
                         erklären müssen, dann hätte es in der               vorzuschieben. Doch unter vorgehalte-              März, an dem mit Arsenij Jazenjuk erst-      strategie nur die russische Selbstisolati-
                         öffentlichen Wahrnehmung als Auslö-                 ner Hand wird in Brüssel schon das                 mals ein Nicht-EU-Regierungschef teil-       on verstärke. Zudem zeigt das histori-
                         ser des Staatsbankrotts interpretiert               Scheitern des Ansatzes der föderalen               nahm, traten EU-Ratspräsident Her-           sche Beispiel aus der deutschen Wieder-
                         werden können. Genau auf diese Wech-                Außenpolitik zugegeben. Die neue poli-             man Van Rompuy und EU-Kommissi-              vereinigungspolitik, dass man für man-
                         selwirkung von EU-Abkommen und                      tische Eiszeit mit Russland legt heute             onspräsident José Manuel Barroso mit         che strategischen Ansätze einen sehr
                         Wirtschaftseinbußen hatte die russi-                auch die Unzulänglichkeiten des büro-              Sprechzetteln vor die Presse, so dass        langen Atem braucht. Und schließlich
                         sche Propaganda im Vorfeld des Gipfels              kratischen Ansatzes europäischer Au-               zwangsläufig der Eindruck entstand,           stand die Partnerschaftsstrategie mit
                         abgezielt.                                          ßenpolitik bloß. Zwar agieren Europas              dass die beiden ranghöchsten EU-Ver-         Russland immer vor gewaltigen Heraus-
                             Europas Ukraine-Politik zerschellte             Diplomaten nur im Rahmen des vom                   treter mehr Verwalter als Gestalter sind.    forderungen. Der zivilgesellschaftliche
                         zunächst einmal an Putins Machtpoli-                Rat erteilten Mandats, doch aus techni-                                                         Dialog konnte sich nicht voll entfalten,
                         tik. Die EU wollte auf neuer Vertrags-              schen Fragen der Zusammenarbeit mit                                                             auch weil die russische Seite immer die
                         grundlage zu mehr Kohärenz in der Au-               der Ukraine entwuchs ein geopolitischer                                                         Kontrolle behalten wollte. Mit den rus-
                         ßenpolitik finden, man gab sich einen                Konflikt mit Russland, auf den Brüssel                                                           sischen Pseudo-Parteien war keine Zu-
                         Auswärtigen Dienst und stärkte die                  nicht vorbereitet war. Europas Diploma-                             sammenarbeit möglich, die Verwal-
                         Hohe Beauftragte. Zur offensichtlichen              tie arbeitet akribisch, orientiert sich an       die EU eint oder Indiz für die                 tungskooperation mit russischen Stellen
                         Machtlosigkeit kommt jetzt auch noch                Dokumenten und Abkommen, kommu-                  strategische ÜBERFORDERUNG der                 verharrte auf niedrigem Niveau und der
                         die Unsicherheit über die richtige Strate-          niziert extensiv mit den Mitgliedsstaaten        EU ist.                                        Schüler- bzw. Studentenaustausch blieb
                         gie hinzu. Vorerst wurden nur die Sank-             und reibt sich an den Hauptstädten auf,                                                         hinter den Erwartungen zurück. So ver-
                         tionsstufen 1 und 2 aktiviert. Die EU               schmiedet Kompromisse, beschließt Ar-                                                           wundert es nicht, dass die Modernisie-
                         hofft damit, einer Eskalation des illegiti-         beitsprogramme und formuliert gerne                                                             rungspartnerschaft über keinen nach-
48                  POLITISCHE STUDIEN // 455                                                                                                                                                        455 // POLITISCHE STUDIEN   49
ANALYSEN

          haltigen Unterbau verfügte. Doch ange-         ins Legitimationsabseits, auf Augenhö-        meist frustrierend. Der Versuch vor eini-   jetzt darauf, eine weitere politische und
          sichts der militärischen Eskalation in         he kann die Duma mit dem Europäi-             gen Jahren, zwischen der EU-Chefdiplo-      militärische Eskalation zwischen dem
          der Ukraine gehen den Befürwortern             schen Parlament nicht debattieren.            matin Catherine Ashton und dem russi-       Westen und Russland zu verhindern.
          des pragmatischen Dialogs mit Russ-                Die Kontakte der EU mit Russland          schen Außenminister Sergej Lawrow ei-           2008 sträubte sich Berlin erfolgreich
          land die Argumente aus. Laut herr-             sind institutionell so dicht wie mit kei-     nen High-Level-Dialog zu etablieren,        gegen die NATO-Aufnahme Georgiens
          schender Meinung in Brüssel ist die            nem anderen Land. Zwei jährliche Gip-         verlief erfolglos. Und Brüssel blockierte   und der Ukraine, doch die Frage der
          Theorie der Verflechtung mit Russland          fel zwischen den Präsidenten werden           auch alle Anregungen, einen Sonderbe-       NATO-Politik in Osteuropa und der si-
          gescheitert.                                   ergänzt durch regelmäßige Minister-           auftragten für Russland zu benennen.        cherheitspolitischen Konsequenzen aus
                                                         und Kommissarstreffen, Arbeitsgrup-           Dagegen waren die Beziehungen zu den        der russischen Aggression wird jetzt
              Krisenmanagement und                       pen tagen, und der sektorale Fachdialog       USA Chefsache: Ashton sprach regelmä-
              Vertrauensbildung                          riss nie ab. Doch gleichwohl rutschte         ßig, lange und ausführlich mit ihrer
          Die gegenwärtige Krise ist in erster Linie     man in eine kolossale Vertrauenskrise.        Freundin Hillary. Auf der EU-Agenda         Russland war für die EU nie PRIORITÄR.
          eine Vertrauenskrise, die Beziehungen          Der Fall von Dmitrij Rogosin, derzeit         dominierten das Verhältnis zu Amerika,
          zwischen der EU und Russland ver-              stellvertretender Ministerpräsident für       der Nahost-Konflikt, das internationale
          schlechterten sich aber schon seit Jah-        Verteidigung und Rüstung, ist ein be-         Krisenmanagement im Iran und die Sta-       wieder auf die Tagesordnung kommen.
          ren. Der parlamentarische Dialog stockt,       zeichnendes Beispiel. Dmitrij Rogosin,        bilisierung des Balkans. Russland stand     Während Berlin die russische Seite
          auf europäischer Seite bestimmen russ-         mächtiger Sprecher der patriotischen          nie auf der Prioritätenliste. Es spricht    durch verstärkte NATO-Aktivitäten in
          landkritische Osteuropäer und idealisti-       Kräfte in Russland und immer wieder           Bände, dass der diesjährige Träger des      Osteuropa nicht reizen will und im
          sche Menschenrechtsvertreter den Ton.          gehandelt als möglicher Putin-Nachfol-        Karlspreises, Herman Van Rompuy, zur        Bündnis einen Abwehrkampf gegen
          Beide Lager zeichnet eine Eindäm-              ger, war vier Jahre Botschafter in Brüs-      großen Verleihungszeremonie in Aachen       Scharfmacher aus Osteuropa führt,
          mungspolitik gegenüber Russland aus,           sel. Er war mehr Politiker als Diplomat,      die Ministerpräsidenten der pro-europäi-    warnte der scheidende NATO-General-
          die liberale ALDE-Fraktion, getrieben          liebte den öffentlichen Auftritt und stell-   schen Nachbarschaftsländer Ukraine,         sekretär Anders Fogh Rasmussen, dem
          von den Kreml-Kritikern Kristiina Oju-                                                       Moldawien und Georgien einlud. Auch         immer eine besondere Nähe zu Wa-
          land und Guy Verfofstadt, stimmt darin                                                       mit solchen Gesten kann man Öl ins rus-     shington nachgesagt wurde, Russland
          mit den Bürgerechtlern und ehemaligen                                                        sische Feuer gießen.                        vor der militärischen Reaktion der
          Dissidenten aus der Fraktion der Grü-                                                            Die Perspektiven in den westlich-       NATO. Dazu zählte er die Stationierung
          nen überein. Die europäischen Sozialis-          Russland-Versteher sind in                  russischen Beziehungen sind wenig er-       substanzieller Truppen in Mittelosteu-
          ten favorisieren grundsätzlich einen             argumentativer Not gegenüber                freulich. Die nächsten Jahre könnten        ropa genauso wie die Erhöhung der NA-
          Kurs des Dialogs mit Russland, womit             Befürwortern einer neuen                    geprägt sein von abgesagten Dialogfo-       TO-Einsatzbereitschaft sowie die Auf-
          sie auf Linie mit dem Flügel der Moder-          EINDÄMMUNGSPOLITIK.                         ren, eingefrorenen Kontakten und ei-        forderung an die NATO-Mitgliedsstaa-
          nisierungsstrategen in der EVP liegen.                                                       nem abgekühlten Gesprächsklima. Die         ten, ihre Verteidigungsetats zu erhöhen.
          Die Gewichte in der EVP verschieben                                                          Zeiten von Saunabesuchen und Schlit-        Und mit dem Norweger Jens Stoltenberg
          sich jedoch im Lichte der Krim-Krise,                                                        tenfahrten mit russischen Präsidenten       rückt am 1. Oktober 2014 jemand an die
          und die Partnerschaftsbefürworter kön-                                                       sind passé. Die Zeichen heute stehen auf    Spitze des Verteidigungsbündnisses, der
          nen sich heute gegen die Containment-                                                        Eindämmung, nicht auf Modernisie-           durch die direkte Grenze mit Russland
          Politiker aus Osteuropa nicht mehr             te sich jeder Diskussion. Doch Brüssel        rungspartnerschaft, nicht auf wachsen-      eigene Erfahrungen im Umgang mit
          durchsetzen. Im Kräftespiel zwischen           nutzte diese Chance nicht und ignorier-       der Verflechtung. In NATO und EU fällt       Moskau sammeln konnte.
          Dialog- und Sanktionsanhängern haben           te die Tatsache, dass Rogosin zwar ein        es Deutschland schwer, eine positive            Die USA werden am Kurs des um-
          es die pragmatischen Vorsitzenden der          unbequemer Partner war, aber Zusagen          Agenda im Verhältnis zu Russland            fänglichen Drucks auf Russland festhal-
          EU-Russland-Delegation Knut Flecken-           hielt und Abmachungen auch gegenüber          durchzusetzen, die Befürworter der Ein-     ten, schließlich halten sie an ihrer Rolle
          stein oder Aloiz Peterle schwer, bei ihren     Putin durchsetzte.                            dämmungstheorie gegenüber Russland          als Garantiemacht des Budapester Me-
          Parlamentskollegen Gehör zu finden.                Kaum jemand in Brüssel hat heute ei-      gewinnen die Oberhand. Für Deutsch-         morandums von 1994 fest, das der Uk-
          Und mit der letzten nicht allzu demokra-       nen kurzen Draht zu Russlands Spitzen-        land, das sich im NATO-Bündnis im-          raine territoriale Integrität im Verzicht
          tischen Parlamentswahl in Russland             politikern. Die Beziehungen zu Russland       mer gegen eine schroffe Anti-Russland-      auf Atomwaffen garantierte. In ihrem
          2011 stellte sich die russische Seite selbst   waren nicht vorrangig, da schwierig und       Politik wehrte, liegt das Augenmerk         Verständnis als Schutzmacht der freien
50   POLITISCHE STUDIEN // 455                                                                                                                                             455 // POLITISCHE STUDIEN   51
ANALYSEN

                                                     und forcierter Selbstisolation anderer-       auch, bei dem in der Krim-Krise die Fä-
                                                     seits wird nur schwer zu finden sein.          den zusammenlaufen. Der Westen muss
       Westliche Eindämmungspolitik                       Putin, anfänglich kooperationswil-       daher beides tun: die keineswegs mono-
       und russische Großmachtpolitik                lig im Kampf gegen den internationalen        lithischen Akteure in Russland identifi-
       verheißen wenig Gutes für die                 Terrorismus und offensichtlich desillu-       zieren und dabei immer mit Präsident
       ZUKUNFT.                                      sioniert nach der amerikanischen Auf-         Putin in Kontakt bleiben. Der Kreis der-
                                                     kündigung des ABM-Vertrags 2002 und           jenigen, die auf Gehör und Vertrauen im
                                                     den westlichen Alleingängen im Irak           Kreml stoßen, ist klein. Doch es lohnt
                                                     und in Libyen, ist nach wie vor der           sich, darüber nachzudenken. ///
                                                     mächtigste Mann im Kreml und damit
                                                     auch der wichtigste russische Ansprech-
          Welt senden die USA damit eine klare       partner zur Lösung der Krise. Aber er
          Botschaft an alle Staaten, dass man kei-   selbst steht innenpolitisch mehr unter
          nen Präzedenzfall einer gewaltsamen        Druck, als es nach außen scheint. Er
          Landnahme duldet. Solange die völker-      muss die widerstrebenden Interessen in
          rechtswidrige Annexion der Krim beste-     seiner Umgebung ausbalancieren. Ex-
          hen bleibt, dürften die USA also nicht     portorientierte, innovationsinteressierte
          auf eine neue Entspannungspolitik ge-      und kooperationswillige Oligarchen lie-
          genüber Moskau umschwenken. Und es         gen im Clinch mit Geheimdienstlern,               /// CHRISTIAN FORSTNER
          spricht im Moment nichts dafür, dass       der Rüstungsindustrie und einer refor-            ist Leiter der Verbindungsstelle der
          Russland die Krim wieder zurückgibt.       munwilligen Beamtennomenklatura.                  Hanns-Seidel-Stiftung in Brüssel.
          Die auf der Krim stationierte Schwarz-          Russland hat ein grundsätzliches Ei-
          meerflotte ist für Russland durch den       geninteresse an Stabilität in der Nach-
          Zugang zum Mittelmeer strategisch          barschaft und an einer Modernisierung         Anmerkungen
                                                                                                    1 Matveeva, Anna: Traditionen, Kalküle, Funktio-
          wichtig und Sewastopol gehört zu den       der Wirtschaft. Krisen wie in der Ukrai-         nen. Russlands Rückkehr nach Zentralasien, in:
          Heldenstädten des Zweiten Weltkriegs.      ne beschleunigen den Kapitalabfluss               Osteuropa 8-9/2007, S. 291.
                                                                                                    2 Zur zunehmenden Interessenkonkurrenz zwi-
          Der Sieg über Hitler-Deutschland ist       und werfen Russland auf den Weg zu               schen der EU und Russland vgl. Stewart, Susan:
          zentrales Element des russischen Ge-       globaler Wettbewerbsfähigkeit zurück.            The EU, Russia and a Less Common Neighbour-
                                                                                                      hood, in: SWP Comments 3, January 2014.
          schichtsbewusstseins. In den Augen         Putins Popularität speiste sich die letz-      3 Für eine hervorragende völkerrechtliche und

          Moskaus gehören zur neuen Kiewer Re-       ten Jahre aus ständigem Wirtschafts-             politische Analyse vgl. das Interview mit Bruno
                                                                                                      Simma, in: Der Spiegel, 15/2014, S. 24-25.
          gierung auch faschistische Kräfte. Mos-    wachstum und dadurch bedingter Stei-           4 Zur westlichen Sanktionspolitik und der dadurch

          kau warnt eindringlich davor, die russi-   gerung des Lebensstandards. Es wäre              bedingten Konsolidierung der russischen Elite vgl.
                                                                                                      Trenin, Dmitri: A War of Escalation, in: http://
          sche Bevölkerung in der Ukraine zu un-     ein falscher Weg, wenn Putin diese out-          carnegie.ru/2014/03/19/war-of-escalation/h4x2
                                                                                                    5 Zur Notwendigkeit einer starken EU in der
          terdrücken und umstrittenen nationa-       put gespeiste innenpolitische Legitima-          Außen-, Sicherheits- und Nachbarschaftspolitik
          listischen NS-Kollaborateuren wie Ste-     tion fortan ersetzt durch Großmachtpo-           als Konsequenz der Krim-Krise vgl. Guiliani,
          pan Bandera zu huldigen. In diesem         litik, anti-westliche Feindbilder und            Jean-Dominique (Präsident der Robert-Schuman-
                                                                                                      Stiftung): Premières leçons russes pour l’Europe,
          strategischen und historischen Kontext     Neo-Imperialismus. Auf der nationalen            in: Newsletter der Robert-Schuman-Stiftung,
          wäre also für Putin die Rückgabe der       Welle kann er leicht zum Getriebenen             http://www.jd-giuliani.eu/fr/article/cat-2/371_
                                                                                                      Cold-War-II.html
          Krim ein zu großer Gesichtsverlust, der    seiner Großmachtpolitik werden. Putin          6 Zur Annexion der Krim als Legitimationsquelle

          ihn innenpolitisch schwächen und an-       sitzt zweifellos (noch) fest im Sattel, und      nach innen und Verhandlungsmasse gegenüber
                                                                                                      dem Westen vgl. Rogov, Kirill: Konflikt ne s Ukra-
          greifbar machen würde.6 Somit verstär-     von Zeit zu Zeit zeigt er, wer der starke        inoj, a s Zapadom, in: Vedomosti, 4.3.2014.
                                                                                                    7 Vgl. dazu das Interview mit Khodorkowvskij,
          ken sich die Entwicklungen der westli-     Mann im Kreml ist. Mit der überra-               Mikhail: Kreml‘ v chornoj zone, in: Moskovskij
          chen Eindämmungspolitik und der rus-       schenden Freilassung von Mikhail Cho-            Komsomolets, 25. Januar 2014, http://www.
          sischen Großmachtpolitik, ein Ausweg       dorkowskij demonstrierte Putin seine             mk.ru/politics/russia/interview/2014/01/ 25/9754
                                                                                                      85-kreml-v-chyornoy-zone.html
          aus Sanktionen und Isolation einerseits    ungebrochene Machtstellung.7 Er ist es
52   POLITISCHE STUDIEN // 455                                                                                                                             455 // POLITISCHE STUDIEN   53
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