Europapolitische Positionen 2023 - der IHK-Organisation GemeinsamEuropaGestalten
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
2 | E UR O PA P OLITISCH E P OS I TI O NEN 2 02 3 D ER I HK-O RGAN I S ATI ON Impressum Ansprechpartner im DIHK: Christopher Gosau Leiter des Referats Europäische Wirtschaftspolitik gosau.christopher@dihk.de +32 2 286-1661 Herausgeber und Copyright © Deutsche Industrie- und Handelskammer Berlin | Brüssel Fachbereich Europa Alle Rechte liegen beim Herausgeber. Ein Nachdruck – auch auszugsweise – ist nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Herausgebers gestattet. DIHK Berlin Postanschrift: 11052 Berlin | Hausanschrift: Breite Straße 29 | Berlin-Mitte Telefon: 030 20308-0 | Telefax: 030 20308-100 DIHK Brüssel Vertretung der Deutschen Industrie- und Handelskammer bei der Europäischen Union 19 A-D, Avenue des Arts | B-1000 Bruxelles Telefon: +32 2 286-1611 | Telefax: +32 2 286-1605 info@dihk.de www.dihk.de Grafik Friedemann Encke, DIHK Bildnachweis © Getty Images Stand März 2023
E UROPAPOLI TI S C HE POS I TI ON E N 2 02 3 DE R I HK -ORGA N I SAT I O N | 3 Inhalt Binnenmarkt: Europas Herzstück verwirklichen, offene Grenzen bewahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 International: Märkte öffnen, Barrieren abbauen, Lieferketten absichern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Corporate Social Responsibility: Nachhaltiges Wirtschaften unterstützen, Gestaltungsspielräume bewahren . . . . . . . . . . . 9 Sustainable Finance: Finanzierung der Transformation fördern statt erschweren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 EU-Haushalt, NGEU, Wirtschafts- und Währungsunion: Wettbewerbsfähigkeit stärken, Staatsschulden reduzieren . . . . . . . . . 14 Unternehmensfnanzierung und Finanzmärkte: Angemessen regulieren, Finanzierung ermöglichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Steuern: Standortwettbewerb annehmen, Steuern vereinfachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Industrie und Innovation: Technologische Souveränität Europas stärken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Mittelstandspolitik: KMU als Basis für Wachstum stärken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Energie und Klima: Europäischen Energiemarkt vollenden, Klimaschutz international vorantreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Umwelt: Effektiver Umweltschutz erfordert Augenmaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Verkehr und Mobilität: Wettbewerbsfähigkeit steigern, Integration vorantreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Regional- und Strukturpolitik: Förderung auf Wirtschaftswachstum in den Regionen konzentrieren . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Digitaler Binnenmarkt: Verlässliche Voraussetzungen für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft 4.0 schaffen . . . . . . . . . . 35 Fachkräftesicherung I: Alle Bildungspotenziale für die Betriebe nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Fachkräftesicherung II: Beschäftigung und Integration – Erwerbsbeteiligung steigern, Integration unterstützen . . . . . . . . . 42 Besseres Recht: Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung an den Grundsätzen von Klarheit, Einheitlichkeit und Praxisnähe ausrichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Europäisches Wirtschaftsrecht: Regulierung nicht als Selbstzweck, sondern zielorientiert und verhältnismäßig einsetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Datenschutz: Umsetzung vereinfachen, Durchsetzung vereinheitlichen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Wettbewerbsrecht: Wettbewerb stärken, Fairness fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Medien und Kommunikation: Informationen gewährleisten, Monopole verhindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
4 | E UR O PA P OLITISCH E P OS I TI O NEN 2 02 3 D ER I HK-O RGAN I S ATI ON Ansprechpartner in der DIHK: Der Binnenmarkt wird auch durch Harmonisierungsmaßnah- Dr. Julia Schmidt (Schmidt.julia@dihk.de) men verwirklicht. Harmonisierung ist aber kein Selbstzweck: Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten allein begründen Binnenmarkt: Europas Herzstück keine Eingriffe in die nationalen Rechts- und Wirtschaftssyste- verwirklichen, offene Grenzen me. Vielmehr sind diese Interventionen auf die streng erforder- lichen Maßnahmen der Verwirklichung des Binnenmarktes zu bewahren beschränken, insbesondere sollten Vorgaben für rein nationale wirtschaftliche Sachverhalte – auch indirekter Art – vermieden Der Europäische Binnenmarkt ist Herzstück und Antrieb für werden: das Subsidiaritätsprinzip bindet die EU und muss mehr die europäische Wirtschaft. Er fördert Zusammenarbeit und Beachtung finden (vgl. Position Besseres Recht). Wohlstand im Inneren der EU und stärkt ihre Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit nach außen. Ihn zu verwirklichen muss Wirtschaftskrisen können die Mitgliedstaaten in unterschiedli- daher weiter das primäre Ziel der EU bleiben – auch und gerade cher Weise treffen und unter Umständen Maßnahmen erfor- in Krisenzeiten, in denen wichtige Errungenschaften auf dem dern, die für die Verwirklichung des Binnenmarktes einen Rück- Weg zum EU-Binnenmarkt wieder in Frage gestellt werden. schritt bedeuten. Solche den Binnenmarkt einschränkenden Maßnahmen sollten nur als ultima ratio und zeitlich befristet Folgende Leitlinien sollten das wirtschaftspolitische erfolgen dürfen. Handeln bestimmen: Ein Single Market Emergency Instrument (SMEI) kann die • Offene Grenzen wahren; Einschränkungen des Binnenmark- Lehren und erfolgreichen Lösungsansätze aus der Pandemiezeit tes vermeiden, verlässliche Krisenmechanismen entwickeln in permanente Mechanismen überführen, die bei neuen Krisen – das Subsidiaritätsprinzip stärken kurzfristig helfen können. Grundsätzlich sollte gelten, dass ein solcher Krisenmechanismus nur in extremen, klar zu definieren- • Bürokratieabbau und Harmonisierung technischer Standards den Krisenfällen aktiviert wird. Ein präventives Monitoring von für einen Dienstleistungs- und Warenverkehr ohne Beschrän- Lieferketten sollte aufgrund des damit für die Unternehmen kungen vorantreiben verbundenen zusätzlichen Aufwandes auf wenige, strategisch besonders wichtige Produkte begrenzt werden und die Anfor- • Die digitale Verknüpfung von Verwaltungsverfahren vorantreiben derungen an die Datenlieferungen der Unternehmen möglichst eng definiert und einfach zu erfassen sein. Soweit möglich, • Effektiver Investitionsschutz stärkt den Binnenmarkt und sollte dabei auf Freiwilligkeit der Unternehmen gesetzt werden. nutzt der Nachhaltigkeit Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen ist in jedem Fall sicher- zustellen. Die Anwendung des SMEI darf nicht zu Verwerfungen Offene Grenzen wahren; Unvermeidliche Einschränkungen in der eigentlichen Lieferkette der betroffenen Unternehmen des Binnenmarktes minimieren, verlässliche Krisenmecha- sowie zu einer Verschlechterung der Kunden-Lieferanten-Be- nismen entwickeln – das Subsidiaritätsprinzip stärken ziehung führen, denen die Unternehmen auf Grund rechtlicher bzw. vertraglicher Verpflichtungen nachzukommen haben. Hier Offene Grenzen innerhalb der Europäischen Union bleiben müssen klare rechtliche Regularien bis hin zu Entschädigungs- wichtigste Voraussetzung für die Vollendung des Binnenmarkts. zahlungen normiert werden, wenn Unternehmen aufgrund des Ausnahmsweise notwendige Grenzkontrollen im Schengen- SMEI finanzielle Schäden entstehen. Raum sollten den grenzüberschreitenden Verkehr von Unter- nehmen möglichst wenig einschränken. Eine komplette Grenz- Bürokratieabbau und Harmonisierung technischer Stan- schließung, wie zu Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr dards für einen Dienstleistungs- und Warenverkehr ohne 2020, darf sich nicht wiederholen. Gemeinsames Ziel von Union Beschränkungen vorantreiben und Mitgliedstaaten sollte es sein, Diskriminierungen und Beschränkungen für den freien Waren-, Dienstleistungs-, Per- Der wachsende Umfang an Anzeige-, Melde-, Statistik- und sonen- und Kapitalverkehr abzubauen. Die hierfür eingesetzte Nachweispflichten kann den Warenverkehr stark einschränken Single Market Enforcement Taskforce (SMET) sollte ergebniso- und ist daher gering zu halten (siehe auch Position EU-Wirt- rientiert, transparent und unter Einbindung von Stakeholdern schaftsrecht). Vorgaben für Dienstleistungserbringer, z. B. in aus der Wirtschaft arbeiten. Bezug auf Sprachkenntnisse, müssen reduziert werden, sofern sie nicht aus zwingenden Gründen gerechtfertigt sind. Adminis- Die EU ist eine Rechtsunion – der Binnenmarkt kann sich nur trative Anforderungen bei der Arbeitnehmerentsendung gilt es durch klare rechtliche Maßgaben entfalten. Die Überfrachtung abzubauen und innerhalb der Europäischen Union zu vereinheit- der wirtschaftlichen Grundfreiheiten mit gesellschaftlichen lichen. Die A1-Bescheinigung, welche bei den Mitgliedstaaten Zielen wird in der Wirtschaft ganz überwiegend sehr kritisch unterschiedliche, vielfach überflüssige bürokratische Anforde- gesehen. Denn auch die bedeutsamen und unstrittigen politi- rungen und Prozesse aufstellt, sei hier beispielhaft genannt. schen Ziele der Union gehen der Verwirklichung des Binnen- marktes nicht automatisch vor, sondern sind mit diesen zum Zur Förderung des freien Warenverkehrs sollten technische Ausgleich zu bringen. Standards möglichst EU-weit harmonisiert werden. Um den
E UROPAPOLI TI S C HE POS I TI ON E N 2 02 3 DE R I HK -ORGA N I SAT I O N | 5 grenzüberschreitenden Versandhandel nicht zu hemmen, Effektiver Investitionsschutz stärkt den Binnenmarkt und müssen europäische Verpackungsvorschriften im B2C (Business nutzt der Nachhaltigkeit to Consumer) – Bereich durch die Mitgliedstaaten einheitlich umgesetzt werden. Die Belastung von Unternehmen durch Vielen gilt der Binnenmarkt durch die Grundfreiheiten und die immer neue nationale Registrierungsvorschriften und Pflichten Rechtskontrolle durch den Europäischen Gerichtshof formal als zur Benennung von Bevollmächtigten im Ausland sollten mini- vollständig. De facto ist der Binnenmarkt aus Sicht der Wirt- miert werden. Informationen und Verwaltungsverfahren sollten schaft jedoch erst vollendet, wenn Geschäfte mit Kunden in zukünftig online und neben der jeweiligen Landessprache anderen EU-Mitgliedsstaaten so einfach sind, wie mit Kunden zumindest auch in englischer Sprache zur Verfügung zu stellen. innerhalb des eigenen Mitgliedstaates. Immer noch sind einzel- ne Unternehmen durch Eingriffe u.a.in ihren Eigentumsrechten Die Anpassungen bei der Intrahandelsstatistik haben für oder der Berufsausübung betroffen – ohne hinreichenden nati- Unternehmen bislang nur einen erheblichen Mehraufwand onalen Rechtsschutz. Dies betrifft besonders die Rechtssicher- durch zusätzliche Datenfelder in den Versendungsmeldungen heit von Investitionen in innovative, langfristige und mit hohen verursacht. Die versprochene Vereinfachung des sogenannten Risiken behaftete Projekte, z.B. auch bei regenerativen Energien. „Einstromverfahrens“ muss zügig umgesetzt werden. Melde- Die erzwungene Beendigung der innereuropäischen Investi- schwellen müssen, auch unter Berücksichtigung der Inflation, tionsschutzverträge droht zu einer Investitionszurückhaltung angehoben werden. auch in für den Green Deal zentralen Projekten zu führen. Die EU sollte rasch alternative – und auch für KMU nutzbare – Die digitale Verknüpfung von Verwaltungsverfahren Schutzmechanismen schaffen und Investitionsschutz allgemein vorantreiben wieder als effektives Instrument der Investitionsförderung im Binnenmarkt wie auch international anerkennen. Dazu gehört Der Einheitliche Ansprechpartner (EA) sollte europaweit gleich es, Schiedsverfahren auch im Investitionsschutz als Teil der für ausgestaltet und beworben werden; Verfahren müssen in erster Unternehmen notwendigen Rechtssicherheit anzuerkennen, Linie auf digitalem Wege vereinfacht werden. Außerdem muss auch gerade um den aktuellen Wegfall der bilateralen Investiti- er rechtlich so ausgestattet sein, dass er alle unternehmensre- onsschutzabkommen innerhalb der EU zu kompensieren. levanten Prozesse anstoßen und begleiten kann. Der EA sollte ferner die Gewerbeanmeldung durchführen können. Das Single Digital Gateway ist ein Anfang, wobei sein Nutzen von der Mitarbeit und konsequenten Umsetzung in den Mitgliedstaaten abhängt. In der Zukunft sollten möglichst alle Verwaltungsver- fahren, die beim grenzüberschreitenden Wirtschaften relevant sind, online durchgeführt werden können, um so Aufwand und Bürokratiekosten zu reduzieren. Voraussetzung hierfür ist eine verlässliche, datenschutzkonforme und den Persönlich- keitsschutz wahrende digitale Identität für natürliche Personen und für Unternehmen. Auch für die Arbeitnehmerentsendung sollten einheitliche, selbsterklärende und barrierefreie Melde- portale zu Verfügung stehen, die auch auf Englisch ausgefüllt werden können und Schritt-für-Schritt durch den Prozess führen. Sie könnten zudem auch digitale Verfahren zur Über- prüfung von anwendbaren Entlohnungsvorgaben und Mindest- arbeitsbedingungen im jeweiligen Einsatzland vorsehen. Ein digitaler Lohnrechner wäre wünschenswert. Die Vorgaben der Richtlinie zur Durchsetzung der EU-Entsenderichtlinie sollten von den einzelnen Mitgliedstaaten durch die praxistaugliche Zurverfügungstellung von relevanten Informationen erfüllt werden. Wichtig ist zudem ein Ansprechpartner im Heimat- land, welcher auf Englisch kommunizieren kann und der bei der Dienstleistungserbringung im Ausland unterstützt. Neben digitalen Lösungen sollte für Unternehmen überdies möglichst auch zusätzlich eine schriftliche, telefonische oder persönliche Verfahrensabwicklung zur Verfügung stehen. Dennoch sollte der digitale Prozess der führende sein. Hierzu sind konsequen- tes Denken in End-to-End-Prozessen sowie Softwarearchitek- turen entsprechend SaaS (Software as a Service) notwendig. Jeder Service muss konsequent auf Automatisierungspotenziale untersucht werden. Diese Vorgaben sollte der Gesetzgeber für die öffentlichen Verwaltung formulieren.
6 | E UR O PA P OLITISCH E P OS I TI O NEN 2 02 3 D ER I HK-O RGAN I S ATI ON Ansprechpartner in der DIHK: beziehungen auszubauen. Änderungen von Lieferketten sollten Klemens Kober (kober.klemens@dihk.de), in erster Linie unternehmerische Entscheidungen bleiben. Carolin Herweg (herweg.carolin@dihk.de) Bei Handelsschutzmaßnahmen gilt es das Interesse der Wirt- International: Märkte öffnen, schaftszweige, die von den importierten Waren abhängen, mit Barrieren abbauen, Lieferketten dem berechtigten Schutzinteresse gegen wettbewerbswidrige Praktiken internationaler Handelspartner, die EU-Herstellern absichern schaden, abzuwägen. Grundsätzlich sollten Schutzmaßnahmen daher mit Augenmaß angewandt werden. Wichtig ist bei allen Offene Märkte und regelbasierter internationaler Handel sind Maßnahmen eine frühzeitige und umfassende Einbeziehung ein entscheidender Motor für Wohlstand und Beschäftigung der Wirtschaft. In diesem Rahmen könnte ein neues WTO- in Deutschland, Europa und in der Welt. Die EU-Handelspolitik konformes EU-Instrument wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen sollte daher Unternehmen beim Ausbau ihrer Wettbewerbs- von Drittstaaten unterbinden bzw. abschrecken. Das 2022 in position auf den Weltmärkten unterstützen, Protektionismus Kraft getretene EU-Instrument für das internationale Beschaf- entgegentreten, Lieferketten durch möglichst multilaterale fungswesen (IPI) sollte in einer Weise genutzt werden, dass es Regeln absichern und EU-Wirtschaftsinteressen souveräner deutschen und EU-Unternehmen den Zugang zu öffentlichen verteidigen. Die Integration aller Länder in die Weltwirtschaft Aufträgen in wichtigen Drittländern tatsächlich ermöglicht. und der Abbau von Handelshemmnissen sind vertragliche Ziele Dabei sollte durch den im IPI eingebauten Dialogprozess mit der Union: Sie müssen Teil der EU-Handelspolitik bleiben. Handelspartnern eskalierende Handelskonflikte vermieden werden. Zudem sollte die EU-Marktzugangsstrategie, also die Folgende Leitlinien sollten das wirtschaftspolitische Bekämpfung der Handelshemmnisse bei Handelspartnern, Handeln bestimmen: eine Priorität in der EU-Wirtschaftspolitik erfahren. Dies sollte auch insbesondere nicht tarifäre Handelshemmnisse wie etwa • Protektionismus entgegentreten, wirtschaftliche Resilienz Local-Content-Vorgaben, Bevorzugung in der staatlichen stärken Auftragsvergabe, bürokratische Zulassungsverfahren oder technische Normen umfassen. • Globale Handelsregeln gestalten und stärken Globale Handelsregeln gestalten und stärken • Märkte durch EU-Abkommen öffnen und absichern Zwei Drittel der außereuropäischen Exporte deutscher Unter- • Handelsabkommen mittelstandsfreundlich umsetzen nehmen beruhen einzig auf WTO-Regeln. Die EU sollte sich daher gegen die Erosion der WTO stark machen. Hierfür ist • Doppelstrukturen in der Außenwirtschaftsförderung vermeiden die rasche Neubesetzung des Berufungsgremiums der WTO- Streitbeilegung und eine WTO-Modernisierung für zeitgemäße • EU-Zollrecht modernisieren und entbürokratisieren und aus Sicht vieler Betriebe faire Subventionsregeln (Klarere Regeln zu Industriesubventionen, Subventionen für fossile • Internationale Abstimmung bei Sanktionen Energieträger sowie Fischerei) nötig. Ebenfalls rasch sollte ein WTO-Abkommen zur Beseitigung von Hemmnissen für den Protektionismus entgegentreten, wirtschaftliche Resilienz Gesundheitsgüterhandel vereinbart werden, um die Corona- stärken Krise und gegebenenfalls kommende Gesundheitskrisen global zu bewältigen. Auch eine WTO-Mittelstandsagenda und Die hoch internationalisierte deutsche Wirtschaft ist ange- Abkommen zu E-Commerce, Investitionserleichterungen und wiesen auf ein wirtschaftlich souveränes Europa, das inter- Umweltgütern sowie die Ausweitung der Abkommen zur Öf- national für offene Märkte sowie in der Praxis umsetzbare fentlichen Beschaffung und Informationstechnologie können Regeln für Handel und Investitionen eintritt und den eigenen den Außenhandel deutscher Unternehmen erleichtern. Markt offenhält. Die Stärkung der Handlungsfähigkeit der EU zur Abwehr exterritorialer Maßnahmen anderer Länder Märkte durch EU-Abkommen öffnen und absichern sollte nach Ansicht der Mehrzahl der Betriebe vorangetrie- ben werden. Auch gilt es, die digitale Souveränität der EU zu Eine souveräne EU benötigt enge Wirtschaftspartner. Zur stärken. Eine Abschottung der EU und ihrer Handelspartner Diversifizierung und Absicherung der Lieferketten der deut- sowie eine globale wirtschaftliche Entkopplung schränken schen Wirtschaft sollten aus Sicht vieler Unternehmen neue den deutschen Außenhandel und damit die Geschäftsmög- Handelsabkommen weltweit angestrebt werden, die Abkom- lichkeiten der Unternehmen ein. Dazu ist es aus Sicht der men mit Mercosur und Mexiko baldmöglichst ratifiziert und großen Mehrheit der Wirtschaft essenziell, protektionistischen mit Indonesien und Indien rasch fertig verhandelt werden. Tendenzen entschlossen entgegenzutreten, die WTO und die Auch weitere Abkommen mit Südostasien, Lateinamerika, im Nachbarschaftsbeziehungen der EU zu stärken, Investitionen arabischen Raum und Afrika bieten für viele Unternehmen und Logistikketten („Global Gateway“) abzusichern und mit bedeutende Geschäftschancen. Angesichts der gesteigerten weiteren Handelsabkommen die Diversifizierung der Handels- Bedeutung des Indopazifiks für die Diversifizierung des deut-
E UROPAPOLI TI S C HE POS I TI ON E N 2 02 3 DE R I HK -ORGA N I SAT I O N | 7 schen Außenhandels ist ein handelspolitisches Engagement Handelsabkommen erfolgreich sind, muss die Umsetzung in in dieser wirtschaftlich starken Region entscheidend. Anstatt den jeweiligen Ländern und der EU gelingen. Klare Implemen- Abkommen wie der Transpazifischen Partnerschaft CPTPP oder tierungszeitpläne aller Seiten unter Einbindung von KMU- der Regionalen Umfassenden Partnerschaft RCEP beizutre- Vertretern wie dem Kammernetzwerk sind nötig. Politisches ten und damit Standards konkurrierender Wirtschaftsräume Ziel sollte eine Nutzungsrate der Freihandelsabkommen von zu übernehmen, sollte die EU durch eigene Abkommen die mindestens 85 % sein. Der EU-Ursprungsrechner (ROSA) sollte Beziehungen zu den beteiligten Staaten vertiefen und die Be- weiter ausgebaut, gerade um kleine und mittelständische Un- deutung europäischer Standards vor Ort stärken. Der Transat- ternehmen bei der Berechnung des präferenziellen Ursprungs lantische Handels- und Technologierat TTC der EU mit den USA zu unterstützen. Um moderne und zukunftssichere Abkom- kann globale Zukunftsstandards setzen. Auch darüber hinaus men zu schließen, sollten auch wichtige Themen wie digitaler sollten aus Sicht der Mehrheit der Wirtschaft transatlantische Handel oder vorteilhafte Zollregeln für Güter mit hohem Handelshemmnisse wie Zölle oder verbleibende Handelsstrei- Dienstleistungsanteil in die Verhandlungen eingebracht wer- tigkeiten abgebaut werden. Ebenso sollte protektionistischen den. Der grenzüberschreitende Fluss von Datenströmen muss Maßnahmen wie Teilen des US Inflation Reduction Acts (IRA), gewährleistet sein, Daten und geistiges Eigentum von Unter- die europäische Unternehmen diskriminieren und eine Heraus- nehmen sollten geschützt sein und europäische Rechtsstan- forderung für den Industriestandort Deutschland darstellen, dards im Digitalbereich müssen gesichert werden. Häufig sorgt entgegen gewirkt werden. Auch sollte sich die EU gegenüber die Verunsicherung über Datensicherheit für das Brachliegen Deutschlands wichtigstem Handelspartner China weiterhin für von Geschäftsideen. Gleichzeitig sollten Handelsabkommen mehr Reziprozität in den Handelsbeziehungen einsetzen, um nicht von handelsfernen Themen überlagert werden. Auch ein für die Wirtschaft nötige Fortschritte beim Marktzugang und effektiver Investitionsschutz trägt wesentlich zum Erfolg von bei Wirtschaftsreformen zu erzielen. Handelsabkommen bei. Wichtige Themen wie Nachhaltigkeit, Umweltschutz oder Menschenrechte sollten möglichst global Die EU-UK Wirtschaftsbeziehungen werden nach dem Brexit verankert werden (WTO, OECD, G20, G7) um wirksam zu sein durch ein wiederkehrendes Infragestellen von bilateralen und neue Handelskonflikte zu vermeiden. Hierbei ist insbe- Vereinbarungen, inklusive des Nordirlandprotokolls und fort- sondere mit Blick auf den beschlossenen CO2-Grenzausgleich schreitenden Auseinanderdriftens bei Standards und Normen, der EU internationale Zusammenarbeit in der WTO oder einem zu Lasten auch vieler deutscher Unternehmen beschädigt. Klimaclub relevant. Auch die Reform des Allgemeinen Präfe- Nicht zuletzt angesichts gemeinsamer Wirtschaftsinteressen renzsystems der EU sollte den Handel mit Entwicklungsländern ist eine positive EU-UK-Zukunftsagenda gefragt: Das Handels- erleichtern, statt ihn zu erschweren. abkommen der EU mit dem Vereinigten Königreich (UK) samt Nordirlandprotokoll sollte erhalten, der freie Dienstleistungs- Doppelstrukturen in der Außenwirtschaftsförderung verkehr ermöglicht und im Bereich Außenpolitik (Sanktionen, vermeiden Investitions- und Exportkontrollen) ausgebaut, sowie der Beitritt des UK zum Regionalen Übereinkommen (Paneuropa- Das Netzwerk der Auslandshandelskammern mit 150 Stand- Mittelmeer-Kumulierung) forciert werden. Hemmnisse für orten in 93 Ländern weltweit sowie die regional verankerten die Anwendung der seit 2021 möglichen, deutlich verbesser- 79 Industrie- und Handelskammern in Deutschland schaffen ten Regeln des Regionalen Übereinkommens müssen weiter internationale Verbindungen und sind kompetente Anknüp- beseitigt werden. Ebenfalls ist eine engere institutionelle fungspunkte für die Wirtschaft vor Ort. Neue EU-Strukturen EU-Schweiz-Kooperation, etwa im Rahmen des Europäischen und Instrumente zur Unterstützung von KMU bei der Interna- Wirtschaftsraums, wirtschaftsstrategisch bedeutsam. Mit Blick tionalisierung wie European Chambers of Commerce müssen auf die gesamte EU-Nachbarschaft gilt – so viele Staaten wie eine sinnvolle Ergänzung zu den erprobten Instrumenten und möglich sollten eng an den europäischen Binnenmarkt heran- Institutionen der nationalen Außenwirtschaftsförderung sein. geführt werden. Zudem sollten Rohstoff- und Konnektivitäts- Europäische Wirtschaftsdiplomatie kann zur weltweiten Durch- partnerschaften gerade zur digitalen und grünen Transforma- setzung europäischer Wirtschaftsinteressen einen wichtigen tion ausgebaut werden. Beitrag leisten. Dabei dürfen aber bewährte Strukturen wie die Auslandshandelskammern nicht durch mit EU-Fördergeldern Handelsabkommen mittelstandsfreundlich ausgestalten finanzierte Konkurrenz verdrängt werden. Generell gilt: Die und umsetzen EU-Kommission muss das Subsidiaritätsprinzip wahren und die nationalen Institutionen der Außenwirtschaftsförderung Handelsabkommen müssen grundsätzlich mittelstandsfreund- frühzeitig und transparent in ihre Vorhaben einbinden. Insbe- lich ausgestaltet sein, etwa durch KMU-Kapitel, einfache und sondere neue Projekte der EU sollten bestehende Strukturen in allen Abkommen gleichlautende Ursprungsregeln und Vor- ergänzen und ggf. erweitern, nicht jedoch duplizieren. gaben zur Wahlfreiheit beim Nachweis des Präferenzursprungs durch eine Warenverkehrsbescheinigung oder den Erwerb Unternehmen bei der Ausgestaltung und Umsetzung des eines Zollstatus (REX o.ä.). Sie sollten zudem mit tragfähigen EU-Zollrechts nicht überfordern Vereinbarungen zu Themen wie Visaerleichterungen ergänzt werden. Viele Unternehmen sehen ansonsten sehr große Die wichtigsten Ziele des Unionszollkodex (UZK), zollrecht- bürokratische Hindernisse beim Nutzen der Zollvorteile. Damit liche Verfahrensvereinfachungen zu realisieren und einen
8 | E UR O PA P OLITISCH E P OS I TI O NEN 2 02 3 D ER I HK-O RGAN I S ATI ON EU-weit einheitlichen und wettbewerbsfähigen Rechtsrahmen ist es, wenn Drittstaaten ihre Sanktionsregime mit extraterri- zu gewährleisten, wurden nach den Erfahrungen der Betrie- torial wirkenden Elementen versehen. be bislang nur unzureichend verwirklicht. Auch die auf die Reduzierung der Zollbürokratie bezogenen Vorgaben des Trade Bevor es zu legislativen Maßnahmen wie dem Rückgriff auf Facilitation Agreements werden nicht hinreichend umgesetzt. Sanktionen kommt, sollten bei der Entscheidungsfindung So können etwa besonders vertrauenswürdige Unternehmen, explizit die Folgen für die deutsche Wirtschaft berücksichtigt so genannte „Authorised Economic Operator (AEO), wichtige werden. Die Regelungen selbst sollten zudem ausgewogen, Erleichterungen, die bereits seit 2016 im UZK rechtlich veran- präzise formuliert und für die zuständigen Behörden wie auch kert sind, weiterhin nicht nutzen. Beispiele hierfür sind u.a. die für die Unternehmen praktisch umsetzbar sein. Weiterhin soll- Zentrale Zollabwicklung bei der Einfuhr oder die Hinterlegung ten die von der EU verhängten Sanktionen regelmäßig auf ihre einer einzigen Bürgschaft für die finanzielle Absicherung ver- Wirksamkeit, aber auch auf ihre Verhältnismäßigkeit überprüft schiedener Zollverfahren in verschiedenen EU-Mitgliedsstaa- werden. Auf internationaler Ebene sollten sich die EU und die ten. Gleichzeitig steigt die Zahl der gesetzlichen Vorschriften Bundesregierung um eine enge Abstimmung in Foren wie der mit Einfluss auf den Außenhandel stetig. UN sowie mit wichtigen Partnern, wie z.B. den USA, bemü- hen und sich zudem verstärkt gegen extraterritorial wirkende Die Ausgestaltung des UZK sollte sich rechtlich, zeitlich und Sanktionsmaßnahmen einsetzen, auch um widersprüchliche mit Blick auf IT-Fragen in erster Linie an den Bedürfnissen Maßgaben und Wettbewerbsnachteile für die deutsche Wirt- der Unternehmen und den Erfordernissen des Warenverkehrs schaft zu vermeiden. Eine unterschiedliche Auslegung von EU- orientieren. Die von der EU-Kommission erlassenen Zollbe- Sanktionen durch die einzelnen EU-Mitgliedstaaten darf nicht stimmungen müssen deshalb regelmäßig und konsequent auf zu Wettbewerbsnachteilen für die deutsche Wirtschaft führen. Möglichkeiten zur Digitalisierung und Entbürokratisierung Deutsche Unternehmen müssen auch durch eine souveräne überprüft werden. Das bedeutet z.B. konkret bei IT-Anpassun- EU-Außenwirtschaftspolitik vor der rechtlichen, wie wirt- gen, dass die zuständigen Behörden für Zollverfahren stärker schaftspolitischen Einflussnahme durch Drittstaaten geschützt auf bereits existierende Daten zurückgreifen sollten, anstatt werden. Für Exporte und Importe, die nach deutschem und immer neue zusätzliche Daten allein für Zollzwecke bei den europäischem Recht weiterhin erlaubt sind, muss insbeson- Unternehmen abzufragen. Auch das sogenannte „Single- dere die Abwicklung der Beförderung, des Zahlungsverkehrs Window“ zur einmaligen elektronischen Eingabe von Zolldaten und anderer Dienstleistungen nicht nur möglich, sondern auch und Dokumenten an einem zentralen Ort muss zügig voran- praktikabel bleiben. gebracht werden. Außerdem sollten die Kontrollen zollrele- vanter Risiken und Zollabgaben nicht mehr bei jeder einzel- nen Sendung ansetzen. Anstelle einer solchen kleinteiligen Einzelfallbetrachtung können diese Vorgänge im Sinne eines prozessorientierten Ansatzes periodisch zusammengefasst in regelmäßigen Zeitabständen erfolgen. Auch die Vereinfachung des EU-Zolltarifs muss dringend angegangen werden, um Unternehmen und Zoll gleichermaßen zu entlasten. Schließlich braucht die Wirtschaft nach Ansicht der Mehrzahl der Unter- nehmen auch an der Stelle eine Modernisierung der Handels- regeln, wo (digitale) Dienstleistungen in die Herstellung physi- scher Produkte einfließen und mit hohen Zollsätzen besteuert werden („Modus 5“). Mit Blick auf strategische Abhängigkeiten der EU ist eine Modernisierung des EU-Zolltarifs sowie des EU- Mechanismus zur Aussetzung wirtschaftsschädlicher Zollhür- den etwa im Rohstoffbereich nötig. Auch die Digitalisierung von Zollverfahren und Dokumenten sollte nach Ansicht der betroffenen Unternehmen stärker vorangetrieben werden. Internationale Abstimmung bei Sanktionen In internationalen politischen Konflikten und Kriegen – wie beispielsweise der russischen Invasion in der Ukraine – sind Sanktionen Teil des außenpolitischen Instrumentariums der EU. Hier gilt für die deutsche Wirtschaft das Primat der Politik. EU-Verordnungen und das deutsche Außenwirt- schaftsrecht legen den gesetzlichen Rahmen fest. Die Zahl der weltweit bestehenden Wirtschaftssanktionen hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Dabei laufen Sanktionen international nur selten im Gleichklang. Besonders schwierig
E UROPAPOLI TI S C HE POS I TI ON E N 2 02 3 DE R I HK -ORGA N I SAT I O N | 9 Ansprechpartner in der DIHK: Folgende Leitlinien sollten das wirtschaftspolitische Cornelia Upmeier (upmeier.cornelia@dihk.de), Handeln bestimmen: Daniela Seller (seller.daniela@dihk.de) • Für Menschenrechte und Umweltstandards weltweit werben Corporate Social Responsibility: Nachhaltiges Wirtschaften unter- • Mehr Unterstützung anbieten, CSR-Kompetenzen fördern statt Überregulierung und Bürokratie stützen, Gestaltungsspielräume bewahren • Komplexität und Aufwand der Nachhaltigkeitsberichterstat- tung kompatibel gestalten und begrenzen In einer globalisierten Welt und vor dem Hintergrund großer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Herausforderungen • Freiwillige Umweltmanagementsysteme anerkennen ist verantwortungsvolles und nachhaltiges Wirtschaften in der Tradition des Leitbilds der Ehrbaren Kaufleute aktueller • Transparenz im Rohstoffsektor durch praktikable Instrumente denn je. Deutsche Unternehmen üben ihre unternehmerische schaffen Verantwortung (Corporate Social Responsibility – CSR) auf vielfältige Weise aus und verbinden wirtschaftlichen Erfolg mit • Chancen der Digitalisierung für eine nachhaltige Entwicklung der Berücksichtigung ökologischer, sozialer und gesellschaftli- einsetzen cher Aspekte. In einer zunehmend digitalen Welt und Gesell- schaft gehört hierzu auch der verantwortungsvolle Umgang • Öffentliches Auftragswesen nicht überfordern mit Daten von Mitarbeitenden, Lieferanten oder Kunden sowie mit den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderun- Für Menschenrechte und Umweltstandards weltweit werben gen, die sich durch die Digitalisierung ergeben, die Corporate Digital Responsibility (CDR). Auch im Ausland tragen deut- Die deutsche Wirtschaft unterstützt das Ziel der EU-Strategie sche Unternehmen zu höheren Sozial- und Umweltstandards, zur Förderung menschenwürdiger Arbeit weltweit. Die gemein- besserer Bildung und damit zu Wachstum und Wohlstand bei. same Anstrengung vieler gesellschaftlicher Akteure für die Viele Unternehmen leisten durch dieses Engagement sowie die verantwortungsvolle Gestaltung von Liefer- und Wertschöp- Entwicklung von innovativen Produkten und Dienstleistun- fungsketten kann einen wesentlichen Beitrag zur Vermeidung gen zusätzlich einen Beitrag zur Erreichung der Nachhaltigen von Zwangs- und Kinderarbeit sowie zur nachhaltigen Ent- Entwicklungsziele der Vereinten Nationen[1]. wicklung leisten. CSR-Strategien und die Art des Engagements von Unternehmen sind dabei jedoch unterschiedlich. Gelebte Grundsätzlich sollte die Politik die Wirtschaft als Partner Unternehmensverantwortung kann ein Treiber für Innovation verstehen, da sich die Herausforderungen der Transformation sein, Wettbewerbsvorteile schaffen und die Unternehmens- zu einer nachhaltigen und klimaneutralen Gesellschaft nur marke stärken. Zudem erwarten Mitarbeiter, Kunden, Lieferan- gemeinsam mit der Wirtschaft lösen lassen. Dabei wird die ten, Investoren, Politik und Gesellschaft, dass Unternehmen Transformation nur gelingen, wenn die Regeln praxistauglich gesellschaftliche Veränderungen verantwortungsvoll mitge- sind und den Wirtschaftsstandort langfristig stärken. Dafür stalten und sich für gemeinsame rechtsstaatliche Grundsätze sollten die Europäischen Institutionen einheitliche, verlässliche einsetzen. Lieferkettenmanagement, menschen- und um- Rahmenbedingungen für unternehmerische Tätigkeit in Europa weltrechtliche Sorgfaltsprozesse sowie die Verhinderung von schaffen und die notwendigen Freiräume für die Wahrneh- Zwangsarbeit stehen stark im Vordergrund der Diskussion. Die mung und Ausgestaltung unternehmensspezifischer Verant- tatsächlichen Möglichkeiten der Einflussnahme von Unterneh- wortung lassen. Ein koordiniertes Vorgehen auf EU-Ebene ist men auf die Zulieferkette variieren jedoch stark, je nach Unter- für die Investitions- und Planungssicherheit der Wirtschaft nehmensgröße, -struktur und Marktposition. Insbesondere essentiell. Bei grenzüberschreitenden Themen sollte sie über kleine und mittlere Unternehmen haben oft nur begrenzten internationale Ordnungspolitik möglichst gleiche Wettbe- Einfluss und geringe Kontrollmöglichkeiten bei der Einhaltung werbsbedingungen auf globaler Ebene herstellen – mit Blick der Standards vor Ort. Dennoch ist die Einführung menschen- auf einige Auslandsmärkte entstehen bereits Benachteiligun- rechtlicher Sorgfaltspflichten und eine Lieferkettenhaftung für gen für deutsche Unternehmen durch EU-Regelungen. Bei der Unternehmen, verbunden mit Klagerechten, auf EU-Ebene in Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Recht sollten die Arbeit. Dies würde jedoch auch wegen der vielfachen unbe- gesetzten EU-Standards gewahrt werden und keine weiteren stimmten Rechtsbegriffe zu erheblicher Rechtsunsicherheit Verschärfungen zum Nachteil der deutschen Wirtschaft im und kaum begrenzbaren Haftungsrisiken führen. Dadurch nationalen Recht erfolgen. könnte auch die von der EU unterstützte Internationalisierung von KMU gefährdet werden. Ein großer Teil der Unternehmen lehnt eine Regulierung auf EU-Ebene daher ab. Einige Unter- [1] Die Perspektive der Wirtschaft zur Erreichung der VN-Nachhaltigkeitsziele hat die DIHK in ihrem Positionspapier „Die VN-Nachhaltig- keitsziele erreichen – Perspektive der Wirtschaft“ dargestellt, welches im März 2022 vom Vorstand verabschiedet wurde.
10 | E UR O PA P OLITISCH E P OS I TI O NEN 2 02 3 D ER I HK-O RGAN I S ATI ON nehmen befürworten eine EU-Regelung, vor allem, um eine Berichtspflichten, die mit erheblichem zusätzlichen Aufwand Fragmentierung nationaler Gesetzgebung innerhalb der EU zu für Dokumentation und Information sowie Kosten für die verhindern, wobei eine EU-Richtlinie nicht über das nationale Erstellung und ggf. Prüfung einherginge, ist aus Sicht des deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hinaus gehen Großteils der Betriebe nicht zielführend und wird nur von sollte. Eine Beschränkung auf direkte Zulieferer ist geboten, wenigen Unternehmen befürwortet. Insbesondere sollte eine da Unternehmen keinen Zugriff auf die mittelbaren Zulie- Kompatibilität, ggfs. auch Vereinheitlichung der verschiedens- ferer entlang der Wertschöpfungskette haben. Ebenso ist ten Pflichten und Standards sichergestellt werden. Bei der Ent- sicherzustellen, dass es zu keinen doppelten Berichtspflichten wicklung der Europäischen Nachhaltigkeitsstandards (ESRS) kommt, die bereits z.B. von der CSRD gedeckt sind. Im Sinne sind dabei klare, verlässliche und der Unternehmensgröße an- einer Verantwortungspartnerschaft müssen nach Ansicht der gemessene Rahmenbedingungen und praktikable Umsetzungs- Unternehmen die Staaten ihre Aufgabe wahrnehmen, Sozial- möglichkeiten von Bedeutung. Insbesondere die spezifischen und Umweltstandards durchzusetzen und Menschenrechte zu Herausforderungen von kleinen und mittleren Unternehmen, schützen, auch in Entwicklungs- und Schwellenländern. Diese die als Zulieferbetriebe zur Offenlegung von Nachhaltigkeits- staatliche Verantwortung darf weder in den Gaststaaten noch informationen aufgefordert werden, gilt es zu berücksichtigen. von Europa aus auf die Unternehmen übertragen werden. Grundsätzlich sollte auch ein Abbau von Dokumentationsvor- Europäische Standards können dabei nicht eins zu eins auf schriften durchgeführt werden, insbesondere, wenn identische Entwicklungs- und Schwellenländer übertragen werden, da Inhalte verlangt werden. Hier sollte auf bestehende Berichte nationale und interkulturelle Besonderheiten Berücksichtigung verwiesen werden können und eine Doppelbelastung dadurch finden müssen. vermieden werden. Mehr Unterstützung anbieten, CSR-Kompetenzen fördern, Freiwillige Umweltmanagementsysteme anerkennen statt Regulierung und Bürokratie Freiwillige Umweltmanagementsysteme befördern einen indi- Durch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) viduellen, verantwortungsbewussten Ressourceneinsatz. Teil- und die Taxonomie müssen bereits künftig deutlich mehr Un- nehmer des europäischen Umweltmanagementsystems EMAS ternehmen unmittelbar über ihre Nachhaltigkeit berichten. Der beispielsweise verpflichten sich, die Einhaltung aller umwelt- Fokus sollte verstärkt auf Unterstützungsangeboten und der rechtlichen Vorgaben prüfen zu lassen und ihre Umweltleistung Förderung von CSR-Kompetenzen liegen. Unternehmen sollten kontinuierlich zu verbessern. EMAS ist so für Unternehmen ein durch Informationen sowie Angebote zur Kapazitätsentwick- Gütesiegel und öffentliches Bekenntnis für eine an Umwelt und lung und zum Aufbau von Know-how unterstützt werden, auch Nachhaltigkeit ausgerichtete Unternehmenskultur. um die Akzeptanz von Regulierungen zu erhöhen. Regionale Kompetenzzentren können mit Unterstützung von Stakehol- Das freiwillige, über die gesetzlichen Anforderungen hinaus- dern wie den Kammern Anlaufzentren für Nachhaltigkeit und gehende Engagement der Unternehmen z.B. durch Manage- CSR sein. Auch Initiativen im Rahmen der Vereinten Nationen mentsysteme wie ISO-Zertifizierungen, sollte außerhalb des sollten darauf ausgerichtet sein, Unternehmen einerseits öffentlichen Auftragswesens höhere Anerkennung finden, u. unverbindliche Hilfestellung zu geben und andererseits Staaten a. in Form von Erleichterungen bei Dokumentationspflichten. anzuhalten selbst, bestehende völkerrechtliche Vereinbarun- Dann fänden diese Instrumente noch mehr Anklang bei den gen zu implementieren und durchzusetzen. Dies sollte die EU Unternehmen. auch auf UN-Ebene bei der Verhandlung des Entwurfs für ein internationales Abkommen (UN-Treaty) im Bereich Wirtschaft Transparenz im Rohstoffsektor durch praktikable und Menschenrechte berücksichtigen. Im Rahmen von multi- Instrumente lateralen Foren und internationalen Organisationen sollte sich die Europäische Union für eine Angleichung der Wettbewerbs- Pflichten zur Offenlegung der Herkunft von Rohstoffen, wie bedingungen für Unternehmen einsetzen, um Nachhaltigkeit in sie in den USA bestehen (Dodd-Frank-Act) und in der EU dis- Liefer- und Wertschöpfungsketten zu fördern. kutiert werden (EU-Chips Act, Due Diligence), bedeuten häufig eine enorme zeitliche und finanzielle Belastung für betroffene Komplexität und Aufwand der Nachhaltigkeitsberichter- Unternehmen und damit in der Lieferkette. Die Erfahrungen stattung kompatibel gestalten und begrenzen mit der EU-Verordnung über Konfliktmineralien zeigen, dass die Berichts- und Prüfpflichten den Rohstoffhandel verkom- Mit der Verabschiedung der CSRD, der Taxonomie und dem ge- plizieren und für Rechtsunsicherheiten beim Import sowie planten EU-Lieferkettengesetz nehmen die Anforderungen an praktische Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Regelungen Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung innerhalb der Lieferkette zur Folge haben. Unternehmen tragen und der Anwendungsbereich zu. Von den Berichtspflichten Verantwortung beim Bezug ihrer Rohstoffe. Sie unterstützen sind nicht nur große Unternehmen betroffen, sondern durch Initiativen zur Verhinderung von Korruption und leisten durch den Kaskadeneffekt auch kleine und mittlere Unternehmen, freiwillige Zertifizierungen einen Beitrag zum konfliktfreien die als Zulieferbetriebe zur Erhebung von nicht-finanziellen Handel mit Rohstoffen. Freiwilligen Zertifizierungen durch Informationen – oftmals nach unterschiedlichen Standards Unternehmen zur verantwortungsvollen Rohstoffbeschaffung und Formaten – aufgefordert werden. Eine Ausweitung der sollte generell Vorzug vor bürokratischen Nachweispflichten
E UROPAPOLI TI S C HE POS I TI ON E N 2 02 3 DE R I HK -ORGA N I SAT I O N | 11 über die Rohstoffherkunft gegeben werden. Eine Minderheit Ansprechpartner in der DIHK: von Unternehmen sieht in der freiwilligen Zertifizierung nur Dr. Jan Greitens (greitens.jan@dihk.de) eine schwache Wirkung und bewertet diese kritisch. Sustainable Finance: Finanzierung Chancen der Digitalisierung für eine nachhaltige Entwick- lung einsetzen der Transformation fördern statt erschweren Ein Ziel des EU-Aktionsplan 2020-24 ist es, die EU an die Spit- ze der datengesteuerten Wirtschaft zu bringen. Die Wirtschaft „Sustainable Finance“ ist, ergänzend zur CO2-Bepreisung, ein unterstützt dieses Ziel, auch mit Blick darauf, dass digitale wesentlicher Eckpfeiler des European Green Deal. Die Um- Technologien einen Beitrag zur Bewältigung struktureller und setzung umfasst (1) die Finanzierung selbst, aber auch (2) ökologischer Herausforderungen in der Wirtschaft leisten umfangreiche Offenlegungs- und Nachweispflichten. Zu diesen können. Die Potentiale, die durch die Vernetzung von Digi- europäischen Regelungen kommen noch (3) globale Initiativen talisierung und Nachhaltigkeit ermöglicht werden, sollten in zu Offenlegungsstandards. neuen Gesetzen abwägend mit einbezogen, aber nicht zu einer zwingenden Voraussetzung gemacht werden. Unternehmen Mit der EU-Taxonomie wird der Versuch unternommen, sind sich ihrer Corporate Digital Responsibility (CDR) bewusst, wirtschaftliche Aktivitäten danach einzuteilen, ob sie zu einer die sich aus der Digitalisierung und den damit einhergehenden nachhaltigen Entwicklung beitragen oder nicht. Alle gemäß gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen ergibt. Taxonomie bewerteten wirtschaftlichen Aktivitäten fließen in die Ermittlung der sogenannten Green Asset Ratio (GAR) ein, Öffentliches Auftragswesen nicht überfordern anhand derer Banken den nachhaltigen Anteil ihrer Finanzie- rungsaktivitäten ausweisen sollen. Allein die durch die GAR Öffentliche Auftragsvergabe wird zunehmend an nachhaltiges hergestellte öffentliche Transparenz soll dann die Finanzierung Wirtschaften der Auftraggeber geknüpft: Öffentliche Aufträge in eine nachhaltige Richtung lenken, ohne dass für die GAR sind mit ihrem Volumen von 15 Prozent des BIP (OECD 2019) derzeit konkrete Zielgrößen vorgeschrieben werden. in Deutschland ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Mit Beschaf- fungen kann die öffentliche Hand Innovationen und Nach- Die Berichts- und Offenlegungspflichten werden auf EU-Ebene haltigkeitsaspekte als strategische Ziele umsetzen. Allerdings anhand von drei Instrumenten ausgestaltet: wird so die Auftragsvergabe mit zusätzlichen Anforderungen überfrachtet, was gerade KMU benachteiligt. Ein solcher • Durch die Corporate Sustainability Reporting Directive Ansatz ist nach Ansicht der Mehrheit der Unternehmen nur (CSRD) müssen künftig deutlich mehr Unternehmen unmit- dann mit Wirtschaftlichkeit und Wettbewerb vereinbar, wenn telbar über ihre Nachhaltigkeit berichten. er auftragsbezogen ist und wenn er vom öffentlichen Auf- traggeber auch kontrolliert werden kann. Auch Vergabestellen • Finanzmarktteilnehmer, insbesondere Banken, müssen gemäß können die Einhaltung umfassender Bedingungen an den der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) Anga- Produktionsprozess und die Zulieferkette bei globalen Wert- ben zur Nachhaltigkeit ihrer Geschäfte machen. schöpfungsketten nicht ausreichend kontrollieren. Nach dem „Think small first“-Prinzip der EU dürfen strategische Ziele • Zusammen mit den Offenlegungspflichten aus Artikel 8 der nicht dazu führen, KMU praktisch von vielen Vergabeverfahren EU-Taxonomie-Verordnung ergeben sich damit direkt, aber auszuschließen. auch indirekt umfangreiche Offenlegungspflichten auch für weite Teile des Mittelstands. In den vergangenen Jahren hat es international eine Vielzahl an Initiativen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung gegeben und es wurde eine Fülle von Rahmensystemen, Methoden und Kennzahlen für die Nachhaltigkeitsberichterstattung entwickelt. Unternehmen, die Teil internationaler Wertschöpfungsketten sind, sehen sich deshalb inzwischen einer Vielzahl verschiede- ner Anforderungen gegenüber. Folgende Leitlinien sollten das wirtschaftspolitische Han- deln bestimmen: • EU-Taxonomie vereinfachen – dann dynamisch und in der Praxis handhabbar umsetzen • Verhältnismäßigkeit für die Breite der Wirtschaft wahren
12 | E UR O PA P OLITISCH E P OS I TI O NEN 2 02 3 D ER I HK-O RGAN I S ATI ON • Globale Standards unterstützen Letztlich muss vermieden werden, dass Unternehmen ohne eine angemessene Zeit für Anpassungen gezwungen werden, ihren EU-Taxonomie vereinfachen – dynamisch und in der Praxis Produktionsstandort in ein Land außerhalb der EU zu verlagern. handhabbar umsetzen Wenn dort keine den EU-Regelungen entsprechenden Anforde- rungen an die Nachhaltigkeit existieren, haben solche Verlage- Wichtigstes Ziel der EU-Taxonomie-Verordnung sollte sein, die rungen keine positiven Auswirkungen auf Umwelt und Klima. Transformation der Wirtschaft und vor allem den Übergang Zudem schwächen sie den Wirtschaftsstandort Europa. der Unternehmen hin zu mehr nachhaltigem Wirtschaften zu fördern und die Finanzierung der Transformation zu sichern. Die IHK-Organisation fordert deshalb auch für die Ausarbeitung Benötigt wird eine Transformations-Taxonomie. der sogenannten „erweiterten Taxonomie“, die den Übergang von einer fossilen in eine ökologisch nachhaltige Wirtschaft Viele Unternehmen bezweifeln, inwieweit sich mithilfe der zum Gegenstand hat, die Orientierung an allgemeinen Leitlinien, Taxonomie die angestrebte klima- und umweltpolitische um der Heterogenität der Wertschöpfung Rechnung zu tragen. Transformation erreichen lässt. In der Praxis sind betriebliche Wertschöpfungsketten nicht eindeutig zuzuordnen. Geschäfts- Verhältnismäßigkeit für die Breite der Wirtschaft wahren modelle ändern sich im Zeitablauf. Unternehmen kombinieren wirtschaftliche Tätigkeiten, die in der Taxonomie als „braune“ Berichtspflichtige große, kapitalmarktorientierte Unternehmen oder „grüne“ Produktion bewertet werden. Einzelne Aktivitäten sowie Finanzmarktakteure fordern Informationen in der Regel können oft nicht trennscharf in nachhaltig oder nicht-nach- bereits heute von ihren Kunden und Zulieferern ein. Denn um haltig eingeteilt werden. Eine sich anpassende und kontinu- Bewertungen in Form eines Nachhaltigkeits-Scorings berech- ierlich in Kooperation mit der Wirtschaft weiterentwickelte nen oder die eigene Taxonomiekonformität umfassend beur- Regulierung würde daher der Transformation besser dienen als teilen zu können, benötigen die Finanzmarktakteure Daten und kleinteilige und statische Vorgaben. Gleichzeitig dürfen sich Informationen anderer Unternehmen. Deshalb sind bereits jetzt die Bedingungen nicht zu oft und schnell verändern, um die viele kleine und mittelgroße Betriebe erheblich damit belastet, notwendigen Investitionen der Unternehmen zu ermöglichen. zur Bewertung von Nachhaltigkeitsaspekten nicht standardi- sierte Informationen zu liefern. Unternehmen, die in ihren Betriebsabläufen heute noch viel CO2 emittieren müssen, machen sich vielfach auf den Weg, ihre Aus Sicht der Breite der Wirtschaft ist es daher dringend Produktionsverfahren und Energieversorgung umzustellen. Die- erforderlich, einen einfachen und proportionalen Berichtsstan- ser Wandel hin zur Klimaneutralität sollte aus Sicht der Mehr- dard für KMU zu entwickeln. Vor jeder Berichtspflicht sollte der heit der Betriebe nicht ausgebremst werden, indem der Zugang Nutzen der geforderten Information für die Transformation zu Finanzierungen für die notwendigen Investitionen durch zu belegt sein. Eine Standardisierung sollte zudem deutliche Diffe- hohe Anforderungen erschwert wird. Zudem tragen zahlreiche, renzierungen der Anforderungen im Hinblick auf den Zweck der heute noch emissionsintensive Branchen zur Herstellung von verlangten offenzulegenden Daten vornehmen und Redundan- Klimaschutztechnologien bei; beispielsweise werden in jeder zen vermeiden. Dafür ist eine Priorisierung der Informationen Windkraftanlage große Mengen Stahl oder Kupfer verbaut. Das im Hinblick auf die Nachhaltigkeitsziele erforderlich. Angebot an „grün“ produziertem Stahl ist hingegen aufgrund der hohen technischen Komplexität des Produktionsprozesses Dabei sind die unterschiedlichen Interessen von und Erwar- weltweit sehr begrenzt. tungen an kapitalmarktorientierte und nicht-kapitalmarktori- entierte Unternehmen zu berücksichtigen. Ein klar definierter, Aktuelle Entwicklungen, wie etwa die neue Bedeutung der eng begrenzter und möglichst standardisierter Fragenkatalog Energie- und Versorgungssicherheit sowie mehr Investitio- („Basisdatenset“), der die Anforderungen der berichtspflichtigen nen in sicherheitsrelevante Bereiche wie die Herstellung von Unternehmen gegenüber ihren Geschäftspartnern strukturiert, Rüstungsgütern, können zwar in der EU-Taxonomie als einem würde die Vielzahl an Informationsbegehren eindämmen und Regelwerk, das kontinuierlich ausgeweitet werden soll, abgebil- die Unternehmen so entlasten. det werden. Die bereits heute hohe Komplexität wird allerdings dann noch zunehmen. Außerdem ist es wichtig, Bereiche zu definieren und grundsätz- lich von der Anwendung der Taxonomie-Verordnung auszuneh- Der Gesetzgeber sollte davon Abstand nehmen, einzelne Wirt- men, die nachweislich keine Auswirkung auf Umwelt und Klima schaftsbereiche von vornherein als nicht-taxonomiekonform haben. Die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung einzustufen. Die EU-Taxonomie-Verordnung sollte stattdessen (CSRD) sieht richtigerweise vor, dass in Ausnahmesituationen so ausgestaltet werden, dass alle Unternehmen die Chance nicht vollumfänglich berichtet werden muss; insofern sieht haben, einen Transformationsprozess hin zu einer stärkeren auch der Entwurf des Nachhaltigkeitsberichtsstandards z.B. Nachhaltigkeit einzuleiten und finanziert zu bekommen. Zu in Bezug auf Knowhow-Schutz und Geschäftsgeheimnisse strenge Vorgaben können auch dazu führen, dass sich die Un- Ausnahmen vor. Ferner sollten grundsätzlich Selbstverpflich- ternehmen im „grauen Kapitalmarkt“ ihre Finanzierung suchen. tungen möglich sein, die im Vergleich zu gesetzlichen Offenle- Die Regulierung der Banken und die Anforderungen an die gungspflichten ein deutlich weniger aufwändiges Mittel sind. Unternehmen müssen synchronisiert sein. Informations- und Offenlegungspflichten sollten zielgerichtet
Sie können auch lesen