Natur 4.0 - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Wie wirkt sich Digitalisierung auf die Umwelt aus? - Bundesamt für Umwelt
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
3 | 2019 Natürliche Ressourcen in der Schweiz Natur 4.0 Wie wirkt sich Digitalisierung auf die Umwelt aus?
2 EDITORIAL Das Analoge bleibt wichtig Wenn ich mit meinen Kindern diskutiere, ist die Zweischneidigkeit der Digitalisierung ein häufiges Thema: Die Jugend ist digital unterwegs, verabredet sich über WhatsApp zum Klimastreik und weiss über die neuesten Handymodelle Bescheid. Zugleich treibt es meine Familie um, dass die Reparatur eines Smartphones sehr teuer oder gar nicht möglich ist – obschon es mindestens drei Jahre benützt werden sollte, damit es keinen zu grossen ökologischen Fussabdruck hinterlässt. Diese Ambivalenz findet sich in vielen Aspekten der Digitalisierung. Für die Fernerkundung beispielsweise sind auf der einen Seite enorme Infrastrukturen und ein erheblicher Einsatz an Energie erforderlich. Auf der anderen Seite liefert sie uns eine Vielzahl von Daten, die es uns ermöglichen, Umweltprobleme frühzeitig zu erkennen und natürliche Ressourcen effizienter zu nutzen. Das BAFU ist ein Bundesamt mit einem grossen Datenbestand – dies dank der zahlreichen Messnetze, die den Zustand von Boden, Wasser, Luft und Biodiversität erheben. Wir haben Bild: BAFU ein grosses Interesse, dass diese Daten auch verwendet werden. Denn sie gestatten es, zu überprüfen, ob Massnahmen zum Schutz der Umwelt ihre erwünschte Wirkung entfalten oder ob sie nachjustiert werden müssen. Diese Überzeugung widerspiegelt sich denn auch in den beiden bundesrätlichen Strategien «Digitale Schweiz» und «Open Government Data». Im Übrigen hat der Bundesrat im Rahmen seiner Legislaturplanung die Digitalisierung neben der Klimapolitik und den Beziehungen zur Europäischen Union zu einem seiner drei Schwerpunktthemen gemacht. Die Digitalisierung erweitert aber nicht nur unser Wissen über die Natur, sondern verändert auch unsere Gewohnheiten und den Austausch mit anderen Menschen. So fällt mir auf, dass selbst im Gespräch oft sofort zum Handy gegriffen wird, wenn jemandem der Name einer Person nicht einfallen will oder ein historischer Sachverhalt nicht geläufig ist. Bei uns zu Hause legen wir am Tisch die Handys weg – und wenn wir etwas nicht wissen, versuchen wir, die Antwort gemeinsam im Dialog zu finden. Dies gilt auch für die Umweltpolitik, und Forscherinnen und Wissenschaftler haben bereits zur Entdeckerzeit hierfür den Grund- stein gelegt: Der Mensch muss seine Umwelt «begreifen», mit all seinen Sinnen, um Entscheidungen treffen zu können. Satellitenbilder oder automatisierte Datenerhebung, Blockchain-Technologien, Algorithmen sind hierfür wichtige Instrumente – sie ersetzen aber nicht die Beobachtungs- und Auffassungsgabe des Menschen vor Ort. Bei aller Begeiste- rung für die vielfältigen Möglichkeiten, die aus der Digitalisierung erwachsen, scheint es mir wichtig, dass wir nicht in der faszinierenden virtuellen Welt erstarren, sondern beweglich bleiben und die Potenziale des Unmittelbaren und Analogen weiterhin ausschöpfen. Karine Siegwart | Vizedirektorin BAFU die umwelt 3 | 19
INHALTSVERZEICHNIS 3 Dossier 360° DIGITALISIERUNG 8 Wann ist Digitalisierung 44 Artenschutz gut für die Umwelt? Armee verteidigt Biodiversität 12 Weiter Weg zu schlauen Städten 48 Gefahrenprävention Wie man heute Flüsse vermisst 17 Mieten und tauschen, leicht gemacht 52 Klimawandel 20 Wolkige Aussichten Wie werde ich Umweltschützer? in die digitale Zukunft 56 Ressourcen 23 Anschub für nationale Bodenkarten Mit der App gegen Abfall 26 Am Klimaschutz teilnehmen 59 Klimawandel 50 Projekte der Hoffnung 29 App statt Auto 32/33 Digitalisierung auf einen Blick 36 Künstliche Naturerlebnisse RENDEZ-VOUS 4 Tipps 6 Bildung 7 Unterwegs 40 Vor Ort 42 International 43 Recht 62 Aus dem Nationalpark 62 Impressum 63 Meine Natur 64 Vorschau GRATISABOS UND FACEBOOK-FANPAGE ADRESSÄNDER UNGEN www.facebook.com/ www.bafu.admin.ch/ UmweltMag leserservice Illustration: FRANZ&RENÉ TITELBILD KONTAKT UND ILLUSTRATIONEN Was genau ist eigentlich das Internet der Dinge? Was leisten Blockchains, magazin@bafu.admin.ch (SEITEN 13, 19, 26, 31, Clouds und Smart Cities? Und welche Chancen und Risiken bezüglich 32/33, 37) Umwelt sind mit diesen Innovationen verbunden? Eine grosszügige Grafik IM INTERNET FRANZ&RENÉ beleuchtet die wichtigsten Aspekte der Digitalisierung (Seiten 32+33). www.bafu.admin.ch/ magazin die umwelt 3 | 19
4 360° RENDEZ-VOUS Tipps Zweites Leben für alte Skateboards Der Skateboarding-Lifestyle verlangt viel von seinen Brettern ab – mal brechen sie, dann wieder ist die Spannung raus. Doch warum die Bretter gleich entsorgen? Die Solothurner David Zuber und Aron Gaspar, beide leidenschaftliche Skater seit ihrer Kindheit, haben sich dieselbe Frage gestellt. Mit ihrem Projekt Wärchi Nr. 8 hauchen sie alten Skateboards ein zweites Leben ein. Sie verarbeiten ihre eige- nen alten Skateboards oder die ihrer Freunde zu Tischen, Flaschen- öffnern, Lampen oder Regalen. In ihrer Werkstatt kommen nebst dem flexiblen und mehrschichtigen Ahornholz der Skateboard-Decks nur heimische Hölzer und Materialien zum Einsatz. waerchi.com Bild: Caroline Krajcir Bienen füttern Gute Welt Grüne Skipiste Die «Bienen»-App hat zum Die «Goodnews»-App hat Die App «Mission Dahu» soll Ziel, die Bienen auf ihrer Su- sich der Sonnenseite der Kindern auf spielerische Art che nach Nektar und Pollen Nachrichtenwelt verschrie- und Weise die Auswirkungen zu unterstützen. Ein Pflanzen- ben: Jeden Tag sammelt sie von Freizeit- und Wintersport lexikon mit bienenfreundlichen Pflanzen im World Wide Web die besten guten aktivitäten auf die Umwelt zeigen. 5 wich- zeigt, mit welchen Blumen auf dem Balkon Nachrichten. Sie berichtet etwa über tige Themen stehen im Vordergrund: oder im Garten sich Bienen «füttern» lassen. Forscher, die auf Borneo Plantagen mit Pflanzen und Tiere, Abfall, Verkehr, Sport- Nebst Informationen über die Bienenwelt Regenwaldpflanzen wiederaufforsten, ausrüstung sowie Ernährung. Für jedes und den Beruf des Imkers sowie Pflege- von der ersten Burger-King-Filiale, die Umweltthema gibt es einen Einführ- hinweisen zu über 100 Pflanzen kann man auf Laborfleisch setzt, von einem For- ungstext und 5 bis 20 Minuten dauernde- sein Wissen in einem Bienen-Quiz testen schungsprojekt zur Verhinderung des Lernspiele, die 3 Bereiche umfassen: und anhand einer Fotofunktion Bilder mit Kükentötens und auch über Hüte, die Beobachten, Nachdenken und Handeln. Bienenmotiven schmücken. Die App ist eine aus Secondhand-Materialien herge- Die vom BAFU mitgestaltete App richtet Entwicklung des deutschen Bundes- stellt werden. sich vor allem an Lehrpersonen und kann ministeriums für Ernährung und Landwirt- optimal während der Skischule, an einem Gratis | für Android und iPhone | Schneesporttag oder im Skilager ange- schaft. goodnewsapp.de wendet werden. Gratis | für Android und iPhone | bmel.de > Artgerechte Tierhaltung > Gratis | für Android und iPhone; Nutztierhaltung > Bienen missiondahu.ch/de/download_home Neues altes Radio Das ehemalige Fernsehstudio von Kapitän Blaubär im schwäbischen Reutlingen (D) dient heute als (Wieder-)Geburtsstätte für alte Radios. Die Vangerow GmbH restauriert alte Röhrenradios und veredelt sie zudem mit neuster Technik. So werden die antiken Radios zu modernen Designobjekten, sind WLAN- und Cloud-fähig und können über eine App gesteuert werden. Der Preis für ein solches Musikanlagen-Unikat liegt zwischen 300 und 800 Euro – je nachdem, ob man sein eigenes Radio aufbereiten lässt oder sich im Web-Shop der Firma ein neues altes Radio zutut. Tüftler und Bastlerinnen können sich auch für 99 Euro ein Umbau-Set Bild: shutterstock bestellen und sich so auf eigene Faust an die Aufbereitung ihrer alten Radios machen. Für all jene, die sich mit moderner Technik schwertun und ihrem Liebhaberstück nur einen neuen Schliff verpassen möchten, bietet Vangerow einen Reparaturservice an. vangerow.de/roehrenradio die umwelt 3 | 19
360° RENDEZ-VOUS 5 Grün in der Stadt Spuren im Sand St. Galler Perlen Die Ausstellung «Grün am Bau» widmet Zum Beispiel am 1. Oktober 2019: sich dem Thema der Gebäudebegrü- herbstlicher Kräuterspaziergang und nung. Die vom Tiefbau- und Entsor- Salbenherstellung für Kinder der 2. bis gungsdepartement der Stadt Zürich 5. Klasse. Oder am 7. Dezember 2019: lancierte Doppelausstellung befindet Naturperlen im Umland St. Gallens ent- sich an zwei Standorten: Während in decken. Am 2. Februar 2020 ist dann der Sukkulentensammlung aufgezeigt Bild: zVg ein geführter Winterspaziergang durch wird, wie Pflanzen dank ihrer Fähigkeit den Botanischen Garten geplant. zu klettern neue Lebensräume besie- Natur findet Stadt: Die Agenda enthält deln, bekommt man in der Stadtgärt- eine Vielzahl naturnaher Veranstal- nerei eine Einführung in die verschiede- tungen, welche die Stadt St. Gallen nen Bepflanzungs- und Begrünungs- und verschiedene regionale Organi- systeme. Die Ausstellung dauert noch sationen anbieten. bis Januar 2020. stadt.sg.ch > Raum, Umwelt > Umwelt und stadt-zuerich.ch > Tiefbau- und Entsorgungs- Nachhaltigkeit > Natur und Landschaft > departement > Grün am Bau Natur findet Stadt Respekt im Wald Schoggi für die Biene Mit dem Erlös der Schoggitaler-Aktion 2019 wollen Pro Natura und der Bild: zVg Schweizer Heimatschutz die Insekten in der Schweiz besser schützen. Insek- Nester im Baum, Löcher im Boden, ten sind für eine funktionierende Um- Frassspuren an Blättern oder ledig- welt unerlässlich. Doch über 40 Prozent lich ein abgeknickter Grashalm: Das der bisher untersuchten Insektenarten Handbuch «Fährten lesen und Spuren der Schweiz sind gefährdet: Fehlende suchen» gibt einen Einblick in die Welt Lebensräume, der Einsatz von Pestizi- des Spurenlesens. In der Einleitung den und nächtliche Lichtemissionen schreibt der Autor: «Der Weg, das Ver- lassen sie verschwinden. folgen der Fährte, ist das Ziel.» So ist das Buch nicht nach Tieren geordnet, schoggitaler.ch sondern nach der Art der Spuren. Es gibt u.a. Auskunft, wie Frass- und Kotspuren, Fährten und Trittsiegel, Bild: zVg Nester und unterschiedliche Höhlen Frauenpower den verschiedenen Tierarten zugeord- «Der Wald ist Erholungs- und Erlebnis- raum für uns Menschen, aber auch Le- net werden können. Ausserdem ent- NeWI ist ein Netzwerk nur für Frauen. bensraum für viele Tiere und Pflanzen», hält es Tipps für praktische Hilfsmittel, Genauer gesagt: für Wasseringenieu- sagt Regina Wollenmann, Präsidentin die man zur Spurensuche mitbringen rinnen. Es bietet denjenigen, die im der Arbeitsgemeinschaft für den Wald sollte: etwa ein Lineal, um Fussabdrü- Bereich Wasser tätig sind oder waren, (AfW). Auf dieser Grundlage beruht der cke und Schrittlängen zu vermessen. die Möglichkeit, sich zu vernetzen. Wald-Knigge, der die AfW mit 20 na- Auch Notizbuch und Bleistift sind sinn- Auf der Plattform können sie persön- tionalen Organisationen erarbeitet hat. voll, um sich Informationen zu notieren. liche und berufliche Erfahrungen aus- Der Knigge beinhaltet 10 Tipps für einen tauschen, um unterschiedliche Berufs- respektvollen Waldbesuch. Ein Tipp ist wege kennenzulernen und mit Frauen «Fährten lesen und Spuren suchen» beispielsweise, während der Nacht Lärm auf anderen Karrierestufen in Kontakt CHF 33.90 | Haupt Verlag und störendes Licht zu vermeiden. zu treten. ISBN: 978-3-258-07854-0 Download und Bestellung: waldknigge.ch wasseringenieurinnen.ch die umwelt 3 | 19
6 360° RENDEZ-VOUS Bildung Ortstermine Natur Zum Beispiel am Montag, 7. Oktober 2019: Im Rahmen des Kurses «Wo sich Seehund & Uhu Gute Nacht sagen» kann man im Tier- park Bern übernachten und Erstaunliches erleben. Entdecken lässt sich dieser Anlass im Natur- und Umweltkalender der Stadt Bern: Dort finden sich die aktuellen Veran- staltungen aus den Bereichen Natur, Nach- haltigkeit und Umwelt. Publiziert werden sie Bild: Liliane Ballamand von rund 50 grossen und kleinen Vereinen, NGO, Organisationen und Museen aus der Region Bern. Die Storchenforscher natur-umweltkalender.ch Der Weissstorch ist als kinderbringender Klapperstorch sehr populär. Die Intensivierung der Landwirtschaft ist unter anderem dafür verantwortlich, dass diese Zugvögel heute Probleme haben, ihre Jungen mit ausreichend Nahrung zu versorgen. Auch hat sich das Zugverhalten der Störche in den letzten Jahren sehr verändert. Nun gibt es ein neues Bildungsangebot für die Primarstufe und die Sekundarstufe 1. Inhaltlich stützt es sich auf Ergebnisse internationaler Forschungsprojekte zum Storch Mehr Velo! und bietet damit Lehrpersonen sowie Schülerinnen und Schülern Zugang zu aktuellstem Fachwissen. Grundlage des Bildungspakets für die Primarstufe ist eine Geschichtenbro- In Zeiten maximaler Mobilität braucht es schüre mit Arbeitsaufträgen und Infoblättern. Für die Sek. 1 wird Forschungsmaterial zum Alternativen zu motorisierten Verkehrsmit- eigenen Recherchieren zur Verfügung gestellt. Hinzu kommen weitere Materialien für den teln. Insbesondere in Städten und Agglo- Unterricht und Hinweise für Exkursionen und Beobachtungsmöglichkeiten. Dabei soll vor merationen bietet sich das Velo an. Um es allem das forschend-entdeckende Lernen anhand eigener Fragestellungen im Zentrum zu fördern, braucht es Institutionen wie die stehen. Das Angebot orientiert sich an den Lehrplänen. Vereinigung Pro Velo Bern. Sie setzt sich Das Projekt ist eine wegweisende Zusammenarbeit zwischen Bildungsakteuren dafür ein, «dass Velofahren auch im Alltag (GLOBE, PH FHNW) und solchen aus der ornithologischen Forschung (Storch Schweiz, Spass macht und wir alle sicher und schnell Schweizerische Vogelwarte Sempach, BirdLife). ans Ziel kommen. Wir fordern, dass das Velo- fahren konsequent gefördert wird, weil es das storchenforscher.ch effizienteste, umweltfreundlichste, leiseste und platzsparendste Verkehrsmittel ist.» Dafür werden unter anderem Kurse an- geboten: zum Beispiel jener zum Thema Befleckte Nächte Mehr Umweltwissen «Sicher im Sattel» für Kinder und ihre Eltern, welcher elementare Kenntnisse vermittelt «Globe at Night» bietet Schülerinnen, Im Herbst 2019 starten an der Berner Fach- und praktische Übungen beinhaltet. Auch Schülern und interessierten Privatper- hochschule (BFH) in Burgdorf zwei Weiterbil- Migranten und Migrantinnen können Grund- sonen die Möglichkeit, Sternbilder am dungsangebote mit umweltrelevanten Themen: kenntnisse im geschützten Raum erwerben nächtlichen Himmel zu erkunden und Das CAS «Schutz vor Naturgefahren» will die (Gleichgewicht auf dem Velo halten, bremsen, die Leuchtstärke der Sterne mit einer Kenntnisse der Teilnehmenden zu Schutzmass- schalten, Verkehrsregeln lernen, manövrieren). Magnitudenkarte zu vergleichen. An- nahmen für Bau- und Infrastrukturobjekte ver- Fortgeschrittene üben bereits das Velofahren hand der Leuchtstärke bestimmter tiefen und erweitern. Es richtet sich an Bau auf Quartierstrassen. E-Bike-Fahrerinnen Sternbilder werden Aussagen über die ingenieurinnen und Naturwissenschaftler. Das und -Fahrer können zudem in Theorie und Verschmutzung durch Licht hergeleitet. CAS «Siedlungsentwässerung» eignet sich für Praxis erlernen, mit dem Elektrovelo sicher Im Rahmen der internationalen Licht- Ingenieurinnen und Ingenieure, die sich mit unterwegs zu sein. Hinzu kommen Velorepa- verschmutzungs-Kampagne werden die den steigenden Anforderungen an die Sied- ratur- und Unterhaltskurse. Beobachtungen in einer internationalen lungsentwässerung auseinandersetzen müs- Datenbank erfasst und können so welt- sen. Die beiden Angebote werden vom BAFU weit verglichen werden. unterstützt. Mehr Informationen und Anmeldung: globe-swiss.ch > Angebote > ahb.bfh.ch/casnaturgefahren, ahb.bfh.ch/ Lichtverschmutzung «Globe at Night» cassiedlungsentwaesserung Übersicht: provelobern.ch/aktivitaeten die umwelt 3 | 19
360° RENDEZ-VOUS 7 Unterwegs Bei Hochwasser dient der Betontrichter im Klöntalersee als Überlauf. Bild: Beat Jordi Im Schatten der Berge Die mächtigen Felswände der Glärnischkette 2000 Meter über den See hinaus. Deshalb gelangt im überragen das Südufer des Klöntalersees (GL) Winter während Monaten auch kaum Sonne ins tief in einem Seitental der Linth. Hier findet man eingeschnittene Tal. Vor der Erfindung der Eismaschine auch im Hochsommer angenehmen Schatten. diente der regelmässig zufrierende Klöntalersee als Text: Beat Jordi Lieferant von Eisblöcken, die in Glanzzeiten mit über 300 Pferdefuhrwerken nach Netstal oder Glarus Wer am Ostufer in Rhodannenberg über den Klön- transportiert wurden. talersee blickt, dem fällt zuerst eine trichterförmige Die Landschaft am steilen Südufer erinnert bisweilen Betonkonstruktion auf, die über einen Eisensteg mit an einen skandinavischen Fjord. Von Güntlenau bis dem Ufer verbunden ist. Das auf der Südseite von hohen Vorauen führt ein gut gesicherter Uferweg an hohen Gebirgsflanken gesäumte Gewässer entstand zwar Felswänden und tosenden Wasserfällen vorbei. Er quert durch zwei Bergstürze, die den Talfluss Klön aufstau- mehrere Wildbäche, passiert einen moosigen Birken- ten. Wie der künstlich abgesenkte Wasserstand sowie wald, der durch Murgänge mit Steinen übersät ist, und der als Überlauf bei Hochwasser dienende Betontrichter begleitet uns im Mündungsgebiet der Klön durch ein unschwer erkennen lassen, wird der See im linken Auengebiet von nationaler Bedeutung. Wenn das Seitental der Linth aber auch zur Stromproduktion Schmelzwasser der Blauen Brünnen im Frühjahr den genutzt. Dazu hat die Elektrizitätswirtschaft den Talboden flutet, dann laichen in diesem bedeutenden natürlichen Damm am Ostende des Klöntalersees Amphibiengebiet Tausende von Erdkröten und Gras- bereits 1908 erhöht und dessen Fläche damit auf rund fröschen sowie etliche Bergmolche. 3,3 Quadratkilometer erweitert. Das Gewässer gilt An lichten Stellen in der Nähe von Runsen fällt eine schweizweit denn auch als ältester grösserer Spei- Vielzahl von Alpenpflanzen auf, die in dieser Höhe chersee. normalerweise nicht gedeihen. Arten wie das Narzis- Wer am Morgen Richtung Hinterklöntal aufbricht, senblütige Windröschen, die Gelbe Berg-Platterbse kann auch während der Sommermonate im kühlen oder die Alpengemskresse werden nämlich via die Schatten der Glärnischkette wandern. Die mächtigen Wildbäche als ganze Pflanzen oder Samen vom Hoch- Wände des gut 2900 Meter hohen Gipfels ragen etwa gebirge ins Tal geschwemmt. wandersite.ch/Tageswanderung/512a_Glarus.html die umwelt 3 | 19
8 DOSSIER DIGITALISIERUNG Digitale Transformation «Der Umgang mit Datenbanken braucht eine radikale Art zu denken» Carolin Desirée Töpfer, Programmiererin und Spezialistin für Datenschutz und IT-Sicherheit, sieht in der Digitalisierung grosses Potenzial für den Umweltschutz. Sie ortet aber fehlenden politischen Willen, um dieses auch konsequent auszuschöpfen. Ein Gespräch über Chancen und Risiken der digitalen Welt, die Bedeutung von Umwelt-Apps und Naturerlebnisse am Schreibtisch. Interview: Peter Bader und Denise Fricker Frau Töpfer, wann waren Sie am Computer zum Kommilitonen im Politikstudium und in der Arbeits- ersten Mal glücklich? welt so richtig, dass meine Technikbegeisterung Carolin Desirée Töpfer: Schon früh. Meine Eltern eine echte Zusatzqualifikation ist. hatten mir einen geschenkt, damit ich darauf Referate schreiben oder andere Dinge für die Schule Was fasziniert Sie an der Digitalisierung? erledigen konnte. Ich habe ihn aber bald in der Zum einen das Tüfteln. Wenn ich einen Computer Freizeit genutzt, mich dafür interessiert, wie das zusammenbaue und er funktioniert nicht, dann funktioniert mit der Tastatur, dem Bildschirm und arbeite ich eben weiter, bis alles läuft. Das Gleiche dem Rechner. gilt beim Programmieren. Zum anderen die totale Transparenz. Das heisst: Beim Umgang mit Daten- banken braucht es eine radikale und präzise Art zu denken – anders als im Alltag, wenn beispielsweise «Es gibt tolle Ideen für energie- in einem Gespräch im Nachhinein etwas anders effiziente Mobilität, doch es gemeint gewesen sein könnte. fehlt der politische Wille für Ist die Digitalisierung gut für die Menschheit? die Umsetzung.» Es kommt darauf an, wie die Menschheit damit umgeht. Viele reagieren mit Panik beim Gedanken, dass Technik und Maschinen Aufgaben von Men- schen übernehmen. Eine gute Balance zwischen War auch schnell klar, dass Sie die digitale Welt Digitalem und Analogem im Job wäre aber ange- zu Ihrem Beruf machen wollen? bracht. Angst hat selten geholfen. Nein. Ich habe zwar schon früh damit begonnen, Websites zu bauen oder mich mit Datenbanken zu Eine gesunde Portion Skepsis ist aber durchaus beschäftigen. Aber obwohl ich in manchen Jobs angebracht. bei verschiedenen Arbeitgebern dafür zuständig Auf jeden Fall. Allerdings hatten viele weder in der war, Prozesse oder Netzwerke zu optimieren, Schule noch am Arbeitsplatz die Möglichkeit, sich blieb es lange Zeit nur ein Hobby. Ich bin in einer mit Technik und Digitalisierung auseinanderzu- technikaffinen Familie aufgewachsen, mein Vater setzen. Das schürt Ängste. Natürlich darf man sich ist Ingenieur. Aber ich merkte erst unter den gegen digitale Techniken entscheiden, dann muss die umwelt 3 | 19
Carolin Desirée Töpfer ist Strategieberaterin und Geschäftsführerin der vertreterinnen und -vertretern einen offenen Brief cdt digital GmbH. Die 30-Jährige unterstützt vor allem an die deutsche Bundesregierung unter dem Motto KMU bei der digitalen Transformation. Auf ihrem #DieZukunftSindWir zur Frage der Generationenge- Blog digitalisierung-jetzt.de und in Workshops und rechtigkeit in Bezug auf die deutsche Energiepolitik. Vorträgen beleuchtet sie zudem die komplexen tech- Carolin Desirée Töpfer lebt in Potsdam (D), arbeitet nischen Seiten sowie die sozialen Aspekte der Digi- aber ortsunabhängig. Ihr Reisetagebuch findet sich talisierung. Im Oktober 2018 unterzeichnete Carolin auf Instagram: @justme_cdt. Desirée Töpfer zusammen mit mehr als 100 Jugend- Bild: Matthias Rüby
10 DOSSIER DIGITALISIERUNG man sich aber vorgängig damit beschäftigt haben. Wo sehen Sie denn die grössten Potenziale der Ich zum Beispiel nutze zu Hause keine Sprach- Digitalisierung zugunsten des Umweltschutzes? assistenten, weil ich weiss, wie die funktionieren Einerseits in der Transparenz und Kommunikation. und was sie alles speichern. Viele hatten aber nie Nehmen Sie zum Beispiel die Schülerstreiks für das die Möglichkeit, sich diese Grundlagen zu erarbei- globale Klima: Die haben sich Anfang Jahr dank ten. Dabei geht es nicht nur um die Medien- und Digital- digitaler sozialer Medien weltweit rasend schnell kompetenz von Schulpflichtigen, sondern auch ausgebreitet – und mit ihnen die Themen Energie- Personen ab 40 Jahren müssten sich regelmässig effizienz und CO2-Emissionen. Andererseits können weiterbilden. Infrastruktur- oder Mobilitätsanbieter, die täglich Millionen von Menschen erreichen, viel ausrichten. Ist die Digitalisierung gut für Natur und Umwelt? Wenn sie sich dafür entscheiden, energieeffizient Sie kann es sein, davon bin ich überzeugt. Es ist und ökologisch zu sein und auch ihre Kundschaft einfach eine Frage der Umsetzung. In Kalifornien dafür zu sensibilisieren, statt einfach im Ausland zum Beispiel wird viel getan für umweltfreundliche Ausgleichszertifikate zu kaufen, kann das einen be- Lösungen in Sachen Energie, Mobilität oder Recy- deutenden Impact auf die globale Ökobilanz haben. cling. Ein ansässiger «Clean-Tech-Fund» sorgt dafür, Aber auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) dass entsprechende Start-ups auch bei Politikerinnen haben viel Potenzial, wenn es um umweltfreundliche und Politikern vorstellig werden können, damit die Konzepte geht. Lösungen tatsächlich umgesetzt werden. Ein solches Vorgehen ist aber eine Ausnahme. Viel öfter erleben wir: Es gibt viele tolle Ideen, etwa für energieeffi- ziente Mobilität, doch es fehlt der politische Wille für die Umsetzung. Wir hängen ja zum Beispiel «Die Schülerstreiks haben sich noch sehr am klassischen Auto. Oftmals fehlen auch die nötigen Investment- oder Fördergelder für eine dank digitaler sozialer Medien grossflächige Umsetzung innovativer Lösungen. weltweit rasend schnell Es macht einen bedeutenden Unterschied, ob ein umweltfreundliches Konzept in einer Stadt um- ausgebreitet.» gesetzt wird – oder in einem ganzen Land oder etwa gar auf einem ganzen Kontinent. Die Digitalisierung basiert auf energieintensiven Verfahren, Blockchains sind dafür nur ein Beispiel. Können uns Apps zu umweltbewusstem Handeln Kann eine solche Entwicklung überhaupt nach- anleiten? haltig sein? Im Moment denke ich nicht, nein. Apps für einen Für Betreiber von Rechenzentren sind Energie- umweltschonenden Konsum erreichen zwar immer effizienz und Ökobilanz tatsächlich ein Problem. mehr Menschen, trotzdem bleiben sie zurzeit noch Auf Konferenzen spüre ich aber, dass die Bemühun- Nischenprodukte. Fitness oder gesunde Ernährung gen für stetig bessere ökologische Lösungen eben- sind als App-Themen einfach sexyer als Mülltrennung so gross sind. Wenn es um Anbieter im Bereich oder Energieeffizienz. Also müssen wir dafür sorgen, Marketing oder Social Media geht oder um die dass letztere Themen es auch werden. Denn es ist Konsumenten, ist das Bewusstsein für den Material- nicht nur wegen der Umwelt wichtig, sich mit ihnen und Energieverbrauch der dahinterliegenden Tech- zu beschäftigen, sondern auch, weil man damit ja nik leider noch nicht so stark. Geld sparen und gesünder leben kann. die umwelt 3 | 19
DOSSIER DIGITALISIERUNG 11 Was wäre zu tun? Das war aber früher auch nicht anders – nur dass Vertreter und Vertreterinnen von Politik und es damals eben Brettspiele waren. Behörden, die viel Einfluss und mittlerweile auch Reichweite in den sozialen Medien haben, müssten Klingt ein bisschen verharmlosend. noch wesentlich öfter auf solche Angebote hinwei- Natürlich nehmen wir die Gefahren im Zusammen- sen und für sie werben. Zusätzlich wäre bei vielen hang mit Virtual Reality ernst. Dabei geht es aber vor Apps eine attraktivere und deutlich niederschwel- allem um Faktoren, welche die räumliche Wahrneh- ligere Art der Bedienung gefragt, mit der die Leute mung beeinflussen. Es gibt Menschen, die setzen sich intuitiv klarkommen. eine VR-Brille auf und haben sofort das Gefühl, dass es sich um die reale Welt handelt – im Gegensatz zu denen, die sich zwar auch auf eine virtuelle Reise ein- lassen, sich aber jederzeit bewusst sind, dass sie es «Apps für umweltschonenden mit einer technischen Animation zu tun haben. Konsum sind noch Um Erstere müssen wir uns kümmern. Nicht nur, weil sie während einer Animation jedes Raumgefühl ver- Nischenprodukte.» lieren und dann stolpern und sich verletzen können. Es geht auch um eine gesunde Abgrenzung zur vir- tuellen Welt, was – um auf das Thema Umwelt zurück- Sie sind derzeit daran, ein Virtual-Reality-Start-up zukommen – durchaus wichtig ist, um einer Entfrem- aufzubauen. Was bedeutet es für unsere Beziehung dung vorzubeugen. Der Gebrauch gewisser VR- zur Natur, wenn wir mittels Virtual Reality (VR) zu Brillen ist nicht umsonst erst ab 13 Jahren empfohlen. Hause am Schreibtisch in sie eintauchen können? Solche Einschränkungen sollten wir ernst nehmen. Wir wollen Virtual Reality vor allem im Bereich der Weiterbildung nutzen, etwa für Nothelferkurse. Dort geht es darum, Schwerverletzten zu helfen. Das sind Erfahrungen, die im realen Leben niemand machen will. Da erkenne ich das höchste Potenzial für Virtual Reality. In Sachen Umwelt sehe ich die grössten Möglichkeiten bei der Visualisierung von ökologischen Veränderungen: Wie hat sich eine Landschaft in den vergangenen Jahrzehnten kon- kret gewandelt? Wie lebten Tiere in der Urzeit, und welche davon gibt es überhaupt noch? Welche Aus- wirkungen hat es auf die Natur, wenn es immer weniger Bienen gibt? Die Lerneffekte können dabei durchaus gross sein, auch für Personen, die sich sonst nicht sehr für die Thematik interessieren. Die Gefahr einer Entfremdung von unmittelbaren Naturerlebnissen sehen Sie nicht? Nein, ich bin da nicht so pessimistisch. Ich glaube, wir dürfen den Menschen diesbezüglich vertrauen. Es wird zwar immer einige geben, die lieber zu Hause Link zum Artikel bleiben und gamen, statt nach draussen zu gehen. www.bafu.admin.ch/magazin2019-3-01 die umwelt 3 | 19
12 DOSSIER DIGITALISIERUNG Stadt der Zukunft Smarte Häppchen Die Digitalisierung hat das Potenzial, den ökologischen Fussabdruck der Städte drastisch zu verkleinern. Doch der Weg dorthin ist noch weit. Text: Christian Schmidt Alexandre Bosshard ist ein guter Showmaster. Doch das, was in Pully entsteht, ist – zumindest In einem Sitzungszimmer der Stadtverwaltung von theoretisch – eine der vielversprechendsten Er- Pully (VD) beamt er eine Karte an die Wand. Sie findungen, seit Tim Berners-Lee die Welt mit dem zeigt eine nachtschwarze Welt, nichts als Konti- Internet beglückte. Das Konzept hinter dem Stich- nente und Wasser. Dann, in Asien, ein roter Punkt. wort «Smart Cities» hat das Potenzial, energie- «Singapur» steht darunter. Bosshard lässt das Bild fressende Siedlungsräume in menschenfreundliche wirken, schweigt. Ein zweiter roter Punkt im ara- und nachhaltige Lebensräume zu verwandeln. bischen Raum. «Dubai». Bosshard schweigt immer Bosshard erklärt: «Die ITU misst anhand von noch. Nun beginnt ein dritter Punkt zu leuchten. 87 Kriterien die Digitalisierung von Städten, wobei In Europa. In der Schweiz. «Pully». sie besonderes Gewicht auf den Aspekt der Nach- Pully auf einer Ebene mit Dubai und Singapur. haltigkeit legt.» Zu diesen Kriterien zähle etwa der Pully hat 18 000 Einwohner, die anderen Städte Anteil erneuerbarer Energien am Energieverbrauch zählen mehrere Millionen. Was hat der Vorort von der Stadt, eine nachhaltige Bauweise öffentlicher Lausanne in dieser Liga zu suchen? Gebäude, die Länge der Radwege und die Anzahl Alexandre Bosshard, Kulturingenieur mit Zweit Quadratmeter Grünfläche pro Einwohner. Weltweit ausbildung in Psychologie, seit sechs Jahren Koor- rund 50 Länder hätten inzwischen mit der Er- dinator der Digitalisierungsprojekte von Pully, fassung der entsprechenden Indikatoren begonnen. kurzer Bart, Brille, holt aus: «Die ITU hat uns als Und Pully mischt ganz vorne mit. dritte Stadt weltweit mit dem Label ‹Smart Susta- Weshalb, erklärt Alexandre Bosshard in einem inable City› ausgezeichnet.» Die ITU, das ist die der benachbarten Büros. Hier kann er an einem der International Telecommunication Union, eine Un- Bildschirme sein wichtigstes Projekt in Sachen terorganisation der UNO. Als Bosshard zur Über- Smart City demonstrieren. Es nennt sich «Obser- reichung des Zertifikats im April 2018 nach Malaga vatoire de la mobilité». Das Projekt entstand 2015 reiste, sass er, der Verwaltungsangestellte, mit aus einer Kooperation zwischen Pully, Swisscom Ministern und anderen illustren Häuptern am glei- und der Eidgenössischen technischen Hochschule chen Tisch. in Lausanne (École polytechnique fédérale, EPFL). Eine gemeinsam entwickelte Software hilft, die Ver- Vielversprechendes Konzept kehrsflüsse in Pully zu analysieren – auf Basis der Pully liegt über den Ufern des Genfersees und unter- Datenspuren, die Mobiltelefone auf den Antennen scheidet sich an diesem Frühlingstag in nichts von hinterlassen. Dank ihnen lässt sich nachvollzie- anderen Städtchen. In einer Tiefgarage testen Kids hen, woher die Menschen nach Pully kommen, ihre Skateboards; eine Frau ist am Handy; an der wie sie sich bewegen, wie lange sie im Ort verblei- Rue de la Poste erhalten Bäume den Frühlings- ben und wohin sie danach gehen. Die Spuren auf schnitt. Von einer Smart City ist nichts zu dem Monitor erinnern an Flugzeugbewegungen auf spüren. einem Radarschirm. die umwelt 3 | 19
DATENSPEICHERUNG Wie viel Energie braucht eine Wolke?
14 DOSSIER DIGITALISIERUNG Für Bosshard ist das Observatorium ein «wertvolles «Das Potenzial der Smart Cities und intelligentes Werkzeug», um die gegenwärtige Situation zu verstehen und die Zukunft zu gestalten. bezüglich Effizienz und Nachhaltigkeit «Früher erhielten wir die Ergebnisse unserer Ver- ist gross – wenn Standards definiert kehrszählungen alle fünf Jahre, heute jede Stunde.» Nun lässt sich laufend überprüfen, wo und wann sich und durchgesetzt werden.» Matthias Finger | EPFL-Professor der Verkehr in Pully staut, ob eine neue Buslinie ihre Wirkung tut und die Strassen vom Privatverkehr entlastet werden. Und Bosshard weiss nun auch, dass der grösste Teil der erfassten Menschen nur Diese machen es unter anderem möglich, bei Abwe- auf der Durchreise ist und gar nicht in Pully bleibt. senheit alle Geräte per Handy auszuschalten. Bloss: Das möchte er ändern: «Wir werden das Zentrum Wie gut ist diese Entwicklung für die Umwelt? verkehrsberuhigen und fussgängerfreundlicher Matthias Finger, Professor an der EPFL und gestalten», was weniger Lärm und weniger Abgase, spezialisiert auf Infrastrukturen, spricht von einer dafür eine höhere Lebensqualität bedeute. «Häppchenkultur». Alle diese Ideen würden von den jeweiligen Verwaltungsabteilungen einzeln Häppchenkultur statt Gesamtsicht lanciert, «meistens ohne Koordination mit anderen Die Verwandlung einer Stadt in eine «Smart City» ist Abteilungen», und würden als Grund dafür genom- zum Trend geworden, bei dem alle mitmachen wollen, men, die ganze Stadt danach als «smart» zu bezeich- oder anders gesagt: bei dem es sich niemand leisten nen. Überhaupt sei das ganze Thema immer noch kann hintenanzustehen. Mit einem Engagement für ein «Hype», bei dem nicht die Verwaltungen die die Nachhaltigkeit und den damit verbundenen Ver- treibenden Kräfte seien, sondern die Verkäufer der heissungen lässt sich im Konkurrenzkampf der Städte entsprechenden Soft- und Hardware. Deshalb gebe um weitere Einwohner – und damit Steuerzahlende – es auch keine Standards, «die einen allgemein punkten. Winterthur (ZH) etwa steuert die Beleuch- gültigen, verbindlichen Ansatz für das Thema tung der städtischen Velowege so, dass sie nur bei Be- ‹intelligente Städte› beinhalten». darf angeht. Zürich lanciert im kommenden Jahr ein Tatsächlich überzeugen nicht alle der als nachhal- Rufbus-System für Passagiere, die zu Randzeiten ab- tig bezeichneten Projekte. Parksensoren beispiels- seits der üblichen Busrouten unterwegs sind. Um bei weise vermögen zwar tatsächlich den Suchverkehr der Einführung des neuen 5G-Netzwerks keine zu reduzieren, aber mit dem Hinweis auf freie Plätze Probleme mit zu hoher Strahlung zu bekommen, setzt locken sie Mehrverkehr ins Stadtzentrum und St. Gallen auf eine Vielzahl kleiner Antennen; ebenso torpedieren damit weit bessere Lösungen wie um- testet die Stadt zwecks Reduktion des Suchverkehrs steigen auf den ÖV oder Park and Ride. Parksensoren. Diese stellen fest, wo es freie Plätze gibt, und kommunizieren den Status mittels App. Smart City war zuerst eine Marketing-Idee Der Genfer Stadtteil Carouge hat entlang der Strassen Andere Vorschläge kollidieren mit dem Thema gut 600 Sensoren installiert, um den Lärm zu messen Datenschutz. In Wil erlauben es die Einkäufe im und anschliessend Gegenmassnahmen zu treffen. Online-Shop der Stadtverwaltung, zu beobachten, Wil (SG) hat einen speziellen Online-Shop eröffnet, wer sich in der Gemeinde für energiesparende in dem die Bevölkerung zu einem günstigen Preis Geräte interessiert oder eben nicht. Das Gleiche tun besonders energieeffiziente Geräte kaufen kann. die vom Bund vorgeschriebenen smarten Strom- Und auch der Bund mischt bei der digitalen Nach- messer; sie melden in Echtzeit den jeweiligen haltigkeit mit: Bis ins Jahr 2027 werden in jedem Stromversorgern, wer wie viel Energie konsumiert Haushalt intelligente Strommesssysteme zur Pflicht. und somit positiv oder negativ auffällt. die umwelt 3 | 19
DOSSIER DIGITALISIERUNG 15 Innovationen gezielt vorantreiben «die umwelt» befragt Markus Wüest, Chef der Sektion Umweltbeobachtung beim BAFU und BAFU-Vertreter des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) für den Bereich «Smart Cities». Was tut der Bund in Sachen Smart Cities? Das heisst? Markus Wüest: Der Bundesrat hat im Januar Hauptziel des Programms ist es, Wissen über 2019 ein Zielbild gutgeheissen. Es dient als die Chancen und Risiken der Digitalisierung Leitlinie beim Aufbau der digitalen Infrastruk- für die Gesellschaft und die Wirtschaft zu er- turen und bei der digitalen Transformation arbeiten. Im Zentrum stehen dabei Themen der Bundesverwaltung. Zudem erarbeitet das wie «Bildung, Lernen und digitaler Wandel» UVEK zurzeit einen Massnahmenplan zur oder «Ethik, Vertrauenswürdigkeit und Gou- Unterstützung der Städte, Gemeinden und vernanz». Das Programm dauert fünf Jahre. Kantone bei der Entwicklung von Smart Cities, Smart Villages und Smart Regions. Doch sind Smart Cities überhaupt eine gute Idee? Bei der Verarbeitung der Datenflut er- Existieren innerhalb der Verwaltung bereits zeugen die weltweiten Rechenzentren bereits smarte Bereiche? heute zwei Prozent der weltweiten CO2- Ja. Die Bundesverwaltung hat die Work-Smart- Emissionen. Das soll sich verdreifachen. Initiative unterzeichnet, die flexible Arbeits- Ja, Smart Cities sind eine gute Idee – wenn wir formen fördert und damit zur CO2-Einsparung ihre Möglichkeiten richtig nutzen. Das Ziel, und zur Verkehrsentlastung beiträgt. Zudem die Nettoemissionen von CO2 bis spätestens läuft das Projekt «Ressourcen- und Umwelt- 2050 weltweit auf null zu senken und so die management der Bundesverwaltung», kurz globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu RUMBA. Hauptziele sind die kontinuierliche begrenzen, dürfen wir natürlich nicht aus Verminderung von betrieblichen und produkt- den Augen verlieren. Damit das gelingt, müs- bezogenen Umweltbelastungen sowie die Ko- sen wir die Innovationen gezielt vorantreiben ordination der Umweltaktivitäten der zivilen und als Gesellschaft die Rahmenbedingungen Bundesverwaltung. Darüber hinaus hat der richtig setzen. Bund das Nationale Forschungsprogramm «Digitale Transformation» (NFP 77) lanciert. die umwelt 3 | 19
16 DOSSIER DIGITALISIERUNG Alexandre Bosshard kennt die Kritik. Und versteht weder in die Smartphones hinein noch wissen wir, sie: Das Stichwort ‹Smart City› sei nicht vor dem Hin- wem sie gehören.» tergrund des Umweltschutzes entstanden, «sondern als Marketing-Idee der grossen Unternehmen im Vorbild in Südkorea Bereich Informationstechnik». Tatsächlich eröffnet Trotz einigen Fragezeichen hat das Thema Smart sich ihnen hier ein gigantischer Geschäftszweig. City insgesamt ein grosses Potenzial. Einen Schritt in diese Richtung zeigt das Beispiel der korea- nischen Modellstadt Songdo mit seinen rund 100 000 Einwohnern. Die Stadt ist autofrei, und In der koreanischen Modellstadt jeder Haushalt ist an eine Zentrale Aufbereitungs- und Wiederverwertungsanlage angeschlossen. So Songdo ist der Energieverbrauch ist der durchschnittliche Energieverbrauch pro pro Person um 40 Prozent tiefer Person um 40 Prozent tiefer als in anderen Städten Südkoreas. als in anderen Städten Südkoreas. Dieses Potenzial der Smart Cities erkennt auch EPFL-Professor Matthias Finger. Gerade hinsicht- lich Effizienz und Nachhaltigkeit sei es «gross». Doch er relativiert: «Viele der technologisch mög- Der Ruf nach smarten Städten ist so laut, dass das lichen Effizienzsteigerungen lassen sich nur ver- amerikanische Marktforschungsinstitut Persistence wirklichen, wenn Daten verfügbar gemacht und der Branche einen gewaltigen Mehrumsatz progno- ausgetauscht sowie Standards definiert und durch- stiziert. Bereits 2026 soll ihr Umsatz 3500 Milliarden gesetzt werden.» Dies alles erfordere eine starke Franken betragen – eine Summe, die das jähr- Regulierung und den entsprechenden politischen liche Haushaltsbudget der Schweiz um rund das Willen, insbesondere betreffend Datenschutz und 50-Fache übersteigt. Datensicherheit. «Der Weg dorthin ist noch weit.» Pully macht bei diesem Eldorado allerdings nicht mit und geht eigene Wege. Die Stadt setzt auf Open- Source-Programme, die zusammen mit anderen Schweizer Städten sowie Programmierern aus ver- schiedenen Ländern gezielt entwickelt werden. Zudem, sagt Bosshard, gehöre Pully nicht zu den Städten, die sich mit einigen wenigen Ideen gleich den – ungeschützten – Titel «Smart City» verleihen. «Wir haben insgesamt 20 Projekte zum Thema, die neben der ökologischen auch eine ökonomische und soziale Nachhaltigkeit anstreben.» Dazu gehören etwa ein zentrales Informationssystem für die Be- völkerung, eine Internet-Kommunikationsplattform für Personen über 65, ein Online-Shop für lokale Produkte sowie diverse Projekte zur Effizienzver- Link zum Artikel besserung der Verwaltung. Und beim «Observatoire www.bafu.admin.ch/magazin2019-3-02 de la mobilité» sehe er keine Probleme bezüglich Datenschutz: «Der Bildschirm zeigt nur Statistiken, Markus Wüest | Sektionschef Umweltbeobachtung | BAFU die auf anonymisierten Daten basieren. Wir sehen markus.wueest@bafu.admin.ch die umwelt 3 | 19
DOSSIER DIGITALISIERUNG 17 Konsum Teilen oder mieten statt kaufen Die Digitalisierung bietet neue Möglichkeiten für einen nachhaltigeren Konsum – Stichwort Sharing Economy. Daneben trägt sie zu einer besseren Rückverfolgbarkeit in der Lebensmittelindustrie und zur Optimierung der Abfallentsorgung bei. Text: Cornélia Mühlberger de Preux Müssen wirklich alle eine Bohrmaschine, einen «Weltweit gibt es über 80 solcher Leihgeschäfte, Racletteofen oder ein Zelt besitzen, obwohl diese besonders viele davon in Nordamerika», sagt Dinge nur selten benutzt werden? Diese Frage stellte Robert Stitelmann. sich Robert Stitelmann, Initiator der Bibliothek Dank der Digitalisierung haben die Konsumen- der Gegenstände «La Manivelle» («Die Kurbel») in tinnen und Konsumenten einfachen Zugang zu Genf, wo «die umwelt» zu Besuch ist. Seit Anfang Plattformen, auf denen sie Gegenstände bei Privaten Januar 2019 verleiht diese Genossenschaft Holz- oder bei Kleinanbietern kaufen, mieten oder aus- bearbeitungs- und Gartenwerkzeuge, Haushalts- leihen können. und Küchengeräte sowie Sport-, Reise- und ver- «In der Nachbarschaft mieten oder leihen anstatt schiedene andere Freizeitartikel. Gewisse Sachen kaufen – das ist häufig gut für die Ökobilanz», be- zu teilen, anstatt dass alle ihre eigenen kaufen, stätigt Josef Känzig, Chef der Sektion Konsum und schont in vielen Fällen Budget und Umwelt. «Teilen Produkte beim BAFU. Aus seiner Sicht sind diese rechnet sich besonders, wenn die Produkte selten Plattformen aber nur unter drei Voraussetzungen gebraucht werden», erklärt der junge Umweltinge- sinnvoll: 1. Durch den Tausch oder die Miete wird nieur. «Eine eigene Bohrmaschine kommt drei- oder tatsächlich auf den Kauf eines neuen Produkts viermal im Jahr zum Einsatz; bei ‹La Manivelle› verzichtet (dank der Plattform sinkt die Anzahl der wird sie bis zu 150-mal jährlich und von vielen hergestellten Produkte deutlich). 2. Durch die Personen genutzt.» Transaktion entstehen keine langen und energie- aufwendigen Warenverschiebungen und Trans- Eine Bibliothek der Gegenstände portwege. 3. Das gesparte Geld wird nicht in Akti- Wie funktioniert das Ganze? Zunächst erwirbt vitäten mit noch grösseren Umweltwirkungen man einen Anteilschein von 100 Franken und wird investiert. Mitglied der Genossenschaft. Mit einem Jahres- abonnement von ebenfalls 100 Franken kann man Schaufeln, Blusen oder Flugzeuge ausleihen anschliessend unbeschränkt Sachen ausleihen. In der Schweiz liegt die Sharing Economy im Trend. «Der Onlinekatalog ist für das Projekt zentral», Ende 2018 wurde in Bern die «LeihBar» eröffnet. erklärt Robert Stitelmann. Alle Gegenstände sind Ihre Website leihbar.ch erinnert daran, dass nur mit einem Foto und einer detaillierten Beschrei- 20 Prozent der Gegenstände, die Leute besitzen, bung aufgeführt. Suchen lässt sich nach Kategorie, wirklich im Einsatz sind. Das Projekt soll auf weitere Nutzungsart oder Stichwort. Wird der gesuchte Städte in der Deutschschweiz ausgedehnt werden. Artikel gefunden, kann er auf der Website reser- Wie «La Manivelle» ist auch die «LeihBar» eine viert werden. Jedes Mitglied von «La Manivelle» Bibliothek der Dinge. Aufgebaut von der Stiftung hat ein eigenes Konto. Die Software wurde von für Konsumentenschutz, ist sie nur eine von ver- einer «Local Tool Library» in den USA entwickelt. schiedenen vergleichbaren Plattformen wie etwa die umwelt 3 | 19
18 DOSSIER DIGITALISIERUNG sharely.ch, weeshare.com oder pumpipumpe.ch. unterwegs infolge von Bedingungsschwankungen Über «Pumpipumpe» werden Alltagsgegenstände in der Kühlkette. Abhilfe schaffen dürfte ein intel- mit den Nachbarn geteilt, während es bei «WeeShare» ligenter Container, der von der Universität Bremen Wohnungen, Boote oder sogar Flugzeuge sind. Das entwickelt wurde. Damit können die Lebensmittel Sortiment der verfügbaren Produkte erweitert sich verfolgt und ihr Zustand während des Transports ständig. Auf kleiderkorb.ch lassen sich Kleider ver- eruiert werden. Dank der neuen Technologie werden schenken, tauschen oder verkaufen, beim Waren- Verluste und unnötige Transporte vermieden und der haus Globus kann man sie mieten. CO2-Ausstoss verringert. Die skandinavische Logistik- firma Maersk hat solche Monitoring-Systeme ent- wickelt, die zum Teil bereits im Einsatz sind. Josef Känzig und Robert Stitelmann begrüssen alle Initiativen, die das Teilen von Gegenständen «In der Nachbarschaft mieten oder in der Nachbarschaft fördern, ihre Nutzungsdauer verlängern und die Öko-Bilanz verbessern. Der leihen anstatt kaufen – das ist Digitalisierung kommt dabei eine wichtige Rolle häufig gut für die Ökobilanz.» zu. Sie ermöglicht es, auf verschiedenen Ebenen Josef Känzig | BAFU anzusetzen. An Arbeit mangelt es also nicht. Der Chef von «La Manivelle» muss nun weiter- machen, es gibt viel zu tun. Der Entsafter, den er soeben entgegengenommen hat, wartet auf die Aufnahme in den Leihkatalog. Die Digitalisierung spielt eine zentrale Rolle bei all diesen Projekten: Sie ermöglicht es, die Konsu- mentinnen und Konsumenten mit regelmässig aktualisierten Informationen zu versorgen. Zwi- schenhändler entfallen, und die Transaktionen werden vereinfacht. Irgendwann aber schliesst sich selbst bei sorgfäl- tiger Behandlung der Lebenszyklus jedes Gegenstan- des, und er muss fachgerecht entsorgt werden. In der Schweiz existiert das Internetportal veva-online zum Thema «Verkehr mit Abfällen», auf dem das Ent- sorgungsverfahren im Inland sowie die grenz- überschreitende Entsorgung teilweise digitalisiert sind. Die Plattform soll dereinst in ein neues Portal «Abfall und Rohstoffe» integriert werden. Dank mehr Daten weniger Warenverlust Als hilfreich erweist sich die Digitalisierung auch in der Lebensmittelbranche, wo die Verschwen- Link zum Artikel dung ein grosses Problem bleibt – insbesondere auf www.bafu.admin.ch/magazin2019-3-03 dem Weg zwischen Produktion oder Ernte und Ver- kaufsregal. Schätzungen zufolge verdirbt weltweit Josef Känzig | Sektionschef Konsum und Produkte | BAFU ein beträchtlicher Teil der Nahrungsmittel bereits josef.kaenzig@bafu.admin.ch die umwelt 3 | 19
KONSUM Teilen, ein neuer Wirtschaftszweig
20 DOSSIER DIGITALISIERUNG Datenverarbeitung mit Folgen Wolkige Aussichten in die digitale Zukunft Die digitale Transformation beschert uns eine Unmenge an Daten. Zudem stellt sie Techniken für einen möglichst sicheren Informationsaustausch zur Verfügung. Dieses Potenzial für einen effizienten Umgang mit Ressourcen gilt es allerdings zu gestalten, damit es tatsächlich der Umwelt zugutekommt. Text: Lucienne Rey Der Ursprung der weltumspannenden Datenauto- «Die verwendeten Technologien sind äusserst komplex», bahnen liegt bei Meyrin, einem kleinen Ort im erklärt sie. Für die Fischerei würden beispielsweise Kanton Genf. Dort – genauer gesagt am CERN, der die zahlreichen von modernen Hochseeschiffen er- Europäischen Organisation für Kernforschung – ent- hobenen Daten mit solchen aus anderen Quellen, etwa wickelte der Physiker Tim Berners-Lee im Jahr 1989 von Satelliten, verknüpft. «Angaben über Temperatur, ein Verfahren, um Informationen über zahlreiche Sauerstoffsättigung und Salzgehalt des Wassers sowie miteinander verbundene Computer auszutauschen. Informationen über verfügbare Nährstoffe fliessen So schuf er die Voraussetzungen, um gewaltige Daten- in Modelle ein, die es gestatten, für eine Region die mengen überhaupt erst zu handhaben. Das CERN Wahrscheinlichkeit für den Aufenthalt bestimmter selbst erzeugt nämlich in seiner grössten Anlage, Fischschwärme zu berechnen», sagt die Professorin. dem Grossen Hadronen-Speicherring LHC, jährlich Zum einen entfielen dadurch treibstoff- und damit 50 Millionen Gigabyte an auszuwertenden Daten. Auf CO2 -intensive Suchfahrten der Fangflotten. Zum DVD gebrannt, wären davon 100 Millionen nötig, was andern werde die Fischerei transparenter, sodass einen Stapel von etwa 12 Kilometern Höhe ergäbe. der Überfischung entgegengetreten werden könne. Diese Flut von Bits und Bytes lässt sich nur dank eines «Die Regulierung kann daher auf viel präziseren Verbunds von rund 170 über den Globus verteilten Daten aufbauen», bilanziert die Forscherin. Computernetzwerken verarbeiten. Die seit der Lancierung von DataBio im Jahr 2017 durchgeführten Pilotprojekte bestätigen, dass nicht Welterkenntnis dank Big Data nur die Fischerei effizienter wird, sondern auch die Längst erhofft sich nicht mehr nur die Grundlagen- Landwirtschaft dank Big Data Wasser, Düngemittel forschung Erkenntnisse aus «Big Data» – so nennt die und Pestizide einsparen könnte. Die gewaltigen Daten- Fachwelt grosse, komplexe und wenig geordnete sätze nützen auch der Forstwirtschaft: «Gerade in Datenbestände. Auf handfeste Anwendungen ausge- grossräumigen oder schwer zugänglichen Waldgebie- richtet ist etwa das europäische Forschungsprojekt ten können Satellitendaten frühzeitig auf kranke Be- «Data-Driven Bioeconomy» (kurz: DataBio). Mithilfe stände hinweisen oder bei der Kontrolle gebietsfrem- von Datensätzen aus verschiedensten Quellen will es der invasiver Arten dienen», ist Katarina Stanoevska- die Land- und Forstwirtschaft sowie die Fischerei Slabeva überzeugt. nachhaltiger gestalten. Für die Schweiz an DataBio beteiligt ist auch Wolke mit Materialbedarf Katarina Stanoevska-Slabeva vom Forschungsbereich Nicht nur die Forschung ist für den Umgang mit ihren Digital Communication an der Universität St. Gallen. Daten auf Computernetzwerke angewiesen. Auch die umwelt 3 | 19
DOSSIER DIGITALISIERUNG 21 5G: Es besteht Forschungsbedarf Der digitale Mobilfunk hat sich seit seiner Einführung in den 1990er-Jahren stetig weiterentwickelt, als nächster Ausbauschritt wird die 5. Generation (5G, New Radio) eingeführt. 5G soll neuartige Anwen- dungen (Internet of Things, automatisiertes Fahren usw.) ermöglichen und die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft unterstützen. Über die Art und Weise, wie der weitere Ausbau der Mobil- funknetze vor sich gehen soll, ist in den letzten Jahren in der Politik und in der Bevölkerung eine inten- sive Diskussion entstanden, befürchtet werden insbesondere auch gesundheitliche Auswirkungen. Die Wirkung von Mobilfunkstrahlung auf den Menschen hängt von deren Intensität und Frequenz ab. Die Vorschriften des Umweltschutzgesetzes (USG) und der Verordnung über den Schutz vor nicht io- nisierender Strahlung (NISV) gelten für die Strahlung insgesamt und unterscheiden nicht zwischen den verschiedenen Technologien von Mobilfunk (2G, 3G, 4G, 5G). Die NISV begrenzt die Intensität der Strahlung mit Grenzwerten, die sich nach der verwendeten Frequenz unterscheiden. Die zurzeit laufende Einführung von 5G erfolgt in Frequenzbereichen, wie sie bereits jetzt für den Mobilfunk und für WLAN verwendet werden. Die 5G-Anlagen, die bereits in Betrieb sind, müssen wie alle anderen Anlagen die Grenzwerte der NISV einhalten. Längerfristig soll 5G auch in einem höheren Frequenzbereich zur Anwendung gelangen, man spricht hier auch von «Millimeterwellen». Bei der Einwirkung solcher Strahlung auf den Menschen bestehen aus wissenschaftlicher Sicht noch Unklar- heiten und Forschungsbedarf. Ein Zeitplan, wann in der Schweiz Millimeterwellen zur Anwendung gelangen könnten, liegt noch nicht vor. Deren Verwendung für Mobilfunk müsste durch den Bundesrat vorgängig über die Anpassung des Nationalen Frequenzzuweisungsplans (NaFZ) genehmigt werden. Im April 2019 hat der Bundesrat eine Änderung der NISV beschlossen, dies auch im Hinblick auf den Ausbau der 5G-Netze. Das BAFU ist neu für den Aufbau und Betrieb eines Monitorings zuständig, das Auskunft zur Belastung der Bevölkerung durch nicht ionisierende Strahlung in der Umwelt gibt. Das BAFU soll auch periodisch über den Stand der Erkenntnisse zu den Auswirkungen der Strahlung auf Menschen und Umwelt informieren. Im Herbst 2018 hat das UVEK eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des BAFU eingesetzt, um die Bedürfnisse und Risiken für die nähere und weitere Zukunft von Mobilfunk und Strahlenbelastung, insbesondere im Zusammenhang mit 5G, zu analysieren. Die Arbeitsgruppe wird nicht über die Ein- führung von 5G entscheiden, sondern mit ihrem Bericht Optionen im Hinblick auf den zukünftigen Ausbau der Mobilfunknetze aufzeigen. Sie wird ihren Bericht mit Empfehlungen für das weitere Vorge- hen im Laufe des Jahres 2019 vorlegen. Das UVEK wird den Bericht veröffentlichen und anschliessend über das weitere Vorgehen entscheiden. Mehr Infos zum Thema «5G-Netze» gibt es im Web-Dossier bit.ly/2W33xOX Ämter und andere Organisationen mieten mittler- sein werden, dürften den Materialverbrauch zusätz- weile Speicherplatz bei externen Anbietern und lich befeuern. lagern Daten aus – in die sogenannte Cloud. Aller- Für Olivier Jacquat von der Sektion Innovation dings führt das sprachliche Bild der «Datenwolke» beim BAFU ist indes nicht nur die steigende Materi- in die Irre, ist doch die dafür erforderliche Infrastruk- almenge bedenklich, sondern auch der Gehalt an tur alles andere als körperlos. So ermittelte eine seltenen Metallen, die in den Endgeräten – zum Studie, dass allein in deutschen Rechenzentren Beispiel in unseren Handys – stecken. «Da diese mindestens 12 000 Tonnen Elektronik verbaut sind. Rohstoffe nur in Kleinstmengen verbaut werden, Diese wiederum enthält knapp 2 Tonnen Gold, gut ist ihr Recycling technisch anspruchsvoll», erklärt 7 Tonnen Silber und fast eine Tonne Palladium. Die er. Um eine Rückgewinnung von raren Ressourcen Sensoren, die künftig im «Internet of Things» (IoT) voranzutreiben, führte das BAFU diverse Studien für die Vernetzung von Alltagsgeräten erforderlich und Innovationsprojekte zur Rückgewinnung die umwelt 3 | 19
Sie können auch lesen