Diskurs Mit mehr Transparenz zu einem gerechten Steuersystem - Juli 2009

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Juli 2009

Expertisen und Dokumentationen
zur Wirtschafts- und Sozialpolitik   Diskurs
                                     Mit mehr Transparenz
                                     zu einem gerechten
                                     Steuersystem

                                                 2020               1
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Studie der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik
der Friedrich-Ebert-Stiftung

Mit mehr Transparenz
zu einem gerechten
Steuersystem

Thomas Rixen
Klaus Seipp
WISO
 Diskurs                                                                                    Friedrich-Ebert-Stiftung

           Inhalt

           Vorbemerkung                                                                                                 4

           1. Einleitung                                                                                                5

           2. Was ist Transparenz? Und wofür braucht man sie?                                                          8

              2.1 Der Staat ist den Bürgerinnen und Bürgern zu Transparenz verpflichtet                                 8
              2.2 Die Bürgerinnen und Bürger sind dem Staat zu Transparenz verpflichtet                                 9
              2.3 Die Bürgerinnen und Bürger sind sich untereinander zu Transparenz verpflichtet                       10
              2.4 Verschiedene Teile des Staates müssen füreinander transparent sein                                   10
              2.5 Ein Überblick über die vorgeschlagenen Reformmaßnahmen                                               10

           3. Transparenz im bundesdeutschen Steuersystem                                                              12

              3.1 Gute Informationen für Verständnis und Akzeptanz des Steuersystems                                   12

                    3.1.1 Steuerlücke berechnen                                                                        13
                    3.1.2 Besseres Wissen über die Steuerbelastung und ihre Verteilung                                 15
                    3.1.3 Vollzugskosten der Besteuerung ermitteln                                                     16
                    3.1.4 Akzeptanz und Verständnis des Steuersystems durch Befragungen erhöhen                        16
                    3.1.5 Information des Staates über das Steuersystem verbessern                                     17

              3.2 Die Steuerverwaltung reformieren                                                                     18

                    3.2.1 Den Finanzföderalismus modernisieren                                                         19
                    3.2.2 Organisationsmodell reformieren: „Large Taxpayer Units“ einführen                            20
                    3.2.3 Die Steuerverwaltung muss kundenorientierter werden                                          21
                    3.2.4 Finanzverwaltung evaluieren                                                                  22

              3.3 Wechselseitige Transparenz zwischen Bürgern und Finanzverwaltung                                     23

                    3.3.1 Informationsfreigabe nicht vorschreiben, sondern Transparenz belohnen                        23
                    3.3.2 Aufhebung des steuerlichen Bankgeheimnisses                                                  25
                    3.3.3 Steuergeheimnis weiterentwickeln                                                             26
                    3.3.4 Einführung von elektronischem „Cross-Checking“                                               27
                    3.3.5 Veröffentlichung von Steuerzahlungen und Steuerschulden                                      28

           Diese Studie wird von der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich- Ebert-
           Stiftung veröffentlicht. Die Ausführungen und Schlussfolgerungen sind von den Auto-
           ren in eigener Verantwortung vorgenommen worden.

           Impressum: © Friedrich-Ebert-Stiftung Herausgeber: Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der
           Friedrich-Ebert-Stiftung    Godesberger Allee 149 53175 Bonn Fax 0228 883 9205 www.fes.de/wiso
           Gestaltung: pellens.de     Druck: bub Bonner Universitäts-Buchdruckerei   ISBN: 978-3-86872-121-8
Wirtschafts- und Sozialpolitik
                                                                                           WISO
                                                                                            Diskurs

   3.4 Kosten der Besteuerung senken und gerecht verteilen                            29

          3.4.1 Steuer und Sozialverwaltungen zusammenlegen                           29
          3.4.2 Den Bürgern die Befolgungskosten abnehmen                             30
          3.4.3 Einführung von vorausgefüllten Steuererklärungen                      31
          3.4.4 Benutzung von modernster Technik und elektronischem Service           32

   3.5 Steuermoral verbessern – Steuerhinterziehung konsequent bekämpfen              33

          3.5.1 Steuerstrafrecht weiterentwickeln                                     35
          3.5.2 Ein umfassendes Risikomanagement schaffen                             35
          3.5.3 Aggressive Steuerplanung frühzeitig erkennen und wirksam bekämpfen    37
          3.5.4 „Tax Whistleblowers“ schützen und fördern                             38

4. Die internationale Dimension steuerlicher Transparenz                              39

   4.1 Effektive internationale Transparenzstandards durchsetzen                      41

          4.1.1 Informationsaustausch muss automatisch erfolgen                       42
          4.1.2 Ausweitung der EU-Zinsbesteuerungsrichtlinie                          44
          4.1.3 Für eine bessere administrative Zusammenarbeit                        45

   4.2 Entschlossenheit und Glaubwürdigkeit durch Gegenmaßnahmen beweisen             45

          4.2.1 Einführung einer international koordinierten Quellensteuer            46
          4.2.2 Doppelbesteuerungs- und Informationsaustauschabkommen besser nutzen   46
          4.2.3 Mit gutem Beispiel vorangehen: unilaterale Abwehrmaßnahmen            47

   4.3 Auch andere Wege suchen                                                        47

          4.3.1 Neue Rechnungslegungsstandards                                        47
          4.3.2 Steuern als Teil der Unternehmensverantwortung                        48

5. Ausblick                                                                           49

Literatur                                                                             52

Die Autoren                                                                           59

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WISO
 Diskurs                                                                                        Friedrich-Ebert-Stiftung

           Vorbemerkung

           Die von der öffentlichen Hand bereitgestellten        gern Transparenz schuldig und die Bürger sind
           Güter und Dienstleistungen sind jedem zugäng-         umgekehrt dem Staat zu Transparenz verpflichtet,
           lich und sind zugleich Voraussetzung und Garant       denn nur so kann das Steuerrecht durchgesetzt
           des Wohlstands eines jeden Bürgers. Deshalb           werden. Darüber hinaus schulden sich die Bürger
           muss sich jedes natürliche und juristische Wirt-      auch untereinander Transparenz, denn dies ist
           schaftssubjekt entsprechend seiner Leistungsfähig-    die Voraussetzung für eine fundierte, rationale
           keit an der Finanzierung dieser Aufgaben betei-       steuerpolitische Auseinandersetzung. Schließlich
           ligen. Das bedeutet, dass alle Bürger und Unter-      müssen die verschiedenen Institutionen des
           nehmen bei gleicher Leistungsfähigkeit gleiche        Staates untereinander transparent sein.
           Steuerlasten und bei höherer Leistungsfähigkeit            Das vorliegende Gutachten zeigt, wie sich
           höhere Steuerlasten tragen müssen. Neben der          mit vier Reformbündeln alle genannten Dimen-
           Finanzierung staatlicher Aufgaben hat das Steuer-     sionen von Transparenz erfüllen lassen. Es geht
           system somit auch eine allokative und eine dis-       erstens darum, das Verständnis für das Steuersys-
           tributive Funktion. Dies wird von der Mehrheit        tem und dadurch die Steuermoral zu erhöhen.
           der Bürger unterstützt. Zugleich wird jedoch das      Zweitens ist die Verwaltung zu reformieren, um
           derzeitige deutsche Steuersystem als zu kompli-       einen besseren, bürgerfreundlichen Service anzu-
           ziert und ungerecht empfunden.                        bieten. Drittens ist sicherzustellen, dass das Sys-
                 Vor diesem Hintergrund sind in den letzten      tem für alle Bürger in gleicher Form gilt. Viertens
           Jahren viel beachtete Politikvorschläge einge-        müssen schädlicher Steuerwettbewerb vermieden
           bracht worden, mit denen die Transparenz und          und internationale Steuerschlupflöcher geschlos-
           die Einfachheit des Systems verbessert werden         sen werden.
           sollten. Auch wenn diese Konzepte die fiskali-             Mit mehr Transparenz kann somit ein ver-
           schen, sozialen, ökonomischen und ökologischen        ständliches und gerechtes Steuersystem geschaf-
           Ziele des Steuersystems schwächten, liegt in der      fen werden, das zugleich eine solide Finanzie-
           Transparenz ein wichtiger Ausgangspunkt für           rungsbasis für die Aufgaben des Staates schafft.
           notwendige Reformen.
                 Notwendig ist jedoch ein umfassender Be-                                  René Bormann
           griff von Transparenz. So ist der Staat seinen Bür-                             Friedrich-Ebert-Stiftung

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Wirtschafts- und Sozialpolitik
                                                                                                                                                 WISO
                                                                                                                                                  Diskurs

1. Einleitung*

In der steuerpolitischen Diskussion wird immer                           men ist. Ähnliche Vorschläge sind aber nach wie
wieder die Erhöhung der Transparenz des Steuer-                          vor in der steuerpolitischen Diskussion vertre-
systems verlangt. Sehr oft wird damit die Forde-                         ten.2
rung nach einer radikalen Vereinfachung des                                   Diese meist sehr umfassenden Reformvor-
Steuersystems verbunden. Einer der bekanntesten                          schläge wirtschaftsliberaler Provenienz haben ge-
Reformvorschläge, in dem die Forderung nach                              meinsam, dass sie Aufkommensverluste mit sich
der Herstellung von Transparenz eine bedeutende                          brächten und eine deutlich geringere Umvertei-
Rolle spielt, ist die „flat tax“. In Reinform gilt bei                   lungswirkung aufweisen; entlastet würden vor
der flat tax lediglich ein Steuersatz. Dieser soll, da                   allem hohe Einkommen.3 Es spricht einiges dafür,
er auf eine durch den Abbau fast aller Ausnahme-                         dass es für derartige Politiken angesichts der öf-
tatbestände verbreiterte Bemessungsgrundlage                             fentlichen Haushaltslage, die sich im Zuge der
angewendet wird, deutlich niedriger liegen als                           aktuellen Finanzkrise weiter verschärfen wird,
der derzeitige Spitzensatz der Einkommensteuer.                          keinen Spielraum gibt. Vor allem aber widerspre-
Damit würde das Prinzip der progressiven Besteue-                        chen diese Politikvorschläge dem Gerechtigkeits-
rung nach Leistungsfähigkeit aufgegeben.                                 empfinden der meisten Bürgerinnen und Bürger.
     Das in der bundesdeutschen Diskussion wohl                          Es wird von den meisten Menschen als gerecht
prominenteste Konzept dieser Art ist das Modell                          empfunden, dass hohe Einkommen stärker belas-
des ehemaligen Verfassungsrichters Paul Kirch-                           tet werden als niedrige und dass ein gewisses Maß
hof. Dieses sieht vor, dass ein Steuersatz von 25 %                      an Umverteilung vorgenommen wird.4
auf alle Einkommen, bei einem Freibetrag von                                  Trotzdem ist das Schlagwort der steuerlichen
8 000 Euro, angewandt wird. Außerdem soll                                Transparenz in der öffentlichen Wahrnehmung
gänzlich auf alle Lenkungs- und Subventions-                             positiv besetzt und wird sehr weitgehend mit den
normen verzichtet werden. Der vorgeschlagene                             wirtschaftsliberalen Politikvorschlägen in Verbin-
Gesetzestext ist nur neun Seiten lang und umfasst                        dung gebracht.5 Dies verschafft ihren Vertretern
23 Paragraphen, in dem Einkommens- und Un-                               in der politischen Auseinandersetzung einen
ternehmensbesteuerung geregelt sind.1 Nun sind                           wichtigen Vorteil. Denn tatsächlich wird das der-
die steuerpolitischen Vorstellungen von Paul                             zeitige Steuerrecht von der Mehrheit der Bevöl-
Kirchhof bekanntermaßen einer der Hauptgrün-                             kerung, aber auch von fast allen Experten, als zu
de, warum es bei der letzten Bundestagswahl                              kompliziert und unverständlich eingeschätzt. In
nicht zu einer schwarz-gelben Koalition gekom-                           der Konsequenz, und weil im Status quo die von

*   Wir danken René Bormann, Gerhard Schick, Uwe Teusch und Susanne Uhl für wertvolle Hinweise und Kommentare. René Bormann
    danken wir außerdem für die redaktionelle Betreuung des Textes.
1   Kirchhof (2003). Auf der Basis der Vorschläge von Kirchhof hat Friedrich Merz seine „Bierdeckelsteuer“ entwickelt, die von der CDU ins
    Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2005 aufgenommen wurde.
2   So hat die FDP kürzlich ihr „Nettokonzept“ verabschiedet (FDP 2008). Dabei handelt es sich um eine kaum veränderte Aktualisierung
    ihres bereits im Jahre 2005 vorgelegten Konzepts zur Einkommensteuer mit einem flachen Drei-Stufen Tarif. Ebenfalls zu nennen ist hier
    auch der Vorschlag der Kommission Steuergesetzbuch der Stiftung Marktwirtschaft (2009).
3   Siehe z.B. Finanzministerkonferenz (2004a).
4   So sprechen sich ca. zwei Drittel der Befragten dafür aus, dass der Staat für mehr soziale Gerechtigkeit stärker als bisher eingreifen und
    umverteilen sollte (Bertelsmann Stiftung 2007; Lippl 2008).
5   Von der IG Metall, ver.di und Attac wurde 2004 der Versuch unternommen, dieser Entwicklung mit der „solidarischen Einfachsteuer“
    etwas entgegenzusetzen (Hickel 2005), stieß allerdings kaum auf öffentliche Resonanz.

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           ihnen befürworteten Verteilungsziele keineswegs          spiele sind die steuerliche Förderung von ener-
           immer erreicht werden, halten die Bürgerinnen            giesparenden Sanierungsmaßnahmen oder die
           und Bürger das derzeitige Steuersystem für unge-         Sondersteuer auf Alcopops. Solche Förderun-
           recht.6                                                  gen und Sondertatbestände sind politisch und
                Angesichts dieser Lage ist es notwendig, Vor-       gesellschaftlich erwünscht, erhöhen aber auch
           schläge für eine Vereinfachung und Steigerung            die Komplexität des Steuersystems.
           der Transparenz des Steuersystems zu entwickeln.      Es geht darum, die fiskalischen, sozialen und öko-
           Es geht darum, den Begriff der Transparenz, der       nomischen Ziele mit einem hohen Niveau an
           auch bei der Verfolgung sozialdemokratischer          Einfachheit und Verständlichkeit auszutarieren.
           steuerpolitischer Ziele ein wichtiger Wert ist, in    Die derzeit prominentesten Vorschläge für eine
           der öffentlichen Wahrnehmung zurückzuerobern.         Steuervereinfachung sind zum Scheitern verur-
           Diese Aufgabe stellt sich aus zwei Gründen:           teilt, weil sie die verschiedenen Ziele nicht hin-
                Erstens ist ein für die Bürgerinnen und Bür-     reichend ausbalancieren.
           ger verständliches Steuersystem erstrebenswert.             Wenn man die steuerpolitischen Zielkon-
           Ein solches System hat mehrere Vorteile:              flikte ernst nimmt und außerdem bedenkt, dass
           • Es ist für die Bürgerinnen und Bürger durch-        es in einer pluralistischen Gesellschaft unter-
              schaubar. Dies befördert rechtskonformes Ver-      schiedliche Interessen bezüglich der Ausgestal-
              halten, weil es das Vertrauen in die staatlichen   tung des Steuersystems gibt, dann ist Skepsis ge-
              Institutionen stärkt und die Befolgungskosten      genüber jeglichen Vorschlägen angebracht, die
              für die Steuerpflichtigen reduziert.               einen vollständigen Ersatz des bestehenden Steu-
           • Auch die Verwaltungskosten werden erheblich         ersystems durch ein neues, gewissermaßen am
              gesenkt, weil weniger Einzelfallprüfungen not-     Reißbrett entwickeltes System propagieren. Sol-
              wendig sind.                                       che „großen Würfe“ werden sich politisch nicht
           • Sehr allgemeine, und damit einfache, Rege-          durchsetzen lassen. Wir schlagen deshalb einen
              lungen helfen, ökonomische Fehllenkungen           anderen Weg ein. Zwar sind auch wir der Mei-
              zu vermeiden und senken die Missbrauchsan-         nung, dass das deutsche Steuersystem dringend
              fälligkeit des Steuersystems.                      reformbedürftig ist, weil es zu kompliziert gewor-
           Zweitens gilt aber, dass das einfachste Steuersys-    den ist, die Gleichmäßigkeit der Besteuerung
           tem nicht unbedingt das Beste ist, sondern Ein-       nicht mehr gewährleistet ist und damit auch die
           fachheit auszubalancieren ist mit anderen steuer-     Höhe und vor allem die Verteilung der Steuerbe-
           politischen Zielen:                                   lastung ungerecht geworden ist.7 Wir sind aber
           • Wenn ein Steuersystem als ungerecht empfun-         der Ansicht, dass sich die Reform des Steuersys-
              den wird, führt dies nachweislich zu geringerer    tems nur in einem langfristig angelegten politi-
              Steuermoral. Da der Grundsatz der Besteue-         schen Prozess wird organisieren lassen, an dessen
              rung nach der Leistungsfähigkeit (d. h. eines      Ende ein Kompromiss zwischen verschiedenen
              mit dem Einkommen steigenden Steuersatzes)         steuerpolitischen Zielen und Interessen stehen
              weitgehende Unterstützung in der Bevölkerung       muss. Anstatt also mit einem Komplettentwurf
              genießt und nachvollziehbar ist, ist eine nach     für ein neues Steuersystem in die Debatte hinein-
              Leistungsfähigkeit differenzierte Verteilung der   zugehen, scheint es uns deshalb sinnvoller, ver-
              Steuerlast besser zur Förderung der Steuermo-      schiedene Einzelmaßnahmen vorzuschlagen, die
              ral geeignet als die einfachere flat tax.          am derzeit bestehenden System ansetzen und zu
           • Steuerpolitik soll auch bestimmte Lenkungs-         dessen gradueller Verbesserung beitragen wollen.
              wirkungen entfalten, das heißt bestimmte öko-            In diesem Gutachten können wir keinen
              logisch, ökonomisch oder sozialpolitisch er-       umfassenden Katalog an Einzelmaßnahmen vor-
              wünschte Verhaltensweisen begünstigen. Bei-        schlagen, der unseres Erachtens notwendig wäre,

           6   Vgl. Allensbach Institut für Demoskopie (2008).
           7   Vgl z.B. zuletzt Bundesrechnungshof (2006).

      6
Wirtschafts- und Sozialpolitik
                                                                                                                                          WISO
                                                                                                                                           Diskurs

um alle Defizite des Steuersystems zu beheben.                        einander, sondern können sich gegenseitig ver-
Stattdessen konzentrieren wir uns auf solche                          stärken. Beispielsweise erhöhen unsere Vorschlä-
Maßnahmen, die die Transparenz des Steuersys-                         ge zur Reform der Steuerverwaltung nicht nur
tems betreffen. Wir sind uns bewusst, dass eine                       deren Effizienz, sondern können auch zur Ver-
solche Schwerpunktsetzung eine Verkürzung dar-                        besserung der Steuermoral beitragen. Sie ergän-
stellt – es muss schlussendlich auch um Verän-                        zen also jene spezifischen Vorschläge, die auf die
derungen an Tarifverläufen und Bemessungs-                            Erhöhung der Steuermoral zielen, die wiederum
grundlagen gehen.8 Wir sind aber der Meinung,                         durch die Maßnahmen zur Senkung der Befol-
dass eine Fokussierung auf die Transparenz nütz-                      gungskosten positiv beeinflusst wird. Während
lich ist, weil sie die Voraussetzung für weiterge-                    alle Maßnahmen auch als einzelne Maßnahmen
hende Reformmaßnahmen ist. Erst wenn sie her-                         sinnvoll sind, so greifen sie dennoch ineinander
gestellt ist, sind die Stärken und Schwächen des                      und können Synergien freisetzen.
Steuersystems klar erkennbar und es können wei-                            Das Gutachten ist folgendermaßen geglie-
tere Reformmaßnahmen entwickelt werden. Eine                          dert: Zunächst entwickeln wir einen Transparenz-
Transparenzinitiative kann den politischen Re-                        begriff, der sich von dem wirtschaftsliberalen und
formprozess anstoßen und dessen Qualität erhö-                        konservativen Begriff abhebt. Während jene ei-
hen. Hinzu kommt, dass manche Unzufrieden-                            nen eindimensionalen Begriff prägen, der ledig-
heit der Bürgerinnen und Bürger mit dem der-                          lich die Transparenz betont, die der Staat den
zeitigen Steuersystem sich schon alleine durch                        Bürgerinnen und Bürgern schuldet, ergänzen wir
die Herstellung von Transparenz beheben lässt.                        diese Vorstellung um weitere Transparenzrela-
Schließlich bietet die Transparenz einen guten                        tionen und schlagen einen vierdimensionalen
Anknüpfungspunkt zur Diskussion des Problems                          Transparenzbegriff vor (Teil 2). Im Teil 3 und 4
der internationalen Steuerhinterziehung und                           werden verschiedene Einzelmaßnahmen zur Er-
-vermeidung, dem in der Vergangenheit zu wenig                        höhung der Transparenz des Steuersystems vor-
politische Beachtung geschenkt wurde – was sich                       geschlagen, wobei sich Teil 3 mit den nationalen
in der letzten Zeit allerdings verändert hat (vgl.                    und Teil 4 den internationalen Maßnahmen be-
Abschnitt 4).                                                         fasst. Teil 5 fasst zusammen und reflektiert über
      Die im Folgenden vorgeschlagenen Einzel-                        mögliche politische Strategien zur Durchsetzung
maßnahmen stehen nicht unverbunden neben-                             der Vorschläge.

8   In ihrem Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2009 setzt sich die SPD (2009) für Änderungen am Tarifverlauf der Einkommensteuer
    ein. Insbesondere soll der Eingangstarif auf 10 % gesenkt werden und der Spitzensteuersatz, der ab einem Einkommen von 125 000 bzw.
    250 000 Euro für Verheiratete gelten soll, auf 47 % erhöht werden.

                                                                                                                                          7
WISO
 Diskurs                                                                                        Friedrich-Ebert-Stiftung

           2. Was ist Transparenz? Und wofür braucht man sie?

           In diesem Teil wird gezeigt, dass Transparenz           tens müssen auch verschiedene staatliche Stellen
           mehr ist als von ihren wirtschaftsliberalen Befür-      untereinander größere Transparenz herstellen,
           wortern immer behauptet wird. Diese betonen             um ihre Arbeit effektiver ausüben zu können und
           einzig und alleine die Transparenz, die der Staat       den Bürgerinnen und Bürgern zusätzliche Arbeit
           den Bürgerinnen und Bürgern schuldet. Das ist           zu ersparen. Im Folgenden diskutieren wir, wel-
           tatsächlich ein wichtiger Aspekt der Transparenz,       che positiven Wirkungen man der Transparenz in
           aber es ist nicht der einzige. Wir setzen diesem        diesen vier Relationen zuschreiben kann; aber
           eindimensionalen Verständnis ein vierdimensiona-        auch, welche Grenzen ihr zu setzen sind.
           les Transparenzkonzept entgegen.
                Der Duden definiert Transparenz als „Durch-
           scheinen, Durchsichtigkeit, Lichtdurchlässigkeit“       2.1 Der Staat ist den Bürgerinnen und
           und vermerkt außerdem, dass es das Gegenteil                Bürgern zu Transparenz verpflichtet
           von „Opazität“ sei, die wiederum als „Undurch-
           sichtigkeit“ erklärt wird. Es geht also zum einen       Der Staat muss für die Bürgerinnen und Bürger
           um Sichtbarkeit. Neben der reinen Sichtbarkeit          transparent sein, damit eine effektive demokra-
           umfasst Transparenz Verständlichkeit oder zu-           tische Kontrolle möglich ist. Nur wenn die Bürge-
           mindest Nachvollziehbarkeit. Der Duden defi-            rinnen und Bürger über ausreichende Informa-
           niert dementsprechend „etwas transparent ma-            tionen über das Handeln der Regierung verfügen,
           chen“ mit „machen, dass andere sehen können,            haben sie überhaupt die Möglichkeit, informierte
           dass oder wie etwas getan wird“.                        politische Entscheidungen zu treffen und die
                Um zu verstehen, welche Anforderungen              Politik verantwortlich zu machen, z. B. durch Ab-
           sich aus dem Kriterium der Transparenz für das          wahl.9
           Steuersystem ergeben, schlagen wir eine Unter-               Für den Bereich des Steuer- und Abgaben-
           scheidung in vier verschiedene Transparenzrela-         rechts kommt hinzu, dass die Bürgerinnen und
           tionen vor, die sich aus der Unterscheidung zwi-        Bürger Transparenz verlangen können, weil sie
           schen Staat und Gesellschaft ergeben. Erstens ist       zur Zahlung einer Zwangsabgabe verpflichtet
           der Staat der Gesellschaft zu Transparenz ver-          werden. Gemäß dem Rechtsstaatsprinzip muss
           pflichtet, damit sie den Staat demokratisch gestal-     nachvollziehbar sein, wie sich die Höhe der Steu-
           ten kann. Zweitens sind die Bürgerinnen und             ern berechnet. Und es soll nachvollziehbar sein,
           Bürger dem Staat zu Transparenz verpflichtet, da-       wofür der Staat dieses Geld ausgibt. Deshalb er-
           mit dieser die ihm zugewiesenen Aufgaben auch           folgt die Aufstellung des staatlichen Haushaltes
           erfüllen kann. Drittens schulden sich innerhalb         öffentlich. Die Bürgerinnen und Bürger sollen die
           der gesellschaftlichen Sphäre die Bürgerinnen           Möglichkeit haben, sich ein Gesamtbild von der
           und Bürger wechselseitig Transparenz über be-           Einnahmen- wie der Ausgabenseite des Staates
           stimmte steuerliche Aspekte, weil dies eine ratio-      machen zu können, um auf dieser Grundlage ef-
           nale öffentliche Auseinandersetzung mit der Ge-         fektive demokratische Kontrolle ausüben zu kön-
           rechtigkeit in der Steuerpolitik ermöglicht. Vier-      nen.10

            9 Vgl. z.B. Manin, Przeworski und Stokes (1999, 24).
           10 Vgl. z.B. Gröpl (2006).

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Wirtschafts- und Sozialpolitik
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2.2 Die Bürgerinnen und Bürger sind                                        Diese Überlegungen sind von hoher Bedeu-
    dem Staat zu Transparenz verpflichtet                             tung für die Steuerpolitik. Die Zahlung von Steu-
                                                                      ern ist eine der zentralen Pflichten des Gesell-
Umgekehrt verlangt Transparenz aber auch, dass                        schaftsvertrages. Nur durch die Zahlung von
die Bürgerinnen und Bürger dem Staat alle rele-                       Steuern lässt sich der Staat, der ja dem Vorteil
vanten Informationen zur Festlegung und Durch-                        aller Bürgerinnen und Bürger dient, aufrechter-
setzung der Steuerschuld offenlegen. Diese Pflicht                    halten. Sie sind, um im Bild des Vertrages zu blei-
leitet sich aus einer gemeinsamen Verantwortung                       ben, der Preis, den jede Bürgerin und jeder Bürger
für die Aufrechterhaltung einer funktionierenden                      für die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen
und gerechten gesellschaftlichen Ordnung ab.                          Ordnung zahlen muss.12
     Im liberalen Bild des Gesellschaftsvertrages,                         Der Staat kann die zu zahlende Steuer nur
dem sich freie und gleiche Bürgerinnen und Bür-                       angemessen und gerecht berechnen, wenn er
ger unterwerfen, um sich mit bestimmten öffent-                       über ausreichende Informationen über das Ein-
lichen Gütern zu versorgen – wie z. B. der Zusi-                      kommen und Vermögen seiner Bürgerinnen und
cherung von Bürgerrechten, der Definition von                         Bürger verfügt. Da der einzelne aber, selbst wenn
Privateigentumsrechten und einer Marktordnung                         er dem Gesellschaftsvertrag im Prinzip zustimmt,
– wird dies deutlich. In diesem Vertrag tauschen                      ein Interesse daran haben kann, dem Staat falsche
Bürgerinnen und Bürger diese Rechte gegen                             oder gar keine Angaben zu seinem wahren Ein-
Pflichten, die mit dem Bürgerstatus verbunden                         kommen zu machen, um so die Steuerschuld zu
sind, ein. Der Staat wird mit dem Monopol der                         verringern, muss der Staat Mittel erhalten, um
legitimen Gewaltanwendung ausgestattet, um                            sich die notwendige Information auch gegen den
den Gesellschaftsvertrag durchzusetzen. Dahinter                      Willen des einzelnen beschaffen zu können.
steht die Einsicht, dass einzelne Bürgerinnen und                          Dies bedeutet nicht, dass der Staat beliebigen
Bürger, selbst wenn sie den im Gesellschaftsver-                      Zugriff auf alle Informationen seiner Bürger ha-
trag festgelegten Prinzipien einer gerechten und                      ben soll. Grundprinzip liberal verfasster Gesell-
freien Gesellschaft im Grundsatz zustimmen,                           schaftsordnungen ist es, die individuelle Freiheit
dem Anreiz erliegen würden, sich im Einzelfall                        und Selbstbestimmung nur dort zu begrenzen,
einen ungerechten Vorteil gegenüber anderen                           wo es für ein friedliches und produktives Mit-
Bürgern zu verschaffen. Deshalb sind, jedenfalls                      einander notwendig ist. Zu dieser Freiheit gehört
solange der Staat die im Verfassungsvertrag fest-                     grundsätzlich auch die informationelle Selbst-
gelegten Grenzen der Demokratie und Recht-                            bestimmung. Es geht darum zu unterscheiden,
staatlichkeit einhält, die Pflichten gegenüber dem                    welche Informationen von öffentlichem Interes-
Staat letztlich Pflichten gegenüber allen anderen                     se sind und welche privat bleiben sollen. Wäh-
Bürgerinnen und Bürgern.11                                            rend das Grundprinzip dieser Unterscheidung in
     Die Möglichkeit, die Durchsetzung der Ge-                        öffentliche und private Angelegenheiten in libe-
setze notfalls erzwingen zu können, reicht aber                       ralen Demokratien Konsens ist, ist die Frage, wo
nicht aus. Wie bereits Aristoteles argumentierte,                     und wie die Grenze genau zu ziehen ist, umstrit-
wird sich keine Gerechtigkeitsregel durchsetzen                       ten.13 Da sich der Staat ohne Steuern nicht finan-
lassen, wenn Verstöße gegen sie unsichtbar blei-                      zieren ließe, ist es aber unstrittig, dass er das Recht
ben können. Transparenz ist deshalb eine not-                         hat, notwendige Informationen zu deren Erhe-
wendige Voraussetzung für die Verwirklichung                          bung zu erlangen.
einer gerechten Gesellschaft.

11 Ein solches Begründungsmuster für einen Staat, mit jeweils unterschiedlichen Akzentuierungen, findet sich bei vielen Autoren in der
   Tradition der philosophischen Aufklärung, z.B. bei Hobbes, Kant und Rousseau. Auch in der aktuellen politischen Philosophie wird die
   Begründungsfigur des Gesellschaftsvertrages verwendet (vgl. z.B. Rawls 1971; Buchanan 1984).
12 Vgl. Buchanan (1984) und Murphy/Nagel (2002).
13 Siehe z.B. die Positionen von Pateman (1983) und Gaus (1997).

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           2.3 Die Bürgerinnen und Bürger sind                                  2.4 Verschiedene Teile des Staates
               sich untereinander zu Transparenz                                    müssen füreinander transparent sein
               verpflichtet
                                                                                Eine Bedingung dafür, dass alle Bürger vom Staat
           Aber nicht nur dem Staat schulden die Bürge-                         gerecht behandelt werden, ist auch, dass verschie-
           rinnen und Bürger Transparenz, sondern auch                          dene staatliche Stellen voneinander wissen, wie
           untereinander sollten sie bestimmte Informatio-                      sie die Bürger behandeln. Besonders relevant ist
           nen offenlegen, weil dies eine rationale öffent-                     dieser Aspekt im internationalen Bereich. Solan-
           liche Diskussion ermöglicht. Durch die Offenle-                      ge sich unterschiedliche Staaten nicht wechsel-
           gung von Steuerzahlungen gegenüber anderen                           seitig über Geldanlagen und andere wirtschaft-
           Bürgerinnen und Bürgern könnte ein Konsens                           liche Aktivitäten ausländischer Steuerpflichtiger
           oder jedenfalls die Annäherung an einen Konsens                      informieren, lässt sich das Steuerrecht nicht
           über die Prinzipien einer gerechten Steuerpolitik                    durchsetzen. Wie wir zeigen, bestehen hier der-
           erreicht werden.                                                     zeit massive Transparenzdefizite, die sich nur
                In der Diskussion über die Frage „Was ist ge-                   durch hartnäckiges Verhandeln auf internatio-
           recht?“ mischen sich interessegeleitete und prin-                    naler Ebene beheben lassen. Aber auch innerhalb
           zipiengeleitete Argumente. Diejenigen mit einem                      der Bundesrepublik erhält eine staatliche Stelle
           hohen Einkommen vertreten häufig auch die An-                        die wichtigen Informationen einer anderen oft
           sicht, dass sich Leistung lohnen müsse (Leistungs-                   gar nicht oder nur schwer, was den Vollzug der
           gerechtigkeit) und deshalb die Steuerbelastung                       Gesetze schwieriger macht und bei den Bürge-
           für hohe Einkommen nicht zu hoch sein darf,                          rinnen und Bürgern unnötige Befolgungskosten
           während diejenigen mit niedrigen Einkommen                           verursacht. Besonders relevant ist dies beim Ver-
           der Ansicht sind, dass eine umverteilende Steuer-                    hältnis zwischen Steuer- und Sozialverwaltung.
           politik gerecht sei. Wenn die Einkommen und
           Steuerbelastung aber für alle transparent sind,
           werden die Bürgerinnen und Bürger gezwungen,                         2.5 Ein Überblick über die
           öffentlich Gründe für ihre vorgetragenen Über-                           vorgeschlagenen Reformmaßnahmen
           zeugungen vorzubringen. Rein interessegeleite-
           te Argumentationen werden es dann deutlich                           Aus der bisherigen Argumentation ergibt sich
           schwerer haben.14                                                    zweierlei. Erstens gilt, wie in der Einleitung be-
                Wichtig ist, dass nicht nur die Einkommen                       tont, dass Einfachheit ein sehr wichtiges, aber
           der Bürger transparent gemacht werden, sondern                       nicht das einzige Ziel guter Steuerpolitik ist. Viel-
           auch ihr finanzieller Beitrag zum Gemeinwesen,                       mehr müssen verschiedene widerstreitende Ziele
           den sie in Form von Steuern leisten. Es scheint                      abgewogen und in ein sinnvolles Gleichgewicht
           plausibel, dass der Neid auf Besserverdienende,                      gebracht werden. Zweitens sind die Anforderun-
           Reiche und Vermögende gedämpft wird, wenn                            gen der Transparenz vielschichtiger als wirt-
           sichtbar würde, dass sie einen sehr hohen Beitrag                    schaftsliberale Steuerreformer glauben machen
           zur Finanzierung des Staates leisten. Andererseits                   wollen. Während jene ausschließlich diejenige
           kann, sofern ihr tatsächlicher Beitrag als zu ge-                    Transparenz betonen, die der Staat den Bürgern
           ring angesehen wird, politischer Druck entste-                       schuldet, schlagen wir einen Transparenzbegriff
           hen, ihnen einen gerechten Anteil abzuverlan-                        vor, der sich aus vier verschiedenen Transparenz-
           gen.                                                                 relationen zusammensetzt.

           14 Vgl. Brennan und Pettit (2004, 289-321), Naurin (2007, 11–29) und Dietsch (2006).

    10
Wirtschafts- und Sozialpolitik
                                                                                                           WISO
                                                                                                            Diskurs

Verschiedene Reformmaßnahmen, die jeweils am           nalen Transparenzbegriff ab und enthält die
bestehenden Steuerrecht ansetzen, müssen alle          Reformvorschläge, die wir im Folgenden unter-
vier Transparenzdimensionen berücksichtigen.           breiten werden.
Die folgende Matrix bildet den vierdimensio-

Tabelle 1: Die Vorschläge im Überblick, mit Transparenzdimension

 Bürger ➜ Bürger                                      Bürger ➜ Staat
 Steuerkultur fördern                                 Gleichmäßige Durchsetzung des Rechts
 • Steuerbildung (3.1.5)                              • Bankgeheimnis abschaffen (3.3.2)
 • Veröffentlichung von Steuerzahlungen und           • Verbot von Tafelgeschäften (3.3.2)
    von Steuerschulden (3.3.5)                        • vorausgefüllte Steuererklärung (3.4.3)
 • Verhaltenskodex für (multinationale)               • Steuerstrafrecht verschärfen (3.5.1)
    Unternehmen (4.3.2)                               • steuerliche „Whistleblower“ (3.5.4)
                                                      • Nationale Abwehrmaßnahmen gegen interna-
                                                        tionale Steuerhinterziehung und -vermeidung
                                                        verschärfen (4.2.3)
 Staat ➜ Bürger                                       Staat ➜ Staat

 Berichtswesen                                        Reform der Finanzverwaltung

 • Steuerlücke berechnen (3.1.1)                      • Bundessteuerverwaltung (3.2.1)
 • Verbesserung der Steuerstatistik (3.1.2)           • Steuergeheimnis weiterentwickeln (3.3.3)
 • Wissenschaftliche Daten zur Steuerlastverteilung   • Elektronischer Datenabgleich (3.3.4)
    und zu Befolgungskosten verbessern                • Steuer- und Sozialverwaltung zusammenführen
    (3.1.2 und 3.1.3)                                   (3.4.1)
 • Umfragen zur Steuerzufriedenheit (3.1.4)
 • Jahrbuch Steuern (3.1.5)                           Internationale Kooperation

                                                      • Internationale Finanzmarktregulierung und
 Transparenz und Service der Verwaltung
                                                        Steuerkooperation verzahnen (4.1)
 • „Large Taxpayer Units“ (3.2.2)                     • Automatischer Informationsaustausch (4.1.1)
 • Charta der Steuerzahlerrechte (3.2.3)              • Zinsbesteuerungsrichtlinie ausweiten (4.1.2)
 • Anreize zur Transparenz (3.3.1)                    • JITSIC beitreten (4.1.3)
 • „Verbesserte Beziehung“ (3.4.2)                    • International koordinierte Quellensteuer (4.2.1)
 • vorausgefüllte Steuererklärung (3.4.3)             • Doppelbesteuerungsabkommen modernisieren
 • Ausbau des Internetangebots (3.4.4)                  (4.2.2)
 • Risikomanagement (3.5.2)                           • „country-by-country-reporting“ (4.3.1)

                                                                                                           11
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 Diskurs                                                                                        Friedrich-Ebert-Stiftung

           3. Transparenz im bundesdeutschen Steuersystem

           In diesem Teil wollen wir verschiedene Maßnah-        3.1 Gute Informationen für Verständnis
           men vorstellen, mit denen die Transparenz des             und Akzeptanz des Steuersystems
           deutschen Steuersystems erhöht werden kann.
           Zunächst unterbreiten wir Vorschläge zur Schaf-       Ein erster wichtiger Schritt zur Verbesserung der
           fung einer verbesserten Informationsgrundlage         Transparenz des Steuersystems ist, die Kenntnis
           über das Steuersystem (3.1). Wir stellen diese Vor-   über das System selbst zu verbessern. Gerade in
           schläge an den Anfang, weil es sich dabei um          Deutschland besteht hier ein eklatantes Problem.
           Maßnahmen handelt, die sich sehr leicht umset-        Es gibt kaum Statistiken zur tatsächlichen Steuer-
           zen lassen und mit niedrigen Kosten verbunden         lastverteilung, dem Ausmaß von Steuerhinter-
           sind, aber trotzdem eine große Wirkung entfalten      ziehung und -vermeidung sowie zur Steuerbefol-
           können. So ließen sich durch verbesserte Infor-       gung. Zwar existieren vereinzelt wissenschaftliche
           mationen und deren öffentliche Verbreitung ei-        Untersuchungen und Schätzungen, systemati-
           nige Vorurteile über das Steuersystem entkräften,     sche Zahlenwerke, die es ermöglichen, die Verän-
           die derzeit zur Unzufriedenheit der Bürgerinnen       derung über die Zeit zu verfolgen, fehlen aber. Das
           und Bürger beitragen. Außerdem sind gute Infor-       Fehlen objektiver Informationen führt dazu, dass
           mationen über tatsächliche Mängel eine zentrale       sich in der Öffentlichkeit Wahrnehmungen über
           Voraussetzung für die Initiierung eines steuerpo-     das Steuersystem verbreiten können, die, auch
           litischen Reformprozesses. Im Abschnitt 3.2 geht      wenn sie mit der Realität nicht in Einklang ste-
           es um eine Reform der Organisationsstruktur der       hen, geeignet sind, die Steuermoral ernsthaft zu
           Finanzverwaltung, die sicherstellen soll, dass die    beeinträchtigen. Es ist daher wichtig, objektive
           Finanzverwaltung für die Bürgerinnen und Bür-         Informationen über das Funktionieren und die
           ger transparenter wird. Dieser Punkt spielt in der    Wirkungen des Steuersystems zu gewinnen und
           politischen Diskussion viel zu selten eine Rolle,     diese einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln.
           obwohl sich wesentliche Mängel des deutschen          Solche Statistiken wären zugleich wichtige Infor-
           Steuersystems auf eine im internationalen Ver-        mationsquellen für die Politik, um bestehende
           gleich rückständige und für die Steuerzahler in-      Gesetzeslücken und Ungerechtigkeiten zu besei-
           transparente Verwaltung zurückführen lassen.          tigen. Diese Informationen können dazu beitra-
           Anschließend wird das Verhältnis der Finanzver-       gen, die steuerpolitische Debatte zu versachli-
           waltung zu den Steuerzahlern in den Blick ge-         chen. Auch für die Finanzverwaltung wären sol-
           nommen und die Offenlegungspflichten der Bür-         che Daten sehr wichtig, da sie helfen, Befolgungs-
           gerinnen und Bürger thematisiert (3.3). Abschnitt     probleme und Vollzugsdefizite zu erkennen.
           3.4 nimmt die Kosten in den Blick, die bei der             Wir schlagen deshalb im Folgenden vor, eine
           Befolgung des Steuerrechts für die Steuerzahler       Steuerlücke zu berechnen (3.1.1) und die Steuer-
           entstehen und unterbreitet Vorschläge zu ihrer        statistik zu verbessern, um unter anderem die
           Senkung. In Abschnitt 3.5 benennen wir Vor-           Verteilungswirkung der Steuergesetze (3.1.2) und
           schläge, wie die Steuermoral erhöht und das Pro-      die Befolgungskosten (3.1.3) besser einschätzen
           blem der Steuerhinterziehung abgemildert wer-         zu können. Außerdem schlagen wir vor, systema-
           den kann.                                             tische Befragungen zur Zufriedenheit der Bürge-

    12
Wirtschafts- und Sozialpolitik
                                                                                                                                          WISO
                                                                                                                                           Diskurs

rinnen und Bürger mit dem Steuersystem einzu-                         positive Auswirkungen auf die langfristige Ent-
führen (3.1.4) und die Informationsvermittlung                        wicklung des Steuersystems entwickeln kann.
über das Steuersystem zu verbessern (3.1.5).                                Die Berechnung der Steuerlücke ist komplex,
                                                                      aber handhabbar. Zunächst muss definiert wer-
3.1.1 Steuerlücke berechnen                                           den, welche Steuer hätte gezahlt werden müssen.
                                                                      Umstritten ist, ob Steuerplanung und -gestaltung
Die sogenannte Steuerlücke ist eine Kenngröße,                        ebenfalls zur Steuerlücke gerechnet werden, auch
die angibt, welcher Anteil der Steuern, die auf-                      wenn formal die Buchstaben des Gesetzes befolgt
grund der Gesetze entrichtet werden müssten,                          werden. Das Problem lässt sich vermeiden, indem
aufgrund von Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung,                      man diesen Teil der Steuerlücke gesondert fest-
Steuerflucht, Verwaltungsdefiziten, Zahlungsun-                       stellt und ausweist. Außerdem ist zwischen Brut-
fähigkeit oder aus anderen Gründen aber nicht                         tosteuerlücke und Nettosteuerlücke zu unter-
gezahlt werden. In den USA und in Schweden                            scheiden. Die Bruttosteuerlücke ist der Betrag der
und für einzelne Steuerarten auch in Großbritan-                      nichtgezahlten Steuern, wenn keine Prüfungen
nien werden Steuerlücken berechnet.15                                 und Ermittlungen von Seiten der Behörden er-
     In den USA und Schweden hat die Veröffent-                       folgt wären, und die Nettosteuerlücke misst die
lichung von Steuerlücken zu einer breiten öffent-                     tatsächlich nicht geleisteten Steuerzahlungen.
lichen und politischen Debatte geführt. Vorschlä-                     Diese Unterscheidung ist wichtig, um die Effek-
ge, wie die Steuerlücke zu schließen sei, häufen                      tivität der bestehenden Steuerprüfungs- und Er-
sich. Der Staat signalisiert mit der Steuerlücke,                     mittlungspraxis abzuschätzen. Schaubild 1 ver-
dass er gewillt ist, allen Bürgerinnen und Bürgern                    deutlicht das Konzept und die Unterteilung der
den gerechten und gesetzlich bestimmten Steuer-                       Steuerlücke.
betrag abzuverlangen. Dieses Signal erfreut die                             Die Steuerlücke kann nach verschiedenen
ehrlichen Steuerpflichtigen. Eine Berechnung ist                      Kriterien weiter untergliedert werden. So kann
außerdem eine Voraussetzung für eine Reihe an-                        unterschieden werden, ob sie ihre Ursache in
derer von uns vorgeschlagenen Maßnahmen. Es                           nicht abgegebenen Erklärungen, verschwiegenem
handelt sich um eine Maßnahme, die kurzfristig                        Einkommen oder festgesetzten, aber nicht gezahl-
eingeführt werden könnte, die aber erhebliche                         ten Steuern hat.16 Wobei die Steuerlücke auch be-

   Schaubild 1:

   Die Steuerlücke

                                             Potenzielles Steueraufkommen

                          Gezahlte Steuern                                        Entgangene Steuereinnahmen

      Ordnungsgemäße                  Ermittlungs- und               Nicht geleistete                Legale Steuergestaltung
      Steuerbefolgung                 Prüfungsergebnisse             Steuern                         und -planung

                                                                        Nettosteuerlücke

                                                         Bruttosteuerlücke

15 Tatsächlich unterscheiden sich die genauen Definitionen der Steuerlücke von Land zu Land. Für einen Überblick der Steuerlücke in den
   USA, siehe IRS (2008).
16 Die USA weisen eine solche Unterteilung aus.

                                                                                                                                          13
WISO
 Diskurs                                                                                                                 Friedrich-Ebert-Stiftung

           stimmten Aktivitäten wie Schwarzarbeit oder                            erlücke vor. Um angemessen mit der föderalen
           Steuerflucht ins Ausland zugeordnet werden                             Struktur der deutschen Steuerverwaltung umzu-
           kann.17 Weiterhin ist eine Untergliederung der                         gehen, ist es erforderlich, dass die notwendigen
           Steuerlücke in verschiedene Einkommensarten                            Zufallsprüfungen nach einem bundeseinheitlich
           bzw. Bevölkerungsgruppen möglich.18                                    festgelegten Zufallsverfahren ausgewählt werden
                Grundsätzlich lassen sich zwei Verfahrens-                        und die Prüfungen nach bundeseinheitlichem
           arten zur Berechnung der Steuerlücke unterschei-                       Verfahren stattfinden. Tätig werden könnte dabei
           den – eine makroökonomische und eine mikro-                            die Steuerprüfung der Länder, sofern nicht davon
           ökonomische. Die makroökonomischen Verfah-                             ausgegangen wird, dass es wichtige Unterschiede
           ren berechnen auf der Basis gesamtwirtschaft-                          hinsichtlich der personellen und technischen
           licher Daten die hypothetisch zu zahlenden                             Ausstattung der Steuerprüfungen gibt. Der Bund
           Steuern und vergleichen diese mit den tatsäch-                         sollte so weit wie möglich Herr des Verfahrens
           lich gezahlten. Diese Verfahren können aufgrund                        sein, um Ungleichmäßigkeiten und Verzerrungen
           ihrer Ungenauigkeit und weil sie kaum Rück-                            zu vermeiden. Bei Beginn der Prüfung sollte – wie
           schlüsse über das Entstehen und die Verteilung                         bei allen Steuerprüfungen – eine umfassende Er-
           der Lücke erlauben nur eine erste Annäherung                           läuterung über den Grund der Prüfung, ihren ge-
           darstellen. Sie müssen durch mikroökonomische                          nauen Ablauf und die Rechte und Pflichten des
           Verfahren ergänzt und verfeinert werden.                               Steuerpflichtigen erfolgen. In allgemeinen Infor-
                Bei den mikroökonomischen Verfahren wird                          mationskampagnen (siehe 3.1.5) sollten solche
           aufgrund von Beispielsfällen, bei denen die Steu-                      Prüfungen ebenfalls Erwähnung finden. So kann
           erlücke bekannt ist, eine Hochrechnung auf die                         Verständnis für diesen im Einzelfall sehr weitge-
           Bevölkerung bzw. die jeweilige Gruppe von Steu-                        henden Eingriff in die Privatsphäre des Bürgers
           erzahlern vorgenommen. Die Basis solcher Ver-                          geschaffen werden. Auch ist es sinnvoll, Steuer-
           fahren sind meistens steuerliche Prüfungen. So                         pflichtige, bei denen kein Mehrergebnis erzielt
           prüft die USA in ihrem National Research Pro-                          wurde bzw. bei denen lediglich kleine offensicht-
           gramm (NRP) auf der Basis einer Zufallsauswahl                         lich aus Versehen erfolgte Fehler vorlagen, für die
           bis zu 50 000 Steuererklärungen intensiv. Ausge-                       Kosten und Mühen der Intensivprüfung monetär
           hend von dieser repräsentativen Auswahl können                         zu entschädigen. Weiterhin sollten Änderungen
           die gesamte Steuerlücke geschätzt und detaillierte                     des Steuerergebnisses auch dann vorgenommen
           Informationen über das Zustandekommen der                              werden, wenn sie für den Steuerpflichtigen vor-
           Lücke gewonnen werden. Ein Nachteil besteht in                         teilhaft sind.
           den hohen Kosten, die anfallen, um eine aus-                                Die Steuerlücke sollte nach Bundesländern
           reichend große Stichprobe einer intensiven Prü-                        getrennt ausgewiesen werden. Dies ist aufgrund
           fung zu unterziehen.19 Wir halten solche Zu-                           von 16 Steuerverwaltungen mit zum Teil recht
           fallsprüfungen dennoch für unerlässlich. Neben                         unterschiedlichen Verwaltungssystemen unerläss-
           der Berechnung der Steuerlücke dienen sie auch                         lich, um aus Fehlern zu lernen und gleichzeitig
           zur Entwicklung eines effizienten Risikomanage-                        die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, Politik
           ments der Finanzverwaltung.20                                          und Verwaltung auf vorbildliche und nachlässige
                Um die jeweiligen Stärken und Schwächen                           Länder zu lenken. Das Vorliegen einer Rangliste
           zu beheben, schlagen wir für Deutschland eine                          der Steuerlücken nach Bundesländern würde den
           Kombination makroökonomischer und mikro-                               Druck auf die Politik erhöhen, die Steuerverwal-
           ökonomischer Verfahren zur Schätzung der Steu-                         tung zu verbessern. Auch eine zusätzliche Unter-

           17   Die schwedische Steuerlücke wird auf diese Art und Weise untergliedert, siehe Swedish National Tax Agency (2008).
           18   Siehe die aktuelle Berechnung der Steuerlücke für die Vereinigten Staaten: http://www.irs.gov/pub/irs-news/tax_gap_figures.pdf
           19   OECD (2001).
           20   Auch bei Intensivprüfungen kann nicht die gesamte Steuerlücke aufgedeckt werden. Man denke z.B. an Tätigkeiten, die gänzlich in der
                Schattenwirtschaft stattfinden. Zu den Problemen der Berechnung der Steuerlücke siehe OECD (2008d) und Swedish National Tax
                Agency (2008).

    14
Wirtschafts- und Sozialpolitik
                                                                                                            WISO
                                                                                                             Diskurs

gliederung nach Steuerarten und Einkommens-                Es könnten zum Beispiel die Daten des So-
arten bzw. bei Unternehmenssteuern nach Be-           zioökonomischen Panel (SOEP) des Deutschen
triebsgrößen und Branchen sollte verwendet wer-       Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) oder der
den. Außerdem sollten möglichst auch die              Einkommens- und Verbrauchstichprobe mit der
Gründe für Nichtzahlungen, d.h. die verschie-         Steuerstatistik zusammengeführt werden. Im
denen Hinterziehungs- und Vermeidungstatbe-           SOEP machen die Teilnehmer Angaben zu ihren
stände, aber auch jene, die auf Irrtümer auf Seiten   wirtschaftlichen Verhältnissen, die mit ihren An-
der Steuerzahler zurückzuführen sind, ermittelt       gaben in der Steuererklärung nichts zu tun haben
werden. Auf diese Weise kann die Steuerlücke          müssen und eher geeignet sind, die tatsächliche
helfen, Probleme im Verständnis des Steuerrechts      wirtschaftliche Leistungsfähigkeit abzubilden als
zu erkennen und Abhilfe zu schaffen.                  die Angaben in ihrer Steuererklärung. Für die
     Wenn die Steuerlücke in Deutschland hoch         steuerlich geltend gemachten Abzüge und die
ausfallen sollte, könnte dies kurzfristig negative    Steuerzahlungen ist auf die Steuererklärung zu-
Auswirkungen auf die Steuermoral haben, weil          rückzugreifen. Auf diese Weise gäbe es repräsen-
der Eindruck entsteht, dass Steuern ohnehin nur       tative Daten, die eine Berechnung der tatsächli-
der vermeintlich Dumme zahlt. Wir halten Be-          chen, effektiven Steuerbelastung des Einkommens
richte über die Steuerlücke dennoch längerfristig     unterschiedlicher Einkommensgruppen bzw. un-
für förderlich, weil sie das Problem des mangel-      terschiedlicher Einkunftsarten zuließen. Die Da-
haften Steuervollzugs offenlegen und damit die        tenbank sollte auf Bundesebene geführt werden
Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Be-         und der Wissenschaft in neutraler, anonymisier-
kämpfung von Steuerhinterziehung lenken. Eine         ter Form zugänglich gemacht werden.
Offenlegung der Defizite des deutschen Steuer-             Um ein Zusammenführen der Daten zu er-
systems ist ein notwendiger erster Schritt, um        möglichen, muss zunächst die Steuerstatistik ver-
diese zu beseitigen. Schon die Veröffentlichung       bessert werden. Es muss eine weitergehende Ver-
der Lücke kann als eine Verpflichtung der Ver-        kennzahlung, d.h. eine maschinelle Erfassung
waltung verstanden werden, sie zu schließen. Am       aller wichtigen Merkmale erfolgen. Die Erfassung
besten würde sie verbunden mit der Ankündi-           einiger Angaben in einzelnen Jahren hat sich
gung von Maßnahmenpaketen wie in den USA              nicht als hilfreich erwiesen, sondern verkompli-
oder Reduktionszielen wie in Großbritannien.          ziert nur das Veranlagungsverfahren. Daher schla-
                                                      gen wir vor, die gesamten elektronisch
                                                                                          1 995 erfassten
3.1.2 Besseres Wissen über die                        Daten im Besteuerungsverfahren automatisch in
      Steuerbelastung und ihre Verteilung             die Steuerstatistik zu überführen. Eine wichtige
                                                                                      1 879
                                                      Vorbedingung wird mit der elektronischen Über-
Die Herstellung von Transparenz bedeutet auch,        mittlung der Buchführung an die Finanzbehör-
dass die tatsächliche empirische Steuerbelastung      den im Steuerbürokratieabbaugesetz gerade ge-
und ihre Verteilung ermittelt und offen gelegt        schaffen.
werden muss. Aufgrund mangelnder Informati-                Die Verwendungsmöglichkeiten der verbes-
onen über die tatsächlichen ökonomischen Ver-         serten Daten wären vielfältig. So könnten für Un-
hältnisse der Steuerpflichtigen kann dies nicht       ternehmen endlich verlässliche Daten zur tat-
auf Grundlage der derzeitigen Steuerstatistik ge-     sächlichen Steuerbelastung gewonnen werden
schehen. Deshalb sollte ein Zusammenführen            und damit die bekannten Defizite der existie-
(„Matching“) unterschiedlicher Quellen für wis-       renden Verfahren, die in der Regel auf Modellun-
senschaftliche Zwecke erlaubt werden. Eine ver-       ternehmen statt auf real existierenden beruhen,
gleichbare Datenbasis besteht in vielen anderen       überwunden werden.21 Auch die tatsächliche Ver-
Staaten.                                              teilungswirkung der Einkommensteuer würde

21 Vgl. Meyer (1996).

                                                                                                            15
WISO
 Diskurs                                                                                                               Friedrich-Ebert-Stiftung

           sichtbar und eine Art faktische Progression könnte                         Um solchen politisch motivierten Berech-
           der formalen gegenübergestellt werden.22                             nungen etwas entgegenstellen zu können, sollte
                                                                                es der Staat nicht länger Interessensverbänden
           3.1.3 Vollzugskosten der Besteuerung                                 überlassen, die Vollzugskosten festzustellen. Statt-
                 ermitteln                                                      dessen schlagen wir vor, die im Rahmen des Pro-
                                                                                gramms „Bürokratieabbau und bessere Rechtsset-
           Jede Steuer geht notwendigerweise mit Wohl-                          zung“ der Bundesregierung erfolgten Berechnun-
           fahrtsverlusten durch Substitutionseffekte und                       gen des statistischen Bundesamts über den
           ökonomische Verzerrungen einher. Generell gilt,                      Rahmen der Wirtschaft hinaus auszudehnen und
           dass manche Kosten der Besteuerung nicht zu                          die Befolgungskosten aller Bürgerinnen und Bür-
           vermeiden sind bzw. ihre Reduktion im Zielkon-                       ger zu berechnen.25 Neben den Befolgungskosten
           flikt mit anderen Zielen wie Allokations- und Ver-                   sollen von der Steuerverwaltung auch die Ver-
           teilungszielen steht. Ein Teil der Wohlfahrtsein-                    waltungskosten geschätzt und mit den Daten des
           bußen entsteht aber auch im Steuervollzug. Diese                     statistischen Bundesamts zusammengeführt wer-
           Einbußen können minimiert werden. Die Voll-                          den. Die gesamten Vollzugskosten sollten unter-
           zugskosten setzen sich zusammen aus den Er-                          teilt nach Steuerpflichtigen, Steuerarten und Ein-
           hebungs- oder Verwaltungskosten, die bei der                         kunftsarten ausgewiesen werden. So erhielte die
           Steuerverwaltung anfallen, und den Entrichtungs-                     Verwaltung Informationen über mögliche Kosten-
           oder Befolgungskosten, die der Steuerpflichtige                      einsparungen und der Gesetzgeber eine weitere
           trägt.23 Wir werden deshalb im Abschnitt 3.4.2                       Informationsquelle für die Steuergesetzgebung.
           Vorschläge zur Senkung der Befolgungskosten
           bzw. deren Umwandlung in Verwaltungskosten                           3.1.4 Akzeptanz und Verständnis des Steuer-
           unterbreiten.                                                              systems durch Befragungen erhöhen
                 Hier geht es zunächst einmal nur um eine
           objektive Ermittlung der Vollzugskosten. Diese ist                   Neben systematischen Wissenslücken über das
           notwendig, weil derzeit die Vollzugskosten oft                       Ausmaß und die Kosten der Befolgung der Steuer-
           aus politischen Motiven „frisiert“ werden. Bei-                      gesetze sowie die Höhe und Verteilung der Steuer-
           spielsweise wird von Gegnern der Vermögensteu-                       last, fehlt auch Wissen über die Einstellungen der
           er immer wieder behauptet, dass sie exorbitant                       Bevölkerung zum Steuersystem. Die Demoskopie
           hohe Vollzugskosten verursacht. Dies gilt aber                       liefert allzu oft nur Befragungen, ob die Steuerlast
           nur dann, wenn man beispielsweise die Kosten                         als zu hoch, zu niedrig oder akzeptabel empfun-
           für die Ermittlung der Einheitswerte einem ein-                      den wird. Angesichts einer solch pauschalen
           zigen Veranlagungsjahr zuschlägt, obwohl die                         Fragestellung ist es wenig erstaunlich, dass die
           Wertfeststellung für viele Jahre als Grundlage                       Mehrheit der Deutschen die Steuer- und Abga-
           dient oder aber verheimlicht, dass diese Wertfest-                   benlast als zu hoch empfindet26 bzw. das Steuer-
           stellung auch für die Erbschaftsteuer und die                        system als ungerecht ansieht.27 Systematische
           Grundsteuer benötigt wird.24                                         und detailliertere Befragungen zu den Gründen

           22 Derzeit wirkt das deutsche Steuer- und Abgabensystem schon formalrechtlich in relevanten Teilen der Einkommensverteilung regressiv:
              Während für mittlere Arbeitseinkommen mit einer Kombination aus Einkommensteuer und Sozialversicherungsbeiträgen Grenzsteuer-
              belastungen in der Größenordnung von über 50% erreicht werden können, unterliegen höhere Arbeitseinkommen durch die Wirkung
              der Beitragsbemessungsgrenze einer Grenzbelastung, die lediglich dem des Spitzengrenzsteuersatzes der Einkommensteuer entspricht,
              also 42% bzw. 45% (Reichensteuer) zuzüglich Solidaritätszuschlag. Ab 2009 werden Zins- und Dividendeneinkommen unabhängig von
              ihrer Höhe der Definitivbelastung der Abgeltungssteuer in Höhe von 25% unterworfen. Es liegt nahe zu vermuten, dass das System
              faktisch noch deutlich regressiver wirkt, weil gerade Wohlhabende mehr Möglichkeiten haben, ein niedrigeres Einkommen zu deklarie-
              ren, als sie tatsächlich erzielt haben.
           23 Homburg (1997, 58–61).
           24 So z. B. in Bach et al. (2004).
           25 Das statistische Bundesamt verfährt auf Basis des Standardkostenmodells (SKM). Das SKM ist eine international anerkannte Standard-
              methode, die trotz einiger Probleme durch ihre Einfachheit und ihre hohe Vergleichbarkeit besticht (Statistisches Bundesamt 2006).
           26 Siehe z.B. Bertelsmann Stiftung (2007).
           27 Siehe Allensbach Institut für Demoskopie (2008).

    16
Wirtschafts- und Sozialpolitik
                                                                                                                                       WISO
                                                                                                                                        Diskurs

hierfür oder zu einer Bewertung verschiedener                        3.1.5 Information des Staates über das
Einzelaspekte des Steuersystems fehlen jedoch.                             Steuersystem verbessern
Ebenso gibt es keine repräsentativen Befragungen
zu Änderungen im Steuerrecht und es ist nicht                        Die bisherigen Vorschläge zielten darauf ab, In-
bekannt, ob die Systematik des Steuersystems                         formationen über das Steuersystem zu generieren
und einzelne Regelungen verstanden werden.                           und zu veröffentlichen. Darüber hinaus sollten
Diese Situation führt dazu, dass die Wahrneh-                        die Bürgerinnen und Bürger über die Funktions-
mung der Politik, der Medien und der Verwaltung                      weise des Steuersystems und die Bedeutung der
eine andere ist als die der Bürgerinnen und Bür-                     Steuern für die Gesellschaft informiert werden.
ger.28                                                                    Jeder kennt das Schimpfen auf den ver-
     Darüber hinaus wird durch eine systema-                         schwenderischen Staat, der einem viel zu viel
tische Befragung der Bevölkerung über das Steu-                      nehme und dafür viel zu wenig gebe. Diese Ein-
er- und Abgabensystem und den Vollzug der Ge-                        stellung wird auch durch Berichte von wirt-
setze sichtbar, welche Teile des Steuerrechts von                    schaftsnahen Organisationen wie dem Bund der
den Menschen nicht verstanden werden und wo                          Steuerzahler, die Verschwendung von Steuergel-
sie Probleme haben, die Gesetze ordnungsgemäß                        dern im großen Ausmaß suggerieren, befördert.
zu befolgen. Die Verwaltung bekommt ein besse-                       Dem gilt es entgegenzutreten, indem den Steuer-
res Bild von den Problemen der Bürger und wird                       zahlern Rechenschaft über die Verwendung der
so erst in die Lage versetzt, eine zielgenaue Kun-                   Steuergelder abgelegt wird, indem der Staat bür-
denorientierung vorzunehmen. Es handelt sich                         ger- und serviceorientierter wird und seine Effi-
bei der Befragung also um einen ersten Schritt                       zienz erhöht. Der Staat hat eine besondere In-
zur Stärkung der demokratischen Partizipations-                      formationspflicht und sollte ein Interesse daran
rechte, die nachweislich auch förderlich auf die                     haben, dieser Pflicht nachzukommen, weil er so
Steuermoral wirken.29 Werden entsprechende Fra-                      langfristig die Steuermoral positiv beeinflussen
gen gestellt, kann auch festgestellt werden, inwie-                  kann. Im Einzelnen halten wir folgende Maßnah-
weit Informationen und Kampagnen zum Steuer-                         men für angebracht:
system und zu Rechtsänderungen wahrgenom-                            • Mittelverwendung transparent machen: Viele
men werden und so die Öffentlichkeitsarbeit                             Staaten bemühen sich, ihre Steuerzahler so ge-
evaluiert werden. Eine solche repräsentative                            nau wie möglich darüber aufzuklären, wie die
Befragung sollte einmal im Jahr erfolgen und die                        Steuern verwendet werden. Diesem Beispiel
Ergebnisse anschließend publiziert werden. Zahl-                        sollte Deutschland folgen und die Aufteilung
reiche Länder nutzen die Daten als Teil eines Sys-                      der Staatsausgaben nach Ebenen (Bund, Län-
tems zur Messung der freiwilligen Befolgung der                         der und Kommunen), Aufgabenbereichen und
Steuergesetze und veröffentlichen die Befragungs-                       einzelnen Gesetzen den Bürgerinnen und Bür-
ergebnisse gemeinsam mit der Steuerlücke und                            gern mitgeteilt werden. Dabei sollten moderne
Kennzahlen der ordnungsgemäßen Befolgung.30                             Methoden der Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt
     Es ist nicht auszuschließen, dass auch die Ver-                    werden.31 Politik und Verwaltung haben die
teilung der Steuer- und Abgabenlast in Deutsch-                         Pflicht, zu diesem Zweck an die Bürger heran-
land dazu beiträgt, dass das System als ungerecht                       zutreten und somit die emotionale Bindung
wahrgenommen wird. Mittels Befragungen ließe                            des Steuerzahlers an das Steuersystem zu erhö-
sich diese Vermutung überprüfen.                                        hen und Politikverdrossenheit zu vermindern.

28   Bertelsmann Stiftung (2007).
29   Vgl. u.a. Falk (2003).
30   So beispielsweise in den Niederlanden (OECD 2008d).
31   Beispielsweise ist die größere empfundene Nähe zu den Ausgaben ein Grund dafür, warum die Steuern der Kommunen in der Regel von
     den Menschen positiver bewertet werden als reine Bundessteuern. Vgl. z.B. Körner und Strotmann (2006) und Bizer et al. (2004).

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