Gerhard Stäbler - Kunststiftung NRW
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Ein Tag für Gerhard Stäbler Gerhard Stäbler �� ��.Sept. ���� Rautenstrauch-Joest-Museum Köln Kunst-Station Sankt Peter Köln
Liebe Freundinnen und Freunde von Gerhard Stäbler, verehrtes Publikum, Gerhard Stäbler hatte am 20. Juli Geburtstag. Heute feiern wir das ausgiebig in der Musikstadt Köln in dem musikliebenden Bundesland Nordrhein-Westfalen dank der Förderung der Kunststiftung NRW mit einem Festakt und drei weiteren Konzerten mit zahlreichen Urauffüh- rungen. Unser Ein Tag für Gerhard Stäbler 70 ist ein ausgewachsenes Ein- tagesfestival geworden. Alle heute aktiven Menschen – Komponist*innen, Musiker*innen, Ensembles und Autor*innen – haben nach kurzem Blick in ihre Terminkalender spontan ihre Mitwirkung zugesagt. Die Volkshoch- schule Köln lässt uns in ihrem Forum im Rautenstrauch-Joest-Museum zu Gast sein, am Nachmittag sind wir es in der Kunst-Station Sankt Peter. Da- für danke ich allen ganz herzlich! Mit neuen Werken von Gerhard Stäbler und Hommagewerken für Gerhard Stäbler beschenken wir uns selbst mit einem Kaleidoskop aktueller Kom- positions- und Performancekunst. Der renommierte Medientheoretiker und Künstler Peter Weibel verortet Gerhards Schaffen ästhetisch-gesell- schaftlich, Wolfgang Korb erinnert an Gerhards Anfänge und auf Stefan Frickes Laudatio dürfen wir gespannt sein. »Hits« aus Gerhards umfang- reichem Schaffen dürfen dabei nicht fehlen. Und obwohl Gerhard nie die Nähe einer Hochschule als Kompositionslehrer von sich aus gesucht hat, ist sein Einfluss auf die jüngere Generation unüberhörbar. Die heutige »Dies- seitigkeit« ist ohne Fluxus, politischem Diskurs und performativer Grenz- überschreitung gar nicht denkbar, also der Generation Gerhard Stäblers, der die Frage »Wofür komponieren Sie eigentlich“« (Hansjörg Pauli, 1969) noch schlaflose Nächte bereitet hat. Das Werk weiß natürlich mehr über seine Entstehungsbedingungen als sein Autor. Wir müssen nur gut genug fragen, um auf unsere Lebensrealitä- ten Antworten zu erhalten. Gerhard Stäbler schreibt genau solche Werke, die uns Antworten geben können. Denn sie befinden sich bei aller Poesie 02
immer im Stadium der Selbstkritik und reflektieren ihre Entstehungsbe- dingungen mit. Daher sind sie avantgardistisch – im Hier und Jetzt. Also ein Widerspruch zur Gegenwart und dadurch ein Einspruch gegen ein Festhalten an sinnentleerten Konventionen, nach Ernst Bloch der Inbe- griff des Spießertums, und für ein zugewandtes, achtsames Miteinander. Wir alle können Künstler sein, wenn wir es als Entscheidung zulassen. Das ist Gerhard Stäblers Einladung an uns durch sein umfangreiches Werk. Wir lernen: Nie die Segel streichen, egal, wie stark der Wind von vorne bläst. Ich wünsche uns und ich wünsche Gerhard überraschende, katharti- sche und mitreißende Klangfluten voller Stürme und Stille – heute und in Zukunft. Mach’ so weiter, ich mache mit! Achim Heidenreich [Künstlerischer Leiter Ein Tag für Gerhard Stäbler 70] Achim Heidenreich, nach kaufmännischer Lehre Zweiter Bildungsweg. Studium der Musik- wissenschaft, Komparatistik und Philosophie in Mainz und Frankfurt. Magisterarbeit zu Wolfgang Rihms Musiktheater, Dissertation zu Paul Hindemiths sieben Kammermusiken. Forschungsaufenthalt an der Yake University. Tätigkeiten: u. a. Künstlerischer Produktions leiter und Dramaturg der musica viva des BR , Projektentwickler und Produktionsleiter am ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, Leiter des Masterstudiengangs Inter- pretation zeitgenössischer Musik in Karlsruhe, Künstlerischer Leiter des Festivals ZeitGenuss Karlsruhe sowie des satellitengestützten Orgeloktetts Organum aus acht europäischen Kathe- dralen, Feuilleton Musik FAZ , Hochschullehrer. Seit 2018 Leiter des Kulturamts der Wart- burg-, Luther- und Bachstadt Eisenach/Thüringen, u. a. dort Initiator und Leiter des Eise nacher Kompositionspreises und Musikfestivals Sinfonisches Wochenende. Zahlreiche Ver öffentlichungen zur Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. 03
Jeder Algorithmus ist politisch Gerhard Stäbler zum 70. Geburtstag Grußwort von Peter Weibel In seinem berühmten Buch Was ist Literatur? von 1947 hat Jean Paul Sartre das Verhältnis der Künste zur Politik definiert und dabei die These aufge- stellt, dass nur die Literatur eigene ästhetische Werte besitzt, die auch poli- tisch wirksam sein können, also nur die Literatur engagiert agieren könne. Sartre wies darauf hin, dass es für die Literatur grundlegende Fragen zu beantworten gilt: Was ist Schreiben? Warum schreiben? Für wen schreibt man? Aus der Beantwortung dieser Fragen ergibt sich das soziale Engage- ment der Literatur. In Deutschland gibt es allerdings seit den späten 50er Jahren Musiktheorien, die im Kreis um Theodor W. Adorno entstanden sind, von Hans G Helms bis zu Heinz-Klaus Metzger, die Sartre widerspre- chen und die Neue Musik auch als politisches Statement interpretieren. Nicht nur Texte, sondern auch Partituren können politisch sein. Wenn sogar jedes Rezept politisch ist, wie die kritische Fernsehköchin Sarah Wiener aufgrund der Verwüstung unseres Planeten zwecks Fleisch erzeugung zu Recht behauptet, dann spiegelt sich in diesem Satz auch die politische Haltung des 1949 in Wilhelmsdorf bei Ravensburg geborenen Komponisten Gerhard Stäbler wider. Stäbler steht in der einmaligen Tra- dition einer kritischen Neuen Musik. Jeder Text, jede Partitur, jede Rezep- tion kann auch politisch sein. Wir wissen von Bertolt Brecht, sogar ein Ge- spräch über Bäume konnte politisch sein. Als Leiter des ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe freut es mich daher sehr, dass eines der zentralen medialen Werke von Stäbler mit unserer Unterstützung an un- serem Haus 1998 realisiert und auch als Compact Disc beim renommierten Label Schott Wergo produziert werden konnte. In Karas.Krähen für Ton- band und traditionelle japanische Instrumente – mit der Mundorgel Sho- als klanglichem Zentrum – spürt Stäbler denjenigen Bildern nach, die sich die Menschen im Osten und im Westen von den Rabenvögeln, die immer wieder in Märchen und Mythen erscheinen, gemacht haben und machen. In dem Tonbandzuspiel sind die Schreie Tokioter Raben musikalisch in- tegriert. Das Motiv des Raben ist berühmt geworden durch das Gedicht The Raven von Edgar Allan Poe von 1845. Poe hat als Dichter gearbeitet wie 04
ein Komponist. Er hat versucht, durch die Klangform der Wörter und der Verse, das heißt durch die musikalische Form, die Sinnform zu erzeugen. Deswegen beschreibt er in seinem Text The Philosophy of Composition von 1846 die Methode, wie er das Gedicht The Raven verfasst hat. Er wollte vor allem, dass das Wort »Nevermore« wegen seines Klanges mehrmals wieder- holt wird. Was könnte der Anlass der Wiederholung sein? Ein Papagei? Aber ein Papagei ist nicht so unheilschwanger und attraktiv wie ein Rabe. Und damit ein Rabe auf der kompositorischen Szene erscheint, aus rein klanglicher Notwendigkeit, muss es einen anderen Anlass geben. Und was wäre so ein schwarzer Anlass für einen schwarzen Raben? Der Tod einer geliebten Frau, behauptet Poe. Poe erklärt also, wie seine klangkompositori- sche Methode den semantischen Fluss seines Gedichtes gesteuert hat. Ähnlich verfahren große Komponisten. Sie sind Gestalter von Visionen und Utopien. Aber sie sind auch Kritiker und Ankläger der Wirklichkeit. Stäbler gestaltet und mahnt zugleich. Er gestaltet das Gegenteil von Musik und Klangkunst, aber auch das Gegenteil von Lärm, nämlich Schweigen. John Cage hat 1961 seinen ausgewählten Texten zur Musik den provokan- ten Titel Silence (Schweigen) gegeben. Die Emanzipation der Pause, die Anton Webern eingeführt hat, wurde von Cage paradoxerweise zum Ge- neralbass der Musik: Schweigen statt Klang. Damit war aber klar, dass in diesen Raum der klanglichen Leere andere Töne eindringen sollten, keine Töne mehr von Musikinstrumenten, sondern Töne von Alltagsgegenstän- den, von elektronischen Medien wie Radio und Oszillatoren und von der Umgebung. Das Schweigen konnte also als Aufstand gegen die Musik der Bourgeoisie interpretiert werden oder wie Christa Wolf in ihrem Roman Kassandra das »Schweigen als nützliche Waffe« bezeichnete. Deshalb spielt in Stäblers Musiktheater Cassandra Complex (1993/1994) die Mundorgel Sho- eine zentrale Rolle. Komponieren ist hier ein unmittelbar politisches und performatives Rezept. In einem harmonischen Steinbruch bewegt sich Stäbler im Bereich des Sextenzirkels (das Sextintervall reguliert die tona- len Zusammenhänge von dem österreichischen Komponisten Hanns Eisler, dem von Arnold Schönberg wenig gemochten Schönberg-Schüler, der mit Theodor W. Adorno ein Buch Komposition für den Film 1947 publiziert hat. Eislers gelebten Spagat zwischen avancierter Kompositionstechnik und Engagement wird von Stäbler durch sein medial-performatives Fortschrei- 05
ben der Fluxus-Bewegung im Geist von George Brecht und Joseph Beuys verwirklicht. Stäbler konstruiert keine Wirklichkeiten, sondern sieht sich selbst als Teil einer medial durchwirkten Wirklichkeit. Im Gegensatz zum landläufigen Glauben trennt Wirklichkeit und Medien ein Graben. Wir können allerdings mittels Hypothesen und Thesen, mittels Kunstwerken und Formeln diesen Graben einhegen und zwischen Wirklichkeit und Medien im Sinne von Jean Paul Sartres Theorie des Engagements Brücken schlagen. Von Poe haben wir gelernt, dass seine Kompositionsmethode eigentlich ein Algorithmus ist. Denn alles – auch Rezepte – sind nur Al- gorithmen, nämlich Anweisungen, wie Schritt für Schritt ein Ziel erreicht wird aus einer finiten Menge von Elementen und einer finiten Menge von Regeln. Der Algorithmus, die Partitur, das Rezept, die Regeln – vom Kopf auf die Füße gestellt: Das ist Gerhard Stäblers Credo auch in seinem 70. Lebensjahr. Gratulation! Univ.-Prof. Dr. h.c. mult. Peter Weibel [Mitglied der Akademie der Künste NRW] Peter Weibel, Künstler, Kurator, Kunst- und Medientheoretiker, wurde 1944 in Odessa ge- boren. Nach dem Studium der Literatur, Film, Mathematik, Medizin und Philosophie in Paris und Wien sowie nach internationalen Lektoraten und Gastprofessuren seit 1976 war er Profes- sor für Fotografie an der Gesamthochschule Kassel (1982–85), Associate Professor für Video und digitale Kunst in Buffalo (1984–89), Gründungsdirektor des Instituts für Neue Medien an der Städelschule in Frankfurt a.M. (1989–94) sowie Professor für visuelle Mediengestaltung an der Universität für angewandte Kunst in Wien (1984–2011). Er war tätig als künstlerischer Berater der Ars Electronica, Linz (1986–95), Österreich-Kommissär der Biennale von Venedig (1993–99), Kurator der Sevilla Biennale (BIACS3, 2008) und der Moskau Biennale für zeitgenössische Kunst (2001) sowie künstlerischer Leiter der Neuen Galerie am Landesmuseum Joanneum in Graz (1993–98). Seit 1999 ist er künstlerisch-wissenschaftlicher Vorstand des Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe und Leiter des Peter Weibel Forschungsinstituts für Digita- le Kulturen an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Website: www.peter-weibel.at.
Kunst braucht das Gegenüber Gerhard Stäbler zum Siebzigsten Wolfgang Korb Wir sind fast gleichaltrig und kennen uns seit mindestens achtundzwan- zig Jahren. Wahrscheinlich trafen wir uns erstmals bei den Donaueschin- ger Musiktagen 1991, anlässlich der Uraufführung von Co – wie Kobalt, der Musik für Kontrabass solo und großes Orchester. Den kobalt- oder auch kobold-artigen Solopart hatte Gerhard dem Ausnahmemusiker Stefano Scodanibbio für seine spezielle Instrumentaltechnik »auf den Leib« ge- schrieben. Stefano, den ich im Jahr zuvor beim Festival Musica in Stras- bourg zum ersten Mal gehört oder besser »erlebt« hatte, wurde nach der zweiten Begegnung in Donaueschingen dann bald zu einem meiner engs- ten Musikerfreunde. Fortan besuchte ich regelmäßig die von ihm 1983 ge- gründete Rassegna di nuova musica in seiner Heimatstadt Macerata. Gerhard war bei diesem schönen Festival allerdings schon 1988 aufgetreten – als Or- ganist und Komponist. Inspiriert vom außerordentlichen Kontrabassspiel Stefano Scodanibbios komponierte Gerhard 1989/90 seine Musik für Kontrabass solo und großes Or- chester. Und wenig später (1993) resultierte aus dieser Musikerfreundschaft dann das Streichtrio Abschiede – geschrieben im Auftrag von Stefano Sco- danibbio, mit einer Widmung an Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn. Abschiede war wiederum eine von mehreren Vorstudien zu Gerhards 1994 komponiertem großen Musiktheaterwerk CassandraComplex nach der Er- zählung Kassandra von Christa Wolf. Vieles, wahrscheinlich das meiste, hängt im künstlerischen Schaffen auf oft subtile und erst im Nachhinein erkennbare Weise miteinander zusam- men. Das gilt nicht nur für Gerhard Stäbler, aber für ihn sicher in beson- derem Maße, sozusagen »par excellence«: seine enge Zusammenarbeit mit anderen Musikern (als Komponist ebenso wie als Performer und Improvi- sator), sein ausgeprägtes Interesse an Weltliteratur mit bedeutsamer, huma- nistischer Botschaft, seine immer wieder konstatierte Lust am Experiment, seine Vorliebe für die rationale Konstruktion ohne Vernachlässigung der Emotion – all diese künstlerischen Eigenschaften gehören zusammen und sind untrennbar verbunden mit Gerhards menschlichen Qualitäten, bei 07
denen das Bewusstsein für die elementare Bedeutung des »Gegenüber«, des (generalisierten) »Anderen«, und damit die Fähigkeit zur Freundschaft, im Vordergrund stehen. Über die Jahre hat sich unsere Freundschaft entwi- ckeln und festigen können, vor allem durch vielfältige Zusammenarbeit für Programme, Produktionen und Veranstaltungen von SR 2 KulturRadio. Darum versuche ich nun auch gerne, ihn als Künstler zu porträtieren, selbst wenn ich letztlich nur einen Bruchteil seines mittlerweile fast vier- hundert Werke zählenden Oeuvres kennengelernt habe. Vor zwanzig Jahren. also zu Gerhards Fünfzigstem, schrieb ich für die ihm gewidmete Publikation LandMarks/Earmarks (ConBrio Verlag), einen Beitrag über »Hörkunst-Aspekte in Gerhard Stäblers Arbeit mit elektro- nischen Mitteln«. Das hing damit zusammen, dass ich damals beim Saar- ländischen Rundfunk unter anderem als Redakteur für dieses schöne Experimentierfeld »HörKunst« tätig war. Den letzten Abschnitt meines Beitrags, das Fazit, möchte ich hier zitieren: »Gerade weil er bei der Arbeit mit elektronischen Mitteln in mancher Hinsicht freier ist – befreit von den Fesseln musikalischer Tradition, von den klanglichen Beschränkungen akustischer Instrumente – legt Gerhard Stäbler Wert darauf, das Ohr zur ultimativen Instanz für die Bewertung des Klangergebnisses zu machen: Klangkunst wird zur Hörkunst!« Heute möchte ich ergänzend bemerken, dass sich Gerhard auch in seiner kompositorischen Arbeit für akustische Instrumente (in Solo-, Ensemb- le-, Orchester- oder Musiktheater-Werken) längst befreit hatte von »den Fesseln musikalischer Tradition«. Dem Geräuschanteil bei der Klanger- zeugung kommt in seiner Musik oft konstitutive Bedeutung zu, und die jeweilige Klangsprache steht stets im Dienste eines kompromisslosen mu- sikalischen Ausdrucks. Wer etwa die kammermusikalischen Werke Gerhard Stäblers unter dem Gesichtspunkt der Besetzung betrachtet, entdeckt schnell einige bevor- zugte Instrumente: an erster Stelle steht die menschliche Stimme (und da wieder vorzugsweise der Sopran) und dann sind es vor allem Schlagzeug (Percussion), Akkordeon (auch die japanische Mundorgel Shô) sowie Kla- vier. Aber daraus lassen sich kaum Rückschlüsse ziehen auf die jeweilige Klangsprache einer Komposition, weil nämlich die genannten Instrumente 08
oft kombiniert werden mit allen denkbaren oder undenkbaren Klang- bzw. Geräusch-Erzeugern, wie zum Beispiel »Jahrmarktströte«, »Spieldose«, »Feuerwehrtrucks«, Alufolie, tropfende Eisblöcke und viele andere Alltags- Geräte oder -Materialien. Die Auswahl solcher »Zusatzinstrumente« ist da- bei jedoch nie willkürlich, sondern verweist immer auf die jeweils inten- dierte künstlerische »Botschaft«. Gerhard Stäblers Kunst richtet sich an diverse Rezipienten, vom klassi- schen Konzertpublikum über Schulklassen bis hin zu »zufälligen« Passan- ten im öffentlichen Raum, sei es auf einem Platz oder in einem U-Bahnhof – in jedem Kontext aber sucht sie die Wahrnehmungssinne der Hörer/Zu- schauer zu schärfen. Dazu dient nicht zuletzt auch die von Anfang an (seit den siebziger Jahren) immer wieder von ihm praktizierte »Performance« (solistisch oder auch im Duo mit seinem Partner Kunsu Shim). Deren thea tralische oder stoische Dynamik: vom Flüstern bis zum ekstatischen Schrei, vom gemessenen Durchschreiten eines Raumes bis zur quasi meditativen Beschäftigung mit klingenden oder auch duftenden Materialien, vermag auf ganz eigene Weise – sei es als formspendendes Ritual oder als reinigen- de Irritation – innere Räume zu schaffen für die sinnliche Wahrnehmung und damit für Auseinandersetzung mit Kunst. Gerhard Stäblers Kunst ist mir so nah und so wichtig, weil sie sich in erster Linie einem sozial-politischen Impetus verdankt: Das »Ich« braucht den »Anderen« (das »Gegenüber«), um zu sich selbst zu finden. Ich möchte schließen mit einem schönen und kryptischen Satz des deutsch-koreanischen Philosophen und Autors Byung-Chul Han, den ich erst durch Gerhard kennengelernt habe: »Der Schmerz ist der Riss, durch den sich das ganz Andere ankündigt.« Wolfgang Korb, Musikwissenschaftler und Redakteur. Studium der Musikwissenschaft, der deutschen Literatur- und Sprachwissenschaft in Saarbrücken. Ab 1985 Redakteur beim Saarländischen Rundfunk, 1993–2014 Leiter der Abteilung Kammermusik und Neue Musik im SR 2 Kultur-Radio. Arbeit als künstlerischer Sprecher, u. a. im Format Sprach-Klang-Fantasie. 09
Panoptische Erzählungen Festakt 11 Uhr Rautenstrauch-Joest-Museum Kulturen der Welt Gerhard Stäbler [*1949] STECHUHR?! Aktion für fünf (oder mehr) Pianisten [2019] URAUFFÜHRUNG Auftragswerk von Ein Tag für Gerhard Stäbler 70 Gefördert durch die Kunststiftung NRW Begrüßung Dr. Achim Heidenreich Künstlerischer Leiter Grußworte Csaba Kézér Musikreferent der Kunststiftung NRW Henk Heuvelmans Direktor der Gaudeamus Stiftung (Niederlande) Gerhard Stäbler … strike the ear … für Streichquartett [1987/88] Laudatio Prof. Stefan Fricke für Gerhard 10
Kunsu Shim [*1958] luft. inneres für vier Streicher [2019] U RAUFFÜHRUNG Auftragswerk von Ein Tag für Gerhard Stäbler 70 Gefördert durch die Kunststiftung NRW Gerhard Stäbler - - ] erzählen … Ein panoptisches Streichquartett [2018/2019] U RAUFFÜHRUNG Auftragswerk von Ein Tag für Gerhard Stäbler 70 Gefördert durch die Kunststiftung NRW I. AUSEINANDERGEZWUNGEN I I. ZUSAMMENGEZWUNGEN I I I. SICH MITEINANDER REALISIEREN Minguet Quartett Ulrich Isfort [1. Violine], Annette Reisinger [2. Violine], Aroa Sorin [Viola], Matthias Diener [Violoncello] Paulo Alvares, Nicolaus Kuhn, Kunsu Shim, Gerhard Stäbler, Roland Techet [Klavier] Anschließend: Empfang für Gerhard im Foyer des Rautenstrauch-Joest-Museums Köln 11
Gerhard Stäbler STECHUHR?! [����] Der Aktion »STECHUHR?! « für fünf oder mehr Pianisten liegt ein fikti- ver QR -Code zugrunde, der der Partitur vorangestellt ist. Er ist Basis für den Verlauf der Komposition, bei der mindestens drei Spieler an den Tasten und zwei Spieler auf den Saiten in extremer Geschwindigkeit und großer Lautstärke agieren. Der Partitur vorangestellt ist ein Zitat aus dem Text Entfremdung des Philosophen Byung-Chul Han, der parallel zur Schlag- werkaktion – ad libitum – äußerst scharf und möglichst stark, dabei jedoch stimmlos rezitiert werden kann. [Gerhard Stäbler] Im neoliberalen Regime findet die Ausbeutung nicht mehr als Entfrem- dung und Selbst-Entwirklichung, sondern als Freiheit, als Selbst-Verwirk- lichung und Selbst-Optimierung statt. Hier gibt es nicht den Anderen als Ausbeuter [und somit auch keine Stechuhr!], der [bzw. die] mich zur Arbeit zwingt und mich von mir entfremdet. Vielmehr beute ich mich selbst frei- willig in dem Glauben aus, dass ich mich verwirkliche. [Byung-Chul Han, aus Entfremdung. Einschübe von Gerhard Stäbler] 12
Gerhard Stäbler … strike the ear… [����/����] Stellen sich vier Menschen – Rücken an Rücken – zu einem Kreis zusam- men, ist ihr Blick offen. Aus der Mitte sehen sie das, was sich nur zu halten vermag durch lärmende Ignoranz und das, was keimt, sich immer neu ent- faltet … bis zum Äußersten … an Kraft verliert … und erstarrt … Gäbe es (dann) nur Menschen, die in der Mitte die Köpfe zusammenstreck- ten und sich – auf Geheiß und selbst – das Sehen nähmen! Was könnten sie? Mit Köpfen gegen Köpfe rennen, wenn sie spürten (vo- rausgesetzt, ihre Gefühle sind noch nicht völlig verdorben), dass sich um sie Neues hervorsucht, atmet, wächst … Es müsste ausdörren, verwesen … … doch lieber bequemt(e) man sich im Mief der Mitte und stempelt(e) Se- hende zu Tätern … Die Spieler des Quartetts wirken als solche, die sich gegenseitig – Schulter an Schulter gleichsam – Rückendeckung geben, dadurch offen sind und öffnen könn(t)en. [Gerhard Stäbler] 13
Kunsu Shim luft. inneres [����] bei der komposition luft. inneres wollte ich – wie in den anderen neuen kom- positionen von mir – eine imaginäre natur, jedoch eine natur in bewegung schaffen. wenn ich im wald bin, spüre ich vor allem seinen atem. der stoffwechsel der pflanzen ist wie ein mikrobiologisches labor. dieses labor ist nicht sicht- bar, aber es bestimmt das leben der pflanzen. in diesem lebensraum steigen, sinken, dampfen, blubbern, zerplatzen mikromolekulare partikel wie in einem chemielabor, jedoch alles in einem unhörbaren bereich. die vorstellung eines solchen bewegten raumes, der akustisch an der grenze des hörbaren liegt, war der ausgangspunkt und die aufgabe der komposition luft. inneres. das musikhören ist jedoch keine vorstellung von bildern, sondern man sollte sich im fluss des klanges treiben lassen. man sollte sich selbst wu- chern lassen. man sollte schließlich eine pflanze sein, wobei man ein teil ihres stoffwechsels wird. es ist das reale, das die musik als ganzes ausmacht. es ist ein raum alles hörbaren. in diesem raum setzt sich das hörbare in verbindung mit dem unhörbaren. das bild schließt sich und öffnet sich und macht die musik zu etwas lebendem, das sich unaufhaltsam verändert. bei luft. inneres versuche ich ein bild des sich kontinuierlich variierenden hierseins. ein bild des wachstums, wie das wesen von vegetationen. alle ge- danken, die mir für die entscheidung der definition der verschiedenen pa- rameter in dieser komposition wichtig waren, kommen aus der idee dieses bildes. [Kunsu Shim] 14
Gerhard Stäbler – –] erzählen… [����/����] Das panoptische Streichquartett – – ] erzählen … ist mein zweites Streich- quartett, entstanden 30 Jahre nach … strike the ear … Während sich dieses erste Streichquartett mit der beständigen Veränderung des »status quo« be- fasst und musikalisch entfaltet, wie sich gegebene Strukturen durch kaum merkliche, subkutane Transformationen zu neuen Formen entwickeln, sich schließlich etablieren und zu einem nächsten »status quo« verknoten, der sogleich wiederum aufgebrochen werden will, befasst sich das neue Streichquartett musikalisch mit dem sich beschleunigt entwickelnden neo-liberalen Regime eines Dataismus, der uns emotional äußerst »smart« in gefügige Objekte des angeblich selbst erwünschten Konsums zersplit- tern will, zu dem wir nur noch »like«, also »Amen« sagen (sollen). – – ] erzählen … versucht mit der alt-ehrwürdigen, aber dennoch sehr offe- nen Besetzung von vier Streichern dem gegenwärtigen drohenden(?), nein: schon extrem effizient gewordenen, unsere Wahrnehmung korrumpie renden Panoptikum zu trotzen und während des Spiels unsere Sinne in alle Richtungen zu »spitzen«, um Wege zu einem »beglückenden Zusam- mensein« (Byung-Chul Han, Psycho-Politik 2014) unterschiedlich(st)er, be- stimmt auch gegensätzlicher Wesen zu »erhören«. [Gerhard Stäbler] 15
Minguet Quartett. Gegründet 1988. Weltweite Konzerttätigkeit (2018 und 2019 Musikverein Wien, South Bank Centre London, Festival d’Automne Paris, Lincoln Center New York, Berliner Philharmonie, Elbphilharmonie Hamburg, The University of Hong Kong, Tongyeong International Music Festival Korea u.v.m.). Gesamteinspielungen der Streichquartette von Wolf gang Rihm, Peter Ruzicka, Jörg Widmann, York Höller, Felix Mendelssohn Bartholdy, Josef Suk und Heinrich von Herzogenberg. Diapason d’Or 2015 für Rihms Et Lux (gemeinsam mit dem Huelgas Ensemble). Als Soloquar- tett zu Gast bei den Rundfunksinfonieorchestern DSO , des SR, hr und WDR sowie dem Brucknerorchester Linz. 2018 Dozententätigkeit als En- semble-in-Residence an der Hochschule für Musik und Tanz Köln. Stefan Fricke [Musikwissenschaftler und Redakteur]. Studium der Musikwissenschaft und Germanistik in Saarbrücken. 1989 Mitbegründer des auf Literatur zur zeitgenössischen Musik spezialisierten Pfau-Verlages. Zahlreiche Publikationen zur Neuen Musik und zu Fluxus; (Mit-)Heraus geber der Schriften von u. a. Gottfried Michael Koenig, Hans G Helms, Konrad Boehmer, Wolfgang Hufschmidt, York Höller, Theo Brandmüller, Robert HP Platz, Günther Becker. Mehrfach Dozent bei den Internationa- len Ferienkursen für Neue Musik Darmstadt. 2007 Leitung des Studios für Akustische Kunst bei WDR 3. Seit 2008 Redakteur für Neue Musik/Klang- kunst bei hr2-kultur. Seit 2017 Honorarprofessor an der Hochschule für Musik Mainz der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Paulo Alvares [Klavier]. Studium in Sao Paulo, Texas und ab 1988 bei Aloys Kontarsky in Köln. 1990 Kranichsteiner Musikpreis. Seit 1997 Do- zent für Improvisation, Klavier und Liedbegleitung-Improvisation an der Hochschule für Musik und Tanz Köln. 1999 Gründung des Ensembles für Improvisation und aleatorische Musik (EIAM ). Regelmäßige Auftritte als Solist sowie als Ensemblepianist mit WDR Sinfonieorchester, Ensemble Musikfabrik u. a. CD -Aufnahmen des Klavier-Gesamtwerks von Mauricio Kagel und Gerhard Stäbler. Nicolas Kuhn [Komponist und Dirigent]. Siehe Seite 24 16
Kunsu Shim [Komponist und Performer]. Kompositionsstudium bei In- yong La (Seoul), Helmut Lachenmann (Stuttgart) und Nicolaus A. Huber (Essen). Prägende Zusammenarbeit mit Gerhard Stäbler seit den 1990er Jahren. Regelmäßige Gastspielreisen nach Japan, Korea, Norwegen, Portu- gal, Großbritannien sowie in die USA und nach Südamerika. Kompositi- onsaufträge seit 2011 u. a. durch Essener Philharmonie, Würzburger Phil- harmoniker, Kunststiftung NRW, Diözese Würzburg (für den Kiliansdom) und Ensemble Bit20/Norwegen. 2000-10 und seit 2015 gemeinsam mit Ger- hard Stäbler Etablierung und Leitung des EarPort Duisburg. Gerhard Stäbler [Komponist und Performer]. Studium bei Nicolaus A. Huber (Komposition) und Gerd Zacher (Orgel) in Essen und Detmold. Aktuelle Ur- und Erstaufführungen u. a. bei Borealis Festival und Bergen International Festival, Festival ZeitGenuss und ZKM-Festival Piano plus Karlsruhe, Acht Brücken – Musik für Köln, Seoul (Oil Tank Culture Park und Eagon House), hr-Sinfonieorchester Frankfurt, WDR Köln Sinfonieor- chester Köln, Theater Ulm, Theater Münster, Mainfranken Theater Würz- burg, Norske Opera Oslo, Landestheater Linz. Regelmäßige Gastspielrei- sen als Komponist, Lehrer und Performancekünstler nach Japan, Korea, Norwegen, Portugal, Großbritannien sowie in die USA und nach Südame- rika. 2000–10 und seit 2015 gemeinsam mit Kunsu Shim Etablierung und Leitung des EarPort Duisburg als Ort für experimentelle Musik und Be- gegnung zwischen den Künsten. Roland Techet [Dirigent]. Dirigierstudium in Stuttgart. Ab 1997 Di- rigent und Solorepetitor am Staatstheater Gärtnerplatz. 2001-05 Kapell- meister der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf-Duisburg, hier u. a. Uraufführung von Mauricio Kagels Theaterkonzert. 2008 Gründung des Kammerchors anima mundi. Produktionen in Düsseldorf im Rahmen des Heine-Jahres 2006 (Schönheit der Schatten mit Werner Schroeter), des Schu- mann-Jahres 2010 und bei CAGE 2012 (mit Gerhard Stäbler und Kunsu Shim). 2013-15 Kapellmeister am Theater Augsburg. Einladungen zu Gast- dirigaten und Einstudierungen bei Nederlands Opera Amsterdam, WDR , Oper Wuppertal, Duisburger Sinfoniker, Beethoven-Orchester Bonn u. a. 17
Schatten. Träume Hommage an Gerhard Stäbler Konzert des IEMA-Ensemble ����/�� Masterstudiengang »Internationale Ensemble Modern Akademie« an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main 15 Uhr Kunst-Station Sankt Peter Köln Franz Ferdinand August Rieks [*1998] Strom und Gegenstimme für Ensemble [2019] URAUFFÜHRUNG Auftragswerk von Ein Tag für Gerhard Stäbler 70 Gefördert durch die Kunststiftung NRW Jennifer Walshe [*1974] Residue für Ensemble [2019] URAUFFÜHRUNG Auftragswerk von Ein Tag für Gerhard Stäbler 70 Gefördert durch die Kunststiftung NRW Nicolas Kuhn [*1989] Wertstoffhof für Ensemble [2019] URAUFFÜHRUNG Auftragswerk von Ein Tag für Gerhard Stäbler 70 Gefördert durch die Kunststiftung NRW > Pause < 18
Gerhard Stäbler [*1949] Den Müllfahrern von San Francisco Ein Akronym aus akustischen Erinnerungen an eine Reise für Ensemble [1989/90] Version für sieben Spieler von Michael Oesterle [1996] Gerhard Stäbler Schatten · Träume extrahiert aus dem Ensemblewerk LUFTSPIEGELUNGEN [2008/09] Warum? In der Nacht Traumes Wirren Grillen IEMA-Ensemble 2018/19 Justine Ehrensperger [Flöte], Melanie Rothman [Oboe], Sergi Bayarri Sancho [Klarinette], Ronan Whittern [Fagott], Ona Ramos Tintó [Horn], Emmanuelle Fleurot [Klavier], Martin Pérénom [Klavier], Vera Seedorf [Schlagzeug], Mishi Stern [Violine], Robin Kirklar [Viola], Nathan Watts [Violoncello], Dominique Chabot [Kontrabass] Musashi Baba [Dirigent] 19
Franz Ferdinand August Rieks Strom und Gegenstimme [����] In meinen Begegnungen mit Gerhard Stäbler als Kompositionsstudent so- wie als Interpret seiner Musik hat mich schon als 15-jährigen Stipendia- ten seiner Winterakademie Schloss Benrath die Energie und Herzlichkeit mitgerissen, die eine Begegnung mit Gerhard Stäbler ausmacht. Es ist die exponierte Energie, vor allem in Gerhard Stäblers eigenen Performances, die auch mich antreibt und erfrischt. Insofern schwimmen wir im selben Strom, einer grellen, gleißenden, zielgerichteten und doch schwebenden Linie, gegen die ich einen energetischen Kontrapunkt setze. Diese Gegen- stimme strebt nach Eigenständigkeit, welche sie über die Profilierung ihrer aggressiv-filigranen Körperlichkeit erhält, einem kompositorischen Aus- druck, der für mich als Haltung eher mein Instinkt und seine Bändigung in Form einer nun prozesshaften Neuausrichtung ist. Als diese Unabhän- gigkeit vom Strom empfinde ich den Komponisten Gerhard Stäbler: Ich gratuliere Dir ganz herzlich zum 70. mit meinem Ensemblestück Strom und Gegenstimme. [Franz Ferdinand August Rieks] 20
Jennifer Walshe Residue [����] Gerhard Stäbler bin ich als Studentin zum ersten Mal begegnet. Er kam auf Einladung meines Lehrers Amnon Wolman an die Northwestern Uni- versity in Chicago, wo ich zu jener Zeit studierte. Ich werde die erste Auf- führung, die ich von Gerhards Arbeit im Museum of Contemporary Art in Chicago sah, nie vergessen. Riesige Eisblöcke waren hoch über der Büh- ne aufgehängt und tropften in die Metallwannen darunter. Ich war über- wältigt. Damals konnte ich noch nicht wissen, dass ich einige Jahre spä- ter, im Oktober 2003, im Festspielhaus Hellerau sein würde, wo Gerhards und meine Werke in einem Konzert des englischen Ensembles Apartment House zusammen auf dem Programm standen. Ich trat in Gerhards Stück auf – an Drahtseilen fliegend. [Jennifer Walshe] 21
Nicolas Kuhn Wertstoffhof [����] Wertstoffhof schreibt eine Werkgruppe fort, die sich mit Verwaltungsbegrif- fen in ihrer ganzen Vieldeutigkeit befasst; der Titel nimmt aber auch Bezug auf Stäblers „Müllfahrer von San Francisco“. Als ich darüber nachdachte, was die Arbeit von Gerhard für mich spezifisch an Gehalten transportiert, so fiel mir zuerst eine Grundhaltung ein, die ich mit einer freundlichen, gelassen-kämpferischen Beharrlichkeit, potenziell alles zur Kunst zu ma- chen, beschreiben möchte. So lag der Gedanke nahe, in Wertstoffhof alles Mögliche an Materialsplittern einfließen zu lassen; neben Geräuschhaf- tem und pantomimischem Gestenrepertoire auch musikhistorisch konta- minierten »Sondermüll«. Eine besondere Rolle kommt den Pauken zu, die hier von allen möglichen Filterungen, (akustischen) Abfällen und konkre- ten Materialien im wahrsten Sinne des Wortes verdeckt werden: eine Art Konzert für vergebliche Solopauken und Ensemble. Der Paratext einer pantomimischen Einlage – eine stumm-absurde Fort- schreibung dessen, was wir in unserer täglichen akustischen Sortierarbeit vornehmen (müssen) – hat einen (fast unhörbaren) Bruckner-Ausschnitt zur Grundlage und greift eine kleine Geschichte auf, die mir Gerhard über seine Studienerfahrungen erzählt hat. [Nicolas Kuhn] 22
Gerhard Stäbler Den Müllfahrern von San Francisco [����/��] … frühmorgens – in San Francisco – weckten mich einmal Müllarbeiter ziemlich jäh, vor allem durch ihren Wagen. Zuerst war ich verärgert, weil er wahnsinnigen Lärm von sich gab, der sich direkt in meinen Kopf bohrte und im Gehirn verkrampfte. In gut einer Viertelstunde löste sich aber der Krampf, musste sich lösen, weil ich allmählich von den lauten Klängen des Müllautos derart fasziniert war, dass ich die unfreiwillige Unterbrechung des Schlafens vergaß. Es waren Klänge, äußerst klar konturiert, und immer von ziemlicher Dauer: Geräusche vom hydraulischen Auffahren und Auf- klappen der hinteren Luke und dann, während das Fahrzeug offen war, der Sound einer – meist erschreckend reinen – großen Terz, die plötzlich in ganz tiefe Frequenzbereiche zusammensackte … … so etwas blieb im Gedächtnis haften, setzte sich fest, schließlich habe ich es auch notiert, und es wurde Bestandteil der Komposition, die ich den Müllfahrern von San Francisco widmete … … konstitutiv für das Rhythmische sind dabei – gleichsam geheim, weil unhörbar bzw. nicht direkt hörbar – weite Teile des Gedichtes Amerika von Allen Ginsberg, der eine Zeitlang in San Francisco lebte. Zwei weitere Ge- dichte, The Spider Speaks on the Need for Solidarity und The Spider’s Mantra der schwarzen Dichterin Angela Jackson, die ich in San Francisco kennenlern- te, werden teilweise von den Musikern rezitiert. [Gerhard Stäbler, Aus einem Gespräch mit Frank Hilberg] 23
Gerhard Stäbler Schatten · Träume [����/��] … I wish we were pictures on the rocks for our dreams to carry as mirrors … [Mahmud Darwish aus The Earth Is Closing on Us] IN DEN FLÜSSEN nördlich der Zukunft / werf ich das Netz aus, das du / zögernd beschwerst / mit von Steinen geschriebenen / Schatten. [Paul Celan aus Atemwende] Quelle der Inspiration sind zwei Zitate aus Gedichten von Mahmud Dar- wish und Paul Celan. SCHATTEN · TRÄUME schlägt auch einen Bogen zu Robert Schumanns Fantasiestücken für Klavier op. 12, nicht nur durch eine Korrespondenz der Titel der einzelnen Teile (Warum?, In der Nacht, Traumes- Wirren und Grillen), sondern auch dadurch, dass die Schumann’sche Musik aus weiter Entfernung ihre Schatten in die Klänge selbst wirft. [Gerhard Stäbler] 24
Franz Ferdinand August Rieks [Komponist und Pianist]. Seit 2017 Kompositionsstudium bei Markus Hechtle und Wolfgang Rihm (Karlsru- he). Als Komponist Preisträger der Berliner Philharmoniker, von Jeunesses Musicales, Symphonieorchester des BR und International Composition Competition New York. Absolvent des Composer Seminar Lucerne Festi- val/Academy (Wolfgang Rihm, Olga Neuwirth) und von Ink Still Wet (Jörg Widmann, Lothar Zagrosek). Kompositionsaufträge u. a. von Studio Mu- sikfabrik, Kunststiftung NRW, Landesmusikrat/Kultusministerium RLP / Villa Musica, Hoepfner-Stiftung. Auswahl für das Newcomer-Konzert der Wittener Tage für neue Kammermusik. 2017 Debüt-CD als Pianist (Beet- hoven, Rieks, Prokofjew). 2019 Komponistenresidenz im Beethoven-Haus Bonn als Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Jennifer Walshe [Komponistin und Performerin]. Studium der Kompo- sition bei John Maxwell Geddes (Glasgow), Kevin Volans (Dublin), Amnon Wolman und Michael Pisaro (Evanston). Weltweite Kompositionsaufträge, Rundfunksendungen und Aufführungen. Stipendien und Auszeichnungen u. a. durch Foundation for Contemporary Arts New York, DAAD Berliner Künstlerprogramm, Internationales Musikinstitut Darmstadt und Aka- demie Schloss Solitude. Aktuelle Projekte: Aisteach, (ein fiktives Online- Archiv zur Geschichte der Avantgarde-Musik in Irland), EVERYTHING IS IMPORTANT (für Stimme, Streichquartett und Film im Auftrag des Arditti Quartet) und die erfolgreich gastierende Oper TIME TIME TIME (eine Zusammenarbeit mit dem Philosophen Timothy Morton). Professo- rin für Performance an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart. Nicolas Kuhn [Komponist und Dirigent]. Studium der Komposition und Orchesterleitung bei Mark Andre und Manos Tsangaris (Dresden), José M. Sánchez Verdú und Rüdiger Bohn (Düsseldorf). Werkaufführungen u. a. mit Ensemble Recherche, KNM Berlin, Dresdner Philharmonie, El Perro Andaluz, Susanne Leitz-Lorey und bei Festivals wie Acht Brücken Köln, Tonlagen Dresden, Kontraklang Berlin, Inselfestival Hombroich, Lucerne Festival Academy, BONE Performance Art Festival Bern, Next Genera tion/Donaueschinger Musiktage und Münchener Biennale. 2018 Conduc- ting Fellow der Lucerne Festival Academy mit Assistenzen bei Matthias 26
Pintscher, Duncan Ward und Sir Simon Rattle. Seit 2016 Dozent an der Musikhochschule Dresden und Leiter des dortigen Hochschulensembles für Neue Musik. Internationale Ensemble Modern Akademie [IEMA -Ensemble 2018/19]. Ausbildungsstätte des Ensemble Modern, gegründet 2003. Regel mäßige Projekte in Frankfurter Schulen, intensive Kurse im Rahmen der Exzellenzförderung Jugend musiziert, Internationales Kompositions- seminar sowie Angebote für professionelle Musiker auf internationalen Meisterkursen. Schwerpunkt: Einjähriger, weltweit einzigartiger Master- studiengang an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frank- furt am Main, geleitet und durchgeführt von Mitgliedern des Ensemble Modern. Über 230 Absolventen: Instrumentalist*innen, Dirigent*innen, Klangregisseur*innen und Komponist*innen. Präsentation der Ergebnisse durch das jeweilige IEMA -Ensemble in ca. 20 Konzerten pro Jahr im In- und Ausland. Gefördert u. a. durch die Kunststiftung NRW und die GVL. 27
LuftMärsche Orgel und Performance 17 Uhr Kunst-Station Sankt Peter Köln Gerhard Stäbler [*1949] TAP für Orgelpedal solo [1998] Younghi Pagh-Paan [*1945] Unterm Sternenlicht für Orgel solo [2009] Gerhard Stäbler Heiß! für Orgel [1988] Dominik Susteck [*1977] Zeit (3. Satz aus Zeitfiguren für Orgel) [2014] Gerhard Stäbler LuftMarsch für zwei luftbetriebene Keyboards [2001] Hans Joachim Hespos [*1938] Sns für Orgel [1975] 28
Dominik Susteck Endzeit 6. Satz aus Raumgestalten für Orgel) [2018] simultan mit: Kunsu Shim [*1958] happy for no reason für zwei Performer [2000] Dominik Susteck [Orgel] Andreas Fröhling [Orgel] Gerhard Stäbler und Kunsu Shim [Performance ] 29
Gerhard Stäbler TA P [����] TAP für Orgelpedal solo ist das Resultat eines Gesprächs zwischen Ger- hard Stäbler und dem Organisten Thomas Noll. Die Komposition kommt ohne klassische Noten aus, ist aber keine grafische Partitur, bei der es auf Bezüge zwischen optischen Strukturen und Klang ankommt. Stäbler schreibt Pfeile mit einer Lautstärkenangabe und jeweils zwei Ziffern. Eine dieser Ziffern gibt die Dauer des Klangs in Sekunden an, die andere die Anzahl der Pedale, die gedrückt werden soll. Außerdem beschränkt sich der Spielbereich auf einen Tritonus im tiefen und einen im hohen Bereich, nämlich C bis Fis sowie h bis f. Der Spieler, kann, wenn er möchte, Schuhe mit gehärteten Sohlen tragen. Dadurch entstehen perkussive Effekte, wenn der Spieler die Pedale tritt. TAP besteht aus einer klaren Abfolge von Klängen, die sich in ihrer Länge und Charakteristik klar unterscheiden. Dadurch kann man einen Bogen spüren, der sich über das Werk zieht und die Einzelklänge zu einem Gan- zen zusammenbindet. Dieses Ganze erzeugt jedoch einen eher heterogenen Eindruck. Denn genauso gut, so scheint es, kann man die Einzelklänge für sich wahrnehmen, für schlicht nebeneinander gestellt und dabei in ihrem Eigenwert empfunden. [Hanno Ehrler] 30
Younghi Pagh-Paan Unterm Sternenlicht [����] Der zweite koreanische katholische Priester Yang-Eop Choe (1821–1861) ver- brachte sein Leben unter schwierigsten Umständen. Die ersten Christen in Korea wurden fast hundert Jahre lang verfolgt und viele von ihnen zum Tode verurteilt. In dieser Situation kümmerte er sich in mehreren Provin- zen um die neu geschaffenen koreanisch-christlichen Gemeinden. Wenn ich an Priester Choe denke, der zeitlebens große Strecken von einer Ge- meinde zur anderen wanderte, immer versteckt vor seinen Verfolgern, in tiefer Nacht unter dem Sternenlicht, dann bringt mich das zu folgendem Psalm (116, Verse 8 und 9): »Er hat meine Seele befreit vom Tode / meine Augen von Tränen / meine Füße vom Fall. / Und wieder darf ich wandeln vor Gott / im Lande der Lebenden.« [Younghi Pagh-Paan] 31
Gerhard Stäbler Heiß! [����] Heiß! ist eine Bearbeitung der Ensemblekomposition Hart auf Hart, die zwei Jahre zuvor entstand und die Gerhard Stäbler für Orgel einrichtete. Beide Stücke haben grafische Partituren. Heiß! besteht aus der Abbildung von Strich- beziehungsweise Barcodes, wie sie heute an jedem Produkt ange- bracht sind und in Form einer Abfolge dicker und dünner Striche Produkt- informationen grafisch verschlüsseln. Sie dokumentiert eine zunehmende Technisierung von Verkauf und Vertrieb und symbolisiert die grassierende Kapitalisierung unserer Gesellschaft sowie die fortschreitende Technisie- rung der Datenerfassung. Eine Reihe von Barcodes sind in verschiedenen Größen horizontal und vertikal nebeneinander gesetzt und bilden Folgen von dicken und dünnen Linien, die von rechts nach links oder von oben nach unten oder jeweils umgekehrt gelesen werden können. Heiß! schrieb Gerhard Stäbler für die Organistin Gabriele Müller und ar- beitete für sie Spielanweisungen aus. Diese Anweisungen definieren Aus- führungskriterien für dicke und dünne Striche und gewisse Abfolgen die- ser Striche. Doch ist der Komponist auch offen für andere Auslegungen seiner Partitur. [Hanno Ehrler] 32
Dominik Susteck Zeit [����] Die Zeit klopft, tickt wie eine Uhr, wird gemessen. Sie zerfließt, zerrinnt, und doch steht sie. Sie zergeht in Energie und ist nur mit Ordnung mess- bar. Durch Meditation wird die Zeit gewaltig stark, berstend, wie der eigene Herzschlag. Im Schnellen jagt sie sich, wird flüchtig und vergeht, als gäbe es sie nie. [Dominik Susteck] Gerhard Stäbler LuftMarsch [����] Zwei luftbetriebene Keyboards treten in Stäblers LuftMarsch in einen in- strumentalen Dialog, begleitet von Stimme und Atem der beiden Spieler. Kirchenorgel, Harmonium, Akkordeon, Jahrmarkts- oder Drehorgel sind als Besetzung ebenso möglich wie elektrisch betriebene Instrumente. In der heutigen Version sind es die beiden Orgeln der Kunst-Station Sankt Peter Köln. Der Zentralton cis2 wird von beiden Spielern im Mezzoforte als unregel- mäßiges Ostinato während des gesamten Ablaufs gepfiffen. Er dient als Ausgangspunkt für die Ausbreitung (oder Schrumpfung) der instrumenta- len Cluster, die sich stets im extremen fünffachen Pianissimo zwischen den Tönen d1 und c3 bewegen. Dieses organisch freie Pulsieren wird um weitere Klangelemente wie die Geräusche des Blasebalgs, entspanntes Atmen und einen von den Musikern frei gewählten poetischen »LuftText«, der inhalie- rend zu sprechen ist, angereichert. Auch hier stellt Stäbler frei, die Klänge live zu erzeugen oder in Aufnahmen einzuspielen. Der Komposition liegt ein strenges Taktmaß von 3 Sekunden zugrunde. Doch dieser »Marsch« wird von den instrumentalen und menschlichen Impulsen überschrieben und in einen lebendigen Klangpuls überführt. [Elisabeth von Leliwa] 33
Hans Joachim Hespos Sns [����] Hespos betrachtet in seiner ersten Orgelkomposition Traces de … (1972) das Instrument eher als einen Haufen Knochen. Schließlich stammen die ers- ten urzeitlichen Pfeifen, die als Flöten gespielt wurden, aus Knochen des erschlagenen Feindes, erläutert Hespos. Und solche organischen Pfeifen leben von der Ungenauigkeit ihres Tons, der auf die individuelle Knochen- form der Menschen zurückgeht. Das archaische Wurzelwerk und die rohe, undomestizierte Form setzt sich in Sns (1975) fort. Allerdings anders – oder: »neuAnders« ein Wort, das in seinen Partituren immer wieder auftaucht. Die Orgel als Knochenberg ist hier noch präsenter. Sie wird als reines Klapperinstrument exponiert. Das Klappern holt Hespos vor allem aus den Pedalen, den Registern und sogar der Holzbank des Organisten. So beginnt das Stück als eine Art Tanz der Skelette, bis der Organist schließlich mit gewaltigen Schlägen auf die Tas- tatur losgeht – »in der Hoffnung, dass das Kruzifix herunterfällt«, so der Komponist. So birgt Hespos aus dem Instrument das, was er im kryptischen Titel Sns verklausuliert: sense – Sinn. [Barbara Eckle] 34
Dominik Susteck Endzeit [����] Der einstündige Orgelzyklus Raumgestalten entfaltet in seinen sechs Sätzen heterogenes musikalisches Material. Endzeit ist der letzte und mit knapp zwanzig Minuten der längste Satz des Zyklus. Zugleich tritt er komposi- torisch aus der dramaturgischen Zeit heraus. Seine einzelnen Elemente, die immer wieder von langen Pausen unterbrochen werden, könnten eine beliebige Reihenfolge annehmen. So bildet sich eine große Ungewissheit, da alles überall auftreten kann. Es entsteht eine kompositorische „Aufhe- bung“ der Zeit. Trotzdem kann man sich erinnern: Eine leere Quinte, dramatische Klang- ballungen, fantastische Akkorde. Einzeltöne verändern sich, knicken ein oder Wabern mit unterschiedlichen Tremulantengeschwindigkeiten vor sich hin. Wie aus dem Nichts entstehen weite Felder, deren Registrierung changiert. Nach einiger Zeit setzt eine Melodie an, fragmentarisch. Ein fer- nes Rumpeln. Maschinenartige Wiederholungen. Zerknautschte Klänge mit finsterem Geräusch … Stille. [Dominik Susteck] 35
Kunsu Shim happy for no reason [����] there is happiness that we feel without any material stimulation. [Agnes Martin] happy for no reason besteht aus zwei extrem unterschiedlichen zuständen von klangereignissen, die durch eine lange stille miteinander verbunden sind. sie sind vielleicht vergleichbar mit einem zustand von freude: einmal extrem nach außen und zum anderen extrem nach innen gerichtet. [Kunsu Shim] 36
Dominik Susteck [Organist und Komponist]. Geboren 1977 in Bochum. Studium der Kirchenmusik, Musiktheorie, Komposition und Orgel an den Musikhochschulen in Essen, Köln und Saarbrücken. Seit 2007 Organist der Kunst-Station Sankt Peter Köln. Lehrtätigkeit an Hochschulen in Essen, Düsseldorf, Weimar und Köln. Zahlreiche Uraufführungen von Werken jüngerer Komponisten (Janson, Odeh-Tamimi, Pena, Froleyks, Köszeghy, Ruttkamp, Seidl, Wozny u. a.). Überwiegend auf zeitgenössische Musik aus- gerichtetes Repertoire (CD -Produktionen von u. a. Herchet, Hölszky, Kagel, Ligeti, Rihm, Stockhausen und Stäbler, zum Teil in Zusammenarbeit mit dem Deutschlandfunk). 2013 und 2014 Preis der Deutschen Schallplatten- kritik. 2018 Schneider-Schott-Musikpreis der Stadt Mainz. Andreas Fröhling [Organist und Kirchenmusiker]. Studium der Kir- chenmusik und Orgel u. a. bei Gerd Zacher und Manfred Schreier (Essen). Kreiskantor im Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid, seit 2009 Kirchenmusikdirektor. (Mit-)Initiator besonderer Konzertformen und Kon- zertreihen wie Emporenkonzerte Gelsenkirchen, Festival Utopie jetzt! (in Zusammenarbeit mit Gijs Burger an der Petrikirche in Mülheim an der Ruhr) und Orgelfestival.Ruhr. Dozent für Orgel und Orgelimprovisation an der Bischöflichen Kirchenmusikschule in Essen. Seit 2016 Lehrbeauf- tragter der Hochschule für Kirchenmusik Herford-Witten (Ev. Pop-Akade- mie). Gerhard Stäbler [Komponist und Performer]. Siehe Seite 15 Kunsu Shim [Komponist und Performer}. Siehe Seite 15 37
Spices 18.30 Uhr Kunst-Station Sankt Peter Köln Nicolaus A. Huber [*1939] Clash Music aus Herbstfestival für vier Schlagzeuger [1988] Kunsu Shim [*1958] Langen I und III für Sopran und Schlagquartett [2004] Gerhard Stäbler [*1949] KYBELE Kassandra-Studie für vier Schlagzeuger [1993] Nicolaus. A. Huber Barong de Méduses für drei Schlagzeuger [2005] Gerhard Stäbler HÄMMER Aktion für vier Schlagwerker [2019] URAUFFÜHRUNG Auftragswerk von Ein Tag für Gerhard Stäbler 70 Gefördert durch die Kunststiftung NRW Gerhard Stäbler Spices (3) für drei Schlagzeuger, Tonband – mit dem Gestank »heilsverheißender Kriegsgebete« [2001] 38
während des Konzerts: Kunsu Shim inserting music für Tonband [1993] Schlagquartett Köln Thomas Meixner Boris Müller Dirk Rothbrust Achim Seyler Irene Kurka [Sopran] Gerhard Stäbler [Sprecher] 39
Nicolaus A. Huber Clash Music [����] .…, und selten lärmet / Der Schall durchs offne Feld, … /…, die Lüfte wehen / Die Zweig und Äste durch … [Friedrich Hölderlin: Der Herbst] Clash Music ist der monochrome Kulminations- und Wendepunkt in der Mitte von Hubers Herbstfestival für vier Schlagzeuger. Anders als es die Besetzung vielleicht vermuten ließe, handelt es sich bei der knapp 20- minütigen Gesamtkomposition um eine über weite Strecken (wie Huber formuliert) »äußerst leise« Auslotung einer »insistierenden herbstlichen Klanglandschaft«, die sich aus Friedrich Hölderlins Gedicht Herbst herlei- tet. Huber nutzt dabei die materielle Klangvielfalt der Schlaginstrumente – Felle, Hölzer, Metalle – als »Klangnatur«. Clash Music wird ausschließlich auf Becken gespielt und verweigert sich jeder auftrumpfenden Geste. Im Gegenteil: Innerhalb der Dramaturgie der Komposition stellt sie eine Verdichtung und scheinbare Vereinfachung der vorangegangenen polychromen und polyphonen Entwicklung dar. In einer Höranweisung für Herbstfestival schreibt der Komponist: «Die Komposition verzichtet auf aufrüttelnde Reklame für ihre Klangereignisse. Sie braucht offenes, entspannt-aufmerksames, zulassendes Hören.« [Elisabeth von Leliwa] 40
Kunsu Shim LA NGEN I und III [����] Die beiden Kompositionen mit dem Titel LANGEN entstanden im Jahr 2004 im Auftrag der Langen Foundation zur Eröffnung des Ausstellung- hauses, das von der Sammlerin und Stifterin Marianne Langen initiiert und von dem Architekten Tadao Ando auf der ehemaligen Raketenstation Hombroich (bei Neuss) errichtet worden war. Kunsu Shim ließ sich dabei von der Idee einer Musik mit architektonischen Charakter leiten: »Die Klänge – leise und sanft und gleichmäßig fließend – sind so konzipiert, dass sie nur als ›Klang‹ selbst zu hören sind. Ein Klang, der sich wie ein Lichtstrahl mit dem Raum verschwisternd leicht bewegt.« [Elisabeth von Leliwa] 41
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