GESTALTE(N) BEISPIELLOSES NIEDERÖSTERREICH - N 161 09/2018 - NÖ Gestalten

Die Seite wird erstellt Britta Schrader
 
WEITER LESEN
GESTALTE(N) BEISPIELLOSES NIEDERÖSTERREICH - N 161 09/2018 - NÖ Gestalten
N°161 09/2018

GESTALTE(N)
 Das Magazin für Bauen, Architektur und Gestaltung

                                   BEISPIELLOSES
                               NIEDERÖSTERREICH
GESTALTE(N) BEISPIELLOSES NIEDERÖSTERREICH - N 161 09/2018 - NÖ Gestalten
Inhalt

08 Baujuwele in Niederösterreich    12 Ortsbildkids         14 Kellergassen

27 NÖ Pflege- und Betreuungszentrum 35 Zubau Haus Steiner              41 Sanierung „Friseurhäuschen”
                                                             Reaktionen unserer LeserInnen               04
                                                             Daheim in Niederösterreich                  06
                                                             Baujuwele in Niederösterreich               08
                                                             Ortsbildkids                                12
                                                             Kellergassen Kulturlandschaft Weinviertel   14
                                                             Weingut Höllerer in Engabrunn               21
                                                             NÖ Pflege- und Betreuungszentrum Türnitz 27
52 Verwunschenes Niederösterreich                            Ankündigung: Stadt-Spaziergang Baden        32
                                                             Zubau Haus Steiner in Waidhofen a.d.Ybbs 35
GESTALTE(N) BEISPIELLOSES NIEDERÖSTERREICH - N 161 09/2018 - NÖ Gestalten
Vorwort

                                                                                   PRÄDIKAT
                                                                                   „WELTWEIT BEDEUTEND“
                                                                                   -                          Baden, Kur-und ehemalige kaiser-
                                                                                                              liche Residenzstadt, zählt zu unseren
                                                                                                              bedeutendsten kulturhistorischen
                                                                                                              Städten im südlichen Niederöster-
                                                                                                              reich. Die gemeinsame Nominierung
21 Weingut Höllerer                                                                                           mit zehn anderen, internationalen
                                                                                                              Badestädten wie Vichy, Karlsbad
                                                                                                              oder dem englischen Bath zu einem
                                                                                                              UNESCO-Weltkulturerbe, belegt
                                                                                                              Badens Rang als eine der heraus-
                                                                                                              ragendsten Kurstädte Europas – eine
                                                                                   Qualitätsbekundung, auf die wir alle stolz sein können. Sollte
                                                                                   Baden tatsächlich zu einem UNESCO-Weltkulturerbe ernannt
                                                                                   werden, wäre das unsere 3. Weltkulturerbestätte in Nieder-
                                                                                   österreich. Neuartig bei dieser Bewerbung der "Great Spas of
                                                                                   Europe" ist, dass es erstmals nicht um ein Bauwerk, eine Stadt
                                                                                   oder eine Landscha geht, sondern um eine Gruppe von Städten.
47 Neue Klippenhäuser, Baumhaus-Lodge                                              Räumlich in ganz Europa verteilt würde dieser gemeinsame
                                                                                   Status und der kulturelle Austausch dieser Kurstädte Europa
                                                                                   wieder ein Stück näher zusammenrücken lassen.
   Sanierung „Friseurhäuschen” in Eichgraben   41
   Die neuen Klippenhäuser der Baumhaus-Lodge 47                                   Nicht verwunderlich, dass Baden zum Veranstaltungsort
                                                                                   des diesjährigen Stadt-Spaziergangs von Niederösterreich
   Verwunschenes Niederösterreich              52
                                                                                   GESTALTE(N) auserkoren wurde. Spannend wird es für Baden
   Vorträge und Bauberatung                    58                                  also auf jeden Fall – und das nicht nur beim Stadt-Spaziergang.
   Wahl zur Goldenen Kelle – Herbst 2018       59
                                                    Coverphoto: Romana Fürnkranz

   Leserservice                                60
   Impressum, Datenschutzhinweis               60                                                Ihre Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner
   Beratungstellen des Landes NÖ               60
   Institutionen und Vereine                   61                                  Zuschriften sind willkommen: LH Johanna Mikl-Leitner, Landhausplatz 1, 3109 St. Pölten

                                                                                                                                                              GESTALTE(N)   03
GESTALTE(N) BEISPIELLOSES NIEDERÖSTERREICH - N 161 09/2018 - NÖ Gestalten
Editorial                                     Reaktionen unserer LeserInnen
                                              Bravo!                                       DER ARCHITEKTUR-WETTBEWERB
                                              All den beteiligten Bauherrn und             UM DIE GOLDENE KELLE NR.160
                                              Architekten, sowie den Mitarbeitern
                                              und Herausgeber dieses wunderbar
                                              gestalteten Magazins einen großen
                                              Dank! Es ist schön, dass es in unserer
                                              Zeit noch so viel Gefühl für Schönes gibt!

                                                                                                                                       Romana Fürnkranz
                                              Hildegard Lindner, 1230 Wien

                                              Ich freue mich über jede neue Ausgabe!
                                                                                           (1) Lehmhaus in Parisdorf
Liebe Leserinnen und Leser,                   Habe selbst ein altes Haus und
                                              würde mich freuen, wenn es meine
diesmal haben wir bei der Zusammen-           Enkerl später einmal nach eurem Rezept
stellung der architektonischen Vorzeige-      renovieren.
projekte einen weiten Bogen gespannt,         Ellen Uher, 2761 Mistelbach

                                                                                                                                       Romana Fürnkranz
sodass die Bandbreite der Beispiele von
der voralpenländischen Altersresidenz vom     Wertes Team von NÖ-GESTALTE(N)!
Feinsten bis hin zum futuristischen Ferien-   Ihre Serie zählt zu jenen Heften, die ich
apartment reicht. Um Ihnen die Abstim-        ungern aus der Hand gebe. Durch Ihre         (2) Hotel Klinglhuber in Krems

mung zur Wahl der „Goldenen Kelle“ leicht     Aufnahmen und Erklärungen habe ich
und auch von überall aus möglich zu           erst Bauwerke SEHEN gelernt. Jetzt
machen, können Sie Ihre Stimme jederzeit      reizt mich jedes Haus, das Geschichte
über unsere Homepage unter www.noe-           zeigt und mir aus seiner Vergangenheit
                                              erzählt. Es ist schön Hinweise im Stil,

                                                                                                                                       Romana Fürnkranz
gestalten.at/goldene-kelle/ abgeben.
                                              an der Bausubstanz und an dessen
Zudem finden Sie aufgrund der vielen          Unebenheiten zu erkennen. Die Liebe zu
positiven Rückmeldungen in dieser Aus-        alten Häusern ist erst mit dem Herab-        (3) Rathaus in Königsbrunn
gabe wieder einen Artikel aus der Rubrik      fallen des Putzes und dem Begreifen
„Verwunschenes Niederösterreich“ und          des darunter Versteckten gewachsen.
zeitlich abgestimmt mit der kommenden         Dafür möchte ich Ihnen danken.
Weinlese einen Fachbeitrag über die Wein-     Mag. Christl Ayad, 1230 Wien
viertler Kellergassen.
                                              Das Magazin GESTALTE(N) ist super!

                                                                                                                                       Kurt Hoerbst
Wir hoffen, wieder Ihren Geschmack ge-         Aber tut bitte was gegen die Verbauung.
troffen zu haben und würden uns auch           Es braucht mehr Grün und mehr Bäume          (4) Einfamilienhaus in Niederkreuzstetten
freuen, Sie beim Stadt-Spaziergang in         für die Zukunft unserer Kinder!
Baden am 8. September willkommen heißen       Gernot Kaltenböck, 2231 Gänserndorf
zu dürfen.
                                              Was mich extrem stört, ist die enorme
                                              Verbauung in unserem Bezirk.

                                                                                                                                       Romana Fürnkranz
                                              Wertvolles Ackerland wird zerstört und
     Landesbaudirektor Walter Steinacker
     Referatsleiterin Petra Eichlinger
                                              sauerstoffbringende Bäume gefällt.
                                              Es muß ein Umdenken einsetzen!
                                                                                           (5) Stadhaus in Hollabrunn
Redaktion: mail@noe-gestalten.at              Christine Amri, 2231 Gänserndorf
04   GESTALTE(N)
GESTALTE(N) BEISPIELLOSES NIEDERÖSTERREICH - N 161 09/2018 - NÖ Gestalten
Projekt 1:                                  Projekte 1, 3 und 5:                       Projekte 1 und 5:
Das Projekt Lehmhaus verkörpert             Es zeigt sich deutlich, dass es nicht      Stimmige und freundliche Gestaltung.
Baukultur par excellence.                   immer ein Neubau sein muss, sondern        Hoher Respekt zu dieser Leistung.
Hier ist alles richtig und sympathisch      dass gut durchdachte und behutsame         Ing. Johann Haas, 3321 Ardagger Stift
gestaltet und umgesetzt. Beginnend          Revitalisierung Ergebnisse von ausser-
vom Ortsbild, bis zur Materialauswahl,      odentlicher Qualität erzielt werden        Projekt 4:
weiters hohe handwerkliche Kultur –         können, die allen Erfordernissen von       Die zurückhaltende Fassade fügt sich
alles passt.                                Ästhetik, Funktionalität und Wirtschaft-   sehr gut ins „beschauliche Nieder-
DI Peter Holzer, 2521 Trumau                lichkeit entsprechen. Besonders möchte     kreuzstetten” ein. Sie findet hoffentlich
                                            ich noch bei Projekt 3 die Behinderten-    Nachahmer. Es gibt schon genug
Projekt 1:                                  freundlichkeit hervorheben, die bei        lila, hellblaue, orange, lachs- und
Dieses Projekt ist ein gutes Beispiel       einem Gebäude mit Parteienverkehr          zuckerlrosa und türkise „Eyecatcher”
dafür, dass der achtsame Umgang             von besonderer Bedeutung ist.              unter den dörflichen Fassaden.
(ressourcenorientiert und nachhaltig)       Walter Blaha, 2521 Trumau                  Mag. Gabriela Hahn, 2124 Kreuzstetten
auch die Zukunft ist!
Monika Mörzinger-Wunderer, 1230 Wien        Projekte 1 und 5:
                                            Vorbildhaft für ganz Österreich.           IHRE ZUSENDUNGEN
                                                                                       bitte per mail@noe-gestalten.at, abtrennbare Karte
Projekt 1:                                  Bravo den Architekten und Bauherrn.        im Magazin oder Brief an: Niederösterreich GESTALTE(N),
Bewertung: 2 Goldene Kellen!                Norbert Wolf, 6241 Radfeld/Tirol           Landhausplatz 1/13, 3109 St. Pölten
Selbst wenn man nur die Fotos sieht,
ist zu spüren, dass in diesem Haus          Projekt 1:
eine Wohlfühlatmosphäre herrscht.           Bewundernswert wie viel Zeit, Geduld
Gerne würde ich in so einem Haus
wohnen.
                                            und Arbeit in dieses Haus investiert
                                            wurde. Das Ergebnis spricht für sich.
                                                                                         NÖ Heckentag 2018
Ing. Erich Hums, 2284 Breitenfurt           Gratulation!                                 Regionaler geht´s nicht.
                                            Ingeborg Longauer, 2601 Sollenau
Projekte 1, 2 und 5:                                                                     Mit garantiert heimischen
1) Wunderbare Harmonie und                  Projekt 2:
1) Atmosphäre eines alten Hauses            Ich finde den Erweiterungsbau „Hotel
                                                                                         Sträuchern und Bäumen
2) Modern, aber sich einfügend              Klinglhuber” sehr gelungen!                  zum Gartenkaiser werden!
5) Den alten Ortskern belebend –            Ich habe in den 60er Jahren einige Male
1) sehr gelungen                            im alten Hotel übernachtet –                 Ab 1. September bis 17. Oktober 2018
Gerburg Hohenbruck, 1150 Wien               nicht mehr wieder zu erkennen.               können die Lieblingspflanzen online
                                            Peter Krupholz,                              auf www.heckentag.at bestellt werden.
Projekte 1 und 5:                           3313 Wallsee-Sindelburg                      Ihr persönliches Gehölzpaket wird
Ich befürworte die Restaurierung alter
                                                                                         zwischen 5. und 16. November direkt
Objekte mit natürlichen Materialien, auch   Projekt 3:
wenn es nicht einfach ist. Unser altes      Das Rathaus in Königsbrunn ist voll          und bequem an Ihre Wunschadresse
Haus habe ich innen mit gelöschtem Kalk     gelungen. Der Zubau mit seinen hellen        geliefert.
und Leinöl ausgemalt. Das Auftragen war     Räumen, ist gut geplant und gestaltet.
etwas schwieriger als mit „moderner”        Der Sitzungssaal sieht besonders toll        Kontakt:
Wandfarbe, aber dafür umweltfreundlich.     aus. Auf Barrierefreiheit wurde ebenso       Heckentelefon 02952/4344-830
Seitdem haben wir keinen Schimmel mehr!     Rücksicht genommen.                          E-Mail office@heckentag.at
Manuela Kamper, 2620 Neunkirchen            Rosemarie Fröschl, 3314 Strengberg
                                                                                                                               GESTALTE(N)   05
GESTALTE(N) BEISPIELLOSES NIEDERÖSTERREICH - N 161 09/2018 - NÖ Gestalten
DAHEIM IN NIEDERÖSTERREICH

                                                            „Weißenkirchen in der Wachau“ von Johann Schrittwieser

Schicken Sie uns Ihre Stimmungsbilder und Gedanken,
die Ihr Lebensgefühl in Niederösterreich am besten beschreiben!
IHRE ZUSENDUNGEN (Fotos in hoher Auflösung,300dpi) bitte per mail@ noe-gestalten.at
oder an: Niederösterreich GESTALTE(N), Landhausplatz 1/13, 3109 St. Pölten

06   GESTALTE(N)
GESTALTE(N) BEISPIELLOSES NIEDERÖSTERREICH - N 161 09/2018 - NÖ Gestalten
„Der DC Tower in Wien spiegelt den Sonnenuntergang in Korneuburg“ von Christian Skopek

              „Die alte Spinnerei in Oberwaltersdorf “ von Günther Strahner

                                                                                         GESTALTE(N)   07
GESTALTE(N) BEISPIELLOSES NIEDERÖSTERREICH - N 161 09/2018 - NÖ Gestalten
08   GESTALTE(N)
GESTALTE(N) BEISPIELLOSES NIEDERÖSTERREICH - N 161 09/2018 - NÖ Gestalten
BAUJUWELE IN NIEDERÖSTERREICH

HAUS WITTMANN
IN ETSDORF AM KAMP

                                 GESTALTE(N)   09
GESTALTE(N) BEISPIELLOSES NIEDERÖSTERREICH - N 161 09/2018 - NÖ Gestalten
W
        ie kaum ein anderes Privathaus in Niederösterreich steht der      Einbauküche widmete man sich mit großer Sorgfalt: Sie wurde
        1975 fertiggestellte pavillonartige Bau, den der bedeutende       dekonstruiert, gereinigt und wieder eingefügt.
        österreichische Architekt Johannes Spalt für den Möbel-
produzenten Franz Wittmann in Etsdorf am Kamp schuf, für die              Das Ergebnis der Renovierung wurde in einem ORF-Beitrag von Sabine
Fortführung der Ideen der Moderne in einer Tradition, die von             Daxberger entsprechend gewürdigt. Orientierung für die original-
Josef Hoffmann und Adolf Loos geprägt worden war. So schrieb 1977          getreue Renovierung gab die Dokumentation zum Haus Wittmann:
Architekturkritiker J. van Heuvel: „Loos verstand es mit ziemlich         angefangen von alten Aufnahmen über die Baubeschreibung von
einfachen Mitteln, Großräumigkeit in seinen Entwürfen zu schaffen […]      Johannes Spalt aus dem Jahr 1969 bis hin zu Artikeln in der Fach-
In Etsdorf fand ich auch wieder etwas davon.“ Um ein offenes Atrium        literatur. Um das Wissen über diesen außergewöhnlichen Bau einem
reihen sich japanisch inspiriert – zur Schaffung von Intimität paravent-   breiten Publikum zugänglich zu machen, wurde eine eigene Website
artig voneinander getrennt – die unterschiedlichen Bereiche des           eingerichtet: hauswittmann.at
Wohnens. Anstelle von Säulen übernehmen Fensterpfosten die tragende
Funktion. Mahagoniholz, Onyxmarmor und Stoffe von Josef Frank              Spalt und Wittmann – Freunde im Geiste
prägen die Oberflächen der Innenräume. Der Dialog zur umliegenden         Architekturvermittlung war für Johannes Spalt, der 1951 bis 1974
Landscha erfolgt exquisit durch Sichtbezüge. Die asiatische Anmutung     der legendären „Arbeitsgruppe 4“ angehörte und 1973 bis 1990 die
eines Teehauses manifestiert sich zudem in der Form des fast              Meisterklasse für Innenarchitektur an der – damals Hochschule, heute
schwebend erscheinenden Schirmdaches aus Kupfer mit Lichtkuppel.          – Universität für angewandte Kunst leitete, ein wichtiger Ansatz.
Ein Salettl im parkähnlichen Garten spiegelt den Wohnpavillon in          Friedrich Achleitner betont in seinem Beitrag zur Monographie des
verkleinerten Dimensionen wider.                                          Architekten dessen Verdienste in der Weitergabe von Wissen zur
                                                                          Moderne an seine Kollegen sowie in der Ausstellungstätigkeit der
Originalgetreue Renovierung                                               „Arbeitsgruppe 4“ als „Programm zur Bildung eines öffentlichen
Es gibt viel zu erzählen über das Haus Wittmann, wie die lange Liste      Architekturbewusstseins“. In diesem Rahmen entstand auch gemein-
an Publikationen belegt. In jüngster Zeit aber wurde ein neues Kapitel    sam mit Friedrich Kurrent die Ausstellung „Wittmann Interieur“,
geschrieben: jenes der Instandsetzung einer Architekturikone, die von     die 1965 im Wiener Palais Pálffy gezeigt wurde. Die Verbindung
Werner Weißmann gemeinsam mit seiner Frau Catherine Weißmann-             nach Etsdorf resümiert Andrea Nussbaum im Band Waldviertel
De Ro mit vorbildlicher Umsicht, baukulturellen Engagement und            der „Architekturlandschaft Niederösterreich“: „Johannes Spalt
großem Verständnis von 2016 bis 2017 erfolgte. Die größte Heraus-         errichtete Mitte der 1960er Jahre für die Firma Wittmann eine
forderung der werkgerechten Erneuerung stellte dabei die Schwimm-         Produktionshalle, fungierte als Berater bei der Reproduktion von
halle dar, die unter hundertprozentigem Erhalt der Proportionen           Josef-Hoffmann-Möbeln und realisierte mit Franz Wittmann auch
technisch auf neuesten Stand gebracht wurde. Auch der originalen          eigene Möbelentwürfe“.                         Theresia Hauenfels *
10   GESTALTE(N)
Photos: Romana Fürnkranz

GESTALTE(N)
11
ORTSBILDKIDS!                                          Erweitere dein
                                                       Erweitere deinWissen!
                                                                      Wissen!

TRAGENDE                                                                      Tonnengewölbe        Kreuzgewölbe   Kreuzrippengewölbe   Klostergewölbe

ELEMENTE
DER BAUKUNST                                                                 Spiegelgewölbe   Muldengewölbe          Netzgewölbe        Sterngewölbe

TEIL2: GEWÖLBE UND KUPPELN                                               Gewölbeform war das Tonnengewölbe, bei dem die beiden Wände oder
                                                                         Pfeilerreihen gleich lang und parallel sind. Die nächsten Entwicklungs-

                                                                                                                                                                                                                                                                      ̈nter Prinesdom.
                                                                         schritte waren die Spitztonne, die sich als deutlich tragfähiger erwies,
Wenn wir in einem Zimmer sitzen und nach oben schauen, sehen             sowie das Kreuzgewölbe (das aus zwei sich im rechten Winkel durch-
wir meist eine gerade Decke, die uns unangenehm „auf den Kopf            dringenden Tonnengewölben besteht) und das gotische Kreuzrippenge-
fällt“. Die Weite über unseren Köpfen, das „Firmament“, das sich         wölbe, das durch selbsttragende Rippen gehalten wird und das

                                                                                                                                                        Photos: Archiv, Lexikon f. Bauwesen, Tavor, Weingut Catzheim, Martin Geisler, Franks Travelbox, Frank Heuer, Gu
über dem Horizont wie eine flache Schale zu wölben scheint, wird         Tonnengewölbe allmählich verdrängte. Erst in der Renaissance kehrte
seit Jahrhunderten in den Kuppeln und Gewölben der Kirchen-              man zur nun erheblich weiter gespannten Tonnenwölbung zurück, um
bauten versinnbildlicht. Die Kuppel, die in tiefem Blau erstrahlt        prachtvolle Raumwirkungen zu erzielen.
und mit goldenen Sternen verziert ist, schließt ein Bauwerk nach         Eine vor allem im 19. Jahrhundert verbreitete Variante des Tonnenge-
oben ab und hält es als Symbol des Himmels doch „geöffnet“.              wölbes ist das sogenannte Kappengewölbe, auch „Preussische Kappen-
Kuppeln und Gewölbe bekrönten aber nicht nur repräsentative              decke“ bzw. „Platzldecke“ genannt. Darunter versteht man eine
historische Bauwerke, sondern wurden auch in alten Wohn-                 Deckenkonstruktion, die aus aneinandergereihten flachen Segment-
häusern, Kellern und Tierställen eingebaut.                              tonnengewölben mit dazwischenliegenden Stahlträgern besteht. Diese
                                                                         Decken wurden als Geschoßdecken in Wohnhäusern und Industriege-
Das Gewölbe                                                              bäuden verwendet, bis sie ab den 1930er Jahren allmählich von (flachen)
Die gebauchten Raumabschlüsse, die im Unterschied zu Decken, die         Stahlbetondecken abgelöst wurden.
flach auf den Wänden aufliegen, den Raum mit einer Wölbfläche selbst-
tragend überspannen, zählen zu den ältesten Konstruktionen in der Bau-   Die Kuppel
geschichte. Gewölbe sind bogenförmig (zylindrisch oder spitzbogig)       Gewölbe mit nur einem Scheitelpunkt werden als Kuppeln bezeichnet.
gekrümmte gemauerte Massivdecken, deren keilförmigen Steine sich         Ihre gebräuchlichste Form ist die einer Halbkugel, die auf einem Mauer-
gegeneinander so abstützen, dass sie untereinander nur auf Druck         kranz aufliegt. Spätere Kuppeln sind in unterschiedlichen Kurvenlinien
beansprucht sind. An den Mauern wirken neben den Lasten von oben         gebaucht und aus Gründen der besseren Tragfähigkeit meist zweischalig
jedoch auch erhebliche seitliche Kräe. Die tragenden Mauern des         gebaut. Die ältesten aus Keilsteinen gemauerten Kuppeln stammen aus
Raumes müssen also nicht nur dem Gewicht standhalten, sondern auch       antiker Zeit. Seinen frühen Höhepunkt erreichte der Kuppelbau in der
Kräen, die sie nach außen drücken, dem sogenannten Gewölbeschub.        Hagia Sophia in Istanbul, sowie im 114–128 n. Chr. errichteten Pantheon
                                                                         in Rom. Am obersten Punkt der Kuppel des Pantheons (Durchmesser
Rund, spitz, kreuzförmig                                                 43 m) befindet sich als einzige Belichtung des Raums eine kreisrunde
Die Gewölbeform der Rundtonne erfreute sich in der römischen Archi-      Öffnung (Durchmesser 9 m). In einem Raum wie diesem wandert der
tektur vor allem beim Bau von ermen großer Beliebtheit. Die erste       Blick unermüdlich aus Neugier zur Decke.                              *
12   GESTALTE(N)
ORTSBILDKIDS!
                                                                                            GEWINNSPIEL                              161

                                                                                            Wenn du alles aufmerksam durch-
                                                                                            gelesen hast und dich noch darüber
                                                                                            hinaus ein bisschen informierst,
                                                                                            kannst du sicherlich die Fragen
                                                                                            unseres Gewinnspiels beantworten.
                                                                                            FRAGE 1: Was ist der Unterschied
                                                                                            zwischen einer Kuppel und
                                                                                            einem Gewölbe?
Tonnengewölbe, Weingut Cantzheim   Netzgewölbe, Kloster Maulbronn                           FRAGE 2: Was symbolisiert eine
                                                                                            blaue Kuppel mit Sternen?
                                                                                            FRAGE 3: Nenne einen der be-
                                                                                            kanntesten Kuppelbauten der Antike

                                                                                            Als Gewinn
                                                                                            verlosen wir
                                                                                            das Buch

                                                                                            BAUEN
                                                                                            Forschen, Bauen, Staunen
                                                                                            von A bis Z
                                                                                            Einsendeschluss
                                                                                            ist der 15. Oktober 2018

Kreuzgewölbe, Stift Zwettl         Spiegelgewölbe, Marmorsaal Stift Melk                    UND SO NIMMST DU TEIL
                                                                                            Sende einfach eine Postkarte
                                                                                            mit den richtigen Antworten
                                                                                            und mit Namen/Adresse an:
                                                                                                                               !
                                                                                            GESTALTE(N) „Ortsbildkids!“
                                                                                            Landhausplatz 1/13
                                                                                            3109 St. Pölten
                                                                                                                               V
                                                                                            oder sende eine E-Mail an:
                                                                                            mail@noe-gestalten.at.             v
                                                                                                                                     160
                                                                                            GEWINNER/IN
                                                                                            Lisa Haselböck
                                                                                            aus 2120 Obersdorf
                                                                                            Die Redaktion gratuliert herzlich!
                                                            Kuppel, Karl-Borromäus-Kirche                              GESTALTE(N)    13
Kuppel, Pantheon in Rom                                     am Wiener Zentralfriedhof
Kellergasse Alte Geringen in Ketzelsdorf, Gemeinde Poysdorf
14   GESTALTE(N)
KELLERGASSEN
KULTURLANDSCHAFT
   WEINVIERTEL

                   GESTALTE(N)   15
Kellergasse Alte Geringen in Ketzelsdorf

      Der Weinbau im niederösterreichischen Weinviertel besitzt eine jahrhundertealte Tradition.
        Er hat die wirtschaftliche Entwicklung der Region einst geprägt und tut es noch heute.

B
       ereits mit den Römern kam der Weinbau     Bauern eigener Besitz und selbstständiges      Siedlungen. Etwa 1.100 Kellergassen mit ihren
       nach Österreich. Seit dem Mittelalter     Wirtschaen in bis dahin unbekanntem           rund 37.000 Objekten zählt dieser in beson-
       waren es dann die großen Klöster und      Maß zugestanden und ermöglicht wurde.          ders großer Zahl auf dem Gebiet des Wein-
Stie und die adeligen Grundherren, die den      Dieser hat einen noch heute prägenden,         viertels, Österreichs größtem Weinbaugebiet,
Weinanbau, die Kelterung und den Handel          baulich manifesten Abdruck im regionalen       verwirklichte Siedlungsbautypus. Zwar kom-
entwickelten und kultivierten. Die wirtscha-    Landschasbild hinterlassen.                   men Kellergassen auch in den angrenzenden
liche Bedeutung des Weines für den Landesaus-                                                   Regionen im niederösterreichischen Zentral-
bau war enorm: So erlebte im 16. Jahrhundert     Kulturlandschaft                               raum, entlang der ermenlinie, im nörd-
der Weinbau einen historischen Höhepunkt,        Zeugnis dieser historischen Entwicklung sind   lichen Burgenland, in den südlichen Teilen
als die Weinbauflächen im Gebiet des heutigen    die für die Kulturlandscha des Weinviertels   Böhmens und Mährens, sowie in einigen
Niederösterreich etwa doppelt so groß waren      bedeutenden Kellergassen. Deren Lage an        Weinbauregionen der Slowakei, Ungarns und
wie heute. Die Reformbestrebungen Maria          den Dorfrändern oder inmitten der Rieden       Sloweniens vor. Nirgends jedoch sind sie in
eresias und Josef II. brachten in der zweiten   generiert bauliche Zäsuren im harmonischen     einer vergleichbaren, den Landschasraum
Häle des 18. Jahrhunderts einen Wandel hin      Miteinander der bewirtschaeten Flächen        gestaltenden Dichte allgegenwärtig: Auf die
zur Verbäuerlichung des Weinbaus, indem den      und der in den Niederungen liegenden           etwa 550 heute bestehenden Ortschaen des
16   GESTALTE(N)
Kellergasse Loahmgstettn in Ameis

Kellergasse in Aspersdorf           Kellergasse Tiefer Graben in Herrnbaumgarten

                                                                                   GESTALTE(N)   17
Den frühesten bekannten Bildbeleg für die Existenz
     von Kellergassen liefert eine Darstellung der Melker Pfarre Rohrendorf
     von Franz Mayer aus dem Jahr 1767. Das Gemälde zeigt einige Keller
     in der Oberen Wienerstraße in Rohrendorf bei Krems.

                                                                                                 Kellergasse Radyweg in Poysdorf

Weinviertels entfallen durchschnittlich je zwei        Keller und Presshäuser entstanden sehr kleine     der Mitte des 18. Jahrhunderts. Als Bestandteil
Kellergassen mit jeweils über 60 Kellern.              oder auch bis zu mehrere hundert Objekte um-      des Selbstversorgerkonzepts jeder bäuerlichen
Dieses außergewöhnliche Kulturerbe geht                fassende, große Einheiten. Der klar definierten   Einheit der Region, spielten und spielen die
hier deshalb jeden etwas an!                           Nutzung wegen, der homogenen bäuerlichen          Weinkeller in den Kellergassen im Leben der
                                                       Nutzerscha sowie der wenigen verfügbaren         Menschen eine tragende Rolle. Auf Grund ihres
Architektur der Kellergasse                            Baumaterialien entsprechend wurden Keller         Verbreitungsgrades, der Wiedererkennbarkeit
Die Kellergassen sind auch physisch aufs               und Presshäuser in immer ähnlichen Bau-           und Einzigartigkeit als bauliche und siedlungs-
Engste mit der sie umgebenden Landscha                formen und Dimensionen errichtet.                 bauliche Elemente der historischen Kulturland-
verbunden: Aus Gründen der Arbeitseffizienz                                                                scha und ihres auch heute noch mehrheitlich
nahe der Weingärten angelegt, wurden die               Lebendiges Kulturgut                              authentischen Erhaltungszustandes sind die
Weinkeller in vielen Fällen als lange, gewölbte        Durch das Eingraben der Keller in den Unter-      Kellergassen für die Region in hohem Maß
Kellerröhren gleichbleibender Breite in den            grund und die einfache Bauform der kleinen        identitätsstiend. Auf Grund ihres Kleinklimas
anstehenden, tragfähigen Lössuntergrund                Nutzbauten fügen sich die Kellergassen als        (geschützte Lagen)und des reichhaltigen Pflanzen-
gegraben. Der gewonnene Lehm wurde als                 bauliche Ensembles besonders sinnfällig in        bestandes (historische Obstsorten) im direkten,
Baumaterial bei der Errichtung der Keller-             die auch heute noch durch Weinbau und             von der modernen Landwirtscha vielfach
eingänge oder der den Kellern vorgelagerten            Landwirtscha bestimmte naturräumliche            verschonten Umfeld der Keller, stellen die
Presshäuser wiederverwendet. Je nach Anzahl            Umgebung ein. Sie sind kulturell bedeutende       Kellergassen heute für Menschen und Tiere
der im baulichen Zusammenhang angelegten               Zeugnisse des Lebens und Wirtschaens seit        besondere Erholungs- und Genussräume dar.
18    GESTALTE(N)
Photos: Robert Herbst, Gerold Esser, Christian Kalch, Karte: © Stift Melk
                                                                                             ̈ rnbach
                                                           Kellergasse Galgendberg in Wildendu

                                                           Kellergasse Weyerburg                        Kellergasse in Aspersdorf

European Year of Cultural Heritage 2018            Im Rahmen eines Symposiums werden die                eInfaChheIT WILL geKOnnT SeIn
Im Europäischen Kulturerbejahr 2018 wird die       das Phänomen der Kellergassen als Elemente           Kellerbesitzer, die ihre Objekte in ihrer Ursprünglich-
Weinviertler Kellergasse in Niederösterreich       der Kulturlandscha bestimmenden Aspekte             keit und Schönheit für die Zukun erhalten wollen,
                                                   aus wissenschalicher Sicht und aus dem              können sich freuen. Im lange vergriffenen und
zum ema: Eine Partnerscha des Bundes-                                                                 jetzt neu aufgelegten Buch „Zukun Kellergassen –
denkmalamtes mit regionalen Trägern sowie          Blickwinkel eines gesamtheitlichen Ansatzes          Baugestaltung“ von Prof. Arch. Helmut Leierer
Abteilungen der Landesregierung zielt auf          zusammenfassend behandelt werden.         *          finden Sie zahlreiche Empfehlungen und Planskizzen,
die Erforschung, den Schutz, die Erhaltung und     Gerold Eßer                                          die zeigen, wie es richtig geht.
die Vermittlung dieses weltweit einzigartigen
Kulturerbes. Im Rahmen eines Jahrespro-            INFO: www.vinoversum.at/kulturerbejahr
grammes werden verschiedene Aspekte dieses         TERMINE:
vielfältigen emas am Beispiel einzelner Keller-   6.-7. September 2018 WOrKShOp
gassen behandelt. Ein wesentlicher Bestandteil     „Instandsetzung: Lehmbau und Lehmputz“
des Vorhabens ist die exemplarische wissenscha-   Kellergasse Alte Geringen, Poysdorf-Ketzelsdorf
liche Aufarbeitung der Bau- und Nutzungsge-        30. September 2018 Tag DeS DenKmaLS
                                                   Kellergasse Radyweg in Poysdorf
schichte von Kellergassen am Beispiel besonders
                                                   26.- 28. Okober 2018 SympOSIum                       Das Buch „Zukun Kellergassen“
gut erhaltener Ensembles. Ihre Vermessung          „Kellergassen Kulturlandscha Weinviertel“           ist um € 29,90 in Buchhandlungen sowie direkt
und Dokumentation wird dabei als Basis dienen      Poysdorf, Reichensteinhof                            beim Verlag AGRAR PLUS erhältlich.
für die bauhistorische Erforschung.                                                                     T: +43 2952 35223, E: weinviertel@agrarplus.at
                                                                                                                                                 GESTALTE(N)   19
20   GESTALTE(N)
TRADITIONSVERBUNDEN
UMBAU WEINGUT HÖLLERER IN ENGABRUNN

                                 Architektur 1
                                        GESTALTE(N)   21
22   GESTALTE(N)
I
   m Weingut Höllerer wird seit über 200        sich aus der Möglichkeit der Anbindung
   Jahren Wein gekeltert. Der Familienbetrieb   an die bestehenden Wohnräume im zweige-
   bewirtschaet im südlichen Kamptal 23        schossigen Haupthaus an der Straße und der
Hektar Weingärten in unterschiedlichen          günstigen Belichtung von zwei Seiten. Die
Lagen und setzt durch Handlese, Ganz-           Dachlandscha des Hofes, in dem wie bei
traubenpressung und mehrmaliges, auf den        Weingütern so häufig Wohnen und Wirt-
richtigen Reifezeitpunkt abgestimmtes Ernten,   schaen eng ineinandergreifen, ist durch
auf Authentizität und hohe Qualität.            Giebeldächer geprägt. Der Entwurf grei diese
Alois Höllerer jun. hat den Weinbaubetrieb      Charakteristik mit zwei Giebeldächern auf,
2010 von seinem Vater übernommen und            diese wurden jedoch gegenüber dem Bestand
führt ihn gemeinsam mit seiner Frau mit         ausgedreht, um die Blickachsen des neuen
Leidenscha und einem klaren Bekenntnis         Hauptwohnraums optimal auf den Hof aus-
zu Purismus und Klarheit weiter.                richten zu können. „Infolge der Ausdrehung
                                                steigen die beiden äußersten Trauanten in
Implantat statt Zubau                           entgegengesetzter Richtung an“, so die Archi-
Der Generationswechsel im Weingut gab für       tekten, „und erzeugen dadurch sowohl im
die junge, inzwischen vierköpfige Winzer-       Innen- als auch im Außenraum eine positive
familie den Anstoß, innerhalb des gewachse-     Spannung.“ In Übereinstimmung mit der
nen Hofgefüges zeitgemäßen Wohnraum zu          Kleinteiligkeit der umgebenden Ziegeldächer
schaffen. Ein befreundetes Architekturbüro       wurde für die Dacheindeckung ein Rauten-
aus Innsbruck, Christoph Milborn und            system gewählt.
Clemens Plank von Imgang Architekten,
wurde mit der Aufgabe betraut, die neue         Konstruktiver Holzbau
Wohnung möglichst organisch in den Bestand      Über Konstruktion und Materialität musste
zu implementieren. Die Lage des neuen Bau-      nicht lange diskutiert werden, der Holzbau
teils im Dachbereich eines Horaktes ergab      lag schon aufgrund der bestehenden Dach-
                                                                                 GESTALTE(N)   23
1

                                                                                                                          b
                                                                                                            a
    konstruktion gewissermaßen auf der Hand.           Fensterachsen des Erdgeschoßes. So werden
    Dazu kamen der atmosphärische Mehrwert             Bestand und Neubau durch die Holzlatten-
    des natürlichen Baustoffes sowie das pragma-        fassade organisch zu einer Einheit verbunden.                      10

                                                                                                             4
    tische Argument einer kürzeren Bauzeit. Auf-
    grund der komplexen Anschluss-Geometrien           Verschränkung von Alt und Neu                                           9

    wurde der konstruktive Holzbau jedoch nicht        Im Innenbereich prägen die homogenen             1    2

    vorgefertigt angeliefert, sondern auf her-         Dachuntersichten aus weiß lasierten Fichten-
                                                                                                                      3
    kömmliche Weise vor Ort errichtet. Die             Dreischicht-Platten den Raumeindruck. Die                                                6

    Wandelemente sind in Ständerbauweise er-           Zonierung des neuen Wohnraums unter den              10
    richtet und mit Zellulose ausgedämmt, ebenso       Dächern erfolgt nicht durch herkömmliche
    die Sparrenebene des Daches. Sämtliche sicht-      Wände, sondern durch zwei freistehende

                                                                                                                 a

                                                                                                                                   b
    baren konstruktiven Elemente muten mit ihrer       Quader aus Dreischichtplatten, die die Garde-                                            5

    weißen Lasurschicht nicht vordergründig            robe und die Küche in sich aufnehmen. Durch                                              7
    „holzig“ an, sondern wirken zart, fast abstrakt.   die beiden eingezogenen Terrassen an der             OBERGESCHOSS
    Der Werkstoff Holz entfaltet innen und außen        Nord- und Südseite des Hofes und die ge-
    ganz unterschiedliche Qualitäten: Den durch-       schickt geführten Blickachsen sind Innen- und                                                8

    lässigen Raumabschluss zur südlichen Hofseite      Außenräume eng miteinander verschränkt,                                              6
                                                                                                                                                    8
    bildet eine vorgesetzte Holzlattenfassade aus      sodass die Wohnbereiche im Bestand und
    Mini-Brettschichtholzträgern aus vorvergrau-       jene im neuen Dachgeschoß ihre spürbare
    ter Lärche, die sowohl den Sonnenschutz als        Eigenidentität behalten und trotzdem als zu-
    auch eine gewisse Privatheit gewährleistet.        sammengehörig wahrgenommen werden. Die
                                                                                                                 EIGENTÜMER
    Zudem bildet diese mit dem Geländer der            neue Zeitschicht des Weinguts, die sich weder             Alois & Nicole Höllerer
    Südterrasse im Obergeschoß eine nahtlose           versteckt noch in den Vordergrund spielt,                 PLANUNG
    Einheit und korrespondiert – in typologischer      schreibt das Bestehende selbstverständlich und            Architekten: DI Christoph Milborn
                                                                                                                 und DI Dr. Clemens Plank
    Anspielung auf einen Arkadengang – mit den         eigenständig weiter.                         *            Imgang Architekten ZT GmbH
    24   GESTALTE(N)                                                                                             Photos: Romana Fürnkranz
2       3

4
            1 Die Wohnung im Altbau konnte durch
              den Dachausbau wesentlich vergrößert werden
            2 Die Holzlamellen verhindern ungewünschte
              Einblicke von der Hofseite
            3 Die vorgelagerte Terrasse ergänzt
              die räumliche Qualität der Innenräume
            4 Alle sichtbaren tragenden Elemente
              wurden weiß lasiert, um einen homogenen
              Raumeindruck zu erzeugen
            5 Aufgrund der kurzen Bauzeit entschied
              man sich für einen konstruktiven Holzbau
            6 Im Freien und doch witterungsgeschützt

                                        GESTALTE(N)   25
5   6
26   GESTALTE(N)
DIE QUALITÄT DES LEBENS
NÖ PFLEGE- UND BETREUUNGSZENTRUM IN TÜRNITZ

                               Architektur 2
                                      GESTALTE(N)   27
28   GESTALTE(N)
D
     as Leben in einer qualitätsvollen,        Aktuell leben 72 BewohnerInnen in sechs
     sicheren und naturnahen Umgebung          Wohngruppen im Neubau. Sie werden
     zu verbringen ist heute ein hohes Gut     von einem multiprofessionellen Team und
und Herzenswunsch vieler Menschen. Mit         Experten in der psychosozialen Betreuung be-
der Eröffnung des Neu- und Zubaus beim          gleitet. Darüber hinaus steht das Haus Kindern
NÖ Pflege-und Betreuungszentrum Türnitz        einer Kindergartengruppe und Kindern
Ende 2016 gelingt es, vielen Menschen diesen   der gegenüberliegenden Volksschule in der
Wunsch zu erfüllen.                            Nachmittagsbetreuung und zum Mittagessen
                                                                                 GESTALTE(N)   29
1

zur Verfügung. Gemeinsam essen sie in der       Heute zeigt auch der Blick vom Inneren
öffentlich zugänglichen Cafeteria zu Mittag.     des Neubaus wunderschöne Bilder der
                                                Türnitzer Landscha. Großzügig und
Struktur und Langlebigkeit                      abwechslungsreich rahmen die Fenster
 „Wir haben sehr viel Energie in die optimale   täglich neue „Gemälde“. Eine Wohltat für
Planung der Nutzung und der Materialien         alle Menschen, die durch die innovative
investiert“ berichtet Architekt DI Johannes     Gestaltung Aussicht genießen und damit
Putzer. Heute wohnen die Menschen im            Lebensqualität gewinnen.
Neubau in einem, wie sie es empfinden,
“4 Sterne Hotel“ und gehen übers Freie          Gemeinsam stark
zur „Arbeit“ in den sanierten Altbau, der       Und so ist es nun auch: Das Pflege- und Be-
als baulicher Identitätsträger und wichtiges    treuungszentrum ist für Bewohner, Besucher,
Element des Türnitzer Ortsbilds erhalten        Kindergarten- und Schulkinder und alle
werden konnte.                                  Mitarbeiter des Hauses ein Ort mit vielen
Die äußere Optik des Neubaus wird ge-           Qualitäten. Gemeinscha und Miteinander
stalterisch durch Kupferblech und, die für      der Generationen wird täglich erlebt und
die Voralpenregion typischen, Lärchen-Holz-     war von Anfang an für alle Beteiligten
schindeln geprägt – langlebige und robuste      spürbar. „Eine so gute Zusammenarbeit
Materialien die noch dazu „in Würde altern“.    zwischen allen Beteiligten erlebt man selten“
Die auffallend großen Fensterrahmen wirken       erzählt Architekt Putzer begeistert über
in Kombination mit den fröhlich leuchtenden     die Zeit der Planung und Umsetzung, die
Streifenmarkisetten einladend und offen.         von einer breiten Basis getragen wird. Die
                                                partnerschaftliche Zusammenarbeit mit           2
Rahmen der Natur                                der Gemeinde und dem Team des Pflege-
Bereits zur Jahrhundertwende tri man           und Betreuungszentrums machte eines
                                                                                                    BAUHERR
eine sehr gute Entscheidung, als man den Ge-    möglich: ein geglücktes Projekt mit hoher           Amt der NÖ Landesregierung
bäudestandort für das damalige Pflegeheim       Lebensqualität für alle, die darin wohnen           Abt. Landeskliniken u. Landes-
                                                und arbeiten. Und auf das kann man sehr             betreuungszentren
auf einer Hügelkuppe mit ausgezeichnetem
                                                                                                    PLANUNG
Fernblick nahe dem Ortszentrum wählt.           stolz sein.                                 *       Architekt DI Johannes Putzer
30   GESTALTE(N)                                                                                    Photos: Thomas Apolt, Romana Fürnkranz
3

4       5

            1 Sonnige, überdachte Terrassen laden
              zum Aufenthalt im Freien ein
            2 Helles Stiegenhaus mit Ausblick ins Freie
            3 In jedem Geschoß bieten zentral
              angeordnete Kommunikationsräume mit
              angeschlossenen Pflegefunktionseinheiten
              kurze Wege und eine gute Sichtverbindung
              zu den Gang- und Aufenthaltsbereichen
            4 Koch- und Essbereich in einer Wohngruppe
            5 Das Kaffeehaus steht auch Besuchern
              von außen offen
            6 Kapelle im Altbautrakt
                                      GESTALTE(N)   31
    6
Nur noch wenige Tage bis zum ...

                          BADEN
32   GESTALTE(N)
Wussten Sie,
wo Badens Ursprungsquelle liegt,
in welcher Kapelle sich dieser „Sternenhimmel“ befindet,
von welchem Gebäude in diesem Zitat die Rede ist?
„Ich besah das Haus das wir bewohnen sollen und muss dir
offen herzig gestehen, dass ich es unbewohnbar finde“
oder, dass Beethoven in Ermangelung von Papier einst
die Fensterläden seiner Badener Wohnung
für schnelle Notizen nutzte?

Nein?! – dann sollten Sie den Stadt-Spaziergang
in Baden am 8. September auf keinen Fall verpassen!
Eröffnung um 11:00 am Theaterplatz, Eintritt frei!
Und dass die Erkundungstour durch die ehemalige
Kaiserstadt nicht zu beschwerlich wird, gibt es …
– Weinverkostung in der gotischen St. Magdalenenkapelle
– im Heiligenkreuzer Hof

                                                                                                                        Fotos: Romana Fürnkranz, Rudi Roubinek, Stadt Baden, GESTALTE(N)
– Kaiserschmarrn-Essen im Garten des Kaiserhauses

Mit dabei auf Tour
Rudi Roubinek –
bekannt als Oberhofmeister Seyffenstein
aus der ORF-Sendung „Wir sind Kaiser“

Das gesamte Programm finden Sie
auf www.noe-gestalten.at                                        GESTALTE(N)
                                   Niederösterreich GESTALTE(N) in Kooperation mit der Stadt Baden

                                                                                                     GESTALTE(N)   33
HISTORISCHES
NEU ERSCHLOSSEN
ZUBAU HAUS STEINER
IN WAIDHOFEN A. D.YBBS

34   GESTALTE(N)
Architektur 3
       GESTALTE(N)   35
36   GESTALTE(N)
I
   n der Weyrer Straße 5 steht wie auf einer     Im Original verwinkelt
   begrünten kleinen Insel ein historisches      So sollte man es wohl auch sehen, wenn man
   Stadthaus. Die Bausubstanz verrät die Jahr-   dieses besondere Haus auf sich wirken
hunderte. Nun wurde es um einen modernen         lässt. Die darin vorhandene originale Treppe
Anbau erweitert. Drinnen versteckt sich ein      ist eng und verwinkelt, nicht nur der älteren
ästhetischer Standpunkt.                         Generation düre sie einige Schwierigkeiten
                                                 bereiten. Der Zubau bringt ein großzügiges
An sich ist es immer so eine Sache, wenn man     neues Treppenhaus – und je ein Vorzimmer
an altehrwürdige historische Bausubstanz         in zwei Geschossen. Dort bieten bequeme
einen neuen Anbau setzt. Doch die Ge-            Sitzgelegenheiten die Möglichkeit, den Auf-
schichte zeigt, dass man das auch früher schon   stieg durch eine Rast zu unterbrechen.
genauso gemacht hat: was da war, wurde um-
gebaut, erweitert, verändert oder entfernt.      Dieser neue Zugang aber bringt die zeitge-
Gerade alte Häuser verraten immens viel über     mäße Erschließung des Gebäudes, wie sie vor-
ihre Bau- und Nutzungsgeschichte, in der         her jahrhundertelang einfach nicht da war:
es immer wieder zu Änderungen gekommen           eine Punktlösung, die in das Raumensemble
ist, je nach den Nutzungsvorstellungen und       des Hauses ansonsten nicht eingrei. Mit
Ansprüchen der Bewohner.                         hellem Weiß und gemasertem Holzboden
                                                                                  GESTALTE(N)   37
1

zitiert der Anbau die Materialsprache des      Geplant wurde die aufwendige Revitalisierung
Hauses selbst. Sichtbetonelemente verraten     von der Waidhofener Architektengruppe w30.
die modernistische Auffassung. Es ist ein       Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, auf solide
bisschen wie in einem Ausstellungsbereich:     Werte aufzubauen und neue Perspektiven zu
hier der moderne Zugang, dort das Alte, das    öffnen: „Fortschrittliche Architektur ist mehr
man aufsucht. Und das wird präsentiert.        als visionär und energieeffizient – sie ist
                                               vor allem menschlich, scha Räume mit
Inszenierung der alten Substanz                Charakter für individuelle Bedürfnisse“, heißt
Bei der umfassenden Renovierung des            es in einer Selbstdarstellung. „Wir folgen dem
Hauses wurde besonderer Wert daraufgelegt,     Motto der Bauhaus-Architekten und meinen:
die alte Gebäudesubstanz möglichst effektvoll   Gute Architektur bringt Form und Funktion
in Szene zu setzen: Ungleichmäßige Fenster-    in Einklang, folgt klaren Linien, erarbeitet
ausschnitte verweisen auf das historische      intelligente Lösungen.“
Ambiente, mit dem sich der Bewohner
umgibt. An den Gewölbedecken liegen            Zwei Fliegen mit einer Treppe
Bruchsteinoberflächen frei, ebenso hinter      Mit dem durchdachten Konzept eines
der modernen Toilette. Auf den Fußböden        angebauten Treppenhauses wurde nun zwei-
wechseln sich zimmerweise rustikale Holz-      erlei erreicht: die Erschließung des original
dielen mit Ziegelsteinen ab. Man steht         erhaltenen historischen Gebäudes unter
im Esszimmer unter einer historischen          Berücksichtigung zeitgemäßer Ansprüche
Gewölbedecke, in einem anderen Raum            und zugleich die deutliche Veränderung           2
prangt eine gotische Balkendecke mit kunst-    des Außenbildes, denn was dort von der
vollen Schnitzereien und Datierung aus dem     ursprünglichen Fassade noch zu sehen ist,
                                                                                                    EIGENTÜMER
17. Jahrhundert.                               ragt hinter einem kubisch angelegten Beton-          Dr. Josef Steiner
                                               objekt hervor – ein klares Bekenntnis zur            PLANUNG
                                               Moderne und eine deutliche Priorisierung             w30 ARCHITEKTUR
                                               klarer Linien.                             *         Photos: Romana Fürnkranz, Dominik Stixenberger

38   GESTALTE(N)
3   4

4

5   6

        1 Grund für den Zubau war eine für den
          täglichen Gebrauch nicht adäquate alte Treppe
        2 Der Zubau beinhaltet im Wesentlichen
          nur ein Stiegenhaus
        3 In der schmalen Nische wurde ein Essbereich
          integriert
        4 Der Sanitärbereich im Dach wurde als
          weiße Box im Raum konzipiert
        5 Der denkmalgeschützte Dachstuhl dure nicht
          verändert werden, sodass man den
          Bundtram mit einer Stufe übersteigen muss
        6 Im ältesten Bereich des ehemaligen
          Schmiedehauses befindet sich heute das
         Wartezimmer der Ärzteordination
                                     GESTALTE(N)   39
AUS DEM SCHLAF GEKÜSST
                   SANIERUNG DES „FRISEURHÄUSCHENS” IN EICHGRABEN

40   GESTALTE(N)
Architektur 4
       GESTALTE(N)   41
42   GESTALTE(N)
Vor der Sanierung

„F
        riseure haben wenig Geld“, meint der   Von der Eisgrube zum Friseur
        Besitzer. „Deshalb wurde an dem Haus   Errichtet wurde es 1896, aber auch dafür lohnt
        nichts gemacht.“ Zum Glück, denn       es sich, etwas auszuholen. Eichgraben bekam
dadurch wurden schlimme Bausünden ver-         1890 eine Haltestelle auf der Postlinie. Natür-
mieden. Das Ergebnis: ein Haus wie von 1907,   lich brauchte es dann auch ein Gasthaus, und
aber alles tipptopp.                           das hieß, wie auch sonst, „Zur Post“. Das
                                               Wirtsgebäude benötigte auch eine Eisgrube,
Das Schöndorferhaus kennt in Eichgraben        und damit beginnt 1896 die Geschichte dieses
jeder. Es beherbergte von 1907 bis weit in     Hauses. 1907 wurde das Gasthaus ausgebaut
die siebziger Jahre den örtlichen Friseur.     und die Eisgrube zum Wohn- und Geschäs-
Generationen von Menschen gingen durch         haus umgebaut. Der Friseur Schöndorfer
die Tür ins Erdgeschoß, um sich die Haare      nahm seine Arbeit auf. Die Jahre zogen ins
schneiden zu lassen.                           Land, an dem Haus wurde praktisch nichts
                                                                                  GESTALTE(N)   43
                                 6
1                                                                                              2

    verändert. Seine Jugendstilfassade wurde nicht     Restaurierung der Veranda erfolgte sehr be-    Ein Haus wie damals
    hinter Eternitplatten versteckt, das Dach blieb,   hutsam, und im Hausinneren wurde alles, was    Die Originalfarbe der Fassade ist nicht mehr
    wie es war. Auch die Wasserleitung kam nicht       da war, hervorgeholt, gereinigt, imprägniert   erhalten. Deshalb entschied man sich für ein
    sehr weit hinein in das kleine Häuschen mit        und dann wieder an seinen Platz gefügt.        leichtes Lindgrün, abgesetzt mit gebrochenem
    76 m2 Nutzfläche auf einer Etage.                  Lediglich die Raumaueilung wurde überar-      Weiß. Holzelemente auf der Außenseite
                                                       beitet, um zu einem vernünigen Wohnraum       prangen in kräigem Dunkelgrün. Damit gibt
    Zeitblase entdeckt                                 zu kommen. Auch das Bad samt dem engli-        das Schöndorferhaus einen Eindruck davon,
    Die einzige größere Veränderung war der            schen Fenster mit dekorativen Glasfeldern      wie kleine Wohnhäuser im österreichischen
    Ziegelauau von 1907, der aus der steinge-         sind neu.                                      Jugendstil gewirkt haben: frisch und elegant,
1   mauerten Eisgrube ein richtiges Haus werden                                                       aufgeräumt und gastfreundlich. Wenn man
    ließ. Sonst passierte nichts. Irgendwann ver-      Abseits vom Trend                              dieses Haus sieht, merkt man: Eine moderne
    schwand der Friseursalon, um 2008 wurde es         Aber es gibt keine Dämmung, keine ermo-       Erweiterung hätte ihm nicht gutgetan.
    von den damaligen Besitzern verkau. Die           fenster, keine Erdwärme oder Wärmerück-
    Zwillingsbrüder Niemetz wurden auf das             gewinnung. Mit Ausnahme der Dämmung der        Trotzdem hat auch die Moderne hier reichlich
    Gebäude aufmerksam und erwarben es 2011.           obersten Geschoßdecke, die sinnvoll ist        Platz, denn die Brüder Niemetz sind be-
    Natürlich war es ein Sanierungsfall. Klar war      und nicht ins Bild eingrei, wurden alle       geisterte Sammler moderner Kunst. Die hängt
    aber auch: Alles sollte im Grunde so bleiben,      thermischen Optimierungen ausgelassen. Der     hier jetzt an den Wänden, und als Esstisch
    wie es war.                                        Grund ist so einfach wie plausibel: Aufgrund   fungiert der Arbeitstisch eines Bildhauers, in
                                                       des Kleinformats dieses Hauses wäre durch      den sich vierzig Arbeitsjahre eingeschrieben
    Die große Chance, die dieses Haus bot, lag         solche Maßnahmen nur ein kleiner Effekt         haben. Ein „Haus voller Zeit“, wenn man
    nämlich nicht in seiner Größe oder dem, was        zu erzielen. Außerdem würden die Eingriffe      so will, und mit einer Atmosphäre, die zu
    man so gern als Potential bezeichnet. Sondern      in die historische Substanz den Gewinn         bewahren das Kunststück jeder überlegten,
    in seiner völligen Intaktheit im Original-         deutlich überwiegen. Die seltene Chance, ein   behutsamen Restaurierung sein sollte.        *
    zustand von 1907. Auf der Fassade gibt es ein      altes Haus im Urzustand zu bewahren, wäre
    Ornamentrelief mit Kastanien – ein Hinweis         damit vertan.
    auf die Kastanien des Umfelds. Es gibt eine        Das kann man heute auch schon als mutig
                                                                                                                       EIGENTÜMER
    schöne Veranda und uralte Dielenböden aus          ansehen, denn die neue Ethik der thermi-                        Andreas Niemetz
    Lärchenholz. Das Satteldach war noch mit den       schen Optimierung steht o an oberster                          SANIERUNG
    alten Ziegeln eingedeckt – hier war ein Aus-       Stelle. Manchmal kommt es aber auf etwas                        Josef Szabo GmbH
    tausch nötig, aber mit der gleichen Ware. Die      Anderes an.                                                     Photos: Romana Fürnkranz

    44   GESTALTE(N)
3

    4

            1 Ausstattungsgegenstände wie alte
              Türdrücker oder Leuchten wurden auf
              diversen Flohmärkten gekau
            2 Die Holzveranda blieb auch nach
              der Sanierung unbeheizt
            3 Wohn- und Schlafraum im Obergeschoss
            4 Ehemaliger Friseurraum im Erdgeschoss
            5 Der alte Holzarbeitstisch stammt von
              einem Bildhauer der viele Gebrauchsspuren
              darauf hinterlassen hat
            6 Die neue Badezimmertrennwand wurde
              mit alten Gläsern verglast

                                        GESTALTE(N)   45
5       6
46   GESTALTE(N)
NAH AM WASSER GEBAUT
DIE NEUEN KLIPPENHÄUSER
DER BAUMHAUS-LODGE

                          Architektur 5
                                 GESTALTE(N)   47
48   GESTALTE(N)
AUG‘ IN AUG‘ MIT DER NATUR

Ü
       ber die Baumhaus-Lodge in Schrems         Ruhe am See
       hat Niederösterreich GESTALTE(N)          Das Bauvorhaben wird in einem aufge-
       schon vor einiger Zeit berichtet: Es      lassenen Granitsteinbruch realisiert, wo sich
handelt sich dabei um ein einzigartiges          in der ehemaligen Abbaustätte mittlerweile
Refugium aus ambitioniert gestalteten und        ein Teich gebildet hat. Die „Baumhäuser“ aus
anspruchsvoll eingerichteten kleinen Ferien-     dem ersten Bauabschnitt haben einen soliden
apartments, die man mieten kann, wenn man        Grundbau. Jetzt geht es um die Klippen-
eine Auszeit braucht. Denn hier ist man allein   häuser, die über dem Ufer direkt am Boden
mit sich – und der Natur.                        verankert werden. Da sie über den Teich
                                                 ragen, entsteht beim Blick aus dem Fenster
Die Ausgangssituation ist klar: Wer immer        die Illusion, über dem Wasser abgehoben zu
unter Stress steht, stets erreichbar und mobil   sein. Wasser, Wald und Wiese: Hier kann man
ist, der wünscht sich einfach nur, einmal        richtig durchatmen, auch seelisch.
richtig abschalten zu können. Franz Steiner
hat dieses Bedürfnis schon vor Jahren erkannt    Der Teich ist von weiten Naturflächen um-
und ein „architektonisches Walddorf “errich-     geben, doch die Stadt lädt mit verschiedenen
tet. Zu den ersten Einheiten haben sich jetzt    Besichtigungsmöglichkeiten, Museen, einem
zwei Klippenhäuser dazu gesellt.                 kostenlosen Moorbad und noch einigem
                                                                                  GESTALTE(N)   49
1                                                                              2

    mehr zu vielen Ausflügen ein. Ein Ort zum         gerichtet, der sich vor allem in den einladen-
    Krafinden, zur Regeneration. Dazu passt das      den Ledersesseln zeigt. Man hat Naturstein
    unweit gelegene Unterwasserreich mit Fisch-       aus Schrems verarbeitet, von denen aus
    otterfütterung und lehrreichen Erkundungen.       man die umliegende Natur betrachten kann.
    Das Areal selbst ist reich und attraktiv. Über    Ansonsten wurde weiter auf Holz und Metall
    den mit Fischen besetzten Teich ragen             gesetzt. Jedes Haus bietet einen Wohn-Schlaf-
    schroffe Felswände bis zu sieben Meter empor,      raum mit Liegelandscha, Bad und Toilette,
    im Wald wachsen Buchen, Eichen, Kiefern           außerdem eine große Terrasse mit Sitzgele-
    und Fichten. Im Süden schließen sich Acker-       genheit und Tisch. Die beiden Wasserhäuser
    flächen und ein Birkenwald an. Von hier aus       werden über ein Außenplateau erschlossen
    können viele Wanderungen unternommen              und wirken wie hinterlassene Objekte, die ihre
    werden.                                           Funktion nicht gleich preisgeben und zusam-
                                                      men mit dem Teich zu einer Art Installation
    Dem Ort gerecht werden                            verschmelzen. Da sie auf dünnen Stahlstreben
    Bei der Gestaltung und Planung wurden             ruhen, „schweben“ sie über dem Klippenrand.
    die markanten Wesenszüge dieses Ortes             Innen sind die Strukturen sehr klar und
    aufgegriffen und architektonisch erweitert. Die    funktionell. Es gibt nur, was man für ein paar
    Architektur dieses Bauprojekts unterstreicht      Tage benötigt. Jetzt nur noch das Handy aus-
    den Charakter des Standorts, der von ver-         schalten, und die Ruhe ist da.
    gangener industrieller Nutzung und Struktur-      Ökologisch interessant ist auch die völlige
    wandel erzählt. Eine heile Welt wird hier nicht   Wiederverwertbarkeit der ganzen Anlage. Ein
    gespielt, wohl aber die heilende Landscha        Schwerpunkt liegt auf dem Werkstoff Holz,
    erfahrbar gemacht.                                der eine ästhetische Verbindung zur Umge-
                                                      bung scha und mit seinem Dämmverhalten          3
    Entspannen mit Stil                               eine ganzjährige Nutzung dieser Häuser er-
    Etwa sieben Meter über dem Wasser ragen die       möglicht. An diesem Punkt könnte die Anlage
                                                                                                           BAUHERR
    Klippenhäuser über den alten Steinbruch-          „fertig“ sein – wenn es da nicht noch etwas          Mag. Franz Steiner
    teich. Ihre kantige Form lehnt sich an die        abseits eine weitere gewidmete Fläche gäbe …         PLANUNG
    Struktur der Felsen an. Die beiden Gebäude        und wer weiß, vielleicht geht die Geschichte         Architekt DI Andreas Wenning (baumraum)
    mit je 26 m² Nutzfläche sind im Retrostil ein-    noch weiter?                                 *       Photos: Romana Fürnkranz

    50   GESTALTE(N)
3

4   5

            1 Aufgrund der Ausstattung mit
              Pelletsöfen sind die Klippenhäuser
              ganzjährig benutzbar
            2 Die Metallplatten wurden
              in verschiedenen Richtungen
              montiert, sodass das Sonnenlicht
              unterschiedlich reflektiert wird
            3 Vom Bett aus kann man tagsüber
              die Natur beobachten
            4 Das Fensterbrett wurde zu einer
              Sitzbank erweitert
            5 Der Innenraum bietet
              ausreichend Platz für 2 Personen
            6 Duschen mit Blick
              in die Baumkronen

                              GESTALTE(N)   51
6
VERWUNSCHENES NIEDERÖSTERREICH
                     EIN DORF IM DORF UND
                   EIN AUSSERGEWÖHNLICHES
                           MUSEUM
52   GESTALTE(N)
GESTALTE(N)   53
54   GESTALTE(N)
D
       en etwa 60 km nordöstlich von Wien      Das Hauptgebäude und zugleich das jüngste      Rasten und einkehren
       gelegenen Weinviertler Ort Drasen-      Gebäude auf dem Gelände ist das so genannte    Überwältigt von den Details, betreten wir den
       hofen verbinden viele vor allem mit     Traktorium. Wie es schon der Name vermuten     großzügigen Garten, der mit einem impo-
regelmäßigen Staumeldungen im Radio. Wir       lässt, beherbergt es historische Traktoren,    santen Baumbestand und als Besonderheit
aber laden Sie ein, uns abseits von LKW-       davon eine vollständige Erstserie von Steyr.   mit einem viele Millionen Jahre alten fossilen
Schlangen auf eine Zeitreise durch eine        Darüber hinaus sind auch andere namhae        Baumstumpf aufwartet. Nun geht es an einem
illustre Vergangenheit zu begleiten. Der       österreichische Landmaschinenhersteller wie    offenen Stadl vorbei, wo man auf Wunsch
Ausgangspunkt für unseren historischen         Warchalovski, Hoerr-Schranz und Lindner       unter fachkundiger Anweisung selbst histori-
Spaziergang durch das aus mittlerweile sechs   vertreten. Als besonderes Gustostückl für      sche Stationärmotoren ankurbeln darf. Im
Gebäuden bestehende Ensemble zwischen          Kenner gibt’s auch einen Lands Bulldog-        Freigelände gibt es außerdem eine Sammlung
Kellerberg mit seiner malerischen Hintaus-     Ackerschlepper aus den 1920er-Jahren.          von typischen landwirtschalichen Geräten
gasse und der Ortstraße beginnt bei der        Ergänzt wird die Traktorensammlung mit         für die Feldarbeit und den Weinbau, die
Hausnummer „Drasenhofen 66“. Hier steht        Motorrädern, Rollern und Fahrrädern. Ein       um 1900 im Einsatz waren und liebevoll
eine im regionaltypischen Stil eines Streck-   weiterer Bestandteil des Museums ist eine      restauriert und konserviert wurden. In der
hofes errichtete Halle, durch welche Gäste     große Anzahl von Blech- und Emailtafeln,       ebenfalls hier befindlichen Dorfschmiede
und Besucher in das anschließende Museums-     Reklamebeleuchtungen, Zapfsäulen sowie         wird einmal im Monat landtechnisches
dörfl auf 3.200 m² Fläche gelangen.            Uniformen von Gendarmerie und Zollwache.       Schmieden vorgeführt.                        >
                                                                                                                                GESTALTE(N)   55
Den Abschluss des Geländes bildet die Hint-       Die Familie Trautson hatte in Drasenhofen        schlitz im Inneren gemauert wurden, ge-
ausgasse. Ein Gebäude dort ist der Keller-        Ackerflächen und so war es naheliegend, dass     währleisten eine ständige Querlüung im
bergstadl, in dem eine sehenswerte Moped-         vor Ort ein Speicher gebaut wurde.               Stadl um die Feuchtigkeit nach außen abzu-
und Fahrradsammlung untergebracht ist.            Zwischen 1930 und 1960 wurde das Gebäude         führen. Diese geniale Technik – außen ein-
Von dort aus starten auch geführte Rund-          dann als Raiffeisenlagerhaus genutzt und          facher, innen doppelter Schlitz – bewirkt, dass
fahrten mit historischen Traktoranhängern         befand sich anschließend in wechselndem          kein Vogel, der das Getreide verunreinigen
oder zum Selbstfahren mit Oldtimertrak-           Privatbesitz. Heute dient es ausschließlich      könnte, in das Gebäudeinnere eindringen
toren. Die Palette reicht dabei von kurzen        musealen Zwecken zum ema Landtechnik.           kann. Auch der Flugschnee im Winter wird
Spritztouren, bis zu Tagesfahrten über die        Wobei die ältesten Maschinen noch aus der        weitgehend ferngehalten.
sanen Hügel des umliegenden Weinviertels         Habsburg Monarchie stammen.                      Gemauert ist der Stadl aus dem ortsan-
mit seinen schönen Ausblicken und Land-                                                            sässigen fossilen Kalkstein und beidseitig
schaen.                                          Raffinierte Bauweise                             verputzt. Die Dachstuhlkonstruktion aus ge-
                                                  Der Herrenstadl ist ca. 20 m lang, 14 m breit    hackten Eichenhölzern stammt vermutlich
Architekturdenkmal Herrenstadl                    und im Bereich der Einfahrt 19 m hoch.           aus den fürstlichen Wäldern vor Ort.
Auf einer topografischen Erhöhung, dem            Die unterirdischen Räume wurden z.B. als         Eingedeckt war der Stadl mit keramischen
so genannten Kellerberg, enstand geschützt        Lebensmittellager für Feldfrüchte genutzt.       Wiener Taschenziegel mit Fugenverstrich
vor der Grundwassergefahr um 1698 der             Durch die mächtige Höhe war es möglich die       wobei Firste, Grate und Ochsenaugen im
dominante Herrenstadl. Das imposante Ge-          Getreidegarben bis zur Mittelpfette zu lagern.   Mörtelbett verlegt waren.
bäude wurde von der fürstlichen Herrscha         Um das Getreide vor dem Schimmeln zu be-
Trautson Poysbrunn-Falkenstein errichtet          wahren, wurde ein ausgeklügeltes Lüungs-        Wie alles entstand
und vom jetzigen Eigentümer der Liegen-           system eingebaut. Schlitze in der Fassade, die   Bei einem Glaserl Grünen Veltliner erzählt
scha in seiner Originalität wiederhergestellt.   dann im Mauerwerk verzogen als Doppel-           Hannes Morocutti launig von den Anfängen
56   GESTALTE(N)
Sie können auch lesen