Freiwilligen-Zentren und Pfarrgemeinden- Wo Engagement und Glauben neue Räume gewinnen - Caritas
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Inhaltsverzeichnis Freiwilligen-Zentren und Pfarrgemeinden – Wo Engagement und Glauben neue Räume gewinnen Grußwort.......................................................................................................................................... 4 1. Wandel in der Kirche, Wandel im Ehrenamt: Chancen für neue Aufbrüche ...................................................................................................... 6 2. Pfarreien, Gemeinden und Freiwilligen-Zentren: eine zukunftsfähige Verbindung .................................................................................................. 9 3. Die Kooperation von Freiwilligen-Zentren und Kirchengemeinden: einige Bemerkungen prinzipieller Natur......................................................................................14 4. Neue pastorale Räume: Haben Freiwilligen-Zentren eine Chance?..................................................................................17 5. Die Praxis im Überblick ............................................................................................................. 21 5.1 Freiwilligen-Zentrum Augsburg: Vernetzen, Projekte entwickeln, Räume schaffen ............................................................... 21 Herausgegeben von 5.2 Freiwilligen-Zentrum Brandenburg an der Havel: Alltag gemeinsam organisieren........................................................................................... 25 Verbund Freiwilligen-Zentren 5.3 Freiwilligen-Zentrum Geldern: im Deutschen Caritasverband e. V. Gemeinde leben, Kontakte schaffen ................................................................................... 26 Karlstr. 40, 79104 Freiburg 5.4 Freiwilligen-Zentrum Kleinostheim: Postfach 420, 79004 Freiburg Unbezahlbar – von Mensch zu Mensch .............................................................................. 29 Telefon: 0761 / 200 - 276 5.5 Freiwilligen-Zentrum Kleverland und Geldern: Telefax: 0761 / 200 - 751 Ehrenamtliche fallen nicht vom Himmel – Kandidatensuche für den Pfarrgemeinderat .... 32 E-Mail: freiwilligen-zentren@caritas.de 5.6 Freiwilligen-Zentrum Köln: Internet: www.freiwilligen-zentren.de Kölsch Hätz – Nachbarschaftshilfen in der ganzen Stadt .................................................. 34 (4/2014) 5.7 F reiwilligen-Zentrum Mönchengladbach: ........................................................................... 37 5.7.1 FridA – Freiwillige in der Alltagsbegleitung ................................................................. 37 Fotos: Lokale Freiwilligen-Zentren 5.7.2 LeseCafé – lesen, begegnen, verstehen .....................................................................41 Redaktion: Lydia Kortenkamp-Adam, Ernst Heien, Rudolf Devic 5.8 Freiwilligen-Zentrum München-Ost: Gestaltung: www.symbiosys2.de Firmlinge engagieren sich ................................................................................................... 44 5.9 F reiwilligen-Zentrum Neusäß: Notfallbetreuung für Familien .............................................................................................. 46 5.10 Freiwilligen-Zentrum Stuttgart: Die Entstehungsgeschichte der Second Hand Boutique PragA ....................................... 49 5.11 Freiwilligen-Zentrale Viersen: Vielfalt der Aktionen – Vom Catering zum Open Air Trödel ............................................... 54 5.12 F reiwilligen-Zentrum Willich: Von mir zu dir – ein digitales Möbellager ........................................................................... 56 6. Anhang: Materialien, Links......................................................................................................... 58 2 3
Grußwort „Man muss sich vor Ort gut auskennen, um gut helfen zu können“, so ein Leitsatz für die inter- Menschen in einem größeren Zusammenhang stehen und zu dem der pastorale Raum immer eine nationale Arbeit der deutschen Caritas. Dieses Motto trifft auf das Engagement von Freiwilligen- Nähe und Verbindung hat.“ (neue caritas 03/2012) Zentren und Pfarrgemeinden nicht minder zu. Im Sozial- und Pastoralraum stellt sich die Aufgabe, Probleme benachteiligter, von Armut und Ausgrenzung bedrohter Menschen aktiv mit zu lösen. Wo wird das alles noch hinführen? Hoffentlich zu einer Kirche, die sich nicht gefangen nehmen Im Sozial- und Pastoralraum arbeiten Akteure der Selbsthilfe und freiwillig sozial Engagierte mit lässt durch den Blick in die Vergangenheit und auf vermeintlich bessere Zeiten. Kirche geschieht zivilgesellschaftlichen Akteuren und Hauptamtlichen zusammen. Sie verwirklichen Geh- und im Hier und Jetzt – und im immer neuen Aufbruch zu den Menschen, die der Zuneigung und Kommstrukturen, arbeiten interdisziplinär, nutzen die Methodenvielfalt problem-, ressourcen- Barmherzigkeit bedürfen. Die ersten Sätze der Pastoralkonstitution Gaudium et spes halten es und lösungsbezogen. Sich für Menschen am Rande einzusetzen galt schon immer als etwas den als Auftrag der Kirche fest: Es geht darum, die Fragen und Hoffnungen, die Ängste und Nöte der Christen Eigenes. Im Armen Gottes Ebenbild zu erkennen und sich denen zuzuwenden, die der Menschen immer wieder neu in den Blick zu nehmen, die Zeichen der Zeit zu erkennen und ent- Teilhabe entbehren, gehört zum Grundimpuls der Caritas. Heute mehr denn je zuvor stellt sich sprechend zu handeln – ob beruflich oder ehrenamtlich. die Frage, wie eine Zuwendung zu den Menschen am jeweiligen Wohnort geschehen kann. Wie und wo das im Zusammenspiel von Freiwilligen-Zentren und Pfarrgemeinden gelingt, stellt die Prälat Dr. Peter Neher vorliegende Publikation eindrucksvoll dar. Präsident des Deutschen Caritasverbandes Die Gründe für die Neuordnung und Schaffung von pastoralen Räumen in den Diözesen sind viel- fältig. Die Schaffung eines neuen pastoralen Raums bedeutet für die Beteiligten und Betroffenen oft einen tiefen Einschnitt. Und es zeigt sich, dass das diakonische Engagement der Pfarreien und der verbandlich organisierte caritative Dienst unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Umge kehrt ist aber auch in der verbandlichen Caritas nicht immer das Bewusstsein für die Herausfor- derungen und Chancen vorhanden, die sich durch die pastoralen Räume ergeben. Ausgangspunkt für die Gestaltung der neuen pastoralen Räume aber muss die Frage sein, wie die Kirche und ihre Caritas auch unter sich ändernden Bedingungen den Menschen nahe sein und Zeugnis von der Liebe Gottes geben können. Dabei müssen neue pastorale Räume als Netzwer- ke mit vielen Knotenpunkten verstanden werden. Das sind heute nicht allein mehr die Kirchtür- me, sondern Schulen, Kindertagesstätten, Bildungshäuser, Beratungsstellen und vieles mehr, wo Menschen zusammenkommen oder Hilfestellung erfahren. Zum Prinzip des großen und weiten Pastoralraums muss das Prinzip der Nähe und des konkreten Handelns kommen: Es geht um Nähe vor Ort oder wie gesagt, „man muss sich vor Ort gut auskennen, um gut helfen zu können!“ Auf der Basis der Erkenntnis, dass nicht der Kirchturm allein den Raum christlich macht, möchte ich noch einen Aspekt nennen, den Bischof Franz Josef Bode auf einem Fachtag zum Zusam- menwirken von Caritas und Pastoral in Köln 2011 folgendermaßen formulierte: Eine „verengte Gemeindetheologie muss sich in diesem Sinn weiten im Zusammenspiel von Priestern und Laien, oder besser gesagt, im Zusammenspiel von Getauften, Gefirmten, Beauftragten, Gesendeten und Geweihten. So wird schneller deutlich, dass es eine ganze Fülle von Weisen gibt, am Auftrag der Kirche mitzuwirken. Und dieses gelingende Miteinander von Hauptamtlichen, Ehrenamtlichen und Freiwilligen, von Männern und Frauen, von Einzelprofilierung und Kooperation, von Profession und Lebenskompetenz, von Vielheit und Einheit führt fast von selbst zum Lebensraum und zum Sozialraum der Menschen. Lebensraum meint mehr den persönlichen Kontext der Menschen, ihre Herkunft, Umgebung, ihren Horizont, das persönliche Milieu. Daran müssen wir pastoral wie karitativ interessiert sein. Sozialraum meint das größere Bezugssystem, das Netzwerk, in dem 4 5
1. Wandel in der Kirche, Wandel im Ehrenamt: Chancen für neue Aufbrüche Lydia Kortenkamp-Adam, Steuerungsgruppe Verbund Freiwilligen-Zentren im DCV Was bedeutet nun die Entwicklung zu pastoralen Räumen und welche Konsequenzen hat dies Ernst Heien, Fachbereich Gemeindecaritas / Freiwilligen-Zentrum, Caritasverband Geldern-Kevelaer für den Wandel des Ehrenamtes in der Kirche? Ein pastoraler Raum besteht aus einem Netzwerk Rudolf Devic, Geschäftsführer Verbund Freiwilligen-Zentren im DCV mehrerer Gemeinden und Orten kirchlichen Lebens auf einem bestimmten Gebiet. So sind dann Pfarrei und Gemeinde nicht mehr unbedingt identisch. Zugleich behalten die Gemeinden und Zum Hintergrund Orte ihren jeweils eigenen Charakter. 3 In einer größeren Nachbarschaft finden sich dann Kinder- In den letzten Jahren kursierte im Verbund der Freiwilligen-Zentren im DCV das Thema Koopera- garten, Caritas, Sozialverbände, Schule, Kloster, Pfadfinder, Krankenhaus etc. wieder. So kann tion mit Pfarrgemeinden immer wieder. So gab es bereits 2009 ein Plenum, das sich intensiv mit natürlich auch ein größeres gesellschaftliches bzw. kommunales Umfeld in den Blick genommen der Frage beschäftigte. Dazu gab es schon damals eine Abfrage unter den Zentren, wie und in werden. Mit dem pastoralen Raum öffnet sich so auch der Blick auf den Sozialraum. 4 Damit wird welcher Form es Zusammenarbeit und Verbindungen zwischen Pfarrgemeinden und Freiwilligen- der Blick insgesamt für alle Beteiligten nicht nur weiter, größer und vielfältiger. Auch der Blick auf Zentren gibt. Auch eine Arbeitsgruppe widmete sich intensiv diesem Thema. Nicht immer war ehrenamtliches Engagement in der katholischen Kirche ändert sich zunehmend: Nicht mehr die das Verhältnis spannungsfrei, denn die „Kulturen“ und „Sprache“ im Schatten des Kirchturms „lebenslange“ Mitgliedschaft im Kirchenvorstand, im Pfarrgemeinderat ist das Muster. Eher „be- sind oftmals andere als die der Zentren, die doch oftmals mehr im kommunalen Raum wirken. dient“ sich der Interessierte aus einem breiten Angebot an Tätigkeiten und Einsatzmöglichkeiten, So gab und gibt es durchaus Widersprüche, Spannungen und „Sprachlosigkeiten“. Dafür stehen je nach individuellen Fähigkeiten, Nutzen, Interessen. Zugleich liegt die Frage nach möglicher dann Aussagen der Kirchengemeinden wie: „Wir lassen uns doch nicht Freiwillige wegnehmen“ „Instrumentalisierung“ von Ehrenamtlichkeit auf der Hand: Wenn es nicht genug Priester gibt, was oder „Wir haben schon genug Freiwillige“. Andererseits hat es bereits in der Vergangenheit schon können, sollen und müssen dann Ehrenamtliche übernehmen? Hier wäre es jedoch fatal, Ehren- immer sehr ermutigende Beispiele fruchtbarer Zusammenarbeit gegeben. amtliche zu billigen Hilfskräften und Lückenbüßern zu degradieren, um einen Betrieb aufrecht zu erhalten. Das Bild von hier „Profis“ und dort „Laien“ greift wie in allen anderen Engagementfel- Angesichts der Umbrüche in der Kirche, Stichwort Vertrauenskrise in die Kirche als Institution, und dern eben auch in kirchlichen Bezügen zu kurz. Das Volk Gottes sind wir alle! Zum Glück hat diese Kahlschlag in den Diözesen mit Rückbau pastoraler Infrastruktur einerseits und den Herausforderun- Haltung ja auch bereits in vielfältiger Weise Einzug gehalten. gen, vor denen das bürgerschaftliche Engagement andererseits steht, wollen wir zu neuem Aufbruch anstiften. Wandel im Ehrenamt Dass es derart viele Begriffe gibt, zeigt bereits den Wandel an: Ehrenamt, Freiwilligendienst, Frei- Denn auf beiden „Seiten“ können Wandel und Herausforderungen auch neue Perspektiven und willigenarbeit, ehrenamtliches oder freiwilliges Engagement, bürgerschaftliches Engagement. Wege aufzeigen. Unsere Beispiele aus gelebter Praxis machen deutlich, wie Engagement und Das Ehrenamt etwa im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung oder auch im Sport hat eine Glauben neue Orte, neue Nachbarschaften, neue Räume erschließen können. Dazu sollen zu- lange Tradition. Dann hat mit der Abschaffung der Wehrpflicht auch der Bereich der Freiwilligen- nächst die Herausforderungen noch einmal kurz skizziert werden. dienste mit Vergütungsformen eine eigene Bedeutung erfahren. Und es gibt eben auch verschie- dene andere Formen des Engagements bis hin zu Selbsthilfeformen und lokalen Initiativen. En- Wandel in der Kirche gagement ist nicht mehr nur „Verpflichtung“, sondern auch „eigennützig“. Es ist nicht nur „Hilfe“ Die Entwicklung zu großen pastoralen Räumen zeigt überdeutlich, dass die traditionelle De- und „Samaritertum“, sondern wird immer professioneller, gestaltet, greift ein, ist qualifiziert, ist oft ckungsgleichheit von Lebensraum und kirchlicher Struktur aufgehoben wird. 1 Damit einher ge- zeitlich begrenzt, will Selbstwirksamkeit erfahren. 5 hen Verlustängste, Unsicherheiten, Identitäts-, Macht- und Kontrollverluste, aber eben auch neue Chancen für Engagement in neuen Milieus, neuen Formen und neuen Bezügen. Es gibt zweifellos Da bürgerschaftliches Engagement auch zunehmend zum Gegenstand von Politik wird, sind einen starken Verlust an traditionellen Infrastrukturen, andererseits aber auch einen Ausbau von auch in gesellschaftlichen Daseinsvorsorgebereichen Instrumentalisierungen zu vermuten. Der Diensten und Versorgungsstrukturen etwa in Bereichen der Caritas. So wird die katholische Kir- demografische Wandel im Angesicht knapper Kassen lädt förmlich dazu ein, Freiwilligkeit für che in fast allen Milieus durchaus wahrgenommen als vielfältig im sozialen und caritativen Bereich einen „welfare mix“ nutzbar zu machen. engagiert. 2 Und nach wie vor engagieren sich Menschen in ihrer Gemeinde, in verschiedenen Aufgabenfeldern. Und die Menschen sind gerade in der modernen Welt auf der Suche nach Sinn. So sind die Herausforderungen die Themen Verdienstlichung von Engagement, Monetarisierung So sind geistliche Angebote, Spiritualität und Glaubenskurse hoch im Kurs. (Grauzonen zwischen Erwerbsarbeit, Engagement und prekären Beschäftigungsverhältnissen), demografischer Wandel (neues Altersbild, zunehmendes Engagement von Älteren, Verluste im 1 gl. dazu etwa: Etheber, A.: Caritas in neuen pastoralen Räumen, in: Caritas in NRW 4/2010 V 3 gl. dazu beispielhaft Erzbistum Hamburg, Pastorale Dienststelle: Pastorale Räume, Informationen und Anregungen, o.J. V 2 Vgl. dazu Günther, W.: Die Kirche und ihre Caritas im Spiegel der Sinus-Milieus, in: neue caritas 6/2013 4 Vgl. dazu: Sozialraumorientierung in der Caritasarbeit, Diskussionspapier für die verbandsweite Debatte, in: neue caritas 8/2011 5 Siehe dazu beispielhaft G. Glandorf-Strotmann, R. Devic: Kooperation Freiwilligen-Zentrum und Pfarrei – Wie wächst Engagement in pastoralen Räumen? In: neue caritas spezial 3/2011 6 7
2. Pfarreien, Gemeinden und Freiwilligen-Zentren: eine zukunftsfähige Verbindung ländlichen Raum), Wandel im Erwerbsleben (Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Engagement, Gabriele Glandorf-Strotmann, Pastorale Dienststelle im Erzbistum Hamburg und mit dem Caritas- Mobilitätserfordernisse) sowie sozialer Wandel (Individualisierung, Verlust tradierter Milieus). verband Hamburg e.V. Träger des Freiwilligen-Zentrums Hamburg Der Bedeutungsgewinn von freiwilligem Engagement hat aber auch die Erkenntnis wachsen Einleitung lassen, dass Engagement nicht im „luftleeren“ Raum entsteht, sondern verlässliche Strukturen Pfarreiengemeinschaften, Pastoralverbünde oder pastorale Räume – die bekannten Kennzeich- braucht. So sind Freiwilligen-Zentren längst etablierte Akteure und Kompetenzzentren zur Förde- nungen Pfarrgemeinde weichen neuen Begriffen für neue Strukturen in den deutschen Diözesen. rung bürgerschaftlichen Engagements. Sie übernehmen Vernetzungs-, Moderations- und Innova- Diese Entwicklungen haben in den letzten Jahren begonnen und sind als Prozesse in den einzel- tionsfunktionen. Dies erfordert finanzielle und personelle Ressourcen. Ehrenamt und Freiwilligkeit nen deutschen Diözesen unterschiedlich ausgeprägt. Bei aller Ungleichzeitigkeit - es ist ein tief- sind unbezahlbar, aber nicht kostenlos. greifender Veränderungsprozess im Gange. Dies hat Auswirkungen auf alle Bereiche und Organi- sationen in der Kirche. So fragt sich der Deutsche Caritasverband in seinen Zukunfts-Workshops Chancen für neue Aufbrüche im Rahmen des Zukunftsdialog 2020, auf welche Weise die verbandliche Caritas Teil und Akteur Wenn in pastoralen Räumen neue Netzwerke entstehen sollen, dann sind Freiwilligen-Zentren als der katholischen Kirche ist. Ansprechpartner geradezu prädestiniert. Ein wesentlicher Baustein der Arbeit von Freiwilligen- Zentren ist Netzwerkarbeit. Die vorliegenden praktischen Beispiele zeigen dies immer wieder. Freiwilligen-Zentren sind von Beginn ihres Bestehens an Akteure in der Förderung von freiwilligem, Viele Projekte wären ohne diese nicht zustande gekommen. Ohne Vernetzung mit Akteuren vor ehrenamtlichem, bürgerschaftlichem Engagement. Die Erfahrungen in der alltäglichen Arbeit bieten Ort gelingen Projekte nicht. Netzwerke bündeln Wissen, Informationen, Kompetenzen, bringen Know How für viele unterschiedliche Organisationen, die sich mit freiwilligem Engagement befassen. Innovationen auf den Weg, ermöglichen Kreativität durch Austausch und Begegnung. Pfarreien und Freiwilligen-Zentren haben zum Teil viele Verbindungen zueinander, und gleichzeitig Wenn als Handlungskonzept und „Haltung“ Sozialraumorientierung in Zukunft besonders gefragt liegt viel Mögliches brach. Die Veränderungen öffnen im Moment einen neuen Blick aufeinander. ist, kommt eine weitere Kompetenz von Freiwilligen-Zentren zum Tragen: Nur wer zwischen ver- Hier liegen Chancen für beide Seiten. schiedenen Milieus, Interessen- und Zielgruppen vermitteln und „dolmetschen“ kann, wird erfolg- reich sein. „Diversity-Kompetenz“ ist eine Schlüsselqualifikation, Prozesse „gewinnbringend“ zu Ausgangspunkte und Herausforderungen steuern. Auch hier weisen vielfältige Projekte den Weg. „Toll, wie Sie das machen, aber bei uns geht das so nicht.“ Diese Äußerung von Pfarrgemeinde- ratsmitgliedern zu Mitarbeitenden aus den Freiwilligen-Zentren bei Informationsveranstaltungen Wenn Engagement in neuen pastoralen Räumen wachsen soll, dann braucht es gutes „Freiwilli- zum freiwilligen Engagement ist bekannt und hat allzu häufig zu einem Verhältnis der wohlwollen- gen-Management“. Um die Zusammenarbeit von sog. „Haupt- und Ehrenamtlichen“ gelingend zu den Distanz geführt. In dieser Aussage liegt einerseits eine Wertschätzung der Expertise eines gestalten, bedarf es strukturierter Vorgehensweisen. Verschiedene Bausteine gehören dazu: die Freiwilligen-Zentrums. Diese zeigt sich in verschiedenen für die Engagementförderung erfolgrei- Planung freiwilliger Mitarbeit, die Gewinnung von Freiwilligen, die Kooperation der Beteiligten, die chen Arbeitsweisen: Anerkennung und Wertschätzung. Gerade das Thema Anerkennung von freiwilligem Engagement hat einen ganz eigenen Stellenwert in einer Kultur der Mitverantwortung und Teilhabe. Qualifizie- • Ausgangspunkt einer Beratung zu einem freiwilligen Engagement ist das Interesse einer Person: rung und Befähigung können dabei Bestandteil von Anerkennung sein, aber auch einen eigenen Wer ist diese Person und was ist das, was interessiert? Auf welche Weise will jemand etwas Charakter im Hinblick auf nachhaltiges und professionelles Zusammenwirken aller Akteure sein. tun? Was wünscht oder sucht er bzw. sie für sich persönlich? Wie müsste aus Sicht des Interes- Auch hier blicken Freiwilligen-Zentren auf einen Erfahrungsschatz. sierten ein Engagement sein, dass es zu den persönlichen Bedingungen passt? Es schließt sich eine gemeinsame Suchbewegung an, mit dem Ziel, das zur Zeit Passende zu finden. So scheint eine zukunftsfähige Verbindung auf, die zwar um „alte“ Hierarchien und Konkurrenz- beziehungen weiß, sie aber mutig, kraftvoll und ausgerüstet mit vielen Talenten hinter sich lassen • Ausgangpunkt sind Kenntnisse über vielfältige Engagementmöglichkeiten in einem überschau- kann. Pfarreien, Gemeinden, Freiwilligen-Zentren, Caritas und alle die vielen Orte kirchlichen Le- baren Umfeld, z.B. einer Stadt, einem Landkreis und deren kontinuierliche Veröffentlichung: bens können anstiften zu dem, was das gemeinsame Ziel ist: Solidarität stiften! datenbankgestützte Informationen ermöglichen eine Online-Suche nach einem persönlich pas- senden Engagementfeld. Das Bekanntmachen für die selbstorganisierte Suche eines Engage- ments stärkt die verantwortliche Rolle, selbst Akteur der eigenen Entwicklung zu sein. 8 9
•A usgangspunkt einer Förderung des freiwilligen Engagements ist es, vielfältige Zugänge zum Perspektiven Engagement zu ermöglichen durch verschiedene Projekte, Aktionen und Veranstaltungsforma- Pfarreien, Gemeinden haben einen Sendungsauftrag – Verkündigung der Frohen Botschaft. te und für die unterschiedlichsten Zielgruppen. Die Fähigkeit mit verschiedenen Milieus, Spra- Kirchliches Tun zeigt sich darum in der Sammlung um das Wort Gottes und um die Eucharistie chen und Arbeitsweisen handeln zu können, macht zum Türöffner fürs Engagement. zur Vertiefung und Stärkung des eigenen Glaubens, im Hinausgehen in die Welt hinein zum Spre- chen, Lernen und Einladen zum Verkünden der Frohen Botschaft und zum nächstenliebenden •A usgangspunkt ist ein vernetzendes Handeln, eine intermediäre Position einzunehmen. Verbin- Handeln in der konkreten Hilfe und Kooperation. All dieses Handeln ist in verschiedenster Weise dungen herzustellen, sodass die einzelnen Akteure in ihrer spezifischen Kreativität und Lust am organisiert: informell und einfach in der Nachbarschaft, ehrenamtlich und beruflich bis hin zu Thema zusammenfinden können, ist Teil des Selbstverständnisses. Fachdiensten und Sozialen Unternehmen. Andererseits liegt in der Äußerung des Pfarrgemeinderatmitglieds ein Urteil im Sinne von „so Dieses Handeln geschieht freiwillig – als Ausdruck der persönlichen Glaubensgestaltung; es ge- machen wir das nicht in einer Gemeinde. Das kann hier so nicht funktionieren.“ Ehrenamtliches schieht mit einem Mandat oder kirchlichen Beauftragung – als ehrenamtliche oder berufliche und freiwilliges Engagement in einer Gemeinde oder einer Pfarrei in den größeren Räumen sind Tätigkeit; es geschieht als gewählte Lebensgestaltung als Ordensmensch, Diakon oder Priester, vordergründig ganz praktisch von den Mangelerfahrungen geprägt: „Wie finden wir Leute für die als Eheleute. vielen Aufgaben? Es stellt sich ja niemand zur Verfügung!“ Ebenso wird auch deutlich erkannt, dass auf die bekannte Art und Weise nicht mehr gehandelt werden kann. Es stehen nicht mehr Freiwilliges Engagement zu fördern zielt innerhalb kirchlichen Handelns auf ein Suchen, Finden so viele hauptamtliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zur Verfügung und die engagierten Eh- und Stärken der persönlichen Entscheidung, ein Leben aus dem Glauben heraus zu führen. Es renamtlichen befürchten große Überforderungen und Überlastungen. Gleichzeitig gibt es nach zielt damit nicht vorrangig darauf, Aufgaben mit engagierten Menschen zu erledigen, sondern Glauben fragende Menschen: Und es gibt Erfahrungen von erfolgreichen Projekten, die Men- nimmt vorrangig den Menschen in den Blick, die ein Interesse an einem Engagement haben. schen anziehen. Für die Pfarreien, Gemeinden und Orte kirchlichen Lebens bedeuten dies neue Herausforderungen: Auf welche Weise können Pfarreien und Freiwilligen-Zentren sich gegenseitig stärken? a. Freiwilligen-Zentren entwickeln ein Selbstverständnis als Orte kirchlichen Lebens. In ihren Trä- •H erausforderung ist eine sich verändernde Sozialgestalt der Kirche, in den Pfarreien, Gemein- gerschaften sind sie ganz oder teilweise als Caritas erkennbar. Als solche sind sie ein Gesicht den und Orten kirchlichen Lebens (Beratungsstelle, Caritasverband, ökumenische Zentren, kirchlichen Handelns, das zur Mitwirkung einlädt mit einem attraktiven Anliegen: bei Menschen Schule, Krankenhäuser u.a.) und damit verknüpft ein neu zu findendes Selbstverständnis. und Organisationen vielfältiges, freiwilliges Engagement für andere zu fördern und zu entwickeln. Im Selbstverständnis des Deutschen Caritasverbandes bedeutet dies, Solidaritätsstifter zu sein. • Herausforderung Christ werden und Christ bleiben: Die bekannte Sozialisation von Kindesbei- Diese grundlegende Haltung – Solidarität innerhalb einer Gesellschaft stiften zu wollen – ent- nen an ist eher die Ausnahme als die Regel. Zugangswege sind neu zu erschließen und Be- spricht dem nächstenliebenden Ausdruck des Glaubens einer Pfarrei. Sie sind damit beteiligter gleitung bei Glaubens- und Lebensfragen ist als gemeinsame Aufgabe glaubender Menschen Akteur in den Veränderungsprozessen vor Ort. zu verstehen und nicht auf „studierte Spezialisten“ allein zu beschränken oder allein an sie abzugeben. b. Pfarreien und Gemeinden erkennen mehr und mehr die Notwendigkeit einer Loslösung von einer allein aufgabenorientierten Organisation von Ehrenamtlichkeit. Die von Gott geschenkten •H erausforderung der Beteiligung und Vernetzung: Die Frohe Botschaft ist für alle. Dieser All-Im- Gaben – die Charismen als Talente und Fähigkeiten zum Nutzen anderer ( 1. Kor 12,4 ff) – sind perativ schließt auch die Menschen ein, die bislang nicht im Blick der Pfarreien und Gemeinden Ausgangspunkt und Ressource. Gemeinsames Entdecken dieser Talente ist da ein erster Schritt. sind. Allzuhäufig werden sie als „die am Rand Stehenden“ bezeichnet. In einem vernetzten Mit- Danach folgt das Herausfinden der möglichen Tätigkeiten mit dem Ziel aus diesen Gaben heraus einander heben sich diese Positionen von Mitte und Rand auf; es entstehen unterschiedliche In- Gemeinde mitzugestalten. Auf diese Weise orientiert nicht das Defizit den Blick, sondern die tensitäten der Beteiligung. Die Orte kirchlichen Lebens haben hier einen Erfahrungsvorsprung, Fülle der Talente und Fähigkeiten in konkreten Menschen, auf deren Vorhandensein im Glauben der systematischer geteilt werden kann. vertraut werden darf. Wie könnten die Ausgangspunkte und Herausforderungen in eine gelingende Verbindung ge- c. Aus diesen beiden beschriebenen Positionen können Pfarreien, Gemeinden und Freiwilligen- bracht werden? In einem nächsten Schritt sollen mögliche Perspektiven aufgezeigt werden. Zentren sich weiter aufeinander zubewegen. Sie begegnen sich in diesen diözesanen Verände- rungsprozessen als gemeinsam Lernende vor Ort. Zu wissen und anzuerkennen, dass man ge- 10 11
meinsam lernt, heißt gemeinsam Lösungen suchen und nicht einfach Modelle zu kopieren. In Professionelles Handeln im Sinne eines Qualitätsmanagements dem Sinne gibt es keine Patentrezepte für die Förderung von freiwilligem Engagement in einer Pfarrei oder Gemeinde, sondern es gibt zu teilende Erfahrungen, die auf die eigene Situation hin Die größeren Strukturen brauchen zum Funktionieren eine veränderte Arbeitsweise. Hier könnte zu prüfen sind. Dies braucht eine spezifische Kompetenz: Prozesskompetenz. Es meint die Fä- man sich der Erfahrungen in anderen kirchlichen Handlungsfeldern bedienen. Hier trifft Haupt- higkeit, auf den Prozess selbst zu schauen, der begonnen hat und gleichzeitig die Veränderungen amtlichkeit auf Ehrenamtlichkeit: ein Verhältnis auf Augenhöhe? in den Blick zu nehmen, die der Prozess auslöst. Die Implementierung von einem veränderten Umgang mit Freiwilligen innerhalb einer Pfarrei, einer Gemeinde meint beispielsweise einen sol- Ein Ausblick chen Prozess: Aus welchem Kirchenbild heraus verstehen wir Engagement in unserer Gemeinde? Die zukunftsfähige Verbindung ist eine lernende Verbindung. Für die Freiwilligen-Zentren ginge Welche Vision teilen wir miteinander hier für diesen Ort? Welche Bedeutung hat dann Engage- es um die Weiterentwicklung der eigenen Prozesskompetenz als Ort kirchlichen Lebens. Für die mentförderung für uns? Konsequenzen ziehen für das konkrete Handeln: Rahmenbedingungen Pfarrei und Gemeinden ist es das mutige Zugehen auf Erfahrungen. Die in diesem Materialband für freiwilliges Engagement festgelegen, Workshops zum Finden der eigenen Talente anbieten, gesammelten Beispiele für Kooperationen sind zukunftsfähige Verbindungen, auf die sich weiter Engagementmöglichkeiten veröffentlichen, Ansprechpartner für Neue, Interessierte benennen aufsetzen lässt. Beide können dann gemeinsam – als kirchliches Handeln – diese Grundhaltung und bekannt machen, es gibt geregelte und anerkannte Verantwortlichkeiten, die Erwartungen leben, die Bischof Klaus Hemmerle einst formulierte: „Lass mich dich lernen, dein Denken und aneinander innerhalb der Gemeinde werden geklärt, es gibt eine abgestimmte Kommunikation Sprechen, Dein Fragen und Dasein, damit ich daran die Botschaft neu lernen kann, die ich Dir zu der Beteiligung. überliefern habe.“ Diese Kompetenz ist wichtig, um Projektideen, veränderte Arbeitsweisen und die Unterschied- lichkeit der handelnden Personen miteinander im Spiel zu halten. Es ist das Gespür für Möglich- keiten und Grenzen von freiwilligem Engagement, es achtet auf die Motive der einzelnen Akteure, weil sie die Energieträger sind, um etwas ins Gelingen zu bringen. Diese Sichtweise ist Freiwilli- gen-Zentren bekannt, auch aus eigenem Nichtgelingen. Zum Schluss ein Gedanke zu: Was bislang hindert - Risiken dieser Begegnungen: Ihr die Experten – wir die Laien Mit diesen Zuschreibungen vermeiden beide Seiten sich, ernsthaft und fokussiert mit den Mög- lichkeiten auseinanderzusetzen, was gemeinsam sein kann. Wofür sind die jeweiligen Experten wirklich Experten und wie wertschätzen Laien ihre eigene Kompetenz und Sichtweise auf Situa- tionen? Grad der Organisation einer freiwilligen Tätigkeit Das informelle, lokal stattfindende Engagement braucht keinen hohen Grad an Organisation. Die Arbeitsweise eines Freiwilligen-Zentrums kann damit abschrecken in Form und Zeitmaß und löst Befürchtungen aus. Effektivität und Effizienz sind Kriterien, die in einer Gemeinde anders ausge- legt werden als in beruflichen Strukturen. Das sozialräumliche Wissen und die Möglichkeiten der Vernetzung im lokalen Nahbereich ist ein Wissen der Gemeinde. 12 13
3. Die Kooperation von Freiwilligen-Zentren und Kirchengemeinden: einige Bemerkungen prinzipieller Natur Michael Helmbrecht, Dozent an der Technischen Hochschule Nürnberg Georg-Simon-Ohm Gleichwohl: Die Kooperation wäre sinnvoll und sie ist auch gelingend gestaltbar. Dass Freiwilli- gen-Zentren und Pfarreien Brücken schlagen können, davon zeugt eine ganze Reihe von Beispie- Wenn Freiwilligen-Zentren und Kirchengemeinden zunächst einmal „fremdeln“, dann liegt das len. Immerhin unterhalten, so wurde vonseiten der Geschäftsführung des Verbundes mitgeteilt, im Regelfall weniger an den beteiligten Personen, sondern an den strukturellen Gegebenheiten. zwischenzeitlich etwa ein Viertel der Freiwilligen-Zentren intensive Kooperationsbezüge zu Pfar- Freiwilligen-Zentren sind hochspezialisierte Facheinrichtungen mit dem Ziel, eine organisations- reien. Weitere Freiwilligen-Zentren unterhalten anlassbezogene oder punktuelle Kooperationen übergreifende Engagementförderung zu betreiben. Sie sind keine katholischen „Rekrutierungs- mit Pfarreien. Etliche Freiwilligen-Zentren sind räumlich mit Pfarreien oder kirchlichen Stellen ver- instrumente“, wie Kritiker in der Aufbauphase dieses Organisationstyps fälschlicherweise - und bunden. Bei einigen wenigen besteht die Verbindung über die Trägerschaft des Freiwilligen-Zen- vermutlich von Konkurrenzphantasien geplagt - gemutmaßt hatten. Sie sind strukturell offen für trums. Pfarreien, wird berichtet, würden von sich aus sehr viel häufiger als in den Gründerzeiten Organisationen, die Freiwillige integrieren wollen und sie unterstützen die Integration Freiwilli- der Freiwilligen-Zentren die fachlichen Potentiale von Freiwilligen-Zentren anfragen. Die starke ger in selbstorganisierte Gruppen und Organisationen. Freiwilligen-Zentren betreiben ihr Ge- Nachfrage etwa nach dem „neue caritas“-Spezialheft 3/2011 1, das der Frage nach dem Zusam- schäft zumeist zentral, im sozialen und kulturellen fachlichen Netzwerk einer Stadt verwoben menwirken von Kirche und Verband in den pastoralen Räumen nachgeht, ist ein weiterer Indikator und genährt durch das Engagement von Freiwilligen, die Steuerungsfunktionen übernehmen. dafür, dass es einen Kooperations- wie (Selbst-)Aufklärungsbedarf gibt. Das zeigt zugleich, dass Kirchengemeinden werden von den Freiwilligen-Zentren nicht notwendigerweise als besonders Organisationen eine lange Durststrecke zu überwinden haben, bis sie zureichend profiliert sind signifikante Umwelt wahrgenommen, weil die eigene katholische Binnenlandschaft eine Umwelt und vom Umfeld als relevante Größe wahrgenommen werden. Es würde sich jedenfalls lohnen, unter mehreren ist, weil die MitarbeiterInnen fachlichen Rationalitäten folgen (müssen) und we- den Bedingungen des Gelingens (und Misslingens) der Kooperation zwischen den verbandlichen niger die lebensweltliche Zugehörigkeit kultivieren (können) und weil die Engagementförderung Freiwilligen-Zentren und Pfarreien noch genauer nachzugehen. Man kann davon ausgehen, dass der Freiwilligen-Zentren mittlerweile stark in Richtung von Schulen (Jugendengagement), Kom- die eingangs beschriebenen strukturellen Hürden durch ein identifizierbares Bündel zeitlicher, munen, Unternehmen, in Richtung potentieller Freiwilligendienste, in Richtung Sozialräume un- sozialer, fachlicher und finanzieller Faktoren überwunden werden können. Als Außenstehendem terwegs ist; in letzteren neuerdings und eher noch anfänglich. Die meisten Verantwortlichen in sei mir die kritische Anmerkung erlaubt, dass die katholische Kirche sich fachliche Impulse für die Freiwilligen-Zentren dürften sich als interorganisatorisch wirkende ExpertInnen begreifen, für die (Wieder-)Belebung der eigenen Basis deutlich mehr kosten lassen sollte. Zeitlich eng begrenzte ein „Stallgeruch“ (welcher Note auch immer) in der Netzwerkarbeit hinderlich ist. Ihre normati- Projektfinanzierungen sind wichtige Anschubhilfen – eine erfolgreiche „Werkstatt-Arbeit“ der Ge- ven Vorstellungen dürften sehr viel stärker von kommunitaristischen, demokratietheoretischen meinden muss indessen langfristig projektiert werden. und sozialstaatlichen Visionen geleitet sein als die spezifisch christlichen Begründungen für das geforderte Engagement eines Christen in der Kirchengemeinde. Zudem: Nicht wenige Kirchen- Die Implementierung von sozialraumorientierten Ansätzen in der Gemeindecaritas kann in fach- gemeinden sind „closed shops“. Sie aufzuschließen für neue Ideen, neue Leute, die es zu in- licher Hinsicht auch den Freiwilligen-Zentren den Weg öffnen für die Gestaltung der Koopera tegrieren gilt, für neue Aufgabenfelder und neue Wege, die man gehen könnte, ist mit einem tion mit den Pfarreien. Eine sozialraumorientierte Engagementförderung rechnet mit dem „Eigen- erheblichen Aufwand verbunden. Und es wäre eine Aufgabenstellung, bei der man sich allzu sinn“, den Traditionen und spezifischen sozialen Kontexten, die in Gemeinden vorfindbar sind. leicht Kritik einfängt: vonseiten der beruflich für die kirchengemeindliche Betreuung Zuständigen Sie stimmt sensibel für die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit einer verstehens- wie verständi- (als Einmischung) oder vonseiten der kirchengemeindlichen Akteure selber (als lebensweltfernes gungsorientierten Diagnose des Handlungsbedarfs sowie einer bottom-up-orientierten, partizi- Spinntisieren). Kirchengemeinden sind als Kooperationspartner auch deshalb nicht sonderlich pationsorientierten Vorgehensweise. In methodischer Hinsicht stellt sich nicht die Frage, wie eine attraktiv, weil kaum ein Ressourcenzufluss in Gestalt von Geld oder Anerkennung erwartbar ist, Gemeinde an Veränderungsprozessen beteiligt werden kann, sondern wie die MitarbeiterInnnen der die chronisch unterfinanzierten Freiwilligen-Zentren stabilisieren könnte. Mithin: Freiwilligen- eines Freiwilligen-Zentrums vorgehen müssen, damit sie von der Gemeinde beteiligt werden. Die Zentren und Kirchengemeinden sprechen zunächst einmal unterschiedliche „Sprachen“, sie sind „Werkzeugkiste“ des Community Organizing enthält wohl eine Menge Orientierungswissen und normativ, sozialgeografisch voneinander entfernt und Freiwilligen-Zentren sind in ihren fachlichen methodischer Verfahren, wie man an den Interessen der Leute anschließen kann. Es sind aller- Orientierung wie mit Blick auf ihre personellen Kapazitäten bisher eher spezialisiert auf indivi- dings Verfahren, die im jeweils spezifischen „Fall“ mit seinen spezifischen Bedingungen ange- dualisierte Engagementberatung, denn auf eine kleinteilige, die örtlichen Spezifika auslotende, passt werden müssen. In vielen Fällen sind für eine gelingende sozialraumorientierte Strategie sozialräumliche, gemeinwesenorientierte Engagementförderung. nicht Applikationen, sondern „Erfindungen“ gefragt, die gemeinsam mit den Bürgern bzw. Ge- meindemitgliedern entwickelt werden. 1 eue caritas Spezial, 3/ 2011: Ideen und Bausteine, Pastorale Räume diakonisch ausgestalten, darin u.a. Baldas, E., Devic R.: Pastorale n Räume, Der Beitrag der Caritas zu ihrer Mitgestaltung und Devic, R., Glandorf-Strotmann, G.: Kooperation Freiwilligen-Zentrum und Pfarrei 14 15
4. Neue pastorale Räume: Haben Freiwilligen-Zentren eine Chance? Jenseits einer engen methodischen Perspektive von Bürgerengagement-Förderung: Was sollte Prof. Dr. Udo F. Schmälzle OFM, Universität Münster Freiwilligen-Zentren des Caritasverbandes und katholische Kirchengemeinden in inhaltlicher Hin- sicht zusammenführen können? Ganz gewiss die Vorstellung einer „anständigen Gesellschaft“ 2, „Mein Ehrenamt wurde nicht weitergeführt. Allgemein halte ich ehrenamtliche Tätigkeiten einer Gesellschaft, die auf der Anerkennung des Anderen – ob nun menschenrechtlich oder für sehr wichtig. Eine Gesellschaft lebt vom Ehrenamt. Ich würde wieder ehrenamtliche Auf- christlich begründet – besteht. Aufgrund sozialer Abstiegsängste 3, sich verschärfender Vertei- gaben im sozialen Bereich übernehmen. Mir fehlt hierzu nur die passende Gemeinde.“ lungsdebatten sowie Identitätskrisen in einer sich globalisierenden Welt nehmen rassistische und xenophobe Einstellungsmuster zu. Nicht zuletzt auch deshalb, weil solche Diskurse von einigen „Ich habe die Perspektivlosigkeit nicht mehr ausgehalten. Nie wurden die Menschen satt. gesellschaftlichen Eliten – ich nenne hier stellvertretend nur Thilo Sarrazin – befeuert werden. Nie ein Loch dauerhaft gestopft. Das hat mich auf Dauer einfach zu sehr belastet.“ Das Team des Konfliktforschers Wilhelm Heitmeyer 4 hat in seiner Langzeitstudie „Deutsche Zu- „Lieber wollte ich in einen anderen Bereich wechseln, in dem ich mehr Kontakte mit Men- stände“ (2002-2012) vermessen und die Zunahme „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ schen habe und nicht nur schimmlige Lebensmittel behandle, die ich aussortiere. Das konstatiert: Zuwanderer, Juden, Muslime, behinderte Menschen, Langzeitarbeitslose, Sinti und geht auf die Gesundheit. Die Zeit für Menschen bleibt da nicht. Man kann keine Rat- Roma, obdachlose Menschen – die besonders verletzbaren Gruppen in unserer Gesellschaft schläge gebe, oder persönlich helfen, sondern nur im Schimmel arbeiten, da war meine sind „eindringenden Eiszeiten“ und einem neuen „Jargon der Verachtung“ 5 ausgesetzt. Diese Ent- Vorstellung eine andere.“ 1 wicklung ist weder mit den demokratisch-zivilgesellschaftlichen Leitbildern der Freiwilligen-Zentren noch mit den christlichen Idealen von Pfarrgemeinden vereinbar. Sie erfordert politische Aufmerk- Dies sind Stimmen von Frauen und Männern im Ehrenamt, die ihren Dienst aufgegeben haben samkeit und gesellschaftspolitisches Engagement der Demokraten und Christen. Vielleicht können und als Freiwillige ausgeschieden sind. Die erste Person ist auf der Suche nach einer „passenden sich Freiwilligen-Zentren und Kirchengemeinden im Bewusstsein treffen, dass sie fundamentale Gemeinde“. Sie will nicht nur an Symptomen arbeiten, sondern sucht dauerhafte Strukturen, in Werthaltungen teilen, die man im Alltagsgeschäft der Engagementförderung übersehen kann. Viel- denen nachhaltig im „sozialen Bereich“ gearbeitet wird. Diese Nachhaltigkeit wird von der zweiten leicht müssen beide politischer und unbequemer werden, vielleicht müssen sich beide Seiten ge- Stimme noch stärker eingefordert. Sie bemängelt, dass im Ehrenamt nur „Löcher gestopft“ wur- meinsam in den Widerspruch einüben, jenseits ihrer Besonderheiten und inmitten der Gemeinde. den. Der letzte Beitrag signalisiert gänzlich Unzufriedenheit, wie mit Lebensmitteln umgegangen wird. Dieser Mensch würde gerne mit Frauen und Männern, die zur Tafel kommen, um Lebensmit- Last but not least: Der soziokulturelle Wandel der Gesellschaft hat nicht vor den Pfarreien halt tel abzuholen, über ihre wirklichen Nöte sprechen, die er in deren Gesichtern zu erkennen glaubt. gemacht. Auch hier schlägt die Individualisierung breite Schneisen ins bislang vermeintlich „na- turwüchsig nachkommende“ kirchliche Milieu. Heutige Ehrenamtliche oder Freiwillige wollen Hier sprechen Freiwillige zentrale Problemlagen an, auf die sie in ihrer Arbeit gestoßen sind. Alle auch hier anders abgeholt, begleitet, in ihrer persönlichen Kompetenz geschätzt und unterstützt drei suchen Lösungen und entwickeln Perspektiven. Was ihnen fehlt, ist ein Ort, an dem sie ihre werden als dies über Jahrzehnte vielerorts üblich war. Darüber hinaus benötigen heute übliche Erfahrungen verarbeiten und ihre Ideen weiterentwickeln können. Es ist deshalb nicht verwunder- Engagements in Pfarreien z.B. von ihrer verkürzten Dauer und Intensität her immer öfter eine sys- lich, wenn von Sozialwissenschaftlern das gegenwärtig von der Politik favorisierte Beteiligungs- tematische Koordination durch Ehrenamtliche selbst, zum Teil auch unterstützt durch pastorale modell im sogenannten „aktivierenden Sozialstaat“, der bei der Lösung der sozialen Problemla- Dienste. Neigung, Talente und zeitliche Möglichkeiten potentieller Ehrenamtlicher – auch sehr gen auf die Dienste von Ehrenamtlichen und Freiwilligen setzt, immer wieder kritisch hinterfragt knappe zeitliche Möglichkeiten – wollen und müssen neu „gemanagt“ werden. Ehrenamtliches und auf folgende Mängel hingewiesen wird: und freiwilliges Engagement in neuen Groß-Pfarreien, bisher pastorale Räume genannt, ist im Wandel. Grund genug für Freiwilligen-Zentren und Pfarreien, sich mit den auf beiden Seiten vor- • Ausrichtung der Hilfen an bestehenden Angeboten statt am Bedarf; handenen Kompetenzen zusammen zu tun und den laufenden und sich weiter abzeichnenden • individualisierende Sichtweisen der jeweiligen Problemlagen und in der Folge auf eine die jewei- Wandel des Ehrenamtes auch im kirchengemeindlichen Kontext zusammen zu gestalten. ligen sozialen Kontexte vernachlässigende Hilfepraxis; • defizitärer Umgang mit den Kompetenzen von Ehrenamtlichen und Freiwilligen; • fehlende Konzentration auf die Ressourcen der im Sozialraum lebenden Menschen und die sozialräumlichen Strukturen; • mangelhafte Kooperation bei der Abstimmung der unterschiedlichen im Sozialraum tätigen zi- vilgesellschaftlichen Akteure im Blick auf die aktivierbaren Ressourcen. 2 Margalit, Avishai: Politik der Würde. Über Achtung und Verachtung, Berlin 1999/2012 1 ohann Michael Gleich, Ehrenamtliches soziales Engagement in der verbandlichen Caritas und in Pfarrgemeinden. Eine qualitative J 3 Vgl. Mau, Steffen: Lebenschancen. Wohin driftet die Mittelschicht, Berlin 2012 Studie. In: E. Baldas, Chr. Bangert (Hrsg.), Ehrenamt in der Caritas, Allensbacher Repräsentativbefragung, Freiburg, 2008, 87-91, 174 f. 4 Heitmeyer, Wilhelm (Hrsg.): Deutsche Zustände, Folge 1 - Folge 10, Berlin 2002-2012 5 Lucke von, Albrecht: Eindringende Eiszeiten. Der neue Jargon der Verachtung, in: Heitmeyer, W. (Hrsg.): Deutsche Zustände, Folge 9, Berlin 2011, S. 257-266 16 17
Neben Positionen, die sich mit solchen punktuellen Lösungen bei der Umsetzung des Sozialraum- Die Bedeutung der Arbeit in diesen Zentren, die von kirchlichen Institutionen getragen werden, prinzips zufriedengeben, gibt es auch Autoren, die im Prinzip einen radikalen Perspektiven- und kann in ihrer Vermittlung zwischen Kirche und Gesellschaft nicht hoch genug eingeschätzt wer- Systemwechsel fordern. Thomas Wagner spricht in seiner neuen Studie von der „Mitmachfalle“ den und ist konzeptionell noch lange nicht ausgereizt. Es ist kein Geheimnis, dass kirchliche und sieht in diesen Aktivitäten die Herrschaftsstruktur „einer mittelschichts-orientierten Bürger- Akteure von manchen anderen Akteuren in der Zivilgesellschaft nicht wahrgenommen und als gesellschaft, die nur Partikularinteressen verfolgt“ 2. Wagner will Menschen, die am Rande leben, Partner akzeptiert werden. Während die Verantwortlichen der Stadtteilplanung in NRW „in den mobilisieren und sie befähigen, dass sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Ansätze zu sol- kirchlichen Wohlfahrtsverbänden mit ihren ortsansässigen Gemeinden (…) dauerhaft selbsttra- chen Beteiligungsaktivitäten sieht er in den Methoden des „Community Organizing“. Die weitere gende Strukturen“ bei der Arbeit an der „Sozialen Stadt“ sehen, werden die Kirchen in dem von Entwicklung wird ganz entscheidend davon abhängen, wie es in großen Wohlfahrtsverbänden der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Grundlagenpapier „Sorgende Gemeinschaften“ aus gelingen wird, sich in diesen sozialpolitischen Entwicklungen zu positionieren und in einem positi- dem Jahr 2013 nicht einmal mehr genannt. Weder auf der Struktur- noch auf der Akteursebene ven Sinn sich als Agenturen zu bewähren, die es in einer plural verfassten Gesellschaft noch fertig und schon gar nicht bei der Aufarbeitung bestehender Beteiligungsaktivitäten gibt es einen Ver- bringen, in zentralen Lebens- und Sozialräumen verbandliche Professionalität und solidarisches weis auf die Kirche als einen der Akteure in der Zivilgesellschaft. Lediglich einer der Experten, die Bürgerengagement so zu aktualisieren, dass Beteiligungsaktivitäten und Freiwilligen-Zentren kein interviewt wurden, „vermutet einen eher christlich-konservativ Ursprung des Begriffs „Sorgender Sedativum zur Bewältigung der Defizite in der Sozialpolitik werden. Gemeinschaften“ – im Vergleich zum eher von rot-grüner Seite initiierten Zivilgesellschaftsdis- kurs“ und könnte sich in diesem Kontext vorstellen, dass in der weiteren Entwicklung es zu „ei- Hier hat der Deutsche Caritasverband (DCV) in den letzten Jahren Pionierarbeit geleistet und Ak- ner Akzentverschiebung weg von einer eher „wohlfahrtsökonomisch“ ausgerichteten Perspektive zente gesetzt. Michael Gleich und Eugen Baldas sehen bei der Aktivierung von Ehrenamtlichen hin zu einem mehr auf die Bedürfnisse der Menschen, auf Eigeninitiative und gemeinschaftliche und Freiwilligen im Beteiligungsmodell keine „Mitmachfalle“. Trotzdem fordern sie neue Formen Selbsthilfepotenziale gerichtete Blickwinkel einhergehen kann“ 4. Wer die Arbeit der von der Cari- der Beteiligung und die Qualifizierung der Aktivitäten von Ehrenamtlichen und Freiwilligen. Micha- tas und der Kirche getragenen Freiwilligen-Zentren, die aktuell durchgeführten Projekte und noch el Gleich kommt zum Ergebnis: „Sehr erfolgreich haben sich hier gerade im Zusammenhang mit mehr die Literatur zu diesen Projekten kennt, hat guten Grund, die wissenschaftliche Gültigkeit Beratung und Begleitung in den vergangen Jahren innerhalb der Caritas die Konzepte des Mo- dieser Expertise, die von der Bundesregierung in Auftrag gegeben wurde, zu hinterfragen. Viele dellverbundes der Freiwilligen-Zentren des Deutschen Caritasverbands gezeigt.“ 3 Er sieht in die- der in dieser Expertise angesprochenen Operationalisierungen zu „Sorgenden Gemeinschaften sen Zentren gesichert, dass das Ehrenamt immer wieder an die veränderten Rahmenbedingun- als Netzwerk“ sind in den Projekten der Caritas und der Diakonie bereits verwirklicht, in ihrer gen angepasst wird. Gleichzeitig sind auf dieser Plattform ein ständiger Informationsaustausch in Machbarkeit reflektiert und in der Literatur breit belegt. 5 Selbst zu dem von Thomas Wagner den gegebenen Sozialräumen und eine Interessenvertretung der Ehrenamtlichen und Freiwilligen empfohlenen und in den USA entwickelte Community Organizing-Konzept (CO) hat die Caritas in garantiert. In der Zwischenzeit wurde im DCV dieses Konzept der Freiwilligen-Zentren ausgebaut den vergangenen Jahren erfolgreich Projekte in Hamburg und Berlin durchgeführt. Dabei ist es und weiterentwickelt. In München, Hamburg und an vielen anderen Standorten verfügen die Ak- gelungen, breite Bürgerplattformen zu organisieren und umfassende Netzwerke zwischen Politik, teure schon über ein breites Erfahrungsfeld. Andere Diözesen und Ortsverbände setzen eigene Wirtschaft, Hochschule und Kirche aufzubauen. 6 Das ökumenische Kooperationsprojekt „Kirche Schwerpunkte, so zum Beispiel Köln mit dem Konzept der „Lotsenpunkte“. findet Stadt“ war ein weiterer Schritt der evangelischen und katholischen Kirche, um ihre zivilge- sellschaftliche Verantwortung zu zeigen und einen Beitrag zur sozialen und kulturellen Ausgestal- Alle diese Zentren entwickeln sich als zentrale Agenturen der Kirche in der Zivilgesellschaft. Sie tung der Wohn- und Lebensverhältnisse von Menschen in Stadt und Land zu leisten. Selbst wenn bilden einen Brückenkopf zwischen Staat und Kirche, zwischen weiteren zivilgesellschaftlichen wir die radikalen Perspektiven von Gärtner in seinem Buch zur „Beteiligungsfalle“ in den Blick Akteuren und den Ortsgemeinden vor Ort, zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen. Es ist nicht nehmen, müssen sich Caritas und Kirche nicht verstecken. verwunderlich, dass sich an der Arbeit dieser Zentren mit ihrer Schnittstellenfunktion zwischen Kirche und Gesellschaft sowohl in der Politik wie auch in der Kirche der Diskurs zuspitzt. Andere An dieser Ausblendung kirchlicher Arbeit in Freiwilligen-Zentren und anderen Beteiligungsaktivi- zivilgesellschaftlichen Akteure sehen hinter den Aktivitäten der Kirche den Versuch, sich in der täten sind jedoch die Kirchen nicht unbeteiligt. Vielfach wird diese Arbeit in kirchlichen Kreisen Zivilgesellschaft eine Akzeptanz zu erschleichen, die sie in anderen Feldern verloren hat. Inner- nur als ein Additum gesehen, auf das die Kirche in ihren Gemeinden auch verzichten kann. Viele halb der Kirche und ihrer Gemeinden wird die Arbeit in diesen Zentren mit ihrem klaren sozialpo- Gemeinden folgen bis heute der Empfehlung Luhmann‘s, „bei ihren eigenen Leisten zu bleiben“ litischen und diakonalen Profil zum Stein des Anstoßes werden, gerade dann, wenn sie sich auch und sich nicht „gesellschaftssanitär zu verzetteln“. Bei der Gestaltung der neuen pastoralen Räu- zum Anwalt der Gruppen und Menschen in ihren Sozialräumen machen, die immer stärker an die me ringen viele Kirchengemeinden um ihr spirituelles Profil und wissen nicht mehr, was in den ge- Ränder gedrückt und sozial ausgegrenzt werden. gebenen Unübersichtlichkeiten ihr Kerngeschäft sein muss. Viele Gemeinden delegieren soziale 2 homas Wagner, Die Mitmachfalle. Bürgerbeteiligungen als Herrschaftsinstrument, Köln 2013, S.91. T 4 I nstitut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V., Sorgende Gemeinschaften, Frankfurt 2013, 17 f. Autorinnen und Autoren: Anne Brink- 3 Johann Michael Gleich, a. a. O., 2008,175. Vgl.ferner: Maria Herting, Wolfgang Krell, Eugen Baldas, Rainer A. Roth (Hrsg.), Freiwilligen- mann, Dr. Br. Ludger Klein, Hans-Georg Meigel, ISS-Aktuell 08-2013 im Internet abrufbar. zentren, Ferment einer solidarischen Gesellschaft. Freiburg 2007 5 Udo Fr. Schmälzle in Zuammenarbeit mit St. Schürmeyer, T. Gunnemann, M. Therre und A. Honnacker: Menschen, die sich halten – Netze, die sie tragen, Analyse zu Projekten der Caritas im lokalen Lebensraum. Münster 2009, 2., erweiterte Auflage. 6 Eugen Baldas (Hrsg.), Community Organizing. Menschen gestalten den Sozialraum. Freiburg 2010. 18 19
5. Die Praxis im Überblick Problemlagen an die „Zweitstruktur“ und machen Politik, Diakonie und Caritas für die Missstände 5.1 Freiwilligen-Zentrum Augsburg in ihren Stadtteilen verantwortlich. Auf breiter Ebene sind wir in beiden Kirchen mit einem diako- nalen „Blackout“ bei ihren hauptamtlichen Gemeindemitgliedern konfrontiert. Auslöser für dieses Vernetzen, Projekte entwickeln, Räume schaffen „Blackout“ sind berufliche und spirituelle Selbstkonzepte, in denen das biblische Mandat zum diakonalen Handeln unterentwickelt und ausgeblendet bleibt. Seniorenengagement In unserem langjährigen Arbeitsschwerpunkt Seniorenengagementförderung arbeiten wir zusam- In den hier nur kurz vorgestellten und empirisch belegten Sozialraumprojekten der Caritas hat men mit den zwölf Seniorenfachberatungsstellen der freien Träger in der Stadt Augsburg und den sich gezeigt, dass zentrale Initiativen nicht von den Hauptamtlichen in Gemeinden und Verbänden Pfarrgemeinden bei der Unterstützung von Seniorenbesuchsdiensten. Das Freiwilligen-Zentrum ausgingen, sondern von solchen Männern und Frauen getragen wurden, die aus der Mitte von Augsburg bietet seit 2008 – zusammen mit seinen Partnern - gemeinsame Fortbildungen und Gemeinden kamen und als Christinnen und Christen einfach nicht mehr zulassen wollten, dass eine gemeinsame Ausbildung für Freiwillige im Seniorenbesuchsdienst an. Außerdem finden je- Menschen in ihrer Stadt immer stärker ins soziale Abseits gedrängt wurden. des Jahr zwei Fortbildungstage für die Freiwilligen in diesem Arbeitsfeld statt. Vor dem ökumenischen Kirchentag in München hat Gerhard Nachtwei für die beiden Kirchen die Anlass war die Feststellung, dass mehrere verschiedene Organisationen und Pfarrgemeinden Devise ausgegeben: „Die Kirche von morgen wird eine mystische Kirche sein, oder sie wird nicht Schulungen für Besuchsdienste angeboten haben. Diese fielen öfters aus, da es nicht genügend mehr sein!“ 7 Kennzeichen dieser „mystischen Kirche“ ist der Versuch, „Kirche“ in den gegebenen Interessenten gab. Aus diesem Grund haben wir die Partner zusammen vernetzt und machen seit ökumenischen Verwerfungen „vom größeren Gott her zu denken“. Wenn Gemeinden aus dieser 2008 eben mindestens diese gemeinsamen Angebote. Jeder Partner und Pfarrgemeinde kann Devise eine Pastoral „Gott pur“ machen und nur auf das rein geistliche Geschäft mit Sakramen- darüber hinaus natürlich noch eigene Fortbildungen und Schulungen organisieren. tenspendung, Liturgie und Gottesdienst setzen, landen sie in einer Sackgasse und werden – dem Sprachspiel eines Regionaldekans folgend – „auf den Altären ihrer Kirchen verdampfen“. Gibt es Seit dem Beginn dieses Vernetzungsprojektes konnte die Schulung jedes Jahr genügend Teil- dazu eine Alternative? nehmer/innen verzeichnen und auch die verschiedenen Fortbildungstage waren gut besucht. In diesem Jahr erhielten die Seniorenfachberatungsstellen für diese gemeinsame Kooperation den Welche Power entsteht, wenn Erststruktur und Zweitstruktur – Verbände und Gemeinden – sich Seniorenengagementpreis der Stadt Augsburg. zusammensetzen und gemeinsam Projekte planen, zeigen die Ergebnisse aus den angesproche- nen Studien. Wenn der Psychiater Klaus Dörner in Blick auf diese Power zu sprechen kommt, be- ginnt er zu schwärmen: „Man stelle sich nur einmal vor, die für die ausgeladenen Hilfsbedürftigen einer Region zuständigen diakonischen Profis kehrten gemeinsam mit ihnen in die Region zurück und vereinigten sich dort mit den Kirchenbürgern“. Das ergäbe ein kaum zu schlagendes Modell eines Bürger-Profi-Mixes und einer Ressourcendichte von kommunaler Lebendigkeit“ 8. Freiwilli- gen-Zentren können bei der Verwirklichung dieses Modells einen fundamentalen Beitrag leisten. Der jährliche Kurs für Seniorenbesuchsdienste findet seinen Abschluss mit der Zertifikats- überreichung und einem Abschluss-Gruppenbild. 7 achtwei G., Zukunft der Ökumene. In: Diakonia 1(2009) N 8 Klaus Dörner, Leben und Sterben,wo ich hingehöre. Dritter Sozialraum und neues Hilfesystem. Neumünster 2007, S.11. 20 21
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