Natur 4.0 - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Wie wirkt sich Digitalisierung auf die Umwelt aus? - Bundesamt für Umwelt

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Natur 4.0 - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Wie wirkt sich Digitalisierung auf die Umwelt aus? - Bundesamt für Umwelt
3 | 2019

Natürliche Ressourcen in der Schweiz

Natur 4.0
Wie wirkt sich Digitalisierung auf die Umwelt aus?
Natur 4.0 - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Wie wirkt sich Digitalisierung auf die Umwelt aus? - Bundesamt für Umwelt
2   EDITORIAL

    Das Analoge bleibt wichtig
                                 Wenn ich mit meinen Kindern diskutiere, ist die Zweischneidigkeit der Digitalisierung
                                 ein häufiges Thema: Die Jugend ist digital unterwegs, verabredet sich über WhatsApp
                                 zum Klimastreik und weiss über die neuesten Handymodelle Bescheid. Zugleich treibt es
                                 meine Familie um, dass die Reparatur eines Smartphones sehr teuer oder gar nicht
                                 möglich ist – obschon es mindestens drei Jahre benützt werden sollte, damit es keinen
                                 zu grossen ökologischen Fussabdruck hinterlässt. Diese Ambivalenz findet sich in vielen
                                 Aspekten der Digitalisierung. Für die Fernerkundung beispielsweise sind auf der einen
                                 Seite enorme Infrastrukturen und ein erheblicher Einsatz an Energie erforderlich.
                                 Auf der anderen Seite liefert sie uns eine Vielzahl von Daten, die es uns ermöglichen,
                                 Umweltprobleme frühzeitig zu erkennen und natürliche Ressourcen effizienter zu nutzen.

                                 Das BAFU ist ein Bundesamt mit einem grossen Datenbestand – dies dank der zahlreichen
                                 Messnetze, die den Zustand von Boden, Wasser, Luft und Biodiversität erheben. Wir haben
                    Bild: BAFU   ein grosses Interesse, dass diese Daten auch verwendet werden. Denn sie gestatten es, zu
                                 überprüfen, ob Massnahmen zum Schutz der Umwelt ihre erwünschte Wirkung entfalten
                                 oder ob sie nachjustiert werden müssen. Diese Überzeugung widerspiegelt sich denn auch
                                 in den beiden bundesrätlichen Strategien «Digitale Schweiz» und «Open Government Data».
                                 Im Übrigen hat der Bundesrat im Rahmen seiner Legislaturplanung die Digitali­sierung
                                 neben der Klimapolitik und den Beziehungen zur Europäischen Union zu einem seiner drei
                                 Schwerpunktthemen gemacht.

                                 Die Digitalisierung erweitert aber nicht nur unser Wissen über die Natur, sondern verändert
                                 auch unsere Gewohnheiten und den Austausch mit anderen Menschen. So fällt mir auf,
                                 dass selbst im Gespräch oft sofort zum Handy gegriffen wird, wenn jemandem der Name einer
                                 Person nicht einfallen will oder ein historischer Sachverhalt nicht geläufig ist. Bei uns zu
                                 Hause legen wir am Tisch die Handys weg – und wenn wir etwas nicht wissen, versuchen
                                 wir, die Antwort gemeinsam im Dialog zu finden. Dies gilt auch für die Umweltpolitik,
                                 und Forscherinnen und Wissenschaftler haben bereits zur Entdeckerzeit hierfür den Grund-
                                 stein gelegt: Der Mensch muss seine Umwelt «begreifen», mit all seinen Sinnen, um
                                 Entscheidungen treffen zu können. Satellitenbilder oder automatisierte Datenerhebung,
                                 Blockchain-Technologien, Algorithmen sind hierfür wichtige Instrumente – sie ersetzen
                                 aber nicht die Beobachtungs- und Auffassungsgabe des Menschen vor Ort. Bei aller Begeiste-
                                 rung für die vielfältigen Möglichkeiten, die aus der Digitalisierung erwachsen, scheint es
                                 mir wichtig, dass wir nicht in der faszinierenden virtuellen Welt erstarren, sondern beweglich
                                 bleiben und die Potenziale des Unmittelbaren und Analogen weiterhin ausschöpfen.

                                 Karine Siegwart | Vizedirektorin BAFU

    die umwelt 3 | 19
Natur 4.0 - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Wie wirkt sich Digitalisierung auf die Umwelt aus? - Bundesamt für Umwelt
INHALTSVERZEICHNIS                                                                                                  3

             Dossier                                                             360°
       DIGITALISIERUNG
       8            Wann ist Digitalisierung                                44        Artenschutz
                    gut für die Umwelt?                                               Armee verteidigt Biodiversität

       12           Weiter Weg zu schlauen Städten                          48        Gefahrenprävention
                                                                                      Wie man heute Flüsse vermisst
       17           Mieten und tauschen, leicht gemacht
                                                                            52        Klimawandel
       20           Wolkige Aussichten                                                Wie werde ich Umweltschützer?
                    in die digitale Zukunft
                                                                            56        Ressourcen
       23           Anschub für nationale Bodenkarten                                 Mit der App gegen Abfall

       26           Am Klimaschutz teilnehmen                               59        Klimawandel
                                                                                      50 Projekte der Hoffnung
       29           App statt Auto

       32/33        Digitalisierung auf einen Blick

       36           Künstliche Naturerlebnisse                              RENDEZ-VOUS
                                                                            4         Tipps

                                                                            6         Bildung

                                                                            7         Unterwegs

                                                                            40        Vor Ort

                                                                            42        International

                                                                            43        Recht

                                                                            62        Aus dem Nationalpark

                                                                            62        Impressum

                                                                            63        Meine Natur

                                                                            64        Vorschau

                                                                            GRATISABOS UND             FACEBOOK-FANPAGE
                                                                            ADRESSÄNDE­R UNGEN         www.facebook.com/
                                                                            www.bafu.admin.ch/         UmweltMag
                                                                            leserservice
                                                 Illustration: FRANZ&RENÉ                              TITELBILD
                                                                            KONTAKT                    UND ILLUSTRATIONEN
Was genau ist eigentlich das Internet der Dinge? Was leisten Blockchains,   magazin@bafu.admin.ch      (SEITEN 13, 19, 26, 31,
Clouds und Smart Cities? Und welche Chancen und Risiken bezüglich                                      32/33, 37)
Umwelt sind mit diesen Innovationen verbunden? Eine grosszügige Grafik      IM INTERNET                FRANZ&RENÉ
beleuchtet die wichtigsten Aspekte der Digitali­sierung (Seiten 32+33).     www.bafu.admin.ch/
                                                                            magazin

             die umwelt 3 | 19
Natur 4.0 - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Wie wirkt sich Digitalisierung auf die Umwelt aus? - Bundesamt für Umwelt
4             360° RENDEZ-VOUS

            Tipps
                                                                             Zweites Leben für alte Skateboards
                                                                             Der Skateboarding-Lifestyle verlangt viel von seinen Brettern ab – mal
                                                                             brechen sie, dann wieder ist die Spannung raus. Doch warum die
                                                                             Bretter gleich entsorgen? Die Solothurner David Zuber und Aron
                                                                             Gaspar, beide leidenschaftliche Skater seit ihrer Kindheit, haben sich
                                                                             dieselbe Frage gestellt. Mit ihrem Projekt Wärchi Nr. 8 hauchen sie
                                                                             alten Skateboards ein zweites Leben ein. Sie verarbeiten ihre eige-
                                                                             nen alten Skateboards oder die ihrer Freunde zu Tischen, Flaschen-
                                                                             öffnern, Lampen oder Regalen. In ihrer Werkstatt kommen nebst dem
                                                                             flexiblen und mehrschichtigen Ahornholz der Skateboard-Decks nur
                                                                             heimische Hölzer und Materialien zum Einsatz.

                                                                             waerchi.com
                                                 Bild: Caroline Krajcir

Bienen füttern                                      Gute Welt                                            Grüne Skipiste
              Die «Bienen»-App hat zum                          Die «Goodnews»-App hat                               Die App «Mission Dahu» soll
              Ziel, die Bienen auf ihrer Su-                    sich der Sonnenseite der                             Kindern auf spielerische Art
              che nach Nektar und Pollen                        Nachrichtenwelt verschrie-                           und Weise die Auswirkungen
              zu unterstützen. Ein Pflanzen-                    ben: Jeden Tag sammelt sie                           von Freizeit- und Wintersport­
lexikon mit bienenfreundlichen Pflanzen             im World Wide Web die besten guten                  aktivitäten auf die Umwelt zeigen. 5 wich-
zeigt, mit welchen Blumen auf dem Balkon            Nachrichten. Sie berichtet etwa über                tige Themen stehen im Vordergrund:
oder im Garten sich Bienen «füttern» lassen.        Forscher, die auf Borneo Plantagen mit              Pflanzen und Tiere, Abfall, Verkehr, Sport-
Nebst Informationen über die Bienenwelt             Regenwaldpflanzen wiederaufforsten,                 ausrüstung sowie Ernährung. Für jedes
und den Beruf des Imkers sowie Pflege-              von der ersten Burger-King-Filiale, die             Umweltthema gibt es einen Einführ-
hinweisen zu über 100 Pflanzen kann man             auf Laborfleisch setzt, von einem For-              ungstext und 5 bis 20 Minuten dauernde-
sein Wissen in einem Bienen-Quiz testen             schungsprojekt zur Verhinderung des                 Lernspiele, die 3 Bereiche umfassen:
und anhand einer Fotofunktion Bilder mit            Kükentötens und auch über Hüte, die                 Beobachten, Nachdenken und Handeln.
Bienenmotiven schmücken. Die App ist eine           aus Secondhand-Materialien herge-                   Die vom BAFU mitgestaltete App richtet
Entwicklung des deutschen Bundes-                   stellt werden.                                      sich vor allem an Lehrpersonen und kann
ministeriums für Ernährung und Landwirt-                                                                optimal während der Skischule, an einem
                                                    Gratis | für Android und iPhone |                   Schneesporttag oder im Skilager ange-
schaft.                                             goodnewsapp.de
                                                                                                        wendet werden.
Gratis | für Android und iPhone |
bmel.de > Artgerechte Tierhaltung >                                                                     Gratis | für Android und iPhone;
Nutztierhaltung > Bienen                                                                                missiondahu.ch/de/download_home

Neues altes Radio
Das ehemalige Fernsehstudio von Kapitän Blaubär im schwäbischen Reutlingen (D) dient heute
als (Wieder-)Geburtsstätte für alte Radios. Die Vangerow GmbH restauriert alte Röhrenradios
und veredelt sie zudem mit neuster Technik. So werden die antiken Radios zu modernen
Designobjekten, sind WLAN- und Cloud-fähig und können über eine App gesteuert werden.
Der Preis für ein solches Musikanlagen-Unikat liegt zwischen 300 und 800 Euro – je nachdem,
ob man sein eigenes Radio aufbereiten lässt oder sich im Web-Shop der Firma ein neues
altes Radio zutut. Tüftler und Bastlerinnen können sich auch für 99 Euro ein Umbau-Set
                                                                                                                                                 Bild: shutterstock

bestellen und sich so auf eigene Faust an die Aufbereitung ihrer alten Radios machen. Für all
jene, die sich mit moderner Technik schwertun und ihrem Liebhaberstück nur einen neuen
Schliff verpassen möchten, bietet Vangerow einen Reparaturservice an.

vangerow.de/roehrenradio

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Natur 4.0 - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Wie wirkt sich Digitalisierung auf die Umwelt aus? - Bundesamt für Umwelt
360° RENDEZ-VOUS                                                                                                               5

Grün in der Stadt                              Spuren im Sand                               St. Galler Perlen
Die Ausstellung «Grün am Bau» widmet                                                        Zum Beispiel am 1. Oktober 2019:
sich dem Thema der Gebäudebegrü-                                                            herbstlicher Kräuterspaziergang und
nung. Die vom Tiefbau- und Entsor-                                                          Salbenherstellung für Kinder der 2. bis
gungsdepartement der Stadt Zürich                                                           5. Klasse. Oder am 7. Dezember 2019:
lancierte Doppelausstellung befindet                                                        Naturperlen im Umland St. Gallens ent-
sich an zwei Standorten: Während in                                                         decken. Am 2. Februar 2020 ist dann
der Sukkulentensammlung aufgezeigt                                          Bild: zVg       ein geführter Winterspaziergang durch
wird, wie Pflanzen dank ihrer Fähigkeit                                                     den Botanischen Garten geplant.
zu klettern neue Lebensräume besie-                                                         Natur findet Stadt: Die Agenda enthält
deln, bekommt man in der Stadtgärt-                                                         eine Vielzahl naturnaher Veranstal-
nerei eine Einführung in die verschiede-                                                    tungen, welche die Stadt St. Gallen
nen Bepflanzungs- und Begrünungs-                                                           und verschiedene regionale Organi-
systeme. Die Ausstellung dauert noch                                                        sationen anbieten.
bis Januar 2020.
                                                                                            stadt.sg.ch > Raum, Umwelt > Umwelt und
stadt-zuerich.ch > Tiefbau- und Entsorgungs-                                                Nachhaltigkeit > Natur und Landschaft >
departement > Grün am Bau                                                                   Natur findet Stadt

                                                                                            Respekt im Wald
Schoggi für die Biene
Mit dem Erlös der Schoggitaler-Aktion
2019 wollen Pro Natura und der
                                                                                Bild: zVg
Schweizer Heimatschutz die Insekten
in der Schweiz besser schützen. Insek-         Nester im Baum, Löcher im Boden,
ten sind für eine funktionierende Um-          Frassspuren an Blättern oder ledig-
welt unerlässlich. Doch über 40 Prozent        lich ein abgeknickter Grashalm: Das
 der bisher untersuchten Insektenarten         Handbuch «Fährten lesen und Spuren
der Schweiz sind gefährdet: Fehlende           suchen» gibt einen Einblick in die Welt
Lebensräume, der Einsatz von Pestizi-          des Spurenlesens. In der Einleitung
den und nächtliche Lichtemissionen             schreibt der Autor: «Der Weg, das Ver-
lassen sie verschwinden.                       folgen der Fährte, ist das Ziel.» So ist
                                               das Buch nicht nach Tieren geordnet,
schoggitaler.ch
                                               sondern nach der Art der Spuren.
                                                  Es gibt u.a. Auskunft, wie Frass- und
                                               Kotspuren, Fährten und Trittsiegel,                                           Bild: zVg

                                               Nester und unterschiedliche Höhlen
Frauenpower                                    den verschiedenen Tierarten zugeord-
                                                                                            «Der Wald ist Erholungs- und Erlebnis-
                                                                                            raum für uns Menschen, aber auch Le-
                                               net werden können. Aus­serdem ent-
NeWI ist ein Netzwerk nur für Frauen.                                                       bensraum für viele Tiere und Pflanzen»,
                                               hält es Tipps für praktische Hilfsmittel,
Genauer gesagt: für Wasseringenieu-                                                         sagt Regina Wollenmann, Präsidentin
                                               die man zur Spu­ren­suche mitbringen
rinnen. Es bietet denjenigen, die im                                                        der Arbeitsgemeinschaft für den Wald
                                               sollte: etwa ein Lineal, um Fussabdrü-
Bereich Wasser tätig sind oder waren,                                                       (AfW). Auf dieser Grundlage beruht der
                                               cke und Schrit­t­längen zu vermessen.
die Möglichkeit, sich zu vernetzen.                                                         Wald-Knigge, der die AfW mit 20 na-
                                               Auch Notizbuch und Bleistift sind sinn-
Auf der Plattform können sie persön-                                                        tionalen Organisationen erarbeitet hat.
                                               voll, um sich Informationen zu notieren.
liche und berufliche Erfahrungen aus-                                                       Der Knigge beinhaltet 10 Tipps für einen
tauschen, um unterschiedliche Berufs-                                                       respektvollen Waldbesuch. Ein Tipp ist
wege kennenzulernen und mit Frauen             «Fährten lesen und Spuren suchen»
                                                                                            beispielsweise, während der Nacht Lärm
auf anderen Karrierestufen in Kontakt          CHF 33.90 | Haupt Verlag                     und störendes Licht zu vermeiden.
zu treten.                                     ISBN: 978-3-258-07854-0
                                                                                            Download und Bestellung: waldknigge.ch
wasseringenieurinnen.ch

          die umwelt 3 | 19
Natur 4.0 - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Wie wirkt sich Digitalisierung auf die Umwelt aus? - Bundesamt für Umwelt
6            360° RENDEZ-VOUS

             Bildung
                                                                                               Ortstermine Natur
                                                                                               Zum Beispiel am Montag, 7. Oktober 2019:
                                                                                               Im Rahmen des Kurses «Wo sich Seehund &
                                                                                               Uhu Gute Nacht sagen» kann man im Tier-
                                                                                               park Bern übernachten und Erstaunliches
                                                                                               erleben. Entdecken lässt sich dieser Anlass
                                                                                               im Natur- und Umweltkalender der Stadt
                                                                                               Bern: Dort finden sich die aktuellen Veran-
                                                                                               staltungen aus den Bereichen Natur, Nach-
                                                                                               haltigkeit und Umwelt. Publiziert werden sie
                                                                     Bild: Liliane Ballamand   von rund 50 grossen und kleinen Vereinen,
                                                                                               NGO, Organisationen und Museen aus der
                                                                                               Region Bern.
Die Storchenforscher
                                                                                               natur-umweltkalender.ch
Der Weissstorch ist als kinderbringender Klapperstorch sehr populär. Die Intensivierung
der Landwirtschaft ist unter anderem dafür verantwortlich, dass diese Zugvögel heute
Probleme haben, ihre Jungen mit ausreichend Nahrung zu versorgen. Auch hat sich das
Zugverhalten der Störche in den letzten Jahren sehr verändert.
   Nun gibt es ein neues Bildungsangebot für die Primarstufe und die Sekundarstufe 1.
Inhaltlich stützt es sich auf Ergebnisse internationaler Forschungsprojekte zum Storch         Mehr Velo!
und bietet damit Lehrpersonen sowie Schülerinnen und Schülern Zugang zu aktuellstem
Fachwissen. Grundlage des Bildungspakets für die Primarstufe ist eine Geschichtenbro-          In Zeiten maximaler Mobilität braucht es
schüre mit Arbeitsaufträgen und Infoblättern. Für die Sek. 1 wird Forschungsmaterial zum       Alternativen zu motorisierten Verkehrsmit-
eigenen Recherchieren zur Verfügung gestellt. Hinzu kommen weitere Materialien für den         teln. Insbesondere in Städten und Agglo-
Unterricht und Hinweise für Exkursionen und Beobachtungsmöglichkeiten. Dabei soll vor          merationen bietet sich das Velo an. Um es
allem das forschend-entdeckende Lernen anhand eigener Fragestellungen im Zentrum               zu fördern, braucht es Institutionen wie die
stehen. Das Angebot orientiert sich an den Lehrplänen.                                         Vereinigung Pro Velo Bern. Sie setzt sich
   Das Projekt ist eine wegweisende Zusammenarbeit zwischen Bildungsakteuren                   dafür ein, «dass Velofahren auch im Alltag
(GLOBE, PH FHNW) und solchen aus der ornithologischen Forschung (Storch Schweiz,               Spass macht und wir alle sicher und schnell
Schweizerische Vogelwarte Sempach, BirdLife).                                                  ans Ziel kommen. Wir fordern, dass das Velo-
                                                                                               fahren konsequent gefördert wird, weil es das
storchenforscher.ch                                                                            effizienteste, umweltfreundlichste, leiseste
                                                                                               und platzsparendste Verkehrsmittel ist.»
                                                                                                 Dafür werden unter anderem Kurse an-
                                                                                               geboten: zum Beispiel jener zum Thema
Befleckte Nächte                           Mehr Umweltwissen                                   «Sicher im Sattel» für Kinder und ihre Eltern,
                                                                                               welcher elementare Kenntnisse vermittelt
«Globe at Night» bietet Schülerinnen,      Im Herbst 2019 starten an der Berner Fach-          und praktische Übungen beinhaltet. Auch
Schülern und interessierten Privatper-     hochschule (BFH) in Burgdorf zwei Weiterbil-        Migranten und Migrantinnen können Grund-
sonen die Möglichkeit, Sternbilder am      dungsangebote mit umweltrelevanten Themen:          kenntnisse im geschützten Raum erwerben
nächtlichen Himmel zu erkunden und         Das CAS «Schutz vor Naturgefahren» will die         (Gleichgewicht auf dem Velo halten, bremsen,
die Leuchtstärke der Sterne mit einer      Kenntnisse der Teilnehmenden zu Schutzmass-         schalten, Verkehrsregeln lernen, manövrieren).
Magnitudenkarte zu vergleichen. An-        nahmen für Bau- und Infrastrukturobjekte ver-       Fortgeschrittene üben bereits das Velofahren
hand der Leuchtstärke bestimmter           tiefen und erweitern. Es richtet sich an Bau­       auf Quartierstrassen. E-Bike-Fahrerinnen
Sternbilder werden Aussagen über die       ingenieurinnen und Naturwissenschaftler. Das        und -Fahrer können zudem in Theorie und
Verschmutzung durch Licht hergeleitet.     CAS «Siedlungsentwässerung» eignet sich für         Praxis erlernen, mit dem Elektrovelo sicher
Im Rahmen der internationalen Licht-       Ingenieurinnen und Ingenieure, die sich mit         unterwegs zu sein. Hinzu kommen Velorepa-
verschmutzungs-Kampagne werden die         den steigenden Anforderungen an die Sied-           ratur- und Unterhaltskurse.
Beobachtungen in einer internationalen     lungsentwässerung auseinandersetzen müs-
Datenbank erfasst und können so welt-      sen. Die beiden Angebote werden vom BAFU
weit verglichen werden.                    unterstützt.

                                           Mehr Informationen und Anmeldung:
globe-swiss.ch > Angebote >                ahb.bfh.ch/casnaturgefahren, ahb.bfh.ch/
Lichtverschmutzung «Globe at Night»        cassiedlungsentwaesserung                           Übersicht: provelobern.ch/aktivitaeten

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            Unterwegs

Bei Hochwasser dient der Betontrichter im Klöntalersee als Überlauf.                                                            Bild: Beat Jordi

            Im Schatten der Berge
            Die mächtigen Felswände der Glärnischkette                 2000 Meter über den See hinaus. Deshalb gelangt im
            überragen das Südufer des Klöntalersees (GL)               Winter während Monaten auch kaum Sonne ins tief
            in einem Seitental der Linth. Hier findet man              eingeschnittene Tal. Vor der Erfindung der Eismaschine
            auch im Hochsommer angenehmen Schatten.                    diente der regelmässig zufrierende Klöntalersee als
            Text: Beat Jordi                                           Lieferant von Eisblöcken, die in Glanzzeiten mit über
                                                                       300 Pferdefuhrwerken nach Netstal oder Glarus
            Wer am Ostufer in Rhodannenberg über den Klön-             transportiert wurden.
            talersee blickt, dem fällt zuerst eine trichterförmige       Die Landschaft am steilen Südufer erinnert bisweilen
            Betonkonstruktion auf, die über einen Eisensteg mit        an einen skandinavischen Fjord. Von Güntlenau bis
            dem Ufer verbunden ist. Das auf der Südseite von hohen     Vorauen führt ein gut gesicherter Uferweg an hohen
            Gebirgsflanken gesäumte Gewässer entstand zwar             Felswänden und tosenden Wasserfällen vorbei. Er quert
            durch zwei Bergstürze, die den Talfluss Klön aufstau-      mehrere Wildbäche, passiert einen moosigen Birken-
            ten. Wie der künstlich abgesenkte Wasserstand sowie        wald, der durch Murgänge mit Steinen übersät ist, und
            der als Überlauf bei Hochwasser dienende Betontrichter     begleitet uns im Mündungsgebiet der Klön durch ein
            unschwer erkennen lassen, wird der See im linken           Auengebiet von nationaler Bedeutung. Wenn das
            Seitental der Linth aber auch zur Stromproduktion          Schmelzwasser der Blauen Brünnen im Frühjahr den
            genutzt. Dazu hat die Elektrizitätswirtschaft den          Talboden flutet, dann laichen in diesem bedeutenden
            natürlichen Damm am Ostende des Klöntalersees              Amphibiengebiet Tausende von Erdkröten und Gras-
            bereits 1908 erhöht und dessen Fläche damit auf rund       fröschen sowie etliche Bergmolche.
            3,3 Quadratkilometer erweitert. Das Gewässer gilt            An lichten Stellen in der Nähe von Runsen fällt eine
            schweizweit denn auch als ältester grösserer Spei-         Vielzahl von Alpenpflanzen auf, die in dieser Höhe
            chersee.                                                   normalerweise nicht gedeihen. Arten wie das Narzis-
              Wer am Morgen Richtung Hinterklöntal aufbricht,          senblütige Windröschen, die Gelbe Berg-Platterbse
            kann auch während der Sommermonate im kühlen               oder die Alpengemskresse werden nämlich via die
            Schatten der Glärnischkette wandern. Die mächtigen         Wildbäche als ganze Pflanzen oder Samen vom Hoch-
            Wände des gut 2900 Meter hohen Gipfels ragen etwa          gebirge ins Tal geschwemmt.

            wandersite.ch/Tageswanderung/512a_Glarus.html

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Natur 4.0 - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Wie wirkt sich Digitalisierung auf die Umwelt aus? - Bundesamt für Umwelt
8         DOSSIER DIGITALISIERUNG

Digitale Transformation

«Der Umgang mit Datenbanken
braucht eine radikale Art zu denken»
Carolin Desirée Töpfer, Programmiererin und Spezialistin für Datenschutz und IT-Sicherheit, sieht in der
Digitalisierung grosses Potenzial für den Umweltschutz. Sie ortet aber fehlenden politischen Willen,
um dieses auch konsequent auszuschöpfen. Ein Gespräch über Chancen und Risiken der digitalen Welt,
die Bedeutung von Umwelt-Apps und Naturerlebnisse am Schreibtisch. Interview: Peter Bader und Denise Fricker

          Frau Töpfer, wann waren Sie am Computer zum           Kommilitonen im Politikstudium und in der Arbeits-
          ersten Mal glücklich?                                 welt so richtig, dass meine Technikbegeisterung
          Carolin Desirée Töpfer: Schon früh. Meine Eltern      eine echte Zusatzqualifikation ist.
          hatten mir einen geschenkt, damit ich darauf
          Referate schreiben oder andere Dinge für die Schule   Was fasziniert Sie an der Digitalisierung?
          erledigen konnte. Ich habe ihn aber bald in der       Zum einen das Tüfteln. Wenn ich einen Computer
          Freizeit genutzt, mich dafür interessiert, wie das    zusammenbaue und er funktioniert nicht, dann
          funktioniert mit der Tastatur, dem Bildschirm und     arbeite ich eben weiter, bis alles läuft. Das Gleiche
          dem Rechner.                                          gilt beim Programmieren. Zum anderen die totale
                                                                Transparenz. Das heisst: Beim Umgang mit Daten-
                                                                banken braucht es eine radikale und präzise Art zu
                                                                denken – anders als im Alltag, wenn beispielsweise
    «Es gibt tolle Ideen für energie-                           in einem Gespräch im Nachhinein etwas anders
    effiziente Mobilität, doch es                               gemeint gewesen sein könnte.

    fehlt der politische Wille für                              Ist die Digitalisierung gut für die Menschheit?
    die Umsetzung.»                                             Es kommt darauf an, wie die Menschheit damit
                                                                umgeht. Viele reagieren mit Panik beim Gedanken,
                                                                dass Technik und Maschinen Aufgaben von Men-
                                                                schen übernehmen. Eine gute Balance zwischen
          War auch schnell klar, dass Sie die digitale Welt     Digitalem und Analogem im Job wäre aber ange-
          zu Ihrem Beruf machen wollen?                         bracht. Angst hat selten geholfen.
          Nein. Ich habe zwar schon früh damit begonnen,
          Websites zu bauen oder mich mit Datenbanken zu        Eine gesunde Portion Skepsis ist aber durchaus
          beschäftigen. Aber obwohl ich in manchen Jobs         angebracht.
          bei verschiedenen Arbeitgebern dafür zuständig        Auf jeden Fall. Allerdings hatten viele weder in der
          war, Prozesse oder Netzwerke zu optimieren,           Schule noch am Arbeitsplatz die Möglichkeit, sich
          blieb es lange Zeit nur ein Hobby. Ich bin in einer   mit Technik und Digitalisierung auseinanderzu-
          technikaffinen Familie aufgewachsen, mein Vater       setzen. Das schürt Ängste. Natürlich darf man sich
          ist Ingenieur. Aber ich merkte erst unter den         gegen digitale Techniken entscheiden, dann muss

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Natur 4.0 - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Wie wirkt sich Digitalisierung auf die Umwelt aus? - Bundesamt für Umwelt
Carolin Desirée Töpfer
ist Strategieberaterin und Geschäftsführerin der         vertreterinnen und -vertretern einen offenen Brief
cdt digital GmbH. Die 30-Jährige unterstützt vor allem   an die deutsche Bundesregierung unter dem Motto
KMU bei der digitalen Transformation. Auf ihrem          #DieZukunftSindWir zur Frage der Generationenge-
Blog digitalisierung-jetzt.de und in Workshops und       rechtigkeit in Bezug auf die deutsche Energiepolitik.
Vorträgen beleuchtet sie zudem die komplexen tech-         Carolin Desirée Töpfer lebt in Potsdam (D), arbeitet
nischen Seiten sowie die sozialen Aspekte der Digi-      aber ortsunabhängig. Ihr Reisetagebuch findet sich
talisierung. Im Oktober 2018 unterzeich­nete Carolin     auf Instagram: @justme_cdt.
Desirée Töpfer zusammen mit mehr als 100 Jugend-

                                                                                                                  Bild: Matthias Rüby
Natur 4.0 - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Wie wirkt sich Digitalisierung auf die Umwelt aus? - Bundesamt für Umwelt
10   DOSSIER DIGITALISIERUNG

     man sich aber vorgängig damit beschäftigt haben.           Wo sehen Sie denn die grössten Potenziale der
     Ich zum Beispiel nutze zu Hause keine Sprach-              Digitalisierung zugunsten des Umweltschutzes?
     assistenten, weil ich weiss, wie die funktionieren         Einerseits in der Transparenz und Kommunikation.
     und was sie alles speichern. Viele hatten aber nie         Nehmen Sie zum Beispiel die Schülerstreiks für das
     die Möglichkeit, sich diese Grundlagen zu erarbei-         globale Klima: Die haben sich Anfang Jahr dank
     ten. Dabei geht es nicht nur um die Medien- und Digital-   digitaler sozialer Medien weltweit rasend schnell
     kompetenz von Schulpflichtigen, sondern auch               ausgebreitet – und mit ihnen die Themen Energie-
     Personen ab 40 Jahren müssten sich regelmässig             effizienz und CO2-Emissionen. Andererseits können
     weiterbilden.                                              Infrastruktur- oder Mobilitätsanbieter, die täglich
                                                                Millionen von Menschen erreichen, viel ausrichten.
     Ist die Digitalisierung gut für Natur und Umwelt?          Wenn sie sich dafür entscheiden, energieeffizient
     Sie kann es sein, davon bin ich überzeugt. Es ist          und ökologisch zu sein und auch ihre Kundschaft
     einfach eine Frage der Umsetzung. In Kalifornien           dafür zu sensibilisieren, statt einfach im Ausland
     zum Beispiel wird viel getan für umweltfreundliche         Ausgleichszertifikate zu kaufen, kann das einen be-
     Lösungen in Sachen Energie, Mobilität oder Recy-           deutenden Impact auf die globale Ökobilanz haben.
     cling. Ein ansässiger «Clean-Tech-Fund» sorgt dafür,       Aber auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU)
     dass entsprechende Start-ups auch bei Politikerinnen       haben viel Potenzial, wenn es um umweltfreundliche
     und Politikern vorstellig werden können, damit die         Konzepte geht.
     Lösungen tatsächlich umgesetzt werden. Ein solches
     Vorgehen ist aber eine Ausnahme. Viel öfter erleben
     wir: Es gibt viele tolle Ideen, etwa für energieeffi-
     ziente Mobilität, doch es fehlt der politische Wille
     für die Umsetzung. Wir hängen ja zum Beispiel                       «Die Schülerstreiks haben sich
     noch sehr am klassischen Auto. Oftmals fehlen auch
     die nötigen Investment- oder Fördergelder für eine                  dank digitaler sozialer Medien
     grossflächige Umsetzung innovativer Lösungen.                       weltweit rasend schnell
     Es macht einen bedeutenden Unterschied, ob ein
     umweltfreundliches Konzept in einer Stadt um-                       ausgebreitet.»
     gesetzt wird – oder in einem ganzen Land oder etwa
     gar auf einem ganzen Kontinent.

     Die Digitalisierung basiert auf energieintensiven
     Verfahren, Blockchains sind dafür nur ein Beispiel.        Können uns Apps zu umweltbewusstem Handeln
     Kann eine solche Entwicklung überhaupt nach-               anleiten?
     haltig sein?                                               Im Moment denke ich nicht, nein. Apps für einen
     Für Betreiber von Rechenzentren sind Energie-              umweltschonenden Konsum erreichen zwar immer
     effizienz und Ökobilanz tatsächlich ein Problem.           mehr Menschen, trotzdem bleiben sie zurzeit noch
     Auf Konferenzen spüre ich aber, dass die Bemühun-          Nischenprodukte. Fitness oder gesunde Ernährung
     gen für stetig bessere ökologische Lösungen eben-          sind als App-Themen einfach sexyer als Mülltrennung
     so gross sind. Wenn es um Anbieter im Bereich              oder Energieeffizienz. Also müssen wir dafür sorgen,
     Marketing oder Social Media geht oder um die               dass letztere Themen es auch werden. Denn es ist
     Konsumenten, ist das Bewusstsein für den Material-         nicht nur wegen der Umwelt wichtig, sich mit ihnen
     und Energieverbrauch der dahinterliegenden Tech-           zu beschäftigen, sondern auch, weil man damit ja
     nik leider noch nicht so stark.                            Geld sparen und gesünder leben kann.

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DOSSIER DIGITALISIERUNG                                                                                          11

   Was wäre zu tun?                                       Das war aber früher auch nicht anders – nur dass
   Vertreter und Vertreterinnen von Politik und           es damals eben Brettspiele waren.
   Behörden, die viel Einfluss und mittlerweile auch
   Reichweite in den sozialen Medien haben, müssten       Klingt ein bisschen verharmlosend.
   noch wesentlich öfter auf solche Angebote hinwei-      Natürlich nehmen wir die Gefahren im Zusammen-
   sen und für sie werben. Zusätzlich wäre bei vielen     hang mit Virtual Reality ernst. Dabei geht es aber vor
   Apps eine attraktivere und deutlich niederschwel-      allem um Faktoren, welche die räumliche Wahrneh-
   ligere Art der Bedienung gefragt, mit der die Leute    mung beeinflussen. Es gibt Menschen, die setzen sich
   intuitiv klarkommen.                                   eine VR-Brille auf und haben sofort das Gefühl, dass
                                                          es sich um die reale Welt handelt – im Gegensatz zu
                                                          denen, die sich zwar auch auf eine virtuelle Reise ein-
                                                          lassen, sich aber jederzeit bewusst sind, dass sie es
«Apps für umweltschonenden                                mit einer technischen Animation zu tun haben.
Konsum sind noch                                          Um Erstere müssen wir uns kümmern. Nicht nur, weil
                                                          sie während einer Animation jedes Raumgefühl ver-
Nischen­produkte.»                                        lieren und dann stolpern und sich verletzen können.
                                                          Es geht auch um eine gesunde Abgrenzung zur vir-
                                                          tuellen Welt, was – um auf das Thema Umwelt zurück-
   Sie sind derzeit daran, ein Virtual-Reality-Start-up   zukommen – durchaus wichtig ist, um einer Entfrem-
   aufzubauen. Was bedeutet es für unsere Beziehung       dung vorzubeugen. Der Gebrauch gewisser VR-
   zur Natur, wenn wir mittels Virtual Reality (VR) zu    Brillen ist nicht umsonst erst ab 13 Jahren empfohlen.
   Hause am Schreibtisch in sie eintauchen können?        Solche Einschränkungen sollten wir ernst nehmen.
   Wir wollen Virtual Reality vor allem im Bereich
   der Weiterbildung nutzen, etwa für Nothelferkurse.
   Dort geht es darum, Schwerverletzten zu helfen.
   Das sind Erfahrungen, die im realen Leben niemand
   machen will. Da erkenne ich das höchste Potenzial
   für Virtual Reality. In Sachen Umwelt sehe ich die
   grössten Möglichkeiten bei der Visualisierung von
   ökologischen Veränderungen: Wie hat sich eine
   Landschaft in den vergangenen Jahrzehnten kon-
   kret gewandelt? Wie lebten Tiere in der Urzeit, und
   welche davon gibt es überhaupt noch? Welche Aus-
   wirkungen hat es auf die Natur, wenn es immer
   weniger Bienen gibt? Die Lerneffekte können dabei
   durchaus gross sein, auch für Personen, die sich
   sonst nicht sehr für die Thematik interessieren.

   Die Gefahr einer Entfremdung von unmittelbaren
   Naturerlebnissen sehen Sie nicht?
   Nein, ich bin da nicht so pessimistisch. Ich glaube,
   wir dürfen den Menschen diesbezüglich vertrauen.
   Es wird zwar immer einige geben, die lieber zu Hause   Link zum Artikel
   bleiben und gamen, statt nach draussen zu gehen.       www.bafu.admin.ch/magazin2019-3-01

   die umwelt 3 | 19
12        DOSSIER DIGITALISIERUNG

Stadt der Zukunft

Smarte Häppchen
Die Digitalisierung hat das Potenzial, den ökologischen Fussabdruck der Städte drastisch
zu verkleinern. Doch der Weg dorthin ist noch weit. Text: Christian Schmidt

          Alexandre Bosshard ist ein guter Showmaster.             Doch das, was in Pully entsteht, ist – zumindest
          In einem Sitzungszimmer der Stadtverwaltung von        theoretisch – eine der vielversprechendsten Er-
          Pully (VD) beamt er eine Karte an die Wand. Sie        findungen, seit Tim Berners-Lee die Welt mit dem
          zeigt eine nachtschwarze Welt, nichts als Konti-       Internet beglückte. Das Konzept hinter dem Stich-
          nente und Wasser. Dann, in Asien, ein roter Punkt.     wort «Smart Cities» hat das Potenzial, energie-
          «Singapur» steht darunter. Bosshard lässt das Bild     fressende Siedlungsräume in menschenfreundliche
          wirken, schweigt. Ein zweiter roter Punkt im ara-      und nachhaltige Lebensräume zu verwandeln.
          bischen Raum. «Dubai». Bosshard schweigt immer         Bosshard erklärt: «Die ITU misst anhand von
          noch. Nun beginnt ein dritter Punkt zu leuchten.       87 Kriterien die Digitalisierung von Städten, wobei
          In Europa. In der Schweiz. «Pully».                    sie besonderes Gewicht auf den Aspekt der Nach-
            Pully auf einer Ebene mit Dubai und Singapur.        haltigkeit legt.» Zu diesen Kriterien zähle etwa der
          Pully hat 18 000 Einwohner, die anderen Städte         Anteil erneuerbarer Energien am Energieverbrauch
          zählen mehrere Millionen. Was hat der Vorort von       der Stadt, eine nachhaltige Bauweise öffentlicher
          Lausanne in dieser Liga zu suchen?                     Gebäude, die Länge der Radwege und die Anzahl
            Alexandre Bosshard, Kulturingenieur mit Zweit­       Quadratmeter Grünfläche pro Einwohner. Weltweit
          ausbildung in Psychologie, seit sechs Jahren Koor-     rund 50 Länder hätten inzwischen mit der Er-
          dinator der Digitalisierungsprojekte von Pully,        fassung der entsprechenden Indikatoren begonnen.
          kurzer Bart, Brille, holt aus: «Die ITU hat uns als    Und Pully mischt ganz vorne mit.
          dritte Stadt weltweit mit dem Label ‹Smart Susta-        Weshalb, erklärt Alexandre Bosshard in einem
          inable City› ausgezeichnet.» Die ITU, das ist die      der benachbarten Büros. Hier kann er an einem der
          International Telecommunication Union, eine Un-        Bildschirme sein wichtigstes Projekt in Sachen
          terorganisation der UNO. Als Bosshard zur Über-        Smart City demonstrieren. Es nennt sich «Obser-
          reichung des Zertifikats im April 2018 nach Malaga     vatoire de la mobilité». Das Projekt entstand 2015
          reiste, sass er, der Verwaltungsangestellte, mit       aus einer Kooperation zwischen Pully, Swisscom
          Ministern und anderen illustren Häuptern am glei-      und der Eidgenössischen technischen Hochschule
          chen Tisch.                                            in Lausanne (École polytechnique fédérale, EPFL).
                                                                 Eine gemeinsam entwickelte Software hilft, die Ver-
          Vielversprechendes Konzept                             kehrsflüsse in Pully zu analysieren – auf Basis der
          Pully liegt über den Ufern des Genfersees und unter-   Datenspuren, die Mobiltelefone auf den Antennen
          scheidet sich an diesem Frühlingstag in nichts von     hinterlassen. Dank ihnen lässt sich nachvollzie-
          anderen Städtchen. In einer Tiefgarage testen Kids     hen, woher die Menschen nach Pully kommen,
          ihre Skateboards; eine Frau ist am Handy; an der       wie sie sich bewegen, wie lange sie im Ort verblei-
          Rue de la Poste erhalten Bäume den Frühlings-          ben und wohin sie danach gehen. Die Spuren auf
          schnitt. Von einer Smart City ist nichts zu            dem Monitor erinnern an Flugzeugbewegungen auf
          spüren.                                                einem Radarschirm.

          die umwelt 3 | 19
DATENSPEICHERUNG

   Wie viel Energie
braucht eine Wolke?
14   DOSSIER DIGITALISIERUNG

     Für Bosshard ist das Observatorium ein «wertvolles           «Das Potenzial der Smart Cities
     und intelligentes Werkzeug», um die gegenwärtige
     Situation zu verstehen und die Zukunft zu gestalten.
                                                                  bezüglich Effizienz und Nachhaltigkeit
     «Früher erhielten wir die Ergebnisse unserer Ver-            ist gross – wenn Standards definiert
     kehrszählungen alle fünf Jahre, heute jede Stunde.»
     Nun lässt sich laufend überprüfen, wo und wann sich
                                                                  und durchgesetzt werden.»
                                                                  Matthias Finger | EPFL-Professor
     der Verkehr in Pully staut, ob eine neue Buslinie
     ihre Wirkung tut und die Stras­sen vom Privatverkehr
     entlastet werden. Und Bosshard weiss nun auch,
     dass der grösste Teil der erfassten Menschen nur         Diese machen es unter anderem möglich, bei Abwe-
     auf der Durchreise ist und gar nicht in Pully bleibt.    senheit alle Geräte per Handy auszuschalten. Bloss:
     Das möchte er ändern: «Wir werden das Zentrum            Wie gut ist diese Entwicklung für die Umwelt?
     verkehrsberuhigen und fussgängerfreundlicher               Matthias Finger, Professor an der EPFL und
     gestalten», was weniger Lärm und weniger Abgase,         spezialisiert auf Infrastrukturen, spricht von einer
     dafür eine höhere Lebensqualität bedeute.                «Häppchenkultur». Alle diese Ideen würden von
                                                              den jeweiligen Verwaltungsabteilungen einzeln
     Häppchenkultur statt Gesamtsicht                         lanciert, «meistens ohne Koordination mit anderen
     Die Verwandlung einer Stadt in eine «Smart City» ist     Abteilungen», und würden als Grund dafür genom-
     zum Trend geworden, bei dem alle mitmachen wollen,       men, die ganze Stadt danach als «smart» zu bezeich-
     oder anders gesagt: bei dem es sich niemand leisten      nen. Überhaupt sei das ganze Thema immer noch
     kann hintenanzustehen. Mit einem Engagement für          ein «Hype», bei dem nicht die Verwaltungen die
     die Nachhaltigkeit und den damit verbundenen Ver-        treibenden Kräfte seien, sondern die Verkäufer der
     heissungen lässt sich im Konkurrenzkampf der Städte      entsprechenden Soft- und Hardware. Deshalb gebe
     um weitere Einwohner – und damit Steuerzahlende –        es auch keine Standards, «die einen allgemein
     punkten. Winterthur (ZH) etwa steuert die Beleuch-       gültigen, verbindlichen Ansatz für das Thema
     tung der städtischen Velowege so, dass sie nur bei Be-   ‹intelligente Städte› beinhalten».
     darf angeht. Zürich lanciert im kommenden Jahr ein         Tatsächlich überzeugen nicht alle der als nachhal-
     Rufbus-System für Passagiere, die zu Randzeiten ab-      tig bezeichneten Projekte. Parksensoren beispiels-
     seits der üblichen Busrouten unterwegs sind. Um bei      weise vermögen zwar tatsächlich den Suchverkehr
     der Einführung des neuen 5G-Netzwerks keine              zu reduzieren, aber mit dem Hinweis auf freie Plätze
     Probleme mit zu hoher Strahlung zu bekommen, setzt       locken sie Mehrverkehr ins Stadtzentrum und
     St. Gallen auf eine Vielzahl kleiner Antennen; ebenso    torpedieren damit weit bessere Lösungen wie um-
     testet die Stadt zwecks Reduktion des Suchverkehrs       steigen auf den ÖV oder Park and Ride.
     Parksensoren. Diese stellen fest, wo es freie Plätze
     gibt, und kommunizieren den Status mittels App.          Smart City war zuerst eine Marketing-Idee
     Der Genfer Stadtteil Carouge hat entlang der Strassen    Andere Vorschläge kollidieren mit dem Thema
     gut 600 Sensoren installiert, um den Lärm zu messen      Datenschutz. In Wil erlauben es die Einkäufe im
     und anschliessend Gegenmassnahmen zu treffen.            Online-Shop der Stadtverwaltung, zu beobachten,
     Wil (SG) hat einen speziellen Online-Shop eröffnet,      wer sich in der Gemeinde für energiesparende
     in dem die Bevölkerung zu einem günstigen Preis          Geräte interessiert oder eben nicht. Das Gleiche tun
     besonders energieeffiziente Geräte kaufen kann.          die vom Bund vorgeschriebenen smarten Strom-
     Und auch der Bund mischt bei der digitalen Nach-         messer; sie melden in Echtzeit den jeweiligen
     haltigkeit mit: Bis ins Jahr 2027 werden in jedem        Stromversorgern, wer wie viel Energie konsumiert
     Haushalt intelligente Strommesssysteme zur Pflicht.      und somit positiv oder negativ auffällt.

     die umwelt 3 | 19
DOSSIER DIGITALISIERUNG                                                                                15

   Innovationen gezielt vorantreiben
   «die umwelt» befragt Markus Wüest, Chef der Sektion Umweltbeobachtung beim BAFU
   und BAFU-Vertreter des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und
   Kommunikation (UVEK) für den Bereich «Smart Cities».

   Was tut der Bund in Sachen Smart Cities?          Das heisst?
   Markus Wüest: Der Bundesrat hat im Januar         Hauptziel des Programms ist es, Wissen über
   2019 ein Zielbild gutgeheissen. Es dient als      die Chancen und Risiken der Digitalisierung
   Leitlinie beim Aufbau der digitalen Infrastruk-   für die Gesellschaft und die Wirtschaft zu er-
   turen und bei der digitalen Transformation        arbeiten. Im Zentrum stehen dabei Themen
   der Bundesverwaltung. Zudem erarbeitet das        wie «Bildung, Lernen und digitaler Wandel»
   UVEK zurzeit einen Massnahmenplan zur             oder «Ethik, Vertrauenswürdigkeit und Gou-
   Unterstützung der Städte, Gemeinden und           vernanz». Das Programm dauert fünf Jahre.
   Kantone bei der Entwicklung von Smart Cities,
   Smart Villages und Smart Regions.                 Doch sind Smart Cities überhaupt eine gute
                                                     Idee? Bei der Verarbeitung der Datenflut er-
   Existieren innerhalb der Verwaltung bereits       zeugen die weltweiten Rechenzentren bereits
   smarte Bereiche?                                  heute zwei Prozent der weltweiten CO2-
   Ja. Die Bundesverwaltung hat die Work-Smart-­     Emissionen. Das soll sich verdreifachen.
   Initiative unterzeichnet, die flexible Arbeits-   Ja, Smart Cities sind eine gute Idee – wenn wir
   formen fördert und damit zur CO2-Einsparung       ihre Möglichkeiten richtig nutzen. Das Ziel,
   und zur Verkehrsentlastung beiträgt. Zudem        die Nettoemissionen von CO2 bis spätestens
   läuft das Projekt «Ressourcen- und Umwelt-        2050 weltweit auf null zu senken und so die
   management der Bundesverwaltung», kurz            globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu
   RUMBA. Hauptziele sind die kontinuierliche        begrenzen, dürfen wir natürlich nicht aus
   Verminderung von betrieblichen und produkt-       den Augen verlieren. Damit das gelingt, müs-
   bezogenen Umweltbelastungen sowie die Ko-         sen wir die Innovationen gezielt vorantreiben
   ordination der Umweltaktivitäten der zivilen      und als Gesellschaft die Rahmenbedingungen
   Bundesverwaltung. Darüber hinaus hat der          richtig setzen.
   Bund das Nationale Forschungsprogramm
   «Digitale Transformation» (NFP 77) lanciert.

die umwelt 3 | 19
16       DOSSIER DIGITALISIERUNG

         Alexandre Bosshard kennt die Kritik. Und versteht        weder in die Smartphones hinein noch wissen wir,
         sie: Das Stichwort ‹Smart City› sei nicht vor dem Hin-   wem sie gehören.»
         tergrund des Umweltschutzes entstanden, «sondern
         als Marketing-Idee der grossen Unternehmen im            Vorbild in Südkorea
         Bereich Informationstechnik». Tatsächlich eröffnet       Trotz einigen Fragezeichen hat das Thema Smart
         sich ihnen hier ein gigantischer Geschäftszweig.         City insgesamt ein grosses Potenzial. Einen Schritt
                                                                  in diese Richtung zeigt das Beispiel der korea-
                                                                  nischen Modellstadt Songdo mit seinen rund
                                                                  100 000 Einwohnern. Die Stadt ist autofrei, und
     In der koreanischen Modellstadt                              jeder Haushalt ist an eine Zentrale Aufbereitungs-
                                                                  und Wiederverwertungsanlage angeschlossen. So
     Songdo ist der Energieverbrauch                              ist der durchschnittliche Energieverbrauch pro
     pro Person um 40 Prozent tiefer                              Person um 40 Prozent tiefer als in anderen Städten
                                                                  Südkoreas.
     als in anderen Städten Südkoreas.                               Dieses Potenzial der Smart Cities erkennt auch
                                                                  EPFL-Professor Matthias Finger. Gerade hinsicht-
                                                                  lich Effizienz und Nachhaltigkeit sei es «gross».
                                                                  Doch er relativiert: «Viele der technologisch mög-
         Der Ruf nach smarten Städten ist so laut, dass das       lichen Effizienzsteigerungen lassen sich nur ver-
         amerikanische Marktforschungsinstitut Persistence        wirklichen, wenn Daten verfügbar gemacht und
         der Branche einen gewaltigen Mehrumsatz progno-          ausgetauscht sowie Standards definiert und durch-
         stiziert. Bereits 2026 soll ihr Umsatz 3500 Milliarden   gesetzt werden.» Dies alles erfordere eine starke
         Franken betragen – eine Summe, die das jähr-             Regulierung und den entsprechenden politischen
         liche Haushaltsbudget der Schweiz um rund das            Willen, insbesondere betreffend Datenschutz und
         50-Fache übersteigt.                                     Datensicherheit. «Der Weg dorthin ist noch weit.»
            Pully macht bei diesem Eldorado allerdings nicht
         mit und geht eigene Wege. Die Stadt setzt auf Open-
         Source-Programme, die zusammen mit anderen
         Schweizer Städten sowie Programmierern aus ver-
         schiedenen Ländern gezielt entwickelt werden.
         Zudem, sagt Bosshard, gehöre Pully nicht zu den
         Städten, die sich mit einigen wenigen Ideen gleich
         den – ungeschützten – Titel «Smart City» verleihen.
         «Wir haben insgesamt 20 Projekte zum Thema, die
         neben der ökologischen auch eine ökonomische und
         soziale Nachhaltigkeit anstreben.» Dazu gehören
         etwa ein zentrales Informationssystem für die Be-
         völkerung, eine Internet-Kommunikationsplattform
         für Personen über 65, ein Online-Shop für lokale
         Produkte sowie diverse Projekte zur Effizienzver-        Link zum Artikel
         besserung der Verwaltung. Und beim «Observatoire         www.bafu.admin.ch/magazin2019-3-02
         de la mobilité» sehe er keine Probleme bezüglich
         Datenschutz: «Der Bildschirm zeigt nur Statistiken,      Markus Wüest | Sektionschef Umweltbeobachtung | BAFU
         die auf anonymisierten Daten basieren. Wir sehen         markus.wueest@bafu.admin.ch

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DOSSIER DIGITALISIERUNG                                                                                        17

Konsum

Teilen oder mieten statt kaufen
Die Digitalisierung bietet neue Möglichkeiten für einen nachhaltigeren Konsum – Stichwort Sharing Economy.
Daneben trägt sie zu einer besseren Rückverfolgbarkeit in der Lebensmittelindustrie und
zur Optimierung der Abfallentsorgung bei. Text: Cornélia Mühlberger de Preux

         Müssen wirklich alle eine Bohrmaschine, einen          «Weltweit gibt es über 80 solcher Leihgeschäfte,
         Racletteofen oder ein Zelt besitzen, obwohl diese      besonders viele davon in Nordamerika», sagt
         Dinge nur selten benutzt werden? Diese Frage stellte   Robert Stitelmann.
         sich Robert Stitelmann, Initiator der Bibliothek         Dank der Digitalisierung haben die Konsumen-
         der Gegenstände «La Manivelle» («Die Kurbel») in       tinnen und Konsumenten einfachen Zugang zu
         Genf, wo «die umwelt» zu Besuch ist. Seit Anfang       Plattformen, auf denen sie Gegenstände bei Privaten
         Januar 2019 verleiht diese Genossenschaft Holz-        oder bei Kleinanbietern kaufen, mieten oder aus-
         bearbeitungs- und Gartenwerkzeuge, Haushalts-          leihen können.
         und Küchengeräte sowie Sport-, Reise- und ver-           «In der Nachbarschaft mieten oder leihen anstatt
         schiedene andere Freizeitartikel. Gewisse Sachen       kaufen – das ist häufig gut für die Ökobilanz», be-
         zu teilen, anstatt dass alle ihre eigenen kaufen,      stätigt Josef Känzig, Chef der Sektion Konsum und
         schont in vielen Fällen Budget und Umwelt. «Teilen     Produkte beim BAFU. Aus seiner Sicht sind diese
         rechnet sich besonders, wenn die Produkte selten       Plattformen aber nur unter drei Voraussetzungen
         gebraucht werden», erklärt der junge Umweltinge-       sinnvoll: 1. Durch den Tausch oder die Miete wird
         nieur. «Eine eigene Bohrmaschine kommt drei- oder      tatsächlich auf den Kauf eines neuen Produkts
         viermal im Jahr zum Einsatz; bei ‹La Manivelle›        verzichtet (dank der Plattform sinkt die Anzahl der
         wird sie bis zu 150-mal jährlich und von vielen        hergestellten Produkte deutlich). 2. Durch die
         Personen genutzt.»                                     Transaktion entstehen keine langen und energie-
                                                                aufwendigen Warenverschiebungen und Trans-
         Eine Bibliothek der Gegenstände                        portwege. 3. Das gesparte Geld wird nicht in Akti-
         Wie funktioniert das Ganze? Zunächst erwirbt           vitäten mit noch grösseren Umweltwirkungen
         man einen Anteilschein von 100 Franken und wird        investiert.
         Mitglied der Genossenschaft. Mit einem Jahres-
         abonnement von ebenfalls 100 Franken kann man          Schaufeln, Blusen oder Flugzeuge ausleihen
         anschliessend unbeschränkt Sachen ausleihen.           In der Schweiz liegt die Sharing Economy im Trend.
         «Der Onlinekatalog ist für das Projekt zentral»,       Ende 2018 wurde in Bern die «LeihBar» eröffnet.
         erklärt Robert Stitelmann. Alle Gegenstände sind       Ihre Website leihbar.ch erinnert daran, dass nur
         mit einem Foto und einer detaillierten Beschrei-       20 Prozent der Gegenstände, die Leute besitzen,
         bung aufgeführt. Suchen lässt sich nach Kategorie,     wirklich im Einsatz sind. Das Projekt soll auf weitere
         Nutzungsart oder Stichwort. Wird der gesuchte          Städte in der Deutschschweiz ausgedehnt werden.
         Artikel gefunden, kann er auf der Website reser-       Wie «La Manivelle» ist auch die «LeihBar» eine
         viert werden. Jedes Mitglied von «La Manivelle»        Bibliothek der Dinge. Aufgebaut von der Stiftung
         hat ein eigenes Konto. Die Software wurde von          für Konsumentenschutz, ist sie nur eine von ver-
         einer «Local Tool Library» in den USA entwickelt.      schiedenen vergleichbaren Plattformen wie etwa

         die umwelt 3 | 19
18           DOSSIER DIGITALISIERUNG

             sharely.ch, weeshare.com oder pumpipumpe.ch.            unterwegs infolge von Bedingungsschwankungen
             Über «Pumpipumpe» werden Alltagsgegenstände             in der Kühlkette. Abhilfe schaffen dürfte ein intel-
             mit den Nachbarn geteilt, während es bei «WeeShare»     ligenter Container, der von der Universität Bremen
             Wohnungen, Boote oder sogar Flugzeuge sind. Das         entwickelt wurde. Damit können die Lebensmittel
             Sortiment der verfügbaren Produkte erweitert sich       verfolgt und ihr Zustand während des Transports
             ständig. Auf kleiderkorb.ch lassen sich Kleider ver-    eruiert werden. Dank der neuen Technologie werden
             schenken, tauschen oder verkaufen, beim Waren-          Verluste und unnötige Transporte vermieden und der
             haus Globus kann man sie mieten.                        CO2-Ausstoss verringert. Die skandinavische Logistik-
                                                                     firma Maersk hat solche Monitoring-Systeme ent-
                                                                     wickelt, die zum Teil bereits im Einsatz sind.
                                                                       Josef Känzig und Robert Stitelmann begrüssen
                                                                     alle Initiativen, die das Teilen von Gegenständen
     «In der Nachbarschaft mieten oder                               in der Nachbarschaft fördern, ihre Nutzungsdauer
                                                                     verlängern und die Öko-Bilanz verbessern. Der
     leihen anstatt kaufen – das ist                                 Digitalisierung kommt dabei eine wichtige Rolle
     häufig gut für die Ökobilanz.»                                  zu. Sie ermöglicht es, auf verschiedenen Ebenen
     Josef Känzig | BAFU                                             anzusetzen. An Arbeit mangelt es also nicht.
                                                                       Der Chef von «La Manivelle» muss nun weiter-
                                                                     machen, es gibt viel zu tun. Der Entsafter, den er
                                                                     soeben entgegengenommen hat, wartet auf die
                                                                     Aufnahme in den Leihkatalog.
             Die Digitalisierung spielt eine zentrale Rolle bei
             all diesen Projekten: Sie ermöglicht es, die Konsu-
             mentinnen und Konsumenten mit regelmässig
             aktualisierten Informationen zu versorgen. Zwi-
             schenhändler entfallen, und die Transaktionen
             werden vereinfacht.
               Irgendwann aber schliesst sich selbst bei sorgfäl-
             tiger Behandlung der Lebenszyklus jedes Gegenstan-
             des, und er muss fachgerecht entsorgt werden. In der
             Schweiz existiert das Internetportal veva-online zum
             Thema «Verkehr mit Abfällen», auf dem das Ent-
             sorgungsverfahren im Inland sowie die grenz-
             überschreitende Entsorgung teilweise digitalisiert
             sind. Die Plattform soll dereinst in ein neues Portal
             «Abfall und Rohstoffe» integriert werden.

             Dank mehr Daten weniger Warenverlust
             Als hilfreich erweist sich die Digitalisierung auch
             in der Lebensmittelbranche, wo die Verschwen-           Link zum Artikel
             dung ein grosses Problem bleibt – insbesondere auf      www.bafu.admin.ch/magazin2019-3-03
             dem Weg zwischen Produktion oder Ernte und Ver-
             kaufsregal. Schätzungen zufolge verdirbt weltweit       Josef Känzig | Sektionschef Konsum und Produkte | BAFU
             ein beträchtlicher Teil der Nahrungsmittel bereits      josef.kaenzig@bafu.admin.ch

             die umwelt 3 | 19
KONSUM

Teilen, ein neuer
Wirtschaftszweig
20        DOSSIER DIGITALISIERUNG

Datenverarbeitung mit Folgen

Wolkige Aussichten
in die digitale Zukunft
Die digitale Transformation beschert uns eine Unmenge an Daten. Zudem stellt sie Techniken für einen
möglichst sicheren Informationsaustausch zur Verfügung. Dieses Potenzial für einen effizienten Umgang
mit Ressourcen gilt es allerdings zu gestalten, damit es tatsächlich der Umwelt zugutekommt. Text: Lucienne Rey

          Der Ursprung der weltumspannenden Datenauto-              «Die verwendeten Technologien sind äusserst komplex»,
          bahnen liegt bei Meyrin, einem kleinen Ort im             erklärt sie. Für die Fischerei würden beispielsweise
          Kanton Genf. Dort – genauer gesagt am CERN, der           die zahlreichen von modernen Hochseeschiffen er-
          Europäischen Organisation für Kernforschung – ent-        hobenen Daten mit solchen aus anderen Quellen, etwa
          wickelte der Physiker Tim Berners-Lee im Jahr 1989        von Satelliten, verknüpft. «Angaben über Temperatur,
          ein Verfahren, um Informationen über zahlreiche           Sauerstoffsättigung und Salzgehalt des Wassers sowie
          miteinander verbundene Computer auszutauschen.            Informationen über verfügbare Nährstoffe fliessen
          So schuf er die Voraussetzungen, um gewaltige Daten-      in Modelle ein, die es gestatten, für eine Region die
          mengen überhaupt erst zu handhaben. Das CERN              Wahrscheinlichkeit für den Aufenthalt bestimmter
          selbst erzeugt nämlich in seiner grössten Anlage,         Fischschwärme zu berechnen», sagt die Professorin.
          dem Grossen Hadronen-Speicherring LHC, jährlich           Zum einen entfielen dadurch treibstoff- und damit
          50 Millionen Gigabyte an auszuwertenden Daten. Auf        CO2 -intensive Suchfahrten der Fangflotten. Zum
          DVD gebrannt, wären davon 100 Millionen nötig, was        andern werde die Fischerei transparenter, sodass
          einen Stapel von etwa 12 Kilometern Höhe ergäbe.          der Überfischung entgegengetreten werden könne.
          Diese Flut von Bits und Bytes lässt sich nur dank eines   «Die Regulierung kann daher auf viel präziseren
          Verbunds von rund 170 über den Globus verteilten          Daten aufbauen», bilanziert die Forscherin.
          Computernetzwerken verarbeiten.                             Die seit der Lancierung von DataBio im Jahr 2017
                                                                    durchgeführten Pilotprojekte bestätigen, dass nicht
          Welterkenntnis dank Big Data                              nur die Fischerei effizienter wird, sondern auch die
          Längst erhofft sich nicht mehr nur die Grundlagen-        Landwirtschaft dank Big Data Wasser, Düngemittel
          forschung Erkenntnisse aus «Big Data» – so nennt die      und Pestizide einsparen könnte. Die gewaltigen Daten-
          Fachwelt grosse, komplexe und wenig geordnete             sätze nützen auch der Forstwirtschaft: «Gerade in
          Datenbestände. Auf handfeste Anwendungen ausge-           grossräumigen oder schwer zugänglichen Waldgebie-
          richtet ist etwa das europäische Forschungsprojekt        ten können Satellitendaten frühzeitig auf kranke Be-
          «Data-Driven Bioeconomy» (kurz: DataBio). Mithilfe        stände hinweisen oder bei der Kontrolle gebietsfrem-
          von Datensätzen aus verschiedensten Quellen will es       der invasiver Arten dienen», ist Katarina Stanoevska-
          die Land- und Forstwirtschaft sowie die Fischerei         Slabeva überzeugt.
          nachhaltiger gestalten.
            Für die Schweiz an DataBio beteiligt ist auch           Wolke mit Materialbedarf
          Katarina Stanoevska-Slabeva vom Forschungsbereich         Nicht nur die Forschung ist für den Umgang mit ihren
          Digital Communication an der Universität St. Gallen.      Daten auf Computernetzwerke angewiesen. Auch

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DOSSIER DIGITALISIERUNG                                                                                           21

   5G: Es besteht Forschungsbedarf
   Der digitale Mobilfunk hat sich seit seiner Einführung in den 1990er-Jahren stetig weiterentwickelt, als
   nächster Ausbauschritt wird die 5. Generation (5G, New Radio) eingeführt. 5G soll neuartige Anwen-
   dungen (Internet of Things, automatisiertes Fahren usw.) ermöglichen und die Digitalisierung von
   Wirtschaft und Gesellschaft unterstützen. Über die Art und Weise, wie der weitere Ausbau der Mobil-
   funknetze vor sich gehen soll, ist in den letzten Jahren in der Politik und in der Bevölkerung eine inten-
   sive Diskussion entstanden, befürchtet werden insbesondere auch gesundheitliche Auswirkungen.
     Die Wirkung von Mobilfunkstrahlung auf den Menschen hängt von deren Intensität und Frequenz ab.
   Die Vorschriften des Umweltschutzgesetzes (USG) und der Verordnung über den Schutz vor nicht io-
   nisierender Strahlung (NISV) gelten für die Strahlung insgesamt und unterscheiden nicht zwischen den
   verschiedenen Technologien von Mobilfunk (2G, 3G, 4G, 5G). Die NISV begrenzt die Intensität der
   Strahlung mit Grenzwerten, die sich nach der verwendeten Frequenz unterscheiden.
     Die zurzeit laufende Einführung von 5G erfolgt in Frequenzbereichen, wie sie bereits jetzt für den
   Mobilfunk und für WLAN verwendet werden. Die 5G-Anlagen, die bereits in Betrieb sind, müssen wie
   alle anderen Anlagen die Grenzwerte der NISV einhalten. Längerfristig soll 5G auch in einem höheren
   Frequenzbereich zur Anwendung gelangen, man spricht hier auch von «Millimeterwellen». Bei der
   Einwirkung solcher Strahlung auf den Menschen bestehen aus wissenschaftlicher Sicht noch Unklar-
   heiten und Forschungsbedarf. Ein Zeitplan, wann in der Schweiz Millimeterwellen zur Anwendung
   gelangen könnten, liegt noch nicht vor. Deren Verwendung für Mobilfunk müsste durch den Bundesrat
   vorgängig über die Anpassung des Nationalen Frequenzzuweisungsplans (NaFZ) genehmigt werden.
     Im April 2019 hat der Bundesrat eine Änderung der NISV beschlossen, dies auch im Hinblick auf den
   Ausbau der 5G-Netze. Das BAFU ist neu für den Aufbau und Betrieb eines Monitorings zuständig, das
   Auskunft zur Belastung der Bevölkerung durch nicht ionisierende Strahlung in der Umwelt gibt. Das
   BAFU soll auch periodisch über den Stand der Erkenntnisse zu den Auswirkungen der Strahlung auf
   Menschen und Umwelt informieren.
     Im Herbst 2018 hat das UVEK eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des BAFU eingesetzt, um die
   Bedürfnisse und Risiken für die nähere und weitere Zukunft von Mobilfunk und Strahlenbelastung,
   insbesondere im Zusammenhang mit 5G, zu analysieren. Die Arbeitsgruppe wird nicht über die Ein-
   führung von 5G entscheiden, sondern mit ihrem Bericht Optionen im Hinblick auf den zukünftigen
   Ausbau der Mobilfunknetze aufzeigen. Sie wird ihren Bericht mit Empfehlungen für das weitere Vorge-
   hen im Laufe des Jahres 2019 vorlegen. Das UVEK wird den Bericht veröffentlichen und anschliessend
   über das weitere Vorgehen entscheiden.

   Mehr Infos zum Thema «5G-Netze» gibt es im Web-Dossier bit.ly/2W33xOX

Ämter und andere Organisationen mieten mittler-             sein werden, dürften den Materialverbrauch zusätz-
weile Speicherplatz bei externen Anbietern und              lich befeuern.
lagern Daten aus – in die sogenannte Cloud. Aller-             Für Olivier Jacquat von der Sektion Innovation
dings führt das sprachliche Bild der «Datenwolke»           beim BAFU ist indes nicht nur die steigende Materi-
in die Irre, ist doch die dafür erforderliche Infrastruk-   almenge bedenklich, sondern auch der Gehalt an
tur alles andere als körperlos. So ermittelte eine          seltenen Metallen, die in den Endgeräten – zum
Studie, dass allein in deutschen Rechenzentren              Beispiel in unseren Handys – stecken. «Da diese
mindestens 12 000 Tonnen Elektronik verbaut sind.           Rohstoffe nur in Kleinstmengen verbaut werden,
Diese wiederum enthält knapp 2 Tonnen Gold, gut             ist ihr Recycling technisch anspruchsvoll», erklärt
7 Tonnen Silber und fast eine Tonne Palladium. Die          er. Um eine Rückgewinnung von raren Ressourcen
Sensoren, die künftig im «Internet of Things» (IoT)         voranzutreiben, führte das BAFU diverse Studien
für die Vernetzung von Alltagsgeräten erforderlich          und Innovationsprojekte zur Rückgewinnung

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