GESTALTE(N) MIT TATKRAFT UND LEIDENSCHAFT DIE MAGIE DES LICHTS - N 155 03/2017
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N°155 03/2017 GESTALTE(N) Das Magazin für Bauen, Architektur und Gestaltung MIT TATKRAFT UND LEIDENSCHAFT DIE MAGIE DES LICHTS
Inhalt 08 Baujuwele in Niederösterreich 15 Verkündigungskapelle Trumau 19 Jugend- und Pfarrheim Großebersdorf 31 Historisches Wohnhaus in Weißenkirchen 37 Weingut in Vießling bei Spitz a. d. Donau Reaktionen unserer LeserInnen 04 Daheim in Niederösterreich 06 Baujuwele in Niederösterreich 08 Ortsbildkids 12 Verkündigungskapelle Trumau 15 Jugend- und Pfarrheim Großebersdorf 19 Vorstadthaus in Mödling 25 53 Die Marktmühle Gaunersdorf Historisches Wohnhaus in Weißenkirchen 31 Weingut in Vießling bei Spitz a.d. Donau 37
Vorwort PACKEN WIR’S GEMEINSAM AN! Mit diesem Aufruf habe ich mich vor mehr als 35 Jahren in der ersten Ausgabe der damals noch „Niederösterreich schön erhalten – schöner gestalten“ 25 Vorstadthaus in Mödling lautenden Schrienreihe an Sie gewandt und Sie eingeladen, an der wohl größten Ortsbild- Initiative des Landes mitzu- machen. Unser Ziel – Neues in Harmonie zum Bestehenden Orts-und Landschasbild zu schaffen, ohne Nostalgie aber mit Respekt vor dem, was schon lange vor uns da war. Unser Weg – Nicht anprangern, nicht dozieren, sondern positiv überzeugen. Ich bin fest davon überzeugt, dass dies die richtige Art und Weise war und auch weiterhin sein wird, Menschen für unser baukulturelles Erbe und unsere Bautraditionen zu sensibilisieren und aufzuzeigen, wie positive Weiter- 43 Neues Leben im alten Pfarrhof von Stollhofen entwicklung aussehen kann. Auf unserem gemeinsamen Weg haben wir Vieles gescha. Neues Leben im alten Pfarrhof von Stollhofen 43 Ich danke Ihnen daher für Ihr langewährendes Engagement Wassermühlen und ihre Bedeutung 49 und Interesse, offenen Auges durchs Land zu gehen und für Ihre Bereitscha an der Schaffung und Erhaltung Die Marktmühle Gaunersdorf 53 baukultureller Werte mitzuwirken. Nachlese: Der vierte Jubiläumsausflug 56 Die Bauberatung 57 Coverphoto: Romana Fürnkranz Vortrag 2017: Wo das Wohnen beginnt! 58 Wahl zur Goldenen Kelle – Frühjahr 2017 59 Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll Leserservice, Impressum 60 Beratungstellen des Landes NÖ 61 Zuschriften sind willkommen: LH Dr. Erwin Pröll, Landhausplatz 1, 3109 St. Pölten GESTALTE(N) 03
Editorial Reaktionen unserer LeserInnen Liebe Redaktion, Werte Damen und Herren! zuerst einmal die besten Wünsche für 2017. Ich halte gerade die neue Aus- Ich bin nicht oft in St. Aegyd, doch wenn, gabe des Magazins GESTALT(EN) in dann jedesmal in der Süßmeisterei im Händen: Gratulation! ehemaligen Bahnhof. Frau Mahonie ist herzlichst zu gratulieren, es ist groß- Hervorragende Beispiele, noch dazu artig, was sie da vollbracht hat. ganz wunderbar aufbereitet. Neben den qualitativ hochstehenden Eine perfekte Maßnahme, die Nieder- Süßigkeiten und ihrer offenen Freund- österreicherInnen mit Baukultur in lichkeit spürt man da in den Räumlich- Liebe Leserinnen und Leser! Kontakt zu bringen. keiten eine innere Ruhe, eine intensive Kraft. Man fühlt sich einfachwohl. Auch in dieser Ausgabe haben wir wieder Herzliche Grüße Ganz abgesehen davon, dass der ehe- viele Projekte für Sie zusammengestellt, die Heinz Hackl, per E-Mail malige Bahnhof wieder eine sinnvolle allesamt gelungene Beispiele einer gelebten Bestimmung gefunden hat und so Baukultur darstellen und von uns mit Ich bin immer wieder begeistert von der in seiner Einmaligkeit bestehen bleibt. vollster Überzeugung zur Nachahmung Vielfalt und der Umsetzung unterschied- Jeder St. Aegydbesucher muß die empfohlen werden können. Abseits dieser lichster Projekte! Super! Süßmeisterei besuchen! verwirklichten baulichen Qualitäten möchten Herta Mairinger, 2522 Ober Waltersdorf wir uns jedoch auch einmal vor Augen führen, Mit freundlichen Grüßen dass hinter all diesen Bauten engagierte SERIE NACHGENUTZT (TEIL 3) NR.154 Dipl.Ing. Helge Ebner, per E-Mail Menschen stehen. Nämlich einerseits die, die uns tiefgehende Einblicke in ihre Räum- Die Nachnutzung des Bahnhofs St. Aegyd lichkeiten und Lebenswelten gewähren und würde von mir die „Diamantene Kelle” anderseits jene, die als handelnde Akteure bekommen! mit viel Leidenscha und Tatkra an der Hanna Grenet, 1140 Wien Umsetzung solcher Bauten beteiligt sind – und das, wie sich am Beispiel des Jugend- Die „Süßmeisterei” in St. Aegyd und Pfarrheims in Großebersdorf zeigt, ist wohl seit langem der gelungenste auch omals ehrenamtlich im Dienste Umbau eines alten Gebäudes zu einem einer guten Sache. Baukultur wird von neuen Zweck und einer sinnvollen Menschen gemacht! Verwendung. Für mich ein guter Grund einen Ausflug zu planen. Photo: Heinz Schmölzer Landesbaudirektor Gratulation der Familie Mahonie! Dipl.-Ing. Walter Steinacker Mag. Helmuth Bergmann, 1230 Wien Referatsleiterin Ich finde es großartig, wenn aufgelassene Dipl.-Ing. Petra Eichlinger Bahnhöfe wieder genutzt werden. Wie in St. Aegyd, Kernhof und Wiener- Schade, dass es für die Serie bruck, wo die Familie Nutz den Bahnhof NACHGENUTZT keine „Goldene Kelle” als Gästehaus umgebaut hat. gibt. Die „Süßmeisterei” wäre auch Alte Gebäude zu erhalten ist ohnehin ein Favorit! großartig! Redaktion: mail@noe-gestalten.at A. Mitterbauer, 2380 Perchtoldsdorf Josef Zeuner, 3222 Annaberg 04 GESTALTE(N)
DER ARCHITEKTUR-WETTBEWERB Hochachtung und Glückwünsche Am besten gefällt mir das Schwarze UM DIE GOLDENE KELLE NR.154 der Familie Ziegler für den Mut zur Haus am Thurnberger See. Renovierung und Erhaltung des Es ist wirklich außergewöhnlich und Klosters Hochstrass. originell. Ein großartiges Projekt! Roswitha Wenzel, 2571 Altenmarkt Ludwig Track, 3130 Herzogenburg ERGÄNZUNG Schwarzes Haus NR.154 Photo: Jakob Mayer Hochstrass bin ich seit meiner Jugend verbunden. Meine Tante unterrichtete Beim Schwarzen Haus am Thurnberger (1) Refugium Hochstrass dort Jahrzehnte lang. Es ist schön, dass Stausee handelt es sich um ein Objekt sich ein Nachfolger für das Gebäude auf der letzten bebauten Parzelle der gefunden hat. Schattauersiedlung am westseitigen Ufer Ein Baujuwel besonderer Art. des Thurmberger Stausees. Der Flächen- Alfred Rausch, 3970 Weitra widmungsplan weist die rechtsgültige Photo: Viereck Architekten Widmung „Bauland Wohnen” auf. Ich möchte gerne auch so offen und hell wohnen, wie im Einfamilienhaus BAUJUWELE Schloss Harmannsdorf NR.154 (2) Einfamilienhaus in Gumpoldskirchen in Gumpoldskirchen. Das VinoSPA im Althof Retz inspiriert mich für den nächsten Urlaub. Im Schwarzen Haus am Thurnberger See gefällt mit vor allem das große Photo: Andreas Buchberger Glasfenster ins Grüne. Alexandra Mostböck, 1220 Wien (2) Eine tolle Umsetzung von Ludwig (3) Wirtschaftskammer-Bezirksstelle Baden Mies van der Rohes „Bauhausgedanken”. Ich gratuliere! Karl Weiss, 3380 Pöchlarn Photo: Hotel Althof, Tschank (2) Soviel Glas und wenig Wände in diesem Einfamilienhaus. (3) Ein schöner Bau mit offener Stiege Danke, wieder hat Niederösterreich und großen Glasflächen. GESTALTE(N) auf ein lohnendes Ausflugs- (4) VinoSPA im Althof Retz (5) Die Architektur zitiert die anonyme ziel aufmerksam gemacht! Natur dieser Gegend. Schloss Harmannsdorf kannte ich bisher Leopold Hofner, 3363 Hausmening nur durch die Literatur, also höchste Zeit für einen persönlichen Besuch. Das VinoSPA in Retz ist wirklich E. M. Niederkorn, 2344 Maria Enzersdorf ein Erlebnis. Vor allem das Schwimm- Photo: Jens Weber becken mit dem Blick auf die Wind- mühle oder auf den Rathausturm ist IHRE ZUSENDUNGEN bitte per mail@noe-gestalten.at, abtrennbare Karte (5) Schwarzes Haus am Thurnberger Stausee einzigartig. im Magazin oder Brief an: Niederösterreich GESTALTE(N), Ida Rößler, 2070 Retz Landhausplatz 1/13, 3109 St. Pölten GESTALTE(N) 05
DAHEIM IN NIEDERÖSTERREICH „Versteckt im Wienerwald” zwischen Aschberg und Barbaraholz südwestl. von St. Christophen von Carl Auer Schicken Sie uns Ihre Stimmungsbilder und Gedanken, die Ihr Lebensgefühl in Niederösterreich am besten beschreiben! IHRE ZUSENDUNGEN (Fotos in hoher Auflösung) bitte per mail@ noe-gestalten.at oder an: Niederösterreich GESTALTE(N), Landhausplatz 1/13, 3109 St. Pölten 06 GESTALTE(N)
„Holzhütte” von Sabine Rohrhofer „Frühling” von Erich Stiglitz „Tor in Kirchschlag” von Fritz Miedler „Kartause Aggsbach” von Gerald Knobloch „Türknauf in Krumbach” von Fritz Miedler GESTALTE(N) 07
A m Areal von Schloss Harmannsdorf, über das in der letzten Innenräume von Schloss Schönbrunn mit illusionistischen Fresco- Ausgabe bereits berichtet wurde, steht ein außergewöhnliches malereien verzierte, bzw. wenn nicht direkt aus Meisterhand, dann aus Bauwerk, das sich – aus der agrarischen Tradition kommend – jener eines seiner Schüler. Exotische Landschaen in romantischer zu einem Kulturbau transformierte. Inszenierung verwandeln die Sala Terrena in einen Ort von märchen- haem Zauber. Menschen sind in diesem artifiziellen Naturparadies Ein Schüttkasten hat, wie schon der Dialektbegriff „Troadkasten“ nicht anzutreffen, jedoch eine überaus üppige Flora und Fauna. nahelegt, die wichtige landwirtschaftliche Funktion, Getreide als Die vorrangige Farbe ist Grün in allen Schattierungen – ein schlüssiger Vorratsspeicher aufzubewahren und ist damit ein Vorläufer unserer Übergang zur Pracht des Parks, der Mitte des 18. Jahrhunderts als heutigen Silos. Das Bauvolumen spiegelt wider, wie groß der Lager- französischer Garten angelegt worden war. bedarf war. Fenster kamen zur Lüftung zum Einsatz. Damit das Getreide trocknen konnte, wurde es in regelmäßigen Abständen Seit den Ursprüngen des Gebäudes wurden Veranstaltungen in umgeschüttet. Immer wieder begegnet man in Niederösterreich der Sala Terrena abgehalten. Eine Rauchküche und ein Backofen diesen markanten mehrstöckigen Bauwerken, zumeist im Kontext demonstrieren, welche Haustechnik in früheren Jahrhunderten zur mit herrschaftlichen Sitzen. Der Schüttkasten von Harmannsdorf Pflichtausstattung gehörte. Dass ab 1800 bereits eateraufführungen entstand im ausgehenden 17. Jahrhundert und ist im Südosten des im Schüttkasten stattfanden, steht am Beginn einer Tradition, die Schlossparks situiert. Ob er unter Augustin Freiherr von Mayerberg sich bis heute fortsetzt. Das Schloss rückte durch seine berühmte oder seinem Schwiegersohn Leopold Ignaz von Heuel errichtet wurde, Bewohnerin Bertha von Suttner in den Fokus diverser künstlerischer ist nicht exakt überliefert. Über die Jahrhunderte erfolgten unter- Auseinandersetzungen, wie etwa im Rahmen der Beiträge von „Kunst schiedliche Formen der Nutzung, unter anderem als Stallungen, die im öffentlichen Raum Niederösterreich“. Die Sala Terrena war auch zuletzt auch zu gröberen Schäden führten und eine Trockenlegung für die Friedensnobelpreisträgerin gemeinsam mit ihrem Ehemann der Räume notwendig wurde. Zwischen 2004 und 2009 erfolgte eine Bühne für eateraufführungen. Für das Musikfestival „Allegro sorgfältige Instandsetzung durch Familie Glawischnig, die in dritter Vivo““, das interessante Plätze im Waldviertel bespielt, ist der Garten- Generation Harmannsdorf ihr Eigen nennt. saal alljährlich Aufführungsort. Unter dem Titel „Musik und Wort – Einheit in der Vielfalt“ tritt „Allegro Vivo“ am 9. August mit einem Der Zweckbau zur Getreidelagerung ist unterkellert und erstreckt Kammermusikkonzert an. sich über mehrere Geschoße: zwei über und drei unter der Dach- traufe. Die hohen Volutengiebel tragen als figurative Bekrönung die Mit seiner kulturellen Nutzung ist der Schüttkasten von Harmanns- Darstellung des heiligen Florian sowie des heiligen Donatus. Das dorf in Niederösterreich nicht alleine. Jener von Schloss Primmers- Original des Ersteren war in den 1950er Jahren einem Blitzeinschlag dorf, ebenfalls im Waldviertel, wird vom Künstlerpaar Vesna und zum Opfer gefallen und wurde 2009 durch eine Nachbildung ersetzt. Jonathan Roberts als Galerie geführt und der Weinviertler Künstler An das mächtige Gebäude schließen niedrigere Bauteile an, die aus Wulf Bugatti hat einen mittelalterlichen Schüttkasten in Erdberg zu der Zeit um 1720 stammen. einem außergewöhnlichen Wohn-Atelier umgestaltet. Und so wandeln sich baulich imposante Lager für ein Grundnahrungsmittel zu einem Als ebenerdiger Gartensaal wurde die barocke Sala Terrena prächtig wertvollen Speicher für kulturelles Gedächtnis: in Harmannsdorf gestaltet. Die Ausstattung mit Stuck wurde per Ende des 18. Jahrhun- mit den wichtigen Botschaften der Anliegen des ortsansässigen derts von außergewöhnlichen Malereien abgelöst. Die Seccomalereien Internationalen Bertha-von-Suttner-Vereins. tragen die Handschrift von Johann Baptist Wenzel Bergel, der die Theresia Hauenfels * 10 GESTALTE(N)
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ORTSBILDKIDS! Erweitere dein Erweitere deinWissen! Wissen! Heute wissen wir auch, dass in der Antike ein typisches griechisches Haus jedoch nur kleine aber dafür gezielt angeordnete Öffnungen hatte, die mehr der Durchlüung als der Belichtung und Erwärmung dienten und große Fensteröffnungen zum Einlassen der Sonnenstrahlung nicht vorgesehen waren. Diese Bauweise sorgte bei den warmen mediterranen Temperaturen Griechenlands für ein komfortables Wohnklima während des ganzen Jahres. DER LANGE WEG Gebäude des Lichts Im 1. Jahrhundert n.Chr. wurde erstmals Glas, handflächengroß und ZUR SOLARARCHITEKTUR nicht besonders durchsichtig, als Baumaterial eingesetzt und sorgte damit für flacker- und rußfreies Tageslicht. Dieses Bauglas war jedoch absoluter Luxus und wurde nur bei repräsentativen römischen ermen- anlagen und antiken Villen, in denen mediterrane Pflanzen überwintert wurden, verwendet. Zitrusgewächse galten nämlich mit ihren „goldenen“ Früchten lange Zeit als Symbole für Macht und Ansehen. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen spielt der Einfluss des Photos: Archiv SHI_Grafiken, Renate Hammer, Schloss Laxenburg Betriebsgesellschaft, Rudolf Tiffinger, Wallpaper Archiv Tageslichtes eine entscheidende Rolle für unser Wohlbefinden und Die landwirtschaliche Kultivierung von Zitrusbäumen führte ab dem die Gesundheit. Das spiegelt sich auch in der Architektur wider. 15. Jahrhundert dann zu temporär verschließbaren, südlich ausgerich- teten Säulengängen. Bei dieser ersten einfachen Form eines Gewächs- Ob wir wach, entspannt und leistungsfähig sind, ob wir gut geschlafen hauses, in denen die Pflanzen noch in der Erde verwurzelt waren, haben und uns fit fühlen, hat viel mit Licht und seiner wechselnden wurden Steinsäulen mit hölzernen Traggerüsten verbunden und diese physikalischen Zusammensetzung zu tun. Sonnenlicht erhellt aber bei Frostgefahr mit Holzbeplankungen und vereinzelten, kleinformatigen nicht nur unsere Tage und gibt den Takt für unsere biologische Uhr Glasscheiben verschlossen. Dieses als „Limonaia“ bezeichnete Gebäude vor, sondern sorgt auch bei guter Bauplanung für eine optimale zeigt, welcher Grenzgang damals zwischen ausreichender Belichtung Gebäudetemperierung. und notwendiger Gebäudetemperierung beschritten werden musste. Wie fängt man also beim Bauen am besten das Licht ein? Mit der Verbesserung der Transparenz und möglichen Größe von Glas In der kalten Jahreszeit des Winters sollte wärmendes Sonnenlicht entstanden Ende des 17. Jahrhunderts dann ganzjährig geschlossene, tief ins Gebäude dringen, während im Sommer verglaste Gebäude- temperierte und nach Süden orientierte Orangerien, in denen die Pflanzen Sommer öffnungen möglichst im Schatten in Trögen gehalten werden konnten. liegen sollten, um vor Überhitzung zu Winter schützen. Dieses Prinzip, das für die Licht und unsere biologische Uhr heutige moderne Solararchitektur Heute, wo wir rund 90 Prozent der Zeit in Innenräumen verbringen kennzeichnend ist, wurde bereits und somit vom direkten Sonnenlicht abgeschottet sind, ist das optimale 400 vor Christus vom griechischen Ausleuchten von Räumen durch das Hereinlassen von natürlichem Philosophen Sokrates als „Solarhaus Licht ein wichtiges ema, denn Tageslicht ist nicht gleich Kunstlicht. des Sokrates“ erdacht, der mit einem Bestimmte Lichtqualitäten haben auf den Menschen nämlich unter- nach Süden gerichteten, trichter- schiedliche Wirkungen. Grund dafür ist, dass der Mensch an die Licht- Süden förmigen Haus erstmals den Zusam- spektren der Sonne angepasst ist. Diese liefert am Morgen leicht menhang zwischen der Ausrichtung bläuliches Licht, welches sich gut zum Wachwerden eignet und abends Grundriss eines Gebäudes und dem Sonnen- rötliches Licht, welches die Bildung des Schlaormons Melatonin Solarhaus des Sokrates gang darstellte. fördert und daher Müdigkeit hervorru. * 12 GESTALTE(N)
ORTSBILDKIDS! GEWINNSPIEL 155 Wenn du alles aufmerksam durch- gelesen hast und dich noch darüber hinaus ein bisschen informierst, kannst du sicherlich die Fragen unseres Gewinnspiels beantworten. FRAGE 1: Wer entwickelte das Prinzip für die heutige moderne Solar- architektur und was sagt dieses aus? Orangerie Schloss Laxenburg FRAGE 2: Was ist der Unterschied zwischen einer Limonaia und einer Orangerie? FRAGE 3: Welche unterschiedliche Wirkung hat das Sonnenlicht? Als Gewinn verlosen wir diesmal das Buch LICHT FORSCHEN, BAUEN, STAUNEN VON A BIS Z Gewächshaus „Limonaia” Orangerie West Schloss Hof EINSENDESCHLUSS IST DER 21. APRIL 2017 UND SO NIMMST DU TEIL Sende einfach eine Postkarte mit den richtigen Antworten und mit Namen/Adresse an: ! GESTALTE(N) „Ortsbildkids!“ Landhausplatz 1/13 3109 St. Pölten V oder sende eine E-Mail an: mail@noe-gestalten.at. v 154 GEWINNER/IN Megan Anderson aus 2380 Perchtoldsdorf Die Redaktion gratuliert herzlich! Glaspyramide im Innenhof des Louvre in Paris (Architekt I. M. Pei 1982 ) GESTALTE(N) 13
DIE MAGIE DES LICHTS VERKÜNDIGUNGSKAPELLE TRUMAU 14 GESTALTE(N)
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W er am Pfarrzentrum in Trumau vorüberkommt, würde kaum erfahre ich dank meiner Bindung an Gott eine große Freiheit und erwarten, hinter der schlichten, zweckmäßigen Fassade ein er- Weite, mir wächst viel zu“, erklärt Pater Raphael mit der ihm eigenen staunliches Gesamtkunstwerk aus Architektur, Bronze, Glas, Begeisterungsfähigkeit den Umfang und die Bandbreite seines Schaffens. Stein und Licht vorzufinden – in Form einer Kapelle, die dem Zister- In Trumau sollte, entsprechend der besonderen Verbundenheit des ziensersti Heiligenkreuz inkorporiert ist. Zisterzienserordens zur Jungfrau Maria, eine Verkündigungskapelle entstehen. Gegeben war ein rechteckiger turmartiger Innenraum mit Noch erstaunlicher ist die Tatsache, dass dieses harmonische Ensemble hoch liegenden Fenstern. Aus herben, kantigen Linien und karger der Kreativität und Schaffenskra eines einzigen Menschen zu ver- Lichtausbeute entstand in nur drei Jahren ein sakrales, weich gerundetes danken ist: Pater Raphael Statt OCist, Zisterziensermönch des Sties Gewölbe mit weiblichen Linien, erfüllt von transzendentalem Licht Heiligenkreuz, welches mit CD-Aufnahmen des gregorianischen Chorals und spiritueller Symbolik. Eine zugleich emotionale und intellektuelle die internationalen Hitparaden eroberte. Symphonie zur Verehrung Marias, die einen intuitiven Zugang zu einem der großen Geheimnisse des christlichen Glaubens geben soll. DER KÜNSTLERMÖNCH Mag.art. Wilfried Statt war freischaffender Künstler in Berlin-Branden- MYSTISCH UND INNOVATIV burg, ehe ihn aufgrund einer tiefgehenden spirituellen Erfahrung der Erstmals in der künstlerischen Darstellung wird die Verkündigung des Ruf ins Kloster ereilte. Mit seinem künstlerischen Schaffen folgt Pater Herrn in einer neuen Bildsprache erzählt und erfährt durch die räum- Raphael einer uralten mönchischen Tradition. „Seit ich im Kloster bin, liche und materialtechnische Trennung von Erzengel Gabriel und 16 GESTALTE(N)
Jungfrau Maria eine wundersame Dynamik. Der Engel tritt schwung- All das hat Pater Raphael im Gebet ersonnen, komponiert und umge- voll als feurige Lichtgestalt in Erscheinung, dargestellt im halbrunden setzt: Das architektonische Raumkonzept, die Bronzeplastiken, das Glasfenster über dem Altar. Zu ihm hinauf blickt Maria, erdverbunden raumprägende Fenster aus mundgeblasenem Antikglas, das Weihwas- und gedrungen als schwere Bronzefigur. Intuitiv spürt der Betrachter serbecken in Schmelzglastechnik, in dem sich, wie gefügt, quer durch sofort, dass der Engel und die Frau mit den emporgestreckten Händen den ganzen Raum der Verkündigungsengel spiegelt, und das schwere miteinander kommunizieren, über Raum und Zeit hinweg eine Mobiliar aus kunstvoll behauenem Sandstein, an dem der studierte Bild- Photos: Monika Schulz-Fieguth, Romana Fürnkranz geheimnisvolle Verbindung einzugehen scheinen. Die eologie er- hauer ein Jahr lang arbeitete. Ora et labora … Romana Fürnkranz * schließt sich, gleich dem wandernden Licht, von oben nach unten, Gott wird Mensch, spirituelle Transzendenz tri auf erdgebundene Schwere. Die vibrierende Lichtprojektion des Glasfensters fällt am Morgen zuerst auf Maria, durchwandert in einem dynamischen Bogen und mystischer Das von Pater Raphael Statt OCist gestaltete Farbenpracht den gesamten Raum bis in die die letzten dunklen Ecken, Gesamtkunstwerk dokumentiert ein und flutet im Sommer die gesamte Gebäudetiefe bis hinaus in das Foyer. eindrucksvoller Bildband „Licht des Himmels – Im Winter bemalt sie den san geschwungenen Bogen der abgehängten Die Verkündigungskapelle in Trumau“ Decke, die mit ihren schmalen LED-Lichträndern stoffartig leicht und Fotografiert von Monika Schulz-Fieguth schwebend wirkt. Kunstverlag Josef Fink GESTALTE(N) 17
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MIT DER KRAFT DER GEMEINSCHAFT JUGEND-UND PFARRHEIM IN GROSSEBERSDORF Architektur 1 GESTALTE(N) 19
Der Neubau und der denkmalgeschütze Pfarrhof umschließen einen Innenhof 20 GESTALTE(N)
V or den Toren Wiens im Weinviertel liegt 140.000 Euro an Eigenleistungen die beschauliche 2200-Seelen-Gemeinde Die Eigenleistungen der Gemeinscha waren Großebersdorf, wo sich seit den 80er- vielfältig und schlugen sich mit 140.000 Euro Jahren viele ruhesuchende, „zugereiste“ Städter zu Buche. Bauern packten mit ihren Traktoren ihren Traum vom Eigenheim erfüllt haben. an, die Handwerker des Ortes werkten für Die Liste der örtlichen Sehenswürdigkeiten Gottes Lohn. Emsige Hände halfen an den ist kurz. Dennoch beherbergt die Gemeinde Wochenenden, viele Bürger spendeten Geld, Bemerkenswertes: Eine erstaunliche Ressource und einige stellten ihr berufliches Know How an Menschen mit Gemeinschassinn, Energie in den Dienst der guten Sache. Diesbezüglich und Durchsetzungsvermögen. Seite an Seite hatte Großebersdorf Glück mit seinen erarbeiteten sich in Großebersdorf „Altein- „Zuagroastn“. Da wäre einmal Franz Hajdin gesessene“ und „Zugereiste“ der katholischen zu nennen, ein Wiener Geschäsmann, der Pfarrgemeinde ein Stück gemeinschaliche hier seine Pension genießt und so etwas Lebensqualität, realisiert in atemberaubend wie die Seele des Pfarrheims ist. Und das lichter, luiger Architektur, die jüngst mit dem Ehepaar Kircher, dem er Rosen streut: „Ohne Preis für „Vorbildliches Bauen in Niederöster- ihr Know How in Sachen Finanzen und reich“ ausgezeichnet wurde. Einkauf wäre dieser 1-Million Euro-Zubau GESTALTE(N) 21
1 2 nicht realisierbar gewesen.“ Ebenso Margarete zum Leuchten. Dezente LED-Lichtstäbe an der Höld und Johann Seidl, sie haben in ihrer Rolle Decke und gerichtete Spots tauchen den Raum als Vertreter der Pfarre Großebersdorf mit abends in angenehmes Licht. Ihrem persönlichen Engagement während der Projekt- und Bauphase wesentlich zum Der Pfarrsaal macht nicht nur der Jungschar Gelingen beigetragen. Umgesetzt wurde das Freude, sondern hat auch dem geselligen Projekt mit dem im Sakralbereich erfahrenen Leben der erwachsenen Dorfgemeinscha Architektenteam Pointner & Pointner. jede Menge Aurieb gegeben. Mit professio- In zweieinhalbjähriger Bauzeit wurde ein nellem Equipment – Beamer, großer Leinwand Niedrigenergiebauwerk in gemischter Holz- sowie Tischen und Stühlen für 120 Personen – und Betonfertigteilbauweise geschaffen. Der ist man allen Anforderungen gewachsen. neue Gebäudetrakt mit repräsentativem Foyer, Mehr noch: Weil der Pfarrsaal mit seiner 3 Veranstaltungshalle und Aufenthaltsräumen außergewöhnlichen und repräsentativen für die Jugend ergänzt in zeitgemäßer Gestal- Atmosphäre weit und breit den attraktivsten tung die denkmalgeschützten Bestandsobjekte Rahmen für Feste aller Art darstellt, hat man Und was sagen die Hauptpersonen – die der Pfarrgemeinde. Gemeinsam umrahmt das sich dazu entschlossen, die Räumlichkeiten Kinder, für die dieses Projekt ja in Angriff Ensemble einen windgeschützten Innenhof. der Allgemeinheit zugänglich zu machen und genommen wurde, nachdem es früher nur Nordseitig signalisiert die weitestgehend für private Feiern, Hochzeiten oder Präsenta- eine schäbige Baracke für die Jungschar gab? geschlossene massive Außenwand Schutz tionen zu vermieten. Interessierte können sich „Toll ist es! Wir haben sooo viel Platz“, meint und Geborgenheit, zur Hofseite prägt die unter 0664 2016372 an Herrn Hajdin wenden. ein atemloser Achtjähriger begeistert zwischen freundliche Lärchenholzlamellenfront der ver- zwei Ballwürfen. Eine kleine Kollegin mit schiebbaren Beschattungselemente das Bild. Hinter der bereits mehrfach ausgezeichneten Zöpfen bestätigt freudestrahlend: „Wir ham’s Architektur in seinem Einzugsbereich steht echt coool!“ * Gesellige Dorfgemeinschaft das e.b. Bauamt der Erzdiözese Wien, das Der Pfarrsaal strahlt trotz seiner Größe unter der Leitung von Arch. Dipl. Ing. Harald BAUHERR anheimelnde Wärme aus. Die eleganten Gnilsen immer wieder Wegbereiter und Röm.–Kath. Pfarrpfründe Großebersdorf sandgestrahlten Sichtbetonwände bringen die Vermittler für gute Architektur ist und mit ENTWURF / PLANUNG warmen Holztöne des geölten Eschenbodens Dipl. Ing. Georg Schinagl eine fachkundige pointner | pointner Architekten und der mächtigen Fichtenholzlamellendecke Begleitung vor Ort sicherstellt. Photos: Romana Fürnkranz, Thomas Hennerbichler 22 GESTALTE(N)
4 5 7 1 Gedeckter erdiger Fassadenfarbton als Referenz an den hierorts verbreiteten Lössboden 2 Zum Innenhof hin können die Glaselemente fast gänzlich geöffnet werden 3 Die Lamellenholzdecke mit unterlegten Schall- dämmplatten sorgt für eine gedämpe Akustik 4 Kirchenzugewandte Eingangssituation 5 Elegante Mischung aus Sichtbeton- und Holzoberflächen 6 Der große Veranstaltungsraum bietet Platz für 120 Personen 7 Der kleine Veranstaltungsraum kann mit einer Schiebewand geteilt werden GESTALTE(N) 23 6
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TRANSFORMATION UMBAU EINES ALTEN VORSTADTHAUSES IN MÖDLING Architektur 2 GESTALTE(N) 25
Verglaster Giebel als geringer Eingriff mit großer Wirkung 26 GESTALTE(N)
Altbestand A m Anfang des langen Weges zum In der folgenden Orientierungsphase ergaben individuellen Eigenheim steht die sich zwei grundlegende Forderungen: Für die alles entscheidende Frage: Altbau oder fünöpfige Familie reichten die vorhandenen Neubau, historisch gewachsenes Haus mit 80 m² nicht aus, es musste mehr Wohnfläche Charakter oder maßgeschneidertes Wunsch- geschaffen werden. Weiters sollte die straßen- projekt? Eine Entscheidung, für die das Ehe- seitige Fassade unverändert bestehen bleiben, paar Formann kurzerhand eine dritte Antwort um den Charakter der Häuserzeile mit fand: Wir wollen beides. eingeschossigen Gründerzeithäusern hinter gepflegten kleinen Vorgärten zu erhalten. Die Entscheidung stand unter einem guten Stern. Bald war ein kleines Vorstadthaus Der Bauherr liebt Herausforderungen in einem beschaulichen Cottageviertel von Die Bauordnung sah für das Gebäude die Mödling gefunden. Die künige Hausherrin Bauklasse II vor. Einer Aufstockung wäre also erlag im Nu dem Charme des etwa 100 Jahre nichts im Wege gestanden. Trotzdem ent- alten Hauses mit adrettem Vorgärtchen, der schied sich der Bauherr, selbst Architekt, für Garten glich jedoch einem Dschungel. Die eine gartenseitige Erweiterung des Gebäudes, neuen Hausbesitzer krempelten die Ärmel hoch um das eingeschossige Straßenensemble und begannen zu roden und ein bezauberndes nicht zu beeinträchtigen. kleines Nebengebäude umgeben von schönen Das alte Haus wurde darauin komplett ent- alten Obstbäumen kam zum Vorschein. kernt, die gartenseitige, tragende Mauer fast GESTALTE(N) 27
1 2 über die ganze Länge entfernt und mit einem würdige Vorstadthaus seine Geschichte fort- 500 kg schweren Stahlträger abgefangen. In setzen und in die Moderne wachsen dure. diese, nun zum Garten offene Seite, wurde ein langgestreckter, etwa 160 cm auskragender Ein Ort zum Wohlfühlen Kubus mit großflächiger Glasfront eingefügt, Es entstand keine unterkühlte, repräsentative der zusammen mit dem Dachbodenausbau Architektur, sondern ein heimeliger Ort zum nun für mehr als 140 m² Wohnfläche sorgt. Wohlfühlen, der Geborgenheit und Ruhe Barrierefrei und großzügig geht es hinaus ausstrahlt: Weiße Wände, Glas, der warme auf eine frei über dem Boden schwebende Holzton der gedämpen Akazie und Akzente Eschenholz-Terrasse, deren scheinbare Schwere- in Orange und Schwarz durchziehen als losigkeit abends mit einer indirekten Be- freundliche Farbharmonie alle Wohnbereiche. leuchtung betont wird. Man sieht der modernen und durchdachten Ästhetik die Handschri des Architekten an – Mit dem Öffnen der Außenwand war der und dennoch spürt man an vielen Details, Garten optisch ins Haus geholt und in der dass es sich um gewachsenen Wohnraum mit Wohnküche für viel Licht aus dem Westen Geschichte, mit Ecken und Kanten handelt. 3 gesorgt. Aber die Bauherren wollten Sonnen- Trotz der verblüffenden Verwandlung wurde licht zu jeder Tageszeit und so musste der das Vorhandene nicht radikal überformt, EIGENTÜMER südseitige Giebel im Dachgeschoß einer sondern behutsam miteinbezogen. Familie Formann großflächigen dreieckigen Glasfront weichen. Der Bauherr lächelt und meint: „Wir wollten ENTWURF / PLANUNG Diese ist straßenseitig der einzige dezente ein Haus mit Geschichte und wir wollen diese formann 2 puschmann architekten zt-gmbh Hinweis darauf, dass dieses kleine, altehr- Geschichte selbst fortsetzen.“ * Photos: Romana Fürnkranz, Christian Formann 28 GESTALTE(N)
4 5 7 1 Verglaste Gartenfront 2 Raumabtrennung durch raumhohen Schrankverbau 3 Auskragender Kubus 4 Der Altbau konnte durch den 160cm tiefen Kubus verbreitert werden 5 Lichteinfall über den geöffneten Giebel 6 Wohn-Essküche als zentraler Raum 7 Bibliotheksecke mit Gästeschlafcouch im Obergeschoß GESTALTE(N) 29 6
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LAND IN SICHT! SANIERUNG EINES WOHNHAUSES IM BURGVIERTEL VON WEISSENKIRCHEN Architektur 3 GESTALTE(N) 31
Zeitgemäße Adaptierung mit sensibler thermischer Sanierung 32 GESTALTE(N)
Unebene Kalkputzfassade als charakteristisches Erscheinungsbild S chmal, gebaut wie ein Schiff ankert ein Wohnen, Kochen und Genießen. Die Decke Haus an einer Felskante. Bereits 1575 zum Dachgeschoss wurde zum Teil entfernt urkundlich erwähnt, blickt das Gebäude um den Raum auch vertikal zu vergrößern. vom historischen Ortsteil Weißenkirchens Der Balkon wird zum „begehbaren“ Fenster in nach Süden hin in die Wachau. Eines ist den die Wachau und lohnt den Aufwand, den die Bauherren garantiert – die Aussicht bleibt exponierte Lage mit sich bringt. „Wohin mit unverbaut! einem Baugerüst? Und: wie soll Material für die Bautätigkeit über die enge Straße her-ge- Der Geist öffnet die Räume bracht werden?“ Müssen sich die beiden „Laufend haben wir umgedacht und neue schon zu Beginn des Projekts fragen. Heute Lösungen gesucht“ beschreiben die Bau- können sie beruhigt in den Schlafzimmern herren Elisabeth Bauer und omas Traxler des ersten Stocks in tiefen, zufriedenen Schlaf den Sanierungsprozess. Sie beginnen damit fallen, wissend, dass der Fels auf dem sie ge- im April 2014 und nach einem Jahr des baut haben sie sicher trägt. Abbruchs und der Veränderung innen wie außen, wird neu aufgebaut und gestaltet. Schwindelfrei weiter denken Viele Wände werden abgerissen und einige Die exponierte Lage bedingt vieles. „Man versetzt und im März 2016 ist alles fertig und muss schon schwindelfrei sein, wenn man im gelungen. Ehemals 6 kleine Räume bieten Garten die Tomaten erntet“ erklärt Elisabeth heute auf 54 m² großzügigen Raum zum Bauer und lächelt zufrieden beim Anblick der GESTALTE(N) 33
1 2 DG S vielen Beete für Blumen und Gemüse, die ist nicht nur eine Herausforderung in der Schlafen Schlafen Luftraum Wohnen Lager sich rund um die Unterkante des Hauses an Raum-, sondern auch in der Bodengestaltung. DG die unebene Kalkputzfassade schmiegen. Was Der klassische Parkett ist nur in den neu ge- man nicht sieht sind die Photovoltaik und stalteten Schlafräumen des Obergeschoßes reali- EG Balkon Solaranlage. Sie werden uneinsehbar auf den sierbar. Im offenen, zentralen Raum hätten sich Essen Wohnen neu errichteten Schleppgaupen integriert. zu viele Anpassungen ergeben. Daher fiel die Wellness WC Kochen Garage Ein wichtiges Detail für die Bauherren, die Entscheidung für einen zementären Spachtel- EG die thermische Sanierung des Altbestanden belag, der sich anschmiegt und die Raumform Terrasse mit ökologischen Baustoffen konsequent in solide Ruhe bettet. Ein besonderes, kreatives UG umsetzten. Die Dämmung der Fassade und Highlight ist auch das Bad. Geduscht wird in Gang Technik Pellets des Daches erfolgte mit Schilfrohr- und der ehemaligen Rauchküche, die Wohnraum- UG Holzfaserplatten. lüung verbirgt sich hinter geschwungenen Erdreich E 0 5m Deckenelementen und zu guter Letzt kann Kreative Schwingungen man durch ein begehbares Bodenfenster den EIGENTÜMER Wie jedes Haus, hat auch dieses, seine Ecken Fels und die Form sehen, die all das tragen. Elisabeth Bauer und und Kanten. Nur das hier noch unzählige Wunderschön geschwungen erzählt der Einblick BM Ing. Thomas Traxler Rundungen und Bögen und Spitzen dazu in den Fels von der außergewöhnlichen Ver- ENTWURF / PLANUNG BM Ing. Thomas Traxler und kommen. Die schmale „Schiffsform“ des Hauses gangenheit der Region und des Hauses. * BG3 Baumeister GmbH 34 GESTALTE(N) Photos: Thomas Traxler
4 4 3 6 1 Blick ins weite Donautal 2 Am schmalen Grünstreifen wird in schwindelnder Höhe Gemüse angebaut 3 Zementäre Spachtelmasse als Bodenbelag 4 Duschbereich zwischen massiven Mauerteilen 5 Vergrößerung des Raumes durch Abbruch nichttragender Innenwände 6 Integrierte Sitzbank in der Dachgaupe GESTALTE(N) 35 5
NEUER ANKERPUNKT IN DER WELTERBESTÄTTE WACHAU WEINGUT HÖGL IN VIESSLING BEI SPITZ AN DER DONAU 36 GESTALTE(N)
Architektur 4 GESTALTE(N) 37
Der moderne Produktionsbaukörper erhielt in der Kategorie Gewerbebau den Staatspreis Architektur 2016 38 GESTALTE(N)
Perfekt eingebettet in die Wachauer Landschaft W enn die neugestaltete Liegenscha Pflicht und Kür der Architekten des Weinguts Högl dem Betrachter Natürlich hat man in den Wirtschas- und erst auf den zweiten Blick ins Auge Servicebereichen auf kurze Wege und eine fällt, dann zeigt das schon eine ihrer Qualitä- offene Gestaltungssprache geachtet, in den ten: Hier wurde mit großem Respekt vor dem Bürobereichen auf helle Freundlichkeit in baulichen Umfeld und den sich als Kulisse Weiß und Holz, im Produktionsbereich auf emporragenden typischen Steinterrassen ge- Zweckmäßigkeit mit verzinktem Eisen und baut, die den Grundakkord zu dieser Planung ehrlichem Beton. Etwas Besonderes düre gaben. Mit großem Einfühlungsvermögen aber die Mischbauweise sein, in der sich für die Region näherten sich die Vorarlberger traditionelle und moderne Prinzipien ver- Architekten Ludescher + Lutz sensibel an einen und durch die hier ein Brückenschlag den Genius loci - den Geist des Ortes an. Das zwischen den Zeiten entstanden ist. Schon Ergebnis – ein gestalterisch sehr gelungenes technisch ist das neue Gebäude, an dessen Objekt, das den Besucher mit einer Stelle früher ein einfacher Stadel stand, ein Reihe dezenter, aber unmissverständlicher wahres Kürprogramm, in dem viel Können Elemente verzückt – ganz so wie ein guter steckt: Die Mauern wurden massiv aus- Wachauer Wein. geführt, durch die Kombination mit optisch GESTALTE(N) 39
1 2 eleganterer Holzbauweise wirkt das aber Das Licht als Seele des Hauses nicht voluminös. Die Produktionshalle wurde Licht ist im Innenbereich das Fluidum, das an der straßenseitigen Außenwand mit einer alle Bereiche zu erlebtem Raum werden lässt: Abkantung an den Straßenverlauf angepasst Die unstete Geometrie setzt sich hier fort und lässt die Geometrie dieses Ensembles wie im Innern eines Kristalls. Das scha ähnlich wie den Verlauf der Steinterrassen an aufregende Perspektiven und eine starke den Hängen erscheinen. Auch der Feldspat, Dynamik und Lebendigkeit. Wo künstliches der in der Wachau im Boden vorkommt, Licht zum Einsatz kommt, sieht man diese bildet solche unvorhersehbaren Strukturen. Lampen kaum: Die Beleuchtungskörper sind in ihrer Wirkung total reduziert, das Licht Architektur als gelebte Kunstauffassung allein zählt. Besonders eindrucksvoll ist das Außen wie innen finden sich immer wieder bei Dunkelheit: Gezielte Lichteffekte über- Flächen unterschiedlicher Oberflächenstruk- höhen den Raumeindruck und schaffen ein tur: Das Dach ist rhombenförmig gedeckt Gefühl der Geborgenheit und Heimeligkeit. und zieht sich wie eine dünne Haut über die steil geneigten Flächen. An Wandteilen und Textur, diesmal ganz amorph, findet sich Fenstern finden sich Lamellen aus Holz. Sie auch an den verputzten Außenwänden: Hier dienen der Beschattung, innen „filtern“ sie hat man mineralischen Sumpalk eingesetzt, den Blick in die Landscha, außen bringen der an die Urgesteinsböden der Wachau sie mit der Beibehaltung ihrer ungeschnitte- erinnert und mit seiner marmorierten Ober- nen natürlichen Baumkanten das Sonnen- fläche nicht nur angenehm, sondern auch licht in immer neue leuchtende Strukturen. im wahrsten Sinn des Wortes besonders Abends durchscheinen sie gedämp die bodenständig wirkt. Hier wie auch sonst Innenbeleuchtung, als wären sie ein leichter wurden alle Materialien nach ihrer optimalen 3 Vorhang. Das ist purer Dialog mit dem, der Eignung ausgewählt, nicht allein nach sich in diesem Gebäude bewegt. ästhetischen oder dekorativen Absichten. EIGENTÜMER Gestalterisch lebt das ganze Objekt vom Weingut Josef + Georg Högl GesbR spannungsgeladenen Spiel der Achsen, ENTWURF / PLANUNG Flächen und Linien, fast wie eine begehbare Ludescher + Lutz I Architekten Vektorgrafik. * Photos: Elmar Ludescher, Heinz Schmölzer, Bruno Klomfar 40 GESTALTE(N)
4 5 1 Putzfassade aus mineralischen Sumpalk 2 Holzlamellen mit ungeschnittener Aussenkante schaffen ein lebendiges Fassadenbild 3 Indirekte Stiegenbeleuchtung 4 In Bezug zu den Fässern in denen der Wein rei, wurde den Innenraum mit Eiche ausgekleidet 5 Die Holzlamellen dienen der Beschattung und sorgen für Durchblick 6 Verkostungsraum im Erdgeschoss GESTALTE(N) 41 6
DIE SINFONIE DES BAUENS QUALITÄTSVOLLES LEBEN IM EHEMALIGEN PFARRHOF IN STOLLHOFEN 42 GESTALTE(N)
Architektur 5 GESTALTE(N) 43
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E rbaut um ca. 1801, lange Zeit aktiv Alt aber oho genutzt, dann 20 Jahre „vergessen“. Nicht dem Alter entsprechend, sondern Das Schicksal des alten Pfarrhofs in bedeutend besser, präsentiert sich der Ge- Stollhofen scheint besiegelt bis Bauherr Georg bäudekomplex seinen Bauherrn, Planern und Mathias Sprinzl 2015 das Gebäude aus dem Restauratoren. Das 26 m x 12 m umfassende Dornröschenschlaf erweckt. Er erfüllt sich Erdgeschoss des Hauptgebäudes muss zwar seinen Traum vom Wohnen und Arbeit in von Efeu und Feuchtigkeit befreit werden – Harmonie in einem historischen Gebäude und im ersten Stock sind aber „kosmetische“ belebt es mit einem ganzheitlichen Konzept. Eingriffe ausreichend, um ein erhabenes GESTALTE(N) 45
1 2 Wohngefühl entstehen zu lassen. Raumhöhen Erdgeschoss des Gebäudes sichtbar. Wenn der von knapp 4 Meter, liebevoll restaurierte Arztbesuch im positiven Sinne zum Erlebnis Deckenmalereien, wunderschöne alte Türen wird und man am gläsernen Eingangsportal und Holzböden, historische Kachelöfen, optisch mit den Klängen der 9. Sinfonie umgeben von solider Bausubstanz – ohne Beethovens begleitet wird, dann offenbart sich Setzungsrisse, sind die Basis für qualitäts- Freude auf ganz klare und einfache Weise. volles Leben, wie es heute dort stattfindet. Die Sanierungszeit ist phänomenal kurz und Der schmale Grundriss des Gebäudes erstreckt sich vom Kauf im Herbst 2014 bis bietet ebenerdig ein authentisches Gefühl der zum Einzug Ende 2015. Geplant und durch- Sicherheit, den der natürliche Sandstein- geführt wird parallel, wie so o bei Sanie- boden, der händisch abgetragen und wieder rungsprojekten, die ein ständiges Reagieren verwendet wurde, zusätzlich unterstreicht. und flexibles Planen und Handeln erfordern. Über den Mittelgang mit Tonnengewölbe er- Das Bundesdenkmalamt begleitet das Projekt reicht man die Behandlungsräume, die über fürsorglich – so werden Gewölbe im Erdge- die sanierten Kastenfenster und historischen schoss, Stichkappen, Fassade, Fenster und Gitter den Blick ins Grün eröffnen. historische Gitter an den Fenstern für die Zukun erhalten. Im rechten Winkel zum Wer arbeitet, kann auch wohnen Haupthaus beheimatet das Nebengebäude die … und so entschließt sich der Bauherr zu Pelletheizung, die noch durch Solarpaneele vereinen, was für ihn schon immer zusam- 3 4 für das Warmwasser ergänzt werden soll. men gehört und scha hohe Qualität für sich und den ganzen Ort. Auch wenn der EIGENTÜMER Vollendet wie Beethovens 9te Anblick eines unsanierten Altbaus mitunter Dr. med. Georg Mathias Sprinzl Die Freude am Wohnen und am Arbeiten ist abschrecken kann und auch die Mühen ENTWURF / PLANUNG dem Bauherren ins Gesicht geschrieben und hoch sein können um Altes zu bewahren – Arch. DI Benedikt Gratl Baumeister Ing. Karl Müllner wird für die Besucher seiner Ordination im es lohnt sich auf jeden Fall. * Photos: Heinz Schmölzer 46 GESTALTE(N)
5 7 1 Wartezimmer mit Stichkappentonnen 2 Die Raumeinteilung mit der Mittelgang- struktur wurde nicht verändert 3 Die Wohnungseingangstür wird als raumhohes Holzportal gestaltet 4 Ausschnitt Deckenmalerei 5 Die historische Deckenmalerei wird mit modernen Lustern kombiniert 6 der Verzicht auf Vorhänge macht die alten Holzkastenfenster besonders erlebbar 7 Badezimmer mit freistehender Badewanne GESTALTE(N) 47 6
Egon Schiele, Alte Mühle (1916) Sammlung Niederösterreichisches Landesmuseum 52 GESTALTE(N)
WASSERMÜHLEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR EUROPA GESTALTE(N) 49
Wasserrad in den Ötschergräben Frauenmühle in Wullersdorf Hahnmühle im Pulkautal S chon mindestens 40000 Jahre lang gibt es in unserer Heimat Erfindungen mussten gemacht werden: Pflug, Sichel und Sense, Menschen, ursprünglich Jäger und Sammler. Die Frauen Getreide-Bevorratung -die ersten Mühlen entstanden. 25 v. Chr. baute sammelten Schnecken, Muscheln, Nüsse, Eicheln, Beeren, der römische Architekt Vitruv die erste Mühle mit Wasserrad und Früchte, Gräser, und die Männer gingen auf die Jagd. Häuser gab es konnte damit die bisherige Leistung von 1PS (Muskelkra von Tier und keine, mussten doch die Menschen ständig dem Wild nachziehen. Mensch) auf bis zu 50 PS steigern. Vor ca. 23000 Jahren begannen die Menschen wilde Gräser (Gerste!) zwischen Steinen zu zermahlen und markieren damit den Beginn der Mühlen als erste Maschinen der Menschheitsgeschichte Mühlentechnik. Bereits im 4. Jh. haben die Römer an den Nebenflüssen von Mosel und Rhein solche Wasser- und Schiffmühlen errichtet. Ohne Kulturpflanzen wäre die Geschichte der Menschheit völlig Europa war bis in das frühe Mittelalter nicht die am weitesten ent- anders verlaufen und es war eine Weichenstellung besonderer Art, die wickelte Gegend der Erde. China, Indien, Ägypten, der arabische Raum, Menschen vor etwa zehntausend Jahren dazu brachte, Pflanzen nicht Süd- und Mittelamerika, … waren technisch nur zu sammeln, sondern auch zu produzieren, nämlich durch Anbau in vieler Hinsicht überlegen. Dies schrieb der Photos: Sammlung Niederösterreichisches Landesmusum, Romana Fürnkranz, Ing. Richard Stöger von Kulturpflanzen auf einem Feld. Wiener Wirtschashistoriker Michael Mitter- auer in seinem Buch „Warum Europa?" Neolithische Revolution Dann überholte Europa technisch. Die schon Damals kultivierten Bauern nicht nur erstmals Pflanzen, sondern im Mittelalter gut organisierten Handwerker begannen zudem, Tiere zu halten.Wo man Kulturpflanzen auf den in den Zünen verwendeten die Kra des Feldern zog, setzte ein enormes Bevölkerungswachstum ein, dazu Wasserrades in Form von Säge-,Pulver-,Papier-, eine Verbesserung der Lebensbedingungen und ein Wachstum Walk-, Kugelmühlen und vielen mehr. des Wohlstandes. Die Mühle ist die erste Maschine in der Geschichte der Menschheits- Kulturpflanzen können ohne den Menschen nicht existieren. Auch entwicklung und nicht etwa die Dampfmaschine! Fast alle traditionel- Haustiere nicht, denn sie brauchen Futter und Pflege. Bei uns in Mittel- len Industrien haben in oder mit einer Mühle begonnen. europa gab es bis ca. 7000 v. Chr. noch die Jäger. Dann kam ein neuer Hand in Hand mit dem Siegeszug der Technik wurde im Mittelalter Menschenschlag Donau aufwärts zu uns, deren Weg man an Hand von auch die Landwirtscha revolutioniert. Neue Pflanzen, bessere Land- Funden ziemlich genau verfolgen kann. Es waren dies die ersten Bauern. maschinen und die Entwicklung der Ein-Felder- zur Drei-Felderwirt- Sie rodeten mit Steinäxten immer größere Waldflächen, um Felder an- scha ermöglichten die Ernährung von mehr Menschen. Das brachte zulegen und griffen so erstmalig in großem Maßstab in die Natur ein. Sie Bevölkerungswachstum, Expansion der Märkte und größer werdende begannen mit Ackerbau und Viehzucht und wurden sessha, da sie ja Städte. Diese rasante Entwicklung gab es jedoch nur in Europa, vom Säen bis zum Ernten des Getreides am selben Ort bleiben mussten. weil nur hier die Wassermühlen nötig waren. Das wichtigste Getreide, Zudem wurden Häuser gebaut und auch Getreidespeicher errichtet. der Roggen ist nämlich wegen seiner harten Schale für den Verzehr Haustiere wurden gehalten, um vom Jagdglück unabhängig zu sein. ungeeignet und muss gemahlen werden. In Asien war dies mit Siedlungen entstanden, Straßen zwischen den Dörfern und Be- dem Hauptnahrungsmittel Reis nicht nötig, ebenso verhält es sich festigung-sanlagen zur Verteidigung des Eigentums wurden angelegt. in Amerika mit Kartoffeln und Mais. 50 GESTALTE(N)
Alte Hofmühle in Hollabrunn Brauneismühle in Sitzendorf a.d. Schmieda Mühle im Pulkautal Kirchenmühle in Stockerau Gilli Mühle, Mühlen-Akademie Stumme Zeugen einer reichen Vergangenheit In Kooperation mit der „Österreichischen Gesellscha der Mühlen- Mühlen waren fast nie großartige Bauwerke, sie gehören zur soge- freunde“, ein Verein der sich um die Erhaltung und Nutzung nannten naiven Architektur, wie auch die Bauernhöfe, Scheunen, von Mühlen angenommen hat, wurde auf Anregung von Presshäuser. Dass man sich in letzter Zeit wieder besonders für sie Prof. Dr. Otto Schöffl aus Hollabrunn die „Mühlen-Akademie“ ins interessiert, verdanken sie einem postmodernen Interesse an den Leben gerufen und gemeinsam mit AGRAR PLUS entwickelt. Wurzeln unserer industriellen Kultur. Der römische Schristeller und Architekt Vitrivius forderte für gutes Bauen drei unverzichtbare Stand- Diese Beratungs- und Vermittlungsstelle beine - Firmitas, Utilitas und Venustas, also Festigkeit, Nützlichkeit bietet nicht nur Hilfestellung bei der fach- und Schönheit. Die meisten alten Mühlen erfüllen diese Forderungen. gerechten Restaurierung, sie bietet auch die So orientierten sich Raumhöhe und Raumaueilung genau an den Ausbildung zum/r „Mühlen-LiebhaberIn“ bzw. Anforderungen der individuellen Bewohner. Auch die Landscha, der zum/r Mühlen-MeisterIn an. Bach und die Umgebung der Mühle bestimmten den Bau. Die Größe Infos dazu finden Sie auf www.agrarplus.at war bestimmt durch verfügbare Wassermenge und Fallhöhe. BUCHTIPP Wie auch die Stadeln, Schüttkästen und Kellergassen geraten diese LEBENDIGE MÜHLEN Baudenkmäler jedoch zunehmend in Bedrängnis! Verfall, Abriss und instand halten – restaurieren – weiterhin nutzen Nichtbeachtung lassen sie langsam aber sicher verschwinden. Verlag Günther Hofer GESTALTE(N) 51
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DES MÜLLERS LUST DIE MARKTMÜHLE GAUNERSDORF GESTALTE(N) 53
W enn am Weidenbach in Gaweinstal vom Geschlecht der Wendler bewirtschaet mit einer Norwegerin, und selbst Architekt, unter einem Dach Norwegen, Flandern worden. In einer Chronik, die im Rahmen der ergab sich eine überaus zielführende Dynamik, und das Weinviertel zusammenfinden, von Ulf Prix herausgegebenen Publikation der die Mühle ihr heutiges Aussehen zu kann es sich nur um einen außergewöhnlichen „Des Müllers Lust“ verfasst wurde, kann man verdanken hat. Ort mit hohem Charme-Faktor handeln. nachlesen: „Josef Winkler, ein Mühlknecht aus Senning […] hatte Glück und heiratete Vom Maschinenraum zum Wohnraum Als Architekt Ulf Prix im Jahr 1990 mit dem die noch junge Wendlerwitwe Eva Maria Zwei getrennte Wohnbereiche entstanden, die Mühlenbuch von Hohenbühel-Bodenstein in anno 1768.“ moderne Elemente und historische Substanz der Hand die „Marktmühle Gaunersdorf “ – Nach dem Tod von dessen Nachfahren Anton auf eine überaus gelungene Weise verbinden. denn so hieß der Ort annodazumal – ent- Winkler konnte Ulf Prix 1991 die Mühle vom So wurde aus dem Maschinenraum für das deckte, war ihm das Potenzial des Bauwerks Sohn, einem Wiener Ministerialrat, erwerben. Dieselaggregat ein Wohnzimmer, in das Jon sofort bewusst. Zu diesem Zeitpunkt war die Das Bauwerk, dessen Grundmauern auf eine Schiffsplanke aus Norwegen ebenso wie „Anton Winkler Kunstmühle“, deren Bezeich- die Zeit um 1650 zurückgehen, musste über einen Walknochen von einer Walfängerinsel nung nach wie vor ein Schild an der Fassade mehrere Jahre von Grund auf behutsam saniert integrierte. Die Carrara-Marmor-Badewanne bezeugt, noch im Besitz des alten Müllners, werden. Es gab kein Fließwasser, keinen sorgt für einen mediterranen Akzent. Histo- dessen Familie den Betrieb 250 Jahre führte. Kanalanschluss und eine der ersten Schritte risches Baumaterial fand unter anderem in Davor wurde die Mühle, die zum Schottensti war es, den Boden einen dreiviertel Meter Form des alten Mühlsteins als Schwelle gehörte, ab ihrer Gründung im 17. Jahrhundert abzugraben. Mit Jon Prix, Sohn aus erster Ehe Eingang in die Restaurierung. Für das Dach 54 GESTALTE(N)
wurden alte Ziegel verwendet und die vor- Kunst und Kultur in der Mühle fläche einer persönlichen Sammlung ent- handenen Holztüren blieben erhalten. Die Besucherinnen und Besucher werden mit worfen haben, oder durch die Werke des Fassade, deren Gestaltung aus der Zeit vor großer Herzlichkeit empfangen. befreundeten steirischen Malers und Zeich- etwa 150 Jahren stammte, wurde in der be- Eine Besonderheit stellen die Kulturveran- ners Gerald Brettschuh. Aber auch andere stehenden Putzstruktur mit ihren markan- staltungen in der alten Mühle dar. Die Künstlerinnen und Künstler haben ihre ten Querstreifen belassen. Für die Fenster Belgierin Rika van Kelst organisiert mit Spuren in der Mühle hinterlassen, so wählten die Architekten einen dezenten und ihrem Mann Ulf Lesungen und Konzerte im auch die Mutter bzw. Großmutter Maria doch sehr auffrischenden Ton in Hellblau, um ehemaligen Mühlraum, der durch seine Magdalena Prix. das Holz zu streichen. In allem wurde sehr Holzkonstruktion über eine gute Akustik darauf geachtet, die Patina des Bauwerks nicht verfügt und 120 Gästen Platz bietet. Im Weinviertel ist das Wasser rar und der anzutasten. Dem Wohntrakt gegenüberlie- Für 2017 ist ein Auftritt des Kollegium Pegel des Mühlbachs sinkt mitunter be- gend befinden sich architektonisch wertvolle Kalksburg fix eingeplant. Unter den Linden trächtlich. Die gute Stimmung aber, mit der Stallungen, die durch ihren Laubengang im Hof i st sommernächtens Jazz ange- generationsübergreifend Jon und Ulf Prix einen wettergeschützten Zugang besitzen. In sagt. Der künstlerische Anspruch zeigt sich mit ihren Lebenspartnerinnen und allen den Gewölben wurde ein kleines Bauernmu- auch in der Gestaltung des Lebensraums Kindern und Kindeskindern die Dinge am seum installiert. Zudem kann man eine Schu- durch spannende Arbeiten, wie etwa einem Laufen halten, ist steter Antrieb einer Kunst- sterwerkstatt, die aus der Wiener Postgasse gläsernen Tisch, den Pinzgau-Podgorschek mühle im wahrsten Sinn des Wortes. nach Gaweinstal übersiedelt wurde, besichtigen. eigens für die Familie als Repräsentations- eresia Hauenfels * GESTALTE(N) 55
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