GERONTOLOGIE Angewandte - Themenschwerpunkt Vielfalt - Jenseits der Normen des aktiven Alterns
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Jahrgang 2 / Heft 4 / 2017 Volume 2 / Magazine 4 / 2017 Angewandte GERONTOLOGIE Appliquée Themenschwerpunkt Vielfalt – Jenseits der Normen des aktiven Alterns Thème central Diversité – au-delà des normes du vieillissement actif
Aktuell Erfahrungswissen 1:1 An dieser Stelle weisen wir Sie jeweils auf interessante Studien und Schlussberichte aus unseren Förderprojekten hin. In eigener Sache Dokumentation Design hilft Tagesstätte Gelterkinden Die Age-Stiftung ist während acht Jahren Partner Wenn alte Menschen länger zu Hause betreut wer- bei Design Preis Schweiz. Für diese Partnerschaft den, kann für die Angehörigen eine Zusammenar- haben wir uns entschieden, weil es uns wichtig ist, beit mit einer Tagesstätte äusserst wertvoll sein. dass sich Designer über die Bedürfnisse von älte- Der Schlussbericht über den Aufbau der Tagesstät- ren Menschen Gedanken machen und diese bei te in einer 4,5-Zimmer-Wohnung in Gelterkinden der Gestaltung von Produkten und Dienstleistun- dokumentiert die ersten 15 Monate und die dabei gen berücksichtigen. gemachten Erfahrungen aus Sicht der Projektträger. Ein wichtiges Thema ist die Bezahlbarkeit des Ange- Sechs Projekte sind in der Ausgabe 2017/2018 nomi- botes. Tagesstätten haben ihren Platz als wichtige niert worden. Gewonnen hat das Dienstleistungs- Ergänzung im ambulanten System noch nicht ge- angebot Claire & George, welches Menschen, die funden – jedenfalls was deren Finanzierung angeht. Spitex benötigen, ermöglicht, entspannte Ferien Neben den Erlösen aus der Betreuung braucht es zu geniessen. auch hier weitere Geldgeber, wenn das Angebot überlebensfähig bleiben soll. Gewinner: claireundgeorge.ch Veranstalter: designpreis.ch Projektträger: Verein Alterstagesstätte «Zum Lebenslauf» Download: age-stiftung.ch/publikationen Dokumentation KISS Dokumentation Wohnen im Hunziker Areal Der Verein «KISS Schweiz» hilft, regionale Genos- senschaften aufzubauen, die den Unterhalt und Im Hunziker Areal hat sich die Stiftung «Züriwerk» Betrieb eines langfristigen, nicht monetären Zeitvor- eingemietet und bietet dort neben betreuten Wohn- sorgesystems sicherstellen. Im Evaluationsbericht gruppen auch eine Wohnbegleitung für Menschen von Theo Wehner und Stefan Güntert wird nicht an, die beim selbstständigen Wohnen Unterstüt- nur die Entwicklung von KISS beschrieben, es wer- zung brauchen. Das Modell für Menschen mit einer den auch Unterschiede in der Motivation zwischen Behinderung könnte auch die Altersarbeit inspirie- Zeitvorsorgenden und Freiwilligen festgehalten, ren. und es werden Empfehlungen abgegeben, wie die Projektträger: Stiftung Züriwerk nachbarschaftliche Unterstützung gefördert wer- Download: age-stiftung.ch/publikationen den kann. Der interessante Evaluationsbericht steht wie alle Schlussberichte zum Herunterladen zur Verfügung. age-stiftung.ch Projektträger: KISS Schweiz Download: age-stiftung.ch/publikationen
Angewandte GERONTOLOGIE Appliquée Jahrgang 2 / Heft 4 / November 2017 Volume 2 / Magazine 4 / Novembre 2017 Themenschwerpunkt Vielfalt – Jenseits der Normen des aktiven Alterns Thème central Diversité – au-delà des normes du vieillissement actif Herausgeber/ Editeur
Herausgeber/Editeur Schweizerische Gesellschaft für Gerontologie SGG Société Suisse de Gérontologie SSG Redaktionsleitung/Direction Stefanie Becker, Redaktionsleitung, Präsidentin (past) SGG, rédactionnelle Geschäftsleiterin Schweizerische Alzheimervereinigung gerontologie@sgg-ssg.ch Redaktionsteam/Team rédactionnel Pia Coppex-Gasche, Maître d’enseignement, M. A., Institut de Haute Ecole de la Santé La Source, Lausanne Valérie Hugentobler, Professeure HES·SO, Sociologue Hildegard Hungerbühler, Leiterin Stab Grundlagen und Entwicklung, Schweizerisches Rotes Kreuz, Vizepräsi- dentin Nationales Forum Alter & Migration Christoph Hürny, Prof. Dr. med., em. Chefarzt, Geriatrische Klinik, St. Gallen Miriam Moser, Wissenschaftliche Mitarbeiterin Grundlagenarbeit, Pro Senectute Schweiz Delphine Roulet-Schwab, Professeure ordinaire HES, Docteure en psychologie, Institut et Haute Ecole de la Santé La Source – HES-SO, Lausanne Hans Rudolf Schelling, Geschäftsleiter Zentrum für Gerontologie, Universität Zürich Andreas Sidler, Leiter Forschung & Wissensvermittlung, AGE Stiftung Zürich Stefan Spring, Forschungsbeauftragter Schweizerischer Zentralverein für das Blindenwesen, Vorstand Fachgruppe Angewandte Gerontologie (SGG) Monika Steiger, Geschäftsleiterin SGG Dieter Sulzer, Leiter Pro Senectute Bibliothek, Zürich Urslua Wiesli, Vorstandsmitglied des Vereins für Pflegewissenschaft und Mitglied der Geschäftsleitung der Stiftung Drei Tannen, Wald Verlag/Edition Hogrefe AG, Länggass-Strasse 76, Postfach, 3000 Bern 9, Tel. +41 (0) 31 300 45 00, zeitschriften@hogrefe.ch, www.hogrefe.ch Herstellung/Production Jean-Claude Poffet, Tel. +41 (0) 31 300 45 59, jean-claude.poffet@hogrefe.ch Anzeigenleitung/Annonces Josef Nietlispach, Tel. +41 (0) 31 300 45 69, josef.nietlispach@hogrefe.ch Für Anzeigen zeichnet sich der Verlag verantwortlich L’édition se porte garante des annonces Abonnemente/Abonnements Tel. +41 (0) 31 300 45 74, zeitschriften@hogrefe.ch Mehrere Printexemplare auf Anfrage Plusieurs exemplaires sur demande Satz/Typographie punktgenau GmbH, Bühl, Deutschland Druck/Impression Kraft Premium GmbH, Ettlingen, Deutschland Abonnementspreise/Prix des Pro Band/Par ouvrage: abonnements Institute/Institutions: CHF 183.– / € 145.– Private/Privé : CHF 87.– / € 69.– Einzelheft/Par numéro: CHF 35.– / € 27.– plus Porto- und Versandgebühren/Frais de port et d’expédition : Schweiz/Suisse : CHF 14.– Europa/Europe : € 13.– Übrige Länder/Autres : CHF 26.– Erscheinungsweise/Parution 4 Hefte jährlich/4 numéros annuels (= 1 ouvrage) (= 1 Band) © 2017 Hogrefe AG, Bern ISSN-L 2297-5160 ISSN 2297-5160 (Print) ISSN 2297-5179 (online) Die Angewandte Gerontologie /Gerontologie Appliquée ist das offizielle Mitgliederorgan der Schweizerischen Gesellschaft für Gerontologie SGG Gérontologie Appliquée est l’organe officiel des membres de la Société Suisse de Gérontologie SSG Das Abonnement ist für Mitglieder im Jahresbeitrag inbegriffen Pour les membres de la SSG l‘abonnement est inclus dans la contribution annuelle Zugriff auf die übersetzten Artikel: Alle Artikel dieser Zeitschrift stehen in der jeweiligen Übersetzung (Fran- zösisch oder Deutsch) online zur Verfügung. Sie gelangen zur jeweiligen Übersetzung des Artikels, indem Sie nebenstehenden Link eingeben oder den Code AGA-2017-04 verwenden. Mit einem QR-Reader auf Ihrem mobilen Gerät haben Sie so einfach und schnell Zugriff auf die gewünschte Übersetzung. Accès aux articles traduits : Les différentes traductions (en allemand ou français) des articles de ce maga- zine sont disponibles en ligne. Vous pouvez accéder à la traduction d’un article donné en introduisant le lien ci-contre ou en utilisant le Code AGA-2017-04. Vous avez ainsi facilement et rapidement accès à la traduction désirée avec le lecteur de code QR de votre appareil mobile. http://econtent.hogrefe.com/ toc/aga/current
Inhalt/Sommaire Editorial Vielfalt – Jenseits der Normen des aktiven Alterns 5 Diversité – au-delà des normes du vieillissement actif Stefanie Becker Schwerpunkt/ Thème central Überblick/ Vielfalt und soziale Ungleichheit 7 Vue d’ensemble Diversité et inégalité sociale Hans Rudolf Schelling Grund- und Menschenrechte Älterer 9 Libertés fondamentales et droits de l’homme des personnes âgées Sabrina Ghielmini Forschung/Recherche Migrants africains et latino-américains âgés: 13 trajectoires et conditions de vie Afrikanische und lateinamerikanische Migranten im Seniorenalter: Lebenswege und Lebensbedingungen Claudio Bolzmann Bildungsbezogene Ungleichheiten bei 65 bis 74-jährigen Menschen 16 in der Schweiz Inégalités liées à l’éducation chez les personnes âgées de 65 à 74 ans en Suisse François Höpflinger Vorläufig aufgenommene Menschen in der Schweiz 19 Personnes admises à titre provisoire en Suisse Luzia Jurt Praxis & Theorie/ Pratique & Théorie Internationales/ Lebensalter und Motive ehrenamtlichen Engagements – Eine Studie 21 Nouvelles internationales für das Deutsche Rote Kreuz L’âge et les motifs d’un engagement bénévole – une étude pour la Croix-rouge allemande Eike Emrich und Christian Pierdzioch Transfer/Transfert Le vieillissement des personnes avec handicap au Tessin 24 Der Alterungsprozess behinderter Menschen im Tessin Michèle Egloff und Rita Pezzati Nationales Forum Alter & Migration – Engagement für eine vergessene 26 Zielgruppe der Altersbevölkerung Forum national Age et migration – l’engagement pour un groupe cible oublié de la population âgée Hildegard Hungerbühler Drogensenioren altern schneller 28 Les drogués âgés vieillissent plus vite Elisabeth Granacher, Arche Zürich, im Gespräch mit Andreas Sidler
Inhalt/Sommaire Sensibilität für Homosexuelle in Schweizer Pflegeheimen 31 Sensibilité aux homosexuels dans les maisons de retraite suisses Sabina Misoch Sehen im Nebel, Hören auf der Baustelle 33 Voir dans le brouillard – entendre sur un chantier Stefan Spring queerAltern – das Schicksal in die eigenen Hände nehmen 35 queerAltern – s’approprier son destin Vincenzo Paolino Forum Nachgefragt/Nous avons Seniorinnen verfechten eine Klimaklage gegen den Bund 37 demandés Des seniores engagent un recours relatif au climat contre la Confédération Pia Hollenstein Pro & Contra Aktives Altern stresst 39 Le vieillissement active est stressant Simone Gretler Heusser Spotlights Kolumne/Colonne Und welcher Gerechtigkeitstyp sind Sie? 41 Et quel type de «justicier» êtes-vous? Stefanie Becker Kultur/Culture Wir bleiben: Ältere Migrantinnen und Migranten in der Schweiz 43 Nous restons: les migrants plus âgés en Suisse Christa Hanetseder Nach Verlusten neuen Sinn suchen 45 À la recherche d’un nouveau sens après les pertes Hanspeter Stalder Alltag/Quotidien Appelez-moi Joseph 47 Nennen Sie mich Joseph Rita Pezzati et Patrizia Solari Aufgefallen/Remarqué Netzwerk 80+: Gesellschaftliche Teilhabe fördern 49 Réseau 80+: promouvoir la participation sociale Bettina Hübscher Historisches/Historique Geschlechter-Gerechtigkeit 51 Justice entre les sexes Kurt Seifert Gerontologie in Zahlen/ Rätsel: Altersbevölkerung nach Herkunft 53 La gérontologie en chiff res Devinette: La population âgée en fonction de ses origines Stefanie Becker Aus den Gesellschaften/ Mitteilungen aus der SGG und der SGAP 54 Informations de sociétés Informations de la SSG et de la SPP Angewandte GERONTOLOGIE Appliquée 4/17 © 2017 Hogrefe
Editorial 5 Liebe Leserinnen und Leser, liebe Mitglieder der SGG D er Begriff der «inter- und intraindividuelle Varia- Die Angewandte GERONTOLOGIE erscheint zweispra- bilität» gehört zum Standard der gerontologi- chig, wobei die Artikel in der Ihnen vorliegenden Druck- schen Erkenntnisse und Studierende der Alterns- version jeweils in der Originalsprache gedruckt sind. In forschung erfahren bereits in den ersten Stunden ihres der Online-Version sind jedoch alle Artikel in Franzö- Studiums mehr zu diesem Phänomen. Es beschreibt einen sisch und Deutsch verfügbar. Sie gelangen zur jeweili- wesentlichen Faktor für Vielfalt im Alter: Menschen ent- gen Übersetzung, indem Sie entweder den Link ganz wickeln sich nicht nur im Vergleich zu anderen Personen unten im Impressum eingeben oder den danebenste- (gleichen Alters) unterschiedlich (inter-individuell), son- henden QR-Code verwenden. Mit einem QR-Reader auf dern auch im Bezug auf verschiedene Aspekte ihrer eige- Ihrem mobilen Gerät haben Sie so einfach und schnell nen Person, also intra-individuell (z. B. kognitiv und phy- Zugriff auf die gewünschte Übersetzung. sisch). Beide Prozesse führen dazu, dass es eben nicht DAS Sie werden dann in beiden Fällen dazu aufgefordert den Alter(n), sondern so viele verschiedene Lebensformen im Code der jeweils aktuellen Ausgabe einzugeben. Der Alter gibt, wie es alte Menschen gibt. Zugangscode wechselt für jede Ausgabe. Sie finden ihn Entsprechend ist es Aufgabe der Gerontologie dieses jeweils im Impressum! Phänomen nicht nur zu beschreiben und zu erklären, son- dern es auch in der Praxis zur bestmöglichen Gestaltung des Lebens im Alter mit einzubeziehen. Eine Standardlö- sung für Altersfragen, die für alle gilt (und die natürlich auch am einfachsten in der Realisierung wäre) kann es Ich wünsche Ihnen allen einen abwechslungsreichen daher nicht geben. Als Gerontologinnen und Gerontolo- Lesegenuss gen sind wir also in unserem Kompetenzbereich gefor- dert, uns ständig mit Verschiedenartigkeit und Mehrdi- mensionalität als genuine Aspekte des Lebens im Alter Ihre und des Alterns auseinanderzusetzen. Entsprechend viel- fältig, abwechslungsreich und interessant ist die Geronto- logie als Profession! Was Diversität im Alter alles bedeuten kann, zeigt Ihnen Dr. Stefanie Becker ist Präsidentin die vorliegende Ausgabe der «Angewandten Gerontolo- past der SGG und aktuell Chefredak- gie» mit einem bunten Strauss von Forschungsthemen, teurin der Angewandten GERONTO- LOGIE. Sie ist Psychologin und über aktive Seniorinnen oder mit Einblicken in das Leben Gerontologin. von in der Schweiz vorläufig aufgenommenen, drogenab- hängigen oder auch homosexuellen älteren Menschen. gerontologie@sgg-ssg.ch © 2017 Hogrefe Angewandte GERONTOLOGIE Appliquée 4/17
6 Editorial Chères lectrices, chers lecteurs, chers membres de la SSG, L e terme de la «variabilité inter- et intra-indivi- Angewandte GERONTOLOGIE Appliquée paraît en deux duelle» fait partie des connaissances gérontolo- langues, les articles de la version papier étant publiés giques standards et les étudiants de la recherche sur dans la langue de l’auteur. Dans la version en ligne toute- le vieillissement en apprennent plus sur ce phénomène dès fois, tous les articles sont disponibles en français et en les premières heures de leurs études. Il décrit un facteur allemand. Vous parvenez à la traduction d’un article essentiel de la diversité à l’âge: les personnes ne se déve- donné en introduisant le lien correspondant qui se loppent pas seulement différemment par rapport à d’autres trouve tout en bas dans l’impressum ou en utilisant le personnes (du même âge), c’est-à-dire inter-individuelle- code QR en regard. Vous avez ainsi facilement et rapide- ment, mais aussi par rapport aux différents aspects (p. ex. ment accès à la traduction désirée avec le lecteur de cognitifs et physiques), de leur propre personne, donc in- code QR de votre appareil mobile. tra-individuellement. Les deux processus font qu’il n’existe Dans les deux cas, il vous sera demandé d’introduire pas L’âge/LE vieillissement, mais autant de formes de vie le Code de l’édition actuelle. Le code d’accès est mo- différentes à l’âge qu’il y a de personnes âgées. difié à chaque édition. Vous le trouverez dans chaque La tâche de la gérontologie n’est donc pas seulement de impressum! décrire et d’expliquer ce phénomène, mais aussi d’en tenir compte en pratique pour arriver à la meilleure organisation de la vie à l’âge possible. Il n’existe donc pas de solution standard qui serait valable pour tous (et dont la réalisation serait bien sûr plus simple). Au sein de notre domaine de Je vous souhaite une lecture variée et agréable compétences et en tant que gérontologues, nous sommes donc toujours obligés de faire face à l’hétérogénéité et à la pluridimensionalité comme aspects de la vie à l’âge et du Votre vieillissement. Ceci aussi fait de la gérontologie une pro- fession complexe, variée et intéressante! Cette édition de «Angewandte GERONTOLOGIE Ap- Dre Stefanie Becker est présidente pliquée» montre ce que la diversité à l’âge peut signifier, past de la SSG et actuellement ré- avec un bouquet multicolore de thèmes, de la recherche dactrice en chef de la revue GÉRON- TOLOGIE Appliquée. Elle est psycho- sur les seniores actives ou des aperçus de la vie en Suisse logue et gérontologue. des personnes âgées temporairement admises, toxico- manes ou encore homosexuelles. gerontologie@sgg-ssg.ch Angewandte GERONTOLOGIE Appliquée 4/17 © 2017 Hogrefe
Schwerpunkt/Thème central 7 Vielfalt und soziale Ungleichheit Hans Rudolf Schelling Die gesellschaftliche Vielfalt prägt immer mehr auch die Alters- Diversité et inégalité sociale bevölkerung. Ein Trend zur Heterogenisierung etwa infolge der La diversité sociale marque également de plus en plus la po- Migration und eines Wertewandels, der Verschiedenheit zu- pulation plus âgée. La tendance à l’hétérogénéité, due par lässt, war lange Zeit vorrangig in der jüngeren Bevölkerung zu exemple à la migration, et un changement des valeurs autori- finden, die interindividuelle Diversität verliert sich aber nicht sant la diversité a longtemps concerné principalement la po- mit dem Altern. Wie gehen wir mit dieser neuartigen Diversität pulation plus jeune, mais la diversité interindividuelle ne se um, und wie unterscheiden wir sie von sozialer Ungleichheit? perd pas en vieillissant. Comment gérer cette nouvelle diver- sité et comment faire la différence avec l’inégalité sociale ? Accès à l’article traduit en introduisant le lien http://econtent.hogrefe.com/toc/aga/current ou en utilisant le code AGA-2017-04. D er Begriff der Vielfalt oder – synonym – der Diver- sität steht im gesellschaftlichen Kontext zunächst für die Unterscheidung von Gruppenmerkmalen und individuellen Merkmalen in einer Vielzahl von Di- mensionen wie Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, etc. Neben solchen zugeschriebenen Merkmalen finden auch erworbene, umwelt- und verhaltensbezogene Merk- male Berücksichtigung (vgl. Charta der Vielfalt e. V., 2011). Vielfalt – Diversity – Diversity Management: nur moderne Schlagworte? Vielfalt wird häufig normativ mit Chancengleichheit und Gleichbehandlung verbunden: Insbesondere zugeschrie- bene, vom Individuum nicht veränderbare, Merkmale sol- len sich nicht auf Chancen im sozialen Kontext auswirken. Diversität im Alter (© logoboom/123RF.com) Dies wird seit einigen Jahren vor allem im Personalwesen thematisiert; der Begriff des Diversity Managements be- zieht sich auf den Umgang mit einer zunehmenden sozia- len und kulturellen Heterogenität von Belegschaften. Viel- für Verhaltensspielräume spezifischer Gruppen und von falt soll nicht bekämpft, sondern wertgeschätzt und als Individuen. «Diversität» hat insofern auch einen poli- Chance für den Unternehmenserfolg verstanden werden tisch-normativen Charakter. Diversität bedeutet nicht ei- («Diversity Management», 2016). nen Zerfall der Gesellschaft in unzusammenhängende Die Hochkonjunktur des Themas «Diversität» lässt Einzelteile, sondern im Idealfall eine grössere Toleranz sich einerseits auf strukturelle Veränderungen der Bevöl- für Besonderheiten im Interesse einer abstrakteren Wer- kerung infolge etwa der Migration zurückführen, anderer- tegemeinschaft, ein Vermeiden von Ausgrenzung auf- seits deutet sie auch auf binnenkulturelle Veränderungen grund äusserlicher Merkmale. Wie weit die Gemeinsam- hin: Verschiedenheit gilt heute weniger als früher als Ma- keiten beziehungsweise eine mögliche Segregation von kel, ein Zwang zur Assimilation an eine ominöse, schwie- Gruppen unterschiedlicher Herkunftskulturen in einem rig zu definierende «Leitkultur» hinsichtlich Sprache und Gemeinwesen gehen sollen oder dürfen, wird häufig un- Verhaltensnormen wird kritisch in Frage gestellt. Dies gilt ter Stichworten wie «Multikulturalismus», «Interkultura- nicht nur für Kulturen im klassischen Sinn, sondern auch lität» und «Transkulturalität» diskutiert. © 2017 Hogrefe Angewandte GERONTOLOGIE Appliquée 4/17
8 Überblick/Vue d’ensemble Vielfalt in der Altersarbeit Praktische Konsequenzen Im Kontext der Altersarbeit und öffentlicher Angebote Welche Lebensgestaltung im Alter, z. B. welche Wohnfor- für ältere Menschen sind sowohl die beschreibende als men, für wen passen, hängt von biographischen, kulturel- auch die normative Ebene von Diversität wichtig: Die len, sozialen, biologischen und gesundheitlichen Um- Heterogenität der Zielgruppen von Dienstleistungen für ständen und damit von individuellen Bedürfnissen ab. das Alter nimmt – mit einer gewissen Verzögerung im Ein Angebot muss sich an diesen individuell (und nicht Vergleich mit der Gesamtbevölkerung – bezüglich kultu- nur an «gruppenbezogen») unterschiedlichen Vorbedin- reller und sprachlicher Hintergründe zu. Solche Unter- gungen orientieren; es gibt keine Lebensform und Ange- schiede sollen möglichst keinen Einfluss auf den Zu- bote, die a priori «für alle» passen. gang zu und die Nutzbarkeit der Dienstleistung ausüben, Neben der Heterogenität der Bedürfnisse und Ansprü- die Chancengleichheit ist ein zentrales Kriterium. Eine che ist bei der Informationsvermittlung auch die Heteroge- explizite Diversity Management-Strategie kann sich nität der Erreichbarkeit und der verfügbaren Kommuni- dann einerseits auf die Zugangschancen (Information kationskanäle zu berücksichtigen. So wird auf der einen und niedrige Schwellen) und die an unterschiedliche Seite erwartet, dass Informations- und Beratungsangebote Bedürfnisse der potenziellen Nutzer(innen) angepasste heute auch digitale Kanäle nutzen, gleichzeitig ist zu beo- Ausgestaltung selber, andererseits auf seine personelle bachten, dass insbesondere hochaltrige, vulnerable, bil- Struktur somit auf die interne Diversität, und die Kom- dungsferne und fremdsprachige Menschen sowohl via petenzen des Personals bezüglich Diversität beziehen, herkömmliche als auch via digitale Medien schwerer zu er- die wiederum der externen Diversität (der älteren reichen sind als jüngere, ressourcenreiche, gebildete und in Menschen als Nutzniessenden des Angebots) entgegen der jeweiligen Mehrheitssprache kompetente Personen. kommen. Gerade diese Gruppen sind aber in erhöhtem Mass auf In- formation, Beratung und Unterstützung angewiesen. Der Individualisierungsgrad von Informations-, Dienst- Soziale Heterogenität und leistungs- und Wohnangeboten ist skalierbar. Man könnte Ungleichheit im Alter nach dem Angebot suchen, das für alle durchschnittlich den grössten Gewinn an Zufriedenheit erbringt, und würde da- Neben dem genannten gesamtgesellschaftlichen Trend mit die Bedürfnisse einer grossen Zahl übergehen, oder zur Heterogenisierung und Diversifikation der Bevöl- man könnte versuchen, für jede Person einzeln ein optimal kerung, der sich nach und nach auch in der Altersbevöl- an ihre Bedürfnisse angepasstes Angebot zu entwickeln, kerung abbildet, gibt es schicht- und lebenslaufbezogene und liefe damit Gefahr, ohne hinreichende Wissensbasis Ursachen, die zu einer grösseren Differenzierung insbe- (im Sinne einer «individuellen Theorie») und Erfolgssi- sondere von Lebenslagen, aber auch von Ressourcen und cherheit grosse Kosten zu verursachen. Alltagskulturen im Alter führen können. Unterschiedli- Ein optimales Angebot wäre eines, das anhand hinrei- che Entwicklungschancen, Lebensereignisse und soziale chender Kenntnisse allgemeiner Gesetzmässigkeiten und Zugehörigkeiten machen Menschen im Verlauf des Le- des Individuums mit den verfügbaren Mitteln den Nutzen bens unterschiedlicher. In der sozialen Gerontologie wird für das Individuum maximiert und die Risiken minimiert, diskutiert, ob «[…] die Lebenslage in der späten Lebens- und gleichzeitig dessen aktive Anpassungs- und Mitgestal- phase stärker von der Altersbedingtheit (z. B. aufgrund tungsfähigkeit fördert und für den Ausgleich verbleiben- gesundheitlicher Beeinträchtigungen), von der gleich- der «Ungenauigkeiten» nutzt. bleibenden sozioökonomischen Differenzierung oder von der Kumulation sozioökonomischer Differenzen ge- Literatur prägt ist» (Backes & Clemens, 2013, S. 283). Körperliche Backes, G. M. & Clemens, W. (2013). Lebensphase Alter : Eine Gebrechen oder der Eintritt in eine Alterswohneinrich- Einführung in die sozialwissenschaftliche Alternsforschung (4., tung können Schichteffekte abschwächen, insbesondere überarbeitete und erweiterte Auflage). Weinheim: Beltz Juventa. Charta der Vielfalt e. V. (2011). Diversity-Dimensionen. Abgerufen wenn sozialstaatliche Massnahmen Ungleichheiten kom- von http://www.charta-der-vielfalt.de/de/diversity/diversity-di- pensieren (ebd.). Die Ursachen für eine kumulative so- mensionen.html ziale Differenzierung («cumulative advantage and dis- Diversity Management. (2016, November 29). In Wikipedia. Abge- advantage», CAD) können lebensgeschichtlich früh rufen von https://de.wikipedia.org/wiki/Diversity_Management O’Rand, A. M. (2016). Long, broad, and deep. Theoretical approa- angelegt sein, wobei die systematischen Auswirkungen ches in aging and inequality. In V. L. Bengtson & R. A. Settersten früher Vorteile geringer zu sein scheinen als diejenigen (Eds.), Handbook of Theories of Aging (3rd ed., S. 365–379). New früher Nachteile (O’Rand, 2016, S. 371 f.). York: Springer. Während zugeschriebene oder selbst gewählte individu- Hans Rudolf Schelling, lic. phil., ist elle bzw. gruppenbezogene Merkmale, die zur Diversität Geschäftsführer des Zentrums für beitragen, zu akzeptieren sind, solange sie den Handlungs- Gerontologie der Universität Zürich. spielraum anderer nicht übermässig einschränken, kann h. r.schelling@zfg.uzh.ch eine kumulative sozioökonomische Differenzierung auf ei- nen sozialpolitischen Handlungsbedarf hinweisen. Angewandte GERONTOLOGIE Appliquée 4/17 © 2017 Hogrefe
Schwerpunkt/Thème central 9 Grund- und Menschenrechte Älterer Sabrina Ghielmini Herausforderungen im Alltag älterer Menschen weisen oft ei- Libertés fondamentales et droits de l’homme des nen Bezug zu den Grund- und Menschenrechten auf, ohne dass personnes âgées uns dies bewusst ist. Dazu zählen beispielsweise die Benach- Les enjeux du quotidien des personnes plus âgées ont souvent teiligungen Älterer auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt, Si- un rapport avec les libertés fondamentales et les droits de tuationen von Vernachlässigung oder aber Beeinträchtigungen l’homme sans que nous en ayons conscience. Ceci concerne des selbstbestimmen Lebens.1 par exemple la discrimination des plus âgés sur le marché du travail ou du logement, les siuations de négligence ou encore les atteintes à la vie autodéterminée.1 Accès à l’article traduit en introduisant le lien http://econtent.hogrefe.com/toc/aga/current ou en utilisant le code AGA-2017-04. D ie Grundrechte der Bundesverfassung und die in- oder tatsächlichen Hindernissen bei der Verwirklichung ternationalen Menschenrechte gelten für alle ihrer grund- und menschenrechtlichen Ansprüche kon- Menschen, auch für ältere. Im Unterschied zu an- frontiert, ohne dass sie sich dessen bewusst sind. deren besonders verletzlichen Gruppen wie Kindern oder Menschen mit Behinderungen, enthält die Bundesverfas- sung jedoch keine Bestimmung, die spezifisch auf den Die Relevanz der Grund- und grundrechtlichen Schutz älterer Menschen zugeschnitten Menschenrechte für die Situation Älterer wäre. Ähnlich präsentiert sich die Situation auf interna- tionaler Ebene. Dennoch wird der menschenrechtliche Die Studie des SKMR identifiziert verschiedene, ältere Schutz älterer Personen zunehmend thematisiert. Menschen betreffende, Lebensbereiche und Querschnitts- themen, in welchen sich besonders häufig grund- und menschenrechtliche Fragestellungen ergeben. Es han- Internationale Entwicklungen delt sich um die Lebensbereiche Arbeit/Pensionierung, Wohnen/Mobilität, Gesundheit/Pflege sowie die The- Die UNO hat im Jahr 2010 die Open-ended Working Group men der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung, on Ageing und 2013 das Mandat der Unabhängigen Exper- der Autonomie und Partizipation sowie der Gewalt und tin für die Menschenrechte Älterer geschaffen. Diese Or- Vernachlässigung. gane befassen sich aktuell mit der Frage, ob im Men- Innerhalb dieser Lebens- und Themenbereiche sind un- schenrechtsschutz Älterer Lücken bestehen und ob eine terschiedliche Grund- und Menschenrechte von Bedeu- spezifische Konvention für die Menschenrechte Älterer tung, von denen die meisten sowohl durch die schweizeri- notwendig ist. Auch das Ministerkomitee des Europa- sche Bundesverfassung als auch durch internationale rates hat sich der Thematik angenommen und eine an die Mitgliedstaaten gerichtete Empfehlung zur Förde- rung der Menschenrechte Älterer erlassen.2 Schliesslich ist 2017 die Interamerikanische Konvention zum Schutz 1 Der vorliegende Artikel beruht auf einer Studie des Schweizeri- der Menschenrechte Älterer in Kraft getreten.3 schen Kompetenzzentrums für Menschenrechten (SKMR): Schwei- zerisches Kompetenzzentrum für Menschenrechte, Menschen- In der Schweiz sind die Grund- und Menschenrechte Äl- rechte im Alter. Ein Überblick über die menschenrechtliche terer ein bisher wenig beachtetes Thema. Eine Studie des Situation älterer Personen in der Schweiz, verfasst von Eva Maria Schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrech- Belser/Christine Kaufmann/Andrea Egbuna-Joss/Sabrina Ghielmi- te (SKMR) zeigt nun, dass auch in der Schweiz altersspe- ni/Gabriela Medici, Bern, 2017. 2 Recommendation CM/Rec(2014)2 on the promotion of human zifische Benachteiligungen und Beeinträchtigungen von rights of older persons, 19. Februar 2014. Grund- und Menschenrechten Älterer existieren. So sehen 3 Inter-American Convention on protecting human rights of older per- sich ältere Menschen im Alltag regelmässig mit rechtlichen sons, 15. Juni 2015 (in Kraft getreten am 11. Januar 2017). © 2017 Hogrefe Angewandte GERONTOLOGIE Appliquée 4/17
10 Überblick/Vue d’ensemble Menschenrechtskonventionen4 garantiert werden. Aus- Menschenrecht auf angemessene Unterbringung (Art. 11 gangspunkt aller Grund- und Menschenrechte ist dabei UNO Pakt I). Dieses ist in der Schweiz zwar nicht einklag- stets die Menschenwürde (Art. 7 BV). Sie garantiert, dass bar, dennoch verpflichtet es den Staat, darauf hinzuwir- der Staat die Würde jedes Menschen gleichermassen und ken, dass Ältere für sie angemessenen Wohnraum finden damit unabhängig von seinem Alter achtet. Zum Schutz können. Schliesslich umfasst das Recht auf Selbstbestim- der Menschenwürde gehört auch, dass der Staat dafür mung auch das Recht auf einen selbstbestimmten Tod. sorgt, dass Dritte wie zum Beispiel Privatpersonen als Ver- Weitere Garantien, die für ein selbstbestimmtes Leben mieter oder Arbeitgeber sie nicht verletzen. im Alter relevant sind, betreffen insbesondere die Bewe- gungsfreiheit (Art. 10 Abs. 2 BV, Art. 12 Abs. 1 UNO Pakt II), die Niederlassungsfreiheit (Art. 24 BV, Art. 12 Abs. 1 Schutz vor Gewalt und UNO Pakt II) und das Recht auf Privat- und Familienleben gesundheitliche Aspekte (Art. 13 und 14 BV, Art. 8 EMRK, Art. 17 UNO Pakt II). So gibt die Bewegungsfreiheit älteren Menschen das Recht, Das Recht auf Leben (Art. 10 Abs. 1 BV, Art. 2 EMRK und sich nach ihrem Willen an bestimmte Orte zu begeben Art. 6 UNO Pakt II), das Recht auf körperliche und geisti- oder an einem bestimmten Ort zu verweilen. Diese Garan- ge Unversehrtheit (Art. 10 Abs. 2 BV) sowie das Verbot der tie kann etwa durch ungerechtfertigtes Abschliessen von grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Be- Zimmertüren in Pflegeinstitutionen oder dem Verweigern handlung und der Folter (Art. 10 Abs. 3 BV, Art. 3 EMRK, von Hilfsmitteln zur Fortbewegung beeinträchtigt sein. Art. 7 UNO Pakt II) untersagen dem Staat zum einen ent- Das Recht auf Privatleben garantiert die Privatsphäre auch sprechende Handlungen. Zum andern verpflichten sie in betreuten Wohnformen oder in Alters- und Pflegehei- den Staat auch alle erforderlichen und zumutbaren Mass- men. Es schützt ausserdem vor der Weitergabe vertrauli- nahmen zu ergreifen, um Personen vor Beeinträchtigun- cher Daten wie zum Gesundheitszustand oder der finanzi- gen dieser Garantien durch Dritte zu schützen. Für ältere ellen Situation eines älteren Menschen. Das Recht auf Menschen bedeutet dies unter anderem, dass der Staat Familienleben wiederum garantiert älteren Menschen frei beispielsweise im Rahmen seiner Aufsichtsfunktion prä- darüber zu entscheiden, mit welchen Menschen sie Bezie- ventive Massnahmen zu ergreifen hat um Gewalt oder hungen eingehen, pflegen oder auch abbrechen wollen. Vernachlässigung in Pflegeinstitutionen zu verhindern. Die Niederlassungsfreiheit gibt schliesslich das Recht, Sensibilisierungs- und Unterstützungsmassnahmen für auch im Alter frei über den Wohnort zu entscheiden. pflegende Angehörige sind andere Beispiele, mit denen die Behörden Übergriffe infolge von Überforderung der Pflegenden verhindern können. Aus dem Recht auf kör- Verbot der Altersdiskriminierung perliche und geistige Unversehrtheit folgen weiter auch das Verbot des Ruhigstellens mittels zwangsweise verab- Die Thematik der Altersdiskriminierung hat sich im Rah- reichter Beruhigungsmittel sowie das Verbot medizini- men der Bestandesaufnahme des SKMR als besonders ak- scher Eingriffe ohne vorgängige und umfassende Infor- tuell herauskristallisiert. Alle befragten Personen erachten mation. Schliesslich statuiert das in der Schweiz allerdings die Benachteiligung älterer Menschen in unterschiedli- nicht einklagbare Recht auf Gesundheit (Art. 12 UNO chen Lebenssituationen wie beispielsweise im Bereich des Pakt I) das für die jeweils betroffene Person erreichbare Arbeits- oder Wohnungsmarktes, aber auch im Zusam- Höchstmass an körperlicher und geistiger Gesundheit. menhang mit dem Erhalt von Dienstleistungen (u. a. von Bezogen auf ältere Menschen beinhaltet dies insbesonde- Banken oder Versicherungen) als wichtiges Thema. re den Anspruch auf die jeweils notwendige Pflege. Auch wenn das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters gemäss Art. 8 Abs. 2 BV auf den ersten Blick klar und eindeutig erscheint, ist dessen Umsetzung in der Pra- Selbstbestimmtes Leben im Alter xis mit verschiedenen Hürden verbunden. Aus juristischer Sicht ist es wichtig, in diesem Zusammenhang festzuhal- Die Studie des SKMR zeigt, dass für die grund- und men- ten, dass nicht jede Benachteiligung eines älteren Men- schenrechtliche Situation Älterer gerade die Frage nach schen auch eine verbotene Diskriminierung im Sinne der einem selbstbestimmten Leben ein besonders bedeutsa- Bundesverfassung darstellt. Eine Diskriminierung im mes Spannungsfeld darstellt, in das verschiedene Grund- rechtlichen Sinn liegt zum einen dann vor, wenn ein Ge- und Menschenrechte hineinspielen. So garantiert das Recht auf Selbstbestimmung (Art. 10 Abs. 2 BV) gemäss Bundesgericht, dass alle Menschen über die «elementaren Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung» selbst be- 4 Insbesondere: Konvention zum Schutze der Menschenrechte und stimmen dürfen.5 Für ältere Menschen bedeutet dies bei- Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention), SR spielsweise, frei über ihre Wohn- und Lebenssituation und 0.101 (EMRK); Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, SR 0.103.1 (UNO Pakt die Art einer allenfalls notwendigen Betreuung entschei- I); Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche den zu dürfen. In engem Zusammenhang mit dem Recht, und politische Rechte, SR 0.103.2 (UNO Pakt II). die eigene Wohnsituation zu bestimmen, steht auch das 5 Vgl. z. B. BGE 138 IV 13, E. 7.1 S. 25 f. Angewandte GERONTOLOGIE Appliquée 4/17 © 2017 Hogrefe
Überblick/Vue d’ensemble 11 setz oder eine staatliche Massnahme ältere Menschen ex- Die Studie «Menschenrechte im Alter» des Schweizerischen plizit ungleich behandelt, diese dadurch benachteiligt Kompetenzzentrums für Menschenrechte befasst sich mit werden und es dafür keine «qualifizierte Rechtfertigung» den Grund- und Menschenrechten älterer Menschen in gibt. Die genauen Anforderungen an diese «qualifizierte der Schweiz. Darüber hinaus arbeitet das SKMR an einem Rechtfertigung» lassen sich bislang jedoch nicht eindeutig Grundrechtskatalog für Ältere. Es handelt sich dabei um eine aus der Rechtsprechung des Bundesgerichts erschliessen. Zusammenstellung und Erläuterung der wichtigsten Grund- Eine verbotene Diskriminierung kann zum andern dann und Menschenrechte für die Praxis. Die Publikationen sind vorliegen, wenn die ungleiche Behandlung zwar nicht di- auf der Webseite des SKMR abrufbar: www.skmr.ch. rekt am fortgeschrittenen Alter der Betroffenen anknüpft und vordergründig als neutrale Regelung erscheint, im Er- gebnis aber besonders häufig ältere Menschen benachtei- ligt. Auch solche sogenannte indirekte Diskriminierungen sie im öffentlichen Interesse liegt und verhältnismässig ist müssen qualifiziert gerechtfertigt sein. und wenn der Kerngehalt des Grundrechts gewahrt wird. Das Diskriminierungsverbot der Bundesverfassung er- Für ältere Menschen sind diese Voraussetzungen deshalb fasst aber nur Gesetze und Massnahmen des Staates, nicht relevant, weil viele der Herausforderungen, denen sie sich hingegen Handlungen durch Privatpersonen oder Unter- im Alltag gegenüber sehen, einen Bezug zu den Grund- nehmen. Zwar hat der Staat die Pflicht, ältere Menschen und Menschenrechten haben. Diese Herausforderungen vor diskriminierenden Handlungen durch Private zu aus einer grund- und menschenrechtlichen Perspektive zu schützen und er nimmt diese Pflicht punktuell in der Form betrachten und sich zu fragen, ob die praktisch erlebten von einzelnen Normen beispielsweise im Bereich des Ar- Einschränkungen vor den rechtlich geschützten Grund- beits- und Mietrechts wahr. Insgesamt zeigt die Bestan- und Menschenrechten standhalten, könnte zu neuen Lö- desaufnahme des SKMR aber, dass im Bereich privater sungsansätzen führen und älteren Menschen als Trägern Diskriminierungen älterer Menschen grosse Schutzlücken von Rechten eine aktivere Rolle in der Diskussion geben. bestehen. Sabrina Ghielmini (MLaw, Grund- und Rechtsanwältin) ist wissenschaft- menschenrechtliche Perspektive liche Mitarbeiterin des Schweizeri- schen Kompetenzzentrums für Menschenrechte (Themenbereich Nicht jede Massnahme oder Situation, welche die grund- Menschenrechte und Wirtschaft) rechtlichen Garantien älterer Menschen berühren, stellen sowie des Kompetenzzentrums auch eine Grundrechtsverletzung dar. Vielmehr ist jeder Menschenrechte der Universität Zürich. Einzelfall zu prüfen. Die Einschränkung eines Grund- rechts ist gemäss Art. 36 BV zulässig, wenn für die betref- sabrina.ghielmini@ fende Massnahme eine gesetzliche Grundlage existiert, menschenrechte.uzh.ch © 2017 Hogrefe Angewandte GERONTOLOGIE Appliquée 4/17
Die Alzheimer Schweiz ist eine unabhängige, konfessionell und politisch neutrale, gemeinnützige Organisation mit Sitz in Bern. Sie setzt sich ein für Menschen mit Alzheimer oder anderen Formen von Demenz und ihre Angehörigen, entwickelt spezifische Dienstleistungen für diese Zielgruppen und ist gesellschaftspolitisch im Rahmen der Nationalen Demenzstrategie der Schweiz aktiv. Mit ihren 21 kantonalen Sektionen ist die Alzheimer Schweiz in der ganzen Schweiz vertreten. Zur Unterstützung unseres Teams in der Geschäftsstelle suchen wir zum nächstmöglichen Termin eine/n Wissenschaftliche/n Mitarbeiter/in (80-100%) Ihre Kompetenzen Sie verfügen über einen Masterabschluss in Sozialwissenschaften, Gerontologie, Psychologie, Soziologie oder vergleichbarer Fachrichtung mit Knowhow im Handlungsfeld Public Health. Ihre Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge verständlich zu formulieren wird ergänzt durch praktische Erfahrung mit Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen. Sie arbeiten gerne in einem Team und haben gute Organisations- und Koordinationsfähigkeiten. Sehr gute Kenntnisse zweier Amtssprachen sowie sehr gute Englischkenntnisse setzen wir voraus. Weiterhin benötigt diese Position ausgeprägte Kompetenzen in den Bereichen: x Selbständiges und strukturiertes Arbeiten x Kommunikationsfreude, Engagement, Eigeninitiative und Flexibilität sowie x Interesse an und Bereitschaft zur Vereinsarbeit. Ihre Aufgaben x Recherche, Aufbereitung und Verbreitung von Wissen zu allen Sachgebieten im Thema Demenz x Verschriftlichung der Erkenntnisse in Fachartikeln sowie Informationsbroschüren in leicht verständlicher Sprache x Präsentation der Erkenntnisse an Tagungen und Kongressen x Qualitätssicherung, Management und inhaltliche Begleitung von (Forschungs-) Projekten (interne und externe Mandate) x Vernetzung mit Partnern zur Koordination des Wissenstransfers x Mitarbeit an der Entwicklung eines übergeordneten Konzepts für das Wissensmanagement unserer Organisation. Wir bieten Ein gesellschaftspolitisch hoch aktuelles und dynamisches Umfeld mit diversen Zielgruppen. Die Möglichkeit, das Wissensmanagement von Alzheimer Schweiz entscheidend mitzuprägen sowie einen attraktiven Arbeitsort im Herzen von Bern (keine 5 Minuten vom Hauptbahnhof). Ihre Bewerbung richten Sie bis zum 30. November 2017 an: stefanie.becker@alz.ch. Für Fragen steht Ihnen die Geschäftsleiterin Stefanie Becker Tel. 058 958 80 05 gerne zur Verfügung.
Schwerpunkt/Thème central 13 Migrants africains et latino-américans âgés: trajectoires et conditions de vie Claudio Bolzman La situation de ces personnes âgées n’est guère connue, proba- Afrikanische und lateinamerikanische Migranten im Senio- blement parce que la majorité des Africains et Latino-améri- renalter: Lebenswege und Lebensbedingungen cains n’ont pas encore atteint l’étape définie comme celle de la Die Situation dieser Senioren ist kaum bekannt, wohl weil vieillesse, que ce soit d’un point de vue démographique, social, die meisten Afrikaner und Lateinamerikaner noch nicht den administratif ou biologique. D’autre part, ces personnes ne re- als Seniorenalter definierten Lebensabschnitt erreicht ha- présentent qu’une faible part de presqu’un million et demi des ben, sei es unter demografischem, sozialem, administrati- personnes âgées de 65 ans et plus résidant en Suisse. vem oder biologischem Aspekt. Zum anderen machen die- se Personen nur einen geringen Anteil der fast anderthalb Millionen Senioren im Alter ab 65 Jahren aus, die in der Schweiz ansässig sind. Geben Sie im Browser den Link http://econtent.hogrefe.com/toc/aga/current ein oder verwenden Sie den Code AGA-2017-04. E n effet, les Africains sont près de 1200 et les Latino- américains un peu moins de 1000. Ces chiffres pourraient être cependant plus élevés si l’on tenait compte des personnes naturalisées suisses issues de ces régions du monde. Trajectoires Les conditions de vie à la vieillesse, ainsi que les manières de percevoir la vieillesse sont influencées par les parcours de vie précédents (Elder, Kirkpatrick Johnosn, 2002) : mi- gratoires, de formation, professionnels, familiaux, etc.. Il est donc nécessaire de préciser certaines des caractéris- tiques des parcours des interviewés qui les distinguent de la population suisse ainsi que des immigrés venus de l’Union européenne (UE), tout en mettant en évidence que les tra- Quelle: Pixabay. jectoires de ces personnes sont complexes et plurielles. En ce qui concerne les trajectoires migratoires, nous mettons ici en évidence deux dimensions : le moment de la migration et notamment de l’arrivée en Suisse d’une part, vie adulte, souvent après 50 ans. Enfin, une petite minorité les motifs de la migration d’autre part. En ce qui concerne est arrivée après l’âge de la retraite dans le cadre d’une la première dimension, la grande majorité des interviewés migration tardive afin de rejoindre leurs enfants. Nedelcu sont arrivés en Suisse, tout comme la plupart d’autres mi- (2009) définit ces derniers comme la « génération zéro ». grants, au début de leur vie adulte et ont vieilli dans ce Si l’on considère les raisons de la migration vers la pays. Certains sont arrivés vers la deuxième moitié de leur Suisse, la grande majorité des Africains et des Latino- © 2017 Hogrefe Angewandte GERONTOLOGIE Appliquée 4/17
14 Forschung/Recherche américains sont venus principalement dans le cadre de tion de leur couple. Ainsi, presque la moitié des personnes leurs études, de l’asile, du regroupement familial et très interviewées vivent seules en raison d’un divorce, d’une sé- peu pour des raisons professionnelles. Cette dernière paration ou d’un veuvage. L’autre moitié a connu une vie voie, qui est la principale forme d’entrée pour les ressor- familiale stable ou a créé une famille recomposée. tissants de l’UE, est en effet en principe fermée aux res- sortissants des pays extra-européens. Ainsi, certains de nos interviewés qui sont venus pour exercer une activité Conditions de vie professionnelle sont contraints d’exercer celle-ci sans autorisation de séjour. D’une certaine manière, on peut Plus de la moitié des personnes interrogées ont acquis la affirmer que les personnes âgées africaines et latino-amé- nationalité suisse, ce qui est le cas de moins de 15 % des ricaines sont des résidents inattendus, car elles ont em- personnes âgées venues d’Europe de Sud. Il est clair que prunté d’autres voies que d’autres migrants pour vivre en pour les ressortissants d’Afrique et d’Amérique latine, le Suisse (Bolzman, Gakuba, Minko, 2016). fait de se naturaliser leur donne une certaine sécurité juri- Concernant leur niveau de formation, la majorité de nos dique, davantage considérée comme acquise par les ressor- interviewés (deux tiers) ont fait une formation tertiaire. Ils tissants de l’UE. En revanche, une minorité d’interviewés sont ainsi davantage formés que la moyenne de la popula- ne dispose d’aucun statut de séjour en Suisse ou a encore tion suisse âgée de 65 ans et plus (qui a plutôt un diplôme un permis précaire lié à l’asile. de formation professionnelle de niveau secondaire) ou que Concernant la situation économique des interviewés, les migrants venus du Sud de l’Europe qui ont dans leur elle est largement tributaire des trajectoires profession- majorité un certificat d’éducation primaire. nelles et familiales antérieures, ainsi que de leur statut juri- Cela ne veut pas dire qu’ils ont pu faire valoir leurs di- dique en Suisse. Les personnes qui ont exercé une activité plômes dans le cadre du marché du travail helvétique. professionnelle pendant une longue période et qui vivent Nombre d’entre eux ont connu une déqualification profes- en couple ont en général une situation économique satis- sionnelle et une réorientation par la suite, afin de pouvoir faisante, même si la retraite peut amener une diminution trouver du travail. Une fois cette réorientation faite, une du revenu. Les personnes avec une insertion précaire (pas- partie a eu des trajectoires stables dans leur nouveau mé- sée ou présente) sur le marché de travail, sans statut de sé- tier. D’autres ont connu des trajectoires discontinues, al- jour et seules, ont en revanche une situation économique ternant des périodes de travail, de chômage et de femme plutôt difficile. Les femmes en particulier sont surrepré- ou homme au foyer. Une troisième catégorie de personnes, sentées parmi les personnes vivant avec moins de CHF notamment ayant dû attendre longtemps une réponse à 2000 par mois et parmi les travailleur-e-s pauvres. leur demande d’asile, ont plutôt connu des trajectoires de En ce qui concerne le logement, on sait que les personnes dépendance de l’aide sociale avec une insertion très diffi- âgées bénéficient en général de l’ancienneté d’occupation cile sur le marché de travail. Enfin, une dernière catégorie de celui-ci. Nos interviewés ne constituent pas une excep- d’interviewés, du fait de leur statut juridique de « sans-pa- tion et la majorité d’entre eux connaît une situation satisfai- piers », et malgré leur âge avancé, continuent à exercer des sante sur ce plan. L’exception est constituée d’une part par métiers précaires (économie domestique, garde des en- des personnes ayant dû passer par la procédure d’asile qui fants, aide à des personnes âgées) pour assurer leur subsis- ont de la peine à sortir des foyers collectifs pour requérants, tance. Ainsi, pour bon nombre d’interviewés, le rapport au d’autre part par les personnes sans statut de séjour qui travail n’a pas été satisfaisant et ils ont expérimenté des doivent payer des loyers chers pour vivre dans des loge- formes de souffrance par rapport à celui-ci. ments de mauvaise qualité qu’elles doivent partager avec de Si l’on s’intéresse aux trajectoires familiales, on constate nombreuses autres personnes dans un espace réduit. que celles-ci ne constituent pas non plus un « long fleuve Pour ce qui est de la vie sociale des interviewés, à nou- tranquille ». Des personnes ayant dû quitter leur pays en veau les trajectoires antérieures ont une influence sur raison de la violence politique, ont connu des séparations l’étendue des relations. Ainsi, la majorité des personnes douloureuses d’une partie de leur famille. Certains ont pu arrivées en tant que jeunes adultes disposent d’un réseau procéder au regroupement familial après l’obtention du sta- social large et hétérogène. Les personnes arrivées plus tard tut de réfugié, alors que pour d’autres la réunification fami- et venues dans le cadre de l’asile et du regroupement fami- liale a trop tardé ou s’est avérée impossible et l’éclatement lial ont souvent un réseau familial, communautaire et ins- familial a persisté dans le temps. Pour d’autres, un divorce, titutionnel dans lequel elles peuvent s’insérer. Les per- une séparation, un veuvage les ont poussés à quitter leur sonnes qui se trouvent sans autorisation de séjour ont un pays. C’est le cas notamment d’un certain nombre de réseau communautaire et religieux, mais parfois expri- femmes qui se sont trouvé confrontées à une diminution ment des sentiments de solitude. drastique de leurs ressources matérielles et ont effectué une Quant à l’état de santé, près de la moitié des personnes migration tardive dans l’espoir de pouvoir gagner leur vie interviewées ont des maladies chroniques (musculo-sque- ailleurs. D’autres personnes ont migré en famille ou en créé lettiques, diabète et autres) ou ont connu des maladies leur famille en Suisse, mais les difficultés socioécono- graves qui pourraient être attribuées à l’âge. Mais certains miques, culturelles ou juridiques liées à la migration ou sim- problèmes peuvent être aussi liés au type de travail effec- plement d’autres expériences de vie ont amené à la sépara- tué, aux violences vécues au pays d’origine, aux séparations Angewandte GERONTOLOGIE Appliquée 4/17 © 2017 Hogrefe
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