FLUCHT UND MIGRATION Wie die Poli k Fluchtursachen bekämp Migra onsmanagement mit Afrika Menschenrechte für alle! - Verband Entwicklungspolitik ...

Die Seite wird erstellt Horst-Peter Geißler
 
WEITER LESEN
FLUCHT UND MIGRATION Wie die Poli k Fluchtursachen bekämp Migra onsmanagement mit Afrika Menschenrechte für alle! - Verband Entwicklungspolitik ...
VERBAND ENTWICKLUNGSPOLITIK NIEDERSACHSEN 2 | 2018

 EINE WELT IN NIEDERSACHSEN

FLUCHT UND MIGRATION
Wie die Poli�k Fluchtursachen bekämp�
Migra�onsmanagement mit Afrika
Menschenrechte für alle!
FLUCHT UND MIGRATION Wie die Poli k Fluchtursachen bekämp Migra onsmanagement mit Afrika Menschenrechte für alle! - Verband Entwicklungspolitik ...
Liebe Leser*innen,
                                bereits 2016 befassten wir uns        der neuen Landesregierung bislang nicht fortgesetzt
                                in einer Ausgabe der VEN-Posi-        wurde, hoffen wir, dass die Diskussion um Fluchtursa-
                                tionen mit dem Thema Flucht.          chen auch in Niedersachsen weitergeführt wird. Ge-
                                Was hat sich seitdem getan? Ei-       nauso vielschichtig wie Fluchtursachen sind die Auswir-
                                nerseits rückte im politischen        kungen unserer Politik, unserer Konsumgewohnheiten
                                Diskurs die notwendige Bekämp-        und unserer Produktionsweisen auf den Globalen Sü-
                                fung von Fluchtursachen in den        den. Dies stärker in den Blick zu nehmen, ja eine breite
                                Blick. Mehr noch, sie wurde zum       gesellschaftliche Debatte darüber zu führen, das ist die
                                Argument für eine Erhöhung der        Chance, die in der medialen Aufmerksamkeit für das
                                Ausgaben für die Entwicklungs-        Thema liegt. Auch wenn es in der zunehmenden Polari-
                                zusammenarbeit und Grundla-           sierung der Gesellschaft nicht leichter wird, für ein soli-
                                ge für neue Kooperationen, z. B.      darisches Miteinander der Menschen in der Einen Welt
                                mit afrikanischen Ländern. Ande-      einzustehen, mit dieser Positionen möchten wir Sie ge-
                                rerseits werden mit europäischen      nau darin bestärken.
                                Entwicklungsgeldern autoritäre
                                Regime beim Aufbau von Grenz-         Wie wichtig Ihr Engagement ist, zeigt sich gerade in die-
         kontrollen unterstützt. Die Seenotrettung im Mittelmeer      sen Tagen. Die Diskussionen um den jetzt in Marrakesh
         wird zunehmend kriminalisiert. Gleichzeitig ist die öf-      verabschiedeten UN-Migrationspakt verdeutlichen, wie
         fentliche Debatte über Migration und Flucht von perma-       wenig selbstverständlich es ist, dass Staaten sich in die
         nenten verbalen Grenzüberschreitungen und einer zu-          Pflicht nehmen lassen, in Fragen der Migration stär-
         nehmenden Verrohung geprägt.                                 ker zusammenzuarbeiten und die Menschenrechte von
                                                                      Migrant*innen zu schützen. Die USA und mehrere eu-
         Aber hat sich im Sinne der Fluchtursachenbekämpfung          ropäische Länder werden den Pakt vorerst nicht unter-
         nun tatsächlich die Politik verändert? In der Handels-       schreibe. In Belgien entzweite sich sogar die Regierungs-
         oder Klimapolitik zum Beispiel? Geht es wirklich um die      koalition über diese Frage, und auch in Deutschland
         Bekämpfung von Ursachen von Flucht und Migration             schlugen die Wellen der politischen Debatte und der Be-
         oder vielmehr um das Aufhalten von Migrant*innen und         richterstattung hoch. Umso wichtiger, dass wir deutlich
         Flüchtenden vor den Toren Europas? Mit dieser Ausga-         machen: Menschenrechte müssen für alle gelten!
         be der VEN-Positionen wollen wir diesen Fragen nach-
         gehen. Die Beiträge der unterschiedlichen Autor*innen        Eine anregende Lektüre wünschen
         werfen Schlaglichter auf die aktuelle, politisch brisante
         Diskussion. Unsere eigenen Positionen als VEN sowie die      Antje Edler und Muriel Hermann
         beispielhaften Aktivitäten der entwicklungspolitischen
         Gruppen stellen den Bezug zu uns in Niedersachsen her.

         Auch wenn die Landesmittel für die Bekämpfung von
         Fluchtursachen 2019 deutlich zurückgefahren werden,
         und der Runde Tisch „Fluchtursachen bekämpfen“ von

                                                                     VERBAND
                                                                     ENTWICKLUNGSPOLITIK
                                                                     NIEDERSACHSEN E.V.

         Herausgeber Verband Entwicklungspolitik Niedersachsen e.V., Hausmannstr. 9 - 10, 30159 Hannover, Tel. 0511-391650,
         info@ven-nds.de, www.ven-nds.de Redaktionsteam Nico Beckert, Hilke Brandy, Antje Edler, Nina Gawol, Noreen
         Hirschfeld, Inna Jungmann, Marion Rolle Bilder JANUN e.V., JANUN Lüneburg e.V., Eine Welt-Promotor*innen-Pro-
         gramm der Region Lüneburg, Zeichnung Markus Wende (Titel), djvstock/vectorstock.com (4), A. Lemke (6), Serge Pa-
         lasie (8), klavapuk/vectorstock.com (10), Chris Grodotzki/Sea-Watch.org (12), L. Hoffmann/Sea-Watch.org (Porträt ,
         12), commons.wikimedia.org (18), Peer Leader (18), Seebrücke Hannover (19), Citizen Diplomats for Syria (19), Ibis
         e.V. (19) Grafik 24zwoelf.de Druck auf Recyclingpapier
         Auflage 750 Hannover Dezember 2018

         Gefördert durch das Land Niedersachsen

< Titelbild: Wimmelbild Klima+Flucht
FLUCHT UND MIGRATION Wie die Poli k Fluchtursachen bekämp Migra onsmanagement mit Afrika Menschenrechte für alle! - Verband Entwicklungspolitik ...
DARUM GEHT ES                                 INTERVIEW ÜBER SEENOTRETTUNG

4 Solidarität statt Konkurrenz:               12 Was richtig und was wichtig ist ...
   Wider die Politik mit der Angst               Pia Klemp, Sea­Watch
   Thomas Gebauer, medico international
                                                 GEHT DIE RECHNUNG AUF?
   „FLUCHTURSACHENBEKÄMPFUNG“ IN PRAXIS?
                                              16 ‚Fluchtursachenbekämpfung‘
6 Gelder, Projekte und Auswirkungen              mit Entwicklungszusammenarbeit
   europäischer Migrationspolitik nach 2015      Dr. Benjamin Schraven, Deutsches Institut
   Dr. Inken Bartels, Universität Osnabrück      für Entwicklungspolitik

                                                 VEN POSITION
   HERAUS AUS DEM SCHATTEN
                                              17 Sturmfestes Niedersachsen?
8 Koloniale Vorgeschichte aktueller
   Flucht­ und Migrationsbewegungen
   am Beispiel Afrikas                           ENGAGEMENT!

   Serge Palasie, Eine Welt­Netz NRW          18 70 Jahre! Menschenrechte für alle!

   PARTNERSCHAFT AUF AUGENHÖHE?

10 Afrika endlich ernst nehmen!
   Prof. Dr. Robert Kappel, Nico Beckert
FLUCHT UND MIGRATION Wie die Poli k Fluchtursachen bekämp Migra onsmanagement mit Afrika Menschenrechte für alle! - Verband Entwicklungspolitik ...
d

DARUM GEHT ES

Solidarität statt Konkurrenz:
Wider die Politik mit der Angst
Thomas Gebauer, medico international

Zum bedauerlichen Zustand gegenwärtiger Politik gehört, dass sie immer wieder erstaunt auf Krisen
reagiert, die sie zuvor selbst befördert hat. Exemplarisch kommt dies in der sogenannten „Flüchtlings-
krise“ zum Ausdruck, die keineswegs die „Mutter aller Probleme“ ist, sondern die Folge einer Politik, an
der auch Leute wie Horst Seehofer maßgeblichen Anteil haben. Wie der Klimawandel, die anhaltende
Finanzkrise, der Hunger und die vielen kriegerischen Konflikte, die heute allerorten für Verheerungen
sorgen, ist auch die weltweite Migration nicht vom Himmel gefallen.

Die vielen Millionen Menschen, die sich auf den Weg ge-          jährlich zusammenkommen, eingestehen musste, dass die
macht haben, verweisen auf eine Krise, die viel umfassender      soziale Verunsicherung von Menschen zum Weltrisiko Num-
ist und viel tiefer reicht. Sie verweisen auf globale Verhält-   mer 1 geworden ist.
nisse, in denen die Belange von Mensch und Natur nichts gel-
ten, wenn sie in den Konflikt mit partikularen ökonomischen      Soziale Verunsicherung – übersetzt heißt das ein Leben in
und machtpolitischen Interessen geraten.                         zunehmender Bedeutungs- und Perspektivlosigkeit, be-
                                                                 droht von den Folgen einer umweltschädigen Produktions-
Im Zuge der Einbeziehung noch des letzten Winkels der Erde       weise, die auch hierzulande nicht mehr zu leugnen sind, be-
in einen kapitalistisch geprägten Weltmarkt – wir nennen das     droht von einer rasant voranschreitenden technologischen
mitunter Globalisierung –, ist die Welt zu einem höchst unsi-    Entwicklung, die den Menschen kaum noch nutzt, sie aber
cheren Ort geworden. Die Lage ist heute so prekär, dass in-      zunehmend nutzlos macht, bedroht auch von Sozialabbau,
zwischen selbst das Davoser Weltwirtschaftsforum, in dem         der zu immer offensichtlicher werdenden gesellschaftlichen
die Macher der marktradikalen Umgestaltung der Welt all-         Auslösungserscheinungen führt.

                                                                                                                          4
FLUCHT UND MIGRATION Wie die Poli k Fluchtursachen bekämp Migra onsmanagement mit Afrika Menschenrechte für alle! - Verband Entwicklungspolitik ...
Für einen Großteil der Weltbevölkerung brachte die globale     die hier Schutz gesucht haben. 150 Mio. Euro stehen bis
    Entfesselung des Kapitalismus nicht ein Mehr an Wohlstand      2020 für ein Programm zur Verfügung, das sich „Perspektive
    und Freiheit, sondern Marginalisierung und Vogelfreiheit.      Heimat“ nennt. „Heimat“ an allen Fronten.
    Auch in den privilegierten Ländern des Nordens macht sich
    Unbehagen breit, auch hier wächst die Verunsicherung und      In den Augen der Leute im Süden ist der Begriff Fluchtursa-
    mit ihr das Bedürfnis nach Sicherheit.                        chenbekämpfung heute derart kontaminiert, dass wir lieber
                                                                  auf ihn verzichten und von dem sprechen sollten, was die
    Und aus Ängsten lässt sich bekanntlich Kapital schlagen. Flucht von Menschen antreibt: die Zerstörung von Lebens-
    Ängste haben nicht nur der Sicherheitsindustrie einen Boom grundlagen im Zuge der voranschreitenden ökonomischen
    beschert, sondern treiben                                                                    und machtpolitischen Durch-
    die Leute auch in die Hän-                                                                   dringung aller Sphären des
    de von Politiker*innen,            Ohne einen Bruch mit den Idealen der                      Lebens. Um dieser Entwick-
    die Lösungen durch wehr-                                                                     lung entschlossen entgegen-
    hafte Abschottung und               kapitalistischen Lebensform wird die                     treten zu können, bedarf es
    rückwärtsgewandte Nati-                                                                      einer alternativen Idee von
    onalismen versprechen.               Verwirklichung menschenwürdiger                         Gesellschaftlichkeit. So wich-
    Sündenböcke, die für alle            Lebensbedingungen nicht gelingen.                       tig es ist, Menschen auf der
    Probleme der Welt verant-                                                                    Flucht beizustehen, ihnen
    wortlich sein sollen, sind           Menschlichkeit, Mitgefühl und Soli­                     Schutz und Hilfestellungen
    schnell präsentiert. Die                                                                     gegen Ausgrenzung und ras-
    Fremden, die Flüchtlinge,            darität vertragen sich nicht mit den                    sistische Übergriffe zu geben,
    die Obdachlosen und So-            herrschenden Maßgaben von Verwert­                        so notwendig ist die Entfal-
    zialhilfeempfänger*innen.                                                                    tung eines neuen Internatio-
    Mit dem Tritt nach unten             barkeit, Konkurrenz und Sicherheit.                     nalismus, der mit einer sozial
    lässt sich die am eigenen                                                                    und ökologisch gerechten Ge-
    Leib erfahrene Angst wie-                                                                    staltung der globalen Verhält-
    der in Stärke verwandeln.                                                                    nisse Ernst macht. Dabei wird
                                                                  es auch notwendig sein, jene imperiale Lebensweise anzu-
    Der Verlust an Menschlichkeit, der mit Ausgrenzung und ras- gehen, die wir im Norden auf Kosten der Menschen im Sü-
    sistischen Überhöhungen einhergeht, aber hat gravierende den führen.
    Folgen. Die Verrohung der Sitten, die Aufkündigung des Re-
    spekts gegenüber dem Anderssein der Anderen, die Gewöh- Ohne einen Bruch mit den Idealen der kapitalistischen Le-
    nung daran, dass die Würde der Menschen offenbar doch bensform wird die Verwirklichung menschenwürdiger Le-
    angetastet werden kann – all das sichert nicht das friedliche bensbedingungen nicht gelingen. Menschlichkeit, Mitgefühl
    Zusammenleben von Menschen, sondern nur das bestehen- und Solidarität vertragen sich nicht mit den herrschenden
    de Unrecht. Die Mauern, die nach außen gezogen werden, Maßgaben von Verwertbarkeit, Konkurrenz und Sicherheit.
    wirken auch nach innen. Die vermeintliche Sicherheit führt Einer Sicherheit, die immer nur eine partikulare und andere
    geradewegs in den Abgrund. Der Traum absoluter Sicher- ausschließende Sicherheit ist.
    heit, so der in Südafrika lebende Philosoph Achille Mbem-
    be, meint nicht nur Überwachung, sondern auch Säuberung.
                                                                                  Thomas Gebauer ist seit 1996 Geschäfts-
    Unter solchen Umständen verwundert es nicht, wenn die an                      führer von medico international. Zu seinen
    sich gute Idee der Bekämpfung von Fluchtursachen ins Gere-                    Arbeitsschwerpunkten zählen Fragen der
    de gekommen ist. Immer deutlicher wird, dass oftmals nicht                    internationalen Friedens- und Sicherheits-
    die Bekämpfung der Ursachen auf der politischen Tagesord-                     politik und die sozialen Bedingungen
    nung steht, sondern die Bekämpfung der Flucht, genauer:                       globaler Gesundheit.
    der Flüchtlinge. Auch das Entwicklungshilfeministerium en-
    gagiert sich inzwischen in der Rückführung von Menschen,

                                         HILFE? HILFE! WEGE AUS
                                         DER GLOBALEN KRISE
                                         Thomas Gebauer und der Schriftsteller Ilija Trojanow beleuchten in
                                         dem Buch verschiedene Ansätze von Hilfe u.a. in Pakistan, Kenia,
                                         Sierra Leone und Guatemala. Sie zeigen, was funktioniert und was
                                         nicht: Von der Wohltätigkeit der Superreichen, über staatliche Un-
                                         terstützungsprojekte bis hin zu beeindruckenden lokalen Initiativen.
                                         Erschienen im Fischer-Verlag, 256 S., 15 €

5
FLUCHT UND MIGRATION Wie die Poli k Fluchtursachen bekämp Migra onsmanagement mit Afrika Menschenrechte für alle! - Verband Entwicklungspolitik ...
Die Plakatkampagne „Dein Land. Deine Zukunft. Jetzt“ des BMI richtet sich an Personen, die möglicherweise ausreisepflichtig sind.
Sie sollen zu einer freiwilligen Rückkehr motiviert werden. Das Budget der Kampagne beträgt 500.000 Euro. Hier ist auch eine
Gegenkampagne zu sehen.

       „FLUCHTURSACHENBEKÄMPFUNG“ IN PRAXIS?

     Gelder, Projekte und Auswirkungen
     europäischer Migrationspolitik nach 2015
     „Fluchtursachenbekämpfung“ ist in den letzten Jahren zum          lärer Migration – denn um diese geht es bei der sogenannten
     Schlagwort europäischer Migrations- und Flüchtlingspolitik        Fluchtursachenbekämpfung meistens – konkret bekämpft
     geworden. Im Sommer 2015 rückten Flucht- und Migrations-          werden? Und welche Auswirkungen haben die unzähligen
     bewegungen nach Europa in den Mittelpunkt europäischer            neuen Gelder und Projekte mit diesem Ziel auf Migrations-
     Politik und Öffentlichkeit – nicht zuletzt wegen steigender To-   prozesse in den Transit- und Herkunftsstaaten?
     deszahlen bei den Versuchen europäisches Territorium zu er-
     reichen. In der Folge suchten die EU und ihre Mitgliedsstaaten
     nach neuen Mitteln und Wegen diese zukünftig zu unterbin-         Europa wirbt für migrationspolitische
     den. Die Kooperation mit Transit- und Herkunftsstaaten wur-       Kooperationen
     de dabei als zentral erachtet, um die Ursachen von Flucht und     Im November 2015 lud der Europäische Rat europäische und
     irregulärer Migration außerhalb Europas zu bekämpfen. Der         afrikanische Staatschefs zu einem Migrationsgipfel nach La
     afrikanische Kontinent rückte so zunehmend in den Fokus mi-       Valletta auf Malta ein, um sie für eine bessere migrations-
     grationspolitischer Externalisierungsbestrebungen der EU.         politische Kooperation zu gewinnen. Nach zähen Verhand-
                                                                       lungen einigten sich die Staatschefs am Ende auf fünf Ziele
     Doch welche Folgen hatte der sich schnell verbreitende und        zukünftiger Zusammenarbeit: Darunter die Bekämpfung der
     vielstimmige Diskurs der Fluchtursachenbekämpfung auf die         Ursachen von irregulärer Migration und Vertreibung; die Be-
     politische Praxis der EU? Wie sollen die Ursachen von irregu-     kämpfung irregulärer Migration, der sogenannten Schleu-

                                                                                                                                6
FLUCHT UND MIGRATION Wie die Poli k Fluchtursachen bekämp Migra onsmanagement mit Afrika Menschenrechte für alle! - Verband Entwicklungspolitik ...
sung von Migrant*innen und des Menschenhandels; die Verbes-
serung von Schutz und humanitärer Hilfe für Menschen auf der              Die fünf häufigsten Rückkehrländer 2017
Flucht; die Zusammenarbeit bei der Rückführung und Rücknahme
und schließlich die Förderung legaler Migrationsmöglichkeiten.            29.522 Personen reisten 2017 aus Deutschland aus.
                                                                          Datenquelle: IOM, REAG/GARP
Die EU richtete im Anschluss ein neues Finanzierungsinstrument
ein, den Nothilfe Treuhandfonds für Afrika (EUTF), mit dessen Hilfe
die verabschiedeten Ziele umgesetzt werden sollten. Die bis Ende
2018 zugesagten Mittel in Höhe von 4,1 Mrd. Euro stammen da-                                                            6.936    Albanien
bei überwiegend aus entwicklungspolitischen Fonds des EU Haus-
halts. Ein Großteil dieser Gelder geht an Internationale Organisa-
                                                                                         2.938     Mazedonien
tionen wie die GIZ und europäische Durchführungsorganisationen
der Entwicklungszusammenarbeit (EZ). Innerhalb von fünf Jahren
sollen sie laut EU Kommission diverse Projekte zur „Förderung von
                                                                                        2.922      Serbien
wirtschaftlichen Möglichkeiten, Chancengleichheit, Sicherheit und
Entwicklung“ durchführen. Ziel ist es somit, die „Ursachen von De-
stabilisierung, Zwangsvertreibung und irregulärer Migration“ in 28                       2.866     Irak
afrikanischen Partnerländern, die als „stark von Migration betrof-
fen“ gelten, zu bekämpfen. Mit diesem neuen Finanzierungsinstru-
ment stellt die EU Gelder sowie Akteure aus der EZ, die ursprüng-             1.636     Russische Föderation
lich die Reduzierung von Armut zum Ziel hatten, in den Dienst
aktueller migrationspolitischer Externalisierung.

Bei näherer Betrachtung der detaillierten Projektbeschreibungen
auf der offiziellen EUTF-Website wird deutlich, was nach der Hälfte    ­ igrationspolitik auf die Verhinderung von Migration lässt damit
                                                                       M
der Laufzeit konkret mit den 4,1 Mrd. Euro gefördert wird: Über die    außer Acht, dass Migration in vielen afrikanischen Ländern eine
Hälfte der Gelder wird für Projekte ausgegeben, die die Bekämp-        wichtige ökonomische Strategie im Umgang mit Armut ist. So wer-
fung von Ursachen irregulärer Migration und Vertreibung zum Ziel       den von den 4,1 Mrd. Euro der EUTF Gelder lediglich ein Prozent
haben. Außerdem werden Projekte, die irreguläre Migration, die         für die Förderung von legaler Migration ausgegeben.
„Schleusung“ von Migrant*innen und Menschenhandel bekämp-
fen (20%) und den Schutz und humanitäre Hilfe für Menschen auf
der Flucht verbessern sollen (16%) gefördert. Knapp ein Zehntel        EU-Politik behindert Bestrebungen
wird für die Verbesserung der Zusammenarbeit bei der Rückfüh-          regionaler Freizügigkeit
rung von Migrant*innen aus Europa bereitgestellt. Die Projekte in      Die aktuellen europäischen Versuche grenzüberschreitende Migra-
diesem Bereich sollen Migrant*innen aus Transitstaaten wie Lib-        tion bereits in den Herkunftsregionen zu unterbinden, verkennen
yen oder Niger zurückführen und sie bei der Reintegration in ihren     die Vielfalt, Tradition und Bedeutung innerafrikanischer Migrati-
Herkunftsländern unterstützen.                                         onsprozesse, die sich, wie etwa saisonale Migration in der Land-
                                                                       wirtschaft, Handelsreisen und Bildungsmobilität in Westafrika, sel-
                                                                       ten an die aus der Kolonialzeit stammenden Staatsgrenzen halten.
Unterstützung wird künftig an Rücknahme­                               Während etwa zwei Drittel afrikanischer Migrationsbewegungen
bereitschaft gekoppelt                                                 innerhalb des Kontinents stattfinden, fokussiert die europäische
Neuerdings wird zudem versucht, in Kampagnen über die Gefahren         Migrationspolitik ihre Gelder und Projekte auf die Routen nach Eu-
irregulärer Migration aufzuklären. Auch der Aufbau staatlicher Un-     ropa. Sie erschwert mit ihrer auf Restriktionen ausgerichteten För-
terstützungsstrukturen in diesem Bereich ist in vielen Projekten       derung den grenzüberschreitenden Verkehr und Austausch zwi-
vorgesehen. Die afrikanischen Staaten haben traditionell wenig         schen afrikanischen Staaten auch dort, wo sich diese eigentlich für
Interesse gezeigt, ihre Staatsbürger*innen aus Europa wiederauf-       regionale Freizügigkeit ihrer Staatsbürger*innen einsetzen wie in
zunehmen und entzogen sich trotz des jahrelangen Drucks recht          der westafrikanischen ECOWAS Region. So zeigt die konkrete Um-
erfolgreich europäischen Rückführungsbestrebungen. Um dies zu          setzung der aktuellen europäischen Migrationspolitik durch die
ändern, wollen die EU und ihre Mitgliedsstaaten, neben den 300         Förderung des EUTFs, wie im Namen der Fluchtursachenbekämp-
Mio. Euro für Rückführungsprojekte aus dem EUTF, zukünftig auch        fung in erster Linie Migration von Afrika nach Europa verhindert
ihre (finanzielle) Unterstützung für afrikanische Staaten in anderen   werden soll. Die Interessen afrikanischer Staaten und Bevölke-
Politikbereichen an die Kooperation bei der Rücknahme von Mi-          rungen sowie die Auswirkungen auf innerafrikanische Mobilitäts-
grant*innen aus Europa koppeln.                                        und Entwicklungsprozesse werden dabei kaum berücksichtigt.

Vertreter*innen afrikanischer Staaten versprechen sich von der
Kooperation mit der EU und europäischen Staaten vor allem die                                    Dr. Inken Bartels ist Wissenschaftliche Mit-
Verbesserung legaler Migrationsmöglichkeiten, nicht zuletzt we-                                  arbeiterin am Institut für Migrationsfor-
gen der stetig wachsenden Bedeutung von Rücküberweisungen                                        schung und Interkulturelle Studien (IMIS)
ihrer Staatsbürger*innen aus Europa. Seit Mitte der 1990er Jahre                                 der Universität Osnabrück. Aktuell arbeitet
ist die Gesamtheit der Gelder, die weltweit von Migrant*innen in                                 sie in dem Projekt „ExiTT: Exit – Transit –
ihre Herkunftsländer zurücküberwiesen wird, laut Weltbank höher                                  Transformation“ zu Migrationsprozessen
als die Gesamtsumme an Entwicklungshilfegeldern. In kleinen Län-                                 in und aus Westafrika sowie im Fachgebiet
dern wie Gambia und Liberia machen Rücküberweisungen heute                                       Migration und Gesellschaft.
20 bis 30 Prozent des BIPs aus. Der aktuelle Fokus europäischer

7
FLUCHT UND MIGRATION Wie die Poli k Fluchtursachen bekämp Migra onsmanagement mit Afrika Menschenrechte für alle! - Verband Entwicklungspolitik ...
HERAUS AUS DEM SCHATTEN

    Koloniale Vorgeschichte aktueller
    Flucht­ und Migrationsbewegungen
    am Beispiel Afrikas
    Serge Palasie, Eine Welt­Netz NRW

    Kaum ein Tag vergeht seit 2015 – dem Jahr der sogenannten       meinen Medien und Politik, wenn sie von Fluchtursachen
    „Flüchtlingskrise“ – an dem nicht über das Thema Flucht in      sprechen? Die Genfer Flüchtlingskonvention gibt einen
    Medien und Politik gesprochen wird. Selbst das Wiederer-        Anhaltspunkt, wenn es medial darum geht, wer eine Bleibe-
    starken rechter Parteien in Europa wäre ohne die steigenden     perspektive hat und wer nicht. Die in ihr anerkannten, eher
    Zahlen von Migrant*innen und Geflüchteten so kaum denk-         individuellen Fluchtgründe – etwa Verfolgung aufgrund von
    bar. Auch die etablierten Parteien befassen sich mit dem The-   politischer oder religiöser Überzeugung oder wegen des Ge-
    ma: Neben der effektiveren Sicherung der EU-Außengrenzen        schlechts oder der sexuellen Orientierung – garantieren the-
    geht es darum, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Was             oretisch ein Recht auf Schutz.

Geschichte und Gegenwart auf einem Bild: Fischerboot vor der ehemaligen Sklaveninsel Gorée (Senegal).
Immer öfter bedrohen transnationale Fischerei-Konzerne die Existenz lokaler Fischer. Einige „satteln“ notge-
drungen um und werden „Schlepper“. Copyright: Serge Palasie

                                                                                                                              8
FLUCHT UND MIGRATION Wie die Poli k Fluchtursachen bekämp Migra onsmanagement mit Afrika Menschenrechte für alle! - Verband Entwicklungspolitik ...
Für Geflüchtete gilt, die aus (Bürger-)Kriegsgebieten Richtung EU       Elite vor Ort profitierte bzw. profitiert. Der geschaffene Rassismus
flüchten. De facto wurde die Konvention aber zunehmend nach             rechtfertigte die koloniale Einverleibung Afrikas. Unter dem Vor-
Ende des Ost-Westkonflikts ausgehöhlt. Die ganzen Dublin-Verfah-        wand der Zivilisierung wurde Afrika ökonomisch in den Weltmarkt
ren, die vorsehen, dass Geflüchtete dort Asyl beantragen, wo sie        eingespannt – auch als Absatzmarkt für industrielle Produkte.
erstmals europäischen Boden betreten haben, machen es selbst
dieser vergleichsweise kleinen Gruppe der nach Europa migrie-           Aber das eingefädelte Muster endete nicht mit dem Ende der Ko-
renden oder fliehenden Menschen schwer. Dass Flüchtlingsboote           lonialzeit. Zum Teil wurde es erst nach dem Ende der Kolonialzeit
nicht erst das Mittelmeer verlassen, um dann über die Atlantik-         richtig lukrativ – auch, weil die Kosten für Verwaltung, Infrastruk-
küste Richtung Nordsee zu gelangen und etwa die Elbe stromauf-          tur etc., die eine offizielle Kolonialmacht hatte, weitestgehend
wärts Hamburg ansteuern, leuchtet den meisten ein.                      wegfielen. EU-Zollpolitiken, die nach wie vor die Einfuhr von unver-
                                                                        arbeiteten Rohstoffen begünstigen, während sie weiterverarbei-
Die größte Gruppe der Migrant*innen und Geflüchteten hat in der         tete Produkte mit hohen Einfuhrzöllen belegen, zementieren die
Regel keine Bleibeperspektive. Ihr wird quasi pauschal unterstellt,     Arbeitsteilung in vielen Fällen und be- oder verhindern weiterver-
dass sie keine wirklichen Gründe habe, ihre Heimat zu verlassen.        arbeitende Industrien in Afrika. So entstehen keine Perspektiven.
Despektierlich werden solche Migrant*innen oft als Wirtschafts-
flüchtlinge bezeichnet. Ihre Migration – so die Unterstellung weiter    Doch es gibt begrüßenswerte Ansätze der Entwicklungspolitik,
– sei nichts anderes als der Versuch, einer hausgemachten Notla-        wie die UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs), die Ungleichheit inner-
ge zu entfliehen und von unseren Errungenschaften zu profitieren.       halb und zwischen Staaten verringern wollen. Auch die Weltde-
Zu diesen Errungenschaften gehören unter anderem unser hoher            kade für Menschen afrikanischer Abstammung (2015-24) will die
Lebensstandard sowie der Sozialstaat. Neben diesen Geflüchteten         historische bedingte globale Schieflage überwinden. Eine zu ge-
haben auch die oft als Klimaflüchtlinge bezeichneten Menschen           ringe finanzielle Ausstattung und eine vielfach fehlende Verbind-
kaum eine Bleibeperspektive. Die Auswirkungen des Klimawandels          lichkeit erschweren aber den Weg zum Erfolg. Gleichzeitig werden
sind bis heute kein anerkannter Fluchtgrund. Damit kein falscher        Freihandelsabkommen verhandelt, die historische bedingte Schie-
Eindruck entsteht: Dies soll kein Appell für ein Bleiberecht für alle   flagen eher ausbauen als überwinden helfen – so die Wirtschafts-
werden. Vielmehr sollen hier Zusammenhänge dargestellt werden,          partnerschaftsabkommen (WPA, engl. EPA), in denen die EU den
auch weil die zunehmend vom rechten Parteienspektrum getrie-            Freihandel mit Staaten in Afrika, der Karibik und im Pazifik wei-
bene Politik hier viel zu wenig tut.                                    ter ausbauen will. So sollen etwa Einfuhrzölle für europäische Er-
                                                                        zeugnisse weiter gesenkt werden. Dies verhindert, dass Industrien
Aber wo müssen wir beginnen, um Fluchtursachen wirklich voll-           entstehen oder kann entstehende Industrien empfindlich treffen.
ständig zu erfassen? Um zu verstehen, warum es eine derma-              Perspektivlosigkeit – also Fluchtursachen – bekämpft die Politik so
ßen deutliche Perspektivenungleichheit in der Welt gibt, reicht         nicht. Wenn wir wollen, dass Menschen nicht fliehen müssen, dür-
es nicht, dass wir 20 bis 30 Jahre zurückgehen. Wir müssen uns          fen wir die historischen Voraussetzungen und Kontinuitäten nicht
die Kolonialgeschichte anschauen. Denn damals schufen auch              länger ignorieren. Wenn wir despektierlich von Wirtschaftsflücht-
wir uns unseren „Platz an der Sonne“ (den Ausdruck prägte Ber-          lingen sprechen, die „leider“ keine Bleibeperspektive haben, dann
nard von Bülow 1897, damals im Auswärtigen Amt). Der spätere            müssen wir selbst ein wenig aus der Sonne raus. Unser Platz an der
Reichskanzler sagte aber auch, dass man dabei „niemand in den           Sonne wäre dann nicht weg. Aber diejenigen im Schatten hätten
Schatten stellen“ wolle. Wen meinte er damit? Wohl nicht die da-        endlich wieder mehr Sonnenlicht. Machbar wäre das. Aber sind
maligen kolonialen Untertanen. Es ist davon auszugehen, dass            wir – also die Gesellschaft als Ganzes – dazu wirklich bereit?
nicht andere Kolonialmächte düpiert werden sollen. Diese ande-
ren Kolonialmächte – vor allem Großbritannien, Frankreich oder
aber auch die Niederlande, Portugal und Spanien – schufen lan-                          Serge Palasie ist Eine Welt-Promotor für Flucht,
ge, bevor sich Deutschland nach dem gewonnenen Krieg gegen                              Migration und Entwicklung in Düsseldorf. In sei-
Frankreich 1870/71 zur Großmacht aufschwang, eine transatlan-                           ner Arbeit befasst er sich mit den Themen Flucht-
tische Wirtschaftsordnung, die ohne die größte Zwangsmigration                          ursachen, historische Hintergründe und Politik-
der Geschichte gar nicht möglich geworden wäre. Im Rahmen die-                          kohärenz. U.a. kuratierte er die Ausstellung
ses transatlantischen Versklavungssystems wurde eine beispiel-                          „Schwarz ist der Ozean“.
lose Umverteilung initiiert, deren Folgen bis heute relevant sind.
Die Gewinne aus diesem System waren immens und schoben auch
die kapitalintensive Industrialisierung an. Über die Jahrhunderte
dieses Versklavungssystems entstand auch ein ökonomisch moti-
vierter Rassismus, der die Idee von ethnisch homogenen Nationen           AUSSTELLUNGSTIPP
ermöglichte.

Die Industrialisierung schuf eine „globale Arbeitsteilung“, die im
Kern bis heute besteht. Insbesondere Afrika war und ist betroffen.
Der Reichtum an agrarischen und mineralischen Rohstoffen sorgte
dafür, dass Afrika im Fokus externer Mächte blieb. Es entstand auf
der einen Seite eine kapitalintensive, zunehmend diversifizierte
weiterverarbeitende Industrie mit einer hohen Wertschöpfung.
Auf der anderen Seite standen die Lieferanten nahezu vollstän-
dig unverarbeiteter Rohstoffe. Dass dieses System relativ einfach         Ausstellung: „Schwarz ist der Ozean – Was haben volle
etabliert werden konnte, ist ohne die Jahrhunderte des transat-           Flüchtlingsboote vor Europas Küsten mit der Geschichte
lantischen Versklavungssystems nicht erklärbar: In dem Maße, in           von Sklavenhandel und Kolonialismus zu tun.“ Weitere Infos
dem die entstehende westliche Welt über zusätzliche Kapazitäten           www.eine-welt-netz-nrw.de/ausstellungen/flucht
verfügte, in dem Maße gingen sie Afrika verloren. Nur eine kleine

9
FLUCHT UND MIGRATION Wie die Poli k Fluchtursachen bekämp Migra onsmanagement mit Afrika Menschenrechte für alle! - Verband Entwicklungspolitik ...
PARTNERSCHAFT AUF AUGENHÖHE?

Afrika
endlich ernst
nehmen!
Prof. Dr. Robert Kappel, Nico Beckert

Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Nigerias Präsident      Wir wollen an dieser Stelle für einen Paradigmenwechseln in
Muhammadu Buhari schaut auf seinem Europabesuch für             der deutschen Afrikapolitik werben: Weg vom Helfermodus
24 Stunden in Deutschland vorbei. Er diskutiert hier mit Bun-   und der Vorstellung wir wüssten im Globalen Norden, wel-
deskanzlerin Angela Merkel seine neusten Pläne gegen den        cher exakter „Entwicklungszutaten“ es bedarf - hin zur Schaf-
Dieselskandal und die zunehmende Kinderarmut. Zwei Mo-          fung eines ermöglichenden internationalen Umfelds. Denn
nate später stellt Nigerias Wirtschaftsminister seine Strate-   die Erkenntnis von Entwicklungsexpert*innen ist ganz ein-
gien zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa        deutig: Entwicklung muss von innen vorangetrieben werden.
vor. Die deutsche Politik würde höflich zuhören, aber beto-     Sie kann von außen lediglich Unterstützung erfahren. Bei-
nen, dass deutsche Politik in Deutschland gemacht wird.         spielsweise sollte sich die deutsche Politik in den Bereichen
                                                                Entwicklung, Handel und Finanzen darauf konzentrieren, auf
Seit dem sogenannten Flüchtlingssommer von 2015 über-           internationaler Ebene einen Rahmen zu setzen, der den afri-
bieten sich deutsche Ministerien mit Afrikaplänen. Aus dem      kanischen Staaten die notwendigen politischen Handlungs-
BMZ kam der Marshallplan mit Afrika, aus dem Finanzmini-        spielräume für ihre wirtschaftliche und infolge dessen auch
sterium die Compacts with Africa, aus dem Wirtschaftsmi-        soziale Entwicklung ermöglicht.
nisterium die Initiative Pro! Africa und die Afrikastrategie
des Bildungsministeriums wurde kürzlich erneuert. Zusätz-
lich verabschiedete die Bundesregierung ein Eckpunktepa-        Fairer Handel
pier zur "Wirtschaftliche[n] Entwicklung Afrikas". Das Über-    Die überfällige Reform der Handelspolitik der Europäischen
winden von Fluchtursachen ist dabei zu einem Mantra in der      Union erfordert die Aussetzung der sogenannten Wirt-
deutschen Afrikapolitik geworden.                               schaftspartnerschaftsabkommen (WPA, engl. EPA) ) – Frei-

                                                                                                                         10
handelsabkommen, die Europa seit mittlerweile 16 Jahren mit afri-      Entwicklungsfinanzierung
kanischen Staaten verhandelt. Derzeit ist lediglich das regionale      Auch bei der Entwicklungsfinanzierung drehen sich die Debatten
WPA mit (einigen) Staaten der SADC-Region (Entwicklungsgemein-         viel zu häufig darum, wie wir von außen helfen können. Das Ziel,
schaft des südlichen Afrikas) in Kraft. Zudem gibt es mehrere In-      0,7 Prozent des deutschen Bruttonationaleinkommens für die Ent-
terim-WPAs mit Einzelstaaten, beispielsweise mit Ghana, der El-        wicklungszusammenarbeit aufzuwenden ist löblich. Die Politik
fenbeinküste, Kamerun und Simbabwe, die schon vorläufig in Kraft       sollte jedoch auch das internationale Umfeld so gestalten, dass
getreten sind.                                                         afrikanische Staaten ihre Einnahmen eigenständig erhöhen kön-
                                                                       nen. Beispielsweise verlieren afrikanische Staaten jährlich eine ge-
Die WPAs garantieren den afrikanischen Vertragsstaaten zollfreien      schätzte Summe zwischen 30 und 100 Milliarden Euro an poten-
Zugang zum EU-Markt (obwohl viele afrikanische Staaten diesen          ziellen Staatseinnahmen infolge von Steuerflucht.
zollfreien Zugang schon haben), verlangen aber einen Zollabbau
auch auf afrikanischer Seite. Durch die von der EU-Kommission          Auf internationaler Ebene dürfte Deutschland nicht mehr bei der
verlangte Marktöffnung drohen afrikanische Unternehmen und             Bekämpfung der Steuerflucht bremsen. Vielmehr sollte sich die
Kleinbäuer*innen und -bauern durch Importe noch weiter margi-          deutsche Politik für eine Einbeziehung der Länder des Südens im
nalisiert zu werden. Zudem werden regionale Märkte zerstört. Ge-       Kampf gegen die Steuerflucht einsetzen – also einer Verlagerung
lingt es der EU, einen Staat zur Ratifizierung eines WPAs zu überre-   dieses Themas von der OECD hin zur UN. Auch auf nationaler Ebe-
den, können EU-Produkte über dieses „Einfallstor“ auch zollfrei in     ne könnte Deutschland endlich afrikanische Länder am Informati-
die Nachbarstaaten innerhalb eines regionalen Wirtschaftsbünd-         onsaustausch über Steuerdaten teilhaben lassen, statt die Steuer-
nisses exportiert werden. Dadurch drohen auch dort günstige eu-        behörden Afrikas weiter im Dunkeln tappen zu. lassen.
ropäische Produkte die Absatzchancen für einheimische, teurere
Produkte zu zerstören.
                                                                       Deutschland und Europa als fairer Akteure
Afrikanische Staaten, Gewerkschaften und NRO lehnen die WPA            gegenüber Afrika
in ihrer jetzigen Form größtenteils ab. So kritisierte beispielswei-   Der gegenwärtige öffentliche Diskurs zur Afrikakooperation ist
se Tansanias Präsident John Magufuli 2017 die Abkommen als eine        stark von Flucht und Migration bestimmt. Flucht und Migration
„neue Form des Kolonialismus“. Aufgrund dieser Ablehnung hat die       sind nur Symptome tieferliegender Probleme: Daher brauchen
EU in den Verhandlungen um die WPAs Druckmittel angewendet.            wir dringend einen Paradigmenwechsel in unserer Afrikapolitik.
Sie drohte damit, den zollfreien Zugang zum europäischen Markt         Wir müssen weg von kleinteiligen Afrikaplänen, die Entwicklung
für afrikanische Produkte einzuschränken, was gravierende Aus-         von außen vorantreiben wollen. Stattdessen sollten wir Afrikas
wirkungen für afrikanische Industrien hätte. Kenia beispielsweise      Agenden zur Industrialisierung und zur Entwicklung ernst nehmen.
hat sich diesem Druck gebeugt, da es Angst um seine Schnittblu-        Wir sollten lernen zu antizipieren, wohin die große Transformation
men- und Bohnenexporte hatte.                                          in Afrika geht, d.h. Regionalisierungs- sowie Industrialisierungsbe-
                                                                       mühungen und afrikanische Entwicklungspläne durch ein ermögli-
Viele afrikanische Staaten fordern, um sich entwickeln und wett-       chendes internationales Umfeld unterstützen.
bewerbsfähige Industrien und Agrarwirtschaften aufbauen zu
können, einen Außenschutz. Damit möchten sie beispielsweise
Infrastrukturdefizite, fehlende unternehmerische Wettbewerbs-                                 Prof. Dr. Robert Kappel war von 1996-2004
fähigkeit oder geographische Herausforderungen (wie fehlende                                  Professor am Institut für Afrikanistik der
Meereszugänge) ausgleichen. Neben dem Zollschutz würden die                                   Universität Leipzig; er leitete den Arbeits-
afrikanischen Staaten bei Ratifizierung der WPAs weitere indus-                               bereich "Politik und Wirtschaft". Von 2004-
triepolitische Instrumente verlieren. Sie könnten den Rohstoffex-                             2011 ist Robert Kappel Präsident des GIGA
port nicht mehr besteuern oder die Menge der Rohstoffexporte                                  German Institute of Global and Area Stu-
beschränken. Ebenso dürften sie ausländischen Investoren weni-                                dies in Hamburg gewesen. Im Oktober 2011
ger Vorgaben über die Nutzung afrikanischer Waren und Dienst-                                 trat er in den Ruhestand.
leistungen machen. Diese Maßnahmen könnten aber Anreize
schaffen, um Rohstoffe im Förderland weiter zu verarbeiten und                                Nico Beckert ist freier Journalist und be-
Arbeitsplätze zu schaffen.                                                                    schäftigt sich mit Entwicklungspolitik mit
                                                                                              Aufenthalten in Botswana und Namibia.
Durch staatlich orchestrierte Schutz- und Unterstützungslei-                                  Seine Schwerpunkte sind Handelspolitik,
stungen für ihre einheimische Landwirtschaft und zum Aufbau von                               Steuervermeidung und die Analyse der
Industrien würden die afrikanischen Staaten keinen Sonderweg                                  deutschen Afrikapolitik. Über entwicklungs-
einschlagen, sondern sich ein Beispiel an den erfolgreichen Indus-                            politische Themen berichtet er auch auf sei-
trialisierungsprozessen in den USA, Deutschland, Japan, Südkorea                              nem Blog zebralogs.wordpress.com.
oder jüngst China nehmen. Alle diese Staaten konnten erst ein-
heimische Industrien aufbauen, bevor sie ihre Wirtschaft für den
Weltmarkt geöffnet haben. Auch das Deutsche Institut für Entwick-
lungspolitik (DIE) fordert in einem von Entwicklungsminister Mül-
ler angefragten Papier, dass es den afrikanischen Staaten möglich
sein müsse, „Teile der eigenen Wirtschaft vorübergehend vor dem
übermächtigen internationalem Wettbewerb zu schützen“ (hier).

11
INTERVIEW

Was richtig und was
wichtig ist ...
Pia Klemp (35) ist seit September 2017 in der Seenotrettung aktiv. Bevor
sie mit der Sea-Watch 3 in See stach, war sie Kapitänin der Iuventa von
Jugend Rettet. Sie ist eine von zehn Crewmitgliedern gegen die wegen
Beihilfe zur illegalen Einwanderung in die EU ermittelt wird.

Wie viele Menschen habt ihr bei euren Einsätzen aus            Diese Boote geraten dann in Seenot. Trotzdem durf­
dem Mittelmeer gerettet?                                       ten viele Schiffe der zivilen Seenotrettung in den letz­
                                                               ten Monaten die Häfen nicht verlassen. Wie steht es
Sea-Watch war bis heute an der Rettung von über 37.000         um Dein Schiff?
Menschen beteiligt. Vielen Menschen bleibt nichts anderes
als die gefährliche Route über das zentrale Mittelmeer zu      Die Sea-Watch 3 wurde über drei Monate unter fadenschei-
wählen, um ihr Menschenrecht auf Asyl wahrnehmen zu            nigsten Begründungen und durch Beamtenwillkür im Hafen
können. Es gibt skandalöserweise keine legalen und sicheren    von Valletta (Malta) festgehalten. Seit rund zwei Wochen ist
Einreisewege in die EU.                                        das Schiff jetzt wieder frei (Stand 14.11.18). Es ist nun in Kor-
                                                               sika, um sich auf die nächste Mission vorzubereiten.
Die Boote über das zentrale Mittelmeer legen von der liby-
sche Küste ab. Wenn die Leute in Libyen ankommen, sind sie     Wer rettet gerade die Menschen, die sich weiterhin in
Menschenhändlern, Schmugglern und verschiedenen Mi-            Schlauchboote setzen (müssen)?
lizen ausgesetzt, die sie ausnehmen, foltern oder monate-
lang in konzentrationslagerähnlichen, sogenannten Detenti-     Im Moment ist es furchtbar im südlichen, zentralen Mittel-
on Camps unterbringen, bevor sie sie auf die seeuntauglichen   meer. Alle staatlichen Schiffe, seien es Küstenwächter oder
Boote zwingen - teilweise unter Waffengewalt (s. Infobox).     europäische Militärschiffe, haben ihre Positionen immer

                                                                                                                            12
weiter in den Norden verlagert. Sie wollen nicht in die Situation       Es lässt sich eine Parallele ziehen zu dem weltweiten Phä­
kommen, Menschen aus der Seenot retten zu müssen. Die Han-              nomen der „Shrinking Spaces“. Dabei gerät die Zivilgesell­
delsschifffahrt umgeht diese Route schon seit Längerem, vor allem       schaft zunehmend durch Repressionen unter Druck. Wie
nachdem die EU das Retten von Flüchtlingen und Migranten krimi-         wehrt ihr euch gegen die Kriminalisierung?
nalisierte. Wir hören vermehrt von Fällen, in denen Handelsschiffe
absichtlich einen großen Bogen um Boote fahren, selbst wenn die-        Wir stützen uns gegenseitig und versuchen die Motivation oben
se offensichtlich in Seenot sind, um danach keinen Stress in euro-      zu halten. Das alles bringt große Einschränkungen mit sich, sowohl
päischen Häfen zu bekommen.                                             persönlich als auch bei der Arbeit, die wir machen wollen. Wir ver-
                                                                        suchen den Kampfgeist zu behalten und weiter für das aufzuste-
Gleichzeitig unterstützt die EU mit Abermillionen von Euros und         hen, was richtig und was wichtig ist.
Schiffen die sogenannte libysche Küstenwache. Das sind letztend-
lich Milizen, die in Uniformen gesteckt werden. Sie werden von der      Wie können euch Menschen unterstützen?
EU dafür bezahlt, die Leute bereits in libyschen Gewässern abzu-
fangen. Entgegen der Menschenrechte und entgegen der Genfer             Jeder Mensch sollte politisch aktiv werden und auf die Straße ge-
Konvention werden die Flüchtenden wieder zurück in die Lager in         hen für etwas, was für uns alle wichtig sein sollte. Um uns konkret
Libyen gesteckt.                                                        zu unterstützen, können die Leute auf unserer Website solidari-
                                                                        ty-at-sea.org gehen. Dort können sie sich über unseren Fall infor-
In den letzten Monaten konnte man medial verfolgen, wie                 mieren und dort finden sie dann auch unser Spendenkonto. Leider
der privaten Seenotrettung zunehmend Steine in den Weg                  kostet es viel Geld gegen diese Schikanen anzukämpfen und diesen
gelegt wurden. Wie hast du diesen Prozess wahrgenom­                    auch medial und politisch entgegen zu wirken.
men?
                                                                        Was muss die europäische Politik tun, damit eure Arbeit
Im August letzten Jahres war ich Kapitänin auf der Iuventa, als sie     nicht mehr notwendig ist?
in Lampedusa von den italienischen Behörden beschlagnahmt
wurde. Alle sogenannten Beweise, die dafür benutzt worden sind,         Sie muss zu ihren vielbeschworenen Menschenrechten und allem,
waren komplett an den Haaren herbeigezogen und konnten mitt-            was damit verbunden ist, stehen. So wie die europäische Politik
lerweile widerlegt werden. Das Schiff ist aber immer noch be-           gerade läuft, ist es ein Abschotten, ein Verleugnen von Rechten
schlagnahmt.                                                            für Leute, denen man diese Rechte einfach nicht geben will. Aber
                                                                        Menschenrechte sind nur dann etwas wert, wenn sie wirklich für
Auf meinen weiteren Missionen auf der Sea-Watch 3 wurde uns             alle Menschen gelten und nicht nur für privilegierte EU-Pass-In­
die Arbeit schwer gemacht. Beispielsweise bekamen wir keine si-         haber*innen.
cheren Häfen genannt, sodass wir tagelang mit hunderten Men-
schen im schlimmen Zustand auf See verbringen mussten. Wir              Vielen Dank für dein Engagement und das Gespräch.
konnten keinerlei Hilfe oder Kooperation von den europäischen
Staaten erwarten.

Gleichzeitig bin ich eine von zehn der Ex-Iuventa-Crew gegen die
die italienische Staatsanwaltschaft wegen Beihilfe zur illegalen Ein-
wanderung in die EU ermittelt.                                                        INFO
Seenotrettung ist eine völkerrechtliche Pflicht. Was wird dir
bzw. euch vorgeworfen?                                                                DETENTION CAMPS/CENTRES
                                                                                      HAFTZENTREN
Das zeigt, wie absurd und hanebüchen die Geschichte ist. Das See-
recht ist das oberste Gesetz: Wenn jemand in Seenot ist, muss                         Nach libyschem Recht werden alle Menschen,
er gerettet werden. Dann gibt es aber auch noch die Menschen-                         die illegal einreisen oder sich ohne Visum in Li­
rechte, das Internationale Völkerrecht und die Genfer Konventi-                       byen aufhalten, kriminalisiert, ohne Rücksicht
on. Letztere besagt ganz klar, dass ein Mensch in einem sicheren                      auf Schutzbedürftigkeit nach internationalen
Land Asyl beantragen darf. Im Gegenteil, es ist nach der Konventi-                    Abkommen. Somit werden auch Geflüchtete
on sogar illegal, diesen Menschen woanders hinzubringen. Nichts-                      und Asylbewerber*innen in den Haftzentren
destotrotz wird uns vorgeworfen, dass wir dazu beigetragen hät-                       auf unbestimmte Zeit festgehalten.
ten, dass Menschen illegal in die EU eingereist sind. Was natürlich                   Dem Innenministerium von Libyen unterstehen
nicht stimmt.                                                                         bis zu 35 offizielle Haftzentren. UNHCR berich­
                                                                                      tete 2017 von unmenschlichen Zuständen in
Das bedeutet für deinen Einsatz, dass Du auf deinen Ge­                               den Lagern. Darüber hinaus gibt es inoffizielle
richtsprozess warten musst?                                                           von Milizen geführte Einrichtungen, die nicht
                                                                                      von internationalen Organisationen besucht
Genau. Es geht aber nicht nur um uns zehn, gegen die dort ermit-                      werden dürfen.
telt wird. Für uns ist das ein politischer Auftrag: Wir möchten zei-
gen, was an den EU-Außengrenzen passiert. Wir kämpfen gegen                           Weitere Informationen: Amnesty Bericht
ein faschistoides Europa, und für legale und sichere Einreisewege                     Libyen-EU-Migrationskooperation, 2017
für Menschen auf der Flucht.

13
VEN POSITION

Sturmfestes Niedersachsen?
Das Meer wird kommen. Was klingt wie der Titel eines schlechten Spielfilms wird aufgrund des Klimawandels bis
Ende des Jahrhunderts an der Küste Niedersachsens eintreten. Der Weltklimarat IPPC prognostiziert bis Ende die-
ses Jahrhunderts einen weltweiten Anstieg des Meeresspiegels zwischen 26 und 82 Zentimeter.

Auch der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirt-         agrarindustriell geprägt. Drei Viertel der Betriebe halten
schaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) geht bereits jetzt      Tiere. Die Dürre im vergangenen Sommer hat uns auch in
bei der Genehmigung von Deicherbauten von einem Anstieg         Niedersachsen vor Augen geführt, welche Herausforderung
des mittleren Tidehochwassers von 50 cm aus. Im Jahr 2018       der Klimawandel bei der Nahrungsmittelproduktion birgt.
gab das Land Niedersachsen 61,6 Millionen Euro für seinen       Die Landwirtschaft ist aber nicht nur Leidtragende sondern
Küstenschutz aus. Insgesamt gilt es mehr als 1.000 Kilome-      auch Mitverursacherin des Klimawandels: Sie ist für 14 Pro-
ter Deiche an den Küsten, an den Flussmündungen und auf         zent der anthropogenen Treibhausgasemission verantwort-
den Inseln zu sichern. Niedersachsen verfügt über finanzielle   lich. So entsteht bei der Viehzucht Methan, und aus künstlich
Mittel und die Technik, um das Wasser fernzuhalten. Anders      gedüngten Böden entweicht Lachgas. Die meisten Emissi-
sieht das im Globalen Süden aus. Bis 2050 könnten allein in     onen aber sind eine Folge der Änderung der Landnutzung,
Bangladesch laut IPPC 27 Millionen Menschen vom anstei-         z. B für den Futtermittelanbau für die steigende Fleischpro-
genden Meeresspiegel bedroht sein.                              duktion.

Folgen des Klimawandels – wie Dürren bis hin zu Wüstenbil-      Europas führender Importwarenhafen für Futtermittel liegt
dung und Waldbränden, Starkregenfälle, Gletscherschmelze        in Brake, Niedersachsen. Von hier gelangt ein großer Teil der
und eben der Meeresspiegelanstieg – zwingen schon heute         fast sieben Millionen Tonnen Sojaprodukte, die Deutschland
Menschen, ihre Heimat zu verlassen. Eine Studie der Welt-       jährlich importiert, direkt in die Futtertröge der Massentier-
bank schätzt, dass es in den nächsten 30 Jahren über 140        haltung der Weser-Ems-Region. Diese gigantischen Mengen
Millionen Menschen in Südasien, Lateinamerika und Sub-          kommen überwiegend aus Süd- und Nordamerika. In Argen-
sahara-Afrika sein könnten. Auch wenn die Gründe für Mi-        tinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay bauen große Unter-
gration oft multikausal sind, belegen Studien, wie der Klima-   nehmen Gen-Soja an. Dafür werden Regenwälder abgeholzt,
wandel und andere Fluchtursachen zusammenhängen. So             massenhaft Pestizide eingesetzt und Kleinproduzent*innen
kann er zum Beispiel Konflikte zwischen Bevölkerungsgrup-       vertrieben. Niedersächsische Exporte, wie Milchpulver oder
pen und Staaten verschärfen und somit zum Ausbruch (von         Geflügelteile, zerstören ebenfalls Existenzen von Kleinprodu-
Bürger-)Kriegen beitragen.                                      zent*innen in Westafrika.

Die Prognosen der Klimaforscher*innen stützen sich auf          Die Auswirkungen der hiesigen Landwirtschaft zeigen bei-
Emissionsraten von Treibhausgasen, die einen erheblichen        spielhaft, wie unsere Produktion, unser Konsum und unse-
Einfluss auf die globale Erwärmung haben. Das Bundesum-         re Politik in Niedersachsen sich auf Lebensbedingungen im
weltministerium gab bekannt, dass in Deutschland 2017 nur       Globalen Süden auswirken. Deshalb sieht der VEN die Lan-
knapp 0,5 Prozent weniger Treibhausgase freigesetzt wurden      despolitik in der Pflicht, globale Auswirkungen stärker in
als im Vorjahr. Damit wird Deutschland das nationale Klima-     den Blick zu nehmen und einen Beitrag zur Minimierung von
schutzziel 2020 – seine Emissionen gegenüber 1990 um 40         Fluchtursachen zu leisten. Dafür sind ein Umdenken in Poli-
Prozent zu senken - nicht einhalten können. Während die         tik, Wirtschaft und Gesellschaft sowie ein verantwortungs-
Emissionen im Energiebereich sinken, steigt der CO2-Aus-        bewussterer Umgang mit den natürlichen Ressourcen not-
stoß des Verkehrs und die Emissionen der Landwirtschaft         wendig.
stagnieren.

Niedersachsen hat die höchste landwirtschaftliche Pro-
duktion in Deutschland. Dabei ist die Landwirtschaft stark

                                                                                                                          14
DER VEN FORDERT:

• Wirtschafts-, Finanz-, Agrar-, Handels-, und Klimapolitik so zu gestal-   • die Expertise von Migrant*innen und Geflüchteten in der Ent-
  ten, dass sie einen Beitrag zum Schutz der ökologischen und ökono-          wicklungszusammenarbeit einzubeziehen,
  mischen Lebensgrundlagen aller Menschen leisten, z. B. durch
                                                                            • Entwicklungsgelder nicht für die Aufrüstung des Grenzschutzes
  – ein Moratorium der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen                      in Afrika zweckzuentfremden und die Zusammenarbeit mit Dik-
    mit afrikanischen Ländern,                                                taturen und Unrechtsregimen zur „Migrationskontrolle“ sofort
  – ein ambitioniertes, internationales Vorgehen gegen                        zu beenden,
    Steuerflucht,
  – den Ausbau erneuerbarer Energien und nachhaltiger                       • Instrumente der zivilen Konfliktprävention und Demokratieför-
    Ressourcennutzung, Know-How- und Technologietransfer in                   derung zu unterstützen und Rüstungsexporte zu beschränken,
    die Länder des Globalen Südens und Stopp des Baus neuer
    Kohlekraftwerke,                                                        • legale und gefahrenfreie Wege nach Europa zu ermöglichen und
  – Förderung von Agrarökologie und Reduzierung von                           Seenotretter*innen nicht zu kriminalisieren,
    Fleischkonsum und -produktion,
  – Durchsetzung von Menschenrechten in globalen Lieferketten,              • die Menschenrechte von Schutzsuchenden und Migrant*innen
    (vgl. auch VEN Positionen 1/2018)                                         zu wahren, das individuelle Recht auf Asyl zu gewährleisten und
  – Maßnahmen gegen Ressourcenraub in Form von Landgrabbing                   ein gemeinsames europäisches Schutzsystem zu schaffen, in
    und Überfischung durch Staaten oder internationale Konzerne.              dem rechtskonforme Asylverfahren, menschenwürdige Aufnah-
                                                                              me und innereuropäische Solidarität im Mittelpunkt stehen,
• die Nachhaltigen Entwicklungsziele der UN (SDGs) auf allen poli-
  tischen Ebenen konsequent umzusetzen, Instrumente sind hierfür u.         • die komplexen Zusammenhänge von globaler Ungleichheit und
  a. die Umsetzung und Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie         Flucht in der öffentlichen Diskussion und der Bildung darzustel-
  sowie der Entwicklungspolitischen Leitlinien des Landes Niedersach-         len und Rassismus und Diskriminierungstendenzen entgegenzu-
  sen sowie die Orientierung des Landeshaushaltes an den SDGs,                wirken.

• eine Partnerschaft auf Augenhöhe mit afrikanischen Ländern zu
  befördern und gemeinsam den Aufbau von Wertschöpfungsket-
  ten in Afrika voranzutreiben,

15
GEHT DIE RECHNUNG AUF?

‚Fluchtursachenbekämpfung‘
mit Entwicklungszusammenarbeit
Dr. Benjamin Schraven, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik

Spätestens seit dem Höhepunkt der sogenannten europä-           von Autor*innen und Politiker*innen immer wieder das Bild
ischen „Flüchtlingskrise“ 2015/2016 ist die „Bekämpfung“        einer „Völkerwanderung“ oder eines „Massenexodus“ be-
der Ursachen von Flucht und irregulärer Migration breit dis-    müht. Afrika wird gerne als Kontinent dargestellt, bei dem
kutiert. Zu irregulärer Migration zählen zum Beispiel: „uner-   ein Großteil der Bevölkerung nur auf die nächstbeste Gele-
laubte“ Grenzübertritte, Menschenhandel oder abgelehnte         genheit warte, nach Europa zu gelangen. Entgegen dieser
Asylbewerber*innen, die ihrer Verpflichtung zur Ausreise        Darstellung findet ein Großteil der Migration innerhalb von
nicht nachkommen zählen. Vor allem der Entwicklungszu-          Weltregionen statt. In Westafrika beträgt der Anteil intra-
sammenarbeit wird dabei die Rolle zugeschrieben, für Men-       regionaler Migration geradezu atemberaubende 86 Prozent.
schen in Entwicklungsländern – vor allem in Afrika – eine       Auch Flucht ist zum überwiegenden Teil eine Sache, die den
soziale und wirtschaftliche Perspektive zu schaffen, die sie    Globalen Süden betrifft, da sich weit über 80 Prozent der Ge-
dann von einer Flucht in Richtung Europa abhält. Nur geht       flüchteten in Entwicklungs- oder Schwellenländern aufhal-
diese Idee überhaupt auf? Kann Entwicklungszusammenar-          ten. Etwa zwei Drittel der Geflüchteten weltweit sind sogar
beit Fluchtursachen bekämpfen?                                  Binnenvertriebene, die auf ihrer Flucht noch nicht einmal
                                                                eine internationale Grenze überschritten haben.
Die öffentliche und politische Debatte um Flucht und irre-
guläre Migration – insbesondere, wenn es um Afrika geht –       Zweitens werden die Ursachen von Flucht und irregulärer
ist von mindestens drei Motiven oder Narrativen durchzo-        Migration in der öffentlichen Debatte oftmals als ziemlich
gen, die durchaus hinterfragen werden müssen. Erstens wird      monokausale Angelegenheit betrachtet: Vor allem werden

                                                                                                                         16
Armut, aber auch europäische Agrarsubventionen, internationa-          ursachen wie Konflikten, Repression oder schwacher Staatlichkeit
le Handelsstrukturen, korrupte Regierungen oder auch der Klima-        mit all seinen negativen Begleiterscheinungen vermischen. Daher
wandel als zentrale oder primäre Fluchtursache beschrieben. Bei        ist selbstverständlich, dass in der Entwicklungszusammenarbeit
einer kritischen Überprüfung von Seiten der Wissenschaft wird          – aber auch darüber hinaus – weiterhin großen Wert auf Men-
deutlich, dass die Ursachen von Flucht und irregulärer Migration       schenrechte, Konfliktprävention, Demokratie und Good Governan-
sehr vielschichtig und komplex sind, und es keinen Sinn macht, ein-    ce gelegt wird.
zelne Faktoren unabhängig von den anderen zu erklären.
                                                                       Gerade die Europäische Union und viele ihrer Aktivitäten im Be-
Drittens – und dies ist wiederum die logische Konsequenz aus           reich Sicherheitskooperation und Grenzsicherung stehen hier in
den anderen beiden Narrativen – wird in der öffentlichen und           der Kritik, eben dies nicht ausreichend zu berücksichtigen. So stell-
politischen Auseinandersetzung parteiübergreifend betont, dass         te die EU 2.5 Milliarden Euro für Projekte zur Bekämpfung irre-
jetzt gehandelt werden müsse. „Fluchtursachenbekämpfung“ als           gulärer Migration und zur Steuerung von Flucht- und Migrations-
Jahrhundertaufgabe sozusagen. Die Entwicklungszusammenar-              bewegungen zur Verfügung. Mit diesen Geldern werden sowohl
beit müsse „Bleibeperspektiven“ schaffen, damit potentielle Mi-        klassische entwicklungspolitische Projekte gefördert, aber auch
grant*innen sich gar nicht erst auf den gefährlichen Weg Richtung      Trainings- und Ausbildungsprogramme für Grenz- und Polizeikräf-
Europa machen müssen. Dabei ist diese Idee und auch die Begriff-       te sowie Maßnahmen zur Bekämpfung von sogenannten Schleu-
lichkeit „Fluchtursachenbekämpfung“ gar nicht so neu. Bereits in       sern. Ein Nachgeben bei Menschenrechten, Demokratie und Co.
den frühen 1990er Jahren tauchten im Rahmen der damaligen              für kurzfristige Erfolge bei der „Migrationsabwehr“ kann aber lang-
Fluchtbewegungen Begriff und Konzept auf, verschwanden dann            fristig genau das Gegenteil bewirken und die Flüchtlingskrisen von
aber recht schnell wieder aus dem entwicklungspolitischen Diskurs      morgen mit herbeiführen.
analog zu den rasch sinkenden Flüchtlingszahlen in Deutschland
nach dem sogenannten „Ayslkompromiss“ von 1993.
                                                                       Neue Möglichkeiten für Migration
                                                                       Die entwicklungspolitische Adressierung von Flucht und irregu-
Die Stunde der Entwicklungspolitik?                                    lärer Migration bedeutet aber auch, dass der Bereich regulärer
Ohne Zweifel hat die Entwicklungspolitik in den letzten Jahren im      Migration stärker in den Blick genommen wird. Deutschland und
Kontext der Fluchtursachendebatte einen großen Bedeutungsge-           andere europäische Länder werden bei ihrer Kooperation mit afri-
winn erlebt. Der ehemalige Ministerialdirektor im Bundesministe-       kanischen Ländern irgendwann nicht daran vorbeikommen, ein
rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ),         Stück weit neue Möglichkeiten bei der regulären Zuwanderung zu
Michael Bohnet, sprach in diesem Zusammenhang einmal von der           eröffnen. Und hier gilt es, diese Migrationsprozesse durch die Ent-
„Stunde der Entwicklungspolitik“. Dieser Bedeutungsgewinn der          wicklungszusammenarbeit mitzugestalten. Durch Qualifizierungs-
Entwicklungspolitik hat der deutschen Entwicklungszusammenar-          maßnahmen, Sprachförderung usw. kann die Entwicklungszusam-
beit einen sehr deutlichen Mittelzuwachs beschert. Nachdem sie         menarbeit einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass nicht nur
vorher jahrlange eher stagnierten, sind nach OECD-Angaben die          Deutschland als Zuwanderungsland von dringend benötigten Ar-
deutschen Official Development Aid (ODA)-Mittel von 12.5 Mrd.          beits- und Fachkräften profitiert, sondern auch die Migrant*innen,
US$ im Jahr 2013 auf 23.8 Mrd US$ im Jahr 2017 angewachsen.            ihre Familien und ihre Herkunftsländer. Zudem sollte die Entwick-
Dies entspricht einem Wachstum von stolzen 91 Prozent. Im sel-         lungspolitik sich verstärkt auch dem Thema der Süd-Süd-Migration
ben Zeitraum sind die Gesamt-ODA-Mittel nur etwa um 19 Pro-            widmen: Auch hier gilt es, negative Begleiterscheinungen von Mi-
zent angestiegen. Allerdings werden von Deutschland und anderen        gration (Menschenhandel, Arbeitsausbeutung, etc.) zu reduzieren
Ländern durchaus hier auch die „inländischen“ Kosten der Flücht-       und positive Aspekte (z.B. Finanz- und Knowhow-Transfers durch
lingsversorgung hier mitangerechnet.                                   Migrant*innen) zu fördern.

Das (eigentliche) Ziel der Entwicklungszusammenarbeit war es
schon immer,       Lebensumstände der Menschen vor Ort zu ver-                           Dr. Benjamin Schraven ist Wissenschaftlicher
bessern, um so einen Beitrag zu leisten, Flucht und irregulärer Mi-                      Mitarbeiter am Deutschen Institut für Entwick-
gration – aber nicht Migration insgesamt – vorzubeugen. Jetzt ist                        lungspolitik. Seine Arbeitsgebiete sind Migrati-
es sicherlich nicht notwendig, die bestehende Entwicklungszusam-                         on, Entwicklungspolitik, Umweltwandel, Migra-
menarbeit komplett neu zu erfinden – das ist bei Betrachtung des                         tionsgovernance, ländliche Entwicklung sowie
gegenwärtigen deutschen Portfolios auch gar nicht vorgesehen.                            Anpassung an den Klimawandel.
Trotzdem müssen zwei wichtige Aspekte beachtet bzw. intensiviert
werden:

Der erste Aspekt findet sich glücklicherweise in der wohl wich-
tigsten der deutschen Entwicklungs- bzw. Afrika-Initiativen wie-
der, dem sogenannten „Marshall-Plan mit Afrika“. Dieser fußt ne-
ben der Säule „Wirtschaft, Handel und Beschäftigung“ auch auf
den Säulen „Frieden, Sicherheit und Stabilität“ sowie „Demokra-
tie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte“. Die letzten beiden             LESETIPP VEN-KOMMENTAR:
Aspekte sind sehr wichtig und zu begrüßen, denn, wie oben be-
reits erwähnt, sind die Ursachen für irreguläre Migration aus Afrika
                                                                             „Marshallplan mit Afrika“ –
und auch aus anderen Erdteilen durchaus komplex. Meist handelt               (K)ein Beginn einer neuen Partnerschaft?
es sich um so genannte gemischte Wanderungen (englisch: mixed                www.ven-nds.de/publikationen/ven-stellungnahmen
migration), bei denen sich klassische Migrationsmotive wie etwa
die Suche nach besseren wirtschaftlichen Aussichten mit Flucht-

17
Sie können auch lesen