"Flüchtlingsbegriff im Wandel" 2 8 - Osar

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"Flüchtlingsbegriff im Wandel" 2 8 - Osar
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                                                                                                    .ch
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                                                                                            www.osar
                                                                                 ER
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                                                                       28. JULI 2011

                                    SCHWEIZERISCHE ZEITSCHRIFT FÜR ASYLRECHT UND -PRAXIS
                                        REVUE SUISSE POUR LA PRATIQUE ET LE DROIT D’ASILE

                        Tagungsband zum 4. Schweizer Asylsymposium vom 19. und 20. Januar 2011
                               – gleichzeitig Festschrift zum 60. Jahrestag der GFK und von UNHCR
                                                                    und zum 75. Geburtstag der SFH

         «Flüchtlingsbegriff im Wandel»

     Schweizerische
     Flüchtlingshilfe
Organisation Suisse
d’Aide aux Réfugiés
       CH-3001 Bern

 Stämpfli Verlag AG
     CH-3001 Bern
2   ASYL              Inhaltsverzeichnis/sommaire

                  Editorial
            3     60 Jahre Flüchtlingskonvention – kein Grund zum Feiern
                  Susin Park und Beat Meiner

                  Tagungsbericht/Compte rendu du symposium
            5	«Flüchtlingsbegriff im Wandel – neue Herausforderungen für den
               Flüchtlingsschutz», Tagungsbericht zum 4. Schweizer Asyl­
               symposium vom 19. und 20. Januar 2011, Weltpostverein Bern
                  Susanne Bolz, Dr. Constantin Hruschka und Annemarie Raemy-Ruef

                  Referate/Exposés
           19	
              Garder les portes ouvertes – préserver l’espace d’asile
              dans le monde contemporain
                  António Guterres

           23	
              (Völker-)rechtliche und humanitäre Verpflichtungen
              der Schweiz
                  Bundesrätin Simonetta Sommaruga

           27	
              Wer verdient Schutz?
              Der Flüchtlingsbegriff im Lichte aktueller Herausforderungen
                  Prof. Dr. Walter Kälin

           33	
              Zusammenhang zwischen Klimawandel und Migration –
              wo steht die Schweiz?
                  Botschafter Claude Wild

           36     Das Ergebnis der Klimakonferenz in Cancún und Migration
                  Botschafter Franz Xaver Perrez

           40     Un statut juridique pour les déplacés environnementaux?
                  Prof. Dr Jean-Pierre Marguénaud

           44     Changement climatique et nouvelles formes d’apatridie
           		     Prof. Dr Etienne Piguet

           49     Speak Out! – Partizipation von unbegleiteten minderjährigen
           		     MigrantInnen am gesellschaftspolitischen Diskurs in der Schweiz
                  Emilie Graff

                  Workshop-Berichte/Rapports des ateliers
           51      igrationsbewegung und Migrationsmanagement: Die Rolle der
                  M
                  Schweiz im Rahmen einer verstärkten internationalen Zusammen‑­
                  arbeit im Bereich Migration und Entwicklung – Dr. Eduard Gnesa
                  Workshop 3

           54      ie Schweiz und der Flüchtlingsbegriff, Rückblick und Ausblick ­–
                  D
                  Prof. Dr. Alberto Achermann und Dr. Stephan Parak
                  Workshop 4
Editorial                                                                                                         ASYL       3

60 Jahre Flüchtlingskonvention – kein Grund                      Land im westlichen Europa, das diesen Schutzbedürftigen
zum Feiern                                                       einen positiven Status verweigert. Da die Diskussion um
                                                                 das Asylgesetz wieder neu und umfassend eröffnet ist, wäre
 Das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen es sinnvoll, diese Problematik nochmals zu analysieren.
 (UNHCR) ist 60 Jahre alt, die Genfer Flüchtlingskonven-            Die Jugendlichen des «Speak out!»-Projekts haben am
 tion (GFK) wird ebenfalls 60, und dies genau am heutigen Asylsymposium aufs Eindrücklichste gezeigt, wie unzu-
 Tag, dem 28.  Juli 2011. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe mutbar die Unsicherheit ist, die mit ihrer Situation einher-
 (SFH) besteht gar seit 75 Jahren. Diese Sondernummer der geht. Neben der langen Wartezeit auf das Ergebnis des
 Zeitschrift ASYL ist als Festschrift diesen Jubiläen ge­ Asylverfahrens ist sie eines der Hauptprobleme, die eine
 widmet. Gleichzeitig ist sie Tagungsdokumentation des eigenständige Lebensgestaltung verhindern und sich nega-
 4.  Schweizer Asylsymposiums, das von der SFH und dem tiv auf die Integration und das Leben dieser Personen gene-
 UNHCR als Einstieg ins Jubiläumsjahr im Januar 2011 rell auswirken.
 ­gemeinsam veranstaltet wurde.                                     Wir müssen uns fragen, welche Massnahmen nötig sind,
     Wir nehmen diese Jahrestage zum Anlass, sowohl Rück- um den Schutzbedarf und die Aufnahme von Personen mit
  schau zu halten auf die Entwicklungen der letzten 60 Jahre besonderen Schutzbedürfnissen, wie zum Beispiel Kin-
  als auch eine aktuelle Standortbestimmung vor­zunehmen dern, zu erkennen und entsprechend auf sie zu reagieren.
  und den Fokus zu weiten für die Herausforderungen der Welche Vorgaben und Garantien muss ein Asylverfahren
  Zukunft.                                                       erfüllen, damit es tatsächlich fair und glaubwürdig ist, auch
     Die Jubiläen sind eigentlich kein Grund zum Feiern. Ur- für Dublin-Fälle?
sprünglich war das Mandat des UNHCR auf drei Jahre                  Ist es sinnvoll, dass sich die Schweiz auch in anderen Fra-
­befristet. Bis 1954 – so stellte sich die Staatengemeinschaft gen als «cavalier seul» – wie es im Französischen so treffend
 vor – sollte das UNHCR seine Aufgaben erledigt und das heisst – konträr zu den Entwicklungen im europäischen
 Flüchtlingsproblem in Folge des Zweiten Weltkriegs gelöst Raum verhält, wie es zum Beispiel beim Flüchtlingsbegriff
 sein.                                                           im Hinblick auf die Wehrdienstverweigerung geplant ist?
     Dass wir von der Lösung des Weltflüchtlingsproblems Dieses Vorgehen steht im Übrigen auch im Gegensatz zum
 heute weit entfernt sind, bestreitet ­niemand. Mittlerweile praktischen und schutzorientierten Umgang mit dem ge-
 sind es 43,7 Millionen auf der Welt, die gewaltsam vertrie- meinsamen völkerrechtlichen Rahmen für Flüchtlinge, wie
 ben oder auf der Flucht vor Gewalt sind. Die allermeisten ihn die Genfer Flüchtlingskonvention fordert. Warum also
 von ihnen befinden sich ausserhalb Europas.                     ein restriktives Sonderrecht einführen für Personen, deren
     Das Symposium hat gezeigt, dass viele Faktoren zu be- Schutzbedarf weitgehend unbestritten ist?
 denken sind, will man sich mit dem Flüchtlingsbegriff zu           Wir brauchen eine ehrliche Kommunikation darüber,
 Beginn des zweiten Jahrzehnts des 21.  Jahrhunderts be- wer in der Schweiz als schutzbedürftig anerkannt wird.
 schäftigen – und wie sehr sich einfache Lösungen verbieten. Von den Asylgesuchen, die in den letzten Jahren materiell
     Die Genfer Flüchtlingskonvention ist lebendig und hat entschieden worden sind, wurden etwa die Hälfte positiv
 sich als sehr anpassungsfähig erwiesen. Wir sind überzeugt, entschieden und die Gesuchstellenden als schutzbedürftig
 dass sie auch in Zukunft für den Flüchtlingsschutz wegwei- aufgenommen – entweder als Flüchtlinge oder mit einer
 send sein wird und im Asylbereich eine sehr bedeutsame vorläufigen Aufnahme.
 Rolle spielen muss.                                                Die Zukunft hält neue grosse Herausforderungen be-
     Weiter gehende Lösungsansätze sind jedoch gefragt,­ reit – unter anderem den Klimawandel. Zusammen mit an-
 zum Beispiel für Personen, die vor Krieg und allgemeiner deren Megatrends wird er dazu führen, dass Flucht und
 Gewalt fliehen. Sie haben häufig einen ähnlichen Schutzbe- Vertreibung auch in Zukunft weiter zunehmen. Zu diesem
 darf wie Flüchtlinge. Die vorläufige Aufnahme, die ihnen in Thema benötigen wir dringend einen konstruktiven Dialog
 der Schweiz gewährt wird, reicht möglicherweise nicht aus, und einen ehrlichen Umgang mit Fakten und ­Zahlen. An-
 um diesem Schutzbedarf gerecht zu werden. Es ist allge- statt Katastrophenszenarien für Europa zu entwerfen,
 mein anerkannt, dass diese Menschen sich in einer ver- sollte anerkannt werden, dass die grosse Mehrheit der be-
 gleichbaren Situation wie Flüchtlinge befinden und norma- troffenen Menschen – wie bereits heute – weiterhin inner-
 lerweise auch dauerhaft im Fluchtland bleiben. Man denke halb des eigenen Landes oder in ihren Herkunfts­regionen
 an die vielen Konflikt- und Gewaltvertriebenen, die auf- verbleiben wird. Nur ein sehr kleiner Prozentsatz wird
 grund der lang andauernden Konflikte und Gewaltsitua‑­ überhaupt nach Europa oder in die Schweiz gelangen.
 tionen in Ländern wie Irak, Afghanistan und Somalia nicht          Vor diesem Hintergrund ist die Schweiz als industriali-
 zurückkehren können. Ehrlicher und vielleicht auch leich- siertes Land in der Pflicht und in der Position, andere Län-
 ter verständlich wäre es, diesen schutzbedürftigen Men- der zu unterstützen: Ein Beispiel könnte die permanente
 schen eine «humanitäre Aufnahme» als p     ­ ositiven Status zu Einrichtung eines Neuansiedlungsprogramms (Resettle-
 gewähren, statt sie als abgelehnte Asylsuchende mit ausge- ment), als Baustein der internationalen Kooperation, dar-
 setztem Wegweisungsentscheid auf Jahre in der Unsicher- stellen. Die Diskussionen am Symposium haben diesem
 heit zu belassen. Die Schweiz ist inzwischen das einzige Thema zu neuer Dynamik verholfen. Aber auch die Hilfe
4     ASYL                                                                                                       Editorial

vor Ort, die humanitäre Hilfe und die Entwicklungszu-              Unser Wunsch als Veranstalter und Gastgeber ist es, dass
sammenarbeit müssen fortgeführt und in Kooperation mit          diese Diskussionen, wie sie jetzt auch in dieser Sondernum-
den Aufnahmeländern ausgebaut werden.                           mer der Zeitschrift ASYL abgebildet werden, dem Asylbe-
    Dies sind einige Gedanken und Lösungsansätze, die wir       reich in der Schweiz zu einem positiveren Image verhelfen
aus dem für uns inhaltlich sehr anregenden Symposium ge-        mögen.
zogen haben. In vielerlei Hinsicht erinnert die Bilanz des         Der Schutz von Schutzbedürftigen ist in erster Linie hu-
Symposiums anlässlich des 60.  Jahrestages der Flüchtlings-     manitäre Errungenschaft und Verpflichtung. Dieses Be-
konvention an die Bilanz zum 50.  Geburtstag. Damals            kenntnis sollte für alle in diesem Bereich Tätigen die Richt-
­hatte das UNHCR die Global Consultations durchgeführt          schnur für ihr tägliches Handeln sein – unabhängig von
 und nach der heutigen Relevanz der Flüchtlingskonvention       Funktion und Institution.
 gefragt sowie nach Lösungsansätzen für neu aufkommende            Abschliessend möchten wir an dieser Stelle all jenen dan-
 oder nicht gelöste Probleme und Herausforderungen auf          ken, die dem 4.  Schweizer Asylsymposium zum Erfolg ver-
 globaler Ebene gesucht. Entsprechend den internationalen       holfen haben. Wir danken den engagierten Mitarbeitenden
 Bemühungen wurde auch in der Schweiz eine Arbeitsgrup-         der SFH und des UNHCR ebenso herzlich wie allen Fach-
 pe zur «Agenda for Protection» eingerichtet, die sich mit      personen, die als Referentinnen und Referenten, als Po­
 den weltweiten und den nationalen Problemen des Flücht-        diumsteilnehmende oder als Verantwortliche für die Work-
 lingsrechts beschäftigte und sowohl staatliche als auch        shops zum Gelingen des Symposiums beigetragen haben.
 nichtstaatliche Akteure an einem Tisch vereinte.               Wir danken auch allen Institutionen, welche das Sympo­
    Das Symposium und sein sehr breiter Teilnehmerkreis         sium finanziell unterstützt haben.
 haben gezeigt, dass ein Bedarf und ein Interesse an einem
 Dialog sowie an konstruktiver Diskussion und am gemein-
 samen Erarbeiten von Lösungen bestehen. Nicht nur für                          Susin Park, Leiterin UNHCR-Büro für die
 heutige, sondern auch für zukünftige Herausforderungen.                                         Schweiz und Liechtenstein
 Dieses Signal verstehen wir gleichzeitig als Auftrag und als                                Beat Meiner, Generalsekretär
 Verpflichtung, an diesem konstruktiven, gemeinsamen Er-                               Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH
 arbeiten von Lösungen festzuhalten und die Zusammenar-
 beit zu vertiefen – trotz aller unterschiedlichen Aufgaben
 und Positionen.
Tagungsbericht/Compte Rendu du Symposium                                                                                   ASYL         5

Susanne Bolz, SFH, Dr. Constantin Hruschka, UNHCR, und          liche Lösungsansätze auf nationaler wie internationaler
Annemarie Raemy-Ruef, SFH*                                      Ebene zu entwickeln.
                                                                    Nach dem Zweiten Weltkrieg bestand Einigkeit darüber,
«Flüchtlingsbegriff im Wandel – neue Heraus­                    dass Menschen vor Verfolgung geschützt werden müssen.
forderungen für den Flüchtlingsschutz»,                         Auch während des Kalten Krieges wurden Flüchtlinge –
­Tagungsbericht zum 4. Schweizer Asyl­                          besonders aus Osteuropa – wohlwollend aufgenommen. In
 symposium vom 19. und 20. Januar 2011,                         den 1980er-Jahren wandelten sich die Herkunftsregionen
 ­Weltpostverein Bern                                           und die Fluchtgründe. Flüchtlinge kamen vermehrt aus der
                                                                südlichen Hemisphäre. Viele mussten wegen interner Kon-
Am 19./20. Januar 2011 fand in Bern das 4. Schweizer Asyl-      flikte und Situationen allgemeiner Gewalt ihre Heimat ver-
symposium statt, das in diesem Jahr im Zeichen gleich           lassen. Das Verständnis des Flüchtlingsbegriffs entwickelte
­dreier Jubiläen stand: Die Genfer Flüchtlingskonvention        sich unter anderem im Bereich der so genannten nichtstaat-
 (GFK) – seit 1951 Grundlage für den Schutz von Flüchtlin-      lichen und geschlechtsspezifischen Verfolgung weiter, und
 gen weltweit – und das Hochkommissariat der Vereinten          zusätzliche Schutzformen wurden geschaffen. Das dem
 Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) feiern ihr 60-jähriges        Flüchtlingsbegriff zu Grunde liegende Abkommen über
 Bestehen, die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) be-        die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951 (die so genann-
 geht 2011 ihr 75-Jahre-Jubiläum.                               te Genfer Flüchtlingskonvention) hat sich damit im Laufe
     Unter dem Titel «Flüchtlingsbegriff im Wandel – neue       der Zeit als «living Instrument» erwiesen, mit dem auf die
 Herausforderungen für den Flüchtlingsschutz» wurden            jeweils aktuellen Herausforderungen reagiert werden
 diese Jahrestage zum Anlass genommen, eine Standortbe-         konnte.
 stimmung vorzunehmen und über aktuelle Herausforderun-             Heute sieht sich die internationale Staatengemeinschaft
 gen und Entwicklungen im Flüchtlingsbereich sowie mögli-       erneut mit grossen Herausforderungen konfrontiert. Glo-
 che Lösungsansätze auf nationaler wie internationaler Ebene    bale Megatrends wie die Bevölkerungsentwicklung, Urba-
 zu diskutieren. 200 Fachleute aus dem Asyl- und Migrati-       nisierung, Nahrungsmittel- und Trinkwasserknappheit,
 onsbereich folgten der Einladung. Besondere Beachtung fan-     Rohstoffmangel und vor allem der Klimawandel verursa-
 den die Themen Flucht und Vertreibung auf Grund des Kli-       chen und verschärfen Konfliktsituationen und zwingen
 mawandels, Neuansiedlung von Flüchtlingen sowie die            Menschen, ihre Heimat zu verlassen. In Europa sind die
 Frage der Notwendigkeit von Rechtsänderungen in der            Auswirkungen der europäischen Asylrechtsharmonisie-
 Schweiz.                                                       rung und insbesondere die Wirkungen von Schengen/Dub-
     Das Asylsymposium wurde 2004 vom UNHCR-Büro                lin von besonderer Bedeutung. Des Weiteren sind neue
 für die Schweiz und Liechtenstein und der SFH ins Leben        ­Begriffe in der Debatte zu hören, wie zum Beispiel «Klima-
 gerufen und wird seither rund alle zwei Jahre von diesen ge-    flüchtlinge» oder «Katastrophenflüchtlinge». Es stellt sich
 meinsam organisiert. Die Tagung versteht sich als Ort der       die Frage, wie mit den in diesen Begriffen enthaltenen
 Begegnung und des Austausches ausserhalb der üblichen Tä-       ­Herausforderungen umgegangen werden soll.
 tigkeit. Sie will Gelegenheit zum vorurteilsfreien Dialog
 ­bieten, um so ein besseres Verständnis für unterschiedliche
  Positionen zu ermöglichen und eine konstruktive Aus­          2      Die Plenarveranstaltungen1
  einandersetzung mit den aktuellen Themen zu fördern. ­Das
  Asylsymposium richtete sich mit seinem Programm, den Re-      Der erste Tag des Asylsymposiums stand im Zeichen der
  feraten und Plenardiskussionen sowie den Workshops an         Genfer Flüchtlingskonvention. Dem Flüchtlingsbegriff –
  Fachleute und interessierte Personen aus Verwaltung, Zivil-   sowohl in seiner historischen Perspektive als auch in sei-
  gesellschaft, Politik, Hilfswerken, Anwaltschaft, Wissen-     nem heutigen und künftigen Verständnis – und, damit zu-
  schaft und auch an die Medien.                                sammenhängend, den aktuellen und kommenden Heraus­
                                                                forderungen im Flüchtlingsbereich wurde besondere
                                                                Aufmerksamkeit geschenkt.
1     Thematische Schwerpunkte                                     Mit Professor Dr. Walter Kälin vom Institut für öffent­
                                                                liches Recht der Universität Bern konnte für das Eröff-
Auch 60 Jahre nach Inkrafttreten der Genfer Flüchtlings-        nungsreferat ein ausgewiesener Experte in Flüchtlingsfra-
konvention und der Gründung des UNHCR sowie 75 Jah-             gen gewonnen werden. Aus seiner Sicht hat sich der
re nach Gründung der SFH hat das Thema des Schutzes
von Personen, die in ein anderes Land fliehen, nicht an Ak-
tualität verloren. Allerdings haben sich die Fluchtgründe       * Susanne Bolz, Leiterin Protection SFH, Dr. Constantin Hruschka, Rechts-
im Lauf der Jahre verändert; sie werden immer komplexer         berater UNHCR-Büro für die Schweiz und Liechtenstein, und Annemarie
                                                                Raemy-Ruef, Generalsekretariat SFH.
und sind mit anderen Fragen verwoben. Die Jahrestage               1 Für die Erstellung der Protokolle zu den Plenarveranstaltungen danken
­boten Anlass, über aktuelle Herausforderungen und Ent-         wir: Richard Greiner (SFH), Nula Frei (UNHCR) und Delphine Schmutz
 wicklungen im Flüchtlingsbereich zu diskutieren und mög-       (UNHCR).
6      ASYL                                                             Tagungsbericht/Compte Rendu du Symposium

Flüchtlingsbegriff grundsätzlich als genügend flexibel er-        gration und Arbeitsmigration, die sich negativ auf den
wiesen, um trotz geänderter Rahmenbedingungen relevant            Flüchtlingsbegriff auswirke. Rassistischen Anwürfen seien
zu bleiben. Die Flüchtlingskonvention habe in den letzten         beide Migrantengruppen gleichermassen ausgesetzt. Erfor-
60 Jahren vielen verfolgten Menschen zu Schutz verholfen.         derlich sei aus seiner Sicht ein pragmatischer flexibler An-
«An dieser Errungenschaft gilt es festzuhalten und sie zu         satz, um auch künftigen Herausforderungen zu begegnen.
verteidigen», so Kälin. Handlungsbedarf sieht er im Hin-             Botschafter Franz Perrez, Chef der Abteilung Interna­
blick auf eine weitere Verbesserung des Schutzregimes für         tionales des Bundesamtes für Umwelt (BAFU), berichtete,
Betroffene von Gewaltkonflikten wie auch bei der Schutz-          dass die Staaten am Weltklimagipfel in Cancún erstmals den
gewährung für Personen, die auf Grund der negativen Fol-          Zusammenhang zwischen Umwelt, Klima und Migration
gen des Klimawandels und von Naturkatastrophen in ein             anerkannt hätten. Diese erweiterte Optik, dass klimatischer
anderes Land flüchten mussten.                                    Wandel eine Ursache für Migration sei und damit einherge-
    Professorin Dr. Olivia Romppainen-Martius vom                 hend einen Einfluss auf die Menschenrechte der Betroffe-
Oeschger Centre for Climate Change Research der Univer-           nen habe, sei wesentliche Voraussetzung für weitere Schrit-
sität Bern, dem nationalen Kompetenzzentrum in Fragen             te. Seiner Ansicht nach ist Migration eine mögliche Form,
des Klimawandels, machte klar: «Die Klimaveränderung              auf Klimaveränderungen zu reagieren. Unerlässlich seien
findet statt.» Sehr eindrücklich illustrierte sie, wie sich die   Unterstützungshilfen für die betroffenen Gebiete und Län-
Folgeerscheinungen des Klimawandels, darunter extreme             der. Ferner stehe ausser Frage, dass die Menschenrechte bei
Dürreperioden, Naturkatastrophen wie Wirbelstürme und             der Umsetzung der Klimapolitik zu achten sind.
das Ansteigen des Meeresspiegels, auf Wasser- und Nah-               Professor Jean-Pierre Marguénaud betonte nochmals die
rungsmittelversorgung sowie auf die Gesundheit der be-            Notwendigkeit, für den Schutz der Klimavertriebenen ei-
troffenen Menschen auswirken und damit Faktoren für               nen eigenen internationalen Statuts neu zu schaffen. Die
globale Flucht- und Migrationsströme schaffen. Angesichts         Leugnung des Problems bezeichnete er als realitätsfremd.
dieser Realitäten sind die Staaten aufgerufen, Lösungen für       Schon heute sei die Situation dramatisch genug. Das Recht
die damit einhergehenden Herausforderungen zu finden.             habe die Aufgabe, die Welt mit Worten zu ändern. Fraglich
    Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen forderte             sei nur, wie gross die Vision sein dürfe. Im Sinne der 1968er
Professor Dr. Jean-Pierre Marguénaud von der Faculté de           vertrete er die Auffassung «soyons réaliste, demandons
Droit et des Sciences Économiques der Université de Li-           l’impossible».
moges (F) ein eigenes internationales Schutzregime für               Für Michelle Laubscher von Alliance Sud ist klar, dass
Umweltvertriebene.                                                die Schweiz ihren Beitrag leisten und Klimaflüchtlinge auf-
    Im anschliessenden, von Prof. Kälin moderierten Po­           nehmen sollte. Ziel müsse sein, den Klimawandel zu stop-
dium zum Thema «Der Flüchtlingsbegriff seit 1951: Funk­           pen, dafür bedürfe es aber Begleitmassnahmen. Am Bei-
tion und Wirkungen der Genfer Flüchtlingskonvention               spiel von Bangladesch zeigte sie das Ausmass der schon
(GFK)» gingen Fachleute der grundsätzlichen Frage nach,           heute bestehenden – internen – Wanderungsbewegungen
welche Personen Schutz verdienen und welche Rahmenbe-             auf Grund des Anstiegs des Meeresspiegels auf. Dieser Pro-
dingungen dafür künftig nötig sind.                               zess sei kaum aufzuhalten. Zweifellos sei die internationale
    Zu Beginn stellte der Direktor des Bundesamtes für Mi-        Gemeinschaft gefordert, sich der Problematik anzuneh-
gration (BFM), Alard du Bois-Reymond, die von allen an-           men – umso mehr als es sich um grenzüberschreitende Pro-
deren Diskutierenden im Folgenden abgelehnte These in             bleme handeln könne. Daneben benötigten jedoch auch die
den Raum: «Der Flüchtlingsbegriff ist tot.» Seiner Auffas-        Menschen Schutz, die sich nur innerhalb der Grenzen ihres
sung nach ist die Anzahl der «echten Flüchtlinge» im Sinne        Staates bewegen – viele Staaten seien mit dem Ausmass der
der Konvention gering im Vergleich zu den Menschen, die           Problematik überfordert. Eine Verpflichtung besteht aus
sich aus anderen Motiven auf den Weg gemacht haben. Die           Sicht von Laubscher nicht nur, sofern Flüchtlinge eine
bestehenden Herausforderungen stellten sich vor allem             Grenze überschreiten, sondern auch für andere Fälle be-
durch die so genannten «Mixed Migration Flows». Die               dürfe es Regelungen zum Schutz und zur Lastenverteilung.
Problematik der Klimavertriebenen ist seiner Ansicht nach            Aus Sicht von Botschafter Claude Wild, dem Leiter der
nicht juristisch zu lösen, die Unterstützung müsse eine           Politischen Abteilung IV des Eidgenössischen Departe-
­andere Form finden. Naturkatastrophen würden spontane            ments für auswärtige Angelegenheiten (EDA), findet im
 Solidaritätsbewegungen auslösen, die langfristigen Folgen        Bereich ­Migration ein Paradigmenwechsel statt. Als we-
 des Klimawandels dagegen nicht.                                  sentliche Komponenten seien Frieden, Achtung der Men-
    Für Professor Georg Kreis hat sich die Praxis zum Flücht-     schenrechte, humanitäre Aspekte sowie internationale
 lingsbegriff in den letzten 60 Jahren entwickelt. Eine weitere   Migrations­politik zu berücksichtigen. Den Vorschlag der
 Anpassung an die neuen Realitäten sei notwendig. Neben           Schaffung eines neuen Statuts bezeichnete er als «visionär»
 den klassischen Verfolgungsmotiven aus religiösen und poli-      und begrüsste den inspirierenden Ansatz, bezweifelte je-
 tischen Gründen sind auch andere Verfolgungsszenarien            doch die kurzfristige Umsetzbarkeit dieser Vision. Fraglich
 entstanden. Die Tendenz gehe vom Einzelnen zur Gruppe.           sei, ob die bestehenden Instrumente beizubehalten oder gar
 Festzustellen sei auch eine Konkurrenz zwischen Asylmi­          zu verbessern seien. Wie könne denen geholfen werden, die
Susanne Bolz, Constantin Hruschka und Annemarie Raemy-Ruef Tagungsbericht/Compte Rendu                          ASYL       7

heute nicht unter den Schutz der bestehenden rechtlichen        potenzials durch Öffentlichkeit und Politik: «Die Schweiz
Instrumente fallen? «Toutes les personnes qui souffrent         will dazu beitragen, dass die Debatte zum Thema Klimawan-
sont des personnes pour lesquelles la diplomatie suisse doit    del und Migration verstärkt wird», so Botschafter Wild.
avoir une réponse et une vision protectrice», so Wild. Bezo-       Anschliessend wurden verschiedene Themen in Work-
gen auf den Migrationsbereich vertrat er die Auffassung,        shops vertieft; diese werden weiter unten im dritten Kapitel
dass die Menschenrechte von Migrantinnen und Migran-            vorgestellt.
ten, unabhängig von ihrem Status, zu achten seien. Die in-         Der zweite Tag fokussierte die nationale Ebene, es wur-
ternationale Gemeinschaft sei gehalten, diese Menschen zu       den aktuelle Fragestellungen bezüglich der Umsetzung des
schützen und ihnen Hilfe vor Ort zukommen zu lassen.            Flüchtlingsschutzes in der Schweiz diskutiert. Im Zentrum
    Die jüngsten Entwicklungen bedürften pragmatischer          standen die (völker-)rechtlichen und humanitären Ver-
und realistischer Lösungen. Die Flüchtlingskonvention           pflichtungen der Schweiz, Flüchtlinge und andere Schutz-
würdigte Wild als Erfolgsstory – 50 Millionen Menschen          bedürftige zu schützen, sowie die Herausforderung, im
wurden mit ihrer Hilfe geschützt. Die Idee einer neuen          nationalen Verfahren mit denjenigen Schutzbedürftigen
Konvention sei mutig, jedoch bestünden berechtigte              umzugehen, die nicht unter den Flüchtlingsbegriff und den
­Zweifel, dass die Staaten schnell zu einem Konsens finden      Schutzbereich der EMRK fallen.
 können. Vielversprechender und angemessener seien ge-             Mit seinem Impulsreferat zu Beginn des zweiten Tages
 meinsame Leitprinzipien, welche den Staaten Richtlinien        zum Thema der Aktualität des Flüchtlingsschutzes in Eu-
 für ihr Engagement böten.                                      ropa stellte António Guterres, Flüchtlingshochkommis-
    Angesprochen auf die Wirksamkeit der Entwicklungs-          sar der Vereinten Nationen, eine Verbindung zu den am
 zusammenarbeit antwortete Michelle Laubscher, dass Ver-        ersten Tag behandelten Themen her und gab Hinweise auf
 besserungen auf Ebene der Millenniumsziele angepeilt           zukünftige Herausforderungen. «Es ist notwendig, dass
 werden, dass jedoch die präventiven Massnahmen noch            die Staaten ihr Engagement in Bezug auf die Grundprin-
 nicht das gewollte Niveau erreicht haben. Nötig seien orga-    zipien des Flüchtlingsschutzes und ihre Verpflichtungen,
 nisatorische Strukturen auf lokaler Ebene. Die Schweiz         die sie durch die Unterzeichnung von Schlüsselinstru-
 sollte ihrerseits auch für unqualifizierte Drittausländerin-   menten eingegangen sind, bekräftigen und erneuern», er-
 nen und -ausländer Zugang gewähren.                            klärte er. Angesichts der globalen Trends bei Flucht- und
    Professor Marguénaud trat nochmals für die Schaffung        Migrationsbewegungen müssten künftig Wege gefunden
 eines rechtlichen Instruments für Umweltvertriebene ein,       werden, jene zu schützen, die Schutz benötigen, aber nicht
 betonte aber, dass die Flüchtlingskonvention in keiner Wei-    unter die ak­tuelle Definition des Flüchtlingsbegriffs fal-
 se als unnötig angesehen werden könne, angesichts der Tat-     len. Von der Schweiz wünschte sich der Flüchtlingshoch-
 sache, dass sie das Leben von 50 Millionen Flüchtlingen        kommissar die Wiederaufnahme der bewährten Kontin-
 gerettet hat. Für Professor Kreis illustriert der Umgang mit   gentspolitik («Resettlement») und das Bekenntnis zu
 dieser Problematik erneut, wie wenig ernst es die Staaten      einem Asylwesen, welches das interna­tionale Flüchtlings-
 mit ihrem humanitären ­Engagement meinten. Es sei – gera-      recht respektiert und die humanitäre Tradition des Landes
 de in einem Land mit direkter Demokratie – äusserst be-        weiterführt.
 denklich, wenn solch wichtige Themen innenpolitisch kei-          Bundesrätin Simonetta Sommaruga, Vorsteherin des
 ne Resonanz fänden. Aus seiner Sicht setzt das BFM die         Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD),
 von Botschafter Wild geforderten Prinzipien in der Migra-      erinnerte daran, dass die Schweiz ein Land mit einer langen
 tionsaussenpolitik nicht genügend um.                          und starken humanitären Tradition ist. Diese will sie heute
    Abschliessend resümierte Botschafter Wild, dass die ir-     und in Zukunft bestärken. Sie sprach sich für ein schnelles
reversiblen Folgen der derzeit stattfindenden klimatischen      und faires Asylverfahren aus, das jenen Schutz gewährt, die
Veränderungen bereits absehbar seien. Eine wirksame Ent-        ihn benötigen, gleichzeitig aber auch die Glaubwürdigkeit
wicklungshilfe könne sich stabilisierend auswirken. Gerade      des Systems aufrechterhält. Darüber hinaus benötige die
kleine Staaten hätten ein grosses Interesse daran, dass         Schweiz eine aktive Asylaussenpolitik. Dazu gehören ge-
die völkerrechtlichen Verpflichtungen umgesetzt werden.         mäss Bundesrätin Sommaruga auch Migrationspartner-
BFM-Direktor Alard du Bois-Reymond bemerkte, dass               schaften, Schutz vor Ort und die Neuansiedlung von
nur ein glaubwürdiges System auch die Akzeptanz der Ak-         Flüchtlingen in der Schweiz.
teure geniessen werde und die Schweiz selbstverständlich           Der Input dreier Jugendlicher aus dem Projekt für unbe-
denen die Hand reichen wolle, die schutzbedürftig und           gleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) «Speak out!»
schutzwürdig sind.                                              zeigte die Sicht von direkt Betroffenen auf. Die Jugendli-
    Den Nachmittag des ersten Tages eröffnete das Referat       chen machten deutlich, dass die oft langen Wartezeiten auf
von Botschafter Claude Wild, Leiter der politischen Abtei-      ein Ergebnis des Asylverfahrens sich generell negativ auf
lung IV des EDA. Er betonte in Anlehnung an die Podi-           die Integration und das Leben der Betroffenen auswirken.
umsdiskussion die Notwendigkeit einer stärkeren Vernet-         Auch die Unsicherheit, die mit einer vorläufigen Aufnahme
zung aller relevanten Akteure und die Anerkennung des           einhergeht, ist ein grosses Problem für die eigenständige
mit dem Klimawandel einhergehenden Migrations­                  Lebensgestaltung.
8     ASYL                                                           Tagungsbericht/Compte Rendu du Symposium

   Auf dem anschliessenden Podium diskutierten Exper-          Akzeptanz stosse, zum Beispiel dasjenige von Muslimen.
tinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Ver-         Dem wiederum entgegnete Minh Son Nguyen, dass die
waltung die praktischen Herausforderungen der Flücht-          Aufnahme von serbischen Staatsangehörigen, welche or-
lingsaufnahme in der Schweiz. Unter der Moderation der         thodox seien, auch problematisch gewesen sei.
Kommunikationsexpertin Myriam Holzner diskutierten                 Des Weiteren diskutierten die Podiumsteilnehmer über
Gottfried Zürcher, Leiter der Abteilung Migrationspolitik      die Situation von vorläufig aufgenommenen Personen in
des BFM, der Genfer Nationalrat Carlo Sommaruga, Tho-          der Schweiz. Mehrere Teilnehmer betonten die Schwierig-
mas Facchinetti, Migrationsbeauftragter des Kantons            keiten, mit welchen diese Personen konfrontiert sind, etwa
Neuenburg, Simon Röthlisberger, Beauftragter für Migra-        bei der Arbeitssuche. Simon Röthlisberger forderte, dass
tion des Schweizer Evangelischen Kirchenbundes und             die Integration gefördert und die Rechtsstellung von Perso-
Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Migra­             nen mit vorläufiger Aufnahme verbessert werden solle.
tionsfragen, Professor Gianni d’Amato, Direktor des            Minh Son Nguyen schlug vor, die Umwandlung einer
Schweizer Forums für Migrations- und Bevölkerungs­             F-Bewilligung in eine B-Bewilligung zu vereinfachen.
                                                               ­
studien (SFM), sowie Professor Minh Son Nguyen, Direk­         Gottfried Zürcher betonte, dass es zu viele verschiedene
tor des Zentrums für Migrationsrecht.                          Status gebe und dass es im Asylbereich eigentlich nur drei
   Zum Einstieg in die Diskussion bat die Moderatorin die      Kategorien geben sollte: Personen mit permanentem
Teilnehmer, ihre Einschätzung zur Frage abzugeben, ob          Schutz, Personen mit befristetem Schutz sowie Personen
sich die Schweiz im Vergleich zu früher gegenüber Asylsu-      ohne Schutzbedürfnisse, welche kein Anwesenheitsrecht in
chenden und Verfolgten verschliesse oder ob sie offener        der Schweiz hätten. Dazu bemerkte Minh Son Nguyen,
geworden sei. Grundsätzlich stimmten die Teilnehmer da­        dass die wenigsten der Sans-Papiers abgewiesene Asylge-
rin überein, dass eine Schliessung gegenüber Ausländern        suchstellende seien, sondern dass die meisten eine Arbeit
und Asylsuchenden wahrnehmbar sei, wobei Simon Röth-           hätten und nicht ausgewiesen würden, da ein wirtschaftli-
lisberger darauf hinwies, dass auch ein humanitärer Dis-       cher Bedarf nach ihnen bestehe.
kurs im Gange sei, etwa bezüglich der Wiederaufnahme               Gianni d’Amato betonte das Recht souveräner Staaten
von Resettlement. Thomas Facchinetti ergänzte, dass sich       auf Regelung der Einwanderung, wies jedoch darauf hin,
die Schweiz gleichzeitig auch weiter öffne, insbesondere       dass auch die soziale Realität und die Menschenrechte die-
gegenüber der Europäischen Union und Einwandererin-            ser Personen anerkannt werden müssten. Die Härtefall­
nen und Einwanderern aus EU-Ländern, während sie sich          praxis sei in jedem Kanton anders, und es lasse sich beob-
für Migrantinnen und Migranten aus Nicht-EU-Ländern            achten, dass sich mehr Sans-Papiers bei den Behörden
verschliesse. Gottfried Zürcher hingegen war der Ansicht,      meldeten, je offener diese mit Härtefällen umgingen. Carlo
dass die Aufnahmebereitschaft über die Zeit betrachtet         Sommaruga erklärte, dass das Individuum ins Zentrum
etwa gleich geblieben sei, und verwies auf die Solidaritäts-   ­gestellt werden solle, und forderte kollektive Regularisie-
welle während der Kosovo-Krise. Es herrsche Aufklä-             rungen. Es gäbe Bestrebungen im Parlament, doch noch sei
rungsbedarf gegenüber der Bevölkerung, etwa dazu, auf           nicht klar, ob diese eine Mehrheit finden würden.
welcher Basis das BFM seine Entscheide fälle. Der Aufklä-          Aus dem Publikum stellte Thomas Näcke von der Dele-
rungsbedarf und die Sensibilisierung der Bevölkerung wur-       gation der Europäischen Kommission in Bern die Frage an
den während der Diskussion mehrmals thematisiert, wobei         Carlo Sommaruga, ob die Asylpolitik den Preis für die eu-
darüber Einigkeit herrschte, dass die Aufklärungspflicht        ropäische Integration bezahle, da die Personenfreizügigkeit
von allen involvierten Akteuren wahrgenommen werden             der EU-Staatsangehörigen die Toleranz gegenüber anderen
sollte, also von den Behörden, den Hilfswerken, aber auch       Ausländerinnen und Ausländern verdränge. Carlo Som-
von den Medien. Insbesondere sollte die Akzeptanz von           maruga antwortete, dass es seiner Meinung nach die kultu-
Asylsuchenden in der Bevölkerung gestärkt werden. Simon         rellen Differenzen seien, welche die Schliessung gegenüber
Röthlisberger betonte, dass die Bevölkerung der Aufnahme        Fremden erkläre. Diese Tendenzen würden sich auch in
von Resettlement-Flüchtlingen positiv gegenüberstehe,           vielen anderen europäischen Ländern zeigen.
wobei er erneut für eine Wiederaufnahme der Resettle-              Ein Zuhörer kritisierte, dass es an differenzierter Infor-
ment-Politik plädierte. Gottfried Zürcher entgegnete, dass      mation mangele und er sich diese selber holen müsse. Zu-
Resettlement nur ein kleiner Teil der Lösung sei, versprach     dem erklärte er, dass sich seiner Meinung nach die Informa-
aber, dass diesbezüglich von Seiten der Behörden noch Ant-      tionspflicht des Staates direkt aus menschenrechtlichen
worten folgen würden. Minh Son Nguyen erklärte, dass die        Verträgen ergebe. Gottfried Zürcher antwortete, dass die
Aufnahme von vietnamesischen Kontingentsflüchtlingen            Schweiz natürlich die Pflicht hätte, Schutz zu gewähren,
auf Grund der Vorselektion durch die Schweizer Behörden         und dass dies auch kommuniziert und die Aufnahmebereit-
in Malaysia von der Bevölkerung positiver gesehen worden        schaft gefördert werden müsse. Jedoch gehe es nicht nur
sei als diejenige von Asylsuchenden, welche heute «unge-        um den Gegensatz zwischen Staat und Bürger, sondern es
fragt» in die Schweiz kommen und ein Asylgesuch stellen.        sei eine Pflicht der Gesellschaft als Ganzes. Thomas Facchi-
Carlo Sommaruga widersprach mit dem Argument, es sei            netti ergänzte, dass die Informationspflicht im Ausländer-
das kulturelle Profil der Flüchtlinge, welches auf weniger      recht festgehalten sei und in Zukunft verstärkt werden
Susanne Bolz, Constantin Hruschka und Annemarie Raemy-Ruef Tagungsbericht/Compte Rendu                                    ASYL        9

müsse. Zudem trügen die Medien mit undifferenzierter Be-       stellte, vorher wurden Flüchtlinge von den Staaten jeweils
richterstattung zum Problem bei.                               dauerhaft aufgenommen. Zudem wurde betont, dass sich
   Zum Schluss nahm die Moderatorin die Fragen der Ju-         die Mehrheit der Flüchtlinge in den von Konflikten und
gendlichen aus dem «Speak out!»-Projekt wieder auf und         Katastrophen betroffenen Regionen aufhalte und dass die
stellte sie dem Podium. Die Frage, warum sie sich ein Zim-     Unterstützung dieser Flüchtlinge vor Ort spezifische Her-
mer mit Erwachsenen teilen müssen, mochte niemand be-          ausforderungen beinhalte.
antworten. Auf die Frage, warum nicht alle von ihnen eine         Erfahrungen zeigten, dass Unterstützungsoperationen
Lehrstelle finden könnten, erklärte Thomas Facchinetti,        bei Rückführungs- und Wiedereingliederungsprogrammen
dass mehrere Kantone Standesinitiativen lanciert hätten,       in der Vergangenheit zu stark auf rein humanitäre Aspekte
um jugendlichen Sans-Papiers eine Lehre zu ermöglichen.        abzielten und der nachhaltige Aufbau von Wirtschaft und
Gottfried Zürcher hielt fest, dass der Zugang zu Bildung       Infrastruktur zu kurz kam. In vielerlei Hinsicht wurden die
eine ganz wesentliche Frage sei, in die jedoch viele Akteure   Betroffenen damit in eine Abhängigkeit gezwungen, die
einbezogen werden müssten, unter anderem die Kantone,          sich als sehr negativ für die wirtschaftliche Entwicklung
die Gemeinden und die Arbeitgeber. Auf die Frage, warum        von Post-Conflict-Ländern erwiesen habe. Deshalb ist auf
ihre Asylverfahren so lange dauerten, antwortete Gottfried     der Suche nach nachhaltigen Lösungen in diesem Zusam-
Zürcher, dass die Verfahren rasch, fair und konsequent sein    menhang ein ganzheitlicher, aktiver Ansatz wichtig, wel-
müssten und in diesem Punkt noch keine befriedigende Lö-       cher der Komplexität der Rückkehrthematik gerecht wird.
sung gefunden sei.                                             Dies wird mit dem «Comprehensive Approach» angestrebt,
   Die Referate, Podien und Workshops wurden durch die         der die Interdependenz und die Vernetztheit unterschiedli-
Ausstellung «KLIMAFLUCH – KLIMAFLUCHT» er-                     cher Faktoren zu berücksichtigen versucht. Auf der Suche
gänzt. Diese vom Münchner Flüchtlingsrat (D) konzipierte       nach nachhaltigen Lösungen für Flüchtlinge im Sinne von
Ausstellung weist auf eines der grössten Probleme im Zu-       «Comprehensive Solutions» ist es zudem sinnvoll, heimat-
sammenhang mit dem Klimawandel hin: dass Menschen ge-          staatorientiert und auf regionaler Ebene zu arbeiten und die
zwungen werden, ihre Heimat zu verlassen und zu fliehen.       strategischen Wechselwirkungen von freiwilliger Rück-
Die Ausstellung informiert über die Verbindung von Klima-      kehr, Eingliederung vor Ort und Resettlement zu berück-
wandel und Flucht, stellt den aktuellen Stand der Diskussion   sichtigen.
dar und zeigt, wo Handlungsbedarf ist. Die elf Ausstellungs-      Dazu gehört unter anderem die Untersuchung der
tafeln werden begleitet von diversen Bildtafeln. Für das       Gründe, warum die Menschen überhaupt gezwungen wa-
Asylsymposium 2011 wurde die Ausstellung zudem mit             ren, ihren Heimatstaat zu verlassen. Meistens handelt es
spezifischen Daten und Angaben zur Schweiz ergänzt.            sich um strukturelle und systemische Schwierigkeiten, die
   Die Ausstellung ist auf dem Web abrufbar und kann           dazu führen, dass der Heimatstaat eines Flüchtlings nicht
beim Münchner Flüchtlingsrat ausgeliehen werden.2              mehr in der Lage ist, den «effektiven Schutz» und die Siche-
                                                               rung der Grundbedürfnisse seiner Staatsbürgerinnen und
                                                               -bürger zu gewährleisten. Das verdeutlicht, dass eine dau-
3     Die Arbeitsgruppen3                                      erhafte Lösung nur dann erreichbar ist, wenn verschiedene
                                                               Akteure (u.a. der Aufnahme- und der Herkunftsstaat, ver-
Der Nachmittag des ersten Veranstaltungstages war für die      schiedene NGOs und das UNHCR) sowohl auf der
vertiefte Diskussion einzelner Fragestellungen in Arbeits-     Makro- als auch auf der Mikroebene eng zusammenarbei-
gruppen reserviert. Den Teilnehmenden wurden sieben            ten.
Work­shops angeboten, der ursprünglich geplante Work-             Im Rahmen einer konfliktsensitiven Herangehensweise
shop 6 «Access to Protection: Formen des alternativen          sei zudem zu berücksichtigen, dass Konflikte oft starke Mi-
­Zugangs zum Asylverfahren» musste auf Grund der kurz-         grationsbewegungen in ganzen Regionen auslösen können.
 fristigen, krankheitsbedingten Absage eines Referenten        Mangelt es an Ressourcen und sind die vorhandenen staat-
 entfallen.                                                    lichen Strukturen schwach, so entstehen grosse Spannun-
                                                               gen zwischen der Gastbevölkerung und den ankommenden
                                                               Flüchtlingen. Das Engagement externer Akteure (interna­
Workshop 1                                                     tionaler Organisationen) hat oft Ungleichbehandlungen
                                                               zur Folge: Güter werden an Flüchtlinge, nicht an die lokale
Workshop 1 wurde von Ursula Keller, Leiterin KOFF/
Swisspeace, und Martin Gottwald, Division of Internatio-
nal Protection, UNHCR, geleitet und widmete sich der              2 Www.muenchner-fluechtlingsrat.de/index.php/Main/Ausstellung-

Thematik «Situation und Hilfe vor Ort: Konfliktsensitive       Klimaflucht; Kontakt: Münchner Flüchtlingsrat, Goethestrasse 53, 80336
Flüchtlingsarbeit, Aufnahme von Flüchtlingen und die           München; E-Mail: info@muenchner-fluechtlingsrat.de.
                                                                  3 Für die Erstellung der Workshop-Protokolle danken wir: Seraina Nufer
Auswirkungen auf Erstasylländer in der Konfliktregion».
                                                               (SFH), Fiorenza Kuthan (SFH), Simone Greminger (SFH), Alexandra Geiser
  Zunächst wurde festgehalten, dass sich die Frage der         (SFH), Maximilian Lipp (SFH), Marianne Smadja (UNHCR), Sabrina Ghiel­
Rückführung von Flüchtlingen erst nach dem Kalten Krieg        mini (UNHCR) und Sofia Suarez (UNHCR)
10    ASYL                                                              Tagungsbericht/Compte Rendu du Symposium

 ­ evölkerung verteilt. Nationale Märkte werden durch die
 B                                                                  Nach Meinung der Workshopleiter werde das Thema bis
 Lieferungen von Hilfsgütern beeinflusst und verändert,         heute weniger fundiert wissenschaftlich als politisch-pole-
 lokale Produzenten haben oft das Nachsehen. Neue Ar-           misch behandelt. Dies habe schwer wiegende Konsequen-
 beitsmärkte und -chancen eröffnen sich, es ist zu klären,      zen weit über die tatsächliche Klimamigration hinaus.4
 wem diese offenstehen. Konfliktsensitives Vorgehen setzt           Problematisch sei ferner, dass die Fokussierung auf das
 das Bewusstsein voraus, dass jede Intervention durch ex­        zu erwartende weltweite Phänomen von den sich bereits
 terne Akteure und Ressourcen Auswirkungen hat, darun-           heute ereignenden Krisen ablenken würde, deren Auswir-
 ter auch negative. Ziel muss daher sein, positive Auswir-      kungen für die von ihnen direkt Betroffenen schon jetzt
 kungen zu stärken und negative Auswirkungen                    sehr problematisch seien.
 abzuschwächen (Prinzip der Entwicklungszusammenar-                 Aus Sicht der Workshopleiter ist der Entschluss, zu mi-
 beit: «do no harm»). Positiv wirkt sich der Einbezug der       grieren, im Einzelfall abhängig von verschiedensten Fakto-
 Bevölkerung des Gastlandes beziehungsweise die Berück-         ren, es wäre verkürzt, dabei allein auf klimatische Verände-
 sichtigung ihrer Bedürfnisse aus. Sie sollten bereits in der   rungen abzustellen. Anhand konkreter Beispiele wurde
 Planung und Konzeption berücksichtigt und miteinbezo-          illustriert, wie intensiv klimatische Veränderungen, Natur-
 gen werden.                                                    katastrophen sowie irreversible Veränderungen der Lebens-
    Die Selbständigkeit von Flüchtlingen sollte zudem er-       bedingungen sich auf die Migrationsbereitschaft der be-
halten und gefördert werden: Es hat sich gezeigt, dass sich     troffenen Bevölkerung auswirken. Auch unter schlimmsten
viele vorübergehend gedachte (Not-)Lösungen in der Re-          Bedingungen blieben viele Menschen am angestammten
alität als viel dauerhafter erweisen mussten als ursprüng-      Ort – sei es, weil sie zu arm sind, um diesen zu verlassen, sei
lich ­ geplant. Gerade Flüchtlingscamps sollen nur eine         es, weil die Bindung an diesen Ort sehr stark ist. Naturka-
Übergangslösung darstellen; in der Realität leben die           tastrophen hätten erwiesenermassen keine Auswirkungen
Flücht­linge aber oft über mehrere Jahre dort. Hilfspro-        auf die Asylgesuchszahlen in Europa.
gramme müssen so konzipiert sein, dass Flüchtlinge nicht            Für eine produktive Auseinandersetzung und einen an-
ausschliesslich zu passiven Empfängerinnen und Empfän-          gemessenen politischen Diskurs sei es unerlässlich, dass
gern von Hilfsleistungen werden. Food-for-Work-Pro-             nicht mit «Katastrophenvisionen», sondern mit realisti-
gramme, Ausbildungsmassnahmen und die Ermöglichung              schen Zahlen operiert werde. Ansonsten würden Migran-
von Freizügigkeit können dazu beitragen, dass Flüchtlin-        tinnen und Migranten noch stärker als bedrohliches Mas-
ge ihre eigenen ­Kompetenzen erhalten und zukünftig auf         senproblem wahrgenommen. Zukünftige Massnahmen
­eigenen Beinen stehen können. Dafür bedarf es genauer          und Vorhaben müssten daher ausgewogen sein.
 Absprachen mit den Gastländern.                                    Die Forschung über die Auswirkungen der Klimaer­
                                                                wärmung auf das Migrationsverhalten müsste angesichts
                                                                der weit reichenden gesellschaftlichen und politischen
Workshop 2                                                      Implikationen mit grosser wissenschaftlicher Seriosität
                                                                ­
                                                                ­betrieben werden. Bis dato gebe es zu wenige verlässliche
Workshop 2 vertiefte die Thematik «Climat, Conflit, Mig-         Fallstudien, welche die einzelnen Phänomene untersuch-
ration» und wurde von Professor Dr. Etienne Piguet, Uni-         ten. Wesentlich sei die Tatsache, dass Klimaveränderungen
versität Neuenburg, gemeinsam mit Raoul Kaenzig, Uni-            nicht zwingend Migrationsbewegungen nach sich zögen.
versität Neuenburg, moderiert.                                   Massnahmen, um die lokale Bevölkerung vor den Auswir-
   Ausgehend von der These, dass in der Öffentlichkeit           kungen des Klimawandels zu schützen beziehungsweise
zwar ein diffuses Bewusstsein über die Wechselwirkungen          diesen zu stoppen, seien aufwändig und kostspielig.
zwischen Klimaveränderungen, Konflikten und Migra­                  Die Workshopleiter betonten, dass das Phänomen der
tionsbewegungen gewachsen sei, der öffentliche Diskurs           klimainduzierten Migration dazu führen sollte, dass die
jedoch noch viel zu stark von wissenschaftlich wenig fun-        Staaten den Kampf gegen die Klimaerwärmung aufnehmen
dierten Sensationsmeldungen gespeist werde, unternahmen          – und nicht gegen Migrantinnen und Migranten.
die Workshopleiter in ihrer Präsentation eine kritische An-
näherung an die Beziehungen zwischen Klimawandel,
Konflikten und Migration.                                       Workshop 3
   Im Überblick wurde die wissenschaftliche Entwicklung
der Thematik präsentiert, und die Grenzen und Ungenau-          Workshop 3 befasste sich unter der Leitung von Dr. Eduard
igkeiten des Bezugsrahmens wurden aufgezeigt. Anhand            Gnesa, Sonderbotschafter für internationale Migra­tions­
von aktuellen Beispielen wurden ferner die gängigen An-
nahmen über das tatsächliche Ausmass klimainduzierter
Migration einerseits und über Konflikte, die ihre Ursache
                                                                   4 «Apocalyptic forecasts of environmental disasters leading to massive
in klimatischen Veränderungen haben, anderseits über-
                                                                flows of refugees might fuel anti-immigrant rhetoric and put in danger all
prüft. Abschliessend wurde diskutiert, welche Schritte auf      the International refugee framework painfully built since 1951 to protect the
politischer Ebene angezeigt wären.                              victims of political oppression and violence» (Mac Gregor, 1993).
Susanne Bolz, Constantin Hruschka und Annemarie Raemy-Ruef Tagungsbericht/Compte Rendu                             ASYL     11

   zusammenarbeit des EDA, mit dem Thema «Migra­tions­be­           Eine ausführliche Darstellung der Diskussion findet sich
wegung und Migrationsmanagement: die Rolle der Schweiz           in diesem Band auf S. 51.
im Rahmen einer verstärkten internationalen Zusammen-
arbeit im Bereich Migration und Entwicklung».
      Der Workshop präsentierte im ersten Teil wichtige          Workshop 4
Kennzahlen sowie Hintergründe und Ursachen von Migra-
tion. Dabei wies der Workshopleiter anhand einiger Zahlen        Prof. Dr. Alberto Achermann, Universität Bern, und­
zum Migrationsbereich darauf hin, dass in den gegenwärti-        Dr. Stephan Parak, BFM, boten im Rahmen des Work-
gen Debatten häufig nicht berücksichtigt wird, dass es           shops 4 unter dem Titel «Die Schweiz und der Flüchtlings-
einige Argumente und Prognosezahlen gibt, die für Zu-            begriff, Rückblick und Ausblick» eine Tour d’horizon zum
wanderung sprechen. Gleichzeitig wird bei der Frage der          Flüchtlingsbegriff im Wandel sowie seine heutige und
Hintergründe von Migration einerseits deren Komplexität          künftige Bedeutung an.
häufig nicht voll berücksichtigt und das notwendige grenz-          Im Zentrum des Workshops stand die Frage nach den
überschreitende Element der Zusammenarbeit in diesem             historischen Wurzeln des Flüchtlingsbegriffs und dessen
Politikfeld unterschätzt, während andererseits der natio-        Wandel im schweizerischen und internationalen Kontext.
nalstaatliche Handlungsspielraum der Schweiz regelmässig         Der Fokus lag auf Entwicklungen im letzten Jahrhundert,
überschätzt wird.                                                die für die aktuelle Interpretation des Flüchtlingsbegriffs
      Daraus entwickelte der Workshopleiter Thesen zur zu-       bestimmend waren. Als Grundlage der Diskussionen dien-
nehmenden Mobilität in der Welt, die sich auch in der fest-      ten einzelne zeittypische Textauszüge. Gestützt darauf re-
stellbaren, zunehmenden Mobilität von Kapital, Handel,           flektierten die Teilnehmenden in einem zweiten Schritt
Technologie und Dienstleistungen zeige. Klar sei indes,          über die mögliche Entwicklung des Flüchtlingsbegriffs in
dass Menschen weiterhin nicht nur freiwillig migrieren           20 Jahren. Mit Blick auf die diskutierten Texte wurde dabei
werden, sondern auch wegen demografischer und wirt-              geäussert, dass ein weiterer Begriffswandel vollzogen wer-
schaftlicher Gründe, um vor Konflikten oder als Folge des        den müsse beziehungsweise sich auch laufend vollziehe.
Klimawandels oder wegen fehlender menschlicher und po-           Die Entwicklung sei vielschichtig und werde von heute
litischer Sicherheit zu fliehen. In Europa erfolge eine Ab-      nicht absehbaren Gegebenheiten beeinflusst. Mehrfach
nahme der Bevölkerung. Der Migrationsdruck aus den               wurde darauf hingewiesen, dass der jetzige Flüchtlingsbe-
Ländern der Subsahara werde daher anhalten. In diesem            griff zwar eine historische Errungenschaft darstelle, jedoch
Feld bleibe die Schweiz ein attraktives Zielland für Migra-      zu eng sei und einer inhaltlichen Ausweitung bedürfe. Ins-
tion. In der Diskussion wurde der grundsätzliche Auftrag         besondere wurde angemerkt, dass sich, wie auch die Refe-
des Bundes, die Bevölkerung in migrationspolitischen The-        rate im Plenum am Vormittag und die daran anschliessende
men umfassend zu informieren, betont.                            Diskussion gezeigt hätten, die Flüchtlings- zu einer Migra-
      Der zweite Teil des Workshops widmete sich der Migra-      tionsproblematik gewandelt habe. Einige Teilnehmer sahen
tionspolitik und stellte nach einer grundlegenden Klärung        die Notwendigkeit einer Neudefinition des heutigen
der migrationspolitischen Interessen der Schweiz im inter-       Flüchtlingsbegriffs auf internationaler Ebene mittels eines
nationalen Kontext insbesondere die Instrumente der              völkerrechtlichen Vertrages.
­Migrationspolitik in den Mittelpunkt. Deren gesetzliche            Eine ausführliche Darstellung der Diskussion findet sich
 Grundlage ist in Artikel 100 AuG enthalten. Wichtige Ins-       in diesem Band auf S. 54.
 trumente, die in diesem Zusammenhang vorgestellt wur-
 den, umfassten insbesondere Migrationspartnerschaften
 und den Abschluss von Memoranda of Understanding                Workshop 5
 (beispielsweise mit Serbien, dem Kosovo und Bosnien),
 Rückkehrprojekte und Konzepte zur Stärkung des Schut-           L’atelier 5 dirigé par la présidente de la Cour IV du Tribunal
 zes von Flüchtlingen in den Herkunftsregionen (Protection       administratif fédéral (TAF), Claudia Cotting-Schalch, a
 in the Region). Letztere seien in der Schweiz weit gehend       abordé le thème: «Développement de la jurisprudence du
 unbekannt. Hinsichtlich der Prävention irregulärer Migra-       Tribunal administratif fédéral sur le renvoi». L’atelier s’est
 tion gehe es primär um Aufklärung in den Herkunfts­             déroulé en deux parties. La première a consisté en une pré-
 ländern, um die Anreize zur irregulären Migration zu            sentation d’une heure et la seconde partie a permis aux par-
 ­mindern. Grundsätzlich sei es zudem wichtig, sich den Zu-      ticipants, dans une large majorité juristes ou avocats, de
  sammenhang von Migration und Entwicklung bewusst zu            poser leurs questions et d’engager le débat sur des sujets
  machen. Konkrete Massnahmen und deren Umsetzung                d’actualité juridique.
  ­seien jedoch noch schwierig und viele Fragen noch offen.         Durant son intervention, scindée en quatre chapitres,
   So beispielsweise, ob «zirkuläre Migration» ein Hilfsmittel   Mme Cotting a brièvement rappelé les changements législa-
   der Zukunft sein könnte. Die Praxis werde zeigen, was In-     tifs intervenus récemment en matière d’asile, à savoir les
   strumente wie Migrationspartnerschaften in Zukunft brin-      révisions partielles de la Loi sur l’asile (LAsi), entrées en
   gen werden.                                                   vigueur respectivement les 1er janvier 2007 et 2008, ainsi que
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