STADT GEMEINDE UND - Deutscher Städte- und Gemeindebund
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STADT 02/2021 UND GEMEINDE DIGITAL UND ERWARTUNGEN AN DIE BUNDESPOLITIK IN DER NEUEN LEGISLATUR Themenschwerpunkte aus kommunaler Perspektive
Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, Berlin Lassen Sie uns gemeinsam Denkmale erhalten! Spendenkonto IBAN: DE71 500 400 500 400 500 400 BIC: COBA DE FF XXX, Commerzbank AG www.denkmalschutz.de
GESELLSCHAFT ZUSAMMENHALTEN WENIGER VERSPRECHEN – MEHR UMSETZEN In Deutschland hat der Bundestags- nen Regionen, dem Ausbau der al- wahlkampf begonnen. Die Parteien ternativen Energien mit Beteiligung werben mit ihrem Programm um der Kommunen an der Wertschöp- die Zustimmung der Wählerinnen fung bis hin zur Erneuerung der und Wähler. Da wird viel verspro- oftmals schlechten Infrastruktur. chen und angekündigt, was den Realitätstest kaum bestehen kann. Das wird nur gelingen, wenn wir Vor der Illusion, der Staat könne weniger versprechen und mehr alles regeln und habe unbegrenzte umsetzen sowie die überbordende Ressourcen, kann man nur warnen. Bürokratie, die vieles zu kompli- Entscheidend kommt es darauf an, ziert, zu langsam, zu teuer und zu die Gesellschaft zusammenzuhal- umständlich macht, ernsthaft ab- ten, die Menschen mitzunehmen bauen. und zu überzeugen. Ihr Die schönste Zukunftsperspekti- ve überzeugt nicht, wenn das Le- ben vor Ort nicht besser, sondern schlechter wird. Deswegen wird es Dr. Gerd Landsberg entscheidend darauf ankommen, die kommunale Daseinsvorsorge nachhaltig zu verbessern. Das geht von gut ausgestatteten Schulen, besserer Kinderbetreuung, einem funktionsfähigen öffentlichen Per- sonennahverkehr auch in abgelege- Stadt und Gemeinde 02/21 3
INHALT 02| 2021 KOMMUNALE HERAUSFORDERUNGEN IN DER NEUEN LEGISLATURPERIODE Präsident Ralph Spiegler & Hauptgeschäftsführer Dr. Gerd Landsberg Seite 05 KEINE KLIMANEUTRALITÄT OHNE LÄNDLICHE RÄUME Seite 10 MEDIZINISCHE VERSORGUNG SICHERSTELLEN Seite 13 INNENSTÄDTE STÄRKEN Seite 15 KOMMUNALFINANZEN IN DER CORONA-KRISE WEITER STÜTZEN Seite 18 PERSPEKTIVEN DER VERBANDSPOLITIK Interview mit Präsident & Hauptgeschäftsführer Steffen Jäger (GT Baden-Württemberg) und Hauptgeschäftsführer Christof Sommer (StGB Nordrhein-Westfalen) Seite 22 WORLD CLEANUP DAY 2021 von Philipp Kardinahl Seite 26 STÄDTE ALS ARCHE FÜR BEDROHTE TIERE & PFLANZEN von Julia Sander Seite 30 DEUTSCHER BUNDESWEHRVERBAND Interview mit Oberstleutnant André Wüstner Seite 32 VERBESSERUNG DER FINANZIELLEN BETEILIGUNG DER KOMMUNEN AN DER WERTSCHÖPFUNG VON EE-ANLAGEN Seite 34 EU-KLIMATAXONOMIE Seite 37 ÜBERALTERUNG IN EUROPA Seite 41 SERIE: GRUNDSTEUERREFORM DER BAYERISCHE WEG von Hans-Peter Mayer, Bayerischer Gemeindetag Seite 44 INNOVATIVES ZAHLEN IN BEHÖRDE & CO. von Anne Ausfelder Seite 49 STUDIE ZU DIVERSITÄT IN KOMMUNEN VERÖFFENTLICHT von Franziska Morgner & Lena Deser Seite 52 Weitere BRÜSSELER GERÜCHTE – FOLGE 42 Seite 54 aktuelle Infos BUCHBESPRECHUNGEN jederzeit unter Seite 56 IMPRESSUM & INHALT www.dstgb.de Seite 04 IMPRESSUM ZEITSCHRIFT DES DEUTSCHEN STÄDTE- UND GEMEINDEBUNDES, BERLIN |BONN | BRÜSSEL Redaktionsanschrift: Herausgeber: DStGB Redaktionsteam: Stadt und Gemeinde Digital Dienstleistungs-GmbH Alexander Handschuh Marienstraße 6, 12207 Berlin Verantwortlich für den Inhalt: Dr. Janina Salden Telefon: 030/773 07-228 Dr. Gerd Landsberg Kristin Schwarzbach Fax: 030/773 07-222 Uwe Zimmermann Kristine Stüvecke Email: birgit.pointinger@dstgb.de Birgit Pointinger Internetpräsenz: www.dstgb.de Anzeigenredaktion: kristin.schwarzbach@dstgb.de Grafik & Satz: DStGB alexander.handschuh@dstgb.de Dienstleistungs-GmbH Titelbild: Groß: © kameraauge- Fotolia | Kleine Bilder v. l.: © Matthias - stock.adobe.com | Andreas Gruhl - stock.adobe | ipopba - stock.adobe Diese Seite v. l.: © levelupart - stock.adobe.com | joey333 - Fotolia.de | Hyejin Kang - stock.adobe.com 4 Stadt und Gemeinde 02/21
BUNDESPOLITIK Foto: © levelupart - stock.adobe.com KOMMUNALE © TARA Ingenieurbüro NordWest GmbH Co. KG HERAUSFORDERUNGEN IN DER NEUEN LEGISLATURPERIODE Von DStGB-Präsident Ralph Spiegler + DStGB-Hauptgeschäftsführer Dr. Gerd Landsberg I n Deutschland hat der Bundes- mittelbar gegenüber. Die kommu- völkerung erfüllen können. Bei der tagswahlkampf begonnen. Die nalen Vertreter bekommen so die Gestaltung von Zukunftsperspekti- Parteien werben mit ihren Pro- positiven Resonanzen direkt mit, ven stehen die Themen Finanzen, grammen um die Zustimmung der stehen aber vielfach auch vor der Wirtschaft und Klimaschutz im Wählerinnen und Wähler. Natur- Herausforderung, mit allem Frust Zentrum der aktuellen Debatten. gemäß werden dabei viele Verspre- gegenüber Bundes- und Landespo- chungen und Ankündigungen for- litik konfrontiert, aber auch asso- FINANZEN: ZWEITER muliert, deren Umsetzung in den ziiert zu werden. In der Pandemie RETTUNGSSCHIRM FÜR DIE nächsten vier Jahren erst noch den haben sich die Kommunen nicht KOMMUNEN ERFORDERLICH Realitätstest bestehen muss. Dabei zuletzt als Krisenmanager bewährt. sollte nicht vergessen werden: Wah- Das Vertrauen in die Bürgermeis- Die Finanzlage der Kommunen ist len gewinnt man nicht in Berlin terinnen und Bürgermeister ist weiter dramatisch, obwohl die Wirt- oder in den Landeshauptstädten, deutlich gestiegen. Gleichzeitig schaft wieder wächst. Die Steuer- sondern immer nur durch Überzeu- wird auch immer wieder deutlich, schätzung von Mai dieses Jahres pro- gungskraft vor Ort. Die Menschen dass die Erwartungen an eine bes- gnostiziert für 2021 ein kommunales wollen wissen, was sich vor Ort in sere kommunale Daseinsvorsorge, Defizit von 9,5 Mrd. Euro und für ihrer Kommune und in ihrem per- bessere Schulen, mehr Kita-Plät- 2022 ein Defizit von 10,4 Mrd. Euro. sönlichen Leben zum Besseren ze, gute Straßen, Wege und Plätze wenden wird. sowie mehr Klimaschutz steigen. Auch die kommunale Altschul- Deshalb wird es entscheidend dar- denfrage ist nach wie vor ungelöst. Beim politischen Realitätscheck auf ankommen, ob die Kommunen Gleichzeitig hat sich der kommu- stehen die Städte und Gemeinden diese Herausforderungen meistern nale Investitionsrückstand auf 149 den Bürgerinnen und Bürgern un- und die Zukunftswünsche der Be- Mrd. Euro erhöht. Stadt und Gemeinde 02/21 5
BUNDESPOLITIK Nach längerer Zeit der Entbehrungen haben die Menschen jetzt zurecht hohe Erwartungen an die kommunalen Strukturen der Zukunft, an kommunale Daseinsvorsorge, Schulen, mehr Kita-Plätze, gute Straßen, Wege und Plätze und Klimaschutz. Es wird nun entscheidend darauf ankommen, ob die Kommunen die Zukunftswünsche der Bevölkerung erfüllen können.“ DStGB-Präsident, Bürgermeister Ralph Spiegler Deswegen muss die neue Bundes- einandergeht. Diese Aspekte, die 500 Mrd. Euro die Auswirkungen regierung alsbald einen zweiten auch für die Gestaltung gleichwer- der Krise abgefedert. Jetzt muss es kommunalen Rettungsschirm in tiger Lebensverhältnisse eine zent- darum gehen, den wirtschaftlichen Abstimmung zwischen Bund und rale Rolle spielen, müssen in der zu- Neustart voranzubringen. Unsere Ländern auf den Weg bringen. Das künftigen Koalitionsvereinbarung Innenstädte und Ortskerne – die hat im Jahr 2020 gut funktioniert ein zentraler Schwerpunkt sein. Visitenkarten jeder Kommune – und den Kommunen maßgeblich drohen zu veröden. Es besteht die geholfen. Nur mit dieser Unterstüt- WIRTSCHAFT STÄRKEN, Gefahr, dass über 120.000 Einzel- zung werden wir in der Lage sein, DIGITALISIERUNGSSCHUB handelsgeschäfte schließen und gar zu investieren, die Lebensbedin- VORANTREIBEN nicht wieder öffnen. Damit stehen gungen vor Ort zu verbessern und allein 500.000 Arbeitsplätze auf können damit auch einen Beitrag Der Staat hat durch zahlreiche dem Spiel. Hier müssen wir ener- leisten, dass die Schere zwischen Hilfsprogramme, Rettungsschir- gisch gegensteuern. Eine Situation reichen und armen Kommunen und me, Kurzarbeitergeld und andere wie vor der Pandemie kommt nicht Regionen nicht immer weiter aus- Maßnahmen im Umfang von fast zurück. Die Menschen haben die Vorteile des Onlinehandels ken- nengelernt und genutzt. 2021 lag INVESTITIONSRÜCKSTAND der Umsatz bei über 72 Mrd. Euro. HOCHRECHNUNGEN FÜR STÄDTE, GEMEINDEN & LANDKREISE Es muss jetzt darum gehen, die Angaben in Mrd. Euro Sons�ges Innenstädte und Ortskerne um- Brand- & Katastrophenschutz Informa�onsinfrastruktur 5,2 Straßen- & Verkehrsinfrastruktur zugestalten und gleichzeitig dem 10,4 Klimaschutz Rechnung zu tragen. 3,3 Sportstä�en, Bäder 33,6 Stichworte sind: Mehr Erlebnisräu- 9,2 Kultur me, mehr Kunst, mehr Handwerk, 6,4 Insgesamt mehr Kultur, Erlebnisgastronomie Wasserver- & -entsorgung 149 9,2 Mrd. Euro und auch mehr Wohnraum, aber auch mehr Grün und Wasserstruk- 16,4 46,5 turen zur Verbesserung der Aufent- Öffentliche Verwaltungsgebäude haltsqualität bei Hitze und Dürre. 9,1 Kinderbetreuung Schulen, Erwachsenenbildung Bei der Finanzierung der notwen- Quelle: KfW-Kommunalpanel 2021; Grafik DStGB 2021 digen Maßnahmen sollte der Vor- 6 Stadt und Gemeinde 02/21
schlag des Deutschen Städte- und bestehenden Defizite deutlich auf- der nur mit viel Rückenwind auch Gemeindebundes aufgegriffen wer- gezeigt. Der durch die pandemische von Bürgerinnen und Bürgern ge- den, eine Produktversandsteuer Lage ausgelöste Digitalisierungs- leistet werden kann. einzuführen. Damit könnte man schub muss weiter genutzt und die großen Plattformbetreiber, die ausgebaut werden – das fördert die Unverzichtbar ist die weite- mit ihren vielfältigen Lieferstruk- Lebensqualität und stärkt auch den re Beschleunigung des Ausbaus turen auch die Infrastrukturen der Wirtschaftsstandort Deutschland. des Glasfasernetzes, sonst wird Kommunen in Anspruch nehmen, Es gilt dringend zu verhindern, dass Deutschland im internationalen angemessen beteiligen. wir die Zeit der Corona-Krise im Wettbewerb immer weiter zurück- Hinblick auf digitale Systeme als fallen. Der Ausbau ist auch wich- Die Pandemie hat in Schulen und Ausnahmezustand betrachten und tig, weil sich die Arbeitsstrukturen Wirtschaft die Bedeutung und – gerade auch im Bildungswesen – in der Pandemie verändert haben. Wirksamkeit von digitalen Struk- nahtlos an die Zeit vor der Pande- Unternehmen, aber auch Arbeit- turen, aber auch zugleich die noch mie anknüpfen. Das ist ein Kraftakt, nehmende haben die Erfahrung ge- macht, dass Homeoffice an einigen Tagen in der Woche durchaus funk- tioniert, die Lebensqualität erhöht, STEUERSCHÄTZUNG FÜR GEMEINDEN AUSWIRKUNGEN CORONA-PANDEMIE die Produktivität nicht schmälert und die Pendlerströme reduziert. Steuereinnahmen der Gemeinden (Schätzung 05/2021) in Milliarden Euro Steuereinnahmen der Gemeinden (Schätzung 10/2019) Wenn wir dies konsequent weiter 140 Abweichung der Schätzungen entwickeln, ist das eine große Chan- 134,7 135 IST 2019 ce auch für die ländlichen Räume. 130,4 130 126,1 Das kann auch einen wichtigen 125 121,9 129,8 Beitrag leisten, die Wohnungsnot 120 114,8 117,7 122,9 in den Ballungsräumen zu reduzie- 115 116,0 ren. Wer gut von Zuhause im länd- 110 112,5 lichen Raum arbeiten kann und 107,5 105 nur zweimal in der Woche in den 100 -10,2 -9,4 -10,1 -7,5 -4,9 Ballungsraum fährt, entlastet damit 95 2019 2020 2021 2022 2023 2024 auch die Wohnsituation und schafft Wirtschafts- und Arbeitskraft in der Quelle: Bundesministerium der Finanzen; Grafik: DStGB 2021 Region. Nur mit der Unterstützung eines kommunalen Rettungsschirms werden die Städte und Gemeinden in der Lage sein, zu investieren und die Lebensbedingungen vor Ort zu verbessern. Jetzt einen wirtschaftlichen Neustart zu wagen und für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse einzustehen, werden zentrale Bausteine der Bundespolitik sein müssen.“ DStGB-Hauptgeschäftsführer Dr. Gerd Landsberg Stadt und Gemeinde 02/21 7
BUNDESPOLITIK KLIMASCHUTZ- den in kommunaler Trägerschaft. Ansatz, wenn die Jugend am Freitag BESCHLEUNIGUNG DURCH Viele gute Ansätze dauern in der für mehr Klimaschutz demonstriert NACHHALTIGE INVESTITIO- Umsetzung aber immer noch viel und am Samstag die Eltern ihre Be- NEN ERMÖGLICHEN zu lange. Wir brauchen ein Kli- denken gegen eine Windenergiean- maschutzbeschleunigungsgesetz. lage vortragen. Der Klimaschutz wird die zentra- Dazu gehören: digitale Genehmi- le Herausforderung in der neuen gungsverfahren, der Verzicht auf Mehr Klimaschutz wird es nur mit Legislaturperiode sein. Die Ent- naturschutzrechtliche Ausgleichs- deutlich weniger Bürokratie geben scheidung des Bundesverfassungs- regelungen, wenn die Maßnahme können. Die Bürokratie hemmt gerichts, die Lebensgrundlage der dem Klimaschutz dient, die Ver- Innovation, verhindert schnelle zukünftigen Generationen deutli- kürzung der Gerichtswege und Umsetzungen und fesselt auch die cher zu schützen, hat dies nochmals auch Präklusions- und Stichtags- Kommunen bei der Umsetzung von betont. regelungen, um die Verfahren zu vielen guten Vorhaben. beschleunigen. Das muss mit einer Die Klimaschutzziele müssen wir Kommunikationsstrategie verbun- Deutschland ist nach wie vor ein nicht nur beschreiben, sondern den werden. Der Grundsatz „not reiches, erfolgreiches und soziales deren Realisierung wirklich vor- in my backyard“, nach dem Motto Land. Bei allen politischen Ausei- anbringen. Die Kommunen haben „Ich bin für Klimaschutz, möchte nandersetzungen sollten wir diese hier eine Schlüsselfunktion. Das aber die Windenergieanlage nicht Gemeinsamkeit nicht aus dem Blick gilt für den Ausbau der alternati- in Sichtweite haben, den Schienen- verlieren. Die Städte und Gemein- ven Energien, die Verkehrswende, verkehr nicht hören und keine neue den werden ihren Beitrag leisten, aber auch für die energetische Sa- Busstation vor dem Haus“, muss ge- dass wir gemeinsam eine lebens- nierung von Tausenden von Gebäu- brochen werden. Es ist kein guter werte Zukunft gestalten. Zeichnung: © www.marcelbender.de 8 Stadt und Gemeinde 02/21
Fotos v.l.o.: © Hyejin Kang- stock.adobe | Sebastian Wiesen | nmann77- Fotolia | studio-busseyankushev-adobe.stock.com | darknightsky- fotolia | photowahn-Fotolia | Frank Gärtner-Fotolia.de | Andreas Gruhl- stock.adobe | Tierney- stock.adobe | Matthias- stock.adobe | maho-Fotolia.de | benjaminnolte-Fotolia.de | studio v-zwoelf | ipopba- stock.adobe | stockWERK- Fotolia | Katy Spichal- Fotolia Z- + L E F IN A N K O M M U N AIO N S K R A F T GL EIC H W ER T IGE LE BE NS - IN V E S T I T V ER HÄ LT NIS SE S TÄ R K E N VO RA NB RIN GE N S TA R K E S E D E R R E G IO NU R O P A EN IN N E N S TÄ D V I TA L IS IE R ET E + O R TS K E R N E EN N E U G E S TA LTN + S V E R FA H R EN P L A N U N G N IG E N + V E R G A - B E S C H L E U V E R E IN F A C H E N RUNG + Z U W A N D E IO N N A C H H A L T IG BERECH T BEZA HLBA REN WOHN RAUM IN T E G R A T N SCHA F F EN + BESTA ND GE S TA LT E AK T I V IEREN ERWARTUNGEN AN DIE BUNDESPOLI T IK IN DER NEUEN LEGISLATURPERIODE - T H E M E N SC H W E R P U N K TE AUS K O M M U N A L E R PERSPEK T I VE I TÄT IG E M O B IL N AC H H A LT S TA D T + L A N D FÜR EN E T A B L IE R LO K A L E N K L U M W E LT S C H IM A - + U T Z S TÄ R K E ZUKUN F TSBAU ST EIN N DIGI TALIS IERUN G F EU ER W EH R + L W IR T SCHAF T KA TA ST RO PH EN SC HU T KOM M UNA FÖ RD ER N Z S TÄ R K E N G+ E T REUUN K IN D E R B C H E B IL D U N G SOZIA LSYST EME S C H U L IS ZUKUN F TSF EST GESTA LT EN EM EI TSSYST G E S U N D H S T AU S G E S TA LT E N K R IS E N F E KOM M UNA L U N T E R S TÜ T E S E H R E N A M T ZEN Stadt und Gemeinde 02/21 9
KLIMANEUTRALITÄT KEINE KLIMANEUTRALITÄT OHNE LÄNDLICHE RÄUME Foto: © Smileus - stock.adobe.com D eutschland soll mit der No- umfassend auszuschöpfen, müssen dem Land und ländliche Räume ha- velle des Klimaschutzgeset- nicht nur einzelne, sondern alle ben seit dem Jahr 2000 ihr Bruttoin- zes bis 2045 klimaneutral Gemeinden und Regionen in den landsprodukt um knapp 50 Prozent werden. Der Weg führt über ver- Fokus genommen werden. Klar ist: gesteigert. Ihr Wachstum war damit bindliche Ziele und Emissions- Ohne die Fläche erreichen wir keine dynamischer als das der großen mengen in den einzelnen Sektoren. Klimaneutralität! Städte. Dieses Potenzial gilt es im Diese Ziele müssen durch konkre- Zuge der Gesetzgebung zum Klima- te Maßnahmen in allen Regionen KLIMAKOMPROMISS schutz zu erhalten und auszubau- umgesetzt werden. Seit Jahren und ZWISCHEN STADT + LAND en. Bei kritischer Betrachtung vor Jahrzehnten gehen viele Städte und allem im Bereich der Energie- und Gemeinden in ländlichen Räumen Die Besonderheit Deutschlands Klimawende darf jedoch die bislang beim Klimaschutz voran und setz- liegt darin, dass viele ländliche vorherrschende Tendenz nicht ver- ten maßgebliche Impulse: etwa mit Räume traditionell nicht allein schwiegen werden, dass die damit Energiedörfern bei der Energie- nachgelagerter Verbrauchsstand- verbundene Wertschöpfung eher versorgung und -einsparung oder ort, sondern nachhaltiger Produk- in die Verdichtungsräume fließt. nachhaltigen Tourismusgemeinden tionsstandort und damit ein we- Im Zuge der anstehenden Maßnah- im Fremdenverkehr. Um alle Klima- sentlicher Wirtschaftsfaktor sind. men zur Erreichung der Klimaneu- schutzpotenziale in Deutschland Die Hälfte der Bevölkerung lebt auf tralität gilt es deshalb, einen fairen 10 Stadt und Gemeinde 02/21
WASSERSTOFF ALS UMWELT- FREUNDLICHER ENERGIETRÄGER Stromerzeugung Wasserstoffgewinnung Speicherung & Bereitstellung Anwendungsbeispiel durch erneuerbare Energien durch Elektrolyse für Verkehr & Industrie ÖPNV Sauerstoff Wasserstoff O Grafik: DStGB 2020 Klimakompromiss zwischen Stadt triebsgebäude unter Einsatz der müssen wir auf dem Land echte An- und Land zu finden. Anknüpfungs- ortsansässigen Dienstleister und gebote zum Umstieg auf nachhal- punkte hierfür sind die mit der des Handwerks. Durch eine Kop- tige Verkehrsträger und alternative Ansiedlung und dem Ausbau von pelung der Sektoren wird möglich, Antriebe schaffen. Die Corona-Pan- erneuerbaren Energien entstehen- dass erneuerbarer Strom produziert demie hat den ÖPNV geschwächt. de Wertschöpfung. Ein wichtiger und der Verkehr durch den Einsatz Wir brauchen ihn aber zur Errei- Schritt wurde hier gemacht, indem von Wasserstoff klimaneutral wird. chung der Klimaziele in neuen Di- die Standortgemeinden von Win- So können beim straßengebunde- mensionen, besonders in der Flä- denergieanlagen künftig steuerlich nen Güterverkehr bis hin zu kom- che. Hier hat sich in der laufenden mehr profitieren werden und eine munalen Nutzfahrzeugen wie etwa Legislaturperiode einiges getan, Wertschöpfungsabgabe erhalten Müllfahrzeugen CO2-Einsparpo- allen voran bei der Finanzierung. können. tenziale erreicht werden. Daneben Die nächste Bundesregierung muss kann der Einsatz von Wasserstoff jedoch zur besseren Verkehrsan- WASSERSTOFFWIRTSCHAFT die Wärmewende unterstützen. bindung noch deutlichere Schwer- AUFBAUEN – WERT- Denn dieser kann zum einem über punkte setzen: durch mehr Bahn- SCHÖPFUNG ERHÖHEN das örtliche bestehende Gasverteil- verkehr und die Reaktivierung von netz beigemischt werden und zum Bahnstrecken zur Anbindung der Das Thema Wasserstoff dürfte in anderen bestehende Quartiere, die vielen Mittelzentren ohne Bahnan- den kommenden Jahren die Ent- nur schwer energetisch etwa mit schluss, durch moderne Schnell- wicklung ländlicher Regionen in Wärmepumpen sanierbar sind, buskonzepte als komfortable Alter- vielen Sektoren prägen, da hier ide- CO2-neutral versorgen. native zur Schiene oder für flexible ale Voraussetzungen für den Ein- Pooling-Angebote, stets eingebettet satz dieses Energieträgers existie- KLIMAFREUNDLICHE in ein modernes und digitales Ta- ren. Nicht nur, dass überschüssige VERKEHRSANBINDUNG rifsystem. Auch muss eine bessere erneuerbare Energie in Form von VERBESSERN Taktung des ÖPNV in ländlichen grünem Wasserstoff zwischenge- Bereichen angestrebt werden. Po- speichert werde kann, sondern es Den größten Nachholbedarf beim tenzial zum Umsteigen bieten zu- können darüber hinaus regionale Klimaschutz hat der Verkehrssek- dem die bessere Verknüpfung des Wertschöpfungskreisläufe einer tor – nicht allein bei Verkehrsan- ÖPNV mit anderen Verkehrsmit- Wasserstoffwirtschaft in Gang ge- bindung, sondern auch bei der Ein- teln und der Ausbau der Radnetze. setzt werden durch Investitionen sparung des klimaschädlichen CO2. Bei der Radinfrastruktur müssen in Technik, Infrastruktur und Be- Wollen wir hier vorankommen, wir auch pragmatische Wege ge- Stadt und Gemeinde 02/21 11
KLIMANEUTRALITÄT hen. Neben straßenbegleitenden werden, um die Menschen in den ländliche Räume nicht abgehängt Radwegen und nachfragestarken betroffenen Regionen nicht zu stark werden. Nicht zuletzt muss die Schnellradwegen müssen auch finanziell zu belasten. Beschaffung kostengünstiger, kli- Land- und Forstwirtschaftswege maneutraler Fahrzeuge für den und Konzepte für sichere Mischver- Um im Energiebereich bis zum Jahr Individualverkehr auf der Klima- kehre auf Landstraßen umgesetzt 2045 klimaneutral zu werden, be- schutz-Agenda stehen. Es gilt ein werden. Auch wenn es aktuell noch darf es zudem der deutlichen Redu- angemessenes sozialverträgliches Zukunftsmusik zu sein scheint: Be- zierung von CO2 beim Energiever- Verhältnis für die CO2-Bepreisung reits jetzt müssen die Weichen für brauch und durch eine Steigerung und eine bezahlbare Individualmo- das autonome Fahren gestellt wer- der Energieeffizienz. Dies bedeutet bilität zu finden. den, da dies ein erheblicher Schub auch, die Sektorenkopplung in den für den Wohn- und Arbeitsstandort ländlichen Bereichen umzusetzen, FAZIT: MEHR MUT ZUR "Ländlicher Raum" sein kann. um somit die Energiebilanz aller Be- AKTIVEN NEUAUSRICHTUNG reiche effizienter zu gestalten. Ziel NACHHALTIGEN muss die Entwicklung eines nach- Es heißt: Mut steht am Anfang des TOURISMUS STÄRKEN haltigen Energiekreislaufs sein, Handelns – Glück am Ende. Die bestehend aus erneuerbaren Ener- mutige Umsetzung von Klima- Für viele Städte und Gemeinden giequellen, effizienter Nutzung von schutzmaßnahmen bietet für viele bildet der Tourismus eine wesent- Abwärme beziehungsweise Rest- Städte und Gemeinden die histori- liche Säule von Beschäftigung und energie, die Nutzung von KWK-An- sche Chance, diese Neuausrichtung Wohlstand. Die Umstellung auf lagen sowie des Einsatzes klima- aktiv mitzugestalten und davon im nachhaltige Angebote von der An- neutralen Wasserstoffs. Auch dies Bereich von Daseinsvorsorge und reise und der Unterkunft bis hin zu erfordert erhebliche Anpassungs- Wertschöpfung zu profitieren. Mit Freizeitaktivitäten kann den Klima- investitionen im Bereich der Ener- Blick auf den zeitlichen Rahmen, schutz vor Ort befördern. Dieser gieinfrastruktur durch die kommu- so ist dies ein Mammutprojekt, das Trend muss durch eine Nationale nalen Unternehmen. Um die damit mehrere Generationen umspan- Tourismus-Strategie gezielt fokus- verbundene Kostenbelastung bei nen wird. Nicht nur das Verhalten, siert und auf die Belange des klima- privaten Haushalten und der Wirt- sondern ganze Lebensweisen und neutralen Tourismus neu justiert schaft abzumildern, müssen die Ein- zugleich kommunale Infrastruktu- werden. nahmen aus einer CO2-Bepreisung ren werden sich ändern müssen – gezielt zu einer Entlastung etwa nicht später und irgendwo, sondern CO2-BEPREISUNG beim Strompreis genutzt werden. hier und jetzt in den Kommunen. FAIR UMSETZEN Hierfür bedarf es nachhaltiger und Und machen wir uns nichts vor: auf kluger Weichenstellungen sowie Die Umstellung auf eine nachhal- dem Land wird das Auto auf abseh- Entscheidungen des Bundes- bzw. tige Wirtschaft im Sinne der Kli- bare Zeit seinen Stellenwert nicht in der Landesgesetzgeber, die ermu- maschutzziele kann im ländlichen dem Maße verlieren, wie es in den tigen und unterstützen. So werden Raum enorme Kräfte entfalten. Je- Großstädten bereits passiert. Umso wir am Ende lebenswerte ländliche doch müssen die Lasten und Chan- wichtiger ist für die Fläche daher Räume im Interesse künftiger Ge- cen solidarisch in unserer Gesell- auch der schnelle Wandel zur Elek- nerationen erhalten! schaft aufgeteilt werden. So muss tromobilität sowie zur Mobilität mit beispielsweise der für den Ausbau grünem Wasserstoff. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien erfor- der Schnellladeinfrastruktur im Be- Der Autor: derliche Ausbau der Stromnetze reich der Elektromobilität kommt Timm Fuchs, auf Verteilnetzebene ebenfalls soli- es nun darauf an, dass tatsächlich Beigeordneter Deutscher darisch auf viele Schultern verteilt Versorgungslücken geschlosse und Städte- und Gemeindebund 12 Stadt und Gemeinde 02/21
MEDIZINISCHE VERSORGUNG MEDIZINISCHE VERSORGUNG SICHERSTELLEN Foto: © v. l.: Thomas Reimer-Fotolia.com | Robert Kneschke - Fotolia.com W ährend der Corona-Pan- Jahren viele ältere Ärztinnen und Substitutionsmodellen sowie der demie hat sich gezeigt, Ärzte in den Ruhestand gehen wer- Abbau von Bürokratie auch in länd- dass Deutschland über den. Die aufgrund der Pandemie lichen Arztpraxen, werden nicht ein leistungsfähiges Gesundheits- ergriffenen Maßnahmen sollten als ausreichen. wesen verfügt. Nicht zuletzt deshalb Bausteine und Grundlage für eine konnte das Land die Pandemie im nachhaltige Reform genutzt werden. SEKTORENGRENZEN ÜBER- Vergleich zu anderen Staaten relativ WINDEN, VERSORGUNGS- gut bewältigen. Auf Schwachstellen, Eine aktuelle Prognose der Ro- ZENTREN AUFBAUEN wie die personelle und technische bert-Bosch-Stiftung kommt zu dem Ausstattung der Gesundheitsämter Ergebnis, dass in Deutschland bis Richtigerweise sollte die Gesund- oder die Sicherstellung der flächen- 2035 fast 11.000 Hausarztstellen feh- heitsversorgung in ländlichen und deckenden Krankenhausversorgung len und damit rund 40 Prozent al- strukturschwachen Gebieten stär- wurde zwischenzeitlich mit Stär- ler Landkreise ein Problem mit der ker über Sektorengrenzen hinweg kungspakten reagiert. ärztlichen Versorgung haben wer- organisiert und dabei regionale den. Maßnahmen, wie die erhöhte Aspekte wie Erreichbarkeit, digi- Die Gesundheits- und Pflegepo- Vergütung für die Tätigkeit in länd- tale Vernetzung oder die Stärkung litik steht in den nächsten Jahren lichen Regionen („Landarztzuschlä- ehrenamtlicher Angebote in einem vor großen Herausforderungen, um ge“), die Erhöhung der Anzahl der Gesamtzusammenhang betrachtet eine wohnortnahe ambulante und Medizinstudienplätze, die Verknüp- werden. Flexible und innovative In- stationäre medizinische Versorgung fung der Zugangsvoraussetzung strumente, wie der Einsatz teleme- sowie gut ausgebaute und verlässli- für das Medizinstudium an spätere dizinischer Anwendungen, die De- che Pflegestrukturen in allen Teilen Tätigkeit in ländlichen Regionen legation von ärztlichen Leistungen des Landes zu gewährleisten und („Landarztquoten“), die Verlage- an medizinisches Fachpersonal oder damit überall eine hohe Lebensqua- rung von medizinischen Hochschu- mobile Versorgungsangebote (wie lität zu sichern und zu erhalten. Zu len oder Ausbildungsabschnitten in die „rollende Praxis“) sollen aus- diesen Herausforderungen gehö- ländliche Regionen, die Stärkung gebaut und mit dem notwendigen ren demografische Entwicklungen der Fachrichtung Allgemeinmedi- rechtlichen und finanziellen Rah- wie die Alterung der Bevölkerung zin in Aus- und Weiterbildung, die men ausgestattet werden. Das setzt und damit verbunden ein Anstieg Akademisierung der Ausbildung aber voraus, dass weitere Rahmen- der Pflegebedürftigen, aber auch nicht-ärztlicher Professionen zur bedingungen, wie die leistungsfähi- die Tatsache, dass in den nächsten Stärkung von Delegations- und ge Breitband- und Mobilfunkversor- Stadt und Gemeinde 02/21 13
MEDIZINISCHE VERSORGUNG gung sichergestellt sind. räume für verschiedene Fachdiszi- tung weiter – möglichst dauerhaft plinen. Die medizinisch notwen- –gelockert bleiben und die notwen- Die Versorgung der Bevölkerung digen Versorgungen sollen auf sich dige Infrastruktur aufgebaut wird. kann zukünftig flächendeckend ändernde Bedarfe ausgerichtet und nur sichergestellt werden, wenn die aus einer Hand ambulant und sta- PFLEGE EINBEZIEHEN Kooperation und Vernetzung der tionär erbracht werden. Termine, verschiedenen Fachdisziplinen und Therapien oder Notfallmaßnahmen Die medizinische Versorgung muss Sektoren wie Hausärzte, Fachärzte werden von zentraler Stelle koordi- gemeinsam mit der Pflege- und Al- und Krankenhäuser gelingen. Die niert. Die Finanzierung kann über tenhilfe sozialräumlich ausgerich- Krankenhäuser leisten schon heute die Einführung von sektorenüber- tet und besser abgestimmt werden. einen wesentlichen Beitrag zur am- greifenden Vergütungssystemen Die setzt voraus, dass bestehende bulanten Versorgung der Bevölke- (regionale Budgets) sichergestellt Grenzen in den einschlägigen Sozi- rung. Die ambulante Notfallversor- werden. algesetzbüchern überwunden und gung wäre ohne die Krankenhäuser die Verantwortung der Kommunen selbst in den Ballungsgebieten kaum DIGITALISIERUNG bei der Steuerung gestärkt wer- noch zu gewährleisten. Vor dem WEITER VORANTREIBEN den. Daher ist ein grundlegender Hintergrund des zunehmenden Ärz- sozialer Wandel unerlässlich. Es temangels im ambulanten Bereich Die Corona-Pandemie hat das digi- ist dringend notwendig, sämtliche kommt den ländlichen Kranken- tale Gesundheitswesen einen gro- Ressourcen und Potentiale der ver- häusern eine besondere Bedeutung ßen Schritt nach vorne gebracht. So schiedenen gesellschaftlichen Ak- in der wohnortnahen Grund- und haben über 50 Prozent der ambulant teure zu bündeln und zu vernetzen. Regelversorgung zu. Diese Grund- tätigen Ärzte Videosprechstunden Ziel ist das flexible Zusammenwir- und Regelversorgungskrankenhäu- genutzt oder wollen diese einrich- ken von generationenübergreifen- ser müssen finanziell in die Lage ten. Große Kliniken schalten ihre den Wohn- und Betreuungsformen, versetzt werden, ihren Daseinsvor- Spezialisten digital zur Unterstüt- Nachbarschaftshilfe, professioneller sorgeauftrag zu erfüllen und die zung von Visiten in kleineren Kran- Medizin, Pflege und Rehabilitation, medizinische Versorgung der Bevöl- kenhäusern hinzu. Digitale Lösun- technischer Assistenz und zivilge- kerung dauerhaft sicherzustellen. gen müssen in der medizinischen sellschaftlich getragenen Teilha- Notwendig ist, dass die Leistungen Versorgung Alltag werden. Die Vi- bemöglichkeiten im öffentlichen der Grundversorgung im Abrech- deosprechstunde ist ein effektives Raum. Um bedarfsgerechte und nungssystem einen entsprechenden Instrument, die Behandlung trotz Stellenwert erhalten, der Anreize räumlicher Distanz sicherzustellen. flexible Angebote in den Quartieren bietet, diese Aktivitäten zu verstär- Durch die vermehrte Nutzung kann schaffen und vorhalten zu können, ken. die ambulante gesundheitliche Ver- müssen die Dienstleistungen stärker sorgung, gerade in den sogenannten ausdifferenziert werden. Dies kann Statt der Schließung von Kranken- „sprechenden Fachgebieten“, insbe- nur durch ein flexibleres Sozialleis- häusern können diese in ambulant/ sondere in ländlichen Gebieten mit tungsrecht gelingen, mit dem die stationäre Zentren umgewandelt langen Fahrtwegen grundsätzlich Leistungsansprüche künftig nicht werden. In Brandenburg ist mit Mit- optimiert und die Versorgungsqua- mehr in unflexiblen Leistungska- teln des Innovationsfonds ein Kran- lität bei der Erstversorgung der Pa- tegorien, sondern als flexibel ein- kenhaus entsprechend umgebaut tienten verbessert werden. Bei der setzbare Budgetleistungen gewährt worden: Das Konzept setzt auf eine Online-Sprechstunde kommuni- werden. enge Vernetzung von Haus- und zieren Arzt und Patient über einen Fachärzten, Krankenhaus, Apothe- zertifizierten Videodienstanbieter, ken, Therapeuten und Pflegediens- der für einen sicheren technischen Der Autor: ten. Der Neubau umfasst neben Ablauf sorgt. Voraussetzung für eine Uwe Lübking, einer modernen Bereitschaftspraxis weitere Nutzung ist, dass bestehen- Beigeordneter Deutscher Untersuchungs- und Behandlungs- de Einschränkungen bei der Vergü- Städte- und Gemeindebund 14 Stadt und Gemeinde 02/21
INNENSTÄDTE STÄRKEN INNENSTÄDTE STÄRKEN NUTZUNGSVIELFALT FÖRDERN – NEUE KONZEPTE KREIEREN Foto: © fpure-life-pictures - Fotolia.com U nsere Innenstädte und Orts- Öffentliche (Innenstadt-)Plätze Folge ist, dass auch Büros und kerne sind in der Krise. Das prägen Kommunen. Innenstäd- Hotels Verlierer der Pandemie ist nicht neu. Die Coro- te sind auch Orte der Begegnung und der jüngeren Entwicklung na-Pandemie und der massiv gestie- und der Kommunikation. Sie be- sind. Sie beschleunigen den In- gene Onlinehandel wirken aber als stimmen die Lebensqualität einer nenstadtwandel. Katalysator. Speziell Textil-, Schuh- Stadt. Innenstädte sichern auch geschäfte und große Warenhäuser die Versorgung mit Waren. Diese 3. Die Krise der Ortskerne ist gerade leiden enorm. Hingegen zählen Su- erfolgt im Vergleich zum Online- für strukturschwache Kommunen permärkte, Discounter und Droge- einkauf und dem Einkauf auf der nicht neu. Hier gibt es schon lan- rien sowie Bau-, Möbelmärkte oder „Grünen Wiese“ oft viel umwelt- ge keine Läden und Ärzte mehr. Fahrradgeschäfte zu den Gewinnern. schonender. Besucherfrequenzen in den Zent- Die Bewältigung der Herausforde- ren haben ab- und Leerstände zu- rungen gehört ins Zentrum politi- 2. Der durch die Pandemie um 20 genommen. Neu ist die Dynamik schen Handelns. Zehn Thesen und Prozent auf 72 Milliarden Um- der Negativspirale: Bis zu 120.000 Forderungen: satz im Jahr 2020 gestiegene On- insgesamt zu erwartende Schlie- linehandel ist ebenso wenig um- ßungen im örtlichen Handel und 1. Innenstädte und Ortskerne sind kehrbar wie das Anwachsen von weitere Nutzungsverluste (Büros, das Gesicht einer Gemeinde; sie Heimarbeitsplätzen und die sich Hotels etc.) machen den Wandel sind Heimat und Visitenkarte. ändernden Arbeitswelten. Eine großräumiger. Stadt und Gemeinde 02/21 15
INNENSTÄDTE STÄRKEN 4. In jeder Krise liegt eine Chan- Kommunikation und Aufent- stärkere Nutzung der Digita- ce: Mehr Leerstand führt zum haltsqualität zu stärken und zu lisierung gehören dazu. Denn Rückgang der oft überteuerten Orten mit Wohlfühlatmosphäre auch für den örtlichen Handel Mieten und (Immobilien-)Prei- zu machen. Dazu bedarf es Le- gilt: Es geht nur mit und nicht se. Sinkende Preise bieten Chan- bendigkeit statt Monotonie. Zur ohne das Internet. cen für neue Nutzungen wie kleine Läden, Handwerks-, Bil- dungs- und Kultureinrichtungen (Kitas, Theater) sowie auch für ein bezahlbares Wohnen. Eine Die Rettung unserer Innenstädte liegt neue Nutzungsmischung kann Innenstädte nach Ladenschluss im Allgemeinwohl. Die Städte und wieder beleben. Dazu muss das Gemeinden sind in einer Schlüsselrolle. „Quartier Innenstadt“ gute An- gebote beim Wohnen, der Kul- tur, Gastronomie und Freizeit aufweisen und attraktive Plätze bieten. Mehr Nutzungsmischung Stärkung des örtlichen Handels 6. Auch eine qualitätsvolle Pla- beinhaltet aber auch ein Mehr an muss dieser die emotionale Seite nungs- und Baukultur macht Konfliktpotenzial. Das erfordert der Kunden vermehrt anspre- Innenstädte zu Erlebnisorten. eine Flexibilisierung, speziell chen. Freundliche und kompe- Eine gute Baukultur, die eine eine Anpassung der Immissions- tente Mitarbeiter*innen und qualitätsvolle Freiraumgestal- richtwerte der Technischen An- guter Service, ein attraktives tung einschließt, ist eine Ge- leitung zum Schutz gegen Lärm Warensortiment, Kinderbetreu- meinschaftsaufgabe der Kom- – TA Lärm. Nur so lassen sich ung und integrierte Cafés sind munen, der örtlichen Wirtschaft Nutzungskonflikte zwischen Ge- nur einige Beispiele für mehr und des Handels sowie der Ar- werbe und Wohnen lösen. Erlebniseinkauf. Auch lokale chitekten und der Immobilien- Online-Marktplätze, Produkt- wirtschaft. Kommunen stehen 5. Ziel muss sein, Innenstädte informationen, mobile Bezahl- als Planungsträger und Bauge- als Orte der Nutzungsvielfalt, systeme, Lieferdienste und die nehmigungsbehörden, als Ge- bäudebesitzer sowie als Vorbild für ihre Bürgerinnen und Bürger in einer speziellen Verantwor- ONLINE-HANDEL WÄCHST tung. Sie können über Planungs- 2008–2020 und Gestaltungswettbewerbe, Angaben in Mrd. Euro kommunale Gestaltungsbeiräte sowie durch die Umsetzung von 80 72,0 Erhaltungs-, Gestaltungs- und 70 58,5 Denkmalschutzsatzungen gute 53,6 Voraussetzungen für eine quali- 60 48,8 50 39,9 44,2 tätsvolle Baukultur schaffen. 35,6 40 32,0 30 24,4 28,0 7. Städte und Gemeinden spielen 20,2 20 15,6 als „Kümmerer“ beim Innen- 12,6 stadtwandel eine Schlüsselrolle. 10 Die Schaffung attraktiver Innen- 0 2008 ´09 ´10 ´11 ´12 ´13 ´14 ´15 ´16 ´17 ´18 ´19 2020 städte erfordert eine gute Fuß- Quelle: IFH; ohne Umsatzsteuer; Grafik DStGB 2021 gänger- und Fahrradinfrastruk- 16 Stadt und Gemeinde 02/21
tur, eine gute ÖPNV-Anbindung, nen Kommunen nicht alleine tig ist ein Mehr an Grün („Grüne aber auch eine gute Erreichbar- begegnen. Der DStGB arbeitet Lungen“) sowie Blau (Wasser) in keit mit einem möglichst emis- seit langem mit dem Handels- den Innenstädten. Die Bewälti- sionsarmen Individualverkehr. verband Deutschland (HDE) in gung dieser Herausforderungen Auch attraktive, sichere, saubere der „Allianz für Innenstädte“ macht auch eine Erhöhung der sowie barrierefreie öffentliche zusammen. Es bedarf aber auch Städtebauförderung des Bundes Wege und Plätze stärken Innen- einer Antwort auf die Frage, wie von aktuell 790 Millionen Euro städte ebenso wie ein gutes Gas- mehr Gleichbehandlung zwi- auf 1,5 Milliarden Euro nötig. Die tronomieangebot mit Außenbe- schen dem örtlich und zeitlich Mittel müssen den Kommunen stuhlung, (Wochen-)Märkte mit gebundenen stationären Handel in einfachen Antrags-, Bewil- einem Angebot regionaler Pro- und dem zeit- wie örtlich gren- dukte, Kulturveranstaltungen so- zenlos agierenden Onlinehandel ligungs- und Förderverfahren wie Treffpunkte der Kommunika- erfolgen kann. Dabei ist auch zukommen und ein Mehr an ei- tion und Spielmöglichkeiten für ein – finanzieller – Ausgleich für gener kommunaler Gestaltung Kinder. Wichtig sind auch inte- das Mehr der beim Online-Ein- ermöglichen. grierte und ständig aktualisierte kauf entstehenden Retourfahrten interkommunale Einzelhandels- (Produktversandsteuer) zu prü- Die Rettung unserer Innenstädte konzepte als Voraussetzung eines fen. Retourfahrten lösen zusätz- liegt im Allgemeinwohl. Die Städ- starken Innenstadthandels. liche Verkehrs- und Klimabelas- te und Gemeinden sind in einer tungen in den Kommunen aus. Schlüsselrolle. Viele weitere Ak- 8. Kommunen brauchen in Ab- teure sind gefordert. Auch die Po- stimmung mit dem örtlichen 10. Innenstädte müssen neben litik muss handeln: Rechtlich, tat- Handel mehr Spielraum bei der dem massiven Wandel in den sächlich und finanziell. Und zwar Gestaltung der Ladenöffnungs- Handelsstrukturen zudem zur schnell und wirksam! zeiten. Hier ist der bisher auch Schaffung bezahlbarer Wohnun- von der Rechtsprechung zugrun- gen, auch im leerstehenden Be- de gelegte „Anlassbezug“ zu eng. stand, etwa durch Programme Auch müssen alle Innenstadtak- wie „Jung kauft Alt“, beitragen. Der Autor: teure mitsamt der neuen Nach- Auch müssen Innenstädte ihren Norbert Portz, barschaften (Wohnen, Arbeiten, Beitrag zum Klimaschutz und Beigeordneter Deutscher Kultur etc.) intensiv zusam- zur Klimaanpassung leisten. Nö- Städte- und Gemeindebund menarbeiten. Zur Gestaltung des Innenstadtwandels müssen Kommunen bei Schlüsselim- STÄDTEBAUFÖRDERPROGRAMME mobilien wie leeren Karstadt/ DES BUNDES 2021 Angaben in Mio. Euro Kaufhof-Häusern einen verbes- serten Zugriff bekommen und Wachstum auch temporär in den Grunder- & werb oder in Vermietungen ge- nachhal�ge Erneuerung hen können. Ein von Bund und Ländern geförderter Innenstadt- Lebendige 290 Insgesamt 300 Zentren fonds kann hier helfen. Diesen 790 Ansatz verfolgt ein jeweils mit Mio. Euro 100 Millionen Euro gefördertes Sofortprogramm zur Stärkung 200 der Innenstädte, dass NRW und Bayern aktuell für die Kommu- nen aufgelegt haben. Sozialer Zusammenhalt 9. Der Krise der Innenstädte kön- Grafik DStGB 2021 Stadt und Gemeinde 02/21 17
KOMMUNALFINANZEN KOMMUNALFINANZEN IN DER CORONA-KRISE WEITER STÜTZEN Foto: © Hyejin Kang - stock.adobe.com D ie Corona-Pandemie und die den können; daraus folgt, dass die Das Eintreten des Bundes und der zu ihrer Eindämmung ver- Gemeinden dringend notwendige Länder für die Kommunalfinanzen anlassten staatlichen Regu- Investitionen nicht tätigen können. wurde und wird vom DStGB ganz lierungsmaßnahmen haben einen ausdrücklich begrüßt! Ein in der dramatischen Einbruch bei den KOMMUNALER öffentlichen Debatte wenig beach- kommunalen Einnahmen und zu- FINANZIERUNGSSALDO teter Sonderentlastungseffekt war gleich spürbare Mehrausgaben zur die Ende 2019 ohnehin planmäßig Folge. Dass die Kommunen als einzi- Der Rettungsschirm von Bund und ausgelaufene erhöhte Gewerbe- ge staatliche Ebene das Corona-Jahr Ländern 2020 hat wesentlich dazu steuerumlage in den westdeutschen 2020 finanziell gut überstehen und beigetragen, dass die Kommunalfi- Kommunen. Über die sogenann- zugleich ihre Investitionen weiter nanzen im vergangenen Jahr stabil te Solidarpaktumlage führten die steigern konnten, ist maßgeblich gehalten werden konnten. Her- Kommunen in den alten Ländern auf die Hilfen des Bundes und der vorzuheben sind hier vor allem die 2019 hier noch 3,4 Mrd. Euro an ihre Länder zu Gunsten der Kommunen einmalige Kompensation der Co- Länder ab. Anders formuliert: Ohne zurückzuführen. Ab 2021 und in rona-bedingten Ausfälle bei der die zuvor schon beschlossene Ab- den Folgejahren stehen den Kom- Gewerbesteuer (ca. 11 Mrd. Euro senkung der Gewerbesteuerumlage munen aber nun milliardenschwere bezogen auf die Flächenländer) so- wären die Kommunen trotz des Ret- Finanzierungsdefizite bevor. Ohne wie die dauerhafte Erhöhung des tungsschirms mit einem Defizit aus weitere Stützungsmaßnahmen für Bundesanteils an den Kosten der dem Jahr 2020 gegangen. Im letzten die Städte und Gemeinden werden Unterkunft und Heizung auf bis Jahr hätte das kommunale Finanzie- die kommunalen Haushalte nicht zu 74 Prozent (über 3 Mrd. Euro rungssaldo ohne die Sondereffekte mehr ausgeglichen gehalten wer- kommunaler Entlastungseffekt). also bei über minus 14 Mrd. Euro ge- 18 Stadt und Gemeinde 02/21
KOMMUNALER FINANZIERUNGSALDO In Mrd. € * Finanzierungssaldo abzüglich 2020er Sondereffekte: ca. 11 Mrd. € Gewerbesteuerausfall-Kompensation (einmalig), ca. 3 Mrd. € KdU-Entlastung (dauerhaft), ca. 3 Mrd. € Auslaufen erhöhte Gewerbesteuerumlage (Finanzierung Solidarpakt, dauerhaft) Kernhaushalte Quelle: Sta�s�sches Bundesamt, Bundesministerium der Finanzen, Eigene Berechnungen; Grafik: DStGB 2021 legen. Und das ist noch lange nicht nen, insbesondere in den Bereichen Ausbruch der Pandemie noch im- das Ende der Corona-bedingten Gesundheit und Digitalisierung. mer negativ sind – deutlich. Erst kommunalen Finanzmisere. Ferner muss darauf hingewiesen mit zeitlicher Verzögerung brachen werden, dass kommunale Investi- die kommunalen Investitionen STEUERSCHÄTZUNG tionen aufgrund ihrer systemim- nach der großen Wirtschafts- und manenten langen Vorlaufzeiten Finanzkrise ein und erholten sich Wie die aktuellen Ergebnisse der schon immer erst verzögert auf ex- überhaupt erst rund zehn Jahre Frühjahrssteuerschätzung zeigen, terne Schocks, wie aktuell die Coro- später ab dem Jahr 2018! Mit einer werden die Kommunen im Ver- na-Pandemie, reagieren. Dies wird Wiederholung eines solchen dau- gleich zur letzten Steuerschätzung auch bei einem näheren Blick auf erhaften Einbruchs auf kommuna- vor Ausbruch der Corona-Pande- die Entwicklung der kommunalen ler Ebene würde Deutschland seine mie sowohl in diesem als auch im Nettoinvestitionen – die im Übri- Rolle als Wirtschafts-, Forschungs- kommenden Jahr mit erheblichen gen trotz der in der Summe guten und Kulturnation in Europa und Steuermindereinnahmen in Höhe kommunalen Finanzsituation vor der Welt aufs Spiel setzen. Auch von -9 bis -10 Mrd. Euro rechnen müssen. Bis zum Jahr 2024 belaufen sich die kommunalen Minderein- STEUERSCHÄTZUNG FÜR GEMEINDEN nahmen auf über 42 Mrd. Euro. AUSWIRKUNGEN CORONA-PANDEMIE Steuereinnahmen der Gemeinden (Schätzung 05/2021) in Milliarden Euro KOMMUNALE INVESTITIONEN Steuereinnahmen der Gemeinden (Schätzung 10/2019) Abweichung der Schätzungen 140 134,7 Die kommunalen Investitionen 135 IST 2019 130,4 konnten im vergangenen Jahr trotz 130 126,1 der Pandemie gesteigert werden. 125 121,9 129,8 Die frühzeitige politische Verstän- 120 114,8 117,7 122,9 digung auf einen Rettungsschirm 115 116,0 ermöglichte es den Kommunen, an 110 112,5 107,5 ihren Investitionen weitestgehend 105 -10,2 -9,4 -10,1 -7,5 -4,9 festzuhalten und ihre Investitions- 100 planungen weiter voranzubringen. 95 2019 2020 2021 2022 2023 2024 Hinzu kamen jedoch auch zusätzli- Quelle: Bundesministerium der Finanzen; Grafik: DStGB 2021 che Pandemie-bedingte Investitio- Stadt und Gemeinde 02/21 19
Foto: © magele-picture - stock.adobe.com dem gesellschaftlichen Zusammen- Schließlich schieben die Kommu- Digitalisierung, Bildung oder Mobi- halt wäre ein Bärendienst erwiesen, nen schon heute einen massiven lität. wenn die Disparitäten zwischen Investitionsrückstand von fast 150 finanzschwachen und finanzstar- Mrd. Euro vor sich her. Hinzu kom- ZWEITER RETTUNGSSCHIRM ken Kommunen weiter zunehmen men eigentlich dringend nötige NÖTIG und die Erreichung des staatspoliti- zusätzliche Zukunftsinvestitionen schen Ziels der Gleichwertigkeit der in mittlerer zweistelliger Milliar- Zur Aufrechterhaltung der kommu- Lebensverhältnisse immer mehr in denhöhe, zum Beispiel in den Be- nalen Handlungs- und Investitions- weite Ferne rückt. reichen Umwelt- und Klimaschutz, fähigkeit sind weitere Stützungen der Kommunalfinanzen alternativlos. Neben den massiven Steuerminder- einnahmen stehen den Kommunen und ihren Unternehmen weiterhin geringere Gebühren- und Erwerbs- einnahmen durch ein geändertes Nutzerverhalten und zumindest im 1. Halbjahr 2021 weitere Einschrän- kungen im Rahmen der Pandemie ins Haus, insbesondere spürbar in den Bereichen Kultur, ÖPNV, Kitas und Schwimmbäder. Die kommuna- le Finanzlage ist schlicht prekär. Bei derart engen finanziellen Hand- lungsspielräumen werden vor allem die kommunalen Ausgaben für frei- willige Aufgaben in den Bereichen Kultur, Soziales und Sport leiden. Gleiches gilt für Investitionen, die zudem wesentlich für die Ankurbe- 20 Stadt und Gemeinde 02/21
Rettungsschirm für die Kommunal- finanzen mindestens für die Jahre Zur Aufrechterhaltung der kommunalen 2021 und 2022 aufgespannt werden. Handlungs- und Investitionsfähigkeit Dieser sollte die Corona-bedingten gemeindlichen Mindereinnahmen sind weitere Stützungen der Kommunal- bei der Gewerbesteuer sowie der finanzen alternativlos. Einkommensteuer kompensieren. Hierdurch würde die kommunale Handlungs- und Investitionsfähig- lung der Wirtschaft sind. Das sind alle Menschen geben, gleich in wel- keit erhalten werden. Dies erwarten aber genau die Ausgaben, mit denen cher Region sie leben. Es darf für die zu Recht nicht nur die Kommunen, sich die durch das Grundgesetz ab- Bildungs- und Zukunftsperspekti- sondern vor allem auch ihre dort le- gesicherte kommunale Selbstver- ven unserer Kinder keine Rolle spie- benden Bürgerinnen und Bürger so- waltung gestalten lässt und damit len, wo in Deutschland sie aufwach- wie die ortsansässige Wirtschaft. einen wesentlichen Beitrag dazu sen. Gerade in der Krise muss daher leisten, Kommunen lebenswert zu das Postulat gleichwertiger Lebens- machen. Finanzschwache Städte verhältnisse verfolgt und umgesetzt und Gemeinden würden hier beson- werden. Die Autoren: ders betroffen sein und die Schere Uwe Zimmermann, zwischen armen und reichen Kom- Sparen an der falschen Stelle würde Stellv. Hauptgeschäftsführer und munen könnte noch weiter ausein- zu irreparablen volkswirtschaftli- Florian Schilling, andergehen. Chancengerechtigkeit chen und gesellschaftlichen Schä- Referatsleiter Deutscher und Perspektiven muss es aber für den führen. Daher muss ein zweiter Städte- und Gemeindebund „1000 SCHULEN FÜR UNSERE WELT“ gebäude jedoch in einem sehr schlechten Zustand bzw. SCHON ÜBER 5 MIO. EURO AN SPENDEN gar nicht existent. Hier setzt die Gemeinschaftsinitiative „1000 Schulen für unsere Welt“ an. Die Gemeinschaftsinitiative der kommunalen Spitzen- verbände „1000 Schulen für unsere Welt“ hat den nächs- LINK VIDEO: https://www.dstgb.de/themen/ ten Meilenstein erreicht und die Grenze von 5 Mio. Euro europa-und-internationales/internationales an privaten Spendengeldern für den Schulbau in Ent- wicklungs- und Schwellenländern übertroffen. Unter LINK HOMEPAGE: dem Dach der Ende 2018 ins Leben gerufenen Initiative, https://www.1000schulenfuerunserewelt.de mit Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller als Schirmherr, konnten so bereits 143 Schulbauprojekte in 25 Ländern angestoßen werden. Davon sind 91 Projekte bereits voll finanziert und 66 Schulen wurden bereits er- öffnet. Bildung ist ein Menschenrecht und eine Schlüsselres- source für eine nachhaltige Entwicklung. Dennoch haben weltweit 250 Millionen Kinder und Jugendliche keinen Zugang zu Bildung. Die Gründe hierfür sind vielfältig, aber zweifelsfrei braucht Bildung Räume, also Schulen. In vielen Ländern des Globalen Südens sind die Schul- Besuchen Sie hierzu www.dstgb.de Stadt und Gemeinde 02/21 21
PERSPEKTIVEN DER VERBANDSPOLITIK INTE RVIE W MIT PRÄSIDENT & HAUPTGESCHÄFTSFÜHRER STEFFEN JÄGER GEMEINDETAG BADEN-WÜRTTEMBERG + HAUPTGESCHÄFTSFÜHRER CHRISTOF SOMMER STÄDTE- UND GEMEINDEBUND NORDRHEIN-WESTFALEN NEU IM AMT: PERSPEKTIVEN DER VERBANDSPOLITIK Foto: © Hurca! - stock.adobe.com © TARA Ingenieurbüro NordWest GmbH Co. KG Stadt und Gemeinde digital: Wenn Christof SOMMER: Ehrlich gesagt JÄGER: Es sind sicherlich die Be- Sie Ihre Erwartungen an das Amt nein. Das mag daran liegen, dass gegnungen mit den Menschen, die des Geschäftsführers mit der Rea- ich die Arbeit des Städte- und Ge- aufgrund der Corona-Pandemie aus- lität nach einigen Monaten im Amt meindebundes NRW schon seit fast fallen oder unter strengen Maßnah- vergleichen: Gab es größere Überra- drei Jahrzehnten kenne und schätze. men in engen Grenzen durchgeführt schungen für Sie? Wenn auch kleinere Überraschun- werden können. Vor Ort bei unse- gen erlaubt sind: Dass es so viel Spaß ren Kreisverbänden und Gremien, Steffen JÄGER: Größere Überra- macht, in einem kleinen und flexiblen den Gesprächen mit Vertretern des schungen eher weniger. Ich habe das Team zu arbeiten, das hatte ich nicht Landtags und der Landesregierung, große Glück, dass ich bereits seit erwartet. Da ist das Steuern einer anderen Verbänden oder eben auch 2014 Verantwortung beim Gemein- Stadt mit Hunderten von Beschäf- das Miteinander und der Austausch detag übernehmen durfte. Dadurch tigten schon eine andere, aber nicht in der Geschäftsstelle. Auch wenn kenne ich sowohl die Themen und minder reizvolle Kategorie. wir den Umgang mit virtueller Kom- Personen als auch die Abläufe. Inso- munikation mittlerweile gut einge- weit waren die Überraschungen seit Stadt und Gemeinde digital: Amts- übt haben, die persönlichen Begeg- Februar eher von kleiner Natur. übernahme unter Pandemiebedin- nungen fehlen. gungen: Was fehlte Ihnen in den letz- ten Wochen am meisten? 22 Stadt und Gemeinde 02/21
Es muss deshalb wieder zur gesellschaftlichen Norm werden, dass es einen Vorrang für eine am Gemeinwohl orientierte kommunalpolitische Gesamtbetrachtung gibt.“ Präsident & Hauptgeschäftsführer des Gemeindetags Baden-Württemberg seit 1. Februar 2021, Steffen Jäger JÄGER: Neue Landesregierung, Co- maßgeblich auf der örtlichen Ebe- rona, Zukunft ne. Dafür brauchen die Städte und Gemeinden dann aber die notwen- SOMMER: Rechnen, erklären, ver- digen rechtlichen und finanziellen handeln. Oder wenn ich Ihre Frage Rahmenbedingungen. Es bedarf aber auf Themen herunterbreche: Ret- auch ein Umdenken in der Gesell- tungsschirm, Rechtsanspruch und schaft. Wenn den Menschen ernst- Innenstädte. haft am Klimaschutz gelegen ist, wenn sie die Energie- und Verkehrs- Stadt und Gemeinde digital: Welches wende wirklich wollen, das Mobil- sind – neben den Kommunalfinanzen funknetz ausgebaut und zusätzliche – auf der lokalen Ebene in Ihrem Bun- Wohnungen errichtet werden sollen, desland die größten Herausforderun- dann brauchen wir ein gesamtgesell- gen und warum? schaftliches Bekenntnis zu diesen Zielen. Ein Bewusstsein, dass diese JÄGER: Neben den Finanzen und Belange des Allgemeinwohls Vor- der Bewältigung der Corona-Pan- rang vor Individualinteressen haben demie samt deren Folgen geht es müssen. Es muss deshalb wieder zur aus meiner Sicht um den gesell- gesellschaftlichen Norm werden, SOMMER: Da geht es mir wie vie- schaftlichen Kitt der Zukunft, um dass es einen Vorrang für eine am len anderen: Kommunal- und Lan- die Frage, was eine stets individu- Gemeinwohl orientierte kommunal- despolitik leben vom Austausch, eller werdende Gesellschaft noch politische Gesamtbetrachtung gibt. der Diskussion, der intellektuellen verbindet und zusammenhält. Und Sonst drohen auch künftig Verwer- Auseinandersetzung. Das ist in den da scheint mir klar: Auch bei dieser fungen und erhebliche Widerstände, vergangenen Monaten deutlich zu Herausforderung wird den Städten wenn aus abstrakten Zielen konkrete kurz gekommen. Was die Antritts- und Gemeinden eine bedeutende Rol- Zukunftsprojekte entstehen. besuche bei unseren Mitgliedskom- le zukommen. Denn letztlich wird munen, unseren Partnern und in der Demokratie für die Menschen auf SOMMER: Ich glaube, die prägen- Landespolitik angeht, habe ich noch der örtlichen Ebene erlebbar. Insbe- den Themen sind bundesweit die glei- eine Menge aufzuarbeiten. Und freue sondere die Fragen des Klimaschut- chen: Fest auf der Agenda der kom- mich darauf! zes, der Digitalisierung und auch die menden Jahre stehen fundamentale Schaffung von Wohnraum werden Veränderungen bei Verkehr, Klima- Stadt und Gemeinde digital: Drei unsere Gesellschaft und das zukünf- schutz und Digitalisierung. Hinzu Worte oder Hashtags, mit denen Sie tige Zusammenleben aber nochmals kommt der Umbau der Innenstädte Ihre aktuellen Arbeitsschwerpunkte grundsätzlich verändern. Ob die- zu Zentren für Austausch, Kultur beschreiben würden? se Herausforderungen erfolgreich und Miteinander. NRW ist außer- bewältigt werden, entscheidet sich dem in besonderem Maße mit dem Stadt und Gemeinde 02/21 23
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