KontakTUM Magazin - Richtig verbinden Ein Heft über Dialog und Interdisziplinarität an der TUM - TUM Community
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KontakTUM Magazin Für Alumni der Technischen Universität München Herbst/Winter 2016 Richtig verbinden Ein Heft über Dialog und Interdisziplinarität an der TUM
Editorial Dialog beginnt, Was die Welt wo Generationen zusammenhält T verbunden werden. Dr. Daniel Tomic rechnet den Erfolg seines Familien- agtäglich habe ich mit Menschen aus den verschiedensten Disziplinen zu tun: Ingenieure, Mathematiker und Wirtschafts- unternehmens auch seiner Ausbildung an der TUM an. Als Stifter wissenschaftler treffe ich sowohl auf Netzwerkevents der TUM der TUM Universitätsstiftung möchte er heute seinen Dank als auch im Rahmen der Karriereberatung. Mit Journalisten, dafür ausdrücken. Unterstützen auch Sie Ihre Alma Mater. Fotografen und Grafikern spreche ich über die Gestaltung des www.tum-universitaetsstiftung.de Alumni-Magazins. Ich liebe diese Vielfalt, und für mich kann es KontakTUM Redakteurin wirklich gar nicht bunt genug zugehen. Aufregend ist, dass all Sabrina Eisele diese Menschen eine jeweils eigene Art zu sprechen und zu denken haben. Interdisziplinarität bedeutet für mich deshalb auch Bereitschaft zum Dialog: Erst wenn wir uns auf die Denk- und Sprechweisen des anderen einlassen, gewinnen wir zusätzliche Erkenntnisse und werden selbst kommunikationsfähiger. Mit jedem Fach- bereich, den ich streife, mit jedem Arbeitsfeld, das mir „in die Quere“ kommt, erfahre ich mehr darüber, was die einzelnen Disziplinen miteinander verbindet, wie ihre Denkstrukturen funk- tionieren und – zumindest fühle ich das ganz nach faustischer Art manchmal so – „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Was gesellschaftlich und politisch engagierte Alumni unter einem gelungen Dialog verstehen, das lesen Sie ab Seite 6. Diese Ausgabe des Alumni-Magazins bringt Personen verschie- An der TUM habe ich dener Disziplinen und Generationen miteinander ins Gespräch: erfahren, was Deutsche Im großen Interview tauschen sich TUM Studierendenvertreterin Nora Pohle und TUM Präsident Prof. Dr. Wolfgang A. Herrmann Ingenieurskunst wirklich über die Rolle der Universität in der Gesellschaft und ihr eige- bedeutet. Deshalb fördere nes jahrelanges Engagement für die Hochschulpolitik aus (S. 14). In der Reihe „Zurück in den Hörsaal“ trifft Studierenden- Auch mit einem Dosentelefon ich Forschungsprojekte vertreter Philipp Rinner auf AStA-Urgestein Manfred Färber, der kann man heutzutage noch und junge Talente.“ Mitte der sechziger Jahre vor 10.000 Münchner Studierenden nach einem Demonstrationsmarsch auf dem Königsplatz eine richtig verbunden sein: Wie bei einer Tauschaktion mit einem flammende Rede hielt, um gegen ein im Landtag vorliegen- Dosentelefon Spenden eingeworben Dr. Daniel Tomic MBA des Hochschulgesetz zu protestieren (S. 30). Und in der Mitte wurden und was das TUM Netzwerk TUM Alumni, Unternehmer und Stifter dieses Heftes erfahren Sie, was die TUM ab sofort mit der damit zu tun hat, lesen Sie in den auf der Dachterrasse der TUM mit dem Ausbildung von Politikwissenschaftlern zu tun hat (S. 26). Ich Neuigkeiten der TUM Community: Uhrenturm im Hintergrund wünsche Ihnen eine belebende und dialoganregende Lektüre. www.community.tum.de 3
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis 03 Editorial 26 So fördert die TUM… KontakTUM Redakteurin Dialog und Interdisziplinarität Sabrina Eisele über die Plus: Die neue Hochschule für Idee dieses Heftes Politik an der TUM 06 Stimmen der TUM 30 Zurück in den Hörsaal TUM Alumni und Studierende Studierendenvertreter Philipp Rinner erzählen, was für sie persönlich traf AStA-Urgestein Manfred Färber 14 Interview: Studierenden- gelungenen Dialog ausmacht 14 „Als Präsident bin ich 34 Wir gehören zusammen 06 Professor Gerald Thurner, seine Tochter Stimmen der TUM: Wie funktioniert guter Dialog? vertreterin Nora Pohle traf für alle verantwortlich“ Professorin Veronika Thurner und ihr Präsident Herrmann Mann Michael Arbesmeier sind eine TUM-Präsident Wolfgang A. Herrmann echte TUM-Alumni-Familie im Gespräch über hochschulpolitisches Engagement mit Studierendenvertreterin Nora Pohle 38 Pinnwand Nachrichten aus dem Netzwerk der TUM 20 Raus aus dem Elfenbeinturm 46 Grüße aus… Warum Dialog und Interdisziplinarität an der TUM Ingenieur Carlos Munoz sendet so hoch geschätzt werden Grüße aus seiner Wahlheimat Brasilien 20 30 Zurück in den Hörsaal: Engagement im AStA damals und heute Impressum KontakTUM erscheint im Selbstverlag, zweimal jährlich, Auflage: 50.000. 20 Raus aus dem Elfenbeinturm: Kontakt lena Jooss: 3, 4 (Ferber, ASHAD-Projekt, Alumni im Hörsaal), 6-7, Technische Universität München 23, 24, 31-32, 35-36, 48; KONUX: 43; NavVis: 4, 40; Privat: 8, Über Dialog und Corporate Communications Center 9 (Tausend/Porträt), 10-11, 12, 13 (Alfreider), 33, 39 (Bücher), 40 Alumni & Career, 80290 München (accu:rate), 43 (Olympia), 46; ProGlove: 41; Fred Schöllhorn: 13 Interdisziplinarität Tel. +49 89 289 22563 (Bock); SimScale: 41; TUM Asia: 39 (Herrmann); Shutterstock Fax +49 89 289 22870 VERSUSstudio: 1 (Cover) alumniundcareer@tum.de Grafische Durchführung Herausgeber Pixelperfektion, München KontakTUM digital Der Präsident der Technischen Universität München Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang A. Herrmann Herstellung in Englisch und Deutsch Druckerei Joh. Walch www.walchdruck.de 38 Redaktion www.together.tum.de/epub Gerlinde Friedsam (verantwortlich), Dr. Sabrina Eisele Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur in Absprache mit der Redaktion. Autorinnen Dr. Andreas Battenberg, Dr. Sabrina Eisele, Beatrix Köber Nach Artikel 3 Abs. 2 des Grundgesetzes sind Frauen und Männer gleichberechtigt. Alle Personen- und Funktionsbezeichnungen in Pinnwand: Neuigkeiten aus dem Netzwerk der TUM Fotos KontakTUM beziehen sich in gleicher Weise auf Frauen und Männer. Günther Anthuber: 25; BayStartUP / Andreas Schebesta: 38; Die alleinige Verwendung der männlichen Form an einigen Stellen dient Astrid Eckert: 2, 4 (Herrmann), 14-18, 29; Peter Finger: 9 (Tau- der besseren Lesbarkeit des Textes. send/Gruppe); Andreas Heddergott: 27, 28; iuvas: 42; Magda- ISSN 1868-4084 4 KontakTUM Herbst/Winter 2016 5
KontakTUM Thema Unternehmen Stimmen der TUM Markus Ferber (Elektrotechnik und Informationstechnik 1990) engagiert sich bereits seit seiner Schul- zeit auf parteipolitischer Ebene für die CSU und ist seit über 20 Jahren als Mitglied im Europäischen Parlament tätig. Hier profitiert er von dem interdisziplinären Denken, das er während seiner ingenieurwis- senschaftlichen Ausbildung an der TUM gelernt hat. „Wer bei uns nicht dialogfähig ist, der braucht gar nicht in den Prozess einzusteigen“, so Markus Ferber. Die spannendste Form des Dialogs liegt für ihn in der Kommunikation mit den Bürgern: „Wir müssen die Menschen mitnehmen, bei dem was wir auf europäischer Ebene tun.“ Mehr über Markus Ferber ab Seite 22. Wie funktioniert… TUM Alumni und Studierende erzählen, was für sie persönlich gelungenen Dialog ausmacht. 6 KontakTUM Herbst/Winter 2016 7
Stimmen der TUM Peter Pernsteiner „Dialog bedeutet, dass man über Partei- grenzen, Generationen oder Firmenhier- archien hinweg offen ist für Argumente, die einer Sache dienlich sind. Dabei muss man bereit sein, die eigene Meinung über Bord zu werfen, wenn es überzeugendere Lösungsvorschläge gibt. Ein guter Dialog sollte sich sukzessive der Problemstellung nähern. Man muss sich genügend Zeit gönnen und bereit sein, ein Thema auch mal zu vertagen.“ Peter Pernsteiner (Elektrotechnik und Informationstechnik 1987) ist seit 2003 Vorsitzender seines FDP-Ortsverbandes. Seit 2007 ist er ehrenamtlich im Gemeinderat von Zorneding bei München und setzt sich unter anderem für die Aufrechterhaltung der Schuldenfreiheit der Gemeinde ein. Bereits im Studium hat er sich im Fachbereichsrat und im Senat der TUM engagiert. Claudia Tausend (Geographie 1992) ist seit 2014 Vorsitzende der Münchner SPD. Von 1996 bis zu ihrer Wahl in den Deutschen Bundestag im Oktober 2013 war sie Stadträtin in München und Sprecherin im Planungs- ausschuss sowie stellvertretende Vorsitzende der Rathausfraktion. Sie engagiert sich auch außerhalb der Politik als Mitglied im Mieterverein, bei der IG Metall, der Arbeiterwohlfahrt und sogar in einem Männer- gesangsverein. Im Sommer folgte sie einer Einladung der TUM: Junge Akademie, dem Förderprogramm der TUM für ihre außerordentlich talentierten und engagierten Studierenden, und kam zum Gespräch über die politische Situation in Europa. Claudia Tausend „Seit gut zwanzig Jahren habe ich nun schon politische Mandate inne, zuerst im Münchner Stadtrat und seit 2013 im Deutschen Rupert Heindl Bundestag. Ohne die Fähigkeit, auf Augenhöhe mit den verschie- „Beim Dialog sollte es sich densten Gesprächspartnern zu kommunizieren, hat man in diesem um einen gegenseitigen Beruf keinen Erfolg. Voraussetzung ist es, das Gegenüber zu res- Meinungsaustausch pektieren – auch bei gegensätzlichen Auffassungen. Politik bedeutet handeln. Demokratie zum auch stets Offenheit für alternative Handlungsmöglichkeiten und die Rupert Heindl (Bachelor Berufliche Bildung Me- Beispiel kann nur funktio- Bereitschaft bei schwierigen Fragen Kompromisse einzugehen. Das talltechnik und Religionslehre 2015) engagiert sich nieren, wenn sich Menschen gelingt nur, wenn ich versuche, die Sichtweise des anderen als Landesvorsitzender der Katholischen Landju- gendbewegung Bayern. Als UN-Jugenddelegierter und insbesondere die Jugend besser zu verstehen.“ für Nachhaltige Entwicklung bringt er die Anliegen ernst genommen fühlen. Das der Jugend bei den Vereinten Nationen ein. Mit ist dann der Fall, wenn ihre seinem Engagement möchte er andere Menschen Meinungen und Anliegen dazu motivieren, sich für eine nachhaltige Zukunft gehört werden. Guter Dialog einzusetzen. Zusammen mit seiner Kollegin bei der Jugenddelegation traf er Bundeskanzlerin heißt für mich deshalb vor Angela Merkel bei einem Kanzlerempfang in New allem erst einmal richtig York am Rande der UN-Generalversammlung. zuzuhören!“ 8 KontakTUM Herbst/Winter 2016 9
Stimmen der TUM Dr. Thomas Theil „Ein Dialog darf durchaus auch ein Streitgespräch sein. Ich stelle immer wieder fest, dass viele Men- schen sich nicht bewusst sind, dass unser Denken ohne Sprache gar nicht funktioniert. Die Notwendig- keit, im Dialog die eigene Meinung in Worte zu fassen, unterstützt unmittelbar das Denken. Insbeson- dere im technikwissenschaftlichen Bereich erlebe ich immer wieder, wie sich im Dialog Probleme klären lassen und Lösungen gefunden werden können.“ Dr. Thomas Theil (Promotion Elektrotechnik und Informationstechnik 1990) hält zusammen mit seinem Geschäftspartner in einer Erfindergemeinschaft zirka 50 Patente in der Weg- und Winkelmeßtechnik. Er engagiert sich als Ortsteilsprecher für den Gemeinderat in Feldafing. Neben all seinen Aktivitäten ist ihm seine Familie sehr wichtig. Das Bild zeigt Dr. Thomas Theil mit seiner Frau in einem Heißluftballon während des letzten Urlaubs in Kappadokien. Ingrid Pongratz „Zu meiner Arbeit gehört der respektvolle Umgang mit den Menschen und der persönliche Kontakt. Wichtig ist es, sich der Sorgen und Nöte anzunehmen. Die meisten Konflikte unter den Menschen entstehen, weil wir tendenziell von uns selbst, von unseren eigenen Bedürfnis- sen ausgehen. Die große Kunst liegt darin, sich immer bewusst zu sein, dass andere Menschen anders ticken. Nur im Dialog können diese Konflikte ausgeräumt werden.“ Ingrid Pongratz (Maschinenwesen 1982) ist seit 2003 erste Bürgermeisterin der Kreisstadt Miesbach in Bayern und damit die erste Frau auf diesem Posten. Bereits während ihrer Schul- zeit am Gymnasium Miesbach war sie politisch interessiert. 1995 fragte sie der damalige Bür- germeister der Stadt Miesbach, ob sie Lust hätte, sich politisch zu engagieren und im Stadtrat mitzuarbeiten. Nach reiflicher Überlegung und in Absprache mit ihrer Familie – ihre beiden Söhne waren damals 14 und 11 Jahre alt – entschied sie sich, zu kandidieren. 10 KontakTUM Herbst/Winter 2016 11
Stimmen der TUM Gisela Bock „Wenn man mit Menschen kommuni- zieren will, auch um ihnen zu helfen, ist Dialogbereitschaft unerlässlich. Das bedeutet, dass man sich die Anliegen der Menschen anhört und sie ernst nimmt. Es ist wichtig, auf Augenhöhe mit den Menschen zu sprechen und ihnen zu zeigen, dass man sie schätzt.“ Gisela Bock (Chemie 1965) ist ehemalige bayerische Landtagsabgeordnete der Sascha FDP. Heute engagiert sie sich im Rahmen Kienzle eines von ihr gegründeten Vereins für Seniorinnen und Senioren, um diese vor Einsamkeit im Alter zu bewahren. Für ihr Sascha Kienzle (Politische Wissenschaften 2010) ist Referent an der Deutschen langjähriges Engagement wurde sie 2011 Botschaft in Singapur und Bangkok. Als Leiter der Abteilung für Wissenschaft mit dem Bayerischen Verdienstorden und Technologie kümmert er sich um die Wissenschaftspolitik, empfängt und ausgezeichnet. Zur Politik gekommen ist begleitet Wissenschaftsdelegationen und informiert über die Forschungs- sie durch ihre ehrenamtliche Arbeit als landschaft in Singapur und Deutschland. Elternbeiratsvorsitzende in Kindergarten, Grundschule und Gymnasium während „Kurt Cobain sang einst: Who needs action when you got words.“ Damit trifft er der Schulzeit ihrer Söhne. das, was Dialog in der Außenpolitik für mich bedeutet: Es geht um kommunikatives Handeln. Dialog dient in der Diplomatie dazu, Probleme gemeinsam im Gespräch zu lösen und auf unliebsame Maßnahmen zu verzichten. Er ist die Essenz zur friedlichen Streitbeilegung und damit zentrales Element von Außenpolitik und Diplomatie. Guter Dialog funktioniert nur, wenn er zielgerichtet und auf Augenhöhe geführt wird. Allen Parteien muss die Möglichkeit eingeräumt werden, am Dialog teilzunehmen, sei es als Zuhörende oder als Sprechende. Um zu funktionieren, sollten Argumente auf der Wahrheit beruhen. Nur dann kann der Dialog seine volle Wirkung entfalten.“ Daniel Alfreider Dr. Carlos Chiu Fu (Elektrotechnik und Informationstechnik 1982) ist internationaler Ansprechpartner für das „Dialog heißt für mich, selbst eine Meinung zu haben, TUM Netzwerk in Peru und hat vor kurzem eine Schule in seiner Heimatstadt Huánuco in den peruanischen diese zu erarbeiten und dann im Spannungsfeld Gesell- Anden gegründet. Sie soll junge Leute in technologischem, ingenieurwissenschaftlichem und nachhaltigem schaft, Freundschaftskreis, Arbeitswelt zu eichen. Denken ausbilden. Ich beobachte jedoch eine gefährliche Tendenz: Heute wird Dialog oft so gelebt, dass jeder einzelne von uns eigen- ständig und willkürlich alles behaupten und von sich geben will, aber dann nicht mehr die Zeit investiert, um die eigene Dr. Carlos Chiu Fu Meinung zu hinterfragen und dann entweder zu unter- „Dialog ist für mich mehr als die reine Konversation zwischen zwei oder mauern oder eventuell zu korrigieren.“ mehr Personen. Es handelt sich um eine zwischenmenschliche Interaktion, in der Personen sowohl etwas über eine Sache als auch über die anderen am Daniel Alfreider (Bauingenieurwesen 2005) engagiert sich Dialog beteiligten Personen lernen können. Wenn man versucht, ein Problem als Abgeordneter der Südtiroler Volkspartei im Römi- zu lösen, kann Dialog als eine Art Brainstorming funktionieren. Um einen guten schen Parlament für die Anliegen Südtirols auf nationaler Ebene. Als Bauingenieur am Projekt Brenner Basistunnel Dialog zu führen, sollten alle teilnehmenden Personen so offen wie möglich ist er verantwortlich für die Stabsstelle Kosten- und sein. Zuhören ist dabei genauso wichtig wie Sprechen.“ Risikomanagement. Im TUM Netzwerk engagiert er sich als Ansprechpartner für sein Heimatland Italien. 12 KontakTUM Herbst/Winter 2016 13
Schwerpunkt Dialog und Interdisziplinarität „Als Präsident ICH I I N bin ich für alle AL MN TE U RVI verantwortlich.“ E W N E EINE Studierendenvertreterin Nora Pohle traf TUM-Präsident Wolfgang A. Herrmann zum Gespräch über hochschulpolitisches Engagement. 14 KontakTUM Herbst/Winter 2016 15
S Schwerpunkt Dialog und Interdisziplinarität Seit inzwischen über 20 Jahren ist der Chemiker Wolfgang A. Herr- Nora Pohle: Herr Professor Herr- mann, gerade die neuen Technologien, dass es am Ende die jungen Leute immer am meisten überzeugt, wenn sie merken, „Man muss immer wie etwa autonom fahrende Autos, dass der Dozent nicht nur ein Fachmann das machen, mann Präsident der Technischen Universität München, doch schon sind für die Bevölkerung oftmals mit ist, sondern auch ein Mensch, der über als Student engagierte er sich als Ängsten verknüpft. Ist es die Pflicht die Zahlen und Fakten hinaus Interessen Sprecher in seinem Studenten- wohnheim. Die 23-jährige Nora Pohle studiert im Master Elektro- der Universität hier Aufklärungsar- beit zu leisten? Oder ist das eher ein Thema, das die Politik angehen muss? hat. Ich kann Ihnen sagen, wie ich das früher angegangen bin: Ich war Dozent in der Zeit der erbitterten Auseinander- was einem selbst technik und Informationstechnik und wurde von ihren Kommilitonen Wolfgang A. Herrmann: Ich glaube bei- des, und zwar wechselseitig. Universität setzung der chemischen Industrie mit der beginnenden „grünen Welle“. Ich habe Erfüllung bringt.“ gerade zum dritten Mal als Studie- muss „die Zeit vorausdenken“. einzelne Themen aus den Medien aufge- rendenvertreterin in den Senat der nommen und mit den Studierenden zu- TUM gewählt. Für KontakTUM tra- Nora Pohle: Was meinen Sie damit? sammen überlegt, , wie man das erstens fen sich beide zum Gespräch über Wolfgang A. Herrmann: Sie muss das, sachlich korrekt und dennoch verständ- ihren jahrelangen Einsatz bei der was bisher nicht bekannt ist, erstens zu lich hätte schreiben können. Dann haben Mitgestaltung der Universität. erschließen versuchen und zweitens zu wir zweitens darüber gesprochen, was bewerten verstehen. Jetzt ist die For- ein Ereignis – wie etwa der Industrie- Die angehende Ingenieurin Nora schung immer komplexer, schwieriger unfall im indischen Bhopal – für unsere Pohle denkt über die Disziplinen hi- geworden, und für die Menschen immer Zunft bedeutet und welche Erkenntnisse naus. Sie studiert nebenbei Philoso- schwerer verständlich. Und selbst mir und Einsichten man braucht, um solche phie mit dem Nebenfach Psychologie geht es ja so, dass ich mich erst genau Ereignisse zu vermeiden. Das kam bei Präsident Herrmann engagierte sich schon als Student an der Ludwig-Maximilians-Universi- informieren muss, was zum Beispiel mit den Studis super an, weil sie exempla- als Sprecher in seinem Wohnheim. Masterstudentin tät. Zu ihrem Engagement im Senat ‚Big Data‘ gemeint ist, ob das überhaupt risch verstanden haben, dass ihr Fach Nora Pohle wurde gerade zum dritten Mal als Studie- kam sie über den Einsatz in der Fach- ein trennscharfer Begriff ist, was das für nicht isoliert in der Welt steht, sondern rendenvertreterin in den Senat der TUM gewählt. schaft Elektrotechnik und Informa- Art von Daten sind, was man damit ma- für die Menschen da sein muss. tionstechnik, in der sie sich seit ihrem chen kann. Und wie muss es erst der Be- dritten Studiensemester einbringt: völkerung gehen, wenn sie ständig aus Nora Pohle: Sie sprechen es ja gera- „Da habe ich sehr schnell mitbekom- der Wissenschaft irgendwelche Schlag- de an: Das Lernen am praktischen men, wie offen die Kultur hier an der worte hört, für die viel Geld verbraucht Beispiel geht natürlich am besten, TUM ist, wieviel man mitgestalten wird, um wettbewerbsfähig zu sein. Und wenn man selber mal wo anpackt dieser Verantwortung für die Allgemein- Nora Pohle: schulpolitischen Bereich – Sie werden kann, und wie viele Chancen ausge- deswegen meine ich, es ist eine Bring- und mitmacht. Ich denke, dass es eine heit wächst und dann macht man weiter. Haben Sie dafür ein Beispiel? das kennen – diese ganzen juristischen lassen werden, wenn sich niemand schuld der Wissenschaft geworden, sich wichtige Aufgabe der Universität ist, Das war bei mir in der Jugend auch so. Wolfgang A. Herrmann: Nehmen Sie Themen, die können schon sehr, sehr findet, der es tut.“ Das Engagement gegenüber der Gesellschaft verständlich Studierende dazu anzuleiten, selbst Die Universität ist ein Lebens- und Ent- etwa die Stellungnahmen der Studieren- trocken sein. Man beschäftigt sich hätte so viel Spaß gemacht, dass sie zu artikulieren. Wir müssen da sprech- gesellschaftliche Verantwortung zu wicklungsraum, der die jungen Talente den zu unseren Berufungsverfahren, die damit, um irgendein anderes Ziel zu automatisch weitermachen wollte. fähig sein. übernehmen, aktiv zu werden, auch fördert, aber auch zur Erweiterung ihres wir vor 20 Jahren eingeführt haben. Aus erreichen, aber man muss sich dieses neben dem Studium und über die Bildungshorizonts beiträgt. Deswegen meiner Erfahrung sind das durch und Ziel immer wieder vor Augen führen, Auch Präsident Herrmann kennt Nora Pohle: Wenn Sie jetzt ganz kon- Fachbücher hinaus. Wie bringt denn unterstützen wir zum Beispiel Musik- durch ehrliche Statements, die mir als um sich zu motivieren. Können Sie da aus eigener Erfahrung diese Art kret als Professor eine Lehrveranstal- die TUM ihre Studierenden dazu, veranstaltungen, Sportangebote und demjenigen, der dann schließlich beruft, Tipps geben? Wie motiviert man sich, von „Ansteckung“ und würde sich tung gestalten würden, in der Sie den sich einzubringen, und welche Ver- studentisch organisierte Feste wie GAR- schon sehr viel geholfen haben. Und immer weiter mit so viel Herzblut wünschen, dass noch viel mehr Stu- Studierenden eben auch ihre gesell- besserungsmöglichkeiten sehen Sie da NIX oder TUNIX, die Fachschaftsarbeit zwar, weil der Blick der Studierenden dabei zu bleiben, wie Sie jetzt auch dierende Vorbildern wie Nora Pohle schaftliche Verantwortung nahe brin- noch? sowieso. Gleichzeitig ist es so, dass die ein unbefangener, ein uneingeschränk- schon seit über 20 Jahren? nacheifern würden. Für das Alumni- gen wollen, wie würden Sie das denn Eine richtige, aber auch schwierige Mitwirkung und die Kritikfähigkeit der ter ist und weil er auf die pädagogische Wolfgang A. Herrmann: Wenn ich Magazin sprachen beide über die anpacken, dass es nicht ein reines Frage. Als Allererstes würde man sich Studierenden bei der Professorenschaft Kompetenz gerichtet ist. schwierige Gespräche vor mir habe, Stellung der Universität in der Ge- Auswendiglernen von irgendwelchen wünschen, dass die Studierenden noch und der Universitätsleitung willkommen dann sage ich mir manchmal: Unabhän- sellschaft, die Notwendigkeit, inter- Ethiktheorien wird? sehr viel stärker ihren Repräsentanten sein müssen. Sie müssen merken, dass Nora Pohle: Andererseits bedeutet gig davon, was rauskommt, auch diese disziplinär zu denken und die He- Wolfgang A. Herrmann: Also ich hätte nacheifern, die sich in den Dienst der ihre Anliegen ernst genommen werden, Engagement aber auch, sich mit Fel- Stunde werde ich überleben wie schon rausforderung, sich immer wieder den Vorteil, dass ich keine einzige Ethik- Gemeinschaft stellen, wie Sie, Frau Poh- dass es auf die Studierenden ankommt – dern zu beschäftigen, mit denen man viele vorher (lacht). Doch jede Stunde selbst für diese wichtigen Aufgaben theorie kenne und da gar nicht so theo- le, und etliche andere. Dann merkt man, sie sind Teil unseres Erfolgs und unseres bisher noch nicht so viel zu tun hatte. ist wertvoll, frei nach Goethe: Das Ge- zu motivieren. retisch werden könnte (lacht). Ich finde, dass man selber an der Wahrnehmung Misserfolgs. Gerade zum Beispiel hier im hoch- spräch ist erquicklicher als das Licht. 16 KontakTUM Herbst/Winter 2016 17
Schwerpunkt Dialog und Interdisziplinarität Die größte Motivation ist eigentlich die wichtig ist. Die Wissenschaft hat mir lange oder andersherum BWL-Master für Erkenntnis, dass man aus jeder Situa- sehr, sehr viel bedeutet. Ich habe für die die Naturwissenschaftler und Ingeni- tion - vor allem jeder überraschenden – Wissenschaft gefiebert, habe aber auch eure, dann aber auch die Soziologie in immer wieder einen Erfahrungsgewinn die Lehre nicht vernachlässigt. Als ich die Science and Technology Studies und für’s Leben hat. Als ich noch Gutachter Erstsemestervorlesung, die Experimental- jetzt ganz neu den Politik-Bachelor bei der Alexander von Humboldt-Stif- vorlesung, gemacht habe, da war ich in der mit der technischen Vertiefung, auf tung war und Postdocs für Stipendien Früh um sechs Uhr im Vorbereitungsraum, den wir sehr gespannt sind. Ich glaube, ausgewählt habe – das war übrigens auch um acht Uhr hat die Vorlesung angefangen. es ist ein sehr gelungener Studiengang. eine ehrenamtliche Tätigkeit – war mein Kurz zuvor habe ich mich auch in die erste Bekommen wir denn auch einen Poli- persönlicher Gewinn, dass ich in kurzer Reihe gesetzt, meine Tafel angesehen und tik-Master für die Naturwissenschaft- Zeit das ganze Spektrum der Fachdiszi- überlegt, in welcher Reihenfolge ich mit ler und Ingenieure ähnlich dem Master plinen kennengelernt habe. Wir waren welchen Themen die Tafel beschreibe. Und Management & Technology? insgesamt 42 Gutachter, und ich habe das ist wichtig, dass am Ende, wenn Sie Wolfgang A. Herrmann: Klar, das ist die Anorganische Che- geplant. Wenn es den mie vertreten, aber wir Dozenten gelingt, ein gu- hatten von der Christo- tes Fundament in den Poli- logie über die Restau- rierungswissenschaften bis hin zur Astrophysik „Je näher man tikwissenschaften zu legen – das ist natürlich wichtig – und dann noch die Tech- Anträge aus den un- terschiedlichsten Dis- ziplinen. Da bekommt zusammenwirkt, nik dazu kommt, das kann ein großer Gewinn für die Studierenden sein. Wenn man automatisch mit, was die Wissenschaf- ten aktuell bewegt und desto tiefer man die Studierenden stärker in die Ableitung solcher Thematiken ein- worüber geredet wird. Zum Teil zehre ich heute noch von dieser werden die bezieht, zum Beispiel in der Form von Gruppendis- kussionen, dann haben sie Erfahrung. In dieser Phase habe ich so rich- tig begonnen, mich für Beziehungen.“ mehr davon, als wenn sie ein 08/15-Politikstudium absolvieren. andere Fächer zu inter- essieren. Und in meiner Nora Pohle: Macht das jetzigen Position muss auch die TUM Alumni ich das sowieso: Ich bin ja nicht mehr als den Hörsaal verlassen, die Tafel vollendet aus im Vergleich zu den Alumni Chemiker hier, sondern als Präsident und beschrieben ist. Nicht nur, weil dann eine anderer Hochschulen? da bin ich für alle da und verantwortlich. Übersicht da ist, sondern weil die Studie- Wolfgang A. Herrmann: Das ist wie immer renden sehen, der strengt sich für uns an. im Leben: Je näher man zusammenwirkt Präsident Wolfang A. Herrmann und Studierendenvertreterin Nora Pohle treffen Nora Pohle: Würden Sie sagen, dass Man muss immer das machen, was einem und Interesse, ja Aufmerksamkeit fürei- sich regelmäßig auf den Senatssitzungen der TUM. Trotzdem hatten sich beide beim Sie mehr der Unipräsident sind, der selbst Erfüllung bringt. So habe ich unter- nander hat – in der Familie ebenso wie in sich gesellschaftlich und hochschul- schiedliche Talente entwickelt und für die einer Universität –, desto tiefer werden die Gespräch im Café des Vorhoelzer Forums der TUM viel zu erzählen und genossen es, politisch engagiert, oder eher der TUM genutzt, und dass seit 31 Jahren. Beziehungen. Das finde ich riesig, das ist Wissenschaftler? richtig toll an unserer Universität. Alles an- außerhalb der Tagesordnung miteinander zu diskutieren, unter anderem über die Wolfgang A. Herrmann: Das kann man Nora Pohle: Die TUM bietet mittler- dere, dass die Leute gute Wissenschaft ma- Frage, wie man seine Mitmenschen für ehrenamtliches Engagement motiviert. schwer voneinander trennen. Das Leben weile ja eine ganze Reihe an inter- chen und Forschung und so, das sollte man ist für mich wirklich interessant geworden disziplinären Studiengängen wie zum ja eigentlich erwarten, oder? Aber dass die durch den Mix aus vielen Tätigkeiten. Ich Beispiel die Betriebswirtschaftslehre Leute zusammenhalten, das ist schon etwas bin ja auch Familienvater, was mir ganz mit dem technischen Schwerpunkt Besonderes an unserer TUM. 18 KontakTUM Herbst/Winter 2016 19
Raus Schwerpunkt Dialog und Interdisziplinarität aus Ob automatisiertes Fahren oder das Arbeiten mit Robotern: Damit ihre Absolventen auf die wichti- gen technologischen Herausforderungen dieser Zeit reagieren können, fördert die TUM auf viel- fältige Weise den Kontakt zwischen Ingenieuren und anderen Disziplinen. Soziologie, Kognitions- wissenschaft und Co. können helfen, Chancen dem und Risiken neuer Technologien für die Gesell- schaft abzuschätzen, und Anleitungen für eine sinnvolle Weiterentwicklung der Tätigkeitsfelder geben. Dieser interdisziplinäre Austausch wird in zahlreichen Arbeitsgruppen und Institutionen an allen drei Standorten der TUM gelebt. Elfenbein- 20 KontakTUM Herbst/Winter 2016 21
Schwerpunkt Dialog und Interdisziplinarität i n der Debatte um die Zukunft einzuschalten? Unter welchen Bedingungen Gelebte Interdisziplinarität bei den Doktoranden des ASHAD-Projekts des Automobils lässt sich entscheiden sich Unternehmer, automatisierte (v.l.n.r): Johannes Klepsch (Lehrstuhl für Mathematische Statistik und momentan vor allem ein Trend Systeme in ihre Fahrzeuge einzubauen? Zu- Lehrstuhl für Philosophie und Wissenschaftstheorie), Jan Gogoll (Lehrstuhl ausmachen: Es soll automa- sätzlich werden auch Methoden zur Risiko- für Wirtschaftsethik), Christopher Kohl (Lehrstuhl für Wirtschaftsinforma- tik), Anna Feldhütter (Lehrstuhl für Ergonomie), Ulf Steinberg (Professur für tisiert fahren. „Schon allein aus abschätzung und Frühwarnsysteme für den Forschungs- und Wissenschaftsmanagement) und Christoph Hohenberger demografischer Sicht wird sich an der Kommunikationsbedarf zu sozialen, ethischen (Lehrstuhl für Strategie und Organisation). individuellen Mobilität etwas ändern“, und kulturellen Aspekten entwickelt. sagt Prof. Dr. Klaus Bengler vom TUM Lehrstuhl für Ergonomie, der sich vor „In diesem Projekt treffen Forscher aus allem mit der Gestaltung und Bewertung von verschiedenen Disziplinen aufeinander mit Mensch-Maschine-Interaktion beschäftigt. ihren ganz unterschiedlichen Kulturen, über Autonomisiertes Fahren würde nach Ansicht Technologie zu denken und zu sprechen“, von Klaus Bengler eine regelrechte Zeiten- berichtet Klaus Bengler. Da komme es manch- wende einläuten: „Autofahren könnte insge- mal regelrecht einer „kognitiven Verrenkung“ samt sicherer und komfortabler werden – gleich, wenn man versuche, sich gegenseitig gerade auch für ältere Autofahrer. Autonome zu verstehen und gemeinsame Lösungen zu Autos sind innerhalb einer Kolonne schneller finden. „Am Ende ist es aber gerade dieser und effizienter, wodurch besonders im Stadt- interdisziplinäre Austausch, der das Projekt so verkehr Stehzeiten und Kraftstoff eingespart erfolgsversprechend macht“, so Klaus Bengler. werden können.“ Viele Vorteile also und trotz- Während also zum Beispiel die Informatiker dem ist auch diese Technologie – wie keine Daten darüber erheben, wie im Internet über vor ihr – risikofrei zu haben und wird neue das Thema automatisiertes Fahren gespro- Anforderungen an Nutzer und Gesellschaft chen wird, werden am Lehrstuhl für Ergono- stellen. Das machte erst kürzlich die Nachricht mie Experimente mit kleinen Stichproben an vom ersten tödlichen Unfall mit einem selbst- Probanden durchgeführt. Im Fahrsimulator fahrenden Auto deutlich. „Als Entwickler müs- können diese testen, wie es ist, den Fahr- und sen wir uns also gut überlegen, welche Effekte Steuerungsprozess dem Fahrzeug selbst zu mit dieser Technologie verbunden sind und wie überlassen. wir sie davon ausgehend für den Menschen gestalten wollen“, so Klaus Bengler. „Die TUM hat einen großen Vorsprung“ In ihrem Leitbild verpflichtet sich die TUM, ihre An der TUM beschäftigt sich unter anderem Studierenden für die verantwortliche Beglei- das so genannte ASHAD-Projekt am Munich tung von gesellschaftlichen Veränderungs- Center for Technology in Society (MCTS) prozessen zu rüsten. Der Masterstudiengang mit diesen Fragen. Die Abkürzung steht für „Human Factors Engineering“ am Lehrstuhl „Automation and Society: Highly Automated für Ergonomie beispielsweise hat das Ziel, die Driving“. Im Projekt versuchen Doktoranden Studierenden interdisziplinär auf die Erstel- von sieben verschiedenen Lehrstühlen – von lung, Implementierung und Bewertung zukünf- der Ergonomie über die Wirtschaftsinformatik tiger Konzepte für die Interaktion von Mensch bis hin zur Philosophie – Aufschlüsse über die und Technik in verschiedenen Anwendungs- Erfolgsfaktoren und Barrieren bei der Realisie- feldern vorzubereiten. An der TUM School of rung von Großprojekten im Bereich der Mobili- Management werden seit 2002 Wirtschaftswis- tät, im Speziellen bei autonomen Autos, zu fin- senschaftler transdisziplinär an der Schnitt- den. Eine große Rolle spielen zum Beispiel die stelle von Management und Technik-, Natur- mit dem automatisierten Fahren verbundenen und Lebenswissenschaften ausgebildet. Entscheidungsprozesse: Wann sind die Nutzer Das Munich Center for Technology in Society überhaupt dazu bereit, automatisierte Systeme (MCTS) ist das Zentrum für Wissenschaft- und 22 KontakTUM Herbst/Winter 2016 23
Schwerpunkt Dialog und Interdisziplinarität Autonome Fahrzeuge auf dem Campus Garching Ginge es nach dem „German Innovation Lab“ (GIL), könnte der Garchinger Campus der TUM in den nächsten Jahren eines der ersten öffent- lichen Testfelder für autonom fahrende Autos in Politiker Markus Ferber Deutschland werden. Auf abgesperrtem Gelände (Elektrotechnik und Informa- sind längst auch Autos deutscher Hersteller tionstechnik 1990) konnte völlig autonom unterwegs. Auf öffentlichen bei seiner Arbeit für das Straßen muss aber in Deutschland aus versiche- Europäische Parlament schon rungsrechtlichen Gründen immer ein Fahrer am häufig von seiner technischen Steuer sitzen, der im Notfall übernehmen kann. Ausbildung an der TUM Nun sucht das German Innovation Lab nach profitieren – auch wenn es um einem geeigneten öffentlichen Testfeld, auf dem Wirtschaftspolitik ging. auch Fahrzeuge ohne Fahrer fahren dürfen. Den Forschungscampus Garching hält die Denk- fabrik in mehrfacher Hinsicht für ideal geeignet. Technikforschung an der TUM. Es interessiert so Klaus Bengler. Seiner Meinung nach gehört bleibt, dann muss ich mich um die Störgrößen „Autonomes oder automatisches Fahren ist sich besonders für die modernen Technowissen- es zu den Ausbildungsaufgaben einer modernen von außen kümmern und den Output so gestal- neben Antriebssystemen die wichtigste Heraus- schaften, wie Life Sciences und Ingenieurwissen- Universität, die Studierenden – seien es nun sehr ten, dass alle damit leben können.“ Für ihn sei forderung der Straßenverkehrstechnik. Dies ist schaften, und für ihre Wechselwirkungen mit der gut in ihren Disziplinen verankerte Ingenieure, es faszinierend gewesen, diese Erkenntnis aus auch ein wissenschaftliches Thema, weil auto- Gesellschaft. Dabei kooperieren Sozialwissen- Sozialwissenschaftler oder Psychologen – in der Regelungstechnik auf ein fachfremdes Feld matisches Fahren nur mit Hilfe komplexer und schaftler, Historiker und Philosophen mit Natur- diesen Belangen entscheidungsfähig zu machen. anwenden zu können: „Meine Kollegen waren zuverlässiger Sensor- und Informationssysteme und Technikwissenschaftlern. Ihre Forschung Und dazu gehöre eben notwendigerweise neben aber ein bisschen frustriert, weil sie nicht ver- gelingen kann“, sagt TUM-Präsident Wolfgang A. orientiert sich sowohl an den Arbeitsfeldern der der jeweiligen fachlichen Expertise auch der Aus- standen haben, wovon ich geredet habe“, scherzt Herrmann. „Wir sind im weltweiten Wettbewerb TUM wie Energie, Robotik oder Mobilität als auch tausch mit anderen Disziplinen. Ferber. Umso besser, dass die TUM ihr Portfolio um die besten Lösungen und deswegen ist es an systematischen Fragen zu Risiko, Nichtwissen kürzlich um eine zusätzliche Dimension erweitert höchste Zeit, dass diese Thematik konzentriert oder Digitalisierung. In Vorträgen, Themen- „Wie in der Regelungstechnik hat, als sie die Trägerschaft für die Hochschule für angegangen wird. Unser Forschungscampus Tagen, Experten-Workshops und anderen Veran- an einer komplexen Maschine“ Politik übernahm (S. 26). Hier werden mit Beginn Garching hat dafür alle Kompetenzen.“ staltungen suchen die Forschungsgruppen des Das kann auch Markus Ferber bestätigen: Er hat dieses Wintersemesters Politikwissenschaftler MCTS den Dialog mit der Öffentlichkeit, Politik an der TUM in den achtziger Jahren Elektrotech- auch in Feldern hoher politisch-gesellschaftlicher und Wirtschaft. Auch das ist für die TUM höchst nik und Informationstechnik studiert und 1990 mit Relevanz aus den Technik- und Naturwissen- relevant: „Die Gesellschaft soll wissen, was wir in Diplom abgeschlossen. Seit über 20 Jahren ist er schaften, den Lebenswissenschaften und der Wissenschaft und Technik für unsere Zukunft tun Mitglied im Europäischen Parlament und konnte Medizin ausgebildet. Die Vision neben der Politik und wie wir junge Menschen auf die Zukunfts- dort von seiner technischen Ausbildung sehr und der Wissenschaft auch die Unternehmen zur aufgaben vorbereiten“, heißt es dazu im Leitbild. profitieren. Vor allem in seinem derzeitigen Haupt- interdisziplinären Zusammenarbeit mit an Bord zu „Wir haben an der TUM einen großen Vorsprung tätigkeitsfeld – der Wirtschaftspolitik – hilft ihm der holen, verwirklicht die TUM unter anderem durch zu anderen Universitäten, weil hier konsequent technische Ansatz oftmals zur Lösungsfindung. das im Jahr 2005 gegründete Institute for Advan- Begegnungsmöglichkeiten mit anderen Diszi- ced Study (TUM-IAS). Spitzenwissenschaftler aus plinen geschaffen werden“, lobt Klaus Bengler. „Ich muss mich in meiner Arbeit zum Beispiel der Universitäten und Forschungseinrichtungen sowie Ingenieure müssten ein Gespür dafür bekommen, Frage stellen, wie man Börsen reguliert. Das habe Top-Kräfte aus der Industrie können im TUM- die relevanten Fragen auch schon vor und wäh- ich in meiner Ausbildung eigentlich nicht gelernt“, IAS als sogenannte „Fellows“ einen längeren rend des Entwicklungsprozesses zu stellen und erzählt Markus Ferber. Letztendlich sei aber Forschungsaufenthalt verbringen. Gemeinsam zu klären. „Wie entscheiden wir beispielsweise, die Börse auch nichts anderes als ein System mit den Wissenschaftlern der TUM wenn sich die Frage stellt, ob es sinnvoller ist, die mit Input und Output: „Das ist dann wie in der verfolgen sie interdisziplinäre Projekte Zeit im automatisierten Fahrzeug zu nutzen oder Regelungstechnik an einer komplexen Maschi- in neuen Forschungsgebieten, die sicherheitshalber den Verkehr zu überwachen“, ne: Wenn ich möchte, dass das System stabil besonders zukunftsweisend sind. Autonom fahrende Fahrzeuge sind nichts Neues für den Garchinger Campus. Schon im Rahmen des DFG- Sonderforschungsbereichs „Kognitive Automobile“ drehte ein autonom fahrender Audi Q7 dort seine Runden. 24 KontakTUM Herbst/Winter 2016 25
Schwerpunkt Dialog und Interdisziplinarität So fördert die TUM Dialog und Interdisziplinarität Mit der Übernahme der Trägerschaft für die Hochschule für Politik erweitert die TUM ihr Fächerportfolio. Die künftigen Studierenden können Einrichtungen und Angebote der TUM ohne Einschränkung nutzen. Die Technische Universität München trägt Verantwortung für den gesell- schaftlichen Dialog. Sie setzt sich zum Ziel, Studierende für die verantwort- liche Begleitung gesellschaftlicher Veränderungsprozesse zu rüsten. Mit einem die Teilnahme an Netzwerkveranstaltungen, Themen mit hoher politisch-gesellschaft- Karriereangebote und das Online-Netzwerk licher Relevanz aus dem Fächerportfolio vielfältigen Portfolio - unter anderem verwirklicht in Verbindung mit der TUM (www.together.tum.de). Weil die Auswirkun- der TUM integriert, also aus Technik- und School of Education, der TUM School of Management und dem Munich Center gen des technologischen Fortschritts zum Naturwissenschaften sowie aus Lebenswis- for Technology in Society - bietet die TUM eine einzigartige Struktur für Beispiel in den Bereichen Energie, Umwelt, senschaften und Medizin. Die Studierenden Klimawandel, Big Data, Datensicherheit und können Module aus diesen Feldern wählen ganzheitliche Bewertungs- und Steuerungsprozesse. Mobilität eine immer zentralere Rolle in der und so bereits im Grundstudium ihr eigenes Profil entwickeln – wie auch im mehrmonati- gen Praxisprojekt, das sie bei einem Politik- akteur im In- oder Ausland absolvieren. P RODUKTIVE Unter dem Motto „Politikwissenschaft neu sagt Prof. Wolfgang A. Herrmann, Präsident denken“ bildet die Hochschule für Politik der TUM. „Mit dem fächerübergreifenden VERBINDUNG „Wir haben die Hochschule für Politik in Re- (HfP) gemeinsam mit der TUM ab Okto- Charakter des Studiengangs wollen wir kordzeit neu aufgestellt, der Landtag hat sie ber 2016 zudem die Politikwissenschaft- die Absolventen in die Lage versetzen, die TUM übernimmt mit umfangreichen Ressourcen ausgestat- ler von morgen aus und erweitert dadurch Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft, Trägerschaft der tet“, sagt TUM-Präsident Herrmann. „Mit in- nochmals das Portfolio. Im Juli 2014 traf Politik und Technologie zu analysieren und Hochschule für Politik ternational erfahrenen Wissenschaftlerinnen der Bayerische Landtag die Leitentschei- die politischen Rahmenbedingungen die- und Wissenschaftlern wird die HfP künftig in dung, die HfP an der TUM anzusiedeln und ser Felder zu gestalten.“ Die Hochschule Forschung, Lehre und Politikberatung deut- diese zur Trägeruniversität zu machen. In für Politik befindet sich bereits seit Mit- Gesellschaft spielen, können die neuen Ba- liche Akzente zu den politischen Verände- deren exzellentem wissenschaftlichen Um- te 2016 in unmittelbarer Nähe ihrer neuen chelorstudierenden der HfP bereits während rungen in Zeiten des tiefgreifenden techno- feld können sich neue Perspektiven aus der Trägeruniversität: im „Brienner Forum“ am ihres Studiums Zukunftstechnologien näher logischen und gesellschaftlichen Wandels Verbindung von gesellschaftswissenschaft- Königsplatz. Die künftigen Studierenden kennenlernen: Der neue Studiengang um- setzen.“ Positiv äußert sich auch der Land- lichen und ingenieur- beziehungsweise na- der HfP, die gleichzeitig auch an der TUM fasst die klassischen Teilbereiche der Politik- tagsabgeordnete Markus Blume als Vor- turwissenschaftlichen Disziplinen erschlie- eingeschrieben sein werden, haben zu de- wissenschaft. Zudem erwerben die Studie- sitzender des Reformbeirats: „Es entsteht ßen. „Die rasante Technikentwicklung hat ren Einrichtungen und Angeboten ebenso renden Grundlagenkenntnisse in verwandten eine in Deutschland einzigartige politikwis- dazu geführt, dass technologische Fragen Zugang wie die TUM-Studierenden. Frühere Bereichen wie Wirtschaft und Recht. Einzig- senschaftliche Einrichtung – mit eigener heute in nahezu allen Politikfeldern eine be- und zukünftige Alumni der HfP können alle artig in der politikwissenschaftlichen Aus- Top-Ausstattung und in fantastischer Sym- deutende, oft entscheidende Rolle spielen“, Vorteile des TUM Netzwerks nutzen, wie bildung ist, dass das neue Studienangebot biose mit der Exzellenzuniversität TUM.“ 26 KontakTUM Herbst/Winter 2016 27
Schwerpunkt Dialog und Interdisziplinarität Sieben neue Professuren an der Hochschule für Politik Prof. Dr. Eugénia da Conceição-Heldt ist Um das wichtigste Reformziel, nämlich die Ausrichtung auf Reformrektorin der Hochschule für Politik die Wechselwirkungen zwischen technischem Fortschritt, und Professorin des Lehrstuhls für European gesellschaftlichem Wandel und politischem Handeln zu errei- and Global Governance. Sie kommt von der chen, wurden sieben neue Professuren an der HfP eingerich- Technischen Universität Dresden, wo sie den tet. Die Auswahl erfolgte durch eine Berufungskommission, Lehrstuhl für Internationale Politik innehat- der Politik-, Technik- und Sozialwissenschaftler von Rang ange- te und Geschäftsführende Direktorin des hörten. Die sieben Kollegiumsmitglieder werden maßgeblich den Instituts für Politikwissenschaft war. Zuvor neuen Bachelorstudiengang Politikwissenschaft gestalten, der forschte sie unter anderem an der Harvard zum Wintersemester 2016/17 startet. Daneben werden auch University und der Freien Universität Berlin. 2010 erhielt sie ein Heisenberg-Stipendium andere Professuren der TUM Lehrveranstaltungen überneh- der DFG, 2012 einen mit 1,3 Millionen Euro men. Umgekehrt wird das Studium an der TUM um politik- FRAGEN dotierten Forschungspreis des European Research Council (ERC). wissenschaftliche Aspekte bereichert, da die Neuberufenen auch dort lehren werden. an Prof. Dr. Eugénia da Conceição-Heldt Warum erfährt die Hochschule für Politik unter haben, dann bekommen Sie spätestens dann ein der Trägerschaft der TUM eine inhaltliche Neu- Problem, wenn es um die Einführung dieser neuen ausrichtung? Es geht uns darum, die Politikwissen- Technologie geht. Insofern ist es wichtig, dass auch schaft neu zu denken, indem man sie um die Tech- Ingenieure eine Art Einführung in die Grundlagen der nikdimension erweitert. An der neuen HfP werden wir Politikwissenschaft vermittelt bekommen. Wir kön- also nicht nur den klassischen Kanon der Politikwis- nen ihnen sagen, wie die Entscheidungsfindungs- senschaft vermitteln, sondern versuchen, die neuen prozesse in einem föderalen Staat wie Deutschland Technologien und die Herausforderungen des Re- funktionieren – aber auch darüber hinaus: Viele Pro- gierens im digitalen Zeitalter zu berücksichtigen. Die zesse finden heute ja auf EU-Ebene oder global statt. Frage lautet: Was ändert sich hier für die Akteure und die Institutionen? Ein gutes Beispiel: Die politischen Wohin gehen die Absolventen der HfP nach Akteure müssen heute in der Regel viel schneller auf ihrer Ausbildung? Ich sehe drei große Bereiche, in Ereignisse reagieren, denn die Kommunikation er- denen unsere Absolventen tätig werden: Erstens tat- folgt ja nicht mehr nur über die klassischen Medien, sächlich als Beamte im politischen Feld. Die HfP hat sondern auch über Soziale Medien wie Facebook sich ja seit ihrer Gründung als Kaderschmiede vor oder Twitter. Man kann hier von einer digitalen Re- allem für die bayerische Politik verstanden. Wir wol- volution sprechen, weil die Beziehungen zwischen len noch weitergehen und unsere Absolventen für die den Institutionen und die Strukturen transparenter Bundesebene, aber auch für die europäische und in- werden und Veränderungen dadurch schneller von- ternationale Ebene fit machen. Zweitens sind die Ab- statten gehen. Nur durch eine transdisziplinäre solventen bestens ausgebildet, um in die Wirtschaft Herangehensweise können wir diesen Herausforde- zu gehen. Sie können zum Beispiel im Bereich Public rungen der Zukunft begegnen. Relations tätig werden, denn hier spielt die politische Akzeptanz von Unternehmensentscheidungen eine Inwiefern können denn die Ingenieurwissen- große Rolle. Die dritte Komponente der Ausbildung schaften von den Politikwissenschaften profi- ist dann natürlich, dass wir Forscher und Wissen- tieren und umgekehrt? Vor allem in Bezug auf die schaftler ausbilden. Wir werden dementsprechend in Entwicklung neuer Technologien können sich für einem Jahr auch einen Masterstudiengang und lang- v.l.n.r. Prof. Dr. Jürgen Pfeffer, Prof. Dr. Lisa Herzog, Dr. Hannemor Keidel (Beauftragte des Präsidenten beide Disziplinen Synergieeffekte ergeben. Für jede fristig eine Graduiertenschule haben. Die Verbindung für die Hochschule für Politik München), Prof. Dr. Eugénia da Conceição-Heldt (Rektorin der Hochschule technische Neuerung brauchen Sie in der Regel zwischen Politik und Technologie, die wir jetzt bie- für Politik München), Dr. Claudia Höfer-Weichselbaumer (Verwaltungsdirektorin der Hochschule für Politik die Akzeptanz der Bevölkerung. Wenn Sie die nicht ten, ist wirklich etwas Neues in Deutschland. München), Prof. Dr. Stefan Wurster, Prof. Dr. Tim Büthe und Prof. Dr. Simon Hegelich. 28 KontakTUM Herbst/Winter 2016 29
Netzwerk Zurück in den Hörsaal Zu Besuch an ihre Alma Mater kamen TUM Alumni Manfred Färber und Ulrike Irmscher. Dort trafen sie sich im TUM Hörsaal mit Studierendenvertreter Philipp Rinner. MITREDEN & G E S TA LT E N Sollen sich Studierende neben dem Studium auch hochschulpolitisch engagieren? „Ja“, sagen drei TUM Alumni, die es wissen müssen. Manfred Färber (Maschinenwesen 1969) war 1966 AStA-Vorsitzender, Ulrike Irmscher (Mathematik 1968) gehörte als eine der ersten Frauen zu den Semestersprechern und Philipp Rinner (Sportwissenschaften 2015) ist derzeit Vertreter der Studierenden im Senat der TUM. 30 KontakTUM Herbst/Winter 2016 31
Netzwerk Zurück in den Hörsaal „Damals herrschte allgemein ein Gefühl der Aufbruchsstimmung. „So war das damals“: Manfred Färber hatte zum Gespräch sein altes Fotoalbum mit- Die Studierenden haben sich stark gebracht. Da wurden Erinnerungen an die gemacht und demonstrierten für eine Studienzeit schnell wieder lebendig. bessere Bildungspolitik“, erklärt Ulrike Irmscher. „Damals“ das war Mitte der 60er Jahre, als Manfred Färber und Ulrike Irmscher an der TUM studierten. Eine der ersten Demos fand im Juni 1965 statt, als Klaus Irmscher (Elektrotechnik und Informations- technik 1967), Ulrike Irmschers inzwischen verstor- bener Ehemann, noch Vorsitzender des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) war. Die Studie- schem Engagement sei. So würde zum Beispiel nicht Demonstrationszug der rendenschaft ging auf die Straße und verlangte Um- deutlich genug gemacht, wie wichtig für Wirtschaft Studierenden 1966 auf gestaltung: „Es ging zum Beispiel darum, dass mehr und Industrie neben den fachlichen Fähigkeiten die den Königsplatz: Später hielt Manfred Färber vor jungen Leuten das Studium ermöglicht wird und sogenannten „Soft Skills“ sind, die sozialen und per- 10.000 Zuhörern eine nicht mehr nur einer kleinen Gesellschaftsschicht“, sönlichen Kompetenzen. „So kann es passieren, flammende Rede, um erinnert sich Ulrike Irmscher. Als Manfred Färber dass im BWL-Studium eine Vielzahl an Einzelkämp- gegen ein im Landtag vor- den AStA-Vorsitz übernahm, setzte sich die Studie- fern ausgebildet wird. Dass aber Verhandlungsfä- liegendes Hochschulge- rendenschaft dafür ein, dass die Hochschulgesetze higkeit, Teamwork und auch Führungskompetenzen setz zu protestieren, das verändert werden. In einer flammenden Rede, beim durch hochschulpolitisches Engagement erlernt die Freiheit der akademi- Demonstrationsmarsch am 6. Juli 1966, forderte er werden, wird kaum wahrgenommen“, so Philipp schen Selbstverwaltung im Namen von rund 10.000 Studierenden mehr Frei- Rinner. Auch Manfred Färber hat später im Berufs- beschränkt hätte. heit innerhalb der Hochschulverwaltung: „Das Kultus- leben von seiner Zeit als Studierendensprecher sehr ministerium bestimmte zum Beispiel wie die Profes- profitiert: „Meinen eigenen Standpunkt vertreten zu sorenstellen besetzt werden sollten. Da wollten wir können und keine Angst vor hohen Tieren zu haben, mehr Mitspracherecht“, erinnert sich Manfred Färber. das habe ich in meinen Auseinandersetzungen mit „Und das konnte auch durchgesetzt werden, und Rektoren und Ministern geprobt.“ Dieser direkte wir profitieren heute davon“, ergänzt Philipp Rin- Austausch mit Entscheidungsträgern sei ein großer ner. „In jeder Berufungskommission für Professo- Vorteil des hochschulpolitischen Engagements: „Wo ren sitzt an der TUM ein Studierendenvertreter mit ist das für Studierende denn sonst noch möglich?“ Stimmrecht.“ Philipp Rinner, der derzeit sein Mas- terstudium in Wirtschaftswissenschaften macht, Vieles hat sich in den letzten 50 Jahren verändert: setzt sich seit drei Jahren in zahlreichen Ämtern Die hochschulpolitischen Themen und auch die für die studentischen Belange ein. Im Oktober 2015 Bereitschaft mitzugestalten. Manches aber kehrt wurde er in den Senat und Hochschulrat der TUM wieder: „Wir wollten uns damals ausschließlich für gewählt. Mit seinem Interesse für den AStA gehört hochschulpolitische und nicht für bundespolitische er zur Ausnahme unter seinen Kommilitonen. Dass Themen einsetzen. Das haben wir beim Heidelber- die Studierendenschaft heute oft nur zögerlich für ger Treffen der deutschen Studierendenschaft klar ein hochschulpolitisches Engagement zu gewinnen gemacht. Da waren die Berliner und Hamburger ist, läge unter anderem am vorherrschenden Leis- damals anders drauf“, erinnert sich Manfred Fär- tungs- und Zeitdruck. „Die Studierenden konzen- ber. „Spannend“, findet das Philipp Rinner. „Das ist trieren sich aufs Studium. Manche müssen noch heute noch so. Wir sind vor zwei Jahren aus dem nebenbei arbeiten.“ Aber auch die heutigen Stu- Deutschlandverband ausgetreten, weil wir fanden, dierenden erheben sich und demonstrieren, wenn dass es zu bundespolitisch läuft.“ Und auch das es um etwas geht, das die Einzelnen unmittelbar Bemühen der TUM Studierenden um internatio- betrifft. „Bis 2013 ging es um das Thema Studien- nalen Austausch ist heute so präsent wie damals. gebühren und um die Einführung eines Semester- Während die Studierenden der 60er Jahre den ers- tickets durch die Münchner Verkehrsgesellschaft. ten deutsch-tschechischen Studierendenaustausch Da gab es Demonstrationen und die Studierenden begründeten, setzen sich die heutigen Studierenden engagierten sich auch politisch“, so Philipp Rinner. für die Studien-Teilhabe Geflüchteter ein. Rund 200 Seiner Ansicht nach müsse stärker kommuniziert junge Flüchtlinge sind derzeit an der TUM als Gast- werden, was der Mehrwert von hochschulpoliti- hörer eingeschrieben. 32 KontakTUM Herbst/Winter 2016 33
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