FELIS SILVESTRIS SILVESTRIS EUROPÄISCHE WILDKATZE 2020 - GERD GRÜN - Gruenverlag
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Dr. Gerd Grün Felis silvestris Wildkatze 2020 GERD GRÜN FELIS SILVESTRIS SILVESTRIS EUROPÄISCHE WILDKATZE 2020
Dr. Gerd Grün Felis silvestris Wildkatze 2020 Felis silvestris Wildkatze, Europäische Wildkatze E Wild cat, European Wildcat F Chat sauvage, Chat forestier N Wilde kat P Żbik europejski Č Kočky divoké Bilder: https://www.bing.com/images/search?q=Felis+silvestris+silvestris&FORM=HDRSC2 Einordnung ins System Europa finden die Angaben schwanken zwischen 3,5% in Westdeutschland und Unter dem Namen Felis catus nahm Linné unbeziffert „hohen“ Hauskatzenanteilen 1758 die Katze in sein Systema naturae auf. bei den Wildkatzen. Die hohen Anteile Doch schon 1777 sah Schreiber sich genö- könnten aber auf Methodenmängeln be- tigt, Hauskatze und Wildkatze zu unter- ruhen und nicht zutreffen. Für die Wild- scheiden und nannte letztere Felis silves- katzen Schottlands, die keinen Kontakt zu tris. Diese Art Felis silvestris ist mit ca 20 anderen Wildkatzen haben, wird bereits Unterarten über weite Teile Afrikas, Asi- das Aussterben durch Hybridisierung ens und Europas verbreitet. Im vorliegen- vorausgesehen. Auf der Iberischen Halb- den Text geht es allein um die europäische insel, wo beide Formen getrennt leben, Unterart Felis silvestris silvestris. sind sie kaum durchmischt. Die Gattung Felis gehört mit all ihren Ar- ten der Familie Felidae, Katzenartige, an Diese Lage macht es schwierig, Verbrei- und damit der Ordnung der Carnivora, so tung, Lebensformen und Verhalten be- genannte Raubtiere. Andere Felidae sind obachteter Tiere eindeutig den Wildkatzen hierzulande der Luchs, in Europa zum zuzuschreiben und Katzen, die man im Beispiel der Pardelluchs und der Serval Freiland sieht, ohne weiteres voneinander und anderswo Leopard, Löwe und Tiger. zu unterscheiden; es gibt auch mehr ge- Das systematische Verhältnis zwischen meinsame als verschiedene Verhaltens- Wildkatze und Hauskatze, besser gesagt weisen. So haben sich die Wildkatzen in zwischen Felis catus und Felis silvestris ist der Tatra genetisch eindeutig ausschließ- auch heute nicht eindeutig geklärt. Nach lich als Hauskatzen herausgestellt. verbreiteter Ansicht gehören beide einer Für diesen Trext muss zudem angemerkt wer- und derselben Art an, die man dann wohl den, dass manches aus dem Leben der Wild- wieder Felis catus nennen müsste. Zu die- katzen nicht näher bekannt ist, weil man ja die ser Ansicht muss man gelangen, weil es leichter zu erhebenden und zu überprüfenden zwischen ihnen zu fruchtbaren Paarungen Erkenntnisse an domestzierten Katzen zur kommt, die wiederum fruchtbare Nach- Verfügung hat. Eine leichtfertige Übertragung kommen erzeugen. (Wären sie nicht art- dieser Erkenntnisse ist aber nicht möglich; hier gleich, wären ihre erzeugten Nachkom- werden nur Beobachtungen wiedergegeben, men nicht mehr fruchtbar, bekanntes Bei- die sicher an Wildkatzen der Unterart Felis spiel: Maultiere und Maulesel, die von den silvestris silvestris gemacht wurden – so weit nicht artgleichen Arten Equus asinus, Esel, man das wissen kann. und Equus equus, Pferd erzeugt werden, selbst aber nicht fruchtbar sind.) Die Habitus Hauskatze stammt aber wohl nicht von Auch Wildkatzen haben die bekannte Felis silvestris silvestris ab, sondern von der vergleichsweise langgestreckte Gestalt nah verwandten Art Felis silvestris lybica, aller Katzenartigen, genauer die Gestalt der Falbkatze. Tatsächlich ist es so, dass in einer größeren, kräftigen Hauskatze mit vielen Gegenden Europas nicht nur Haus- etwas niedrigeren Beinen und einem katzen und Wildkatzen nebeneinander dicken Kopf. Ausgewachsen sind sie von vorkommen, sondern auch noch verwil- der Schnauzenspitze bis zum Schwanzan- derte Hauskatzen. Deshalb sind die satz zwischen 30 und 80 cm lang, weibli- Widkatzenbestände und die Hauskatzen- che Tiere liegen allerdings eher im unteren bestände seit langem jeweils genetisch Zweidrittel dieser Maße, männliche eher durchmischt (hybridisiert). Man wird im oberen Zweidrittel. Hinzu kommen wohl keine reinen Wildkatzen mehr in 1
Dr. Gerd Grün Felis silvestris Wildkatze 2020 weitere 25 bis 40 cm für den dick behaar- Winter sind es etwas mehr. Die Grannen- ten und stumpf endenden, nicht spitz haare sind an ihrer Basis hell, darüber auslaufenden Schwanz. Auch im Gewicht dunkelgrau und dann gelblich gebändert sind die Geschlechter unterschieden. Ab- und an der Spitze schwarz. Über alle ra- hängig vom Ernährungszustand und wohl gen die Leithaare mit ihren nahezu 7 cm auch von der regionalen Herkunft sind hinaus. Von ihnen stehen aber im Sommer männliche Tiere 5 bis 7,5 kg schwer, weib- lediglich neun auf der Fläche von 25 mm², liche 2,5 bis 5. im Winterfell bis zu zwanzig. Dann sind sie besonders gut sichtbar. Die Fellfarbe wird als cremegelb, gelblich- Zum Farbeindruck von Wildkatzen tragen grau bis ocker beschrieben, mit eher auch die rötliche Nase und die bei wenig dunklerem Grau bei männlichen Tieren. geöffneter Pupille grünliche Iris bei sowie Zur Unterseite hin verliert sich die Grau- schließlich die steifen weißen Tasthaare. tönung und wird durch helle Flecken er- Sie sind 5 bis 8 cm lang und sitzen seitlich setzt. Auf dem Rücken verläuft längs vom der Nase, je bis zu sechzehn Stück, und Kopf zum Schwanzansatz ein dunkler oberhalb der Augen. Kurze Tasthaare sit- Streifen, so genannter Aalstrich. An den zen auch an den Vorderpfoten. Schultern zerteilt er sich in Fleckenreihen und auf der Stirn in vier Streifen. Vom Die Vorderfüße haben fünf Zehen, die Rücken herab laufen nach unten dunkle Hinterfüße vier. Ihre Krallen werden, an- Querstreifen (so genannte Tigerung), ders als bei Hunden, zurückgezogen, so- welche ebenfalls in Fleckenreihen überge- lange sie nicht benutzt werden. Deshalb hen und sich an den Körperflanken verlie- sieht man in den Fährten von Katzen keine ren oder als Ringelung an den Beinen fort- Anzeichen von Krallenspitzen, anders als setzen. Die Pfoten sind nicht getigert. Be- bei Fährten von Hund, Wolf und Fuchs. sonders im Sommerfell können die Strei- fen der Körperseiten undeutlich und ver- waschen wirken. Im Winterfell verblasst hingegen die gelbliche Grundfärbung. Drei bis fünf zum Ende hin dunkler wer- dende und schärfer umrissene Ringe zeichnen auch den Schwanz, der fast schwarz endet. Außer den erwähnten Stirnstreifen ziehen am Kopf zwei Trittsiegel (nach Pflumm, Biologie der schwärzliche Streifen längs über die Wan- Säugetiere) gen und dunkle Flecke sind an Augen, Maul und Kinn verteilt. Auf Abbildungen Wildkatzen haben einen vollständigen sind die Färbung und die Streifung mar- Satz von 30 Zähnen. Oben und unten kant, im Waldgeäst verbergen sie die Kat- jederseits drei Schneidezähne (Incisivi), zen eher. einen langen, spitzen Eckzahn (Caninus = Hundszahn), die unteren gebogen, die Das Fell setzt sich aus Wollhaaren, Gran- oberen gerade abwärts gerichtet, oben je nenhaaren und Leithaaren zusammen und drei Vormahlzähne (Prämolaren) und ist über den ganzen Körper hin gleichmä- unten je zwei, die mit einem langen ßig weich, lang und dicht. Am Schwanz spitzen Höcker als Reißzähne ausgebildet macht sich das darin bemerkbar, dass er sind, und je einen Mahlzahn (Molar). buschig und bis zum abrupten Ende hin Zahnformel: I3C1P3M1 gleich dick ist, sich also nicht allmählich I3C1P2M1 zuspitzt. Die rund 5 cm langen, graurötli- Die Vormahlzähne und die Mahlzähne chen und an ihrer Spitze gelben Wollhaare sind nicht zum Zermalmen oder Brechen, bilden die unterste Lage des Fells. Im sondern zum Zerschneiden ausgebildet. Sommerfell stehen auf dem Rücken bis zu tausend von ihnen auf einer Fläche von 5 Verbreitung mal 5 mm; im Winterfell sind sie wenige Millimeter länger, stehen aber doppelt so Vor 60000 bis 10000 Jahren lebten fünf dicht. Zwischen ihnen stehen die Gran- Gruppen von Katzen mit genetischen Ei- nenhaare. Sie sind ca 6 cm lang, fünfmal so genschaften der heutigen Felis silvestris dick wie Wollhaare, aber weniger zahl- silvestris und der Felis silvestris libyca auf reich: bis zu einhundert bedecken im europäischem Boden. Es ist anzunehmen, Sommer die Fläche von 5 mal 5 mm, im dass die heutige Europäische Wildkatze 2
Dr. Gerd Grün Felis silvestris Wildkatze 2020 nach der letzten Eiszeit ganz Europa be- (das dürfte zusammen mit einem älteren siedelte, dass aber die Klimaverschlechte- Fund aus Pasewalk und außerhalb von rung vor ca 10000 Jahren ihr Areal ver- Schottland das nördlichste Vorkommen kleinerte. In vergangenen Jahrhunderten der Europäischen Wildkatze sein). Diese wurden ihre Lebensräume in Europa Nachweise beruhen wie viele andere le- durch menschliche Einwirkung – man diglich auf toten Tieren an Straßen – be- verfolgte sie, weil man sie für Konkurren- dauerlich, aber damit ist auch ein sicherer ten in Wald- und Landwirtschaft hielt; Artnachweis möglich. man jagte sie; man verringerte ihre Wohn- In fragmentierten Lebensräumen kommen gebiete z. B. durch Waldrodungen; man sie wegen der längeren Kontaktzonen eher gefährdete sie im Straßenverkehr – stark mit Hauskatzen in Berührung. Hauskat- zersplittert und eingeschränkt. Nicht di- zen vergrößern dabei nicht ihre Ausbrei- rekt von menschlicher Aktivität her rührt tungsgebiete, eher rücken die Wildkatzen ihre Gefährdung durch Hauskatzen und näher an die Lebensräume von domes- verwilderte Hauskatzen: Zum einen fallen tizierten Katzen heran; damit vermischen Wildkatzen Krankheiten zum Opfer, die sie sich wiederum leichter mit ihnen. In von domestizierten Katzen verbreitet isolierten, abgelegenen Arealen sind sie werden. Zum anderen ist ihr Bestand dem weniger ausgesetzt. durch genetische Vermischung bedroht (siehen dazu oben). Lebensraum In Europa finden Wildkatzen heute ihren Europäische Wildkatzen nennt man auch Lebensraum auf der Iberischen Halbinsel, Waldkatzen oder Waldwildkatzen, weil vor allem in Zentral- und Nordspanien, sie Waldtiere sind. Eichenwälder, von Mittelfrankreich östlich bis in den Buchenwälder, auch Mischwälder sind Schweizer Jura und an den Mittelrhein, in ihre Lebensräume, und ihre Aufenthalts- Mitteldeutschland, in Hochwäldern der orte sind Waldränder. Deshalb bevorzu- Alpen und von Tschechien aus (dort aber gen sie Wälder mit angrenzenden Feldern möglicherweise ausgestorben) südöstlich oder Wiesen, Gras- oder Buschland, Wäl- bis ans Schwarze Meer und nach Grie- der mit Lichtungen und anderen offene chenland. Ein isoliertes Gebiet haben sie in Stellen, auch Einsprengsel von Felsen oder Schottland. Ansonsten fehlen sie auf allen Steinhalden. Gibt es solche Auflockerun- Inseln sowie im gesamten nördlichen und gen auch in Nadelwäldern, fühlen sie sich östlichen Europa. auch dort wohl. Mittelgebirge und mittlere Seit sie 1934 in Deutschland (und mittler- Lagen in höheren Gebirgen bieten oft sol- weile in ganz Europa) unter Naturschutz che Lebensräume, womit sich die geogra- gestellt wurden und seit den Schutzbemü- phische Verbreitung von Wildkatzen (s. o.) hungen der letzten Jahrzehnte, hat ihre erklärt. Sie sind aber keineswegs darauf Anzahl in Deutschland wieder zugenom- begrenzt, sondern leben auch im Flach- men. Eine Schätzung aus dem Jahre 2000 land und gehen in den Alpen bis auf 2000 spricht von 1700 bis 5000 Tieren – das al- m und höher hinauf, je nach Waldgrenze. lein zeigt, wie ungenau die Kenntnis ihrer Eine deutliche Begrenzung ihres Lebens- Anzahl ist. Dazu trägt auch bei, dass raums setzt jedoch die winterliche Wildkatzen individuell Wanderungen Schneehöhe. Erstens sind sie wärmelie- unternehmen und auf diese Weise Verbin- bend und lassen sich am liebsten an Süd- dungen zwischen verstreuten Vorkommen hängen nieder, zweitens behindert eine herstellen. Von Frankreich und Luxem- Schneedecke von mehr als 20 cm ihre burg aus siedeln Wildkatzen im Saarland Fortbewegung am Boden; und drittens ist und im Hunsrückund und überqueren sie hinderlich beim Auffinden von Mäu- den Rhein zum Schwarzwald. Sie leben im sen und anderen Bodentieren. Allgemein Taunus (Lorch, Bad Schwalbach, Eltville, scheinen männliche Wildkatzen eher La- Rüdesheim, Idstein), im Odenwald, im gen entlang Wasserläufen, Hecken oder Spessart, im Bayrischen Wald, im West- gar Straßen aufzusuchen. Auf der Iberi- harz, im Hainich, auf dem Eichsfeld und schen Halbinsel besiedeln männliche Tiere in Thüringen im Dünwald, in der Schmü- eher das Flachland, wohingegen weibliche cke, der Finne, der Windleite, der Hain- Wildkatzen die versorgungsmäßig günsti- leite und bei Gera, neuerdings auch in der gen Hanglagen bevorzugen. Auch bei Dübener Heide (Sachsen), im Fläming 25 diesen Tieren außerhalb der Waldbiotope km südlich von Berlin und im Wendland 3
Dr. Gerd Grün Felis silvestris Wildkatze 2020 sind das Geschlechterverhältnis und die zen mit entsprechender Verzögerung; da- Altersstruktur nicht untypisch. bei lassen sich bestimmte Schwankungs- Im Sommer gehen Wildkatzen über die perioden von 2 bis 3 Jahren beobachten. Waldränder hinaus, um ihre Beute auch in (b) der Verlauf der Wintermonate. In lan- Busch, Feldern und großflächigen Wiesen gen und schneereichen Wintern, in denen zu finden. Soweit sie hier geschützte La- Wildkatzen nur schlecht zu Fuß unter- gerstellen finden, können sie diese sowie wegs sind und noch schlechter Mäuse auf- Ufer und Küstenstreifen auch als Wohn- spüren können, gehen ihre Bestände zu- gebiet annehmen. Im Schwarzmeergebiet rück und sind erheblich von der Anzahl sind sie sogar mit Pappelbeständen in an Mäusen im kommenden Jahr abhängig, Schilfauen zufrieden. Immer aber, so welche ja auch einen harten Winter hinter scheint es, halten Wildkatzen sich fern von sich haben. größeren menschlichen Siedlungen. Was Wildkatzen können bis zu fünfzehn Jahre leider nicht verhindert, dass in ihrem alt werden, die meisten erreichen aber westdeutsch-luxemburgischen Verbrei- nicht ihr zweites Lebensjahr. Sie sind stets tungsgebiet in ihren Haaren Quecksilber von Krankheiten bedroht, die durch Kon- in mg-Größenordnungen gefunden wird. takt mit Hauskatzen übertragen werden, Mit ihren Ruhe- und Schlafplätzen ma- sowie durch Straßenverkehrsunfälle. An- chen Wildkatzen sich keine große Arbeit. deren Tieren fallen hierzulande nur Jung- Meist finden sie Stellen vor, die Wind- tiere zum Opfer, diese aber stark. Wegen und Nässeschutz bieten, geräumig genug ihrer einzelgängerischen Lebensweise ma- und dennoch ringsum oder zumindest chen sich Todesfälle einzelner Katzen nach drei Seiten hin geschlossen sind und nicht populationsdynamisch bemerkbar, nach oben hin gedeckt: Hohlräume in le- wohl aber die hohe Jugendsterblichkeit. benden oder abgestorbenen Bäumen, Erdmulden und Wurzelhöhlen unter A k t i v i t ä t , Lokomotion tiefliegenden Baumästen oder unter Sträu- Tagsüber ruhen Wildkatzen mehr in ihren chern, starke Astgabelungen, Felsspalten, oben genannten Unterschlüpfen als dass Felshöhlen oder aber Lager in dichtem sie unterwegs sind. Warmes, sonniges Schilf und auf Grashorsten, verlassene Wetter lockt sie aber hinaus und sie lagern Fuchsbaue und Dachsbaue, Reiherhorste sich draußen an einladenden Plätzen, so- und Raubvogelnester, wenn sie nicht allzu lange sie sich dort ungestört aufhalten hoch liegen, was übrigens auch für Baum- können. Ist es kalt oder windig, bleiben sie und Felshöhlen gilt. Wenn das alles nicht länger in ihren Höhlen usw. Dennoch ver- zu finden ist, machen sie auch nicht vor schlafen sie den hellen Tag nicht völlig. Hinterlassenschaften von Menschen Halt: Ungefähr alle zwei Stunden machen sie Holzstapel, Mauerreste, Scheuern und sich auf, um Nahrung zu suchen oder sich Scheunen, Ställe, die nicht gerade neben zu bewegen. Mit beginnender Dämme- einem bewohnten Haus stehen. Alle diese rung jedoch beginnt auch ihre nächtliche Plätze kommen auch für die ersten Mo- Altivitätsphase. Zwanzig Minuten oder nate von Jungtieren in Frage und werden auch zwei Stunden lang laufen oder nicht einmal dann gepolstert. schleichen sie umher, legen eine Pause ein und machen sich wieder an die Nah- Populationsdynamik rungsbeschaffung, bis tief in die Nacht Population im Sinne von Wohnbevölkerung in hinein und mit längeren Ruhepausen bis einem zusammenhängenden Gebiet. Diese in die Stunden der morgendlichen Däm- Definition ist für Wildkatzen unscharf, weil sie merung. lange Wanderungen unternehmen können. Wildkatzen schleichen mit angewinkelten Die Siedlungsdichte von Wildkatzen Beinen dicht über dem Boden, laufen mit wurde für den Harz z. B. mit 4 Tieren auf gerade gestreckten Beinen, gehen in 10 km² angegeben. schnellen Lauf über, springen kurze Stre- Schwankungen in der Populationsdichte cken auf ebener Fläche, auch von oben werden durch zwei Ursachen hervorgeru- nach unten und von unten nach oben und fen: klettern. Schwimmen kennt man kaum (a) die Siedlungsdichte von Feld- oder von ihnen, weil sie ausgesprochen wasser- anderen Mäusen. Auf Massenvermehrun- scheu sind. Im normalen, ruhigen Gang, gen und Massensterben dieser Beutetiere dem Kreuzgang, sind Vorderfuß der lin- reagieren die Populationen von Wildkat- ken Seite und Hinterfuß der rechten Seite 4
Dr. Gerd Grün Felis silvestris Wildkatze 2020 zugleich auf dem Boden. Den Schritt nach spruch erhoben, aber eine Anwesenheit vorn macht der Vorderfuß der rechten kundgetan. Seite und ihm folgt der Hinterfuß der lin- Jungtiere, die ihre mütterliche Gemein- ken Seite. Wenn dieser Hinterfuß dicht schaft verlassen haben, verfügen noch hinter dem linken Vorderfuß aufsetzt, he- nicht über ein eigenes Territorium und ben sich dieser Vorderfuß und der rechte streifen umher, unternehmen weite Wan- Hinterfuß zum nächsten vorwärts schie- derungen, wie es auch erwachsene Wild- benden Schritt. Im Sprung werden die katzen in Zeiten großen Nahrungsmangels Vorderfüße beider Körperseiten vorge- tun. Ähnliche Wanderungen führen streckt und landen gleichzeitig am Boden männliche Katzen während der Paarungs- während beide Hinterfüße nachgezogen zeit bis zu 100 km weit. In dünn besiedel- werden, den Schwung nach vorn nutzen ten Gegenden sind solche Wanderungen und nicht hinter sondern neben dem auf- notwendig; andere, bislang nicht benach- gesetzten Vorderfußpaar ebenfalls aufset- barte Populationen werden auf diese zen. Damit wird der nächste Sprung ein- Weise erreicht und die Isolation weit ge- geleitet. streuter Wohngebiete vermieden. Bei ihren nächtlichen oder täglichen Aus- Trotz ihrer uns scheu erscheinenden flügen durchstreifen Wildkatzen haupt- Lebensweise sind Wildkatzen im Zweifel sächlich ein Gebiet, das vermutlich nur recht angriffslustig. »Im Zweifel« kann wenige Quadratkilometer umfasst. Dieses heißen: Wenn sie sich unmittelbar bedroht Gebiet, der Aktionsraum, wird als eigenes fühlen. Dann scheinen ihre Augen zu fun- Territorium angesehen. Es wird an zahl- keln, die Haare an Körper und Schwanz reichen Urinstellen markiert, auch mit Kot, sträuben sich, was die Tiere unförmig groß welcher aber vergraben wird. Weiter drü- aussehen lässt; fauchend fahren sie auf das cken sie ihren Schwanz und die Hinter- Gegenüber los, auch wenn es ein Hund ist, schenkel gegen diverse Objekte in gleicher gegen den sie sich mit Klauen und Zähnen Höhe und hinterlassen damit Duftspuren erfolgreich zur Wehr setzen. Oder sogar wie auch mit den Schweißdrüsen unter ein Mensch, den sie regelrecht anspringen. den Sohlen. Zudem schärfen sie ihre Ihren natürlichen Gegnern, Füchsen und Krallen regelmäßig an bestimmten Steinen Luchsen, sind sie in der Regel aber unter- in ihrem Aktionsraum und die Kratzspu- legen. ren werden wohl auch als territoriale Mar- Aber weder wenn sie unter Feinden zu kierung verstanden. In diesem Areal wer- leiden haben noch wenn sie sich in beute- den andere Wildkatzen gleichen Ge- reicher Umgebung befinden, lassen sich schlechts nicht geduldet. Weibliche Tiere bei ihnen Anzeichen für Stressreaktionen haben zumeist einen kleineren Aktions- nachweisen. raum und werden geduldet, wenn sich In anderen als feindlichen Situationen las- ihre Areale mit denen männlicher Tiere sen sie Laute hören, die vermutlich nicht überschneiden. nur Menschen als positiv gestimmt ver- Wildkatzen gehen aber durchaus über standen werden die als und wir als ihren engeren Aktionsraum hinaus und Schnurren bezeichnen. nutzen für die Jagd auch einen Streifraum, der sich über mehrere Quadratkilometer Sinne erstrecken kann. Der Umfang dieses Are- Das Hörvermögen der Wildkatzen dürfte als ist sehr variabel (bis zu 50 km²), von sehr gut ausgebildet sein und mit Hilfe der geographischen Umgebung abhängig, der Ohrmuscheln sind sie in der Lage, vom Alter der Inhaber und davon, wie Richtung und Entfernung von Geräuschen viele Widkatzen in Nachbarschaft zu- und Lauten einzuschätzen. Ihre Hör- einander leben. Diese Anzahl wiederum schwelle geht über die Frequenzgrenzen ist davon abhängig, wieviel Nahrung das des menschlichen Hörens hinaus – damit Siedlungsareal bietet. Er kann auch im können sie Laute von Mäusen und Wühl- Laufe des Jahres variieren, ist im Sommer mäusen vernehmen, die für uns Ultra- bei männlichen Tieren am geringsten, im schall sind. Frühling ausgedehnter, bei weiblichen Ihr Sehvermögen ist so gut wie das des Tieren im Sommer am weitesten. Auch in Menschen, erlaubt mit den nach vorn ge- diesem erweiterten, geteilten Streifraum richteten Augen ein perspektivisches wird Kot abgelegt, aber an auffälligen Raumsehen, nicht aber einen Blick auf das, Stellen wie Steinhaufen oder Maulwurfs- was unmittelbar unten vor dem Kopf ist. hügeln. Vermutlich wird damit kein An- 5
Dr. Gerd Grün Felis silvestris Wildkatze 2020 Hervorragend können sie in schwachem weil die spärliche Bodenflora sie noch Licht sehen, also zu ihrer Hauptjagdzeit. nicht verbirgt. Im Sommer treffen Wild- Einzeln oder in Büscheln stehende Vibris- katzen mehr und mehr auf Insekten, auf sen (Tasthaare) am Kopf und an den Bei- Eidechsen und Frösche. Wühlmäuse und nen erleichtern es ihnen, sich in Dunkel andere Nager werden im Herbst und zum und Dämmer zu bewegen Winter hin wieder bevorzugt aufgegriffen. Auch dies ist aber nur ein formales Nahrung Schema, welches sich in unterschiedlichen Arvicolidae: Vegetationsgebieten (Wald, Feld, Gras- Feldmaus, Rötelmaus, Kleinwühlmaus-Arten, land) und Witterungsverhältnissen jeweils Schermaus, Bisamratte anders darbieten kann. Wildkatzen nutzen ihr breites Nahrungsspektrum aus, aber Muridae: selbstverständlich gehören die großen und Waldmaus, Gelbhalsmaus, Hausmaus, Wan- die wehrhaften unter den oben genannten derratte Tieren eher ausnahmsweise dazu. Die Andere Nager: Insekten dagegen bieten zwar keine so Eichhörnchen,Gartenschläfer, Baumschläfer, massereichen Einzelfänge, werden aber Feldhamster, Siebenschläfer, Murmeltier sehr häufig nebenher aufgescheucht und Hasenartige: weggefangen. Und nicht immer sind die Wildkaninchen, Feldhase jahreszeitlichen Wechsel klar ausgeprägt, zum Beispiel in landwirtschaftlich bear- Gelegentlich: Mauswiesel, Wiesel, Marder, Iltis, Dachs beiteten Gegenden. Für einen Ernäh- rungsunterschied zwischen weiblichen Seltener: und männlichen Wildkatzen gibt es keine Igel, Spitzmäuse, Maulwurf Hinweise. Als Jungtiere: Von Geräuschen, vom Geruch oder von Reh, Rothirsch, Wildschwein, Gämse einer Bewegung aufmerksam gemacht, Vögel: schleichen Wildkatzen am Boden entlang Auerhuhn, Birkhuhn, Haselhuhn, Schneehuhn, an die Beute heran, bis sie sie in kurzem Haushuhn, Fasan, Tauben, Eulen und viele Sprung erreichen können. Oder sie sitzen andere lauernd auf einem niedrigen Ast, einem Außerdem: Stein, halten Ausschau, bis sich vor ihren Bergeidechse, Blindschleiche, Frösche, Fische, Sinnen etwas abspielt – dann springen sie Schnecken rasch hinab. Verfolgungsjagden kommen Insekten: bei ihnen selten vor, schon deshalb, weil Grillen, Heuschrecken, Käfer und alle, die sie ihre Jagdobjekte sich rasch verkriechen einfangen können können oder auffliegen. In vielen Gegenden ernähren Wildkatzen Die spitzen Eckzähne dringen in die Beute sich weitaus überwiegend von Wühlmäu- ein und halten sie fest. Größere Beute wird sen und Wildkaninchen. Beispielsweise durch einen Biss in den Nacken getötet, fand man mehr als zwanzig Wühlmäuse kleineren Tieren wird der Kopf glatt ab- verschiedener Arten in einem Magen, oder getrennt. Die Vormahl- und die Mahl- im Magen einer anderen Wildkatze Wühl- zähne zerschneiden sie durch mehrmali- mäuse im Unfang des Gewichts einer ges Mahlen, auch Insektenchitin; zum Bre- Wildkatze. Sie sind dennoch alles andere chen werden die Zähne nicht eingesetzt. als darauf festgelegt und fressen aus der Knöchelchen und Schädel der kleinen obigen Liste das, was sie in ihrer Umge- Beutetiere werden auf dem ganzen Weg bung und zur jeweiligen Jahreszeit errei- durch den Verdauungstrakt zersetzt, nicht chen können. In manchen Gegenden Spa- immer jedoch vollständig. niens fressen sie nur Wildkaninchen, in Gelegentlich fressen Wildkatzen Gras, der Toskana sind Wühlmäuse drei Viertel welches aber nicht zu ihrer Nahrung ge- ihrer Beute, aber kaum Vögel. In den letz- hört. Sie benötigen es, um ihren Magen ten Wintermonaten weichen sie aus Man- von unverdaulichen Resten zu reinigen, gel an Mäusen und Insekten auf überwin- die sich mit dem Gras verklumpen und ternde Vögel aus, es kann aber auch eine ausgespien werden. Zeit des Hungerns und Verhungerns sein. Mit dem Frühling kommt dann aber die Zeit der vielen Kleinsäuger, auch deshalb, 6
Dr. Gerd Grün Felis silvestris Wildkatze 2020 Sozialleben Reproduktion Die Europäischen Wildkatzen leben Wenn junge Wildkatzen mit zehn bis elf grundsätzlich einzeln und sind nicht fried- Monaten geschlechtsreif werden, ist es fertig, wenn sie auf andere Wildkatzen meist zu spät für die gerade endende Paa- treffen. Ausnahmen machen sie nur in der rungszeit. Sie liegt hierzulande nämlich Paarungszeit und in den Fällen, in denen zwischen dem Jahresbeginn und dem sich Territorien männlicher oder weibli- Frühlingsbeginn, also hauptsächlich im cher Tiere mit denen weiblicher Wildkat- Februar, aber auch schon im Januar und zen überschneiden. Dann dulden sie noch im März. Dieser Zeitraum wird vom einander und Wildkater (Kuder) lassen es Empfängniszustand der weiblichen Tiere zu, dass Wildkätzinnen in ihren Arealen bestimmt, welcher in den genannnten liegen und beim Krallenschärfen Kratz- Monaten mehrmals jeweils für fünf bis spuren hinterlassen. Das Verhältnis bleibt neun Tage besteht. Männliche Wildkatzen aber gespannt und zu engen Kontakten scheinen das ganze Jahr über reife Sper- kommt es auch dann nicht. (Auch in Ge- mien zu produzieren. (Angeblich wandern fangenschaft gehaltene Wildkatzen liegen Wildkater lange Strecken, viele Kilometer, zwar zusammen, schmiegen sich aber an- wenn sie in ihrer dünnbesiedelten Um- ders als viele andere Säugetiere nie an- gebung keine Partnerin finden. Dies einander.) würde aber bedeuten, dass auch sie, die Von diesen Ausnahmen abgesehen, sind doch das ganze Jahr über zeugungsbereit Wildkatzen sind darauf bedacht, andere sind, es verspüren, dass die Zeit für Paa- aus ihrer Umgebung fernzuhalten. Kon- rungen gekommen ist, auch ohne dass takte, aber auch Auseinandersetzungen eine weibliche Katze sie anlockt.) werden von vornherein durch umfangrei- Während der Paarungszeit wandelt sich che Markierung auch für die Zeiten ver- das ungesellige Verhalten der Wildkatzen hindert, in denen das heimische Tier ge- – männliche Tiere werden von einem Duft rade nicht anwesend ist (siehe oben). Mit angelockt, der von empfängnisbereiten gezielt verspritztem Harn, mit abgesetz- Tieren ausgeht, und suchen sie auf. Sie tem Kot und den Sekreten verschiedener gehen jedoch keine Partnerschaft auf Drüsen an der Stirn, am Maul und am Dauer ein, nicht erinmal eine richtige Schwanzansatz, welche sie an verschiede- Partnerschaft. Meist kommen mehrere nen Dingen in Körperhöhe über dem Bo- männliche Tiere bei einer potentiellen den reiben, bewirken sie, dass revier- Partnerin zusammen und kreischen, jau- fremde Katzen eingeschüchtert und fern- len, imponieren und bekämpfen einander, gehalten werden. Sie versenden aber auch um den Zugang zu gewinnen. Wie die unmittelbar wirksame Zeichen. Wenn sie Entscheidung wirklich getroffen wird, die Haare am Kopf und längs des zu ei- welcher Anteil den weiblichen Tieren nem Buckel gekrümmten Rückens sträu- dabei zukommt, das scheint nicht näher ben und den Schwanz aufrichten oder bekannt zu sein. Da die weibliche Emp- auch nicht, dann sind das sichtbare Hin- fängnisbe-reitschaft für mehrere Tage be- weise auf ihre aktuelle Anwesenheit, auf steht, kopulieren sie mehrmals und mit ihren Anspruch und zugleich auf bedroh- verschiedenen Partnern. liche Stimmung. Ihrem Gesicht können sie Katzen, die im Vorfrühling nicht erfolg- einen aggressiven Ausdruck verleihen, reich befruchtet wurden oder auch solche, indem sie die Muskeln verziehen und die ihre Jungen wieder verloren haben, Zähne zeigen. Und wenn sie dazu noch können im Juni eine zweite Phase der zischen, fauchen und jaulen, senden sie Empfängnisbereitschaft haben, manche auch akustische Zeichen. Dringt eine sogar noch im Herbst, wo sie ebenfalls andere Katze dennoch zu tief in das Ter- noch trächtig werden. An dieser zweiten ritorium ein, so setzt sich das revierheimi- Paarungsphase können sich dann auch sche Tier, gleich ob männlich oder weib- inzwischen herangereifte Jungtiere beteili- lich, heftig zur Wehr mit Pfotenschlägen, gen. (Hier ist zu fragen, wieso denn diese Kratzen, Beißen und Kreischen. In der inzwischen herangereiften Jungtiere sich Regel ist es damit erfolgreich. nicht schon im April paaren können, son- dern auf eine zweite allgemeine Phase warten müssen, und wodurch diese denn ausgelöst wird, wo sie doch alle solitär 7
Dr. Gerd Grün Felis silvestris Wildkatze 2020 leben. Einiges in diesem Zusammenhang men, anfangs mittels angebissenen Beute- ist noch ungereimt und ungeklärt.) tieren der Mutter, mit denen sie zurecht- kommen müssen. Im Verlauf des zweiten Nach erfolgreicher Kopulation ist die an- Monats üben sie dann zusammen mit der gehende Katzenmutter neun bis zehn Wo- Mutter eigenständig Beute zu fangen und chen trächtig, und bringt also hierzulande erwerben deshalb die gleichen Nahrungs- frühestens im späten Februar, meistens im gewohnheiten wie die adulten Tiere. Zu- April und spätestens Ende Mai drei, vier gleich lernen sie, ihren Kot nur an be- oder fünf Junge zur Welt. Sie können ver- stimmten Stellen abzusetzen und ihn, schiedene Väter haben. Junge aus Paarun- wenn auch noch ungeschickt, zuzukrat- gen im Mai und Juni werden entsprechend zen. Ihre Körperpflege beherrschen sie im September geboren. Für die Geburt hat ebenfalls bis zum dritten Monat wie aus- das Muttertier kein besonderes Ruhelager gewachsene Tiere. Wenn sie ein halbes vorbereitet, wohl aber einen verborgenen Jahr alt sind, wechseln sie ihr Milchgebiss Ort ausgesucht. Mitunter ist die Welt, auf gegen das Dauergebiss aus, in welchem die die Jungen kommen, der bloße Erdbo- nun auch Mahlzähne stehen. den. In diesen Monaten beginnt eine Phase, in Die Neugeborenen haben bereits ein gelb- der sich das soziale Verhalten der jungen lichgraues Fell aus kurzen Wollhaaren, Wildkatzen wandelt. Sie spielen immer auch auf dem Schwanz. Streifen und weniger miteinander, sie liegen immer Punkte des späteren Musters sind zu er- seltener zusammen und verfügen nun kennen, liegen aber noch dicht beieinan- über voll ausgereifte Angriffs- und Droh- der. Die Jungen wiegen im Durchschnitt bewegungen, welche sie auch gezielt 130 g mit großen individuellen Unter- anwenden. Sie werden zu den solitären schieden zwischen 90 und 165 g; vermut- Tieren als die man die Erwachsenen kennt lich sind bei großer Jungenzahl die Einzel- und lösen sich im Herbst aus dem Fami- gewichte geringer. Die Augen sind noch lienverband. Dazu trägt auch das Mutter- geschlossen, die Jungen können aber tier bei, das sich nicht mehr um sie küm- bereits riechen und ihrem Tastsinn folgen. mert und sie aus ihrem Revier vertreibt – Beides dürfte beim Saugen oder schon auch sie wird wieder einzelgängerisch. beim Suchen der Milchquelle von Bedeu- Gefährdet waren die Jungtiere immer tung sein. Das Säugen setzt gleich nach schon und sind es nun, da sie auf der Su- Geburt ein. che nach Nahrung und einem eigenen Mit der zweiten Wochen öffnen sich die Revier umherstreifen, noch viel mehr, be- Augen und die Jungen können zumindest sonders durch Wiesel, Marder, Füchse in einfacher Weise hören. Passend dazu und große Vögel wie Eulen und Bussarde. entwickeln sich bestimmte koordinierte Wenn sie alle Gefährdungen überstehen, reizgesteuerte Bewegungsfolgen: Sie krie- können sie noch zwölf bis fünfzehn Jahre chen umher, beginnen sich zu putzen und alt werden. zeigen Ansätze zu drohenden und angrei- An den Paarungen nehmen sie erst in ei- fenden Reaktionen auf ihre Nestge- nem eigenen Revier teil, aber noch nicht schwister. Erste Geh- und Kletterversuche im kommenden Frühjahr, sondern erst im kommen in der dritten Wochen hinzu und Alter von ca achtzehn Monaten. die Reaktionen auf andere Kätzchen kön- nen schon als gemeinsames Spielen ge- Zwischenartliche deutet werden. Die Mutter hält sie mit Beziehungen kreischenden Lauten zusammen. Möglicherweise wachsen ab der zweiten Außer zu den vielen verschiedenen Beu- Woche die Eckzähne des Milchgebisses tetieren (siehe oben) haben Wildkatzen aus, denen ab der dritten Woche die kaum Beziehungen zu den Tieren in ihrer Schneidezähne folgen. jeweiligen Umgebung. Das gilt aber nicht, Im Alter von einem Monat laufen sie solange sie noch jung und klein sind. schneller und üben erste Sprünge ein und Luchse, Füchse, Wölfe, Hunde, Marder, eine Woche danach auch das Anschlei- Wiesel, Iltis, Eulen und Bussarde können chen. Sie haben nun auch alle Vormahl- ausgesprochen bedrohlich für junge Wild- zähne und suchen nach der fünften Woche katzen sein, auch für ganze Würfe in ei- die Zitzen nicht mehr. Die Mutter stellt nem Lager. Ausgewachsene Wildkatzen nach und nach das Säugen ein und seit haben in der Regel nur Luchse und even- Beginn des zweiten Monats lernen die tuell Wölfe zu fürchten; gegen die anderen Jungen schon feste Nahrung aufzuneh- genannten können sie sich gut wehren. 8
Dr. Gerd Grün Felis silvestris Wildkatze 2020 Hauskatzen und verwilderte Hauskatzen d'hybridation et de circulation des vi- werden ihnen direkt gefährlich, wenn sie rus. Thèse. https://tel.archives-ou- Krankheiten auf sie übertragen, und indi- vertes.fr/tel-01807665 rekt, indem sie das Wildkatzengenom Beutel, T. et al. 2017 Spatial patterns of co-oc- verhauskatzen. Das ist aber nichts, was currence of the European wildcat Felis eine Wildkatze individuell spürt. (Wie silvestris silvestris and domestic cats weit dieser Weg auch in die umgekehrte Felis silvestris catus in the Bavarian For- Richtung führt, ist offenbar nicht unter- est National Park. sucht worden. Das würden dann auch https://bioone.org/ journals/ Wild- nicht die Hauskatzen spüren, sondern life-Biology/volume-2017/issue-4 eher deren Besitzer.) BUND 2016 https://www.bund.net/service/press Zu Menschen bestehen wegen der zu- e/ pressemitteilun- rückgezogenen Lebensweise der Wildkat- gen/detail/news/wildkatze-kehrt- zen keine unmittelbaren Beziehungen. nach-nord-sachsen-zurueck-erster- Wohl aber in der Weise, dass sie durch nachweis-einer-europaeischen-wild- Menschen (a) zu Tode kommen, (b) ihre katze-in-der-duebener-heide/ Lebensräume verlieren (siehe oben) und c) BUND 2019 dass sie seit über 80 Jahren in Deutschland https://www.bund.net/themen/ ak- und anderen Ländern unter völligem tuelles/detail-aktuelles/news/auf- Schutz stehen, was wohl ihr Überleben dem-weg-nach-nordosten-wildkatzen- gewährleistet. Sie werden nicht länger als breiten-sich-weiter- Schädlinge verfolgt. Weiterhin sind Men- aus/?tx_bundpoolnews_display%5Bfil schen darum bemüht, ihre Lebensräume ter%5D%5Btopic%5D=19&cHash=6acb wieder besiedelbar zu machen. Ob dar- e2e2ef37947ac1381fca4c797a5b über hinausgehende Versuche berechtigt Denk M., Jung, J. 2003/2004 Gutachten zur sind, Wildkatzen durch Zucht- und An- gesamthessischen Situation der Wild- siedlungsprogramme davor zu schüzen, katze (Felis silvestris Schreber, 1777): dass ihr Genom durch Hauskatzen hybri- zur Vorbereitung des Monitorings im disiert wird, wird angezweifelt. Rahmen der Berichtspflichten zu FFH- Anhang-IV-Arten. Hrsg.: Hessen, Hes- N e u e r e L i t e r a t u r (bis 2020) sisches Ministerium für Umwelt, Ländlichen Raum und Verbraucher- schutz, Abteilung Forsten und Natur- Anile, S. et al. 2017 Home-range size of the schutz. Projektleitung: Peter Haase. European wildcat (Felis silvestris sil- Auftr.-Geber: Hessisches Dienstleis- vestris): a report from two areas in tungszentrum für Landwirtschaft, Central Italy, Mammalia, 82, 1, 1-11. Gartenbau und Naturschutz. Auftr.- doi: Nehmer: Senckenberg, Forschungs- https://doi.org/10.1515/mammalia- institut und Naturmuseum, For- 2016-0045 schungsstation für Mittelgebirge. Hes- Anile, S. et al. 2019 Habitat fragmentation and sisches Ministerium für Umwelt, anthropogenic factors affect wildcat Ländlichen Raum und Verbraucher- Felis silvestris silvestris occupancy and schutz] detectability on Mt Etna. Wildlife Bio- Franchini, M. et al. 2017 Diet of adult and ju- logy, 1, 1-13 venile wildcats in Southern Tuscany https://doi.org/10.2981/ wlb.00561 (Central Italy). Folia Zoologica., 66, 2, Berteselli, G. V.et al. 2017 European wildcat 147-151 and domestic cat: Do they really dif- Jeroscha, S, et al. 2018 The importance of small- fer? scale structures in an agriculturally Journal of Vet. Behav. Clin. Appl. & Res. 22, p dominated landscape for the European 35-40 wildcat (Felis silvestris silvestris) in central Europe and implications for its Beugin, M.-P. et al. 2016 Female in the inside, conservation. J. Nature Conserv. 41, male in the outside: insights into the 88-96. spatial organization of a European https://doi.org/10.1016/j.jnc.2017.11. wildcat population. Conserv. Gen. 17, 008 6, 1405–1415 Eichstädt, W., Kapischke, H.-J. 1978 Wildkatze Beugin, M.-P. Le Chat sauvage européen (Felis silvestris SCHREBER) im Nord- comme modèle d'étude de la faune osten der DDR. Säugetierkundl. In- sauvage: focus sur les problématiques formationen, 2, 71 9
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Dr. Gerd Grün Felis silvestris Wildkatze 2020
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