Geschichten der Schuldenkrise - Zur erlassjahr.de-Ausstellung 3. Auflage
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Zur erlassjahr.de-Ausstellung Geschichten der Schuldenkrise 3. Auflage Gefördert von ENGAGEMENT GLOBAL im Auftrag des Mit finanzieller Unterstützung durch
Impressum Januar 2017 3., überarbeitete Auflage Die Ausstellung „Geschichten der Schuldenkrise“ ist eine Produktion von erlassjahr.de - Entwicklung braucht Entschuldung e.V. Carl-Mosterts-Platz 1 40477 Düsseldorf Tel.: 0211 - 46 93 196 Fax: 0211 - 46 93 197 Gefördert von ENGAGEMENT GLOBAL im Auftrag des Für den Inhalt dieser Publikation ist allein erlassjahr.de verantwortlich; die hier dargestell- ten Positionen geben nicht den Standpunkt von Engagement Global gGmbH und dem Bundes- ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wieder. Autor/innen: Die Ausstellung wurde erstellt unter Mitarbeit Mara Liebal der folgenden Autor/innen: Jürgen Kaiser Dr. Karin Bassler, Brot für die Welt Kristina Rehbein Johanna Hartung Sebastan Bonse Katja Hofmeister, Micha-Initiative Leipzig Jürgen Kaiser, erlassjahr.de Redaktion: Irene Knoke, Südwind-Institut Mara Liebal (V.i.S.d.P.) Bernhard Jimi Merk, Informationsstelle Peru Jürgen Kaiser Antje Queck, Leipziger Missionswerk Mona Lach Kristina Rehbein, erlassjahr.de Kristina Rehbein Evelyn Wagner Grafik und Design: Mara Liebal Videos in der Ausstellung „Entscheidung“ von erlassjahr.de „Schuld“ von Angelika Wieschollek und Sabrina Aschoff für erlassjahr.de „Schulden im Sinne der Anklage“, von Thomas Pfaff und Wolfgang Minder für erlassjahr.de „Stimmen der Debt20“ von erlassjahr.de Produktion Kachur Werbetechnik, Vaihingen / Enz (Ausstellungsdisplays) / Onlineprinters GmbH (Broschüre)
Inhalt Willkommen zu „Geschichten der Schuldenkrise“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1 Einführung: Staatsschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2 Die Entschuldungsinitiativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3 Länderbeispiel: Bolivien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 4 Nichts gelernt: die Eurokrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .16 5 Neue Schuldenkrisen: das Beispiel Subsahara-Afrika . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 6 Geierfonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 7 Deutschland als Gläubiger / Illegitime Schulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 8 Das Londoner Schuldenabkommen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 9 Ausweg: ein faires und transparentes Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 10 Aktiv werden: erlassjahr.de . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .36 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
Willkommen zu „Geschichten der Schuldenkrise“ Die Überschuldung von Staaten erscheint uns oft als etwas Fernes und nicht Beeinfluss- bares. Aber Schulden sind kein Schicksal, das unabänderlich über Völker hereinbricht, sondern Ausdruck von Macht und Herrschaftsverhältnissen. Bis heute gibt es kein geregeltes, völkerrechtlich verankertes Verfahren, mit dem ein Staat seine Schuldensituation transparent und fair für alle Beteiligten regeln kann, so wie hier in Deutschland Menschen und Unternehmen auf ein rechtsstaatliches Insolvenz verfahren zurückgreifen können. Im Falle von Staaten entscheiden allein die Gläubiger darüber, ob und wie ein Schuldnerstaat seine Schulden zurückzuzahlen hat. Der Si- cherstellung der Grundbedürfnisse seiner Bürgerinnen und Bürger wird dabei weniger Bedeutung beigemessen als der Leistung des Schuldendiensts. Mit der Ausstellung „Geschichten der Schuldenkrise“ wollen wir zeigen, dass Schulden- krisen menschengemacht sind. Sie enthält Geschichten, Erfahrungen und Ideen, dass und wie diese Verhältnisse verändert werden können. Schuldengeschichten sind Men- schengeschichten. Unter den Auswirkungen von Schuldenkrisen und den damit verbundenen (Spar-)Zwän- gen für eine Regierung leiden diejenigen am meisten, die durch Armut und fehlende soziale Absicherung ohnehin zu den verwundbaren Bevölkerungsgruppen gehören. Deswegen ist der Zusammenhang zwischen Schulden und Armut ein wichtiges Thema der Ausstellung. Die Ausstellung ist keine wissenschaftlich erschöpfende Abhandlung. Vielmehr will sie durch die nähere Betrachtung einzelner Ereignisse systemische Zusammenhänge sicht- bar machen. Wenn es in den ausgewählten Länderbeispielen um Bolivien oder Ghana geht, heißt das nicht, dass diese Länder Einzelfälle sind. Im Gegenteil: Wir haben diese Fälle stellvertretend für viele weitere Länder ausgewählt, die in den Sog der Schulden- krise geraten sind oder von solchen bedroht werden. Diese Broschüre enthält alle Informationen, die Sie auch in der Ausstellung „Geschich- ten der Schuldenkrise“ finden, sowie einige zusätzliche Details. Sie kann beim Gang durch die Ausstellung als roter Faden dienen, aber auch zur Vor- oder Nachbereitung oder ganz unabhängig von einem Besuch gelesen werden. Wir haben uns bemüht, Insider-Sprache zu vermeiden. Wenn uns das nicht immer ge- lungen ist, wird das Glossar in dieser Broschüre Ihnen hoffentlich weiterhelfen können. Für weitergehende Informationen können Sie natürlich auch jederzeit Kontakt mit uns aufnehmen. Unsere Kontaktdaten finden Sie im Impressum. Wenn Schuldenkrisen von Menschen gemacht sind, dann heißt das auch, dass politisches Handeln von Menschen die ungerechten Verhältnisse zwischen Gläubigern und Schuldnern verändern kann. Auch davon erzählt die Ausstellung, und die Arbeit des Bündnisses erlassjahr.de bietet ständig neue Möglichkeiten, politisch aktiv zu werden. Lassen Sie sich einladen, in diesem Sinne die „Geschichten der Schuldenkrise“ zu er- kunden. erlassjahr.de - Entwicklung braucht Entschuldung Begleitbroschüre zur Ausstellung „Geschichten der Schuldenkrise“ 5
1 Einführung: Staatsschulden • Was sind Schulden? • Wieso verschuldet sich ein Staat? • Was ist Überschuldung? • Wie wird gemessen, wie viel Schulden ein Staat tragen kann? 1a 1b 1c 1d 1b - Schulden in Bildern 1c - Entstehung Wer einen Kredit aufgenommen hat, hat Schulden. Schulden Schulden werden oft moralisch als Eine Kreditvergabe ist etwas ande- an sich sind erst einmal nichts Schuld wahrgenommen. Dadurch res, als einem Freund oder einer Schlechtes oder Gefährliches. entsteht ein Ungleichgewicht zwi- Freundin Geld zu leihen. Ein Kredit Schuldenmachen erlaubt Staa- schen dem Schuldner und dem wird vergeben, weil sich der Kredit- ten, Investitionen zu tätigen, um Gläubiger. In der Ausstellung be- geber einen Profit erhofft. Das kann beispielsweise die Produktion und trachten wir nicht die Schulden er, weil er für den Kredit Zinsen ver- den Absatz von Gütern zu erhöhen. von Einzelpersonen, sondern von langt. Mit dem Zins wägt er auch Ein Beispiel hierfür ist der Bau ei- Gemeinschaften, von Staaten. Wer das Risiko ab. Befürchtet er, sein ner neuen Straße, der dafür sorgt, trägt hier die Verantwortung für das Geld möglicherweise nicht wieder- dass die produzierten Güter zu den Begleichen der Schulden? Ist es zubekommen, verlangt er einen Konsumenten transportiert werden gerecht, wenn die Bevölkerung der entsprechend höheren Zins. Damit können. Ein Teil des aus der Inves- Schuldnerstaaten unter der Rück- schließt er sozusagen eine Wette tition geschöpften Gewinns wird zahlung leidet, weil der Staat die drauf ab, dass er richtig kalkuliert dann dazu verwendet, den Kredit Sicherung ihrer Grundbedürfnisse hat. Hat er richtig geplant, bekommt zurückzubezahlen. nicht mehr gewährleisten kann? er das geliehene Geld zurück und den vereinbarten Zins obendrauf. Es kann aber auch passieren, dass Sehen Sie sich zum Einstieg den Wenn Staaten Geld leihen, haben die Investition nicht genügend Film „Schulden in Bildern“ an oder diese Kredite also nichts mit einem Gewinn einbringt, um den Kredit lesen Sie den Text in Box 1. Freundschaftsdienst zu tun. zurückzuzahlen. Das ist der Fall, 6 Begleitbroschüre zur Ausstellung „Geschichten der Schuldenkrise“
Box 1: Schulden in Bildern Bringen alle Investitionen eines Landes nicht genug Gewinn be- ziehungsweise Devisen ein, um 1 Schuld. Verlorene Ehre, Unbehagen, Fehlverhalten, begangenes Unrecht, moralisches Versagen, strafbarer Zustand – Schuld hat viele Formen, zeigt viele Gesichter, nimmt den Schuldendienst zu begleichen, vielerlei Gestalt an. kann die Auslandsverschuldung zu Schulden entstehen als soziale Beziehungen, die in ihrer (Be)deutung oft als Schuld einem Problem werden. Vor allem wahrgenommen werden. Dabei entsteht ein Ungleichgewicht zwischen dem, der schul- in ärmeren Ländern, in denen die det, und dem Gläubiger. Schulden bringen beidseitig Verpflichtung, wie auch Verantwor- öffentlichen Mittel ohnehin knapp tung mit sich. Ihr Konzept wirkt nur so lange, wie der Glaube daran existiert, dass durch ihre Rückzahlung das Gleichgewicht wiederhergestellt werden kann. sind, um das Überleben in Würde Doch was ist mit den Schulden einer Gemeinschaft, einer Gesellschaft, eines ganzen und die Sicherheit der Bevölkerung Staates? Wer trägt die Verantwortung für das Begleichen dieser Schulden? In einem zu garantieren, stehen die Ausga- Fall also, in dem ein individueller Bezug, eine Verpflichtung des Individuums, nicht mehr ben für die Rückzahlung von Schul- fassbar ist? den Ausgaben für die Existenzsi- Wie lässt sich ein gesellschaftliches Gleichgewicht wiederherstellen, wenn Gläubiger cherung, für Gesundheit, Bildung Kläger und Richter in einem sind? Wie groß ist die Gefahr, dass diese Macht ausgenutzt wird und deren Missbrauch an die Stelle von Verantwortung tritt? Es ist schließlich viel und die Schaffung von Infrastruktur Geld und Einfluss im Spiel. entgegen. Dort, wo Staaten hoch verschuldet sind, ächzt die Bevölkerung unter der Last der Schul- den. Insbesondere Entwicklungsländer kann ein hoher Schuldenberg weiter abwärts stürzen in eine endlose Schuldenspirale. 1d - Überschuldet Immer mehr Ausgaben fließen in die Rückzahlung von Schulden. Der Staat kann seine wichtigste Funktion – die Sicherung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung – nicht mehr Schulden sind nicht in ihrer ab- wahrnehmen. Die Menschen leben in Armut, in Angst und Ausweglosigkeit. soluten Höhe problematisch. Sie werden erst dann ein Problem, wenn sie in keinem tragfähigen wenn das geliehene Geld nicht für die Rückzahlung auf Devisen Verhältnis zur Wirtschaftskraft des sinnvoll investiert wird, wenn also aus anderen Exporten zurückge- Schuldners stehen. Das Konzept statt der Straße zum Hafen eine griffen oder erneut Geld im Ausland der Tragfähigkeit setzt eine zu tra- Straße zum Präsidentenpalast geliehen werden. gende Last ins Verhältnis zur wirt- gebaut wird. Es kann aber auch sein, dass durch äußere Einflüsse eigentlich vielversprechende In- Abbildung 1: Wie entstehen Schulden? vestitionen nicht so rentabel sind wie geplant. Ein solches Ereignis, auch „externer Schock“ genannt, kann eine Überschwemmung sein, die die Straße unbefahrbar macht, oder auch der Verfall des Weltmarktpreises für das auf der Straße transportierte Gut. Sind die Einnahmen der Investition geringer als die aufgenommenen Schulden, muss der Staat Geld aus anderen Bereichen für die Rückzahlung der Schulden auf- wenden. Fehlen solche Reserven, dann muss die Regierung erneut Kredite aufnehmen, um die Schul- den zurückzahlen zu können. Erschwerend kommt hinzu, dass Schulden in der Währung zurück- gezahlt werden müssen, in der sie aufgenommen wurden. Meist also in Euro oder US-Dollar. Dafür muss ein Land Devisen erwirtschaften. Dies tut es vor allem durch den Ex- port von Waren und Dienstleistun- gen. Tragen die mit ausländischen Krediten finanzierten Projekte also nicht selbst zum Export bei, muss Begleitbroschüre zur Ausstellung „Geschichten der Schuldenkrise“ 7
schaftlichen Leistungsfähigkeit des Abbildung 2: Schuldentragfähigkeit 1 Kran: SSSCCC/Shutterstock; Gabelstapler: Anthonycz/Shutterstock Trägers. Die Wirtschaftskraft eines Staates wird meist mit dem Brut- toinlandsprodukt (BIP) gemessen. Es gibt den Wert aller Waren und Dienstleistungen an, die innerhalb eines Jahres in einem Land produ- ziert werden. Betrachtet man die Staatsver- schuldung der beiden Länder Ja- maika und Schweiz (siehe Abbil- dung 2), könnte man meinen, die Obwohl die absoluten Schulden der Schweiz höher sind als die Jamaikas, stellen sie im Schweiz hätte ein größeres Schul- Verhältnis zur Wirtschaftsleistung kein Problem dar. In Jamaika hingegen wird die Schul- denproblem. Dem ist aber nicht denlast aufgrund der geringeren Wirtschaftskraft zum Problem. so. Aufgrund seines viel höheren Bruttoinlandsprodukts stellt die Verschuldung in der Schweiz kein Problem dar. In Jamaika hingegen exportorientierten Textilfabriken. (IWF) und der Weltbank. Die Analy- ist der Schuldenstand aufgrund Andere beuten ihre natürlichen sen basieren auf den aktuellen und der vergleichsweise geringen Wirt- Ressourcen mit schwerwiegenden erwarteten wirtschaftlichen Ent- schaftskraft kaum zu tragen. Konsequenzen für die Natur und wicklungen. Fast immer weisen die die Menschen aus. Ein Beispiel Vorhersagen eine eindeutige Ten- dafür ist der Bergbau. Luft, Wasser denz zur Verbesserung der Schul- Box 2: Indikatoren zur Messung und Böden werden verseucht und densituation auf. Das liegt daran, von Verschuldung Landflächen, die früher zum Nah- dass IWF und Weltbank stets posi- rungsmittelanbau genutzt wurden, tive Annahmen hinsichtlich der wirt- Auslandsschuldenstand gehen verloren. schaftlichen Entwicklung zugrunde BIP legen. Die beiden Finanzinstitu Auslandsschuldenstand tionen sind dabei allerdings keine jährl. Exporteinnahmen unabhängigen Gutachter, sondern Schuldendienst ö selbst Gläubiger der Entwicklungs- jährl. Exporteinnahmen länder. Welche Grenzwerte für ein tragfähiges Schuldenniveau gelten, © Jonas Lambrigger wird daher auch von politischen Er- Um zu ermitteln, wie viel Schul- wägungen beeinflusst. den ein Staat tragen kann, gibt es verschiedene Indikatoren (siehe Box 2). Da Schulden in auslän- Im Tagebau Yanacocha in Peru wird im discher Währung zurückgezahlt großen Stil Gold abgebaut. Es kommt zur werden, muss auch ihr Verhältnis Vertreibung der Bevölkerung und zu Men- zu den Exporteinnahmen als wich- schenrechtsverletzungen. tigste Quelle von Devisen überprüft werden. Außerdem wird nicht nur Unter sozialen Gesichtspunkten © Will Baxter der Schuldenstand, sondern auch kann ein Schuldenniveau nur dann der Schuldendienst, also die Sum- tragfähig sein, wenn die Grundver- me, die ein Staat jedes Jahr für die sorgung der Bevölkerung gesichert Näherinnen produzieren unter katastropha- Zinsen und die vereinbarte Tilgung ist – sie muss absolute Priorität len Arbeitsbedingungen Kleidung für den aufbringen muss, betrachtet. vor der Bedienung der Schulden Export. haben. Auch das Konzept der öko- Manche Länder erreichen ein logischen Nachhaltigkeit darf nicht scheinbar tragfähiges Niveau auf durch die Notwendigkeit, Devisen Die oben genannten ökologischen Kosten der ökologischen und sozi- zu erwirtschaften, beeinträchtigt und sozialen Aspekte spielen dabei alen Nachhaltigkeit. Um den Schul- werden. kaum eine Rolle. Allenfalls werden dendienst zu begleichen, sparen sie in „Stress-Szenarien“ berück- manche Staaten an wichtigen sozi- Eine Bewertung der Schulden- sichtigt, mit denen die Schulden alen Grunddiensten oder nehmen tragfähigkeit eines Landes wird entwicklung im Falle externer es hin, dass Menschen in prekä- regelmäßig von zwei Institutionen Schocks wie Naturkatastrophen ren Beschäftigungsverhältnissen gemeinsam vorgenommen: dem oder Exportpreisverfall simuliert arbeiten müssen, zum Beispiel in Internationalen Währungsfonds werden. 8 Begleitbroschüre zur Ausstellung „Geschichten der Schuldenkrise“
Die Entschuldungsinitiativen 2 • Können Staaten pleitegehen? • Wie kam es zur sogenannten „Schuldenkrise der Dritten Welt“? • Wie wurde versucht, die Krise zu lösen? • Haben die Entschuldungsinitiativen Schuldenkrisen ein für alle Mal gelöst? 2a 2b 2c 2d 2a - Krise sich in den Öl-exportierenden Staa- heute die herrschende Lehrmei- ten eine große Menge Kapital. Die- nung. Tatsächlich stimmt das aber Der Beginn der modernen Schul- ses Geld wurde vor allem bei west- nicht! Abbildung 1 (S. 10) zeigt die denkrise kann auf das Jahr 1982 lichen Banken angelegt. Auf der Staatspleiten in den letzten 200 datiert werden. In diesem Jahr Suche nach gewinnversprechen- Jahren in Europa. Allein Griechen- stellte Mexiko als erstes von vielen den Anlagemöglichkeiten vergaben land war die Hälfte dieser Zeit im Ländern in Lateinamerika die Rück- die Banken Kredite an sogenannte Zahlungsverzug. Zu behaupten, zahlung seiner Schulden ein. Der Entwicklungsländer. Staaten galten die griechische Staatsschulden- mexikanische Staat verfügte nicht damals wie heute als sichere Mög- krise wäre einmalig, stimmt also mehr über ausreichende Mittel, um lichkeiten, Geld anzulegen. Nicht ebenso wenig – auch wenn das von seine Schulden zurückzuzahlen – alle kreditfinanzierten Investitionen der Politik heute oft behauptet wird. er war zahlungsunfähig. In den 30 brachten jedoch auch tatsächlich Staatspleiten, also Zeiten, in denen Jahren danach folgten viele weitere einen Gewinn. Doch das war den Staaten nicht in der Lage waren, Länder: zunächst in Lateinamerika, Banken egal: Die Verantwortung alle ihre Schulden zu bezahlen, hat später auch in Asien und Afrika. für die Rückzahlung trugen allein es immer schon gegeben. Allein in die Schuldnerstaaten und das Ka- den letzten dreißig Jahren waren Wie ist es zur sogenannten „Schul- pital aus den Ölstaaten musste etwa vierzig Staaten mindestens denkrise der Dritten Welt“ gekom- schließlich irgendwohin. einmal zahlungsunfähig. men? Durch die Ölkrise in den 1970er Jahren, einer Phase des Die Annahme, Staaten könnten Weiterhin daran zu glauben, dass starken Ölpreisanstiegs, sammelte nicht pleitegehen, war damals wie Staaten nicht pleitegehen könnten, Begleitbroschüre zur Ausstellung „Geschichten der Schuldenkrise“ 9
ist jedoch aus zwei Blickwinkeln at- Abbildung 1: Staatspleiten in Europa zwischen 1800 und 2000 2 traktiv: Zum einen können Staaten aufgrund der Annahme, es gebe kein Ausfallrisiko, zinsgünstig Kre- dite aufnehmen; zum anderen bie- ten Staatsanleihen für Anleger eine sichere Anlagemöglichkeit für ihr Geld. Es wird angenommen, dass ein Staat beispielsweise durch Steuererhöhungen oder Sparmaß- nahmen immer in der Lage ist, ge- nügend finanzielle Mittel aus seiner Volkswirtschaft herauszuholen, um seine Schulden zu bezahlen. In der Realität zeigt sich aber, dass diese Möglichkeiten begrenzt sind. Die Rückzahlung der Schulden ist oft mit hohen Kosten für die Bevölke- rung verbunden. In Griechenland lebt mittlerweile jede/r Zehnte unter der Armutsgrenze. 2 b - Langer Weg Auch nach dem Ausbruch der „Schuldenkrise der Dritten Welt“ 1982 verfolgten die Gläubiger den verbreiteten Ansatz, dass ein Land allenfalls zwischenzeitlich knapp an Barmitteln, nicht aber insolvent sein rungen des Schuldenstandes der rungsfonds die Initiative für hoch könne. Verhandelt wurden daher kei- Länder zur Lösung der Schulden- verschuldete arme Länder (engl. ne „Insolvenzen von Staaten“ son- krise ermöglicht. Heavily Indebted Poor Countries, dern Umschuldungen, also die Stre- HIPC – siehe Box 1) geschaffen. ckung von Zahlungsverpflichtungen 1996 wurde von der Weltbank Sie sollte die Schulden der ärmsten über einen längeren Zeitraum unter und dem Internationalen Wäh- Länder bei allen Gläubigern auf ein Entrichtung eines Strafzinses. Erst als 1988 die privaten Gläubi- Box 1: Die Entschuldungsinitiative HIPC ger unter dem Druck der Nichtzah- lung ihrer südlichen Großschuldner Für eine Entschuldung im Rahmen der Heavily Indebted Poor Countries (HIPC)-Initiative tatsächlich Abstriche machten, be- konnten sich Länder qualifizieren, die nach den Kriterien der Weltbank als arm galten und die einen Schuldenstand aufwiesen, der bestimmte vom IWF festgelegte Grenzwerte gannen auch die öffentlichen Gläu- überschritt. Das Land muss sich außerdem verpflichten, ein Armutsreduzierungspro- biger Teilerlasse einzuräumen. Auf gramm umzusetzen. Ein Schuldenerlass im Rahmen der HIPC-Initiative läuft in drei den G7- bzw. G8-Gipfeln von To- Phasen ab: ronto 1989, London 1991, Neapel 1) Decision Point 1994, Lyon 1996 und Köln 1999 Am Decision Point wird entschieden, ob sich das Land generell für eine Entschuldung wurden Teilerlass-Möglichkeiten qualifiziert. Zuvor wird in einer Schuldentragfähigkeitsanalyse ermittelt, ob das Land tatsächlich eine übermäßig hohe Verschuldung hat. Ist dies der Fall, wird der Schulden- für die ärmsten Länder geschaffen. dienst für laufende Kredite reduziert. 2) Interim-Phase: Armutsbekämpfungsstrategie Beschlossen und entschieden wur- Das Land muss ein umfassendes Programm zur Armutsbekämpfung vorlegen und seine den im Abstand jeweils weniger Umsetzung nachweisen. Bei der Erstellung und Umsetzung des sogenannten Armutsbe- Jahre Reduzierungen von 33, 50, kämpfungsstrategiepapiers soll die Zivilgesellschaft des Schuldnerlandes beteiligt wer- 67, 80 und schließlich 90 Prozent den. Weltbank und IWF unterstützen und kontrollieren die Umsetzung des Programms. des Schuldendienstes der hoch 3) Completion Point verschuldeten armen Länder, weil Durchschnittlich dauert es ab dem Decision Point drei Jahre, bis ein Land den Completion immer wieder klar wurde, dass die Point erreicht. In diesem Zeitraum muss das Armutsbekämpfungsstrategiepapier formu- liert und zumindest ein Jahr lang umgesetzt sein. Ist dies geschehen, wird die vereinbarte zuvor als ultimative Lösung ver- Entschuldung vollständig durchgeführt. kaufte Streichung unzureichend Bis Ende 2014 haben 35 Länder das Programm durchlaufen. war. Später wurden auch Reduzie- 10 Begleitbroschüre zur Ausstellung „Geschichten der Schuldenkrise“
tragfähiges Niveau reduzieren. Auf durchlaufen. Auch wenn sie vielen zur Streichung der Schulden ver- ihrem Kölner Gipfel 1999 erarbei- teten die G8-Staaten auf Initiative Ländern eine deutliche Erleichte- rung brachte, bietet sie keine lang- gingen über zwanzig Jahre. Mitt- lerweile sieht sogar der IWF ein, 2 der deutschen Bundesregierung fristige Lösung für das Problem. dass er Fehler im Umgang mit und unter dem Druck der weltweiten Nur eine begrenzte Anzahl von Staatsverschuldung gemacht hat Erlassjahr-Bewegung ein Konzept Ländern hatte überhaupt Zugang und gesteht, Erlasse seien, wenn zur Ausweitung und Beschleunigung zur Initiative, weitere Staaten kön- sie denn gewährt wurden, zu spät der Entschuldung hoch verschulde- nen sich nicht qualifizieren. Wer die und in zu geringem Umfang erfolgt. ter armer Länder, das danach von Initiative einmal durchlaufen hat, Konsequenzen wurden aus dieser Weltbank und IWF umgesetzt wur- hat bei erneuten Zahlungsschwie- Erkenntnis bisher jedoch nicht ge- de. Doch auch das reichte für einige rigkeiten keinen Zugang mehr. zogen. Ein umfassendes und un- Länder nicht aus, wieder zahlungs- Anders als die Initiative sind Schul- abhängiges Verfahren für den Um- fähig zu werden. Beim G8-Gipfel in denkrisen aber keine einmalige An- gang mit Staateninsolvenz wurde Gleneagles, Schottland, wurde da- gelegenheit. Von 35 Ländern, die bis heute nicht implementiert. her beschlossen, den Ländern in ei- die Initiative durchlaufen haben, ner Multilateralen Entschuldungsini- haben heute nach Schätzungen tiative (engl. Multilateral Debt Relief des IWF 6 wieder ein hohes und 16 2d - Entscheiden Initiative, MDRI) sämtliche Schul- ein mittleres Überschuldungsrisiko den bei IWF und Weltbank sowie (siehe Box 2). Auch ein erfolgreich Hören Sie sich nun an, um was bei der Afrikanischen Entwicklungs- entschuldeter Staat kann erneut in der Mann im Video Sie bittet (sie- bank beziehungsweise der Inter Zahlungsschwierigkeiten geraten. he S. 12). Was denken Sie? Wür- amerikanischen Entwicklungsbank den Sie ihm die Schulden erlas- zu erlassen. Hinzu kommt, dass die Krise über sen? Haben Sie eine Vermutung, Jahrzehnte hinweg verschleppt um welches Land es sich handeln wurde. Von ihrem Ausbruch bis könnte? 2c - Einmalig Die Staatengemeinschaft gewährte Box 2: Überschuldungsrisiko der HIPCs ab 1996 mit den Entschuldungs Hohes Risiko Mittleres Risko Niedriges Risiko initiativen HIPC und MDRI weit rei- Afghanistan Burkina Faso Äthiopien chende Schuldenerlasse für arme Burundi Elfenbeinküste Benin hoch verschuldete Länder. Vor al- Haiti Gambia Bolivien lem die „Kölner Schuldeninitiative“ Kongo, Dem. Republik Ghana Honduras Komoren Guinea Kamerun wurde von zahlreichen Aktivistin- São Tomé & Príncipe Guinea-Bissau Kongo, Republik nen und Aktivisten der Entschul- Guyana Liberia dungsbewegung aus aller Welt als Malawi Madagaskar Erfolg gefeiert. Sie hat vielen der Mali Ruanda Mauretanien Sambia armen hoch verschuldeten Länder Mosambik Senegal einen Neuanfang ermöglicht. Nicaragua Tansania Niger Uganda Seit 1999 haben 35 Länder die Sierra Leone Togo Entschuldungsinitiative erfolgreich Zentralafrikanische Republik Abbildung 2: Typische Überschuldungskarriere Ein (wieder) kreditwürdiger Staat nimmt bei Auch die multilateralen Schulden müssen Bankenkonsortien Kredite auf, um öffentliche gestrichen werden. Ausgaben zu finanzieren. Schlechte Regierungsführung, Naturkatastrophen Multilaterale Geber, wie der Internationale oder Krisen in der Weltwirtschaft bringen das Land Währungsfonds, finanzieren den Schuldendienst an in Zahlungsschwierigkeiten. Banken, Investoren und Regierungen. Die Schulden bei den Regierungen müssen Regierungen der Gläubigerländer springen ein, umgeschuldet werden – z. B. durch eine während deren Banken sich zurückziehen. Umwandlung in neue Kredite mit längerer Laufzeit. Begleitbroschüre zur Ausstellung „Geschichten der Schuldenkrise“ 11
Bittgesuch „Ich komme aus einem Land, in dem große Not herrscht. Wir erholen uns nur langsam von einem verheerenden Krieg mit unseren Nachbarstaaten. Sicher, wir müssen zugeben: Diesen Krieg hat der Diktator unseres eigenen Landes begonnen. Doch nun müssen Menschen darunter leiden, die an dem Krieg keine Schuld tragen. Unser Land liegt danieder, alle größeren Städte sind zer stört, die meisten Fabriken wurden im Krieg vernichtet. Weite Teile der Bevölke rung sind in den Westen des Landes geflohen, weil der Osten durch feindliche Truppen besetzt ist. Viele dieser Menschen wohnen auch jetzt noch, acht Jahre nach Kriegsende, in Notunterkünften. Die Menschen leben am Existenzmini mum, die medizinische Versorgung ist schlecht. Vor vier Jahren hat unser Land eine demokratische Regierung gewählt, und für diese Regierung spreche ich heute: Helfen Sie uns, wieder auf die Beine zu kommen. Ja, es stimmt, dass noch viele Funktionäre des alten Regimes in hohen Posi tionen sitzen. So schnell geht ein Wandel nun mal nicht. Aber unser Land ar beitet hart für den Neubeginn. Leider haben wir so hohe Schulden, dass wir kaum eine Chance haben. Das Geld, das durch Exporte ins Land kommt, brau chen wir, um unser Land wieder aufzubauen, und nicht, um Schulden abzu bezahlen. Umgerechnet fast 15 Milliarden Euro. Deswegen wollen die Banken auch keine neuen Kredite geben, die die Unternehmen brauchen, um die Wirt schaft in Schwung zu bringen. Geld schulden wir auch Ihrem Land. Wir haben darum eine große Bitte: Erlas sen Sie uns einen Großteil unserer Schulden, wenigstens die Hälfte. Den Rest wollen wir in kleinen Raten abstottern, sobald sich unsere Wirtschaft erholt.“ 12 Begleitbroschüre zur Ausstellung „Geschichten der Schuldenkrise“
Länderbeispiel: Bolivien 3 • Wie lief die Entschuldung in Bolivien ab? • Welche Rolle spielte die Zivilgesellschaft bei der Entschuldung Boliviens? • Welche Erfolge wurden durch die Entschuldung bei der Armutsreduzierung erzielt? • Wie hat der Schuldenerlass Bolivien auch politisch verändert? 3a 3b 3c 3d 3a - Bolivien gesellschaft durch die bolivianische unterschrieben die weltweite Peti- Entschuldungskampagne Jubileo tion für einen Schuldenerlass der Im Jahr 2000 hatte Bolivien mit einer 2000 mit Unterstützung der bolivi- ärmsten hoch verschuldeten Ent- untragbaren Schuldenlast zu kämp- anischen Bischofskonferenz und wicklungsländer. Damit nahm die fen. Der Auslandsschuldenstand im deutschen Partnerkirchen zu tun. bolivianische Entschuldungskam- Verhältnis zu den jährlichen Export Nach den Maßstäben der Weltbank pagne eine Vorreiterrolle in ganz einnahmen war mehr als doppelt so war das Land eigentlich „nicht arm hoch wie der als tragfähig erachte- genug“, um in die HIPC-Initiative te Grenzwert. Die weit verbreitete aufgenommen zu werden. Armut und soziale Ungerechtigkeit in Bolivien hingen untrennbar mit Bolivien hatte bereits 1997 einen diesem Schuldenberg zusammen. Schuldenerlass erhalten. Dadurch Es fehlte an Geld für die soziale reduzierte sich der Schuldenstand und wirtschaftliche Entwicklung und des Landes jedoch lediglich um die Armutsbekämpfung in Bolivien. 17 Prozent. Im Jahr 1998 mobi- lisierte Jubileo 2000 daher weite TUBS/CC BY-SA 3.0 Dass Bolivien im Rahmen der Ini- Teile der Bevölkerung im Hinblick tiative für hoch verschuldete arme auf die Forderung nach einer wei- Länder (HIPC-Initiative) entschul- ter reichenden Entschuldung. det wurde, hatte überwiegend mit 5 Prozent der Bevölkerung Boli- der starken Mobilisierung der Zivil- viens, etwa 400.000 Menschen, Bolivien ist ein Binnenstaat in Südamerika. Begleitbroschüre zur Ausstellung „Geschichten der Schuldenkrise“ 13
schaftlichen Konsultationsprozess 3 zur Armutsbekämpfungsstrategie. Die Ergebnisse wurden in einem nationalen runden Tisch, dem Foro Jubileo 2000, zusammenge- tragen und zentrale Vorschläge hinsichtlich der Verwendung der frei gewordenen Gelder aus dem Schuldenerlass gemacht. An die- sem Prozess beteiligten sich über 800 Institutionen und Organisatio- Gary Yim/Shutterstock nen der bolivianischen Zivilgesell- schaft. Der Prozess zog ein derart großes Medienecho mit sich, dass sich die Bolivien, von der Weltbank zunächst als „nicht arm genug“ eingestuft, wurde auf Druck der Regierung gezwungen sah, ihrer- Zivilgesellschaft im Rahmen der bolivianischen Entschuldungsbewegung in die Initiative für seits einen Nationalen Dialog aus- hoch verschuldete arme Länder aufgenommen. zurufen. Selbst der Papst forderte von der bolivianischen Regierung im Jahr 2000, die Ergebnisse des Lateinamerika ein. Die Unterschrif- schicht zugutekommen, machten Foro Jubileo 2000 „zu studieren“. ten wurden zum G8-Gipfel 1999 die Gläubiger die Erstellung und in Köln von der Partnerdiözese in Umsetzung sogenannter Armuts- Trier an den Rhein gebracht und bekämpfungsstrategiepapiere zur 3c - Erfolge dort den Staats- und Regierungs- zusätzlichen Bedingung für den chefs der mächtigsten Wirtschafts- Schuldenerlass. Diese mussten Der zivilgesellschaftliche Beteili- staaten überreicht. von den Regierungen der jewei- gungswille führte in Bolivien so weit, ligen Länder zusammen mit der dass sich die Regierung nicht nur Die Petition hatte Erfolg: Bolivien Zivilgesellschaft erarbeitet wer- auf nationale Konsultationsprozes- erhielt weitere Schuldenerlasse. den. Jubileo 2000 nutzte die Mo- se einließ, sondern die Forderung Im Jahr 2001 bekam das Land zu- bilisierung für den Schuldenerlass, nach zivilgesellschaftlicher Kon nächst einen Erlass von insgesamt um sicherzustellen, dass auch die trolle der Verwendung der Gelder 2,1 Milliarden US-Dollar, wodurch Armen davon profitierten. Die Ka- aus dem Schuldenerlass gesetz- der Schuldenberg auf 1,5 Milliar- tholische Kirche organisierte im lich verankerte. Auf diese Weise den US-Dollar reduziert wurde. Rahmen der Entschuldungskam- wurde ein sozialer Kontrollmecha- Doch der Schuldenerlass reichte pagne einen breiten zivilgesell- nismus geschaffen. Im Jahr 2001 nicht aus, um die Verschuldung Boliviens nachhaltig auf ein trag- fähiges Niveau zu senken. Bereits drei Jahre später war die Verschul- dung höher als vor dem Schulde- nerlass durch die HIPC-Initiative. Nach Erweiterung der HIPC-Initiati- ve erhielt das Land im Rahmen der Multilateralen Entschuldungsinitia- tive (MDRI) 2005 nochmals einen weitreichenden Erlass seiner multi- lateralen Auslandsschulden, der zu einer starken Erhöhung der Aus- gaben für die Armutsbekämpfung führte. Insgesamt erhielt Bolivien damit Schuldenerlasse in Höhe von 4,9 Milliarden US-Dollar. erlassjahr.de 3b - Mitsprache Um zu vermeiden, dass Schulden erlasse nur einer kleinen Ober- Eröffnung des Foro Nacional durch Vertreter der Bischofskonferenz und der Gewerkschaften. 14 Begleitbroschüre zur Ausstellung „Geschichten der Schuldenkrise“
verabschiedete die Regierung dazu ein Gesetz, in dem unter an- derem auch festgelegt wurde, dass 3 die durch den Schuldenerlass frei gewordenen Mittel im Rahmen der bolivianischen Armutsreduzie- rungsstrategie verwendet werden mussten. Diese sah vor, dass jähr- lich rund 100 Millionen US-Dollar aus dem Schuldenerlass direkt den 314 Kommunen zugutekom- men sollten, wobei durch einen ausgefeilten Verteilungsschlüssel vor allem die ärmsten Kommunen profitieren sollten. Dabei sollten die HIPC-Gelder zu 20 Prozent Suzanne Long/Shutterstock für öffentliche Dienstleistungen in der Schulbildung, 10 Prozent für öffentliche Dienstleistungen im Ge- sundheitssektor und 70 Prozent für (Bau-)Maßnahmen der produktiven und sozialen Infrastruktur verwen- det werden. Auf die Umsetzung einiger der Forderungen, wie zum Beispiel die Verbesserung der Qualität der Bildung, warten die Menschen in Bolivien noch. Die dezentrale Umsetzung der Ar- mutsbekämpfung konnte allerdings nur im bescheidenen Rahmen gen zurück. Viele der Forderungen trolle der öffentlichen Ausgaben verwirklicht werden: Die Umset- der bolivianischen Zivilgesellschaft durch die Zivilgesellschaft durch- zung wurde gleich zu Beginn durch wurden nicht aufgegriffen und es zusetzen. Sehr beeindruckend ist strukturelle Probleme wie Ineffizi- gab keine substantiellen Verbesse- auch, dass durch diesen Prozess enz, Korruption und vor allem durch rungen der Qualität der Bildung. Es ein starkes Bewusstsein der Mit- die Umsetzungsschwäche der scheint, dass eher in sichtbare statt verantwortung aller im Kampf ge- Kommunen behindert. Dazu kam in nachhaltige Projekte investiert gen die Armut in der Bevölkerung die sich zuspitzende Haushalts wurde. entstanden ist. Menschen, die situation des Staates im Jahr 2002. durch die Jahrhunderte gewöhnt Die Zentralregierung konnte ihr waren, gegenüber der Repression Versprechen der Bereitstellung 3d - Umbruch der Oberschicht zu schweigen, be- von 100 Millionen Dollar pro Jahr gannen organisiert für ihre Rechte nicht einhalten und reduzierte die Die bolivianische Zivilgesellschaft einzutreten. Zuwendungen an die Kommunen, hat die Chance der Entschul- um einen Teil der Gelder aus dem dungsinitiative jedoch genutzt, um Die bolivianische Entschuldung Erlass zur Deckung des Haushalts- eine gesetzlich verankerte Kon- förderte also auch ein demokra- defizits zu nutzen. tisches Bewusstsein in der Be- völkerung, das sich im Beschluss Nichtsdestotrotz ist die Liste der des Nationalen Dialogs zum So- Auswirkungen des Schuldenerlas- zialkontrollmechanismus wider- ses lang, vor allem im Bildungs- spiegelt. Bei den Wahlen im De- bereich. Landesweit herrschte ein zember 2005 wurde erstmals in großes Defizit an Lehrer/innen. der Geschichte des Landes ein Durch die HIPC-Mittel konnten al- Angehöriger der indigenen Bevöl- lein bis Juni 2002 mehr als zehn- kerungsmehrheit zum Präsidenten tausend Lehrerplanstellen neu gewählt: der Aymara Evo Morales. geschaffen werden. Die Einschu- Bei allen Unzulänglichkeiten und lungsquote wurde auf 92 Prozent Widersprüchen der von ihm be- stocklight/Shutterstock erhöht. gonnenen Umgestaltung von Staat und Gesellschaft: Mit der Entschul- Insgesamt wurden 46 Prozent der dungskampagne Jubileo 2000 ha- HIPC-Mittel im Schulwesen ausge- ben die Bolivianer/innen begon- geben. Die Ergebnisse blieben al- nen, ihr Schicksal wieder selbst zu lerdings weit hinter den Erwartun- Evo Morales ist der 80. Präsident Boliviens. bestimmen. Begleitbroschüre zur Ausstellung „Geschichten der Schuldenkrise“ 15
4 Nichts gelernt: die Eurokrise • Welche Maßnahmen werden im Umgang mit der Staatsschuldenkrise in Griechenland ergriffen? • Welche Fehler wurden in der Vergangenheit im Umgang mit Schuldenkrisen gemacht? Was hätte man für den Umgang mit aktuellen Krisen wir in Griechenland lernen können? • Wer trägt die Kosten von Schuldenkrisen? Wer profitiert? 4a 4b 4c 4d 4a - Eurokrise Jahr 2013. Die EU-Länder haben gleichen Fehler, die im Umgang sich 1992 darauf geeinigt, dass die mit der „Schuldenkrise der Dritten In einigen Ländern der Europä Staatsverschuldung höchstens 60 Welt“ gemacht wurden, im Um- ischen Union (EU) ist die Staats- Prozent des Bruttoinlandsprodukts gang mit heutigen Schuldenkrisen verschuldung auf ein dramatisches betragen soll. Tatsächlich weisen wie der in Griechenland wiederholt Niveau angestiegen. Besonders aber gut die Hälfte der EU-Staaten werden. hoch sind die Schulden in Grie- einen höheren Wert auf. Die Abbil- chenland. Seit Beginn der griechi- dung zeigt, dass auch Deutschland schen Staatsschuldenkrise 2010 diese Grenze überschreitet. Box 1: Erklärfilm „Schuldenkrise ist das Verhältnis der öffentlichen – das hätte man wissen können!“ Schulden zum Bruttoinlandspro- In Kapitel 2 haben wir gesehen, dukt auf 175 Prozent angestiegen. dass Schuldenkrisen immer wieder Aber auch andere Länder wie Ita- vorkommen und keine Schulden- lien, Portugal, Irland und Zypern krise jemals die letzte sein wird. weisen sehr hohe Schuldenstände Trotzdem gehen die Krisenmana- auf. ger in jeder neuen Krise davon aus, dass diesmal alles anders oder gar Abbildung 1 zeigt die Staatsver- einmalig ist. Dabei hätten sie viel Die Argumentation dieses Kapitels zeigt der Erklärfilm „Schuldenkrise - das hätte schuldung der EU-Länder mit dem aus den Fehlern der Vergangen- man wissen können!“, der auf www. höchsten und niedrigsten Schul- heit lernen können. In diesem Ab- erlassjahr.de angesehen werden kann. denstand sowie Deutschland im schnitt schauen wir uns an, wie die 16 Begleitbroschüre zur Ausstellung „Geschichten der Schuldenkrise“
Abbildung 1: Öffentliche Schulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt Abbildung 2 zeigt, was passiert wäre, wenn der Schuldenschnitt für Griechenland statt im März 4 2012 bereits im Mai 2010 oder im Dezember 2009 gekommen wäre. Mit der gleichen Entlastung um 109 Milliarden Euro hätte ein deut- lich niedrigeres Schuldenniveau erreicht werden können. Dies liegt zum einen daran, dass die Schul- den in der Zwischenzeit weiter an- gestiegen sind, zum anderen aber auch an dem durch die Krise ge- schrumpften Bruttoinlandsprodukt, also der geringeren Wirtschafts- leistung. Quelle: Eurostat Auch in den achtziger und neun- ziger Jahren entschied man sich EU-Länder mit dem höchsten / niedrigsten Schuldenstand und Deutschland 2013. zunächst dazu, die Krise zu refi- nanzieren. Die Regierungen der reichen Länder gaben den bankrot- ten Entwicklungsländern jahrelang 4b - Verzögerung man das Schuldenproblem lösen Kredite, damit sie ihre Schulden an und die finanzielle Stabilität in der die Banken aus den gleichen Län- Als Griechenland seinen Bankrott Eurozone sicherstellen. Das Geld dern weiter bezahlen konnten. Erst erklärte, gerieten die Regierungen, wurde vor allem dazu genutzt, den Ende der neunziger Jahre begann deren Banken sich in Griechenland Schuldendienst an die (privaten) man, Schulden zu erlassen. Doch engagiert hatten, in Panik. Man er- Gläubiger zu finanzieren. Die Krise der Schuldenberg war da bei eini- fand sogenannte Rettungsschirme, wurde damit nicht gelöst, sondern gen Ländern bereits viel höher als um Geld für die Weiterzahlung der verschleppt. Der Schuldenberg bei Ausbruch der Krise. Der kompli- Kredite bereitzustellen. So wollte wuchs unterdessen weiter an. zierte Schuldenerlass-Prozess im Rahmen der HIPC-Initiative war im Endeffekt für alle Beteiligten teurer als ein schneller und tief greifender Abbildung 2: Fiktive und reale Entlastung Griechenlands Schuldenschnitt. reale Entschuldung 4c - Troika In jeder neuen Schuldenkrise ent- scheiden die Gläubiger und die Mächtigen allein darüber, was zu tun ist. Sie sind dabei Kläger, Gut- achter und Richter in einem. Die Troika setzt sich aus den heu- te wichtigsten Gläubigern von Griechenland zusammen und ent- scheidet ganz allein darüber, was im Umgang mit der griechischen Staatsschuldenkrise zu tun ist. Gutachten erstellt der Internati- onale Währungsfonds, der Wirt- schafts- und Schuldenprognosen schönrechnet. Auf dem Papier Die Grafik zeigt, wie das Verhältnis des Schuldenstandes zum Bruttoinlandsprodukt sich sieht es demnach immer wieder so durch den Schuldenschnitt für Griechenland in Höhe von 109 Milliarden Euro im März 2012 verändert hat beziehungsweise verändert hätte, wäre der Schuldenschnitt bereits im Mai aus, als hätte Griechenland bald 2010 oder gar im Dezember 2009 gekommen. kein Schuldenproblem mehr. Abbil- dung 3 (S. 18) zeigt, dass die tat- Begleitbroschüre zur Ausstellung „Geschichten der Schuldenkrise“ 17
sächliche Entwicklung jedoch ganz Abbildung 3: Vorhersagen des IWF zum BIP-Wachstum in Griechenland 4 anders aussieht. Problematisch ist auch, dass der Internationale Wäh- – und die reale Entwicklung rungsfonds selbst Gläubiger ist. Unabhängige Gutachter werden nicht zurate gezogen. Auch für den Schuldner ist die Tür der Troika verschlossen. Nach Ausbruch der Schuldenkrise in den achtziger Jahren gewähr- ten die westlichen Industrieländer bankrotten Entwicklungsländern immer wieder nicht ausreichende Umschuldungen und Teilerlasse. Auch hier wurden die Gutachten von IWF und Weltbank erstellt, die auch damals schon selbst Gläubi- ger waren. 4d - Polarisierung Quelle: Guzman, M. und D. Heymann: Macoreconomic Crises: An overview of experiences Das Schuldenmanagement wie and some Analytical Issues. bisher führt zu einer immer größer werdenden Polarisierung zwischen Arm und Reich. Während die Be- völkerung der Schuldnerstaaten die Kosten der Krise trägt, profitie- die Gläubigerbanken ein gutes ziehen, solange Griechenland ren die Gläubigerbanken. Geschäft. Weil Schuldenerlasse, zahlungsfähig bleibt. An ihre Stel- wie bereits beschrieben, verzögert le treten öffentlich verbürgte Mittel Solange die europäischen Re- werden, wird die Lösung der Krise aus den europäischen Krisenfonds gierungen und die Troika dafür letztlich für fast alle teurer, außer EFSF und ESM. Verluste gehen sorgen, dass Griechenland seine für einige der privaten Gläubiger, dann nicht mehr zulasten der Ban- Zahlungen nicht einstellt, machen die sich aus Griechenland zurück- ken, sondern der Steuerzahler/in- nen in den Gläubigerländern. Die Kosten für die Krise tragen die Bürgerinnen und Bürger Griechen- lands. Die Wirtschaft schrumpft und die Sparzwänge führen dazu, dass die Regierung die Bevölke- rung nicht mehr versorgen kann. Die Menschen verarmen zuse- hends. Auch in den achtziger Jahren machten die Gläubigerbanken ein gutes Geschäft. Die Länder der Gläubigerbanken vergaben an die Miriam Paesler / Miratrick Berlin Schuldnerstaaten Kredite, die di- rekt in die Bezahlung der Schulden an die privaten Banken flossen. Verordnete Strukturanpassungs- programme von IWF und Weltbank und Sparzwänge für die Regierun- gen hatten außerdem schlimme Aus den Fehlern im Umgang mit Schuldenkrisen in der Vergangenheit hätte man vieles lernen Folgen für die Menschen. Für eine können. Stattdessen werden die gleichen Fehler, die im Umgang mit der „Schuldenkrise der halbe Generation kam der Schul- Dritten Welt“ gemacht wurden, im Umgang mit der Schuldenkrise in Griechenland wiederholt. denerlass zu spät. 18 Begleitbroschüre zur Ausstellung „Geschichten der Schuldenkrise“
Neue Schuldenkrisen: das Beispiel Subsahara-Afrika 5 • Wie sieht die Verschuldungssituation in den entschuldeten Staaten in Subsahara-Afrika heute aus? • Welche Gefahr birgt der Trend zur Verschuldung am internationalen Kapitalmarkt? • Welche Erfolge wurden durch die Entschuldung in Ghana erzielt? • Wie entwickelt sich die Verschuldungssituation in Ghana momentan? 5a 5b 5c 5d 5a - Krise gelöst? Dieser Satz beruht auf der bereits Das ist leider falsch! Abbildung 1 aus Kapitel 2 bekannten Annahme, (S. 20) zeigt das vom IWF ge- Die westlichen Gläubiger sind über- Staaten könnten nicht pleitegehen. schätzte Überschuldungsrisiko der- zeugt, sie hätten das Überschul- Wenn sie es dann doch tun, wird jenigen afrikanischen Länder, die dungsproblem der ärmsten Ländern versucht, die Krise mit einer ein- sich für einen Schuldenerlass im mit den Entschuldungs initiativen maligen „Hau-Ruck“-Aktion zu lö- Rahmen der HIPC-Initiative qualifi- HIPC/MDRI ein für alle Mal gelöst. sen. Danach gilt dann wieder (bis ziert hatten. Bis auf Eritrea, Soma- So schreibt der Internationale Wäh- zur nächsten Schuldenkrise), dass lia, Sudan und Tschad haben diese rungsfonds im Jahr 1999: Staaten nicht pleitegehen können. Länder die HIPC-Initiative durch- laufen und einen Schulden erlass „Die HIPC-Initiative macht es Betrachten wir nun die Region, aus erhalten. Die Abbildung zeigt, dass ihnen (den im Rahmen der der die meisten hoch verschulde- von den bereits entschuldeten HIPC-Initiative entschuldeten ten armen Länder stammen: Sub- Staaten heute wieder 18 ein hohes Staaten, Anm. d. Red.) möglich, sahara-Afrika. 33 der 39 für einen oder mittleres Überschuldungsri- sich für alle Zeiten aus dem Um- Schuldenerlass im Rahmen der siko haben. Ein einmaliger Erlass schuldungsprozess zu HIPC-Initiative qualifizierten Län- kann neue Schuldenkrisen nicht verabschieden.“ der stammen aus dieser Region. verhindern. Schenkt man der Aussage des IWF (IWF 1999: „Debt Relief for Low von 1999 Glauben, dürfte Über- Die HIPC-Initiative war nur dazu Income Countries. The HIPC Initi- schuldung dort kein Problem mehr gedacht, das Schuldenproblem ei- ative“, Übersetzung: erlassjahr.de) sein. ner begrenzten Anzahl von Ländern Begleitbroschüre zur Ausstellung „Geschichten der Schuldenkrise“ 19
Abbildung 1: Überschuldungsrisiken der HIPC-Staaten in Afrika lungsländern zum Kapitalmarkt 5 wieder schwieriger wird. Das kann passieren, wenn sich die Risiko- Die Abbildung zeigt das vom IWF geschätzte Überschuldungsrisiko wahrnehmung der Anleger verän- derjenigen afrikanischen Länder, dert oder Anleihen in anderen Re- die sich für einen Schuldenerlass gionen verhältnismäßig rentabler im Rahmen der HIPC-Initiative werden. Dass bei Fälligkeit der qaulifiziert hatten. Anleihen in fünf oder zehn Jahren ■ Zahlungsunfähig weiterhin so viel billiges Geld zur ■ Hohes Überschuldungsrisiko Verfügung steht wie jetzt, ist kei- ■ Mittleres Überschuldungsrisiko nesfalls gesichert. ■ Niedriges Überschuldungsrisiko ■ Kein HIPC ■ Keine Angaben Expert/innen, unter anderem beim Internationalen Währungsfonds, gehen schon jetzt davon aus, dass die Finanzierungskosten für neue Anleihen in der Zukunft höher sein werden als momentan. Die Refi- nanzierung wird dann teurer und damit schwieriger. Die Rückzah- lung der fälligen Anleihen kann zu einem bestimmten Zeitpunkt zu in Subsahara-Afrika erfolgverspre- dann für die Schuldnerstaaten zu lösen. Dadurch hat sie den damals chend, denn hier werden höhere einem Problem werden. überschuldeten Ländern einen Zinsen geboten als in den reichen Neuanfang verschafft. Die Länder Ländern. Für die Schuldnerländer waren nach der Entschuldung wie- heißt das, dass sie günstig an Kre- 5c - Ghana ... der in der Lage, Kredite aufzuneh- dite kommen, um ihren Finanzie- men. Die Wiederherstellung der rungsbedarf zu decken. Der Schuldenerlass im Rahmen Kreditwürdigkeit war dabei ein ex- der HIPC-Initiative ist an die Um- plizites Ziel der HIPC-Initiative. Die Möglichkeit der verhältnismä- setzung umfassender Programme ßig günstigen Finanzierung ist je- zur Armutsreduzierung geknüpft doch nicht für immer gegeben. In (siehe Kapital 3). Diese wurden in 5b - Kapitalzufluss der Realität werden Schulden nicht Form sogenannter Armutsreduzie- aufgenommen, um sie irgendwann rungsstrategiepapiere (engl. Po- Abbildung 2 zeigt die Platzierung zurückzuzahlen, sondern um sie verty Reduction Strategy Papers, von Euromarktanleihen durch ständig zu refinanzieren und aus PRSP) festgeschrieben. Durch Länder in Subsahara-Afrika (ohne der Differenz zwischen fälligem eine partizipative Gestaltung des Südafrika) in den letzten Jahren. Zins und erzielten Wachstumsef- Erarbeitungs- und Umsetzungs- Ein Trend wird deutlich: Ärmere fekten Entwicklung zu finanzieren. prozesses sollte auch die Zivil Länder verschulden sich zuneh- Problematisch kann es werden, gesellschaft einbezogen werden. mend am Kapitalmarkt. Noch vor wenn der Zugang von Entwick- In einigen, aber längst nicht in allen zehn Jahren hätte kaum jemand Staatsanleihen von solchen ärme- ren Ländern kaufen wollen. Abbildung 2: Platzierung von Euromarktanleihen (in Millionen US-Dollar) In den reichen Ländern kriselt die Wirtschaft, die Entwicklungshilfe stagniert. Doch in vielen Ländern wird dringend Geld für die Finan- zierung von Entwicklung benötigt. Ghana: 1.000 Einige Länder in Subsahara-Afrika Nigeria: 1.000 haben eine Alternative gefunden Gabun:1.000 Ruanda: 400 Kongo, Rep.: Tansania: und mobilisieren Geld über den 454 Finanzkrise Nigeria: 500 Sambia: 750 600 Kenia: Ghana: 750 Namibia: 500 Elfenbein- Mosambik: 2.000 internationalen Kapitalmarkt. Ein Seychellen: Seychellen: Elfenbein- Senegal: küste: 187 850 Sambia: 230 75 Senegal: 200 küste: 2.300 5.000 Senegal: 500 Gabun:1.500 1.000 Instrument dazu sind sogenannte Euromarktanleihen, die am Kapital- 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 1. Halbjahr markt platziert werden. Anleger finden auf der Suche nach Subsahara-Afrika, ohne Südafrika. Rendite ärmere Länder vor allem 20 Begleitbroschüre zur Ausstellung „Geschichten der Schuldenkrise“
HIPC-Ländern, konnten dadurch World Bank Photo Collection: Children having a meal at school / CC BY-NC-ND 2.0 Erfolge bei der Armutsbekämpfung erzielt werden. 5 Ghana ist ein Beispiel für eine sol- che Erfolgsgeschichte: Die untrag- bare Verschuldung wurde 2004 im Rahmen der HIPC-Initiative halbiert. So konnte die Hälfte des Schuldendienstes jährlich gespart und in die Armutsbekämpfung und wirtschaftliche Entwicklung inves- tiert werden. Die Ausgaben für die Armutsbekämpfung wurden von 2002 bis 2011 im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt mehr als ver- doppelt. Durch den Schuldenerlass konnten die Gebühren für den Grundschul- Das Schulspeisungsprogramm bietet Schulkindern täglich eine warme Mahlzeit. Durch den besuch abgeschafft werden. Bis Schuldenerlass freigewordene Gelder dienten zur Finanzierung. 2010 profitierten mehr als 700.000 Schülerinnen und Schüler von ei- nem Schulspeisungsprogramm, sichtbar: Im August 2014 musste Schuldenkrisen sind kein einmali- das täglich eine warme Mahlzeit das eigentlich finanziell gut aus- ges Phänomen, sondern können für benachteiligte Schüler/innen gestattete Ghana den IWF wieder immer auftreten, solange Staaten zur Verfügung stellte. Lebten Mitte um einen Beistandskredit bitten. Schulden machen. Angesichts der der neunziger Jahre noch über die Eine geplante Anleihe fand keine drohenden neuen Schuldenkrisen, Hälfte der Menschen in Armut, sind ausreichende Nachfrage am Kapi- die sich momentan in vielen Ent- es heute nur noch 28,5 Prozent. talmarkt. wicklungsländern abzeichnen, ist Damit wird Ghana voraussichtlich es gerade jetzt wichtig, ein verläss- noch vor Ablauf des Jahres 2015 Das Beispiel Ghana zeigt, dass liches Verfahren für den Umgang das Millenniums-Entwicklungsziel, auch ein erfolgreich entschulde- mit diesen Krisen zu entwickeln – die Armut zu halbieren, erreichen. ter Staat nicht vor einer erneu- und nicht erst, wenn es längst zu ten Überschuldung geschützt ist. spät ist. 5d - ... unter Druck Abbildung 3: Ghana - Auslandsschuldenstand (in Millionen US-Dollar) Trotz der großen Erfolge ist Ghana erneut auf dem Weg in eine Schul- denkrise. Zehn Jahre nach dem Schuldenerlass hat der westafrikani- sche Staat wieder Schulden in Höhe von etwa 60 Prozent seines Brutto- inlandsprodukts. Abbildung 3 zeigt den rasanten Anstieg der ghana ischen Auslandsverschuldung. Einwicklungshilfe und eigene Res- sourcen reichen für die Finanzie- rung von Entwicklung nicht aus. Im Vertrauen auf die Ölfelder vor der Küste nimmt die Regierung zuneh- mend teure Privatkredite auf, um die wachsenden Ausgaben des Staates zu finanzieren. 2013 floss ein Viertel der öffentlichen Ausga- ben in die Zahlung von Zinsen. In Ghana sind bereits die ersten An- zeichen einer neuen Schuldenkrise Begleitbroschüre zur Ausstellung „Geschichten der Schuldenkrise“ 21
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