Diskurs Mit mehr Transparenz zu einem gerechten Steuersystem - Juli 2009
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Juli 2009 Expertisen und Dokumentationen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik Diskurs Mit mehr Transparenz zu einem gerechten Steuersystem 2020 1
2
Studie der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung Mit mehr Transparenz zu einem gerechten Steuersystem Thomas Rixen Klaus Seipp
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung Inhalt Vorbemerkung 4 1. Einleitung 5 2. Was ist Transparenz? Und wofür braucht man sie? 8 2.1 Der Staat ist den Bürgerinnen und Bürgern zu Transparenz verpflichtet 8 2.2 Die Bürgerinnen und Bürger sind dem Staat zu Transparenz verpflichtet 9 2.3 Die Bürgerinnen und Bürger sind sich untereinander zu Transparenz verpflichtet 10 2.4 Verschiedene Teile des Staates müssen füreinander transparent sein 10 2.5 Ein Überblick über die vorgeschlagenen Reformmaßnahmen 10 3. Transparenz im bundesdeutschen Steuersystem 12 3.1 Gute Informationen für Verständnis und Akzeptanz des Steuersystems 12 3.1.1 Steuerlücke berechnen 13 3.1.2 Besseres Wissen über die Steuerbelastung und ihre Verteilung 15 3.1.3 Vollzugskosten der Besteuerung ermitteln 16 3.1.4 Akzeptanz und Verständnis des Steuersystems durch Befragungen erhöhen 16 3.1.5 Information des Staates über das Steuersystem verbessern 17 3.2 Die Steuerverwaltung reformieren 18 3.2.1 Den Finanzföderalismus modernisieren 19 3.2.2 Organisationsmodell reformieren: „Large Taxpayer Units“ einführen 20 3.2.3 Die Steuerverwaltung muss kundenorientierter werden 21 3.2.4 Finanzverwaltung evaluieren 22 3.3 Wechselseitige Transparenz zwischen Bürgern und Finanzverwaltung 23 3.3.1 Informationsfreigabe nicht vorschreiben, sondern Transparenz belohnen 23 3.3.2 Aufhebung des steuerlichen Bankgeheimnisses 25 3.3.3 Steuergeheimnis weiterentwickeln 26 3.3.4 Einführung von elektronischem „Cross-Checking“ 27 3.3.5 Veröffentlichung von Steuerzahlungen und Steuerschulden 28 Diese Studie wird von der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich- Ebert- Stiftung veröffentlicht. Die Ausführungen und Schlussfolgerungen sind von den Auto- ren in eigener Verantwortung vorgenommen worden. Impressum: © Friedrich-Ebert-Stiftung Herausgeber: Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung Godesberger Allee 149 53175 Bonn Fax 0228 883 9205 www.fes.de/wiso Gestaltung: pellens.de Druck: bub Bonner Universitäts-Buchdruckerei ISBN: 978-3-86872-121-8
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs 3.4 Kosten der Besteuerung senken und gerecht verteilen 29 3.4.1 Steuer und Sozialverwaltungen zusammenlegen 29 3.4.2 Den Bürgern die Befolgungskosten abnehmen 30 3.4.3 Einführung von vorausgefüllten Steuererklärungen 31 3.4.4 Benutzung von modernster Technik und elektronischem Service 32 3.5 Steuermoral verbessern – Steuerhinterziehung konsequent bekämpfen 33 3.5.1 Steuerstrafrecht weiterentwickeln 35 3.5.2 Ein umfassendes Risikomanagement schaffen 35 3.5.3 Aggressive Steuerplanung frühzeitig erkennen und wirksam bekämpfen 37 3.5.4 „Tax Whistleblowers“ schützen und fördern 38 4. Die internationale Dimension steuerlicher Transparenz 39 4.1 Effektive internationale Transparenzstandards durchsetzen 41 4.1.1 Informationsaustausch muss automatisch erfolgen 42 4.1.2 Ausweitung der EU-Zinsbesteuerungsrichtlinie 44 4.1.3 Für eine bessere administrative Zusammenarbeit 45 4.2 Entschlossenheit und Glaubwürdigkeit durch Gegenmaßnahmen beweisen 45 4.2.1 Einführung einer international koordinierten Quellensteuer 46 4.2.2 Doppelbesteuerungs- und Informationsaustauschabkommen besser nutzen 46 4.2.3 Mit gutem Beispiel vorangehen: unilaterale Abwehrmaßnahmen 47 4.3 Auch andere Wege suchen 47 4.3.1 Neue Rechnungslegungsstandards 47 4.3.2 Steuern als Teil der Unternehmensverantwortung 48 5. Ausblick 49 Literatur 52 Die Autoren 59 3
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung Vorbemerkung Die von der öffentlichen Hand bereitgestellten gern Transparenz schuldig und die Bürger sind Güter und Dienstleistungen sind jedem zugäng- umgekehrt dem Staat zu Transparenz verpflichtet, lich und sind zugleich Voraussetzung und Garant denn nur so kann das Steuerrecht durchgesetzt des Wohlstands eines jeden Bürgers. Deshalb werden. Darüber hinaus schulden sich die Bürger muss sich jedes natürliche und juristische Wirt- auch untereinander Transparenz, denn dies ist schaftssubjekt entsprechend seiner Leistungsfähig- die Voraussetzung für eine fundierte, rationale keit an der Finanzierung dieser Aufgaben betei- steuerpolitische Auseinandersetzung. Schließlich ligen. Das bedeutet, dass alle Bürger und Unter- müssen die verschiedenen Institutionen des nehmen bei gleicher Leistungsfähigkeit gleiche Staates untereinander transparent sein. Steuerlasten und bei höherer Leistungsfähigkeit Das vorliegende Gutachten zeigt, wie sich höhere Steuerlasten tragen müssen. Neben der mit vier Reformbündeln alle genannten Dimen- Finanzierung staatlicher Aufgaben hat das Steuer- sionen von Transparenz erfüllen lassen. Es geht system somit auch eine allokative und eine dis- erstens darum, das Verständnis für das Steuersys- tributive Funktion. Dies wird von der Mehrheit tem und dadurch die Steuermoral zu erhöhen. der Bürger unterstützt. Zugleich wird jedoch das Zweitens ist die Verwaltung zu reformieren, um derzeitige deutsche Steuersystem als zu kompli- einen besseren, bürgerfreundlichen Service anzu- ziert und ungerecht empfunden. bieten. Drittens ist sicherzustellen, dass das Sys- Vor diesem Hintergrund sind in den letzten tem für alle Bürger in gleicher Form gilt. Viertens Jahren viel beachtete Politikvorschläge einge- müssen schädlicher Steuerwettbewerb vermieden bracht worden, mit denen die Transparenz und und internationale Steuerschlupflöcher geschlos- die Einfachheit des Systems verbessert werden sen werden. sollten. Auch wenn diese Konzepte die fiskali- Mit mehr Transparenz kann somit ein ver- schen, sozialen, ökonomischen und ökologischen ständliches und gerechtes Steuersystem geschaf- Ziele des Steuersystems schwächten, liegt in der fen werden, das zugleich eine solide Finanzie- Transparenz ein wichtiger Ausgangspunkt für rungsbasis für die Aufgaben des Staates schafft. notwendige Reformen. Notwendig ist jedoch ein umfassender Be- René Bormann griff von Transparenz. So ist der Staat seinen Bür- Friedrich-Ebert-Stiftung 4
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs 1. Einleitung* In der steuerpolitischen Diskussion wird immer men ist. Ähnliche Vorschläge sind aber nach wie wieder die Erhöhung der Transparenz des Steuer- vor in der steuerpolitischen Diskussion vertre- systems verlangt. Sehr oft wird damit die Forde- ten.2 rung nach einer radikalen Vereinfachung des Diese meist sehr umfassenden Reformvor- Steuersystems verbunden. Einer der bekanntesten schläge wirtschaftsliberaler Provenienz haben ge- Reformvorschläge, in dem die Forderung nach meinsam, dass sie Aufkommensverluste mit sich der Herstellung von Transparenz eine bedeutende brächten und eine deutlich geringere Umvertei- Rolle spielt, ist die „flat tax“. In Reinform gilt bei lungswirkung aufweisen; entlastet würden vor der flat tax lediglich ein Steuersatz. Dieser soll, da allem hohe Einkommen.3 Es spricht einiges dafür, er auf eine durch den Abbau fast aller Ausnahme- dass es für derartige Politiken angesichts der öf- tatbestände verbreiterte Bemessungsgrundlage fentlichen Haushaltslage, die sich im Zuge der angewendet wird, deutlich niedriger liegen als aktuellen Finanzkrise weiter verschärfen wird, der derzeitige Spitzensatz der Einkommensteuer. keinen Spielraum gibt. Vor allem aber widerspre- Damit würde das Prinzip der progressiven Besteue- chen diese Politikvorschläge dem Gerechtigkeits- rung nach Leistungsfähigkeit aufgegeben. empfinden der meisten Bürgerinnen und Bürger. Das in der bundesdeutschen Diskussion wohl Es wird von den meisten Menschen als gerecht prominenteste Konzept dieser Art ist das Modell empfunden, dass hohe Einkommen stärker belas- des ehemaligen Verfassungsrichters Paul Kirch- tet werden als niedrige und dass ein gewisses Maß hof. Dieses sieht vor, dass ein Steuersatz von 25 % an Umverteilung vorgenommen wird.4 auf alle Einkommen, bei einem Freibetrag von Trotzdem ist das Schlagwort der steuerlichen 8 000 Euro, angewandt wird. Außerdem soll Transparenz in der öffentlichen Wahrnehmung gänzlich auf alle Lenkungs- und Subventions- positiv besetzt und wird sehr weitgehend mit den normen verzichtet werden. Der vorgeschlagene wirtschaftsliberalen Politikvorschlägen in Verbin- Gesetzestext ist nur neun Seiten lang und umfasst dung gebracht.5 Dies verschafft ihren Vertretern 23 Paragraphen, in dem Einkommens- und Un- in der politischen Auseinandersetzung einen ternehmensbesteuerung geregelt sind.1 Nun sind wichtigen Vorteil. Denn tatsächlich wird das der- die steuerpolitischen Vorstellungen von Paul zeitige Steuerrecht von der Mehrheit der Bevöl- Kirchhof bekanntermaßen einer der Hauptgrün- kerung, aber auch von fast allen Experten, als zu de, warum es bei der letzten Bundestagswahl kompliziert und unverständlich eingeschätzt. In nicht zu einer schwarz-gelben Koalition gekom- der Konsequenz, und weil im Status quo die von * Wir danken René Bormann, Gerhard Schick, Uwe Teusch und Susanne Uhl für wertvolle Hinweise und Kommentare. René Bormann danken wir außerdem für die redaktionelle Betreuung des Textes. 1 Kirchhof (2003). Auf der Basis der Vorschläge von Kirchhof hat Friedrich Merz seine „Bierdeckelsteuer“ entwickelt, die von der CDU ins Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2005 aufgenommen wurde. 2 So hat die FDP kürzlich ihr „Nettokonzept“ verabschiedet (FDP 2008). Dabei handelt es sich um eine kaum veränderte Aktualisierung ihres bereits im Jahre 2005 vorgelegten Konzepts zur Einkommensteuer mit einem flachen Drei-Stufen Tarif. Ebenfalls zu nennen ist hier auch der Vorschlag der Kommission Steuergesetzbuch der Stiftung Marktwirtschaft (2009). 3 Siehe z.B. Finanzministerkonferenz (2004a). 4 So sprechen sich ca. zwei Drittel der Befragten dafür aus, dass der Staat für mehr soziale Gerechtigkeit stärker als bisher eingreifen und umverteilen sollte (Bertelsmann Stiftung 2007; Lippl 2008). 5 Von der IG Metall, ver.di und Attac wurde 2004 der Versuch unternommen, dieser Entwicklung mit der „solidarischen Einfachsteuer“ etwas entgegenzusetzen (Hickel 2005), stieß allerdings kaum auf öffentliche Resonanz. 5
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung ihnen befürworteten Verteilungsziele keineswegs spiele sind die steuerliche Förderung von ener- immer erreicht werden, halten die Bürgerinnen giesparenden Sanierungsmaßnahmen oder die und Bürger das derzeitige Steuersystem für unge- Sondersteuer auf Alcopops. Solche Förderun- recht.6 gen und Sondertatbestände sind politisch und Angesichts dieser Lage ist es notwendig, Vor- gesellschaftlich erwünscht, erhöhen aber auch schläge für eine Vereinfachung und Steigerung die Komplexität des Steuersystems. der Transparenz des Steuersystems zu entwickeln. Es geht darum, die fiskalischen, sozialen und öko- Es geht darum, den Begriff der Transparenz, der nomischen Ziele mit einem hohen Niveau an auch bei der Verfolgung sozialdemokratischer Einfachheit und Verständlichkeit auszutarieren. steuerpolitischer Ziele ein wichtiger Wert ist, in Die derzeit prominentesten Vorschläge für eine der öffentlichen Wahrnehmung zurückzuerobern. Steuervereinfachung sind zum Scheitern verur- Diese Aufgabe stellt sich aus zwei Gründen: teilt, weil sie die verschiedenen Ziele nicht hin- Erstens ist ein für die Bürgerinnen und Bür- reichend ausbalancieren. ger verständliches Steuersystem erstrebenswert. Wenn man die steuerpolitischen Zielkon- Ein solches System hat mehrere Vorteile: flikte ernst nimmt und außerdem bedenkt, dass • Es ist für die Bürgerinnen und Bürger durch- es in einer pluralistischen Gesellschaft unter- schaubar. Dies befördert rechtskonformes Ver- schiedliche Interessen bezüglich der Ausgestal- halten, weil es das Vertrauen in die staatlichen tung des Steuersystems gibt, dann ist Skepsis ge- Institutionen stärkt und die Befolgungskosten genüber jeglichen Vorschlägen angebracht, die für die Steuerpflichtigen reduziert. einen vollständigen Ersatz des bestehenden Steu- • Auch die Verwaltungskosten werden erheblich ersystems durch ein neues, gewissermaßen am gesenkt, weil weniger Einzelfallprüfungen not- Reißbrett entwickeltes System propagieren. Sol- wendig sind. che „großen Würfe“ werden sich politisch nicht • Sehr allgemeine, und damit einfache, Rege- durchsetzen lassen. Wir schlagen deshalb einen lungen helfen, ökonomische Fehllenkungen anderen Weg ein. Zwar sind auch wir der Mei- zu vermeiden und senken die Missbrauchsan- nung, dass das deutsche Steuersystem dringend fälligkeit des Steuersystems. reformbedürftig ist, weil es zu kompliziert gewor- Zweitens gilt aber, dass das einfachste Steuersys- den ist, die Gleichmäßigkeit der Besteuerung tem nicht unbedingt das Beste ist, sondern Ein- nicht mehr gewährleistet ist und damit auch die fachheit auszubalancieren ist mit anderen steuer- Höhe und vor allem die Verteilung der Steuerbe- politischen Zielen: lastung ungerecht geworden ist.7 Wir sind aber • Wenn ein Steuersystem als ungerecht empfun- der Ansicht, dass sich die Reform des Steuersys- den wird, führt dies nachweislich zu geringerer tems nur in einem langfristig angelegten politi- Steuermoral. Da der Grundsatz der Besteue- schen Prozess wird organisieren lassen, an dessen rung nach der Leistungsfähigkeit (d. h. eines Ende ein Kompromiss zwischen verschiedenen mit dem Einkommen steigenden Steuersatzes) steuerpolitischen Zielen und Interessen stehen weitgehende Unterstützung in der Bevölkerung muss. Anstatt also mit einem Komplettentwurf genießt und nachvollziehbar ist, ist eine nach für ein neues Steuersystem in die Debatte hinein- Leistungsfähigkeit differenzierte Verteilung der zugehen, scheint es uns deshalb sinnvoller, ver- Steuerlast besser zur Förderung der Steuermo- schiedene Einzelmaßnahmen vorzuschlagen, die ral geeignet als die einfachere flat tax. am derzeit bestehenden System ansetzen und zu • Steuerpolitik soll auch bestimmte Lenkungs- dessen gradueller Verbesserung beitragen wollen. wirkungen entfalten, das heißt bestimmte öko- In diesem Gutachten können wir keinen logisch, ökonomisch oder sozialpolitisch er- umfassenden Katalog an Einzelmaßnahmen vor- wünschte Verhaltensweisen begünstigen. Bei- schlagen, der unseres Erachtens notwendig wäre, 6 Vgl. Allensbach Institut für Demoskopie (2008). 7 Vgl z.B. zuletzt Bundesrechnungshof (2006). 6
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs um alle Defizite des Steuersystems zu beheben. einander, sondern können sich gegenseitig ver- Stattdessen konzentrieren wir uns auf solche stärken. Beispielsweise erhöhen unsere Vorschlä- Maßnahmen, die die Transparenz des Steuersys- ge zur Reform der Steuerverwaltung nicht nur tems betreffen. Wir sind uns bewusst, dass eine deren Effizienz, sondern können auch zur Ver- solche Schwerpunktsetzung eine Verkürzung dar- besserung der Steuermoral beitragen. Sie ergän- stellt – es muss schlussendlich auch um Verän- zen also jene spezifischen Vorschläge, die auf die derungen an Tarifverläufen und Bemessungs- Erhöhung der Steuermoral zielen, die wiederum grundlagen gehen.8 Wir sind aber der Meinung, durch die Maßnahmen zur Senkung der Befol- dass eine Fokussierung auf die Transparenz nütz- gungskosten positiv beeinflusst wird. Während lich ist, weil sie die Voraussetzung für weiterge- alle Maßnahmen auch als einzelne Maßnahmen hende Reformmaßnahmen ist. Erst wenn sie her- sinnvoll sind, so greifen sie dennoch ineinander gestellt ist, sind die Stärken und Schwächen des und können Synergien freisetzen. Steuersystems klar erkennbar und es können wei- Das Gutachten ist folgendermaßen geglie- tere Reformmaßnahmen entwickelt werden. Eine dert: Zunächst entwickeln wir einen Transparenz- Transparenzinitiative kann den politischen Re- begriff, der sich von dem wirtschaftsliberalen und formprozess anstoßen und dessen Qualität erhö- konservativen Begriff abhebt. Während jene ei- hen. Hinzu kommt, dass manche Unzufrieden- nen eindimensionalen Begriff prägen, der ledig- heit der Bürgerinnen und Bürger mit dem der- lich die Transparenz betont, die der Staat den zeitigen Steuersystem sich schon alleine durch Bürgerinnen und Bürgern schuldet, ergänzen wir die Herstellung von Transparenz beheben lässt. diese Vorstellung um weitere Transparenzrela- Schließlich bietet die Transparenz einen guten tionen und schlagen einen vierdimensionalen Anknüpfungspunkt zur Diskussion des Problems Transparenzbegriff vor (Teil 2). Im Teil 3 und 4 der internationalen Steuerhinterziehung und werden verschiedene Einzelmaßnahmen zur Er- -vermeidung, dem in der Vergangenheit zu wenig höhung der Transparenz des Steuersystems vor- politische Beachtung geschenkt wurde – was sich geschlagen, wobei sich Teil 3 mit den nationalen in der letzten Zeit allerdings verändert hat (vgl. und Teil 4 den internationalen Maßnahmen be- Abschnitt 4). fasst. Teil 5 fasst zusammen und reflektiert über Die im Folgenden vorgeschlagenen Einzel- mögliche politische Strategien zur Durchsetzung maßnahmen stehen nicht unverbunden neben- der Vorschläge. 8 In ihrem Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2009 setzt sich die SPD (2009) für Änderungen am Tarifverlauf der Einkommensteuer ein. Insbesondere soll der Eingangstarif auf 10 % gesenkt werden und der Spitzensteuersatz, der ab einem Einkommen von 125 000 bzw. 250 000 Euro für Verheiratete gelten soll, auf 47 % erhöht werden. 7
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung 2. Was ist Transparenz? Und wofür braucht man sie? In diesem Teil wird gezeigt, dass Transparenz tens müssen auch verschiedene staatliche Stellen mehr ist als von ihren wirtschaftsliberalen Befür- untereinander größere Transparenz herstellen, wortern immer behauptet wird. Diese betonen um ihre Arbeit effektiver ausüben zu können und einzig und alleine die Transparenz, die der Staat den Bürgerinnen und Bürgern zusätzliche Arbeit den Bürgerinnen und Bürgern schuldet. Das ist zu ersparen. Im Folgenden diskutieren wir, wel- tatsächlich ein wichtiger Aspekt der Transparenz, che positiven Wirkungen man der Transparenz in aber es ist nicht der einzige. Wir setzen diesem diesen vier Relationen zuschreiben kann; aber eindimensionalen Verständnis ein vierdimensiona- auch, welche Grenzen ihr zu setzen sind. les Transparenzkonzept entgegen. Der Duden definiert Transparenz als „Durch- scheinen, Durchsichtigkeit, Lichtdurchlässigkeit“ 2.1 Der Staat ist den Bürgerinnen und und vermerkt außerdem, dass es das Gegenteil Bürgern zu Transparenz verpflichtet von „Opazität“ sei, die wiederum als „Undurch- sichtigkeit“ erklärt wird. Es geht also zum einen Der Staat muss für die Bürgerinnen und Bürger um Sichtbarkeit. Neben der reinen Sichtbarkeit transparent sein, damit eine effektive demokra- umfasst Transparenz Verständlichkeit oder zu- tische Kontrolle möglich ist. Nur wenn die Bürge- mindest Nachvollziehbarkeit. Der Duden defi- rinnen und Bürger über ausreichende Informa- niert dementsprechend „etwas transparent ma- tionen über das Handeln der Regierung verfügen, chen“ mit „machen, dass andere sehen können, haben sie überhaupt die Möglichkeit, informierte dass oder wie etwas getan wird“. politische Entscheidungen zu treffen und die Um zu verstehen, welche Anforderungen Politik verantwortlich zu machen, z. B. durch Ab- sich aus dem Kriterium der Transparenz für das wahl.9 Steuersystem ergeben, schlagen wir eine Unter- Für den Bereich des Steuer- und Abgaben- scheidung in vier verschiedene Transparenzrela- rechts kommt hinzu, dass die Bürgerinnen und tionen vor, die sich aus der Unterscheidung zwi- Bürger Transparenz verlangen können, weil sie schen Staat und Gesellschaft ergeben. Erstens ist zur Zahlung einer Zwangsabgabe verpflichtet der Staat der Gesellschaft zu Transparenz ver- werden. Gemäß dem Rechtsstaatsprinzip muss pflichtet, damit sie den Staat demokratisch gestal- nachvollziehbar sein, wie sich die Höhe der Steu- ten kann. Zweitens sind die Bürgerinnen und ern berechnet. Und es soll nachvollziehbar sein, Bürger dem Staat zu Transparenz verpflichtet, da- wofür der Staat dieses Geld ausgibt. Deshalb er- mit dieser die ihm zugewiesenen Aufgaben auch folgt die Aufstellung des staatlichen Haushaltes erfüllen kann. Drittens schulden sich innerhalb öffentlich. Die Bürgerinnen und Bürger sollen die der gesellschaftlichen Sphäre die Bürgerinnen Möglichkeit haben, sich ein Gesamtbild von der und Bürger wechselseitig Transparenz über be- Einnahmen- wie der Ausgabenseite des Staates stimmte steuerliche Aspekte, weil dies eine ratio- machen zu können, um auf dieser Grundlage ef- nale öffentliche Auseinandersetzung mit der Ge- fektive demokratische Kontrolle ausüben zu kön- rechtigkeit in der Steuerpolitik ermöglicht. Vier- nen.10 9 Vgl. z.B. Manin, Przeworski und Stokes (1999, 24). 10 Vgl. z.B. Gröpl (2006). 8
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs 2.2 Die Bürgerinnen und Bürger sind Diese Überlegungen sind von hoher Bedeu- dem Staat zu Transparenz verpflichtet tung für die Steuerpolitik. Die Zahlung von Steu- ern ist eine der zentralen Pflichten des Gesell- Umgekehrt verlangt Transparenz aber auch, dass schaftsvertrages. Nur durch die Zahlung von die Bürgerinnen und Bürger dem Staat alle rele- Steuern lässt sich der Staat, der ja dem Vorteil vanten Informationen zur Festlegung und Durch- aller Bürgerinnen und Bürger dient, aufrechter- setzung der Steuerschuld offenlegen. Diese Pflicht halten. Sie sind, um im Bild des Vertrages zu blei- leitet sich aus einer gemeinsamen Verantwortung ben, der Preis, den jede Bürgerin und jeder Bürger für die Aufrechterhaltung einer funktionierenden für die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen und gerechten gesellschaftlichen Ordnung ab. Ordnung zahlen muss.12 Im liberalen Bild des Gesellschaftsvertrages, Der Staat kann die zu zahlende Steuer nur dem sich freie und gleiche Bürgerinnen und Bür- angemessen und gerecht berechnen, wenn er ger unterwerfen, um sich mit bestimmten öffent- über ausreichende Informationen über das Ein- lichen Gütern zu versorgen – wie z. B. der Zusi- kommen und Vermögen seiner Bürgerinnen und cherung von Bürgerrechten, der Definition von Bürger verfügt. Da der einzelne aber, selbst wenn Privateigentumsrechten und einer Marktordnung er dem Gesellschaftsvertrag im Prinzip zustimmt, – wird dies deutlich. In diesem Vertrag tauschen ein Interesse daran haben kann, dem Staat falsche Bürgerinnen und Bürger diese Rechte gegen oder gar keine Angaben zu seinem wahren Ein- Pflichten, die mit dem Bürgerstatus verbunden kommen zu machen, um so die Steuerschuld zu sind, ein. Der Staat wird mit dem Monopol der verringern, muss der Staat Mittel erhalten, um legitimen Gewaltanwendung ausgestattet, um sich die notwendige Information auch gegen den den Gesellschaftsvertrag durchzusetzen. Dahinter Willen des einzelnen beschaffen zu können. steht die Einsicht, dass einzelne Bürgerinnen und Dies bedeutet nicht, dass der Staat beliebigen Bürger, selbst wenn sie den im Gesellschaftsver- Zugriff auf alle Informationen seiner Bürger ha- trag festgelegten Prinzipien einer gerechten und ben soll. Grundprinzip liberal verfasster Gesell- freien Gesellschaft im Grundsatz zustimmen, schaftsordnungen ist es, die individuelle Freiheit dem Anreiz erliegen würden, sich im Einzelfall und Selbstbestimmung nur dort zu begrenzen, einen ungerechten Vorteil gegenüber anderen wo es für ein friedliches und produktives Mit- Bürgern zu verschaffen. Deshalb sind, jedenfalls einander notwendig ist. Zu dieser Freiheit gehört solange der Staat die im Verfassungsvertrag fest- grundsätzlich auch die informationelle Selbst- gelegten Grenzen der Demokratie und Recht- bestimmung. Es geht darum zu unterscheiden, staatlichkeit einhält, die Pflichten gegenüber dem welche Informationen von öffentlichem Interes- Staat letztlich Pflichten gegenüber allen anderen se sind und welche privat bleiben sollen. Wäh- Bürgerinnen und Bürgern.11 rend das Grundprinzip dieser Unterscheidung in Die Möglichkeit, die Durchsetzung der Ge- öffentliche und private Angelegenheiten in libe- setze notfalls erzwingen zu können, reicht aber ralen Demokratien Konsens ist, ist die Frage, wo nicht aus. Wie bereits Aristoteles argumentierte, und wie die Grenze genau zu ziehen ist, umstrit- wird sich keine Gerechtigkeitsregel durchsetzen ten.13 Da sich der Staat ohne Steuern nicht finan- lassen, wenn Verstöße gegen sie unsichtbar blei- zieren ließe, ist es aber unstrittig, dass er das Recht ben können. Transparenz ist deshalb eine not- hat, notwendige Informationen zu deren Erhe- wendige Voraussetzung für die Verwirklichung bung zu erlangen. einer gerechten Gesellschaft. 11 Ein solches Begründungsmuster für einen Staat, mit jeweils unterschiedlichen Akzentuierungen, findet sich bei vielen Autoren in der Tradition der philosophischen Aufklärung, z.B. bei Hobbes, Kant und Rousseau. Auch in der aktuellen politischen Philosophie wird die Begründungsfigur des Gesellschaftsvertrages verwendet (vgl. z.B. Rawls 1971; Buchanan 1984). 12 Vgl. Buchanan (1984) und Murphy/Nagel (2002). 13 Siehe z.B. die Positionen von Pateman (1983) und Gaus (1997). 9
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung 2.3 Die Bürgerinnen und Bürger sind 2.4 Verschiedene Teile des Staates sich untereinander zu Transparenz müssen füreinander transparent sein verpflichtet Eine Bedingung dafür, dass alle Bürger vom Staat Aber nicht nur dem Staat schulden die Bürge- gerecht behandelt werden, ist auch, dass verschie- rinnen und Bürger Transparenz, sondern auch dene staatliche Stellen voneinander wissen, wie untereinander sollten sie bestimmte Informatio- sie die Bürger behandeln. Besonders relevant ist nen offenlegen, weil dies eine rationale öffent- dieser Aspekt im internationalen Bereich. Solan- liche Diskussion ermöglicht. Durch die Offenle- ge sich unterschiedliche Staaten nicht wechsel- gung von Steuerzahlungen gegenüber anderen seitig über Geldanlagen und andere wirtschaft- Bürgerinnen und Bürgern könnte ein Konsens liche Aktivitäten ausländischer Steuerpflichtiger oder jedenfalls die Annäherung an einen Konsens informieren, lässt sich das Steuerrecht nicht über die Prinzipien einer gerechten Steuerpolitik durchsetzen. Wie wir zeigen, bestehen hier der- erreicht werden. zeit massive Transparenzdefizite, die sich nur In der Diskussion über die Frage „Was ist ge- durch hartnäckiges Verhandeln auf internatio- recht?“ mischen sich interessegeleitete und prin- naler Ebene beheben lassen. Aber auch innerhalb zipiengeleitete Argumente. Diejenigen mit einem der Bundesrepublik erhält eine staatliche Stelle hohen Einkommen vertreten häufig auch die An- die wichtigen Informationen einer anderen oft sicht, dass sich Leistung lohnen müsse (Leistungs- gar nicht oder nur schwer, was den Vollzug der gerechtigkeit) und deshalb die Steuerbelastung Gesetze schwieriger macht und bei den Bürge- für hohe Einkommen nicht zu hoch sein darf, rinnen und Bürgern unnötige Befolgungskosten während diejenigen mit niedrigen Einkommen verursacht. Besonders relevant ist dies beim Ver- der Ansicht sind, dass eine umverteilende Steuer- hältnis zwischen Steuer- und Sozialverwaltung. politik gerecht sei. Wenn die Einkommen und Steuerbelastung aber für alle transparent sind, werden die Bürgerinnen und Bürger gezwungen, 2.5 Ein Überblick über die öffentlich Gründe für ihre vorgetragenen Über- vorgeschlagenen Reformmaßnahmen zeugungen vorzubringen. Rein interessegeleite- te Argumentationen werden es dann deutlich Aus der bisherigen Argumentation ergibt sich schwerer haben.14 zweierlei. Erstens gilt, wie in der Einleitung be- Wichtig ist, dass nicht nur die Einkommen tont, dass Einfachheit ein sehr wichtiges, aber der Bürger transparent gemacht werden, sondern nicht das einzige Ziel guter Steuerpolitik ist. Viel- auch ihr finanzieller Beitrag zum Gemeinwesen, mehr müssen verschiedene widerstreitende Ziele den sie in Form von Steuern leisten. Es scheint abgewogen und in ein sinnvolles Gleichgewicht plausibel, dass der Neid auf Besserverdienende, gebracht werden. Zweitens sind die Anforderun- Reiche und Vermögende gedämpft wird, wenn gen der Transparenz vielschichtiger als wirt- sichtbar würde, dass sie einen sehr hohen Beitrag schaftsliberale Steuerreformer glauben machen zur Finanzierung des Staates leisten. Andererseits wollen. Während jene ausschließlich diejenige kann, sofern ihr tatsächlicher Beitrag als zu ge- Transparenz betonen, die der Staat den Bürgern ring angesehen wird, politischer Druck entste- schuldet, schlagen wir einen Transparenzbegriff hen, ihnen einen gerechten Anteil abzuverlan- vor, der sich aus vier verschiedenen Transparenz- gen. relationen zusammensetzt. 14 Vgl. Brennan und Pettit (2004, 289-321), Naurin (2007, 11–29) und Dietsch (2006). 10
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs Verschiedene Reformmaßnahmen, die jeweils am nalen Transparenzbegriff ab und enthält die bestehenden Steuerrecht ansetzen, müssen alle Reformvorschläge, die wir im Folgenden unter- vier Transparenzdimensionen berücksichtigen. breiten werden. Die folgende Matrix bildet den vierdimensio- Tabelle 1: Die Vorschläge im Überblick, mit Transparenzdimension Bürger ➜ Bürger Bürger ➜ Staat Steuerkultur fördern Gleichmäßige Durchsetzung des Rechts • Steuerbildung (3.1.5) • Bankgeheimnis abschaffen (3.3.2) • Veröffentlichung von Steuerzahlungen und • Verbot von Tafelgeschäften (3.3.2) von Steuerschulden (3.3.5) • vorausgefüllte Steuererklärung (3.4.3) • Verhaltenskodex für (multinationale) • Steuerstrafrecht verschärfen (3.5.1) Unternehmen (4.3.2) • steuerliche „Whistleblower“ (3.5.4) • Nationale Abwehrmaßnahmen gegen interna- tionale Steuerhinterziehung und -vermeidung verschärfen (4.2.3) Staat ➜ Bürger Staat ➜ Staat Berichtswesen Reform der Finanzverwaltung • Steuerlücke berechnen (3.1.1) • Bundessteuerverwaltung (3.2.1) • Verbesserung der Steuerstatistik (3.1.2) • Steuergeheimnis weiterentwickeln (3.3.3) • Wissenschaftliche Daten zur Steuerlastverteilung • Elektronischer Datenabgleich (3.3.4) und zu Befolgungskosten verbessern • Steuer- und Sozialverwaltung zusammenführen (3.1.2 und 3.1.3) (3.4.1) • Umfragen zur Steuerzufriedenheit (3.1.4) • Jahrbuch Steuern (3.1.5) Internationale Kooperation • Internationale Finanzmarktregulierung und Transparenz und Service der Verwaltung Steuerkooperation verzahnen (4.1) • „Large Taxpayer Units“ (3.2.2) • Automatischer Informationsaustausch (4.1.1) • Charta der Steuerzahlerrechte (3.2.3) • Zinsbesteuerungsrichtlinie ausweiten (4.1.2) • Anreize zur Transparenz (3.3.1) • JITSIC beitreten (4.1.3) • „Verbesserte Beziehung“ (3.4.2) • International koordinierte Quellensteuer (4.2.1) • vorausgefüllte Steuererklärung (3.4.3) • Doppelbesteuerungsabkommen modernisieren • Ausbau des Internetangebots (3.4.4) (4.2.2) • Risikomanagement (3.5.2) • „country-by-country-reporting“ (4.3.1) 11
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung 3. Transparenz im bundesdeutschen Steuersystem In diesem Teil wollen wir verschiedene Maßnah- 3.1 Gute Informationen für Verständnis men vorstellen, mit denen die Transparenz des und Akzeptanz des Steuersystems deutschen Steuersystems erhöht werden kann. Zunächst unterbreiten wir Vorschläge zur Schaf- Ein erster wichtiger Schritt zur Verbesserung der fung einer verbesserten Informationsgrundlage Transparenz des Steuersystems ist, die Kenntnis über das Steuersystem (3.1). Wir stellen diese Vor- über das System selbst zu verbessern. Gerade in schläge an den Anfang, weil es sich dabei um Deutschland besteht hier ein eklatantes Problem. Maßnahmen handelt, die sich sehr leicht umset- Es gibt kaum Statistiken zur tatsächlichen Steuer- zen lassen und mit niedrigen Kosten verbunden lastverteilung, dem Ausmaß von Steuerhinter- sind, aber trotzdem eine große Wirkung entfalten ziehung und -vermeidung sowie zur Steuerbefol- können. So ließen sich durch verbesserte Infor- gung. Zwar existieren vereinzelt wissenschaftliche mationen und deren öffentliche Verbreitung ei- Untersuchungen und Schätzungen, systemati- nige Vorurteile über das Steuersystem entkräften, sche Zahlenwerke, die es ermöglichen, die Verän- die derzeit zur Unzufriedenheit der Bürgerinnen derung über die Zeit zu verfolgen, fehlen aber. Das und Bürger beitragen. Außerdem sind gute Infor- Fehlen objektiver Informationen führt dazu, dass mationen über tatsächliche Mängel eine zentrale sich in der Öffentlichkeit Wahrnehmungen über Voraussetzung für die Initiierung eines steuerpo- das Steuersystem verbreiten können, die, auch litischen Reformprozesses. Im Abschnitt 3.2 geht wenn sie mit der Realität nicht in Einklang ste- es um eine Reform der Organisationsstruktur der hen, geeignet sind, die Steuermoral ernsthaft zu Finanzverwaltung, die sicherstellen soll, dass die beeinträchtigen. Es ist daher wichtig, objektive Finanzverwaltung für die Bürgerinnen und Bür- Informationen über das Funktionieren und die ger transparenter wird. Dieser Punkt spielt in der Wirkungen des Steuersystems zu gewinnen und politischen Diskussion viel zu selten eine Rolle, diese einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. obwohl sich wesentliche Mängel des deutschen Solche Statistiken wären zugleich wichtige Infor- Steuersystems auf eine im internationalen Ver- mationsquellen für die Politik, um bestehende gleich rückständige und für die Steuerzahler in- Gesetzeslücken und Ungerechtigkeiten zu besei- transparente Verwaltung zurückführen lassen. tigen. Diese Informationen können dazu beitra- Anschließend wird das Verhältnis der Finanzver- gen, die steuerpolitische Debatte zu versachli- waltung zu den Steuerzahlern in den Blick ge- chen. Auch für die Finanzverwaltung wären sol- nommen und die Offenlegungspflichten der Bür- che Daten sehr wichtig, da sie helfen, Befolgungs- gerinnen und Bürger thematisiert (3.3). Abschnitt probleme und Vollzugsdefizite zu erkennen. 3.4 nimmt die Kosten in den Blick, die bei der Wir schlagen deshalb im Folgenden vor, eine Befolgung des Steuerrechts für die Steuerzahler Steuerlücke zu berechnen (3.1.1) und die Steuer- entstehen und unterbreitet Vorschläge zu ihrer statistik zu verbessern, um unter anderem die Senkung. In Abschnitt 3.5 benennen wir Vor- Verteilungswirkung der Steuergesetze (3.1.2) und schläge, wie die Steuermoral erhöht und das Pro- die Befolgungskosten (3.1.3) besser einschätzen blem der Steuerhinterziehung abgemildert wer- zu können. Außerdem schlagen wir vor, systema- den kann. tische Befragungen zur Zufriedenheit der Bürge- 12
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs rinnen und Bürger mit dem Steuersystem einzu- positive Auswirkungen auf die langfristige Ent- führen (3.1.4) und die Informationsvermittlung wicklung des Steuersystems entwickeln kann. über das Steuersystem zu verbessern (3.1.5). Die Berechnung der Steuerlücke ist komplex, aber handhabbar. Zunächst muss definiert wer- 3.1.1 Steuerlücke berechnen den, welche Steuer hätte gezahlt werden müssen. Umstritten ist, ob Steuerplanung und -gestaltung Die sogenannte Steuerlücke ist eine Kenngröße, ebenfalls zur Steuerlücke gerechnet werden, auch die angibt, welcher Anteil der Steuern, die auf- wenn formal die Buchstaben des Gesetzes befolgt grund der Gesetze entrichtet werden müssten, werden. Das Problem lässt sich vermeiden, indem aufgrund von Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung, man diesen Teil der Steuerlücke gesondert fest- Steuerflucht, Verwaltungsdefiziten, Zahlungsun- stellt und ausweist. Außerdem ist zwischen Brut- fähigkeit oder aus anderen Gründen aber nicht tosteuerlücke und Nettosteuerlücke zu unter- gezahlt werden. In den USA und in Schweden scheiden. Die Bruttosteuerlücke ist der Betrag der und für einzelne Steuerarten auch in Großbritan- nichtgezahlten Steuern, wenn keine Prüfungen nien werden Steuerlücken berechnet.15 und Ermittlungen von Seiten der Behörden er- In den USA und Schweden hat die Veröffent- folgt wären, und die Nettosteuerlücke misst die lichung von Steuerlücken zu einer breiten öffent- tatsächlich nicht geleisteten Steuerzahlungen. lichen und politischen Debatte geführt. Vorschlä- Diese Unterscheidung ist wichtig, um die Effek- ge, wie die Steuerlücke zu schließen sei, häufen tivität der bestehenden Steuerprüfungs- und Er- sich. Der Staat signalisiert mit der Steuerlücke, mittlungspraxis abzuschätzen. Schaubild 1 ver- dass er gewillt ist, allen Bürgerinnen und Bürgern deutlicht das Konzept und die Unterteilung der den gerechten und gesetzlich bestimmten Steuer- Steuerlücke. betrag abzuverlangen. Dieses Signal erfreut die Die Steuerlücke kann nach verschiedenen ehrlichen Steuerpflichtigen. Eine Berechnung ist Kriterien weiter untergliedert werden. So kann außerdem eine Voraussetzung für eine Reihe an- unterschieden werden, ob sie ihre Ursache in derer von uns vorgeschlagenen Maßnahmen. Es nicht abgegebenen Erklärungen, verschwiegenem handelt sich um eine Maßnahme, die kurzfristig Einkommen oder festgesetzten, aber nicht gezahl- eingeführt werden könnte, die aber erhebliche ten Steuern hat.16 Wobei die Steuerlücke auch be- Schaubild 1: Die Steuerlücke Potenzielles Steueraufkommen Gezahlte Steuern Entgangene Steuereinnahmen Ordnungsgemäße Ermittlungs- und Nicht geleistete Legale Steuergestaltung Steuerbefolgung Prüfungsergebnisse Steuern und -planung Nettosteuerlücke Bruttosteuerlücke 15 Tatsächlich unterscheiden sich die genauen Definitionen der Steuerlücke von Land zu Land. Für einen Überblick der Steuerlücke in den USA, siehe IRS (2008). 16 Die USA weisen eine solche Unterteilung aus. 13
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung stimmten Aktivitäten wie Schwarzarbeit oder erlücke vor. Um angemessen mit der föderalen Steuerflucht ins Ausland zugeordnet werden Struktur der deutschen Steuerverwaltung umzu- kann.17 Weiterhin ist eine Untergliederung der gehen, ist es erforderlich, dass die notwendigen Steuerlücke in verschiedene Einkommensarten Zufallsprüfungen nach einem bundeseinheitlich bzw. Bevölkerungsgruppen möglich.18 festgelegten Zufallsverfahren ausgewählt werden Grundsätzlich lassen sich zwei Verfahrens- und die Prüfungen nach bundeseinheitlichem arten zur Berechnung der Steuerlücke unterschei- Verfahren stattfinden. Tätig werden könnte dabei den – eine makroökonomische und eine mikro- die Steuerprüfung der Länder, sofern nicht davon ökonomische. Die makroökonomischen Verfah- ausgegangen wird, dass es wichtige Unterschiede ren berechnen auf der Basis gesamtwirtschaft- hinsichtlich der personellen und technischen licher Daten die hypothetisch zu zahlenden Ausstattung der Steuerprüfungen gibt. Der Bund Steuern und vergleichen diese mit den tatsäch- sollte so weit wie möglich Herr des Verfahrens lich gezahlten. Diese Verfahren können aufgrund sein, um Ungleichmäßigkeiten und Verzerrungen ihrer Ungenauigkeit und weil sie kaum Rück- zu vermeiden. Bei Beginn der Prüfung sollte – wie schlüsse über das Entstehen und die Verteilung bei allen Steuerprüfungen – eine umfassende Er- der Lücke erlauben nur eine erste Annäherung läuterung über den Grund der Prüfung, ihren ge- darstellen. Sie müssen durch mikroökonomische nauen Ablauf und die Rechte und Pflichten des Verfahren ergänzt und verfeinert werden. Steuerpflichtigen erfolgen. In allgemeinen Infor- Bei den mikroökonomischen Verfahren wird mationskampagnen (siehe 3.1.5) sollten solche aufgrund von Beispielsfällen, bei denen die Steu- Prüfungen ebenfalls Erwähnung finden. So kann erlücke bekannt ist, eine Hochrechnung auf die Verständnis für diesen im Einzelfall sehr weitge- Bevölkerung bzw. die jeweilige Gruppe von Steu- henden Eingriff in die Privatsphäre des Bürgers erzahlern vorgenommen. Die Basis solcher Ver- geschaffen werden. Auch ist es sinnvoll, Steuer- fahren sind meistens steuerliche Prüfungen. So pflichtige, bei denen kein Mehrergebnis erzielt prüft die USA in ihrem National Research Pro- wurde bzw. bei denen lediglich kleine offensicht- gramm (NRP) auf der Basis einer Zufallsauswahl lich aus Versehen erfolgte Fehler vorlagen, für die bis zu 50 000 Steuererklärungen intensiv. Ausge- Kosten und Mühen der Intensivprüfung monetär hend von dieser repräsentativen Auswahl können zu entschädigen. Weiterhin sollten Änderungen die gesamte Steuerlücke geschätzt und detaillierte des Steuerergebnisses auch dann vorgenommen Informationen über das Zustandekommen der werden, wenn sie für den Steuerpflichtigen vor- Lücke gewonnen werden. Ein Nachteil besteht in teilhaft sind. den hohen Kosten, die anfallen, um eine aus- Die Steuerlücke sollte nach Bundesländern reichend große Stichprobe einer intensiven Prü- getrennt ausgewiesen werden. Dies ist aufgrund fung zu unterziehen.19 Wir halten solche Zu- von 16 Steuerverwaltungen mit zum Teil recht fallsprüfungen dennoch für unerlässlich. Neben unterschiedlichen Verwaltungssystemen unerläss- der Berechnung der Steuerlücke dienen sie auch lich, um aus Fehlern zu lernen und gleichzeitig zur Entwicklung eines effizienten Risikomanage- die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, Politik ments der Finanzverwaltung.20 und Verwaltung auf vorbildliche und nachlässige Um die jeweiligen Stärken und Schwächen Länder zu lenken. Das Vorliegen einer Rangliste zu beheben, schlagen wir für Deutschland eine der Steuerlücken nach Bundesländern würde den Kombination makroökonomischer und mikro- Druck auf die Politik erhöhen, die Steuerverwal- ökonomischer Verfahren zur Schätzung der Steu- tung zu verbessern. Auch eine zusätzliche Unter- 17 Die schwedische Steuerlücke wird auf diese Art und Weise untergliedert, siehe Swedish National Tax Agency (2008). 18 Siehe die aktuelle Berechnung der Steuerlücke für die Vereinigten Staaten: http://www.irs.gov/pub/irs-news/tax_gap_figures.pdf 19 OECD (2001). 20 Auch bei Intensivprüfungen kann nicht die gesamte Steuerlücke aufgedeckt werden. Man denke z.B. an Tätigkeiten, die gänzlich in der Schattenwirtschaft stattfinden. Zu den Problemen der Berechnung der Steuerlücke siehe OECD (2008d) und Swedish National Tax Agency (2008). 14
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs gliederung nach Steuerarten und Einkommens- Es könnten zum Beispiel die Daten des So- arten bzw. bei Unternehmenssteuern nach Be- zioökonomischen Panel (SOEP) des Deutschen triebsgrößen und Branchen sollte verwendet wer- Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) oder der den. Außerdem sollten möglichst auch die Einkommens- und Verbrauchstichprobe mit der Gründe für Nichtzahlungen, d.h. die verschie- Steuerstatistik zusammengeführt werden. Im denen Hinterziehungs- und Vermeidungstatbe- SOEP machen die Teilnehmer Angaben zu ihren stände, aber auch jene, die auf Irrtümer auf Seiten wirtschaftlichen Verhältnissen, die mit ihren An- der Steuerzahler zurückzuführen sind, ermittelt gaben in der Steuererklärung nichts zu tun haben werden. Auf diese Weise kann die Steuerlücke müssen und eher geeignet sind, die tatsächliche helfen, Probleme im Verständnis des Steuerrechts wirtschaftliche Leistungsfähigkeit abzubilden als zu erkennen und Abhilfe zu schaffen. die Angaben in ihrer Steuererklärung. Für die Wenn die Steuerlücke in Deutschland hoch steuerlich geltend gemachten Abzüge und die ausfallen sollte, könnte dies kurzfristig negative Steuerzahlungen ist auf die Steuererklärung zu- Auswirkungen auf die Steuermoral haben, weil rückzugreifen. Auf diese Weise gäbe es repräsen- der Eindruck entsteht, dass Steuern ohnehin nur tative Daten, die eine Berechnung der tatsächli- der vermeintlich Dumme zahlt. Wir halten Be- chen, effektiven Steuerbelastung des Einkommens richte über die Steuerlücke dennoch längerfristig unterschiedlicher Einkommensgruppen bzw. un- für förderlich, weil sie das Problem des mangel- terschiedlicher Einkunftsarten zuließen. Die Da- haften Steuervollzugs offenlegen und damit die tenbank sollte auf Bundesebene geführt werden Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Be- und der Wissenschaft in neutraler, anonymisier- kämpfung von Steuerhinterziehung lenken. Eine ter Form zugänglich gemacht werden. Offenlegung der Defizite des deutschen Steuer- Um ein Zusammenführen der Daten zu er- systems ist ein notwendiger erster Schritt, um möglichen, muss zunächst die Steuerstatistik ver- diese zu beseitigen. Schon die Veröffentlichung bessert werden. Es muss eine weitergehende Ver- der Lücke kann als eine Verpflichtung der Ver- kennzahlung, d.h. eine maschinelle Erfassung waltung verstanden werden, sie zu schließen. Am aller wichtigen Merkmale erfolgen. Die Erfassung besten würde sie verbunden mit der Ankündi- einiger Angaben in einzelnen Jahren hat sich gung von Maßnahmenpaketen wie in den USA nicht als hilfreich erwiesen, sondern verkompli- oder Reduktionszielen wie in Großbritannien. ziert nur das Veranlagungsverfahren. Daher schla- gen wir vor, die gesamten elektronisch 1 995 erfassten 3.1.2 Besseres Wissen über die Daten im Besteuerungsverfahren automatisch in Steuerbelastung und ihre Verteilung die Steuerstatistik zu überführen. Eine wichtige 1 879 Vorbedingung wird mit der elektronischen Über- Die Herstellung von Transparenz bedeutet auch, mittlung der Buchführung an die Finanzbehör- dass die tatsächliche empirische Steuerbelastung den im Steuerbürokratieabbaugesetz gerade ge- und ihre Verteilung ermittelt und offen gelegt schaffen. werden muss. Aufgrund mangelnder Informati- Die Verwendungsmöglichkeiten der verbes- onen über die tatsächlichen ökonomischen Ver- serten Daten wären vielfältig. So könnten für Un- hältnisse der Steuerpflichtigen kann dies nicht ternehmen endlich verlässliche Daten zur tat- auf Grundlage der derzeitigen Steuerstatistik ge- sächlichen Steuerbelastung gewonnen werden schehen. Deshalb sollte ein Zusammenführen und damit die bekannten Defizite der existie- („Matching“) unterschiedlicher Quellen für wis- renden Verfahren, die in der Regel auf Modellun- senschaftliche Zwecke erlaubt werden. Eine ver- ternehmen statt auf real existierenden beruhen, gleichbare Datenbasis besteht in vielen anderen überwunden werden.21 Auch die tatsächliche Ver- Staaten. teilungswirkung der Einkommensteuer würde 21 Vgl. Meyer (1996). 15
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung sichtbar und eine Art faktische Progression könnte Um solchen politisch motivierten Berech- der formalen gegenübergestellt werden.22 nungen etwas entgegenstellen zu können, sollte es der Staat nicht länger Interessensverbänden 3.1.3 Vollzugskosten der Besteuerung überlassen, die Vollzugskosten festzustellen. Statt- ermitteln dessen schlagen wir vor, die im Rahmen des Pro- gramms „Bürokratieabbau und bessere Rechtsset- Jede Steuer geht notwendigerweise mit Wohl- zung“ der Bundesregierung erfolgten Berechnun- fahrtsverlusten durch Substitutionseffekte und gen des statistischen Bundesamts über den ökonomische Verzerrungen einher. Generell gilt, Rahmen der Wirtschaft hinaus auszudehnen und dass manche Kosten der Besteuerung nicht zu die Befolgungskosten aller Bürgerinnen und Bür- vermeiden sind bzw. ihre Reduktion im Zielkon- ger zu berechnen.25 Neben den Befolgungskosten flikt mit anderen Zielen wie Allokations- und Ver- sollen von der Steuerverwaltung auch die Ver- teilungszielen steht. Ein Teil der Wohlfahrtsein- waltungskosten geschätzt und mit den Daten des bußen entsteht aber auch im Steuervollzug. Diese statistischen Bundesamts zusammengeführt wer- Einbußen können minimiert werden. Die Voll- den. Die gesamten Vollzugskosten sollten unter- zugskosten setzen sich zusammen aus den Er- teilt nach Steuerpflichtigen, Steuerarten und Ein- hebungs- oder Verwaltungskosten, die bei der kunftsarten ausgewiesen werden. So erhielte die Steuerverwaltung anfallen, und den Entrichtungs- Verwaltung Informationen über mögliche Kosten- oder Befolgungskosten, die der Steuerpflichtige einsparungen und der Gesetzgeber eine weitere trägt.23 Wir werden deshalb im Abschnitt 3.4.2 Informationsquelle für die Steuergesetzgebung. Vorschläge zur Senkung der Befolgungskosten bzw. deren Umwandlung in Verwaltungskosten 3.1.4 Akzeptanz und Verständnis des Steuer- unterbreiten. systems durch Befragungen erhöhen Hier geht es zunächst einmal nur um eine objektive Ermittlung der Vollzugskosten. Diese ist Neben systematischen Wissenslücken über das notwendig, weil derzeit die Vollzugskosten oft Ausmaß und die Kosten der Befolgung der Steuer- aus politischen Motiven „frisiert“ werden. Bei- gesetze sowie die Höhe und Verteilung der Steuer- spielsweise wird von Gegnern der Vermögensteu- last, fehlt auch Wissen über die Einstellungen der er immer wieder behauptet, dass sie exorbitant Bevölkerung zum Steuersystem. Die Demoskopie hohe Vollzugskosten verursacht. Dies gilt aber liefert allzu oft nur Befragungen, ob die Steuerlast nur dann, wenn man beispielsweise die Kosten als zu hoch, zu niedrig oder akzeptabel empfun- für die Ermittlung der Einheitswerte einem ein- den wird. Angesichts einer solch pauschalen zigen Veranlagungsjahr zuschlägt, obwohl die Fragestellung ist es wenig erstaunlich, dass die Wertfeststellung für viele Jahre als Grundlage Mehrheit der Deutschen die Steuer- und Abga- dient oder aber verheimlicht, dass diese Wertfest- benlast als zu hoch empfindet26 bzw. das Steuer- stellung auch für die Erbschaftsteuer und die system als ungerecht ansieht.27 Systematische Grundsteuer benötigt wird.24 und detailliertere Befragungen zu den Gründen 22 Derzeit wirkt das deutsche Steuer- und Abgabensystem schon formalrechtlich in relevanten Teilen der Einkommensverteilung regressiv: Während für mittlere Arbeitseinkommen mit einer Kombination aus Einkommensteuer und Sozialversicherungsbeiträgen Grenzsteuer- belastungen in der Größenordnung von über 50% erreicht werden können, unterliegen höhere Arbeitseinkommen durch die Wirkung der Beitragsbemessungsgrenze einer Grenzbelastung, die lediglich dem des Spitzengrenzsteuersatzes der Einkommensteuer entspricht, also 42% bzw. 45% (Reichensteuer) zuzüglich Solidaritätszuschlag. Ab 2009 werden Zins- und Dividendeneinkommen unabhängig von ihrer Höhe der Definitivbelastung der Abgeltungssteuer in Höhe von 25% unterworfen. Es liegt nahe zu vermuten, dass das System faktisch noch deutlich regressiver wirkt, weil gerade Wohlhabende mehr Möglichkeiten haben, ein niedrigeres Einkommen zu deklarie- ren, als sie tatsächlich erzielt haben. 23 Homburg (1997, 58–61). 24 So z. B. in Bach et al. (2004). 25 Das statistische Bundesamt verfährt auf Basis des Standardkostenmodells (SKM). Das SKM ist eine international anerkannte Standard- methode, die trotz einiger Probleme durch ihre Einfachheit und ihre hohe Vergleichbarkeit besticht (Statistisches Bundesamt 2006). 26 Siehe z.B. Bertelsmann Stiftung (2007). 27 Siehe Allensbach Institut für Demoskopie (2008). 16
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs hierfür oder zu einer Bewertung verschiedener 3.1.5 Information des Staates über das Einzelaspekte des Steuersystems fehlen jedoch. Steuersystem verbessern Ebenso gibt es keine repräsentativen Befragungen zu Änderungen im Steuerrecht und es ist nicht Die bisherigen Vorschläge zielten darauf ab, In- bekannt, ob die Systematik des Steuersystems formationen über das Steuersystem zu generieren und einzelne Regelungen verstanden werden. und zu veröffentlichen. Darüber hinaus sollten Diese Situation führt dazu, dass die Wahrneh- die Bürgerinnen und Bürger über die Funktions- mung der Politik, der Medien und der Verwaltung weise des Steuersystems und die Bedeutung der eine andere ist als die der Bürgerinnen und Bür- Steuern für die Gesellschaft informiert werden. ger.28 Jeder kennt das Schimpfen auf den ver- Darüber hinaus wird durch eine systema- schwenderischen Staat, der einem viel zu viel tische Befragung der Bevölkerung über das Steu- nehme und dafür viel zu wenig gebe. Diese Ein- er- und Abgabensystem und den Vollzug der Ge- stellung wird auch durch Berichte von wirt- setze sichtbar, welche Teile des Steuerrechts von schaftsnahen Organisationen wie dem Bund der den Menschen nicht verstanden werden und wo Steuerzahler, die Verschwendung von Steuergel- sie Probleme haben, die Gesetze ordnungsgemäß dern im großen Ausmaß suggerieren, befördert. zu befolgen. Die Verwaltung bekommt ein besse- Dem gilt es entgegenzutreten, indem den Steuer- res Bild von den Problemen der Bürger und wird zahlern Rechenschaft über die Verwendung der so erst in die Lage versetzt, eine zielgenaue Kun- Steuergelder abgelegt wird, indem der Staat bür- denorientierung vorzunehmen. Es handelt sich ger- und serviceorientierter wird und seine Effi- bei der Befragung also um einen ersten Schritt zienz erhöht. Der Staat hat eine besondere In- zur Stärkung der demokratischen Partizipations- formationspflicht und sollte ein Interesse daran rechte, die nachweislich auch förderlich auf die haben, dieser Pflicht nachzukommen, weil er so Steuermoral wirken.29 Werden entsprechende Fra- langfristig die Steuermoral positiv beeinflussen gen gestellt, kann auch festgestellt werden, inwie- kann. Im Einzelnen halten wir folgende Maßnah- weit Informationen und Kampagnen zum Steuer- men für angebracht: system und zu Rechtsänderungen wahrgenom- • Mittelverwendung transparent machen: Viele men werden und so die Öffentlichkeitsarbeit Staaten bemühen sich, ihre Steuerzahler so ge- evaluiert werden. Eine solche repräsentative nau wie möglich darüber aufzuklären, wie die Befragung sollte einmal im Jahr erfolgen und die Steuern verwendet werden. Diesem Beispiel Ergebnisse anschließend publiziert werden. Zahl- sollte Deutschland folgen und die Aufteilung reiche Länder nutzen die Daten als Teil eines Sys- der Staatsausgaben nach Ebenen (Bund, Län- tems zur Messung der freiwilligen Befolgung der der und Kommunen), Aufgabenbereichen und Steuergesetze und veröffentlichen die Befragungs- einzelnen Gesetzen den Bürgerinnen und Bür- ergebnisse gemeinsam mit der Steuerlücke und gern mitgeteilt werden. Dabei sollten moderne Kennzahlen der ordnungsgemäßen Befolgung.30 Methoden der Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt Es ist nicht auszuschließen, dass auch die Ver- werden.31 Politik und Verwaltung haben die teilung der Steuer- und Abgabenlast in Deutsch- Pflicht, zu diesem Zweck an die Bürger heran- land dazu beiträgt, dass das System als ungerecht zutreten und somit die emotionale Bindung wahrgenommen wird. Mittels Befragungen ließe des Steuerzahlers an das Steuersystem zu erhö- sich diese Vermutung überprüfen. hen und Politikverdrossenheit zu vermindern. 28 Bertelsmann Stiftung (2007). 29 Vgl. u.a. Falk (2003). 30 So beispielsweise in den Niederlanden (OECD 2008d). 31 Beispielsweise ist die größere empfundene Nähe zu den Ausgaben ein Grund dafür, warum die Steuern der Kommunen in der Regel von den Menschen positiver bewertet werden als reine Bundessteuern. Vgl. z.B. Körner und Strotmann (2006) und Bizer et al. (2004). 17
Sie können auch lesen