KontakTUM Magazin - Richtig verbinden Ein Heft über Dialog und Interdisziplinarität an der TUM - TUM Community

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KontakTUM Magazin - Richtig verbinden Ein Heft über Dialog und Interdisziplinarität an der TUM - TUM Community
KontakTUM
Magazin
Für Alumni der Technischen Universität München
Herbst/Winter 2016

                                                 Richtig verbinden
                                                          Ein Heft über Dialog und
                                                    Interdisziplinarität an der TUM
KontakTUM Magazin - Richtig verbinden Ein Heft über Dialog und Interdisziplinarität an der TUM - TUM Community
Editorial

Dialog beginnt,                                                                Was die Welt
wo Generationen                                                                zusammenhält

                                                                               T
verbunden werden.
Dr. Daniel Tomic rechnet den Erfolg seines Familien-                           agtäglich habe ich mit Menschen aus den verschiedensten
                                                                               Disziplinen zu tun: Ingenieure, Mathematiker und Wirtschafts-
unternehmens auch seiner Ausbildung an der TUM an. Als Stifter
                                                                               wissenschaftler treffe ich sowohl auf Netzwerkevents der TUM
der TUM Universitätsstiftung möchte er heute seinen Dank                       als auch im Rahmen der Karriereberatung. Mit Journalisten,
dafür ausdrücken. Unterstützen auch Sie Ihre Alma Mater.                       Fotografen und Grafikern spreche ich über die Gestaltung des
www.tum-universitaetsstiftung.de                                               Alumni-Magazins. Ich liebe diese Vielfalt, und für mich kann es    KontakTUM Redakteurin
                                                                               wirklich gar nicht bunt genug zugehen. Aufregend ist, dass all     Sabrina Eisele
                                                                               diese Menschen eine jeweils eigene Art zu sprechen und zu
                                                                               denken haben.

                                                                               Interdisziplinarität bedeutet für mich deshalb auch Bereitschaft
                                                                               zum Dialog: Erst wenn wir uns auf die Denk- und Sprechweisen
                                                                               des anderen einlassen, gewinnen wir zusätzliche Erkenntnisse
                                                                               und werden selbst kommunikationsfähiger. Mit jedem Fach-
                                                                               bereich, den ich streife, mit jedem Arbeitsfeld, das mir „in die
                                                                               Quere“ kommt, erfahre ich mehr darüber, was die einzelnen
                                                                               Disziplinen miteinander verbindet, wie ihre Denkstrukturen funk-
                                                                               tionieren und – zumindest fühle ich das ganz nach faustischer
                                                                               Art manchmal so – „was die Welt im Innersten zusammenhält“.
                                                                               Was gesellschaftlich und politisch engagierte Alumni unter
                                                                               einem gelungen Dialog verstehen, das lesen Sie ab Seite 6.

                                                                               Diese Ausgabe des Alumni-Magazins bringt Personen verschie-
                                        An der TUM habe ich                    dener Disziplinen und Generationen miteinander ins Gespräch:

                                        erfahren, was Deutsche
                                                                               Im großen Interview tauschen sich TUM Studierendenvertreterin
                                                                               Nora Pohle und TUM Präsident Prof. Dr. Wolfgang A. Herrmann
                                        Ingenieurskunst wirklich               über die Rolle der Universität in der Gesellschaft und ihr eige-

                                        bedeutet. Deshalb fördere
                                                                               nes jahrelanges Engagement für die Hochschulpolitik aus (S.
                                                                               14). In der Reihe „Zurück in den Hörsaal“ trifft Studierenden-     Auch mit einem Dosentelefon
                                        ich Forschungsprojekte                 vertreter Philipp Rinner auf AStA-Urgestein Manfred Färber, der    kann man heutzutage noch

                                        und junge Talente.“                    Mitte der sechziger Jahre vor 10.000 Münchner Studierenden
                                                                               nach einem Demonstrationsmarsch auf dem Königsplatz eine
                                                                                                                                                  richtig verbunden sein:
                                                                                                                                                  Wie bei einer Tauschaktion mit einem
                                                                               flammende Rede hielt, um gegen ein im Landtag vorliegen-           Dosentelefon Spenden eingeworben
                                        Dr. Daniel Tomic MBA                   des Hochschulgesetz zu protestieren (S. 30). Und in der Mitte      wurden und was das TUM Netzwerk
                                        TUM Alumni, Unternehmer und Stifter    dieses Heftes erfahren Sie, was die TUM ab sofort mit der          damit zu tun hat, lesen Sie in den
                                        auf der Dachterrasse der TUM mit dem   Ausbildung von Politikwissenschaftlern zu tun hat (S. 26). Ich     Neuigkeiten der TUM Community:
                                        Uhrenturm im Hintergrund               wünsche Ihnen eine belebende und dialoganregende Lektüre.          www.community.tum.de

                                                                                                                                                                                         3
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Inhaltsverzeichnis

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                                                                                                                             KontakTUM Redakteurin                                              Dialog und Interdisziplinarität
                                                                                                                             Sabrina Eisele über die                                            Plus: Die neue Hochschule für
                                                                                                                             Idee dieses Heftes                                                 Politik an der TUM

                                                                                                                         06 Stimmen der TUM                                                30 Zurück in den Hörsaal
                                                                                                                             TUM Alumni und Studierende                                         Studierendenvertreter Philipp Rinner
                                                                                                                             erzählen, was für sie persönlich                                   traf AStA-Urgestein Manfred Färber

                                                                                        14
                                                                                        Interview: Studierenden-
                                                                                                                             gelungenen Dialog ausmacht

                                                                                                                         14 „Als Präsident bin ich
                                                                                                                                                                                           34 Wir gehören zusammen

                 06
                                                                                                                                                                                                Professor Gerald Thurner, seine Tochter
                                Stimmen der TUM: Wie funktioniert guter Dialog?         vertreterin Nora Pohle traf         für alle verantwortlich“                                            Professorin Veronika Thurner und ihr
                                                                                        Präsident Herrmann                                                                                      Mann Michael Arbesmeier sind eine
                                                                                                                             TUM-Präsident Wolfgang A. Herrmann
                                                                                                                                                                                                echte TUM-Alumni-Familie
                                                                                                                             im Gespräch über hochschulpolitisches
                                                                                                                             Engagement mit Studierendenvertreterin
                                                                                                                             Nora Pohle                                                    38 Pinnwand
                                                                                                                                                                                                Nachrichten aus dem Netzwerk der TUM
                                                                                                                         20 Raus aus dem Elfenbeinturm
                                                                                                                                                                                           46 Grüße aus…
                                                                                                                             Warum Dialog und
                                                                                                                             Interdisziplinarität an der TUM                                    Ingenieur Carlos Munoz sendet
                                                                                                                             so hoch geschätzt werden                                           Grüße aus seiner Wahlheimat Brasilien

                                                        20                                                  30
                                                                                                Zurück in den Hörsaal:
                                                                                  Engagement im AStA damals und heute
                                                                                                                         Impressum                        KontakTUM erscheint im Selbstverlag, zweimal jährlich, Auflage: 50.000.

                 20
                 Raus aus dem Elfenbeinturm:                                                                                 Kontakt                                                            lena Jooss: 3, 4 (Ferber, ASHAD-Projekt, Alumni im Hörsaal), 6-7,
                                                                                                                             Technische Universität München                                     23, 24, 31-32, 35-36, 48; KONUX: 43; NavVis: 4, 40; Privat: 8,
                 Über Dialog und                                                                                             Corporate Communications Center                                    9 (Tausend/Porträt), 10-11, 12, 13 (Alfreider), 33, 39 (Bücher), 40
                                                                                                                             Alumni & Career, 80290 München                                     (accu:rate), 43 (Olympia), 46; ProGlove: 41; Fred Schöllhorn: 13
                 Interdisziplinarität                                                                                        Tel. +49 89 289 22563                                              (Bock); SimScale: 41; TUM Asia: 39 (Herrmann); Shutterstock
                                                                                                                             Fax +49 89 289 22870                                               VERSUSstudio: 1 (Cover)
                                                                                                                             alumniundcareer@tum.de
                                                                                                                                                                                                Grafische Durchführung
                                                                                                                             Herausgeber                                                        Pixelperfektion, München
                 KontakTUM digital                                                                                           Der Präsident der Technischen Universität München
                                                                                                                             Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang A. Herrmann                      Herstellung
                 in Englisch und Deutsch                                                                                                                                                        Druckerei Joh. Walch www.walchdruck.de

                                                      38
                                                                                                                             Redaktion
                 www.together.tum.de/epub                                                                                    Gerlinde Friedsam (verantwortlich), Dr. Sabrina Eisele             Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise,
                                                                                                                                                                                                nur in Absprache mit der Redaktion.
                                                                                                                             Autorinnen
                                                                                                                             Dr. Andreas Battenberg, Dr. Sabrina Eisele, Beatrix Köber          Nach Artikel 3 Abs. 2 des Grundgesetzes sind Frauen und Männer
                                                                                                                                                                                                gleichberechtigt. Alle Personen- und Funktionsbezeichnungen in
                                                      Pinnwand: Neuigkeiten aus dem Netzwerk der TUM                         Fotos                                                              KontakTUM beziehen sich in gleicher Weise auf Frauen und Männer.
                                                                                                                             Günther Anthuber: 25; BayStartUP / Andreas Schebesta: 38;          Die alleinige Verwendung der männlichen Form an einigen Stellen dient
                                                                                                                             Astrid Eckert: 2, 4 (Herrmann), 14-18, 29; Peter Finger: 9 (Tau-   der besseren Lesbarkeit des Textes.
                                                                                                                             send/Gruppe); Andreas Heddergott: 27, 28; iuvas: 42; Magda-        ISSN 1868-4084

4               KontakTUM Herbst/Winter 2016                                                                                                                                                                                                                            5
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KontakTUM Thema   Unternehmen

          Stimmen der TUM                  Markus Ferber (Elektrotechnik und Informationstechnik 1990) engagiert sich bereits seit seiner Schul-
                                           zeit auf parteipolitischer Ebene für die CSU und ist seit über 20 Jahren als Mitglied im Europäischen
                                           Parlament tätig. Hier profitiert er von dem interdisziplinären Denken, das er während seiner ingenieurwis-
                                           senschaftlichen Ausbildung an der TUM gelernt hat. „Wer bei uns nicht dialogfähig ist, der braucht gar
                                           nicht in den Prozess einzusteigen“, so Markus Ferber. Die spannendste Form des Dialogs liegt für ihn in der
                                           Kommunikation mit den Bürgern: „Wir müssen die Menschen mitnehmen, bei dem was wir auf europäischer
                                           Ebene tun.“ Mehr über Markus Ferber ab Seite 22.

    Wie funktioniert…

                                           TUM Alumni und Studierende erzählen, was
                                           für sie persönlich gelungenen Dialog ausmacht.

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Stimmen der TUM

                                                            Peter Pernsteiner
                                                            „Dialog bedeutet, dass man über Partei-
                                                            grenzen, Generationen oder Firmenhier-
                                                            archien hinweg offen ist für Argumente,
                                                            die einer Sache dienlich sind. Dabei muss
                                                            man bereit sein, die eigene Meinung über
                                                            Bord zu werfen, wenn es überzeugendere
                                                            Lösungsvorschläge gibt. Ein guter Dialog
                                                            sollte sich sukzessive der Problemstellung
                                                            nähern. Man muss sich genügend Zeit
                                                            gönnen und bereit sein, ein Thema auch
                                                            mal zu vertagen.“

    Peter Pernsteiner (Elektrotechnik und Informationstechnik 1987) ist seit 2003 Vorsitzender seines
      FDP-Ortsverbandes. Seit 2007 ist er ehrenamtlich im Gemeinderat von Zorneding bei München
      und setzt sich unter anderem für die Aufrechterhaltung der Schuldenfreiheit der Gemeinde ein.
                 Bereits im Studium hat er sich im Fachbereichsrat und im Senat der TUM engagiert.

                                                                                                         Claudia Tausend (Geographie 1992) ist seit 2014 Vorsitzende der Münchner SPD. Von 1996 bis zu ihrer Wahl
                                                                                                         in den Deutschen Bundestag im Oktober 2013 war sie Stadträtin in München und Sprecherin im Planungs-
                                                                                                         ausschuss sowie stellvertretende Vorsitzende der Rathausfraktion. Sie engagiert sich auch außerhalb der
                                                                                                         Politik als Mitglied im Mieterverein, bei der IG Metall, der Arbeiterwohlfahrt und sogar in einem Männer-
                                                                                                         gesangsverein. Im Sommer folgte sie einer Einladung der TUM: Junge Akademie, dem Förderprogramm
                                                                                                         der TUM für ihre außerordentlich talentierten und engagierten Studierenden, und kam zum Gespräch über
                                                                                                         die politische Situation in Europa.

                                                                                                                                                                                        Claudia Tausend
                                                                                                                                                  „Seit gut zwanzig Jahren habe ich nun schon politische Mandate
                                                                                                                                                     inne, zuerst im Münchner Stadtrat und seit 2013 im Deutschen
                                                            Rupert Heindl                                                                            Bundestag. Ohne die Fähigkeit, auf Augenhöhe mit den verschie-
                                                            „Beim Dialog sollte es sich                                                              densten Gesprächspartnern zu kommunizieren, hat man in diesem
                                                            um einen gegenseitigen                                                                    Beruf keinen Erfolg. Voraussetzung ist es, das Gegenüber zu res-
                                                            Meinungsaustausch                                                                      pektieren – auch bei gegensätzlichen Auffassungen. Politik bedeutet
                                                            handeln. Demokratie zum                                                                auch stets Offenheit für alternative Handlungsmöglichkeiten und die
          Rupert Heindl (Bachelor Berufliche Bildung Me-    Beispiel kann nur funktio-                                                             Bereitschaft bei schwierigen Fragen Kompromisse einzugehen. Das
      talltechnik und Religionslehre 2015) engagiert sich
                                                            nieren, wenn sich Menschen                                                                     gelingt nur, wenn ich versuche, die Sichtweise des anderen
        als Landesvorsitzender der Katholischen Landju-
      gendbewegung Bayern. Als UN-Jugenddelegierter         und insbesondere die Jugend                                                                                                         besser zu verstehen.“
      für Nachhaltige Entwicklung bringt er die Anliegen    ernst genommen fühlen. Das
           der Jugend bei den Vereinten Nationen ein. Mit   ist dann der Fall, wenn ihre
       seinem Engagement möchte er andere Menschen          Meinungen und Anliegen
      dazu motivieren, sich für eine nachhaltige Zukunft
                                                            gehört werden. Guter Dialog
          einzusetzen. Zusammen mit seiner Kollegin bei
            der Jugenddelegation traf er Bundeskanzlerin    heißt für mich deshalb vor
        Angela Merkel bei einem Kanzlerempfang in New       allem erst einmal richtig
            York am Rande der UN-Generalversammlung.        zuzuhören!“

8         KontakTUM Herbst/Winter 2016                                                                                                                                                                                   9
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Stimmen der TUM                                                                                        Dr. Thomas Theil
                                                                                                            „Ein Dialog darf durchaus auch
                                                                                                            ein Streitgespräch sein. Ich stelle
                                                                                                            immer wieder fest, dass viele Men-
                                                                                                            schen sich nicht bewusst sind, dass
                                                                                                            unser Denken ohne Sprache gar
                                                                                                            nicht funktioniert. Die Notwendig-
                                                                                                            keit, im Dialog die eigene Meinung
                                                                                                            in Worte zu fassen, unterstützt
                                                                                                            unmittelbar das Denken. Insbeson-
                                                                                                            dere im technikwissenschaftlichen
                                                                                                            Bereich erlebe ich immer wieder,
                                                                                                            wie sich im Dialog Probleme klären
                                                                                                            lassen und Lösungen gefunden
                                                                                                            werden können.“

                                                         Dr. Thomas Theil (Promotion Elektrotechnik und Informationstechnik 1990) hält
                                                         zusammen mit seinem Geschäftspartner in einer Erfindergemeinschaft zirka 50
                                                         Patente in der Weg- und Winkelmeßtechnik. Er engagiert sich als Ortsteilsprecher
                                                         für den Gemeinderat in Feldafing. Neben all seinen Aktivitäten ist ihm seine Familie
                                                         sehr wichtig. Das Bild zeigt Dr. Thomas Theil mit seiner Frau in einem Heißluftballon
                                                         während des letzten Urlaubs in Kappadokien.

                                     Ingrid Pongratz
                                     „Zu meiner Arbeit gehört der respektvolle Umgang mit den Menschen und der persönliche
                                     Kontakt. Wichtig ist es, sich der Sorgen und Nöte anzunehmen. Die meisten Konflikte unter
                                     den Menschen entstehen, weil wir tendenziell von uns selbst, von unseren eigenen Bedürfnis-
                                     sen ausgehen. Die große Kunst liegt darin, sich immer bewusst zu sein, dass andere Menschen
                                     anders ticken. Nur im Dialog können diese Konflikte ausgeräumt werden.“

                                     Ingrid Pongratz (Maschinenwesen 1982) ist seit 2003 erste Bürgermeisterin der Kreisstadt
                                     Miesbach in Bayern und damit die erste Frau auf diesem Posten. Bereits während ihrer Schul-
                                     zeit am Gymnasium Miesbach war sie politisch interessiert. 1995 fragte sie der damalige Bür-
                                     germeister der Stadt Miesbach, ob sie Lust hätte, sich politisch zu engagieren und im Stadtrat
                                     mitzuarbeiten. Nach reiflicher Überlegung und in Absprache mit ihrer Familie – ihre beiden
                                     Söhne waren damals 14 und 11 Jahre alt – entschied sie sich, zu kandidieren.

10    KontakTUM Herbst/Winter 2016                                                                                                                11
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Stimmen der TUM                                                                                                    Gisela Bock
                                                                                                                                  „Wenn man mit Menschen kommuni-
                                                                                                                                  zieren will, auch um ihnen zu helfen,
                                                                                                                                  ist Dialogbereitschaft unerlässlich. Das
                                                                                                                                  bedeutet, dass man sich die Anliegen der
                                                                                                                                  Menschen anhört und sie ernst nimmt.
                                                                                                                                  Es ist wichtig, auf Augenhöhe mit den
                                                                                                                                  Menschen zu sprechen und ihnen zu
                                                                                                                                  zeigen, dass man sie schätzt.“

                                                                                                                                  Gisela Bock (Chemie 1965) ist ehemalige
                                                                                                                                  bayerische Landtagsabgeordnete der
               Sascha                                                                                                             FDP. Heute engagiert sie sich im Rahmen
               Kienzle                                                                                                            eines von ihr gegründeten Vereins für
                                                                                                                                  Seniorinnen und Senioren, um diese vor
                                                                                                                                  Einsamkeit im Alter zu bewahren. Für ihr
               Sascha Kienzle (Politische Wissenschaften 2010) ist Referent an der Deutschen                                      langjähriges Engagement wurde sie 2011
               Botschaft in Singapur und Bangkok. Als Leiter der Abteilung für Wissenschaft                                       mit dem Bayerischen Verdienstorden
               und Technologie kümmert er sich um die Wissenschaftspolitik, empfängt und                                          ausgezeichnet. Zur Politik gekommen ist
               begleitet Wissenschaftsdelegationen und informiert über die Forschungs-                                            sie durch ihre ehrenamtliche Arbeit als
               landschaft in Singapur und Deutschland.                                                                            Elternbeiratsvorsitzende in Kindergarten,
                                                                                                                                  Grundschule und Gymnasium während
              „Kurt Cobain sang einst: Who needs action when you got words.“ Damit trifft er                                      der Schulzeit ihrer Söhne.
              das, was Dialog in der Außenpolitik für mich bedeutet: Es geht um kommunikatives
              Handeln. Dialog dient in der Diplomatie dazu, Probleme gemeinsam im Gespräch zu
              lösen und auf unliebsame Maßnahmen zu verzichten. Er ist die Essenz zur friedlichen
              Streitbeilegung und damit zentrales Element von Außenpolitik und Diplomatie. Guter
              Dialog funktioniert nur, wenn er zielgerichtet und auf Augenhöhe geführt wird. Allen
              Parteien muss die Möglichkeit eingeräumt werden, am Dialog teilzunehmen, sei es
              als Zuhörende oder als Sprechende. Um zu funktionieren, sollten Argumente auf der
              Wahrheit beruhen. Nur dann kann der Dialog seine volle Wirkung entfalten.“

                                                                                                                                                                                                          Daniel Alfreider
     Dr. Carlos Chiu Fu (Elektrotechnik und Informationstechnik 1982) ist internationaler Ansprechpartner für das                                                             „Dialog heißt für mich, selbst eine Meinung zu haben,
     TUM Netzwerk in Peru und hat vor kurzem eine Schule in seiner Heimatstadt Huánuco in den peruanischen                                                               diese zu erarbeiten und dann im Spannungsfeld Gesell-
     Anden gegründet. Sie soll junge Leute in technologischem, ingenieurwissenschaftlichem und nachhaltigem
                                                                                                                                                                                 schaft, Freundschaftskreis, Arbeitswelt zu eichen.
     Denken ausbilden.
                                                                                                                                                                         Ich beobachte jedoch eine gefährliche Tendenz: Heute wird
                                                                                                                                                                               Dialog oft so gelebt, dass jeder einzelne von uns eigen-
                                                                                                                                                                         ständig und willkürlich alles behaupten und von sich geben
                                                                                                                                                                         will, aber dann nicht mehr die Zeit investiert, um die eigene
                                                 Dr. Carlos Chiu Fu                                                                                                             Meinung zu hinterfragen und dann entweder zu unter-

                                                 „Dialog ist für mich mehr als die reine Konversation zwischen zwei oder                                                                        mauern oder eventuell zu korrigieren.“

                                                 mehr Personen. Es handelt sich um eine zwischenmenschliche Interaktion,
                                                 in der Personen sowohl etwas über eine Sache als auch über die anderen am                       Daniel Alfreider (Bauingenieurwesen 2005) engagiert sich
                                                 Dialog beteiligten Personen lernen können. Wenn man versucht, ein Problem                       als Abgeordneter der Südtiroler Volkspartei im Römi-
                                                 zu lösen, kann Dialog als eine Art Brainstorming funktionieren. Um einen guten                  schen Parlament für die Anliegen Südtirols auf nationaler
                                                                                                                                                 Ebene. Als Bauingenieur am Projekt Brenner Basistunnel
                                                 Dialog zu führen, sollten alle teilnehmenden Personen so offen wie möglich                      ist er verantwortlich für die Stabsstelle Kosten- und
                                                 sein. Zuhören ist dabei genauso wichtig wie Sprechen.“                                          Risikomanagement. Im TUM Netzwerk engagiert er
                                                                                                                                                 sich als Ansprechpartner für sein Heimatland Italien.

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KontakTUM Magazin - Richtig verbinden Ein Heft über Dialog und Interdisziplinarität an der TUM - TUM Community
Schwerpunkt   Dialog und Interdisziplinarität

                                                            „Als Präsident
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                                             I
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                                                            Studierendenvertreterin Nora Pohle traf TUM-Präsident Wolfgang A.
                                                            Herrmann zum Gespräch über hochschulpolitisches Engagement.

14            KontakTUM Herbst/Winter 2016                                                                                      15
KontakTUM Magazin - Richtig verbinden Ein Heft über Dialog und Interdisziplinarität an der TUM - TUM Community
S
Schwerpunkt      Dialog und Interdisziplinarität

     Seit inzwischen über 20 Jahren ist
     der Chemiker Wolfgang A. Herr-
                                                Nora Pohle: Herr Professor Herr-
                                                mann, gerade die neuen Technologien,
                                                                                             dass es am Ende die jungen Leute immer
                                                                                             am meisten überzeugt, wenn sie merken,
                                                                                                                                         „Man muss immer
                                                wie etwa autonom fahrende Autos,             dass der Dozent nicht nur ein Fachmann
                                                                                                                                         das machen,
     mann Präsident der Technischen
     Universität München, doch schon            sind für die Bevölkerung oftmals mit         ist, sondern auch ein Mensch, der über
     als Student engagierte er sich als         Ängsten verknüpft. Ist es die Pflicht        die Zahlen und Fakten hinaus Interessen
     Sprecher in seinem Studenten-
     wohnheim. Die 23-jährige Nora
     Pohle studiert im Master Elektro-
                                                der Universität hier Aufklärungsar-
                                                beit zu leisten? Oder ist das eher ein
                                                Thema, das die Politik angehen muss?
                                                                                             hat. Ich kann Ihnen sagen, wie ich das
                                                                                             früher angegangen bin: Ich war Dozent
                                                                                             in der Zeit der erbitterten Auseinander-
                                                                                                                                         was einem selbst
     technik und Informationstechnik
     und wurde von ihren Kommilitonen
                                                Wolfgang A. Herrmann: Ich glaube bei-
                                                des, und zwar wechselseitig. Universität
                                                                                             setzung der chemischen Industrie mit der
                                                                                             beginnenden „grünen Welle“. Ich habe        Erfüllung bringt.“
     gerade zum dritten Mal als Studie-         muss „die Zeit vorausdenken“.                einzelne Themen aus den Medien aufge-
     rendenvertreterin in den Senat der                                                      nommen und mit den Studierenden zu-
     TUM gewählt. Für KontakTUM tra-            Nora Pohle: Was meinen Sie damit?            sammen überlegt, , wie man das erstens
     fen sich beide zum Gespräch über           Wolfgang A. Herrmann: Sie muss das,          sachlich korrekt und dennoch verständ-
     ihren jahrelangen Einsatz bei der          was bisher nicht bekannt ist, erstens zu     lich hätte schreiben können. Dann haben
     Mitgestaltung der Universität.             erschließen versuchen und zweitens zu        wir zweitens darüber gesprochen, was
                                                bewerten verstehen. Jetzt ist die For-       ein Ereignis – wie etwa der Industrie-
     Die angehende Ingenieurin Nora             schung immer komplexer, schwieriger          unfall im indischen Bhopal – für unsere
     Pohle denkt über die Disziplinen hi-       geworden, und für die Menschen immer         Zunft bedeutet und welche Erkenntnisse
     naus. Sie studiert nebenbei Philoso-       schwerer verständlich. Und selbst mir        und Einsichten man braucht, um solche
     phie mit dem Nebenfach Psychologie         geht es ja so, dass ich mich erst genau      Ereignisse zu vermeiden. Das kam bei                                                                              Präsident Herrmann engagierte sich schon als Student
     an der Ludwig-Maximilians-Universi-        informieren muss, was zum Beispiel mit       den Studis super an, weil sie exempla-                                                                               als Sprecher in seinem Wohnheim. Masterstudentin
     tät. Zu ihrem Engagement im Senat          ‚Big Data‘ gemeint ist, ob das überhaupt     risch verstanden haben, dass ihr Fach                                                                              Nora Pohle wurde gerade zum dritten Mal als Studie-
     kam sie über den Einsatz in der Fach-      ein trennscharfer Begriff ist, was das für   nicht isoliert in der Welt steht, sondern                                                                               rendenvertreterin in den Senat der TUM gewählt.
     schaft Elektrotechnik und Informa-         Art von Daten sind, was man damit ma-        für die Menschen da sein muss.
     tionstechnik, in der sie sich seit ihrem   chen kann. Und wie muss es erst der Be-
     dritten Studiensemester einbringt:         völkerung gehen, wenn sie ständig aus        Nora Pohle: Sie sprechen es ja gera-
     „Da habe ich sehr schnell mitbekom-        der Wissenschaft irgendwelche Schlag-        de an: Das Lernen am praktischen
     men, wie offen die Kultur hier an der      worte hört, für die viel Geld verbraucht     Beispiel geht natürlich am besten,
     TUM ist, wieviel man mitgestalten          wird, um wettbewerbsfähig zu sein. Und       wenn man selber mal wo anpackt              dieser Verantwortung für die Allgemein-     Nora Pohle:                                schulpolitischen Bereich – Sie werden
     kann, und wie viele Chancen ausge-         deswegen meine ich, es ist eine Bring-       und mitmacht. Ich denke, dass es eine       heit wächst und dann macht man weiter.      Haben Sie dafür ein Beispiel?              das kennen – diese ganzen juristischen
     lassen werden, wenn sich niemand           schuld der Wissenschaft geworden, sich       wichtige Aufgabe der Universität ist,       Das war bei mir in der Jugend auch so.      Wolfgang A. Herrmann: Nehmen Sie           Themen, die können schon sehr, sehr
     findet, der es tut.“ Das Engagement        gegenüber der Gesellschaft verständlich      Studierende dazu anzuleiten, selbst         Die Universität ist ein Lebens- und Ent-    etwa die Stellungnahmen der Studieren-     trocken sein. Man beschäftigt sich
     hätte so viel Spaß gemacht, dass sie       zu artikulieren. Wir müssen da sprech-       gesellschaftliche Verantwortung zu          wicklungsraum, der die jungen Talente       den zu unseren Berufungsverfahren, die     damit, um irgendein anderes Ziel zu
     automatisch weitermachen wollte.           fähig sein.                                  übernehmen, aktiv zu werden, auch           fördert, aber auch zur Erweiterung ihres    wir vor 20 Jahren eingeführt haben. Aus    erreichen, aber man muss sich dieses
                                                                                             neben dem Studium und über die              Bildungshorizonts beiträgt. Deswegen        meiner Erfahrung sind das durch und        Ziel immer wieder vor Augen führen,
     Auch Präsident Herrmann kennt              Nora Pohle: Wenn Sie jetzt ganz kon-         Fachbücher hinaus. Wie bringt denn          unterstützen wir zum Beispiel Musik-        durch ehrliche Statements, die mir als     um sich zu motivieren. Können Sie da
     aus eigener Erfahrung diese Art            kret als Professor eine Lehrveranstal-       die TUM ihre Studierenden dazu,             veranstaltungen, Sportangebote und          demjenigen, der dann schließlich beruft,   Tipps geben? Wie motiviert man sich,
     von „Ansteckung“ und würde sich            tung gestalten würden, in der Sie den        sich einzubringen, und welche Ver-          studentisch organisierte Feste wie GAR-     schon sehr viel geholfen haben. Und        immer weiter mit so viel Herzblut
     wünschen, dass noch viel mehr Stu-         Studierenden eben auch ihre gesell-          besserungsmöglichkeiten sehen Sie da        NIX oder TUNIX, die Fachschaftsarbeit       zwar, weil der Blick der Studierenden      dabei zu bleiben, wie Sie jetzt auch
     dierende Vorbildern wie Nora Pohle         schaftliche Verantwortung nahe brin-         noch?                                       sowieso. Gleichzeitig ist es so, dass die   ein unbefangener, ein uneingeschränk-      schon seit über 20 Jahren?
     nacheifern würden. Für das Alumni-         gen wollen, wie würden Sie das denn          Eine richtige, aber auch schwierige         Mitwirkung und die Kritikfähigkeit der      ter ist und weil er auf die pädagogische   Wolfgang A. Herrmann: Wenn ich
     Magazin sprachen beide über die            anpacken, dass es nicht ein reines           Frage. Als Allererstes würde man sich       Studierenden bei der Professorenschaft      Kompetenz gerichtet ist.                   schwierige Gespräche vor mir habe,
     Stellung der Universität in der Ge-        Auswendiglernen von irgendwelchen            wünschen, dass die Studierenden noch        und der Universitätsleitung willkommen                                                 dann sage ich mir manchmal: Unabhän-
     sellschaft, die Notwendigkeit, inter-      Ethiktheorien wird?                          sehr viel stärker ihren Repräsentanten      sein müssen. Sie müssen merken, dass        Nora Pohle: Andererseits bedeutet          gig davon, was rauskommt, auch diese
     disziplinär zu denken und die He-          Wolfgang A. Herrmann: Also ich hätte         nacheifern, die sich in den Dienst der      ihre Anliegen ernst genommen werden,        Engagement aber auch, sich mit Fel-        Stunde werde ich überleben wie schon
     rausforderung, sich immer wieder           den Vorteil, dass ich keine einzige Ethik-   Gemeinschaft stellen, wie Sie, Frau Poh-    dass es auf die Studierenden ankommt –      dern zu beschäftigen, mit denen man        viele vorher (lacht). Doch jede Stunde
     selbst für diese wichtigen Aufgaben        theorie kenne und da gar nicht so theo-      le, und etliche andere. Dann merkt man,     sie sind Teil unseres Erfolgs und unseres   bisher noch nicht so viel zu tun hatte.    ist wertvoll, frei nach Goethe: Das Ge-
     zu motivieren.                             retisch werden könnte (lacht). Ich finde,    dass man selber an der Wahrnehmung          Misserfolgs.                                Gerade zum Beispiel hier im hoch-          spräch ist erquicklicher als das Licht.

16               KontakTUM Herbst/Winter 2016                                                                                                                                                                                                                             17
KontakTUM Magazin - Richtig verbinden Ein Heft über Dialog und Interdisziplinarität an der TUM - TUM Community
Schwerpunkt   Dialog und Interdisziplinarität

                                                                                           Die größte Motivation ist eigentlich die     wichtig ist. Die Wissenschaft hat mir lange   oder andersherum BWL-Master für
                                                                                           Erkenntnis, dass man aus jeder Situa-        sehr, sehr viel bedeutet. Ich habe für die    die Naturwissenschaftler und Ingeni-
                                                                                           tion - vor allem jeder überraschenden –      Wissenschaft gefiebert, habe aber auch        eure, dann aber auch die Soziologie in
                                                                                           immer wieder einen Erfahrungsgewinn          die Lehre nicht vernachlässigt. Als ich die   Science and Technology Studies und
                                                                                           für’s Leben hat. Als ich noch Gutachter      Erstsemestervorlesung, die Experimental-      jetzt ganz neu den Politik-Bachelor
                                                                                           bei der Alexander von Humboldt-Stif-         vorlesung, gemacht habe, da war ich in der    mit der technischen Vertiefung, auf
                                                                                           tung war und Postdocs für Stipendien         Früh um sechs Uhr im Vorbereitungsraum,       den wir sehr gespannt sind. Ich glaube,
                                                                                           ausgewählt habe – das war übrigens auch      um acht Uhr hat die Vorlesung angefangen.     es ist ein sehr gelungener Studiengang.
                                                                                           eine ehrenamtliche Tätigkeit – war mein      Kurz zuvor habe ich mich auch in die erste    Bekommen wir denn auch einen Poli-
                                                                                           persönlicher Gewinn, dass ich in kurzer      Reihe gesetzt, meine Tafel angesehen und      tik-Master für die Naturwissenschaft-
                                                                                           Zeit das ganze Spektrum der Fachdiszi-       überlegt, in welcher Reihenfolge ich mit      ler und Ingenieure ähnlich dem Master
                                                                                           plinen kennengelernt habe. Wir waren         welchen Themen die Tafel beschreibe. Und      Management & Technology?
                                                                                           insgesamt 42 Gutachter, und ich habe         das ist wichtig, dass am Ende, wenn Sie       Wolfgang A. Herrmann: Klar, das ist
                                                                                           die Anorganische Che-                                                                                       geplant. Wenn es den
                                                                                           mie vertreten, aber wir                                                                                     Dozenten gelingt, ein gu-
                                                                                           hatten von der Christo-                                                                                     tes Fundament in den Poli-
                                                                                           logie über die Restau-
                                                                                           rierungswissenschaften
                                                                                           bis hin zur Astrophysik
                                                                                                                             „Je näher man                                                             tikwissenschaften zu legen
                                                                                                                                                                                                       – das ist natürlich wichtig
                                                                                                                                                                                                       – und dann noch die Tech-
                                                                                           Anträge aus den un-
                                                                                           terschiedlichsten Dis-
                                                                                           ziplinen. Da bekommt
                                                                                                                             zusammenwirkt,                                                            nik dazu kommt, das kann
                                                                                                                                                                                                       ein großer Gewinn für die
                                                                                                                                                                                                       Studierenden sein. Wenn
                                                                                           man automatisch mit,
                                                                                           was die Wissenschaf-
                                                                                           ten aktuell bewegt und
                                                                                                                             desto tiefer                                                              man die Studierenden
                                                                                                                                                                                                       stärker in die Ableitung
                                                                                                                                                                                                       solcher Thematiken ein-
                                                                                           worüber geredet wird.
                                                                                           Zum Teil zehre ich
                                                                                           heute noch von dieser
                                                                                                                             werden die                                                                bezieht, zum Beispiel in
                                                                                                                                                                                                       der Form von Gruppendis-
                                                                                                                                                                                                       kussionen, dann haben sie
                                                                                           Erfahrung. In dieser
                                                                                           Phase habe ich so rich-
                                                                                           tig begonnen, mich für
                                                                                                                             Beziehungen.“                                                             mehr davon, als wenn sie
                                                                                                                                                                                                       ein 08/15-Politikstudium
                                                                                                                                                                                                       absolvieren.
                                                                                           andere Fächer zu inter-
                                                                                           essieren. Und in meiner                                                                                      Nora Pohle: Macht das
                                                                                           jetzigen Position muss                                                                                       auch die TUM Alumni
                                                                                           ich das sowieso: Ich bin ja nicht mehr als   den Hörsaal verlassen, die Tafel vollendet    aus im Vergleich zu den Alumni
                                                                                           Chemiker hier, sondern als Präsident und     beschrieben ist. Nicht nur, weil dann eine    anderer Hochschulen?
                                                                                           da bin ich für alle da und verantwortlich.   Übersicht da ist, sondern weil die Studie-    Wolfgang A. Herrmann: Das ist wie immer
                                                                                                                                        renden sehen, der strengt sich für uns an.    im Leben: Je näher man zusammenwirkt
        Präsident Wolfang A. Herrmann und Studierendenvertreterin Nora Pohle treffen       Nora Pohle: Würden Sie sagen, dass           Man muss immer das machen, was einem          und Interesse, ja Aufmerksamkeit fürei-
        sich regelmäßig auf den Senatssitzungen der TUM. Trotzdem hatten sich beide beim   Sie mehr der Unipräsident sind, der          selbst Erfüllung bringt. So habe ich unter-   nander hat – in der Familie ebenso wie in
                                                                                           sich gesellschaftlich und hochschul-         schiedliche Talente entwickelt und für die    einer Universität –, desto tiefer werden die
        Gespräch im Café des Vorhoelzer Forums der TUM viel zu erzählen und genossen es,   politisch engagiert, oder eher der           TUM genutzt, und dass seit 31 Jahren.         Beziehungen. Das finde ich riesig, das ist
                                                                                           Wissenschaftler?                                                                           richtig toll an unserer Universität. Alles an-
        außerhalb der Tagesordnung miteinander zu diskutieren, unter anderem über die
                                                                                           Wolfgang A. Herrmann: Das kann man           Nora Pohle: Die TUM bietet mittler-           dere, dass die Leute gute Wissenschaft ma-
        Frage, wie man seine Mitmenschen für ehrenamtliches Engagement motiviert.          schwer voneinander trennen. Das Leben        weile ja eine ganze Reihe an inter-           chen und Forschung und so, das sollte man
                                                                                           ist für mich wirklich interessant geworden   disziplinären Studiengängen wie zum           ja eigentlich erwarten, oder? Aber dass die
                                                                                           durch den Mix aus vielen Tätigkeiten. Ich    Beispiel die Betriebswirtschaftslehre         Leute zusammenhalten, das ist schon etwas
                                                                                           bin ja auch Familienvater, was mir ganz      mit dem technischen Schwerpunkt               Besonderes an unserer TUM.

18            KontakTUM Herbst/Winter 2016                                                                                                                                                                                             19
Raus                                Schwerpunkt   Dialog und Interdisziplinarität

aus
                                    Ob automatisiertes Fahren oder das Arbeiten mit
                                    Robotern: Damit ihre Absolventen auf die wichti-
                                    gen technologischen Herausforderungen dieser
                                    Zeit reagieren können, fördert die TUM auf viel-
                                    fältige Weise den Kontakt zwischen Ingenieuren
                                    und anderen Disziplinen. Soziologie, Kognitions-
                                    wissenschaft und Co. können helfen, Chancen

dem
                                    und Risiken neuer Technologien für die Gesell-
                                    schaft abzuschätzen, und Anleitungen für eine
                                    sinnvolle Weiterentwicklung der Tätigkeitsfelder
                                    geben. Dieser interdisziplinäre Austausch wird in
                                    zahlreichen Arbeitsgruppen und Institutionen
                                    an allen drei Standorten der TUM gelebt.

Elfenbein-
20   KontakTUM Herbst/Winter 2016                                                       21
Schwerpunkt   Dialog und Interdisziplinarität

              i
                      n der Debatte um die Zukunft              einzuschalten? Unter welchen Bedingungen            Gelebte Interdisziplinarität bei den Doktoranden des ASHAD-Projekts
                      des Automobils lässt sich                 entscheiden sich Unternehmer, automatisierte        (v.l.n.r): Johannes Klepsch (Lehrstuhl für Mathematische Statistik und
                      momentan vor allem ein Trend              Systeme in ihre Fahrzeuge einzubauen? Zu-           Lehrstuhl für Philosophie und Wissenschaftstheorie), Jan Gogoll (Lehrstuhl
                      ausmachen: Es soll automa-                sätzlich werden auch Methoden zur Risiko-           für Wirtschaftsethik), Christopher Kohl (Lehrstuhl für Wirtschaftsinforma-
                                                                                                                    tik), Anna Feldhütter (Lehrstuhl für Ergonomie), Ulf Steinberg (Professur für
                      tisiert fahren. „Schon allein aus         abschätzung und Frühwarnsysteme für den
                                                                                                                    Forschungs- und Wissenschaftsmanagement) und Christoph Hohenberger
                       demografischer Sicht wird sich an der    Kommunikationsbedarf zu sozialen, ethischen
                                                                                                                    (Lehrstuhl für Strategie und Organisation).
                       individuellen Mobilität etwas ändern“,   und kulturellen Aspekten entwickelt.
                       sagt Prof. Dr. Klaus Bengler vom TUM
                       Lehrstuhl für Ergonomie, der sich vor    „In diesem Projekt treffen Forscher aus
              allem mit der Gestaltung und Bewertung von        verschiedenen Disziplinen aufeinander mit
              Mensch-Maschine-Interaktion beschäftigt.          ihren ganz unterschiedlichen Kulturen, über
              Autonomisiertes Fahren würde nach Ansicht         Technologie zu denken und zu sprechen“,
              von Klaus Bengler eine regelrechte Zeiten-        berichtet Klaus Bengler. Da komme es manch-
              wende einläuten: „Autofahren könnte insge-        mal regelrecht einer „kognitiven Verrenkung“
              samt sicherer und komfortabler werden –           gleich, wenn man versuche, sich gegenseitig
              gerade auch für ältere Autofahrer. Autonome       zu verstehen und gemeinsame Lösungen zu
              Autos sind innerhalb einer Kolonne schneller      finden. „Am Ende ist es aber gerade dieser
              und effizienter, wodurch besonders im Stadt-      interdisziplinäre Austausch, der das Projekt so
              verkehr Stehzeiten und Kraftstoff eingespart      erfolgsversprechend macht“, so Klaus Bengler.
              werden können.“ Viele Vorteile also und trotz-    Während also zum Beispiel die Informatiker
              dem ist auch diese Technologie – wie keine        Daten darüber erheben, wie im Internet über
              vor ihr – risikofrei zu haben und wird neue       das Thema automatisiertes Fahren gespro-
              Anforderungen an Nutzer und Gesellschaft          chen wird, werden am Lehrstuhl für Ergono-
              stellen. Das machte erst kürzlich die Nachricht   mie Experimente mit kleinen Stichproben an
              vom ersten tödlichen Unfall mit einem selbst-     Probanden durchgeführt. Im Fahrsimulator
              fahrenden Auto deutlich. „Als Entwickler müs-     können diese testen, wie es ist, den Fahr- und
              sen wir uns also gut überlegen, welche Effekte    Steuerungsprozess dem Fahrzeug selbst zu
              mit dieser Technologie verbunden sind und wie     überlassen.
              wir sie davon ausgehend für den Menschen
              gestalten wollen“, so Klaus Bengler.              „Die TUM hat einen großen Vorsprung“
                                                                In ihrem Leitbild verpflichtet sich die TUM, ihre
              An der TUM beschäftigt sich unter anderem         Studierenden für die verantwortliche Beglei-
              das so genannte ASHAD-Projekt am Munich           tung von gesellschaftlichen Veränderungs-
              Center for Technology in Society (MCTS)           prozessen zu rüsten. Der Masterstudiengang
              mit diesen Fragen. Die Abkürzung steht für        „Human Factors Engineering“ am Lehrstuhl
              „Automation and Society: Highly Automated         für Ergonomie beispielsweise hat das Ziel, die
              Driving“. Im Projekt versuchen Doktoranden        Studierenden interdisziplinär auf die Erstel-
              von sieben verschiedenen Lehrstühlen – von        lung, Implementierung und Bewertung zukünf-
              der Ergonomie über die Wirtschaftsinformatik      tiger Konzepte für die Interaktion von Mensch
              bis hin zur Philosophie – Aufschlüsse über die    und Technik in verschiedenen Anwendungs-
              Erfolgsfaktoren und Barrieren bei der Realisie-   feldern vorzubereiten. An der TUM School of
              rung von Großprojekten im Bereich der Mobili-     Management werden seit 2002 Wirtschaftswis-
              tät, im Speziellen bei autonomen Autos, zu fin-   senschaftler transdisziplinär an der Schnitt-
              den. Eine große Rolle spielen zum Beispiel die    stelle von Management und Technik-, Natur-
              mit dem automatisierten Fahren verbundenen        und Lebenswissenschaften ausgebildet.
              Entscheidungsprozesse: Wann sind die Nutzer       Das Munich Center for Technology in Society
              überhaupt dazu bereit, automatisierte Systeme     (MCTS) ist das Zentrum für Wissenschaft- und

22            KontakTUM Herbst/Winter 2016                                                                                                                                                          23
Schwerpunkt    Dialog und Interdisziplinarität

                                                                                                                                                                                        Autonome Fahrzeuge
                                                                                                                                                                                        auf dem Campus
                                                                                                                                                                                        Garching
                                                                                                                                                                                        Ginge es nach dem „German Innovation Lab“
                                                                                                                                                                                        (GIL), könnte der Garchinger Campus der TUM
                                                                                                                                                                                        in den nächsten Jahren eines der ersten öffent-
                                                                                                                                                                                        lichen Testfelder für autonom fahrende Autos in
                                                      Politiker Markus Ferber                                                                                                           Deutschland werden. Auf abgesperrtem Gelände
                                                 (Elektrotechnik und Informa-                                                                                                           sind längst auch Autos deutscher Hersteller
                                                     tionstechnik 1990) konnte                                                                                                          völlig autonom unterwegs. Auf öffentlichen
                                                        bei seiner Arbeit für das                                                                                                       Straßen muss aber in Deutschland aus versiche-
                                                Europäische Parlament schon                                                                                                             rungsrechtlichen Gründen immer ein Fahrer am
                                                häufig von seiner technischen                                                                                                           Steuer sitzen, der im Notfall übernehmen kann.
                                                        Ausbildung an der TUM                                                                                                           Nun sucht das German Innovation Lab nach
                                                profitieren – auch wenn es um
                                                                                                                                                                                        einem geeigneten öffentlichen Testfeld, auf dem
                                                         Wirtschaftspolitik ging.
                                                                                                                                                                                        auch Fahrzeuge ohne Fahrer fahren dürfen. Den
                                                                                                                                                                                        Forschungscampus Garching hält die Denk-
                                                                                                                                                                                        fabrik in mehrfacher Hinsicht für ideal geeignet.
              Technikforschung an der TUM. Es interessiert             so Klaus Bengler. Seiner Meinung nach gehört              bleibt, dann muss ich mich um die Störgrößen           „Autonomes oder automatisches Fahren ist
              sich besonders für die modernen Technowissen-            es zu den Ausbildungsaufgaben einer modernen              von außen kümmern und den Output so gestal-            neben Antriebssystemen die wichtigste Heraus-
              schaften, wie Life Sciences und Ingenieurwissen-         Universität, die Studierenden – seien es nun sehr         ten, dass alle damit leben können.“ Für ihn sei        forderung der Straßenverkehrstechnik. Dies ist
              schaften, und für ihre Wechselwirkungen mit der          gut in ihren Disziplinen verankerte Ingenieure,           es faszinierend gewesen, diese Erkenntnis aus          auch ein wissenschaftliches Thema, weil auto-
              Gesellschaft. Dabei kooperieren Sozialwissen-            Sozialwissenschaftler oder Psychologen – in               der Regelungstechnik auf ein fachfremdes Feld          matisches Fahren nur mit Hilfe komplexer und
              schaftler, Historiker und Philosophen mit Natur-         diesen Belangen entscheidungsfähig zu machen.             anwenden zu können: „Meine Kollegen waren              zuverlässiger Sensor- und Informationssysteme
              und Technikwissenschaftlern. Ihre Forschung              Und dazu gehöre eben notwendigerweise neben               aber ein bisschen frustriert, weil sie nicht ver-      gelingen kann“, sagt TUM-Präsident Wolfgang A.
              orientiert sich sowohl an den Arbeitsfeldern der         der jeweiligen fachlichen Expertise auch der Aus-         standen haben, wovon ich geredet habe“, scherzt        Herrmann. „Wir sind im weltweiten Wettbewerb
              TUM wie Energie, Robotik oder Mobilität als auch         tausch mit anderen Disziplinen.                           Ferber. Umso besser, dass die TUM ihr Portfolio        um die besten Lösungen und deswegen ist es
              an systematischen Fragen zu Risiko, Nichtwissen                                                                    kürzlich um eine zusätzliche Dimension erweitert       höchste Zeit, dass diese Thematik konzentriert
              oder Digitalisierung. In Vorträgen, Themen-              „Wie in der Regelungstechnik                              hat, als sie die Trägerschaft für die Hochschule für   angegangen wird. Unser Forschungscampus
              Tagen, Experten-Workshops und anderen Veran-             an einer komplexen Maschine“                              Politik übernahm (S. 26). Hier werden mit Beginn       Garching hat dafür alle Kompetenzen.“
              staltungen suchen die Forschungsgruppen des              Das kann auch Markus Ferber bestätigen: Er hat            dieses Wintersemesters Politikwissenschaftler
              MCTS den Dialog mit der Öffentlichkeit, Politik          an der TUM in den achtziger Jahren Elektrotech-           auch in Feldern hoher politisch-gesellschaftlicher
              und Wirtschaft. Auch das ist für die TUM höchst          nik und Informationstechnik studiert und 1990 mit         Relevanz aus den Technik- und Naturwissen-
              relevant: „Die Gesellschaft soll wissen, was wir in      Diplom abgeschlossen. Seit über 20 Jahren ist er          schaften, den Lebenswissenschaften und der
              Wissenschaft und Technik für unsere Zukunft tun          Mitglied im Europäischen Parlament und konnte             Medizin ausgebildet. Die Vision neben der Politik
              und wie wir junge Menschen auf die Zukunfts-             dort von seiner technischen Ausbildung sehr               und der Wissenschaft auch die Unternehmen zur
              aufgaben vorbereiten“, heißt es dazu im Leitbild.        profitieren. Vor allem in seinem derzeitigen Haupt-       interdisziplinären Zusammenarbeit mit an Bord zu
              „Wir haben an der TUM einen großen Vorsprung             tätigkeitsfeld – der Wirtschaftspolitik – hilft ihm der   holen, verwirklicht die TUM unter anderem durch
              zu anderen Universitäten, weil hier konsequent           technische Ansatz oftmals zur Lösungsfindung.             das im Jahr 2005 gegründete Institute for Advan-
              Begegnungsmöglichkeiten mit anderen Diszi-                                                                         ced Study (TUM-IAS). Spitzenwissenschaftler aus
              plinen geschaffen werden“, lobt Klaus Bengler.           „Ich muss mich in meiner Arbeit zum Beispiel der          Universitäten und Forschungseinrichtungen sowie
              Ingenieure müssten ein Gespür dafür bekommen,            Frage stellen, wie man Börsen reguliert. Das habe         Top-Kräfte aus der Industrie können im TUM-
              die relevanten Fragen auch schon vor und wäh-            ich in meiner Ausbildung eigentlich nicht gelernt“,       IAS als sogenannte „Fellows“ einen längeren
              rend des Entwicklungsprozesses zu stellen und            erzählt Markus Ferber. Letztendlich sei aber              Forschungsaufenthalt verbringen. Gemeinsam
              zu klären. „Wie entscheiden wir beispielsweise,          die Börse auch nichts anderes als ein System              mit den Wissenschaftlern der TUM
              wenn sich die Frage stellt, ob es sinnvoller ist, die    mit Input und Output: „Das ist dann wie in der            verfolgen sie interdisziplinäre Projekte
              Zeit im automatisierten Fahrzeug zu nutzen oder          Regelungstechnik an einer komplexen Maschi-               in neuen Forschungsgebieten, die
              sicherheitshalber den Verkehr zu überwachen“,            ne: Wenn ich möchte, dass das System stabil               besonders zukunftsweisend sind.                        Autonom fahrende Fahrzeuge sind nichts Neues für
                                                                                                                                                                                        den Garchinger Campus. Schon im Rahmen des DFG-
                                                                                                                                                                                        Sonderforschungsbereichs „Kognitive Automobile“ drehte
                                                                                                                                                                                        ein autonom fahrender Audi Q7 dort seine Runden.

24              KontakTUM Herbst/Winter 2016                                                                                                                                                                                                25
Schwerpunkt    Dialog und Interdisziplinarität

              So fördert die
              TUM Dialog und
              Interdisziplinarität
                                                                                                            Mit der Übernahme der Trägerschaft für die Hochschule für Politik erweitert die TUM ihr Fächerportfolio.
                                                                                                            Die künftigen Studierenden können Einrichtungen und Angebote der TUM ohne Einschränkung nutzen.
              Die Technische Universität München trägt Verantwortung für den gesell-
              schaftlichen Dialog. Sie setzt sich zum Ziel, Studierende für die verantwort-
              liche Begleitung gesellschaftlicher Veränderungsprozesse zu rüsten. Mit einem                 die Teilnahme an Netzwerkveranstaltungen,            Themen mit hoher politisch-gesellschaft-
                                                                                                            Karriereangebote und das Online-Netzwerk             licher Relevanz aus dem Fächerportfolio
              vielfältigen Portfolio - unter anderem verwirklicht in Verbindung mit der TUM
                                                                                                            (www.together.tum.de). Weil die Auswirkun-           der TUM integriert, also aus Technik- und
              School of Education, der TUM School of Management und dem Munich Center                       gen des technologischen Fortschritts zum             Naturwissenschaften sowie aus Lebenswis-
              for Technology in Society - bietet die TUM eine einzigartige Struktur für                     Beispiel in den Bereichen Energie, Umwelt,           senschaften und Medizin. Die Studierenden
                                                                                                            Klimawandel, Big Data, Datensicherheit und           können Module aus diesen Feldern wählen
              ganzheitliche Bewertungs- und Steuerungsprozesse.                                             Mobilität eine immer zentralere Rolle in der         und so bereits im Grundstudium ihr eigenes
                                                                                                                                                                 Profil entwickeln – wie auch im mehrmonati-
                                                                                                                                                                 gen Praxisprojekt, das sie bei einem Politik-
                                                                                                                                                                 akteur im In- oder Ausland absolvieren.
                                                                                                            P RODUKTIVE
              Unter dem Motto „Politikwissenschaft neu        sagt Prof. Wolfgang A. Herrmann, Präsident
              denken“ bildet die Hochschule für Politik       der TUM. „Mit dem fächerübergreifenden        VERBINDUNG                                           „Wir haben die Hochschule für Politik in Re-
              (HfP) gemeinsam mit der TUM ab Okto-            Charakter des Studiengangs wollen wir                                                              kordzeit neu aufgestellt, der Landtag hat sie
              ber 2016 zudem die Politikwissenschaft-         die Absolventen in die Lage versetzen, die    TUM übernimmt                                        mit umfangreichen Ressourcen ausgestat-
              ler von morgen aus und erweitert dadurch        Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft,       Trägerschaft der                                     tet“, sagt TUM-Präsident Herrmann. „Mit in-
              nochmals das Portfolio. Im Juli 2014 traf       Politik und Technologie zu analysieren und    Hochschule für Politik                               ternational erfahrenen Wissenschaftlerinnen
              der Bayerische Landtag die Leitentschei-        die politischen Rahmenbedingungen die-                                                             und Wissenschaftlern wird die HfP künftig in
              dung, die HfP an der TUM anzusiedeln und        ser Felder zu gestalten.“ Die Hochschule                                                           Forschung, Lehre und Politikberatung deut-
              diese zur Trägeruniversität zu machen. In       für Politik befindet sich bereits seit Mit-   Gesellschaft spielen, können die neuen Ba-           liche Akzente zu den politischen Verände-
              deren exzellentem wissenschaftlichen Um-        te 2016 in unmittelbarer Nähe ihrer neuen     chelorstudierenden der HfP bereits während           rungen in Zeiten des tiefgreifenden techno-
              feld können sich neue Perspektiven aus der      Trägeruniversität: im „Brienner Forum“ am     ihres Studiums Zukunftstechnologien näher            logischen und gesellschaftlichen Wandels
              Verbindung von gesellschaftswissenschaft-       Königsplatz. Die künftigen Studierenden       kennenlernen: Der neue Studiengang um-               setzen.“ Positiv äußert sich auch der Land-
              lichen und ingenieur- beziehungsweise na-       der HfP, die gleichzeitig auch an der TUM     fasst die klassischen Teilbereiche der Politik-      tagsabgeordnete Markus Blume als Vor-
              turwissenschaftlichen Disziplinen erschlie-     eingeschrieben sein werden, haben zu de-      wissenschaft. Zudem erwerben die Studie-             sitzender des Reformbeirats: „Es entsteht
              ßen. „Die rasante Technikentwicklung hat        ren Einrichtungen und Angeboten ebenso        renden Grundlagenkenntnisse in verwandten            eine in Deutschland einzigartige politikwis-
              dazu geführt, dass technologische Fragen        Zugang wie die TUM-Studierenden. Frühere      Bereichen wie Wirtschaft und Recht. Einzig-          senschaftliche Einrichtung – mit eigener
              heute in nahezu allen Politikfeldern eine be-   und zukünftige Alumni der HfP können alle     artig in der politikwissenschaftlichen Aus-          Top-Ausstattung und in fantastischer Sym-
              deutende, oft entscheidende Rolle spielen“,     Vorteile des TUM Netzwerks nutzen, wie        bildung ist, dass das neue Studienangebot            biose mit der Exzellenzuniversität TUM.“

26              KontakTUM Herbst/Winter 2016                                                                                                                                                                           27
Schwerpunkt   Dialog und Interdisziplinarität

                                                                                                                        Sieben neue Professuren
                                                                                                                        an der Hochschule für Politik
                                                              Prof. Dr. Eugénia da Conceição-Heldt ist                  Um das wichtigste Reformziel, nämlich die Ausrichtung auf
                                                              Reformrektorin der Hochschule für Politik                 die Wechselwirkungen zwischen technischem Fortschritt,
                                                              und Professorin des Lehrstuhls für European               gesellschaftlichem Wandel und politischem Handeln zu errei-
                                                              and Global Governance. Sie kommt von der                  chen, wurden sieben neue Professuren an der HfP eingerich-
                                                              Technischen Universität Dresden, wo sie den               tet. Die Auswahl erfolgte durch eine Berufungskommission,
                                                              Lehrstuhl für Internationale Politik innehat-             der Politik-, Technik- und Sozialwissenschaftler von Rang ange-
                                                              te und Geschäftsführende Direktorin des
                                                                                                                        hörten. Die sieben Kollegiumsmitglieder werden maßgeblich den
                                                              Instituts für Politikwissenschaft war. Zuvor
                                                                                                                        neuen Bachelorstudiengang Politikwissenschaft gestalten, der
                                                              forschte sie unter anderem an der Harvard
                                                                                                                        zum Wintersemester 2016/17 startet. Daneben werden auch
                                                              University und der Freien Universität Berlin.
                                                              2010 erhielt sie ein Heisenberg-Stipendium                andere Professuren der TUM Lehrveranstaltungen überneh-
                                                              der DFG, 2012 einen mit 1,3 Millionen Euro                men. Umgekehrt wird das Studium an der TUM um politik-
                                       FRAGEN                 dotierten Forschungspreis des European
                                                              Research Council (ERC).
                                                                                                                        wissenschaftliche Aspekte bereichert, da die Neuberufenen
                                                                                                                        auch dort lehren werden.

     an Prof. Dr. Eugénia da Conceição-Heldt

     Warum erfährt die Hochschule für Politik unter           haben, dann bekommen Sie spätestens dann ein
     der Trägerschaft der TUM eine inhaltliche Neu-           Problem, wenn es um die Einführung dieser neuen
     ausrichtung? Es geht uns darum, die Politikwissen-       Technologie geht. Insofern ist es wichtig, dass auch
     schaft neu zu denken, indem man sie um die Tech-         Ingenieure eine Art Einführung in die Grundlagen der
     nikdimension erweitert. An der neuen HfP werden wir      Politikwissenschaft vermittelt bekommen. Wir kön-
     also nicht nur den klassischen Kanon der Politikwis-     nen ihnen sagen, wie die Entscheidungsfindungs-
     senschaft vermitteln, sondern versuchen, die neuen       prozesse in einem föderalen Staat wie Deutschland
     Technologien und die Herausforderungen des Re-           funktionieren – aber auch darüber hinaus: Viele Pro-
     gierens im digitalen Zeitalter zu berücksichtigen. Die   zesse finden heute ja auf EU-Ebene oder global statt.
     Frage lautet: Was ändert sich hier für die Akteure und
     die Institutionen? Ein gutes Beispiel: Die politischen   Wohin gehen die Absolventen der HfP nach
     Akteure müssen heute in der Regel viel schneller auf     ihrer Ausbildung? Ich sehe drei große Bereiche, in
     Ereignisse reagieren, denn die Kommunikation er-         denen unsere Absolventen tätig werden: Erstens tat-
     folgt ja nicht mehr nur über die klassischen Medien,     sächlich als Beamte im politischen Feld. Die HfP hat
     sondern auch über Soziale Medien wie Facebook            sich ja seit ihrer Gründung als Kaderschmiede vor
     oder Twitter. Man kann hier von einer digitalen Re-      allem für die bayerische Politik verstanden. Wir wol-
     volution sprechen, weil die Beziehungen zwischen         len noch weitergehen und unsere Absolventen für die
     den Institutionen und die Strukturen transparenter       Bundesebene, aber auch für die europäische und in-
     werden und Veränderungen dadurch schneller von-          ternationale Ebene fit machen. Zweitens sind die Ab-
     statten gehen. Nur durch eine transdisziplinäre          solventen bestens ausgebildet, um in die Wirtschaft
     Herangehensweise können wir diesen Herausforde-          zu gehen. Sie können zum Beispiel im Bereich Public
     rungen der Zukunft begegnen.                             Relations tätig werden, denn hier spielt die politische
                                                              Akzeptanz von Unternehmensentscheidungen eine
     Inwiefern können denn die Ingenieurwissen-               große Rolle. Die dritte Komponente der Ausbildung
     schaften von den Politikwissenschaften profi-            ist dann natürlich, dass wir Forscher und Wissen-
     tieren und umgekehrt? Vor allem in Bezug auf die         schaftler ausbilden. Wir werden dementsprechend in
     Entwicklung neuer Technologien können sich für           einem Jahr auch einen Masterstudiengang und lang-         v.l.n.r. Prof. Dr. Jürgen Pfeffer, Prof. Dr. Lisa Herzog, Dr. Hannemor Keidel (Beauftragte des Präsidenten
     beide Disziplinen Synergieeffekte ergeben. Für jede      fristig eine Graduiertenschule haben. Die Verbindung      für die Hochschule für Politik München), Prof. Dr. Eugénia da Conceição-Heldt (Rektorin der Hochschule
     technische Neuerung brauchen Sie in der Regel            zwischen Politik und Technologie, die wir jetzt bie-      für Politik München), Dr. Claudia Höfer-Weichselbaumer (Verwaltungsdirektorin der Hochschule für Politik
     die Akzeptanz der Bevölkerung. Wenn Sie die nicht        ten, ist wirklich etwas Neues in Deutschland.             München), Prof. Dr. Stefan Wurster, Prof. Dr. Tim Büthe und Prof. Dr. Simon Hegelich.

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                                                                                 Zu Besuch an ihre Alma Mater kamen TUM
                                                                                Alumni Manfred Färber und Ulrike Irmscher.
                                                                                      Dort trafen sie sich im TUM Hörsaal mit
                                                                                        Studierendenvertreter Philipp Rinner.

                         MITREDEN             &   G E S TA LT E N

           Sollen sich Studierende neben dem Studium auch hochschulpolitisch
       engagieren? „Ja“, sagen drei TUM Alumni, die es wissen müssen. Manfred
           Färber (Maschinenwesen 1969) war 1966 AStA-Vorsitzender, Ulrike
         Irmscher (Mathematik 1968) gehörte als eine der ersten Frauen zu den
          Semestersprechern und Philipp Rinner (Sportwissenschaften 2015) ist
                  derzeit Vertreter der Studierenden im Senat der TUM.

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                                                             „Damals herrschte allgemein ein
                                                             Gefühl der Aufbruchsstimmung.
     „So war das damals“: Manfred Färber hatte
     zum Gespräch sein altes Fotoalbum mit-
                                                            Die Studierenden haben sich stark
     gebracht. Da wurden Erinnerungen an die              gemacht und demonstrierten für eine
     Studienzeit schnell wieder lebendig.                            bessere Bildungspolitik“,
                                                                        erklärt Ulrike Irmscher.

                                                 „Damals“ das war Mitte der 60er Jahre, als Manfred
                                                 Färber und Ulrike Irmscher an der TUM studierten.
                                                 Eine der ersten Demos fand im Juni 1965 statt, als
                                                 Klaus Irmscher (Elektrotechnik und Informations-
                                                 technik 1967), Ulrike Irmschers inzwischen verstor-
                                                 bener Ehemann, noch Vorsitzender des Allgemeinen
                                                 Studierendenausschusses (AStA) war. Die Studie-        schem Engagement sei. So würde zum Beispiel nicht       Demonstrationszug der
                                                 rendenschaft ging auf die Straße und verlangte Um-     deutlich genug gemacht, wie wichtig für Wirtschaft      Studierenden 1966 auf

                                                 gestaltung: „Es ging zum Beispiel darum, dass mehr     und Industrie neben den fachlichen Fähigkeiten die      den Königsplatz: Später
                                                                                                                                                                hielt Manfred Färber vor
                                                 jungen Leuten das Studium ermöglicht wird und          sogenannten „Soft Skills“ sind, die sozialen und per-
                                                                                                                                                                10.000 Zuhörern eine
                                                 nicht mehr nur einer kleinen Gesellschaftsschicht“,    sönlichen Kompetenzen. „So kann es passieren,
                                                                                                                                                                flammende Rede, um
                                                 erinnert sich Ulrike Irmscher. Als Manfred Färber      dass im BWL-Studium eine Vielzahl an Einzelkämp-
                                                                                                                                                                gegen ein im Landtag vor-
                                                 den AStA-Vorsitz übernahm, setzte sich die Studie-     fern ausgebildet wird. Dass aber Verhandlungsfä-
                                                                                                                                                                liegendes Hochschulge-
                                                 rendenschaft dafür ein, dass die Hochschulgesetze      higkeit, Teamwork und auch Führungskompetenzen          setz zu protestieren, das
                                                 verändert werden. In einer flammenden Rede, beim       durch hochschulpolitisches Engagement erlernt           die Freiheit der akademi-
                                                 Demonstrationsmarsch am 6. Juli 1966, forderte er      werden, wird kaum wahrgenommen“, so Philipp             schen Selbstverwaltung
                                                 im Namen von rund 10.000 Studierenden mehr Frei-       Rinner. Auch Manfred Färber hat später im Berufs-       beschränkt hätte.
                                                 heit innerhalb der Hochschulverwaltung: „Das Kultus-   leben von seiner Zeit als Studierendensprecher sehr
                                                 ministerium bestimmte zum Beispiel wie die Profes-     profitiert: „Meinen eigenen Standpunkt vertreten zu
                                                 sorenstellen besetzt werden sollten. Da wollten wir    können und keine Angst vor hohen Tieren zu haben,
                                                 mehr Mitspracherecht“, erinnert sich Manfred Färber.   das habe ich in meinen Auseinandersetzungen mit
                                                 „Und das konnte auch durchgesetzt werden, und          Rektoren und Ministern geprobt.“ Dieser direkte
                                                 wir profitieren heute davon“, ergänzt Philipp Rin-     Austausch mit Entscheidungsträgern sei ein großer
                                                 ner. „In jeder Berufungskommission für Professo-       Vorteil des hochschulpolitischen Engagements: „Wo
                                                 ren sitzt an der TUM ein Studierendenvertreter mit     ist das für Studierende denn sonst noch möglich?“
                                                 Stimmrecht.“ Philipp Rinner, der derzeit sein Mas-
                                                 terstudium in Wirtschaftswissenschaften macht,         Vieles hat sich in den letzten 50 Jahren verändert:
                                                 setzt sich seit drei Jahren in zahlreichen Ämtern      Die hochschulpolitischen Themen und auch die
                                                 für die studentischen Belange ein. Im Oktober 2015     Bereitschaft mitzugestalten. Manches aber kehrt
                                                 wurde er in den Senat und Hochschulrat der TUM         wieder: „Wir wollten uns damals ausschließlich für
                                                 gewählt. Mit seinem Interesse für den AStA gehört      hochschulpolitische und nicht für bundespolitische
                                                 er zur Ausnahme unter seinen Kommilitonen. Dass        Themen einsetzen. Das haben wir beim Heidelber-
                                                 die Studierendenschaft heute oft nur zögerlich für     ger Treffen der deutschen Studierendenschaft klar
                                                 ein hochschulpolitisches Engagement zu gewinnen        gemacht. Da waren die Berliner und Hamburger
                                                 ist, läge unter anderem am vorherrschenden Leis-       damals anders drauf“, erinnert sich Manfred Fär-
                                                 tungs- und Zeitdruck. „Die Studierenden konzen-        ber. „Spannend“, findet das Philipp Rinner. „Das ist
                                                 trieren sich aufs Studium. Manche müssen noch          heute noch so. Wir sind vor zwei Jahren aus dem
                                                 nebenbei arbeiten.“ Aber auch die heutigen Stu-        Deutschlandverband ausgetreten, weil wir fanden,
                                                 dierenden erheben sich und demonstrieren, wenn         dass es zu bundespolitisch läuft.“ Und auch das
                                                 es um etwas geht, das die Einzelnen unmittelbar        Bemühen der TUM Studierenden um internatio-
                                                 betrifft. „Bis 2013 ging es um das Thema Studien-      nalen Austausch ist heute so präsent wie damals.
                                                 gebühren und um die Einführung eines Semester-         Während die Studierenden der 60er Jahre den ers-
                                                 tickets durch die Münchner Verkehrsgesellschaft.       ten deutsch-tschechischen Studierendenaustausch
                                                 Da gab es Demonstrationen und die Studierenden         begründeten, setzen sich die heutigen Studierenden
                                                 engagierten sich auch politisch“, so Philipp Rinner.   für die Studien-Teilhabe Geflüchteter ein. Rund 200
                                                 Seiner Ansicht nach müsse stärker kommuniziert         junge Flüchtlinge sind derzeit an der TUM als Gast-
                                                 werden, was der Mehrwert von hochschulpoliti-          hörer eingeschrieben.

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