FORSCHUNG UND GESELLSCHAFT | 17 - MODERNE BILDGEBENDE VERFAHREN DAS UNSICHTBARE SICHTBAR MACHEN - Österreichische ...

 
WEITER LESEN
FORSCHUNG UND GESELLSCHAFT | 17 - MODERNE BILDGEBENDE VERFAHREN DAS UNSICHTBARE SICHTBAR MACHEN - Österreichische ...
WWW.OEAW.AC.AT

                 FORSCHUNG UND
                 GESELLSCHAFT | 17
                 MODERNE BILDGEBENDE VERFAHREN
                 DAS UNSICHTBARE SICHTBAR MACHEN
FORSCHUNG UND GESELLSCHAFT | 17 - MODERNE BILDGEBENDE VERFAHREN DAS UNSICHTBARE SICHTBAR MACHEN - Österreichische ...
ÖAW   2
FORSCHUNG UND GESELLSCHAFT | 17 - MODERNE BILDGEBENDE VERFAHREN DAS UNSICHTBARE SICHTBAR MACHEN - Österreichische ...
MODERNE BILDGEBENDE
VERFAHREN
DAS UNSICHTBARE SICHTBAR MACHEN

SYMPOSIUM
AM 1. OKTOBER 2019

            ÖAW                   1
FORSCHUNG UND GESELLSCHAFT | 17 - MODERNE BILDGEBENDE VERFAHREN DAS UNSICHTBARE SICHTBAR MACHEN - Österreichische ...
ÖAW   2
FORSCHUNG UND GESELLSCHAFT | 17 - MODERNE BILDGEBENDE VERFAHREN DAS UNSICHTBARE SICHTBAR MACHEN - Österreichische ...
INHALTSVERZEICHNIS

INHALT
EDITORIAL
GEORG BRASSEUR ..........................................................................................................................................................................       5
HERBERT MATIS ..............................................................................................................................................................................    5

BEGRÜSSUNG
GEORG BRASSEUR ..........................................................................................................................................................................       7

EINLEITUNG
HERBERT MATIS (Moderation) ......................................................................................................................................................               9

VORTRÄGE
URSULA SCHMIDT-ERFURTH
Künstliche Intelligenz im Auge – und in der Medizin .................................................................................................................                          13
KLAUS ACHTERHOLD
Ich sehe was, was du nicht siehst. Neue Möglichkeiten der Röntgen-Bildgebung
(Aus urheberrechtlichen Gründen konnte der Beitrag leider nicht abgedruckt werden).
GERT REITER
Trends in der Magnetresonanz-Bildgebung ..................................................................................................................................                     31
NOTBURGA GIERLINGER
Raman-Mikroskopie an Pflanzenzellen: Chemische Bilder basierend auf Molekülschwingungen .......................................                                                                43
WOLFGANG NEUBAUER
Forensik trifft Archäologie. Bildgebende Verfahren für den nichtinvasiven Blick in den Boden ...........................................                                                       57
FRANZ KERSCHBAUM
Das unsichtbare Universum ............................................................................................................................................................         71

RESÜMEE
HERBERT MATIS ..............................................................................................................................................................................   83

                                         ÖAW                                                                                                                                                    3
FORSCHUNG UND GESELLSCHAFT | 17 - MODERNE BILDGEBENDE VERFAHREN DAS UNSICHTBARE SICHTBAR MACHEN - Österreichische ...
INHALTSVERZEICHNIS

ÖAW                        4
FORSCHUNG UND GESELLSCHAFT | 17 - MODERNE BILDGEBENDE VERFAHREN DAS UNSICHTBARE SICHTBAR MACHEN - Österreichische ...
EDITORIAL

EDITORIAL
GEORG BRASSEUR
HERBERT MATIS

„What we know is a drop, what we don’t           taken to promote the Search of Know­                   (Fotorezeptoren), deren Erregungs-
know is an ocean.“1 Mit diesen Worten            ledge. Some other kind of Art for Inquiry              zustand durch die unterschiedlichen
charakterisierte Isaac Newton, wohl              than what hath been hitherto made use                  Wellenlängen      elektromagnetischer
einer der größten Gelehrten in der               of, must be discovered; the Intellect is not           Strahlung aus dem sichtbaren Spek-
Wissenschaftsgeschichte, im 17. Jahr-            to be suffer’d to act without its Helps,               trum verändert wird. Es handelt sich
hundert das Dilemma jeglicher                    but is continually to be assisted by some              dabei um einen kognitiven Prozess,
wissenschaftlichen Erkenntnis, dass              Method or Engine …“2                                   der es ermöglicht, über die aufgenom-
wir trotz ungeheurer Erkenntnisfort-             Das menschliche Auge ist ein hoch-                     menen optischen Reize unsere Um-
schritte, die seither gemacht wurden,            empfindliches Sinnesorgan zur Auf-                     welt zu visualisieren.
nur einen Bruchteil dessen erkennen              nahme und Verarbeitung optischer                       Schon seit der Renaissance wurden
können, was – um Johann Wolfgang                 Reize mit Hilfe von 2 mal 132 Millio-                  technische Geräte entwickelt, um die
von Goethe zu zitieren – „die Welt               nen3 lichtempfindlichen Nerven­zellen                  menschlichen Sinneswahrnehmun-
im Innersten zusammenhält“ (Faust I,                                                                    gen, die es uns erlauben, Informa­
Vers 382 f.).                                                                                           tionen aufzunehmen, im Gehirn
                                                 2   “The Present State of Natural Philosophy,
Ein Zeitgenosse Newtons, der eng-                    and wherein it is deficient”. The Posthumous       weiter zu verarbeiten. Dabei wurden
lische    Universalgelehrte    Robert                Works of Robert Hooke ed. By Richard               die für das menschliche Auge erkenn-
Hooker, hat bereits einen Ausweg
­                                                    Waller, 1705, pp. 6–7. https://books.google.       baren elektromagnetischen Wellen
                                                     at/books?id=6xVTAAAAcAAJ&printsec=
aufgezeigt, wie man durch den Ein-                                                                      im Frequenzbereich des Lichtes ein-
                                                     frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_
satz von neuen Methoden, Maschi-                     r&cad=0#v=onepage&q&f=false, access 6. Sep.        gesetzt, um den Mikro- und Makro­
nen und Geräten unsere Erkennt-                      2020.                                              kosmos mit Hilfe von Mikroskopen
nismöglichkeiten erweitern könnte:               3   Antonio Bergua, „Das Menschliche Auge in
„Some other Course therefore must be                 Zahlen“, Springer-Verlag, 2017, pp. 100–105.
                                                     https://books.google.at/books?id=                    VUfMAKHVBPBywQ6AEwAXoECAMQ
                                                     M n I q D w A A Q B A J & p g = PA 1 0 5 & d q =     Ag#v=onepage&q=menschliches%20Auge
1   https://beruhmte-zitate.de/zitate/1969058-       menschliches+Auge+Rezeptoren+anzahl&                 %20Rezeptoren%20anzahl&f=false, access
    isaac-newton, access 6. Sep. 2020.               hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwi3j8Kp7dTrAh                   6.9.2020.

                                ÖAW                                                                                                           5
FORSCHUNG UND GESELLSCHAFT | 17 - MODERNE BILDGEBENDE VERFAHREN DAS UNSICHTBARE SICHTBAR MACHEN - Österreichische ...
EDITORIAL

und Teleskopen zu erkunden. Der
Weg ging dann weiter, indem man
neben dem Licht auch andere elektro­
magnetische Strahlungen mit unter­
schiedlichen Wellenlängen dazu
nutzte, durch Visualisierung unsere
Wahrnehmungsfähigkeit zu erwei-
tern, vor allem um das Unsichtbare
sichtbar zu machen.

                         ÖAW                       6
FORSCHUNG UND GESELLSCHAFT | 17 - MODERNE BILDGEBENDE VERFAHREN DAS UNSICHTBARE SICHTBAR MACHEN - Österreichische ...
BEGRÜSSUNG

BEGRÜSSUNG
GEORG BRASSEUR

Meine sehr geehrten Damen und             der Rednerinnen und Redner über-
Herren, liebe Kolleginnen und Kolle-      nimmt Herbert Matis im Anschluss.
gen, ich begrüße Sie heute im Namen       Ich bedanke mich bei den Mitarbei-
des Präsidiums der Österreichischen       terinnen im Aktuariat – vor allem bei
Akademie der Wissenschaften ganz          Frau Julia Weilinger – für die Vorbe-
herzlich zum Symposium „­Moderne          reitung dieses Symposiums.
bildgebende Verfahren. Das Un-            Zu Beginn stelle ich kurz die Öster-
sichtbare sichtbar machen“ hier im        reichische Akademie der Wissen-
Sitzungssaal unserer Akademie. Ein        schaften vor.
besonderer Gruß und Dank gilt dem         Durch das Akademiegesetz hat die
Organisator der Veranstaltung, dem        ÖAW schon in der Kaiserzeit den
wirklichen Mitglied Herbert Matis.        wichtigen Auftrag erhalten, die
Er ist Professor emeritus des Instituts   Wissenschaft in jeder Hinsicht zu
                                                                                    Georg Brasseur ist Professor für Elektri­
für Wirtschafts- und Sozialgeschichte     fördern. 1847 wurde die Gelehrten-
                                                                                    sche Messtechnik und Messsignalverar­
der Wirtschaftsuniversität Wien und       gesellschaft gegründet. Sie umfasst
                                                                                    beitung an der Technischen Universität
wird die Moderation übernehmen.           gegenwärtig 770 Mitglieder und
                                                                                    Graz. 2012 wurde er zum wirklichen Mit­
Gerne möchten wir die Diskussionen        1.700 Mitarbeitende, die sich der
                                                                                    glied der ÖAW gewählt. Seit 2013 ist er
lebhaft gestalten und laden Sie ein,      ­innovativen Grundlagenforschung,
                                                                                    Präsident der mathematisch-naturwissen­
nach den Vorträgen viele Fragen zu         dem interdisziplinären Wissensaus-
                                                                                    schaftlichen Klasse.
stellen.                                   tausch und der Wissensvermittlung
Ich begrüße die Referentinnen und          widmen, mit dem Ziel, Wissenschaft
Referenten des heutigen ­Tages,            und gesellschaftlichen Fortschritt zu
­Ursula     Schmidt-Erfurth,    Klaus      fördern. Die Mitglieder pflegen einen
 Achterhold, Gert Reiter, Notburga         regen fachübergreifenden Austausch
 Gierlinger, Wolfgang Neubauer und         wichtiger Zukunftsfragen, beraten
 Franz Kerschbaum. Die Vorstellung         die Politik und die Gesellschaft und

                           ÖAW                                                                                             7
FORSCHUNG UND GESELLSCHAFT | 17 - MODERNE BILDGEBENDE VERFAHREN DAS UNSICHTBARE SICHTBAR MACHEN - Österreichische ...
BEGRÜSSUNG

informieren die Öffentlichkeit über       plexe Prozesse, die für unsere Augen         Öffentlichkeit bekannt gemacht und
neue wissenschaftliche Erkenntnisse.      wahrnehmbar sind, in eindrucksvol-           Interesse geweckt werden. Im Okto-
Die 27 Forschungsinstitute arbeiten       len Bildern in unserem Bewusstsein           ber wird der Nobelpreis für Physik
im Bereich der anwendungsoffenen          entstehen zu lassen. Wir sind also           vergeben. Ich bin gespannt, ob das
Grundlagenforschung in den Geistes-,      richtige „Augentiere“. Die Metapher          Forscherteam, dem es gelungen ist,
Kultur-, Sozial- und Naturwissen-         „Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte“         den direkten visuellen Nachweis für
schaften. Sie setzen Impulse, indem sie   drückt diese Fähigkeit sehr gut aus.         supermassenreiche schwarze Löcher
zukunftsweisende Forschungsthemen         Es liegt vermutlich in der Natur des         – in dem Fall war es ein schwarzes
aufgreifen und Verantwortung für die      Menschen, dass wir versuchen, mög-           Loch aus dem Zentrum der gewalti-
Wahrung und die Interpreta­tion des       lichst alles in Bilder – vielleicht sogar    gen Galaxie Messier 87 – zu liefern,
kulturellen Erbes übernehmen.             in bewegte Bilder – umzuformen,              heute auch Erwähnung finden wird.
Die Akademie der Wissenschaften ist       weil man so sehr viele Informationen         Dieses Team hat es geschafft, etwas
ein lebendiger Ort, an dem wissen-        in sehr kurzer Zeit sehr einprägsam          zu visualisieren, was wirklich un-
schaftliche Leistungen und Erkennt-       vermitteln kann. Es wurde zum Bei-           sichtbar ist. Es ist auch ein Beispiel
nisse vermittelt werden. Sie bietet       spiel 2017 der Nobelpreis für Physik         für moderne bildgebende Verfahren;
intellektuellen Raum für ­Diskussion      an drei US-Forscher für den ersten           Verfahren, die Informationen für den
und fördert die Gesellschaft. Vor         direkten Nachweis von im All entste-         Menschen perfekt aufbereiten kön-
­allem fördert sie die Offenheit für      henden Gravitationswellen vergeben.          nen und damit das Unsichtbare sicht-
 Wissenschaft und Technologie. Die        Wahrscheinlich hat ein Großteil der          bar machen.
 verschiedenen Veranstaltungen, die       Bevölkerung vorher nicht gewusst,            Ich darf damit auch schon das Wort
 wir vor allem auch für junge Men-        was Gravitationswellen sind. Diese           an Professor Herbert Matis weiter­
 schen ausrichten, sollen die Faszina-    periodische Krümmung des Raumes              geben.
 tion für Wissenschaft, Forschung und     ist eine Folge von sich sehr schnell
 Technologie wecken.                      bewegenden Massen, auch wenn
 Ich komme zurück zum heutigen            diese sehr, sehr weit weg sind. Mit
 Symposium „Moderne bildge­bende          diesem Phänomen hätte die Bevölke-
 Verfahren“. Unsere Augen sind ein        rung vorher gar nichts anfangen kön-
 unwahrscheinlich leistungsfähiges        nen. So etwas entzog sich der Vorstel-
 optisches Instrument. Ein ­optischer     lungskraft der meisten Bürgerinnen
 Sensor, insbesondere wenn man            und Bürger. Erst durch die grafische
 ­diese geniale Bildverarbeitung mit-     Aufbereitung, wie beispielsweise auf
  berücksichtigt, die uns von der         dem Deckblatt der Einladung zum
  ­Natur mitgegeben worden ist. Diese     heutigen Symposium ersichtlich,
   Bildverarbeitung ist imstande, kom-    konnten Gravitationswellen in der

                           ÖAW                                                                                             8
EINLEITUNG

EINLEITUNG
HERBERT MATIS

Meine Damen und Herren, Sie wer-           realisieren, und es ist ja auch ­jemand
den sich vielleicht fragen, wie ein        von „Siemens Healthcare“ für das
Wirtschaftshistoriker dazu kommt,          heutige Symposium nominiert wor-
sich mit dem Thema „Moderne bild-          den. Georg Brasseur und ich wollten
gebende Verfahren“ auseinanderzu-          aber das Thema „­    Moderne bildge-
setzen. Hierzu kurz die Vorgeschich-       bende Verfahren“ an der Akademie
te: Ich war gemeinsam mit dem              bewusst in einen größeren Zusam-
Generaldirektor von Siemens Öster-         menhang stellen und auch ein breite-
reich, Wolfgang Hesoun, bei einem          res Anwendungsgebiet ansprechen,
Abendessen nach einem Besuch im            wodurch sich fächerübergreifend
Naturhistorischen Museum, und er           auch Vertreterinnen und Vertreter
war mein unmittelbares Gegenüber           ganz unterschiedlicher Disziplinen
am Tisch. Wir sind ins Reden gekom-        angesprochen fühlen können.
                                                                                     Herbert Matis ist Professor der
men, und ich habe ihm erzählt, dass        Es zeigt ja den großen Vorzug einer
                                                                                     Wirtschafts- und Sozialgeschichte an
                                                                                     ­
ich vor Jahren einmal medizinische         Gelehrtengesellschaft wie der Aka-
                                                                                     der Wirtschafts­ universität Wien. 1995
Röntgenaufnahmen gesehen habe,             demie der Wissenschaften auf, dass
                                                                                     ­wurde er zum wirklichen Mitglied der
die mich schon damals sehr beein-          hier immer wieder interessante The-
                                                                                      ÖAW gewählt. 2003 bis 2009 war er
druckten, und dass seither moderne         men quer über die einzelnen wissen-
                                                                                      Vize­präsident der Akademie.
bildgebende Verfahren in der Medi-         schaftlichen Disziplinen diskutiert
zin wohl einen unerhörten Fortschritt      werden, also nicht nur rein fachspe-
erlebt hätten. Ich habe Herrn Hesoun       zifisch, sondern mit vielen möglichen
sodann gefragt, ob er sich vorstellen      Zugängen. Visualisierung, das Un-
könne, moderne bildgebende Verfah-         sichtbare sichtbar machen, wie ja der
ren aus dem Healthcare-Bereich an          Untertitel der Veranstaltung lautet,
der Akademie der Wissenschaften            ist ein solches Thema. Es ist bekannt,
vorzustellen. Er meinte, dies ließe sich   dass in der Medizin wahrscheinlich

                            ÖAW                                                                                           9
EINLEITUNG

die spektakulärsten Anwendungen            Infrarot-, Ultraviolett-, Röntgen-,     Licht auch das gesamte Spektrum
stattfinden, und es ist zweifellos inte-   Gammastrahlung und so weiter. Die       elektromagnetischer Strahlung für
ressant, auch andere Disziplinen, bei      jeweilige Wechselwirkung dieser         Visualisierungszwecke einzusetzen.
denen Visualisierung ebenfalls eine        elektromagnetischen Wellen bezie-       Sie wissen, dass etwa im Bereich
große Rolle spielt, in die Betrachtung     hungsweise Strahlung mit ­Materie       des sichtbaren Lichtes Linsenfern-
miteinzubeziehen und damit ein             macht es möglich, viele für das Auge    rohre, Riesen- und Spiegelteleskope
breiteres Spektrum abzudecken.             normalerweise unsichtbaren Eigen-       eingesetzt wurden zur Beobachtung
Moderne bildgebende Verfahren gibt         schaften eines Körpers, respektive      ferner Himmelskörper. Darüber
es also, wie gesagt, in sehr unter­        Materials, sichtbar zu machen. Wir      ­hinaus kam es später noch zur Mes-
schiedlichen Bereichen, und die Fülle      hätten ohne Zweifel in diesem Zu-        sung der extraterrestrischen Radio-,
der wissenschaftlichen Anwendun-           sammenhang auch sehr schöne Bei-         Ultra­violett-, Infrarot-, Röntgen- und
gen reicht natürlich auch über das         spiele in unserem ÖAW-Institut für       Gammastrahlung. Und auch bei den
hinaus, was wir hier heute in dieser       Materialwissenschaften in Leoben         Mikroskopen hat es weitere Ent-
Veranstaltung vorstellen können. In        gefunden.                                wicklungen gegeben, die das ganze
unserem Symposium werden Bei-              Am Beginn der wissenschaftlichen         Spektrum ausgedehnt haben. Im Fre-
spiele aus der Medizin und der Bio-        Visualisierungsbemühungen standen        quenzbereich des Lichtes kommen
logie bis hin zur Archäologie und          optische Verfahren, mit welchen die      zum Beispiel die Endoskopie und die
zur Astronomie gebracht. Daneben           dem menschlichen Auge zugäng­            optische Tomografie zum Einsatz. Im
gibt es natürlich auch viele ­andere       lichen elektromagnetischen Wellen        Bereich der Röntgenstrahlung das
Felder, die man hier beleuchten            im Frequenzbereich des Lichtes ge-       klassische Röntgen und die Compu-
könnte. Was interessant ist, ist der       sammelt und gebündelt werden soll-       tertomografie. Bei der Kernspinto-
Umstand, dass alle in diesem Zu-           ten. Sie kennen alle die Instrumente,    mografie werden Wasserstoffatomen
sammenhang vorgestellten Verfah-           die dazu konstruiert wurden: für den     durch Radiowellen starke Magnetfel-
ren auf einer gemeinsamen Grund-           Mikrokosmos das Mikroskop, für           der angelegt. Sie sehen also, das alles
lage beruhen. Herr ­Brasseur hat es        den Makrokosmos das Teleskop. Da-        hat sich enorm weiterentwickelt.
schon gesagt: Der Mensch ist ein           mit konnten Phänomene sichtbar ge-       Die wohl spektakulärsten Erfolge
Augenwesen, das s­eine Umgebung            macht werden, die ohne diese techni-     erzielen, wie ich bereits gesagt habe,
vor allem über dieses Sinnes­organ         schen Hilfsmittel dem menschlichen       bildgebende Verfahren im Bereich
wahrnimmt. Und um das Unsicht-             Auge nicht zugänglich sind. Diese        der Medizin, wo ebenfalls mithilfe
bare sichtbar zu ­   machen, bedient       klassischen optischen Verfahren sind     von den Körper durchdringender
sich die Wissenschaft vor ­allem der       weiterentwickelt worden und sind         elektromagnetischer Strahlung ganz
elektromagnetischen Strahlung mit          natürlich auch heute noch in Verwen-     neue Möglichkeiten der nichtinva-
unterschiedlichen        Wellen­längen,    dung. Aber die Entwicklung ging vor      siven Diagnostik eröffnet wurden.
etwa der Radiowellen, Mikro­wellen,        allem in die Richtung, neben dem         Dabei liefert die Wechselwirkung

                            ÖAW                                                                                         10
EINLEITUNG

der Strahlung mit den Körpern, ver-       für Augenheilkunde an der Univer-
schiedenen Detektionseinrichtungen        sität Lübeck, bevor sie dann 2004
sowie Kontrastmitteln ein Bild des        nach Wien berufen wurde. Die ­Liste
Köperinneren, wobei die einzelnen         ihrer Publikationen ist mehr als be-
bildgebenden Verfahren entspre-           eindruckend. Die Auflistung der
chend dem Frequenzbereich der             Herausgeberschaften, internationa-
Strahlenquellen jeweils verschiedene      len Patente, Auszeichnungen und
physikalische Effekte messen kön-         Mitgliedschaften umfassen darüber
nen. Wir haben heute die Möglich-         hinaus mehrere eng beschriebene
keit, durch die einzelnen Referate        Seiten; alles aufzuzählen würde den
des Symposiums verschiedene An-           Rahmen hier sprengen. Die Öster-
wendungsbereiche kennenzulernen,          reichische Akademie der Wissen-
in denen durch moderne Methoden           schaften ist jedenfalls stolz, dass wir
der Visualisierung ganz neue Er-          Ursula Schmidt-Erfurth zu unseren
kenntnisse gewonnen wurden. Wie           wirk­lichen Mitgliedern zählen dür-
der Titel es verheißt: Das Unsichtbare    fen. Der heutige Vortrag behandelt
wird sichtbar gemacht.                    das Thema „Künstliche Intelligenz
Ich darf nun als erste Vortragende        im Auge – und in der Medizin“, und
Frau Ursula Schmidt-Erfurth ­näher        wir sind schon alle gespannt auf den
vorstellen. Sie ist Professorin an        Vortrag. Bitte, Frau Schmidt-Erfurth.
der Medizinischen Universität in
Wien und Leiterin der Abteilung für
­Ophthalmologie und ­Optometrie am
 Allgemeinen Krankenhaus sowie
 Leiterin eines Christian-­Doppler-
 Labors für „Ophthalmic Image
 ­Analysis“, kurz OPTIMA, ebenfalls
  in Wien. Sie absolvierte das Medizin­
  studium in München, daran schlos-
  sen sich mehrfache Auslandsauf-
  enthalte an, unter anderem auch an
  der Harvard ­Medical School und
  am ­Massachusetts ­General Hospital
  in Boston. Es folgte eine Professur

                           ÖAW                                                                   11
EINLEITUNG

ÖAW                12
URSULA SCHMIDT-ERFURTH

 KÜNSTLICHE
­INTELLIGENZ IM
 AUGE – UND IN
 DER MEDIZIN
URSULA SCHMIDT-ERFURTH

Vielen Dank für die freundliche Vor-       des „New Yorker“ Magazins mit
stellung, die Einladung und die Auf-       dem Smartphone fotografiert und
nahme in die Akademie der Wissen-          sie mir geschickt – das ist ja nicht
schaften. Da ist der Stolz natürlich       unbedingt eine Hauspostille für Au-
ganz auf meiner Seite.                     genärzte –, und da liest man: „[...]     Ursula Schmidt-Erfurth ist Professorin
Außerdem freue ich mich darüber,           the same technology that knows           für Augenheilkunde und Optometrie an
dass in der Einleitungsrede schon          your dog from your cat“, und sieht       der Medizinischen Universität Wien.
neunmal das Wort „Auge“ aufge-             die entsprechenden Google-Bilder.        Sie ist hier auch Leiterin des Christian
taucht ist. Das ist natürlich genau das    Und wenn man dann die andere             Doppler Labors für „Ophthalmic Image
                                                                                    ­
Mikrouniversum, in dem ich mich            Seite anschaut, wundert man sich         Analysis“ (OPTIMA). 2019 wurde sie
bewege und in das ich Sie nun gerne        schon ein bisschen mehr. Da steht        zum wirklichen Mitglied der ÖAW ge­
einladen möchte.                           nämlich: “[...] helps doctors know a     wählt.
Künstliche Intelligenz und Auge,           healthy eye from an at risk one”. Und
diese beiden sind jetzt vielleicht nicht   dann steht da auch noch ­    darunter,
etwas, was man automatisch zusam-          dass eben genau dieses Google-
menbringt.                                 System krankhafte Gefäße erken-
Vor drei Monaten hat meine Toch-           nen kann, am Augen­       hintergrund
ter die zweite und die dritte Seite        von 420 Millionen ­Diabetikerinnen

                            ÖAW                                                                                           13
URSULA SCHMIDT-ERFURTH

und ­Diabetikern, die es auf der Welt       genug, um sich für das Sehvermögen          der klinischen Labordiagnostik. Das
gibt und die alle im Lauf des Lebens        und für die Netzhaut zu engagieren,         ist schon einmal eine bedeutende Ge-
eine ­diabetische Netz­hauterkran­          denn die ist letztlich das, was hier be-    wichtung.
kung entwickeln werden. Das wis-            schädigt wird.                              Vom Auge, wie gesagt, gibt es beson-
sen wir. Und was ich besonders              Hier hilft die künstliche Intelligenz.      ders riesige Bildmengen. Diese Bild-
lustig ­finde, ist, dass ­darunter steht:   Die künstliche Intelligenz ist eine         mengen kommen zum Beispiel von
“[...] empowering doctors ­through          relativ neue Entwicklung, es gibt sie       der Optischen Kohärenz-­Tomografie,
­diagnosis, with a little help from         noch nicht so lange. Zwar ­existiert        OCT abgekürzt. Sie wird mit einem
 Google”. Es ist ­immer schön, wenn         der Terminus schon viel länger, als         sehr schnellen Laserscanner durch-
 man „a little help from ­Google“ hat.      es Artificial Intelligence wirklich         geführt. Alle von Ihnen, die in der
 Und jetzt zeige ich Ihnen, was wir         gibt. Denn erst mit der Entwick-            letzten Zeit beim Augenarzt waren,
 ohne „little help from Google“ hier in     lung der großen IT-Anwendungen              haben wahrscheinlich so ein OCT
 Wien machen.                               kam langsam das Machine-Learning            gemacht bekommen. Das spürt man
 Warum sind wir auf diesem Ge-              dazu – und in der Zwischenzeit mit          kaum, es dauert nur 1,2 ­Sekunden,
 biet überhaupt so engagiert? Weil          den riesigen Datenmengen, die jetzt         und es werden in dieser Zeit Bild­
 wir wissen, dass das Sehen bedroht         digital zur Verfügung stehen, auch          daten aufgenommen, die ungefähr
 ist. Die Ursachen oder die Häufun-         das Deep Learning. Deep Learning in         60 bis 80 Millionen Pixel ­haben, mit
 gen von einem schweren Sehverlust          Healthcare ist etwas, was zu sehr viel      einer Auflösung von fünf Mikro­
 in moder­  nen Zeiten, mit einer so        Einsichten und zu sehr viel Publika-        metern, nicht invasiv, ohne Farbstoff
 gehypten modernen Medizin, sind            tionen führt, gerade in dieser moder-       und es kostet nichts. Das ist etwas,
 steigend. Und zwar gibt es 25 Pro-         nen Zeit. Besonders in der Medizin          was es in der Medizin in keinem
 zent Zunahme an schwerem Sehver-           ist die artifizielle Intelligenz ein ganz   anderen Fachbereich gibt, eine so
                                                                                        ­
 lust. Das ist schon mehr als depri-        relevantes Thema. Warum? Weil das           hochauflösende Darstellung von
 mierend. Was sind das für Menschen,        diagnostische Imaging in der Medi-          mikroskopisch kleinen Veränderun-
 die da betroffen sind? Das sind in         zin in vielen Bereichen praktiziert         gen im Auge. Im OCT sieht man
 erster Linie Menschen, die älter wer-      wird, hier ist nicht nur die Radio-         diese vielen kleinen Flüssigkeitsver-
 den, also wir alle. Es gibt im Moment      logie zu nennen, sondern auch die           änderungen, die bei einer Makula-
 600 Millionen Menschen, die über           Ophthalmologie, bei der 90 Prozent          degeneration feststellbar sind, der
 65 Jahre alt sind, und das wird noch       der Diagnosen aufgrund von digi-            Laserscanner rast dabei über die zen-
 steigen. Und dann gibt es die Diabe-       talen Bildern gestellt werden. Der          tralen drei Millimeter des hinteren
 tikerinnen und Diabetiker, die zu der      Anwendungsbereich der Artificial            Augenpols hinweg. Es sind die ein-
 Gruppe der arbeitstätigen Bevölke-         Intelligence, gerade in der Bildver-        zelnen Netzhautschichten erkennbar.
 rung zählen, bei der es am häufigsten      arbeitung, ist wesentlich größer als        So kann die Netzhaut also dargestellt
 zur Erblindung kommt. Also Gründe          der der genetischen Diagnostik oder         werden, in all ihren mikroskopisch

                             ÖAW                                                                                           14
URSULA SCHMIDT-ERFURTH

kleinen Veränderungen. Und nur zur        wirklich nützt. Die meisten Erkran-     viel schlechter. Das wundert einen
Erinnerung: Die Makula, das ist der       kungen, wie zum Beispiel Alterungs-     ein bisschen, denn wir haben doch
Teil des schärfsten Sehens, ohne den      prozesse und Diabetes, sind chroni-     so eine hervorragende Diagnostik,
man weder lesen noch Gesichter er-        sche Erkrankungen. Das heißt, die       in der wir eigentlich alles erkennen
kennen kann. Das sind lediglich die       Patientinnen und Patienten, die zu      können und jede einzelne Flüssig-
zentralen 1,5 Millimeter. Und es ist      uns kommen, bleiben ihr Leben lang      keitsblase sofort behandeln könnten.
klar verständlich, dass eine so hohe      in unserer Betreuung und müssen         Dass dies in der realen Welt nicht so
Auflösung – ohne dass man irgend-         zum richtigen Zeitpunkt die ­richtige   gut ist, liegt daran, dass in den klini-
welche radioaktiven Mittel verwen-        Behandlung erhalten, damit kein         schen Studien etwas arbeitet, was ich
den muss, ohne dass es lange dauert       Netzhautschaden entsteht, der nicht     hier in Wien 2006 gegründet habe,
und ohne dass es viel kostet – schon      mehr rückgängig zu machen ist. Wie      nämlich ein sogenanntes „Reading
ein riesiges Angebot ist.                 spielen hier die Diagnostik und die     Center“. Ein Reading Center sammelt
Das andere, was in der Augenheil-         Therapie zusammen? Im OTC ist           Bilder, die von allen klinischen Sites,
kunde wahrzunehmen ist, ist neben         klar erkennbar, was der Diabetes be-    allen „Centers of Excellence“ in der
der Diagnostik die hoch entwickelte       wirkt und was die feuchte Makula­       Welt kommen. Das Wiener Reading
Therapie. Die häufigste Therapie in       degeneration macht, dass nämlich        Center an meiner Abteilung ist mit
der Augenheilkunde besteht in Injek-      die n  ­eurosensorischen Netzhaut-      600 Netzhautkliniken weltweit ver-
tionen von Antikörpern direkt in das      schichten schwer verändert sind.        knüpft, auf allen fünf Kontinenten,
betroffene Auge. Wir machen das an        Durch die Injektion kann man diese      auf digitale Art und Weise. So erhal-
der Wiener Augenklinik 50- bis 60-mal     Flüssigkeit vertreiben und dann die     ten wir digitale Bilder von der Netz-
pro Tag. Sie können hochrechnen,          Netzhaut wieder trocken machen.         haut von Millionen von Patientinnen
wie oft wir das im Jahr machen.           Das heißt, es ist eine Therapie, die    und Patienten, die wir auswerten
Und in Österreich waren es im Jahr        gesteuert wird von Bildern. Und das     – und das vor allen Dingen für klini-
2016 80.000 Injektionen. Heute sind       sind sehr hochauflösende Bilder.        sche Studien. Und deswegen sind die
wir s­ icher allein in Österreich schon   In den klinischen Studien, die all      klinischen Studienergebnisse auch so
bei einer halben Million Injektio-        diese neuen Therapien eingeführt        besonders gut.
nen in Augen von Patientinnen und         haben, sieht man, dass hier der         In der wirklichen klinischen Routine
­Patienten, die sonst aufgrund ihrer      ­Visus-Gewinn besonders hoch ist.       aber sitzen Millionen von Augenärz-
 Netzhauterkrankung erblinden wür-         All diese Patientinnen und Patienten   tinnen und Augenärzten in ihren
 den. Das ist auch der sogenannte          sahen deutlich besser, nachdem sie     abgedunkelten Ordinationen, erzeu-
 „biggest budget drain in medicine“,       behandelt wurden, aber eben nur in     gen Hunderte und Aberhunderte
 weil diese Antikörper natürlich sehr      Studien. In der „wirklichen Welt“ –    von Bildern. Aus diesen versuchen
 viel Geld kosten und weil man sie         und die wirkliche Welt ist halt eine   sie dann abzuleiten, ob die Patientin
 nur dann injizieren will, wenn es         millionenfache – sind die Ergebnisse   oder der Patient jetzt eine Behand-

                           ÖAW                                                                                          15
URSULA SCHMIDT-ERFURTH

lung braucht, ob eine Erkrankung             möchte ich am Ende des Vortrags           den wir das jetzt auf diagnostische
vorliegt, ob er oder sie frisch erkrankt     auch noch einmal kurz zurückkom-          Bilder an. Wie machen wir das? Im
ist, ob die Erkrankung schon älter ist,      men. Das Sehen an sich ist ja nichts      OPTIMA-Labor kann man automa-
ob sie chronisch ist, ob die Prognose        anderes als Bilderkennung. Wenn           tisch segmentieren, man kann die
gut oder schlecht ist. Sie sind damit        ein Baby geboren wird, wenn ein           pathologischen ­Läsionen quantifizie-
relativ hilflos. Zu viele Fälle, zu ­viele   Mensch geboren wird, hat er keine         ren. So etwas war bisher überhaupt
OCT, die Technologie geht immer              Vorstellung davon, was er sieht. Die      nicht möglich. Natürlich können aus
weiter. In der Zwischenzeit erzeu-           Verknüpfung zwischen dem, was der         Tausenden von ­Daten auch Krank-
gen die Scans nicht nur 60 Millionen         optische Eindruck ist, und dem, was       heitsmuster erkannt werden, und
Pixel, sondern 400 Millionen Pixel           das Bild wirklich bedeutet, entsteht      damit kann die Patho­genese von Er-
in 1,4 Sekunden. Das kann natürlich          erst durch das Lernen im Gehirn. So       krankungen viel besser verstanden
ein Mensch auch mit einem ge­übten           kann man das, was wir mit der arti-       werden. Es können ­prognostische
Auge nicht gut auswerten Und viele           fiziellen Intelligenz machen und mit      Aussagen gemacht werden, und
dieser Daten werden gar nicht ge-            diesen neuronalen Netzwerken und          wir können verstehen, welche Ver-
nützt. Obwohl es viele Publikationen         Filtern differenzieren, eigentlich        änderungen in der Netzhaut dann
und immer mehr Einsichten gibt, ist          genau gleichsetzen mit dem, was           überhaupt zu funktionellen Ver­
das Problem der Datenflut nicht ge-          ­visuelle Wahrnehmung in der phy-         änderungen führen. Dafür habe ich
löst. Vielleicht brauchen wir doch            siologischen Welt bedeutet.              2013 das „­Christian-Doppler-Labor
„a little help from our friends“ und          Das heißt, es entsteht irgendwo          für ­Ophthalmologische Bild­analyse“
etwas, was zumindest Google-Style             ein Bild, das aus Bilddaten besteht.     gegründet. Wir sind also schon
ist. Google ist ein Spezialist und hat        Und diese Bilddaten werden dann          ­sieben Jahre aktiv in diesem Labor,
mit der Bilderkennung angefangen.             über die Sehbahn und über diverse         mit sehr gescheiten Menschen aus
Der Begriff „ImageNet“ ist Ihnen              ­neuronale Filter im Kopf jeder Be-       aller Welt, die alle entweder eng-
vielleicht bekannt. „ImageNet“ ist             trachterin und jedes Betrachters ins     lisch miteinander sprechen oder gar
eine riesige Bilddatenbank, die von            Gehirn geschickt. Im Gehirn sind         nicht. Wenn man in das große Labor
der Universität Stanford initiiert             31 Zentren gleichzeitig online da-       hineinkommt, tippt jeder etwas in
wurde. Dazu wurden in den Jahren               mit verbunden, Bildverarbeitung zu       seinen Laptop. Und dann sage ich:
2009 bis 2015 viele nicht akademische          machen. Des­
                                               ­              wegen bin ich ­immer      “Why don’t you guys talk to each
Bildmacher und Computerfreaks                  dafür, die künstliche Intelligenz        other?” Und dann schauen sie mich
eingeladen, Bilder zu schicken und             gar nicht künstliche Intelligenz zu      an und sagen: “But that’s what we
diesen Bildern gleichzeitig ein Label          nennen. Sie ist eine etwas ­billigere    are doing.” Weil sie, obwohl sie im
zu geben. Darauf beruht die Bilder-            ­Kopie von dem, was an biologi-          selben Raum sitzen, sich nur digital
kennungsweisheit von Google größ-               scher Intelligenz ohnehin schon bei     unterhalten, das sei nämlich effizien-
tenteils, und auf dieses „ImageNet“             der Bilderkennung stattfindet. Wen-     ter, sagen sie. Und das stimmt auch,

                             ÖAW                                                                                            16
URSULA SCHMIDT-ERFURTH

weil sie in der Zwischenzeit schon
sehr viele schöne Algorithmen ent-
wickelt haben.
Einer dieser Algorithmen, der wahr-
scheinlich wichtigste, ist der, den wir
jetzt in die klinische Routine brin-
gen werden. Er schaut sich an, was
Flüssigkeit in der Netzhaut macht.
Diabetes, feuchte Makuladegenera-
tion, Gefäßverschlüsse verursachen
Flüssigkeit in und unter der Netz-
haut, unter dem Sehpigment und
diverse andere exsudative Verände-
rungen. Und das ist eine Netzhaut,
die nicht mehr funktionieren kann
und das Sehen verliert und die be-
handelt werden muss. Zum richtigen
Moment. Jetzt kann die ­Augenärztin
oder der Augenarzt wie gesagt d   ­ iese
vielen kleinen Zysten, im OCT als
rote Kugeln erkennbar, gar nicht
alle durchzählen. Das sind nämlich
jeweils mehrere Hundert, und von
solchen Patientinnen und Patienten         Abb.: Schmidt-Erfurth, U., Sadeghipour, A., Gerendas, B.S., Waldstein, S.M., Bogunovic,
sieht man je ungefähr 80 bis 90 am         H., 2019. Artificial intelligence in retina. Progress in Retinal Eye Research 67, 1–29.
Tag. Es braucht also ein kluges Sys-
tem, das diese Information über die
Flüssigkeit herauszieht. Dafür haben       mehr markiert werden muss und bei             Encoder-Decoder-Architecture oder
wir Algorithmen entwickelt, die auf        der die braven, fleißigen Lieschen im         eine U-net-Architecture, das ist in
Deep Learning basieren. Das nennt          Reading Center gar nicht mehr dort            der Zwischenzeit ein Standardbegriff
man dann End-to-End-Learning,              sitzen und „Malen nach Zahlen“                im Deep Learning geworden –, wo
und das ist der besonders „fancy“          auf jedem Scan durchführen müs-               Veränderungen in Form von Flüssig-
Teil von Deep Learning oder Bild­          sen. Sondern dieser Algorithmus er-           keit in der Netzhaut sind. Er kann sie
analyse, bei der nämlich gar nichts        kennt selbst – über eine sogenannte           lokalisieren und auch quantifizieren.

                            ÖAW                                                                                                 17
URSULA SCHMIDT-ERFURTH

Diese Art der artifiziellen Intelligenz,   Algorithmus ein Ranking gemacht         nicht nur die Morphologie, sondern
des Deep Learning in der Medizin           werden, und das zeigt uns, welche       auch die Funktion an.
wurde 2015 entdeckt, das heißt, da         Art von Flüssigkeit überhaupt die       Das macht nun vieles möglich. Wir
waren wir schon zwei Jahre in diesem       rele­vante für das Sehvermögen ist:     können nämlich voraussagen, wie oft
Bereich aktiv und sonst niemand,           nämlich die „intraretinal fluid“, wie   eine Patientin oder ein Patient behan-
das können wir mit Stolz ­sagen. Da        man im Ranking der 20 wichtigs-         delt werden muss. Ich habe bereits
­waren wir die Pioniere. Das wurde         ten Ursachen sieht. Dieses Ranking      gesagt, das sind alles lebenslange
 benannt als eine der “worldchanging       geht noch viel weiter, weil die Bild­   Behandlungen, die auch sehr teuer
 ideas which will change and improve       analyse natürlich sehr viele Para-      sind. Allein an der Augenklinik am
 the world – and not only healthcare”.     meter findet. Was wir damit gezeigt     AKH geben wir drei Millionen Euro
 Was haben wir mit diesem Algorith-        haben, ist, dass nur die Flüssigkeit    im Jahr nur für diese Medikamente,
 mus lernen und zeigen können? Wir         in der Netzhaut wichtig ist. Das ist    diese Antikörper, aus – ein großer
 haben zeigen können, dass bei all die-    dummer­weise gerade die, die mit so     Teil des Budgets. Und das wollen wir
 sen Erkrankungen, wie diabetische         vielen Zysten vorkommt und von der      natürlich sinnvoll verwenden, und
 ­Makulopathie, choroidale Neovas-         Ärztin, vom Arzt besonders schlecht     wir wollen das so machen, dass so
  kularisation und Gefäßverschlüssen,      quantifiziert und überhaupt entdeckt    viel behandelt wird wie nötig, aber
  häufig bei allen Gesellschaftserkran-    werden kann. Wir haben auch ge-         so wenig wie möglich, „pro re nata“
  kungen, hier Flüssigkeit in der Netz-    zeigt, dass man nur, wenn man diese     also. Bisher war es nicht möglich, das
  haut in kleinsten Mengen gemessen        intraretinale Flüssigkeit misst, dass   genau zu bestimmen. Der Algorith-
  werden kann. Wir haben gezeigt,          100 Nanoliter – wir sind wirklich in    mus kann es aber, der Algorithmus
  dass die „area under the curve“, das     einem klitzekleinen Labor hier in der   ist hier auch besser als der Mensch.
  heißt die Präzision, hier bei 96 Pro-    Makula – zu einem Sehverlust von        Somit können wir natürlich unser
  zent liegt. Das ist wahnsinnig hoch,     vier Buchstaben auf einem standardi-    Wissen über die Erkrankung deutlich
  denn wir befinden uns hier in einem      sierten Sehtest führt. Vergleicht man   erweitern und damit auch die Behand-
  menschlichen Mikrouniversum.             den tatsächlichen Visus, der am         lung. Und wir können der P   ­ atientin
  Wir haben das außerdem auch in           leben­den Patienten gemessen wor-       oder dem Patienten auch sagen,
  der Auswertung verknüpft, indem          den ist, und das, was der Algorith-     was sie beziehungsweise er für eine
  wir geschaut haben, welche Art von       mus misst, sieht man, wie eindrück-     ­Prognose hat. Das ist in der ­Medizin
  Flüssig­keit sich findet. Wo ist diese   lich genau der Algorithmus – wenn        ja immer ganz besonders wichtig. Vor
  Flüssigkeit in diesem kleinen Bereich    er nur die Netzhautbilder vorlie-        allen Dingen, wenn es sich um so eine
  genau, diesen zentralen 1,5 Milli­       gen hat und die Patientin oder den       lebenslange Behandlungs- und Be-
  metern der Netzhaut, und zu wel-         Patien­ten nie gesehen hat – sagen       treuungsaufgabe handelt.
  chem Zeitpunkt befindet sie sich         kann, wie deren oder dessen Sehver-      Was wir als Letztes gemacht haben,
  dort? Dann kann mit einem anderen        mögen ist. Das heißt, er schaut sich     war eine ganz große Studie, die soge-

                            ÖAW                                                                                         18
URSULA SCHMIDT-ERFURTH

 nannte AREDS-Studie. Bei ihr wur-        auf die kommt es an, die müssen              bieten kann, und das ist natürlich
 den diese Medikamente in einer nied-     wir messen. Die andere Flüssigkeit           allein von der visuellen Erkennung
 rigen und einer hohen Dosis gegeben      ist dagegen unter der Netzhaut und           schon ein sehr gutes diagnostisches
 und entweder monatlich ständig,          unter dem Sehpigment, das sind viel          Bild. Und jeder dieser kleinen Flüssig-
 was natürlich in der „normalen Welt“     größere Poolings, aber für das Sehen         keitseinschlüsse ist unter fünf Mikro­
 unbezahlbar und undurchführbar ist,      nicht relevant, wie wir gezeigt ha-          meter groß, also wirklich winzig
 oder nach einer „loading dose“ drei-     ben. Mit diesen Studiendaten und             klein. Wir haben das in dieser ­Studie
 mal injiziert, dann nur nach Bedarf.     dem entsprechenden Follow-up                 aufgrund des großen Daten­sets ge-
 Nämlich dann, wenn Flüssigkeit in        konnten wir demonstrieren, dass die          nau messen können. Wir ­sehen, dass
 der Netzhaut war. Wenn man be-           intra-­retinale Flüssigkeit auf die ­erste   unser Algorithmus sehr genau misst.
 denkt, dass das 1.097 Patientinnen       ­Injektion hin bereits verschwindet          Er erkennt hier nämlich sehr genau,
 und Patienten sind und dass diese         und dass wir das auch noch genau            dass dort, wo die Dosis geringer ist,
 1.097 Personen über zwei Jahre jeden      messen können.                              auch mehr Flüssigkeit übrig bleibt,
 Monat so ein OCT bekommen haben,          Ich möchte noch einmal darauf               das heißt, es ist wesentlich effizien-
 dann endet man bei 25.300 Volumen­        hinweisen, dass es sich hier um             ter, wenn man die Dosis erhöht. Und
 scans, die Millionen von Pixeln           ­Nano­liter handelt. Es ist ja in der       vor allen Dingen kann man, wenn
 ­haben, und man endet bei 3,1 Millio­      Medizin kaum einmal so, dass man           man die Frequenz der Wiederbe-
  nen von Einzelbildern, also einer         so kleine Ver­änderungen im Ge­webe        handlung erhöht, wesentlich effizien­
­riesigen Menge.                            auch wirklich messen kann. Dann ist        ter behandeln. Es geht natürlich in
  Damit man überhaupt über den Zeit-        es die Flüssigkeit unter der Netzhaut,     diesem großen ­   Pharma-Markt, wo
  verlauf ein Follow-up machen kann,        auch sie geht weg unter ­Therapie. Es      es sehr viele Produkte gibt und sehr
  braucht es wieder einen ­    anderen      ist sehr viel mehr Flüssigkeit unter       viele ­Substanzen, die alle wahnsin-
  Algorithmus, nämlich zur Registrie­       der Netzhaut vorhanden. Für die            nig viel kosten, darum, dass man das
  rung, sodass man wirklich von             Sehschärfe ist sie aber nicht wich-        bestmögliche Medikament identifi-
  Unter­suchung zu Untersuchung             tig. Und das, was ­viele Kolleginnen       ziert. Das kann man auf diesem Wege
  und auch zwischen den Patientinnen        und Kollegen in der Welt auch noch         machen. Jetzt ist, wenn die Netz-
  und Patienten die Bilder genau über­      behandeln, ist Flüssigkeit unter dem       haut schon so mit Flüssigkeit über-
  einanderlegen kann. Auch das ist gar      Sehpigment. Man sieht aber in der          schwemmt ist, eigentlich das Kind
  nicht so trivial. So bekommt man ein      Messung, das kann man gar nicht            schon in den Brunnen gefallen. D ­ iese
  dreidimensionales Volumen, und            wegbehandeln. Da ist man sehr              Menschen sehen schon nur noch
  hier kann man dann die Flüssigkeit        schlecht beraten, wenn man hier            ­ungefähr zehn Prozent. Für das nor-
  in der Netzhaut, das sind eben ­diese     ­jedes Mal der Patientin oder dem           male Lesen von Buchdruck braucht
  roten kleinen Poren oder Zysten im         ­Patienten eine Spritze ins Auge gibt.     man 40 Prozent. Mit zehn Prozent
  OCT, separat erkennen. Und genau            Das ist das, was die Bildbearbeitung      kann man nicht allzu viel anfangen.

                           ÖAW                                                                                              19
URSULA SCHMIDT-ERFURTH

Man kann vor allen Dingen nicht          die voraussagen können, bei welchen       Ausstattung, früher oder später in
einmal Auto fahren oder Gesichter        Veränderungen – und die sind auch         ­jedem Fall sein Sehvermögen auf-
erkennen.                                wieder nach Häufigkeit gerankt – es        grund dieser trockenen Makula­
Eigentlich ist die Aufgabe der Augen­    so eine feuchte Makuladegenera­            degeneration oder geografischen
ärztin oder des Augenarztes, dass        tion gibt, also jene Form, die mit den     ­Atrophie verlieren wird. Das heißt,
sie beziehungsweise er erkennt, wer      Spritzen behandelt werden muss.             es besteht hier wirklich ein ganz gro-
so eine Erkrankung entwickelt. Das       Das sind alles Veränderungen, die           ßer Bedarf, so etwas rechtzeitig zu
kann man im OCT jetzt viel besser        mit diesen Drusen, diesen Wellen im         erkennen.
voraussehen. Man kann nämlich be-        Sehpigment, zu tun haben, die sehr          Jetzt kann man das OCT noch ge­
reits in einem Stadium, in dem die       gehäuft auftreten. Wir entdecken sie,       nauer machen, nämlich mit ­Adap­tive-
Patientinnen und Patienten noch gar      indem wir den Algorithmus das ein-          Optics-Methoden. Das kennt mein
nichts merken, in dem sie noch einen     fach ganz genau nachmessen lassen.          Kollege aus der Astronomie noch
vollen Visus haben, erkennen, dass       Obwohl: Einfach ist hier gar nicht          sehr viel besser als ich. Er richtet das
im Vergleich zum normalen Auge die       einfach, weil es sich, wie gesagt,          Teleskop in das Weltall. Unser All ist
äußeren Netzhautschichten deutlich       ­immer um Millionen von Bildpunk-           die Netzhaut, und hier sieht man,
verbogen sind. Auch das sieht man         ten handelt.                               dass beim normalen Altern d        ­iese
nur im OCT. Das sieht die Augenärz-       Es lassen sich aber auch andere Ver-       grünen und roten Punkte, nämlich
tin oder der Augenarzt nicht, wenn        änderungen feststellen, die man kli-       die Stäbchen und Zapfen, schon ein
sie bzw. er ins Auge schaut.              nisch gar nicht sehen kann. Hier sind      bisschen unregelmäßig werden, aber
Wenn wir ein OCT einer feuch-             wir im subklinischen Raum. Das ist         beim pathologischen Altern zerfallen
ten Makuladegeneration von dem            gar nicht sichtbar für den Kliniker,       die Sinneszellen dann und verlassen
Algorith­mus schichtweise aufberei-       nur für das OCT-Gerät. Und hier            dann eben den Ort des Geschehens,
ten lassen, dann erkennen wir nicht       auch nur, wenn der Algorithmus das         verlassen ihre Reihe und laufen weg.
nur, dass dort viele kleine Bogen sind    heraussucht, erkennbar als ­   kleine,     Migration nennt man das.
– sie werden Drusen genannt und           helle Punkte. Diese hellen ­  Punkte       Das ist etwas Neues, das hat es vor-
sind einfach nur Ablagerungen –,          sind Sehpigment, das wegläuft,             her nicht gegeben. Kein Mensch
sondern wir sehen, dass die neurona-      wenn es krank wird, und das ist das,       hat bislang verstanden, woher die
len Schichten in der Netzhaut bereits     was das Altern an der menschlichen         Makula­ degeneration kommt, und
massiv zerstört sind. Das ist eine        Netzhaut macht. Daraus entwickelt          durch diese künstliche Intelligenz,
wichtige Erkenntnis. Das heißt, dass      sich dann eine sogenannte geografi-        angewendet auf den hochauflösen-
die Erkrankung wesentlich früher be-      sche Atrophie. Hier ist das Alter ein      den Bildern, kommen wir der Sache
ginnt, und zwar genau dort, wo die        ganz, ganz wichtiger Faktor. Das be-       sehr viel näher. Was hat der Augen-
Netzhaut am sensibelsten ist. Dafür       deutet, dass jeder Mensch im Lauf          arzt oder die Augenärztin bisher
gibt es wieder andere Algorithmen,        seines Lebens, je nach genetischer         gemacht? Man hat sich den Augen-

                          ÖAW                                                                                             20
URSULA SCHMIDT-ERFURTH

hintergrund angesehen. Selbst solche       zellen dann der dunkle Ausfall, die         dazu verwendet, hier ganz andere
digitalen Fotos haben nur eine be-         dunkle Stelle, wo Sehen nicht mehr          Informationen herauszuziehen, die
grenzte Auflösung, bestehen nur aus        möglich ist, stattfindet.                   mit einer Augenerkrankung nichts
zwei Millionen Pixeln – oder ­Voxeln       So hat man eine wunderbare Mög-             zu tun haben. Wenn z. B. ein Augen-
in dem Fall. Was man also sehen            lichkeit, die Erkrankungspathologie         arzt, auch der größte Experte, es sich
kann, muss mindestens 100 Mikro-           wirklich sichtbar zu machen, und            ansieht, wird er sagen: „Na ja, das
meter groß sein. Das, was das OCT          überall dort, wo die Sinneszellen           ist ein Patient, er ist wahrscheinlich
sehen kann, ist fünf Mikrometer groß       weglaufen, die sich tatsächlich im          mittelalt, und es handelt sich um ein
oder sogar noch kleiner. Das ist           unsichtbaren Raum befinden, wird            rechtes Auge, das ist ganz klar, denn
­natürlich ein Quantensprung.              dann diese Stelle entstehen, an der         der Sehnerv ist auf der rechten Seite,
 Es gibt jetzt verschiedene Möglich-       die Netzhaut komplett zerstört ist          aber mehr kann ich darüber wirklich
 keiten, hier Künstliche-Intelligenz-      und auch nicht wiederkommt.                 nicht sagen.“ Wenn man den Algo-
 Algorithmen anzuwenden. Ein ­wenig        Das ist alles Ophthalmologie.               rithmus darüber laufen lässt, dann
 habe ich bereits davon erzählt. Man       Ophthal­mologie – vielleicht sagen          sagt dieser: „Dieser Mensch ist 75, er
 misst die Netzhautschichten und           Sie: „Ja, der Elfenbeinturm Medizi-         ist weiblich, er hat früher geraucht,
 da vor allen Dingen die ­neuronalen       nische Universität.“ So ist es aber         raucht jetzt nicht mehr. Das ist sein
 Schichten. Hier gibt es übrigens          nicht. Künstliche Intelligenz ist in        Blutzuckerwert, sein Blutdruck ist
 denselben Aufbau wie im Gehirn,           der M  ­ edizin durchaus schon ange-        140 zu 90, und die Wahrscheinlich-
 dieselben elf Schichten des ­kortikalen   kommen. In „Nature“ gibt es e­ inen         keit, dass er in den nächsten fünf Jah-
 Hirns, und deswegen ist die Wahr-         Artikel von Dermatologen, den               ren einen Herzinfarkt erleidet, liegt
 scheinlichkeit groß, dass man auch        ­haben sie lustigerweise „Lesions           bei 75 Prozent.“
 das neurologische oder das Gehirn­         ­Learnt“ benannt. Eben durch dieses        Vielleicht wollen wir das alles gar
 altern hier repräsentativ an den            Deep Learning ist es möglich, zum         nicht wissen, aber wenn man sich
 Netzhautschichten wird verfolgen            Beispiel allein mit einer App ein Foto    einmal mit der Idee angefreundet
 können. Man sieht, wie im Zeitver-          von einem Hautmal zu machen, und          hat, wäre es doch ganz nützlich. Das
 lauf sich diese Sehpigmente oder            der Algorithmus sagt dann mit einer       ist natürlich viel besser als jede klini-
 neuro­nalen Zellen, die Sinneszellen,       unwahrscheinlichen        Genauigkeit,    sche Expertin und jeder klinische Ex-
 bei der geografischen Atrophie auf-         die wesentlich besser ist als der Blick   perte. Das entsprechende Paper dazu
 machen und wegwandern. Wenn ein             einer Hautärztin oder eines Hautarz-      wurde publiziert, darin ist auch nach-
 Mensch nicht dazu neigt oder noch           tes, ob es gutartig oder bösartig ist.    zulesen, mit welcher Genauigkeit ge-
 nicht in diesem Stadium ist, hat er         Ein einfaches Foto vom Augenhin-          messen wird. „Predicting cardiovas-
 diese Punkte im OCT nicht. Wir kön-         tergrund wird im Moment bei uns           cular risk“ ist eine der ganz großen
 nen sie messen und dann zeigen, wie         an der Wiener Klinik und an einzel-       Anwendungen der Zukunft, hier
 durch dieses Weglaufen dieser Seh-          nen anderen ausgewählten Zentren          sind wir gerade dabei, uns mit den

                            ÖAW                                                                                               21
URSULA SCHMIDT-ERFURTH

Kardiologen kurzzuschließen. „The        matische Tool gibt es jetzt in Öster­      Tatsache, dass wir viel zu wenig
five coolest things on earth“, dazu      reich. Wir haben diesen ­Scanner           Augen­ärztinnen und Augenärzte
zählte vor sechs Monaten die Zulas-      in Zusammenarbeit mit unseren              ­haben. Nur wenn die „removed“ wer-
sung des IDX-Geräts, das ist das erste   Kolleginnen und Kollegen in Iowa            den, weiß man, was das Geschäftsmo-
autonome, voll AI-basierte diagnosti-    jetzt in den ­Diabetes-Kliniken auf-        dell ist. Das heißt gut, dass Sie mich
sche Gerät. Es gibt in keinem Bereich    gestellt. Wenn Sie eine Person ken-         noch eingeladen haben, nächstes Jahr
in der Medizin, auch nicht in der        nen, die Diabetes hat, schicken Sie         bin ich vielleicht schon eingespart.
Radiologie, auch nicht in der Patho-     sie in die Diabetes-Klinik des AKH          „We demonstrate performance that
logie, die Möglichkeit, dass ein Gerät   oder in die Rudolfstiftung oder in          reaches and exceeds that of ­experts“
ohne Arzt oder technische Hilfskraft     das ­Kaiser-Franz-Josef-Spital, dort        ist natürlich kein Abendgebet, son-
eine genaue Diagnose stellt. Und es      kann sie eine genaue Augendiagnos-          dern es ist eine ­  klare Marktansage.
ist von der FDA und der EMA zuge-        tik erhalten. Wie gesagt, sie ist bes-      Was hier in diesem Paper gezeigt
lassen. Nur dieses IDX-Gerät, eine       ser als die bei der Augenärztin oder        wird, ist der Algorithmus, er hat eine
autonome Kamera, macht Bilder der        beim Augenarzt, aber das sagen Sie          Fehlerrate von fünf Prozent. Das ist ja
Netzhaut, erkennt dann dort patho­       dort bitte nicht, denn sonst kriege         an sich auch schon nicht beruhigend,
logische Stellen – besonders bei         ich gleich wieder einen bösen Brief         denn wenn man zur Ärztin oder zum
Menschen mit Diabetes findet man         von der Ärztekammer geschickt. Die          Arzt geht, möchte man nicht zu den
diese – und kann mit einer riesigen      Ärzte­kammer sollte sich am besten          fünf Prozent gehören, bei denen die
Genauig­keit feststellen, ob jemand      nicht mit bösen Briefen aufhalten,          Diagnose falsch ist. Wenn Sie aber in
eine diabetische Retinopathie hat        sondern sie sollte dieses vor fünf          eine richtige Augenarztpraxis gehen,
und behandelt werden muss. Und           Monaten erschienene Paper wahr-
                                         ­                                           dann ­sehen Sie, wo die „Error Rate“,
auch das hat wieder gezeigt, dass das    nehmen, das von Google stammt.              die Falschdiagnoserate, in Wirklich-
wesentlich besser ist, als die mensch-   Google beziehungsweise die Ver­             keit in der „wirklichen Welt“ liegt.
liche Expertin oder der menschliche      öffentlicher des Papers zeigen hier,        Und das, so glaube ich, ist ein ziem­
Experte es jemals könnte.                dass sie 50 Diagnosen am Augen-             licher Albtraum – dass Sie bei einer
Die     menschlichen       Expertinnen   hintergrund stellen können, und sie         Augenärztin oder einem Augenarzt
und Experten im „Vienna Reading­         sagen aber: “Work removes previous          landen, wo jede vierte Diagnose falsch
Center“, das sind, glaube ich, die       barriers to wider clinical use.” Warum      ist. Als niedergelassener Mensch, als
Menschen, die sich am meisten in         kommen zum Beispiel in Österreich           niedergelassene Augenärztin, zumin-
ihrem Leben bereits mit Bildern von      nur 15 Prozent aller Menschen mit           dest jeden zweiten Donnerstag im
diabetischen    Augenhintergründen       Netzhauterkrankungen         rechtzeitig    Monat, muss ich mich dem Eindruck
haben herumschlagen müssen; und          in die Augenarztpraxis? Das ist die         leider anschließen.
trotzdem sind sie wesentlich schlech-    klinische Barriere des „wider use“, es      So, das ist jetzt, während wir darüber
ter als der Algorithmus. Das auto-       sind die Augenarzttermine, es ist die       sprechen, alles schon kalter Kaffee,

                          ÖAW                                                                                            22
URSULA SCHMIDT-ERFURTH

denn jetzt machen wir „­Unsupervised       sichtsspielraum kann durch d      ­iese    Ich habe „ImageNet“ gesagt. „Image-
Learning“, das heißt, da trainieren        „­Unsupervised“-Methoden          noch     Net“, die Bilderkennung, gibt es
wir den Algorithmus gar nicht, wir         wesent­   lich erweitert werden, und       schon länger. Das hier ist Gesichtser-
sagen dem Algorithmus nicht, was in        dass das alles ziemlich „unlimited“        kennung. Gesichtserkennung ist das
der Netzhaut falsch ist, sondern wir       ist, ist, so glaube ich, klar geworden.    Stichwort aus der künstlichen Intel-
lassen ihn selbst suchen. Das ist natür-   Wir haben ein wenig allgemein darü-        ligenz, das besonders häufig in den
lich noch wesentlich besser, weil wir      ber publiziert. Das können Sie, wenn       allgemeinen Medien auftaucht. Die
alle natürlich an der Lehrmeinung,         Sie möchten, auch lesen. „­Artificial      US-amerikanische Armee hat bereits
der alten Schulmedizin, hängen und         Intelligence in Retina“ ist letztes        1991 Gesichtserkennung durchge-
nur bestimmte Dinge wahrnehmen.            Jahr bei PRER herausgekommen.              führt. Das ist schon etwas länger her.
Man sieht ja nur das, was man weiß.        Hier werden die Methoden erklärt           Sie sehen, das Interesse geht schon
In der Wissenschaft ist das ein wich-      und das, worum es geht. Ich denke,         weit zurück und kommt natürlich
tiger Punkt. Viele Dinge wissen wir        eigent­lich sollte jede Patientin und      sehr deutlich aus dem militärisch-­
nicht, weil wir sie nie gesehen haben.     ­jeder Patient das im Warteraum in         industriellen Komplex. Jetzt ist das
Da lassen wir jetzt den Algorithmus         die Hand gedrückt bekommen, da-           alles wesentlich weiter fortgeschrit-
die Bilder an­  schauen und Muster          mit sie und er weiß, wo die Medizin       ten. Es gibt natürlich sehr viel mehr
erkennen. „­Unsupervised Learning“          eigentlich schon sein könnte – näm-       Bilder. Das ist „face recognition now
heißt das also. Das wollen wir jetzt in     lich in einer Evolution von immer         here and there in the US, and ­China”.
die Klinik einfädeln, wir machen es         besserer Entwicklung. Ob das beim         Und alle Systeme, die sich dafür
auch schon für Screenings und dann          Roboter landet, wissen wir nicht,        ­interessieren.
auch für Monitoring, das heißt, um          aber hier sind wir sicher im Moment       Im Moment findet in der „­Fondazione
die Behandlung zu steuern, um es            schon angekommen und die Evolu­           Prada“ in Mailand eine großartige
vollautomatisch zu benutzen – das           tion lässt sich ja bekanntlich nicht      Ausstellung statt, von Trevor ­Paglen
geschieht individuell und ist nicht         aufhalten. Deep learning has just         und Kate ­Crawford, die aus Stanford
nur Ärztinnen und Ärzten vorbe-             begun. Das ist jetzt die Aufgabe. Wir     ist. Die beiden zeigen, wie Bilder,
halten. Es geht darum, den richtigen        müssen CE-Zulassungen haben. Wir          ­Gesichtsbilder, von normalen Men-
­Patienten bzw. die richtige Patientin      müssen ein Decision-Support-Sys-           schen in dieses ­System eingegeben
 zur richtigen Zeit mit der richtigen       tem schaffen, damit die Ärztin und         wer­ den können – „ImageNet“-Ge­
 Therapie zu behandeln. Das müs-            der Arzt es verwenden und besser           sichts­erkennung. Wie ist „­ImageNet“
 sen wir machen, weil in der moder-         werden können. Und wir müssen das          wirklich entstanden? “Through the
 nen Medizin sonst die Budgets sehr         möglichst evidenzbasiert ­machen.          Crowd-­Sourcing Service of ­Amazon,
 schnell ausgelaufen sind.                  Damit auch geglaubt wird, was der          Mechanical Turk. They earned
 Ob das „superhuman“ ist? Man               Algorithmus sieht, darf das kein           ­pennies for each ­photo they labeled,
 muss es fast vermuten, ja. Unser Ein-      Blackbox-Algorithmus sein.                  scanning through ­hundreds of texts

                            ÖAW                                                                                           23
Sie können auch lesen