Demokratieförderung in Post-Konflikt-Gesellschaften - Konkordanzdemokratie als Konfliktlösungsmodell?

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Internationale Politikanalyse
                                                                                                             International Policy Analysis

                                                                                                             Stefan Dehnert

                                                                                                             Demokratieförderung in Post-Konflikt-
                                                                                                             Gesellschaften – Konkordanzdemokratie
                                                                                                             als Konfliktlösungsmodell?

                                                                                                             „ Das Ende des Kalten Krieges hat der Demokratie zu einem unerwarte-
                                                                                                             ten weltweiten Erfolg verholfen, dennoch kam es gleichzeitig zum Aus-
                                                                                                             bruch zahlreicher, meist ethnopolitischer Konflikte, die zu scheiternden
                                                                                                             oder gescheiterten Staaten führten. Der als überwunden gehoffte ethnisch
                                                                                                             verfasste Nationalstaat hat nach dem Ende der Blockkonfrontation eine
                                                                                                             Renaissance erlebt.

                                                                                                             „ Das von der Staatengemeinschaft präferierte Modell zur Bearbeitung
                                                                                                             der Konflikte ist die Konflikttransformation durch Staatsreform. Zur Stabi-
                                                                                                             lisierung von durch innerstaatliche Gruppenkonflikte fragil gewordenen
                                                                                                             Staaten werden institutionelle Veränderungen vorgeschlagen oder verord-
                                                                                                             net.

                                                                                                             „ Konkordanzdemokratie kann Blockaden in segmentierten Gesellschaf-
                                                                                                             ten auflösen, die Eliten effektiv einbinden und Minderheiten als funktio-
                                                                                                             nales Element in das politische System integrieren.

                                                                                                             „ Konkordanzdemokratie kann am Ende des Konfliktes die Substituierung
                                                                                                             staatlicher Aufgaben durch private Akteure beenden und einer weiteren
                                                                                                             Delegitimierung des Staates vorbeugen. Gerade für junge Demokratien
                                                                                                             bietet das Modell der Konkordanzdemokratie einen Stabilitätsvorteil, sie
                                                                                                             war und ist eine Friedenschance.

                                                                                                                                                                              APRIL 2008

Impressum                          Bestellungen                    Alle Texte sind online verfügbar:
Friedrich-Ebert-Stiftung           Friedrich-Ebert-Stiftung        www.fes.de/ipa
Internationale Politikanalyse      Internationale Politikanalyse
                                                                   Die in dieser Publikation zum Ausdruck
Abteilung Internationaler Dialog   z. Hd. Antje Schnadwinkel
                                                                   kommenden Meinungen sind die des
D-10785 Berlin                     D-53170 Bonn
                                                                   Autors / der Autorin und spiegeln nicht
www.fes.de/ipa                     E-Mail: info.ipa@fes.de         notwendigerweise die Meinung der
E-Mail: info.ipa@fes.de            Fax: +49 (228) 883-625          Friedrich-Ebert-Stiftung wider.
ISBN 978-3-89892-869-4
Ausgewählte Veröffentlichungen des Referats „InternationaleInternationale
                                                             Politikanalyse“
                                                                          Politikanalyse
                                                                        International Policy Analysis Unit

 Arbeitskreis Europa                                Thorsten Benner, Stefanie Flechtner (Hrsg.)
 Chancen für eine nachhaltige Energiepolitik        Demokratien und Terrorismus – Erfahrungen mit
 =    mçäáíáâJfåÑçI=^éêáä=OMMT=                     der Bewältigung und Bekämpfung von Terroran-
 =                                                  schlägen. Fallstudien USA, Spanien, Niederlande
 AG Europäische Integration                         und Großbritannien.
 Plädoyer für ein europäisches Sozialmodell         =   cêáÉÇÉå=ìåÇ=páÅÜÉêÜÉáí, g~åì~ê=OMMT=
 =    bìêçé®áëÅÜÉ=mçäáíáâI=^éêáä=OMMT=              =
 =                                                  Sven Biscop
 Michael Sommer                                     The International Security Engagement of the Eu-
 Ein soziales Europa braucht Arbeitnehmer-          ropean Union - Courage and Capabilities for a
 mitbestimmung [also available in English]          “More Active” EU. Report from the 1st
      mçäáíáâJfåÑçI=^éêáä=OMMT=                     European Strategic Forum, Warsaw 2006.
 =                                                      cêáÉÇÉå=ìåÇ=páÅÜÉêÜÉáíI=g~åì~ê=OMMT
 Bert Hoffmann
 Kuba in der Nach-Fidel-Ära                         Stefanie Flechtner
      cbpJi®åÇÉê~å~äóëÉI=j®êò=OMMT                  Demokratie ist die beste Antwort im Kampf
 =                                                  gegen den Terrorismus
 James K. Galbraith                                 =   mçäáíáâJfåÑçI=aÉòÉãÄÉê=OMMS=
 Maastricht 2042 and the Fate of Europe.
 Toward Convergence and Full Employment             Michael Dauderstädt, Barbara Lippert,
 =    bìêçé®áëÅÜÉ=mçäáíáâI=j®êò=OMMT=               Andreas Maurer
                                                    Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2007:
 Daniela Schwarzer                                  Hohe Erwartungen bei engen Spielräumen
 Spannungen im Club der 13 – Reformbedarf           =   bìêçé®áëÅÜÉ=mçäáíáâI=kçîÉãÄÉê=OMMS=
 der Eurozone.
     bìêçé®áëÅÜÉ=mçäáíáâI=j®êò=OMMT=                Jana Zitzler
                                                    Plädoyer für eine europäische Mindestlohnpolitik
 Arbeitskreis Europa                                [also available in English]
 Gefahr für die nationale Daseinsvorsorge im        =    mçäáíáâJfåÑçI=kçîÉãÄÉê=OMMS=
 EU-Binnenmarkt?
 =   mçäáíáâJfåÑçI=j®êò=OMMT=                       Jo Leinen
                                                    Die Kosten der Nicht-Verfassung
 Jonathan Wadsworth                                 =   mçäáíáâJfåÑçI=kçîÉãÄÉê=OMMS=
 Mit flexiblen Arbeitsmärkten aus der Beschäfti-
 gungskrise? Ein Blick auf britische Erfahrungen
 =   mçäáíáâJfåÑçI=j®êò=OMMT
                                                           Diese und weitere Texte
 Svenja Blanke
 Mexikos junge Demokratie zwischen Stagnation               sind online verfügbar:
 und Krise                                         http://www.fes.de/internationalepolitik
 =   cbpJi®åÇÉê~å~äóëÉI=j®êò=OMMT=

 Jürgen Kahl                                                   Bestellungen bitte an:
 Die Mongolei im Reformtief – Dauerkrise oder                   Friedrich-Ebert-Stiftung
 „zweiter Aufbruch“?                                         Internationale Politikanalyse
     cbpJi®åÇÉê~å~äóëÉI=g~åì~ê=OMMT                               z.Hd. Ursula Müller
                                                                    D – 53170 Bonn

                                                               E-Mail: info.ipa@fes.de
                                                               Tel.: +49 (228) 883-212
                                                               Fax: +49 (228) 883-625
Internationale Politikanalyse   1

Inhalt

1.    Verstärkung spezifischer Konflikttypen nach dem Ende des
      Ost-West-Konfliktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
1.1 Konkordanzdemokratie als Konfliktlösungsmodell? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.2. Kollektives Minderheitenrecht vs. allgemeine Menschenrechte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.3. Westliches Exportmodell? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

2.    Deutschland setzt auf Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

3.    Frieden und Demokratie durch Power-Sharing? Zwei Szenarien . . . . . . . . . . . . . 8
3.1. Szenario I: Inklusion durch Power-Sharing und erfolgreiche Etablierung von
     intermediären Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
3.2. Szenario II: Segregation der Gesellschaft und Schwächung der staatlichen
     Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

4.    Power-Sharing als Teil einer Gesamtstrategie des gesellschaftlichen
      Ausgleichs – Handlungsoptionen für die deutsche Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
4.1. Konsequenzen für Deutschlands Außenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
2                          Stefan Dehnert      »Demokratieförderung in Post-Konflikt-Gesellschaften – Konkordanzdemokratie als Konfliktlösungsmodell?«

                           1. Verstärkung spezifischer                                           Häufig bestehen von einer Seite der im Konflikt
                              Konflikttypen nach dem Ende                                    befindlichen Gruppen oder Minderheiten Autonomie-
                              des Ost-West-Konfliktes                                        oder gar Unabhängigkeitsbestrebungen. Sie berufen
                                                                                             sich dabei meist auf das Selbstbestimmungsrecht der
                           Auf der einen Seite hat das Ende des Ost-West-Kon-                Völker. Die Umsetzung dieser Forderung stellt die
                           fliktes der Demokratie als Regierungsform zu einem                Souveränität der Staaten und das Prinzip der Unver-
                           unerwarteten, weltweiten Erfolg verholfen – nie gab               letzlichkeit der Grenzen in Frage, mithin das etablierte
                           es so viele Demokratien wie heute. Das Ende des Ost-              internationale Staatensystem. Jeder Fall einer Sezes-
                           West-Konfliktes hat auf der einen Seite der Demokra-              sion birgt das Potential eines Präzedenzfalles in sich
                           tie als Regierungsform zu einem unerwarteten, welt-               (siehe die Debatte um den Kosovo), der im Sinne eines
                           weiten Erfolg verholfen – nie gab es so viele Demo-               »slippery slope« zu einem nicht mehr aufzuhaltenden
                           kratien wie heute. Auf der anderen Seite kam es zum               Nachahmereffekt führen könnte. Wie weit das Selbst-
                           offenen Ausbruch von ethnisch, religiös oder regional             bestimmungsrecht der Völker reicht, ist umstritten
                           motivierten Konflikten, die mitunter in »failing« oder            und die Beantwortung dieser Frage politisch höchst
                           »failed states« endeten.1 Die Forschung befasst sich              brisant.
                           seit etwa 15 Jahren intensiv mit diesem erstarkten                    Das deshalb von der Staatengemeinschaft präfe-
                           Konflikttypus. Dabei stellt der ethnopolitische Konflikt          rierte Modell ist das der Konflikttransformation durch
                           einen Sonderfall dar; sowohl bei den Bemühungen                   Staatsreform. Zur Stabilisierung von durch innerstaat-
                           um Konfliktmanagement und Krisenprävention als                    liche Gruppenkonflikte fragil gewordenen Staaten
                           auch bei der Suche nach institutionellen Lösungen für             werden institutionelle Veränderungen vorgeschlagen
                           einen dauerhaften, inner-gesellschaftlichen Frieden.              oder verordnet. In Reaktion auf die interethnischen
                           Als Erklärung für den Ausbruch bewaffneter ethni-                 Konflikte auf dem Westlichen Balkan wurden von der
                           scher Konflikte werden u. a. genannt: Gruppenkon-                 Staatengemeinschaft beispielsweise konkordanzde-
                           flikte, historische Differenzen und stereotype Feind-             mokratische Demokratiemodelle oktroyiert, die in den
                           bilder, durch autoritäre Regime nur eingedämmt aber               Nachfolgestaaten des auseinander gebrochenen Ju-
                           nicht gelöste interethnische Differenzen, oder aber               goslawien den jeweiligen Minderheiten weitgehende
                           die Instrumentalisierung potentiell vorhandener Kon-              politische Rechte einräumen und sicherstellen, dass
                           flikte durch politische Unternehmer, die auf den Ängs-            diese zum einen nicht zum Bestimmungsobjekt der
                           ten der ethnischen Gruppen aufbauen und damit die                 Mehrheit werden und zum anderen Anreize entste-
                           Gesellschaft bewusst spalten, bzw. eine Gemenge-                  hen, welche die Partizipation der Minderheiten am
                           lage aus diesen Faktoren. Aber auch die Globalisie-               politischen Geschehen im Staat erhöhen sollen. Aber
                           rung wird wegen ihrer vermeintlichen Verstärkung                  auch bei Beitrittskandidaten Mittelosteuropas hat die
                           partikularer Identitäten und die dadurch erfolgende               EU konkordanzdemokratische Modelle zum Schutz
                           Abgrenzung mit dafür verantwortlich gemacht.                      und zur Integration von Minderheiten zur Durchset-
                               Nicht nur die Forschung hat auf den Trend vom                 zung gebracht.3 Dies geschieht in Form von unter-
                           zwischenstaatlichen zum innerstaatlichen Konflikt re-             schiedlich ausgeprägten Modellen der horizontalen
                           agiert. Zur Befriedung dieser Konflikte wendet die                Machtteilung, die z. B. Vetoregeln, garantierte Parla-
                           Weltgemeinschaft heute erhebliche politische, militä-             mentssitze oder Minderheitenproporz in der staat-
                           rische und finanzielle Ressourcen auf. Neben den VN               lichen Verwaltung und bei der Vergabe öffentlicher
                           sind die EU und einige EU-Mitgliedsländer besonders               Mittel vorsehen (so in Makedonien, Bosnien und Her-
                           aktiv in dem Versuch, Mittel der Krisenprävention und             zegowina, UN-Protektorat Kosovo). Bisher sind die In-
                           -beilegung zu entwickeln und in ihr außenpolitisches              terventionen der EU jedoch ad hoc erfolgt, ohne ein
                           Instrumentarium zu integrieren. Eine Reihe von Staa-              festgefügtes Instrumentarium zur Hand zu haben.
                           ten hat mittlerweile eine außenpolitische Strategie zur               Daneben können Elemente vertikaler Machttei-
                           Konfliktprävention erarbeitet, auch die Bundesregie-              lung, territorialer Autonomie in unterschiedlicher
                           rung.2                                                            Form zur Befriedigung des Selbstbestimmungsrechts
                                                                                             der Minderheiten beitragen. Dies reicht von der De-
                           1 Die »State Failure Task Force« der Universität Maryland iden-   zentralisierung staatlicher Macht und der Stärkung
                             tifizierte für den Zeitraum 1988–1994 alleine 20 ethnische
                             Kriege, während für den Zeitraum von 1955–1988 »nur« 44           2004. http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpo-
                             als solche identifiziert wurden. In: Jack A. Goldstone u. a.,     litik/FriedenSicherheit/Krisenpraevention/Aktionsplan-Voll-
Stefan Dehnert ist           State Failure Task Force Report: Phase III Findings, 2000,        text.pdf
Landesvertreter der          S. 35.                                                          3 Martin Brusis, The European Union and interethnic power-
Friedrich-Ebert-Stiftung   2 Aktionsplan »Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und          sharing arrangements in accession countries, Flensburg
in Makedonien.               Friedenskonsolidierung« der Bundesregierung vom 12. Mai           2003.
Internationale Politikanalyse   3

der kommunalen Selbstverwaltung bis hin zur Föde-                 Gerade in jungen Demokratien bietet die Konkor-
ralisierung eines Staates. Dadurch kann den meist                 danzdemokratie einen Stabilitätsvorteil. Konkordanz
kompakt siedelnden Minderheiten die Möglichkeit                   war und ist eine Friedenschance (vom Westfälischen
gegeben werden, ihre Bedürfnisse auf der lokalen                  Frieden bis heute). Als andere Seite der selben Me-
oder regionalen Ebene selbständig zu regeln, ohne die             daille gelten aber die folgenden Schwächen:
Integrität des Staates direkt in Frage zu stellen.                쮿 der Abschluss »falscher Kompromisse«, die sich
    Aber nicht nur in den jugoslawischen Nachfolge-                   aus der Notwendigkeit der »win-win«-Situation er-
staaten wurde der Versuch unternommen, die Kon-                       geben,
fliktparteien durch von außen verordnete Staatsre-                쮿 die Innovationsschwäche, die sich in mangelnder
form in die staatlichen Strukturen zu integrieren. Auch               oder verzögerter Problemlösungsfähigkeit aus-
in anderen Teilen der Welt wurden vergleichbare Pro-                  drückt,
zesse angestoßen – mit mehr oder weniger Erfolg.                  쮿 die Tendenz zum Elitenkartell, dem durch direktde-
Auf der Basis dieser Interventionserfahrungen liegen                  mokratische Elemente entgegen gesteuert werden
bereits eine Fülle von Länderstudien vor.                             müsste.
                                                                  Power-Sharing bezeichnet den weiter gefassten Be-
                                                                  griff von Modellen der Regierungsbeteiligung von
1.1 Konkordanzdemokratie als                                      Minderheiten als Form des Interessenausgleichs zwi-
    Konfliktlösungsmodell?                                        schen Gruppen in divergierenden, segmentierten
                                                                  Staatswesen. In Theorie und Praxis hat es eine breite
Bei der Konkordanzdemokratie handelt es sich um                   Variationsbreite möglicher institutioneller Ausformun-
einen »Konfliktregelungsmechanismus zwischen riva-                gen, wobei die folgenden als typisch gelten: Große
lisierenden Gruppen […]. An die Stelle von Mehrheits-             Regierungskoalition aus der Mehrheit der Parteien,
entscheiden oder autoritärer Entscheidung einzelner               Schutz der Minderheitenrechte, Dezentralisierung,
tritt das gütliche Einvernehmen, die Suche nach ei-               Konsensentscheidungen (T. D. Sisk), Kontrolle und
nem breit abgestützten Kompromiss.«4 Seine Funk-                  personelle Besetzung der Armee, Verteilung und Kon-
tion kann darin bestehen,                                         trolle der finanziellen Ressourcen (P. G. Roeder/
쮿 die in Konkurrenzsystemen vermuteten politischen                D. Rothchild). Unter dem Oberbegriff Power-Sharing
    Blockaden stark segmentierter Gesellschaften auf-             wurden bereits während des Kalten Krieges die
    zulösen,                                                      beiden wichtigsten Modelle der Konfliktbeilegung
쮿 das begrenzte Reservoir einer leistungsfähigen Elite            entwickelt. Zum einen die Konkordanzdemokratie
    in Kleinstaaten in die staatlichen Funktionen einzu-          (consociational democracy), zum anderen das »Inte-
    binden oder aber                                              grative Modell«. Die theoretische Grundlage zur Lö-
쮿 Minderheiten nicht nur zu schützen, sondern diese               sung von Gruppenkonflikten in gespaltenen Gesell-
    als funktionales Element in das politische und                schaften durch Konkordanzdemokratie legte Arend
    staatliche System zu integrieren.                             Lijphart 1969.5 Die Basis der Argumentation lautet,
Das Modell der Konkordanzdemokratie zur Lösung                    dass der destabilisierende Effekt in fundamental ge-
innergesellschaftlicher Konflikte wird in etablierten             spaltenen Gesellschaften, sei es aufgrund von Klas-
westeuropäischen Demokratien bereits seit langer Zeit             senunterschieden, fehlender Möglichkeiten sozialer
angewendet. Die Schweiz, Österreich und die Nieder-               Mobilität oder strikter Gruppendifferenzierung, nur
lande sind die meist in diesem Zusammenhang ge-                   durch konkordanzdemokratische Regelungen über-
nannten – positiven – Beispiele.                                  wunden werden kann. 1977 schließlich formulierte er
    Als Stärken der Konkordanzdemokratie gegenüber                vier Grundprinzipien, die erfüllt sein müssten, um von
der Konkurrenzdemokratie gelten                                   Konkordanzdemokratie zu sprechen: Große Koalition,
쮿 die gesellschaftliche Stabilität und der soziale Frie-          gegenseitiges Veto, segmentäre Autonomie und Pro-
    den,                                                          portionalität.6 Das Konkordanzmodell zeichnet sich
쮿 die sachbezogenere und konsensuale Lösung von                   durch Inklusion, Verhandlungen und Kompromissbil-
    Problemen und Interessenkonflikten in divergieren-            dung aus, während das Mehrheitsmodell der West-
    den, segmentierten Staatswesen,                               minster-Demokratie durch Wettbewerb und Aus-
쮿 die Einbeziehung von Minderheiten, sowohl eth-                  schluss charakterisiert ist.
    nisch als auch politisch.
                                                                  5 Arend Lijphart, Consociational Democracy, World Politics,
                                                                    Vol. 21, No. 2 (January 1969), pp. 207–225.
4 Riklin, Alois (Hg.): Handbuch politisches System der Schweiz,   6 A. Lijphart, Democracy in Plural Societies. A Comparative
  Bd. 1, Bern 1983, S. 62.                                          Exploration, New Haven and London, 1977.
4   Stefan Dehnert    »Demokratieförderung in Post-Konflikt-Gesellschaften – Konkordanzdemokratie als Konfliktlösungsmodell?«

       Zentral in diesem Modell ist das Elitenkartell, des-      1.2. Kollektives Minderheitenrecht vs.
    sen Rolle darin besteht, bestehende Konflikte durch               allgemeine Menschenrechte?
    Kompromiss oder gütliches Einvernehmen beizule-
    gen. Durch Konkordanz wird also zunächst die Elite           Bei der Frage der Implementierung von konkordanz-
    gestärkt und die Bindung der konkurrierenden Grup-           demokratischen Modellen in Post-Konflikt-Gesell-
    pen an diese erhöht. Durch den Zwang zum Kompro-             schaften geht es in einigen wenigen Fällen um die
    miss werden in der Regel die gemäßigten Eliten ge-           Machtaufteilung unter mehr oder weniger gleich star-
    stärkt, während im politischen Konkurrenzmodell im           ken Gruppen. Häufiger handelt es sich um die An-
    Falle ethnopolitischer Konflikte eher die radikale Elite     erkennung besonderer Vertretungsrechte von Min-
    gestärkt wird. Dabei gilt es zu beachten, dass die           derheiten, die sich entweder kulturell, ethnisch, reli-
    Unterstützung für eine spezifische Elite in ethno-           giös oder regional definieren. Dieser Fall soll hier zum
    politischen Konflikten häufig vor dem Hintergrund            Ausgangspunkt der Diskussion genommen werden.
    mangelnder Sicherheit und dem Fehlen einer sozialen          Bei der Debatte um die Richtigkeit und Notwendigkeit
    Grundsicherung geschieht. In der Hoffnung auf Be-            von kulturellen und politischen Minderheitenrechten
    reitstellung dieser Güter verlassen sich Menschen in         spielt das staatliche Selbstverständnis als politischer
    fragilen Staaten – auch vor dem Hintergrund meist            oder ethnischer Nationalstaat eine wichtige Rolle. Das
    vorhandener Diskriminierung – auf die Repräsentan-           Verständnis von Nation in modernen Industriestaaten
    ten ihrer Ethnie, gerade dann, wenn diese durch die          ist politisch verfasst, orientiert sich an gemeinsamen
    Verfügung über Waffen und die Bereitschaft zum Ein-          Wertvorstellungen, Institutionen und politischen
    satz derselben zumindest Sicherheit zu bieten schei-         Überzeugungen. Der Begriff »Volk« wird dabei poli-
    nen. Von den staatlichen Institutionen haben sich die        tisch interpretiert, im Sinne der wahlberechtigten Be-
    Angehörigen der Minderheit meist schon losgesagt.            völkerung, die durch ihre Stimmabgabe die Herrschaft
    Zentral ist am Ende des Konfliktes deshalb zunächst,         der sie repräsentierenden Vertreter legitimiert. »Volk«
    dass die Substituierung der staatlichen Aufgaben             ist demnach keine ethnische Kategorie.8 Der über-
    durch private Akteure beendet und einer weiteren             wunden gehoffte ethnisch verfasste Nationalstaat hat
    Delegitimierung des Staates vorgebeugt wird. Dies            jedoch nach dem Ende der Blockkonfrontation eine
    geschieht durch die Anerkennung der von der Bevöl-           Renaissance erlebt. Minderheiten haben nach 1989
    kerung legitimierten Akteure als Vertreter ihrer             begonnen, »sich sozial, kulturell, politisch und ökono-
    Gruppe.                                                      misch zu organisieren, manche als ethnische Gruppe
       Der »Integrative Ansatz«, der am prominentesten           wieder zu definieren oder neu zu erfinden«.9
    von Donald Horowitz vertreten wird, baut auf Anreize             Mit Minderheitenrechten ist darüber hinaus die
    zur interethnischen Kooperation. Das Ziel besteht ge-        Frage verknüpft, ob die Garantie der universalen Men-
    rade in der Aufhebung der ethnischen Loyalitäten             schenrechte ausreichend und unter dem Gleichheits-
    durch alternative Angebote der politischen Identifi-         grundsatz zwingend notwendig ist10, oder ob die
    kation. Diese können wirtschaftlicher, regionaler oder       Garantie von Minderheitenrechten im Sinne der spe-
    anderweitiger Natur sein. Horowitz schlägt fünf ver-         zifischen Anerkennung und Förderung (affirmative
    schiedene Mechanismen vor, wie dieses Ziel erreicht          action) deren Menschenrecht auf Identität erst er-
    werden kann: Die Verteilung der Macht auf territorialer      möglicht und zu mehr gesellschaftlicher Kohäsion
    Ebene, Dezentralisierung zur Bildung intra-ethnischen        und Partizipation führt.11 Wird durch Gruppenrechte
    Wettbewerbs auf kommunaler Ebene, Wahlgesetze,               nicht die Assimilierung in den Staatsverband unter-
    welche die Bildung von gemeinsamen Wahlplattfor-             bunden oder gar eine Segregation in Parallelgesell-
    men unterstützen, Maßnahmen zur Unterstützung
    alternativer gesellschaftlicher Orientierung, die Ver-       8 Friedrich Heckmann, Nationalstaat, multikulturelle Gesell-
    minderung der interethnischen Spannungen durch                  schaft und ethnische Minderheitenpolitik, in: Partizipations-
                                                                    chancen ethnischer Minderheiten, Friedrich-Ebert-Stiftung,
    eine gerechte Ressourcenverteilung zwischen Mehr-
                                                                    Bonn 1993, S. 7–18.
    heit und Minderheit.7 Der integrative Ansatz verlangt        9 http://www.uni-potsdam.de/portal/mai06/forschung/m_
    ein Maß an Kooperationsbereitschaft, das zwischen               minderheiten.htm.
    den verfeindeten Parteien meist nicht zu erwarten ist.       10 So Alain Finkielkraut, Die Niederlage des Denkens, Reinbek
    Für die unmittelbare Post-Konflikt-Phase eignet er sich         1989, S. 19.
    deshalb kaum.                                                11 In diesem Sinne argumentiert Heiner Bielefeldt, Rechte kul-
                                                                    tureller Minderheiten als Freiheitsanspruch. Zur menschen-
                                                                    rechtlichen Begründung des Minderheitenschutzes, in:
                                                                    Heiner Bielefeldt und Jörg Lüer, Rechte nationaler Minder-
    7 Donald L. Horowitz, Ethnic Groups in Conflict, Berkeley       heiten. Ethische Begründung, rechtliche Verankerung und
      1985.                                                         historische Erfahrung, Bielefeld 2004, S. 27–56.
Internationale Politikanalyse   5

schaften unterstützt? Will man das, fragen die Kriti-                zum Schutz nationaler Minderheiten« (FCNM) ma-
ker? Geht es bei der institutionellen Anerkennung von                chen dies deutlich. So wird mitunter explizit auf die
Minderheitenrechten tatsächlich um deren Identität                   eigene territoriale Integrität verwiesen, die durch die
im Sinne eines »affective sense of belonging […] so-                 zuerkannten Rechte nicht in Frage gestellt werden
cially defined in terms of their meaning for the actors,             dürfe oder aber es wird die Existenz von Minderheiten
representing ties of blood, soil, faith, and community«12            auf dem eigenen Territorium schlichtweg bestritten.
oder nicht vielmehr um »strategische Instrumente, die                Auch Deutschland hat das Übereinkommen mit Vor-
wissenschaftlich erfunden und politisch genutzt wor-                 behalten und Erklärungen eingeschränkt: »Nationale
den seien«.13 Nach Überzeugung derer, die in der Ge-                 Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland sind
währung von Kollektivrechten den Gleichheitsgrund-                   die Dänen deutscher Staatsangehörigkeit und die An-
satz verletzt sehen, würde ein Diskriminierungsverbot                gehörigen des sorbischen Volkes mit deutscher Staats-
den Anforderungen an Gerechtigkeit und Gleichheit                    angehörigkeit. Das Rahmenübereinkommen wird
genügen. Dies geht jedoch meist an den Realitäten                    auch auf die Angehörigen der traditionell in Deutsch-
vorbei. Zum einen betrachten die Mehrheiten eth-                     land heimischen Volksgruppen der Friesen deutscher
nisch verfasster Nationalstaaten den Staat häufig als                Staatsangehörigkeit und der Sinti und Roma deut-
ihr »Eigentum«, dessen Pfründe sie deshalb auch nur                  scher Staatsangehörigkeit angewendet.« Das FCNM
an Angehörige der Mehrheitsbevölkerung verteilen.                    von 1995 stellt auf europäischer Ebene den bisher
Zum anderen kann der Schutz der individuellen Iden-                  ehrgeizigsten Versuch dar, Minderheitenrechte fest-
tität mitunter nur im Kollektiv erfolgen. Eine Reihe von             zuschreiben.
Bürgerrechten sind auch Kollektivrechte, die sich vom                   Neben der Frage, ob Minderheitenrechte politi-
Individuum alleine nicht praktizieren lassen (Religions-             scher Natur in Form kollektiver Vertretungsansprüche
riten, Kulturpflege, Sprachgebrauch).                                bei der Suche nach politischen Arrangements in Post-
    Die Anerkennung von Minderheitenrechten ist im                   Konflikt-Staaten Anwendung finden sollen, stellt sich
Völkerrecht bisher nur vorsichtig umgesetzt worden.                  darüber hinaus die Frage, ob über die international
So wird im 1966 verabschiedeten »Internationalen                     garantierten kulturellen Rechte hinaus – und in Reak-
Pakt über bürgerliche und politische Rechte« in Arti-                tion auf die häufig stattfindende Diskriminierung von
kel 27 nur von kulturellen Minderheitenrechten ge-                   Minderheiten – nicht auch deren politische Rechte im
sprochen, die geschützt aber nicht gefördert werden                  Völkerrecht verankert werden sollten.
müssen. »In Staaten mit ethnischen, religiösen, oder
sprachlichen Minderheiten darf Angehörigen solcher
Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden,                    1.3. Westliches Exportmodell?
gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe
ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene                Ein prinzipieller Einwand lautet, dass ein Power-Sha-
Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer                   ring-Modell auf die jeweils sehr unterschiedlichen Pro-
eigenen Sprache zu bedienen.«14                                      blemlagen in den Zielländern nicht anwendbar ist. Der
    Seit Jahrzehnten gibt es vor allem von wissen-                   sehr technische Begriff des »institutional engineer-
schaftlicher Seite Bemühungen um eine allgemein an-                  ing« zeugt von dieser Problematik. Vor allem, so die
erkannte Definition des Minderheitenbegriffs. Die                    Kritiker, lassen sich die Erfahrungen aus etablierten
Furcht vor weit reichenden politischen Implikationen                 Demokratien nicht übertragen. Es sei am Ende nur
verhinderte bisher eine Einigung innerhalb der Staa-                 die – langfristige – Unterstützung des politischen Pro-
tengemeinschaft. Die Erklärungen und Vorbehalte der                  zesses möglich. Auch die Erfahrungen aus Südost-
Unterzeichnerstaaten des »Rahmenübereinkommens                       europa ließen sich nicht mit anderen Regionen ver-
                                                                     gleichen, da die Aussicht auf EU-Integration eine stark
12 Pippa Norris, Ballots not bullets: testing consociational theo-   domestizierende Wirkung auf die herrschenden Eliten
   ries of ethnic conflict, electoral systems and democratization,
                                                                     in diesen Gesellschaften habe. Und aktuell wird ein
   Konferenzpapier der »International Conference on Institu-
   tional Design, Conflict Management and Democracy in the
                                                                     Teil dieser Bedenken noch dadurch akzentuiert, dass
   late Twentieth Century«, University of Notre Dame 9–11 De-        Intervention und »nation-building« durch die
   cember 1999. http://ksghome.harvard.edu/~pnorris/acrobat/         US-Politik der Bush-Administration in Teilen der Welt
   bullets.pdf.                                                      in Verruf gekommen ist.15 Die Befürworter betonen,
13 Sabine Riedel laut Tagungsbericht »Bedeutungswandel von           dass die Power-Sharing-Arrangements zum einen den
   Ethnizität in Südosteuropa« vom 18.–21. November 2005.
   http://www.giub.uni-bonn.de/vgdh/tagungen/
   Tagungsberichte_198.pdf.                                          15 Thomas Carothers: The Backlash against democracy promo-
14 Zitiert aus: Völkerrechtliche Verträge, hg. v. Albrecht Randel-      tion, in: Foreign Affairs, March/April 2006, Vol. 85, Num-
   zhofer, 8. Auflage, Berlin 1999, S. 183.                             ber 2.
6   Stefan Dehnert      »Demokratieförderung in Post-Konflikt-Gesellschaften – Konkordanzdemokratie als Konfliktlösungsmodell?«

    jeweiligen Gegebenheiten angepaßt werden müssen                    In den Analysen werden eine Reihe von Bedenken
    und zum anderen – wie in demokratischen Gesell-                    angeführt.
    schaften üblich – keinen Ewigkeitsanspruch erheben.                   Als größte Gefahr dieser institutionellen Lösung
    Sie müßten den politischen und gesellschaftlichen                  wird gesehen, dass Formen der Integration, die auf
    Veränderungsprozessen angepaßt werden und von                      partikularen Gruppenmerkmalen beruhen, zur dauer-
    den Mitgliedern einer geteilten Gesellschaft immer                 haften Segregation der Gesellschaft entlang dieser
    wieder neu verhandelt werden.16                                    Unterscheidung führen können. Alle politischen
        Häufig ist auch umstritten, ob tatsächlich inter-              Themen würden während der Aushandlungsprozesse
    ethnische Differenzen und die mangelnde Integration                zwischen den auf Profilierung orientierten ethnisch
    von Minderheiten der Auslöser für den Ausbruch ei-                 definierten Parteien »ethnisiert«. Außerdem setze er
    nes offenen ethno-politischen Konfliktes waren.17 Das              für die politischen Eliten Anreize zur Eskalation durch
    ethno-politische Potential in einer Gesellschaft kann              immer weiter reichende Forderungen, welche zur
    auch von politischen Unternehmern genutzt und ein                  Wählerbindung beitragen sollen. Der Trend zur
    Konflikt von diesen bewusst herbeigeführt werden.                  Verstärkung des Separatismus und zur staatlichen
    Allerdings stellt sich die Frage, ob sich dadurch die              Desintegration werde somit unterstützt. Eine große
    Ausgangslage für externe Akteure ändert. Wenn der                  Koalition möglichst aller Konfliktparteien kann solche
    Konflikt bereits eskalierte und die Eliten die jeweiligen          Effekte jedoch eindämmen.
    Bevölkerungsgruppen erfolgreich hinter sich versam-                   Die individuelle Autonomie werde durch die Fest-
    meln konnten, ist dies in der Mehrzahl der Fälle wohl              schreibung einer (ethnischen) Gruppenidentität unter-
    zu verneinen. Sind die Gruppeninteressen bereits                   miniert. Gesamtgesellschaftliche Themen würden in
    etabliert, sind sie von außen kaum effektiv in Frage zu            den Hintergrund geraten und organisierte Interessen
    stellen. Dann gilt, dass einmal geschaffene Realitäten             jenseits der Gruppe würden geschwächt oder am Ent-
    anerkannt werden müssen.                                           stehen gehindert. Durch die Förderung der politischen
        Ob und unter welchen Umständen Power-Sharing-                  Partizipation und die Ausdifferenzierung gesellschafts-
    Modelle tragfähige Konzepte für die Befriedung von                 politischer Institutionen kann zur Begrenzung der Eli-
    interkulturellen oder interethnischen Konflikten dar-              tenmacht beigetragen werden. Das Ziel liegt dabei in
    stellen, ist an vielen Fallbeispielen untersucht worden.           einem Individualisierungsprozeß, der allerdings auch
    Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass Power-                   die Allgemeinverbindlichkeit der durch gütliches Ein-
    Sharing ein großes Potential hat, zur kurz- bis mittel-            vernehmen zwischen organisierten Gruppeninteres-
    fristigen Befriedung eines ethnopolitischen Konflikts              sen erzielten Ergebnisse zunehmend in Frage stellt.
    beizutragen.18 Gleichzeitig wird jedoch angezweifelt,              Dies wiederum kann als Chance für eine Hinwendung
    dass derartige Machtteilungskonzepte langfristig den               zu mehr individueller Verantwortung in Politik und
    Frieden sichern und zur Demokratisierung beitragen.19              Gesellschaft und die Durchbrechung von monopoli-
                                                                       sierten Gruppeninteressen verstanden werden.
    16 Ian O’Flynn/David Russel (Ed.), Power Sharing: New Chal-
                                                                          Vetoregeln würden den Minderheitenparteien die
       lenges for Divided Societies, London 2005, S. 3.
                                                                       Möglichkeit zur »politischen Erpressung« geben und
    17 Beverly Crawford: »Explaining cultural conflict in Ex-Yugo-
       slavia: Institutional weakness, economic crisis, and identity   erschwerten die Konsensbildung. Reformen blieben
       politics«, in: Beverly Crawford and Ronnie D. Lipschutz         so stecken oder würden verlangsamt, im Extremfall
       (eds.): The Myth of »Ethnic Conflict«. http://www.southeas-     komme es zu einem »Kalten Frieden« und allseitiger
       teurope.org/documents/The%20Myth%20of%20_Ethnic%                Frustration. Power-Sharing verhindere somit die Bear-
       20Conflict_.htm. Zu weiteren möglichen Ursachen vergl.
                                                                       beitung der dem Konflikt zugrundeliegenden Hinter-
       Sabine Kurtenbach/Peter Lock (Hg.), Kriege als (Über)Lebens-
       welten – Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und In-        gründe. Zusätzlich verschärft werde dies durch die
       seln der Zivilität, Bonn 2004.                                  Globalisierung, welche zur Partikularisierung von
    18 Kritisch dazu: Philip G. Roeder/Donald Rothchild (ed.), Sus-    Identitäten beitrage. Allerdings kann sie auch Koope-
       tainable peace: power and democracy after civil wars, New       rations- und somit Reformzwänge auf Konkordanz-
       York 2005. Auch Anna Jarstad: Power Sharing for Peace and       systeme ausüben. Der Mangel an Effizienz von kon-
       Democracy?, paper presented at the 47th annual meeting
                                                                       kordant verhandelten Entscheidungen in einer inter-
       of the International Studies Association, San Diego, USA,
       22–25 March 2006. http://www.pcr.uu.se/publications/other       nationalisierten und interdependenten Welt kann
       _pub/PS%20Jarstad%20ISA%20and%20Vail.pdf.                       einen heilsamen Reformdruck aufbauen, kann aber
    19 Vergl. Timothy D. Sisk, »Power Sharing.« Beyond Intractabil-    auch zu krisenhaften Gegenreaktionen führen.
       ity. Eds. Guy Burgess and Heidi Burgess. Conflict Research         Fraglich ist, ob direktdemokratische Regelungen
       Consortium, University of Colorado, Boulder. Posted: Sep-
                                                                       wie Volksabstimmungen Power-Sharing-Vereinbarun-
       tember 2003.  und P. G. Roeder/D. Rothchild (ed.), Susta-
                                                                       gen bedrohen und deshalb qualifizierte Fragen der
       inable peace, S. 320 ff.                                        Reichweite von Referenden entzogen werden sollen.
Internationale Politikanalyse   7

Hier können sowohl negative (Annan-Plan in Zypern,                 Krisenpolitik zum Erfolg geführt werden. Deutsch-
Neuabgrenzung der Gemeinden in Makedonien laut                     land, als ein Motor der ESVP, hat daran ein besonderes
Ohrid-Abkommen) als auch positive Beispiele (Refe-                 Interesse.
renden sind in der Schweiz ein Garant für die Kon-                     In Bosnien und Herzegowina und in Makedonien
sensfindung in den Institutionen) gefunden werden.                 sind Power-Sharing-Modelle die Grundlage der Kon-
Komparative Forschungen fehlen hier bisher.20 Zumin-               fliktbeilegung gewesen. Die Implementierung und
dest besteht die Chance, dass der Tendenz zum Eli-                 Überwachung der Friedensordnung wurde und wird
tenkartell (vor allem in Kleinstaaten) durch Einführung            von deutscher Seite auf vielfältige Weise begleitet. Die
von direktdemokratischen Elementen entgegen getre-                 im Falle Bosniens deutlich sichtbaren Schwächen der
ten wird. Schließlich müssen die Eliten in der politi-             Staatsordnung mit seinen sich gegenseitig blockieren-
schen Verantwortung beweisen, ob sie ihren Ankün-                  den Institutionen darf nicht darüber hinwegtäuschen,
digungen und Ansprüchen gerecht werden. Verfehlen                  dass darin immerhin der Schlüssel zur Beendigung ei-
sie dieses Ziel, so besteht zumindest die Möglichkeit              nes jahrelangen, blutigen Krieges steckte. Reformen
des Elitenwechsels oder der Entstehung von Alterna-                sind zweifellos dringend notwendig, müssen jedoch
tiven.                                                             in eigener Verantwortung getroffen werden. Die Im-
                                                                   plementierung des Ohrid-Abkommens wiederum hat
                                                                   sich als Erfolg erwiesen, auch wenn in Teilbereichen
2. Deutschland setzt auf Prävention                                Anpassungen als sinnvoll erscheinen, um den Geist
                                                                   des Abkommens weiter mit Leben zu erfüllen und die
Über die Mitgliedschaft in Internationalen Organisa-               allgemeine Akzeptanz zu erhöhen.
tionen ist Deutschland weltweit entweder mittelbar                     Die deutsche Außenpolitik sieht in der Herstellung
als Beitragszahler oder unmittelbar mit zivilem und                verlässlicher staatlicher Strukturen, der Verrecht-
militärischem Personal in den institutionellen                     lichung der Konfliktaustragung, insbesondere in
(Wieder-)aufbau von Post-Konflikt-Staaten involviert.              Maßnahmen zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit,
Dies sind vor allem die VN, die OSZE, die G8, die                  der Einhaltung der Menschenrechte vor allem im
NATO, die EU und der Europarat.21 Die Präsenz von                  Sinne der Gleichberechtigung der Geschlechter, des
Bundeswehrsoldaten in internationalen Friedensein-                 Minderheitenschutzes und der Religionsfreiheit eine
sätzen ist besonders ausgeprägt auf dem Westlichen                 Priorität ihrer Krisenpolitik. Im Aktionsplan »Zivile Kri-
Balkan. Deutsche Soldaten sind bis heute in Bosnien                senprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsoli-
und Herzegowina und im Kosovo stationiert, sie                     dierung« wird dieser Ansatz detailliert dargelegt.
waren es nach 2001 auch in Makedonien. Aber auch                   Dort ist auch die Rede von der Entwicklung von stan-
deutsche Polizisten sind bis heute in der Region tätig.            dardisierten oder modellhaften Verfahren zum Schutz
Die geographische Nähe des Balkan zu Deutschland                   und zur Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit in
und die Erfahrung mit den kriegsbedingten Flücht-                  Post-Konflikt-Situationen. Hier wird der Schwerpunkt
lingsströmen legt nahe, in der Absicherung und Sta-                allerdings alleine auf die Einbeziehung von Rechts-
bilisierung der Region einen Schwerpunkt zu setzen.                staatselementen in VN-Friedensmissionen und die
Neben den Ausgaben für das Militär sind aber auch                  Einrichtung provisorischer gerichtlicher Strukturen
umfassende Finanzhilfen zum Wiederaufbau der                       gelegt.
Wohn- und Verkehrsinfrastruktur und der staatlichen                    Daneben werden erwähnt: die Stabilisierung der
Institutionen geflossen. Durch die Hilfen der EU ist               Sicherheitsstrukturen, die Schaffung von Friedenspo-
Deutschland über den bilateralen Beitrag hinaus fi-                tenzialen in Zivilgesellschaft, Medien sowie Kultur und
nanziell und politisch engagiert. Die erfolgreiche Be-             Bildung, (auch durch die internationale Vernetzung),
friedung der Region gilt als Prüfstein der Europäischen            die Sicherung von Lebenschancen in Wirtschaft und
Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). Insbe-               Umwelt, die Stärkung der globalen Ebene – Vereinte
sondere der Fall Makedonien, wo die EU maßgeblich                  Nationen, der Ausbau der regionalen Ebene – Euro-
am Zustandekommen des Friedensabkommens von                        päische Union, die Unterstützung für Afrika – (Sub-)
Ohrid beteiligt war, soll als Modellfall einer geglückten          Regionalorganisationen und der Ausbau der nationa-
                                                                   len Infrastruktur für zivile Krisenprävention.
20 Das »International Journal on Multicultural Societies« (IJMS)       Minderheitenrechte finden Erwähnung, allerdings
   der UNESCO hat zu einem solchen Forschungsprojekt auf-          ohne auf die Frage politischer Vertretungsansprüche
   gerufen. www.unesco.org/shs/ijms/thematic_outline.
                                                                   einzugehen. Weder gibt es eine Festlegung auf den
21 Details zu den Aktivitäten und zur deutschen Beteiligung auf
   der Web-Site des Auswärtigen Amtes: https://www.diplo.de/
                                                                   Schutz von kulturellen Rechten, wie sie völkerrechtlich
   diplo/de/Aussenpolitik/FriedenSicherheit/Krisenpraevention/     verbindlich sind, noch wird darauf eingegangen, ob
   InstrumenteInternational.html                                   politische Gruppenrechte zur Befriedung von Konflik-
8   Stefan Dehnert       »Demokratieförderung in Post-Konflikt-Gesellschaften – Konkordanzdemokratie als Konfliktlösungsmodell?«

    ten aktive Unterstützung finden sollen. Im ersten Be-                 200 Ländern dieser Erde verteilt leben rund 5000 ver-
    richt der Bundesregierung über die Umsetzung des                      schiedene ethnische Gruppen. Viele von diesen sind
    Aktionsplanes vom Mai 200622 wird im Abschnitt                        Opfer von Ausgrenzung oder haben nur sehr einge-
    »Demokratisierungshilfe und Demokratieförderung«                      schränkte Beteiligungschancen in Staat und Gesell-
    auf das Ziel der Bundesregierung verwiesen, »die                      schaft.24
    politische Partizipation aller gesellschaftlicher Grup-                   Die Globalisierung wird auch weiterhin zur Auflö-
    pen in jungen Demokratien« zu unterstützen. Der                       sung staatsbürgerlicher Identitäten beitragen, die sich
    Bezug zu institutionellen Lösungen im Sinne von                       an nationalen Grenzen orientieren. Die verminderte
    Power-Sharing-Modellen wird jedoch nicht explizit                     Leistungsfähigkeit des Nationalstaates gegenüber sei-
    hergestellt.                                                          nen Bürgern und die Auswirkungen der zunehmen-
        Durch die Unterstützung der Implementierung des                   den Migration führen zu Reaktionen im Sinne einer
    Power-Sharing-Modells für Makedonien und Bosnien                      Suche nach neuen Orientierungspunkten. Eine Mög-
    und Herzegowina zeigt Deutschland jedenfalls im Ein-                  lichkeit ist die Selbstdefinition nach ethnischen oder
    zelfall, dass es Power-Sharing mit Elementen von spe-                 religiösen Kriterien. Dies lässt sich beispielsweise in
    ziellen Gruppenrechten für notwendig erachtet, um                     den Migrantencommunities in Deutschland beobach-
    in geteilten Gesellschaften das Zusammenleben der                     ten, die sich zunehmend über ihre Religionszuge-
    sich gegenüberstehenden Gruppen zu ermöglichen.                       hörigkeit definieren.25 Die Vorstadt-Revolten in Paris
    Im Rahmen der VN hat Deutschland die »Global Part-                    zeigen darüber hinaus, dass der republikanische Staat
    nership for the Prevention of Armed Conflict« (GPPAC)                 im Beharren auf die von ihm garantierten, formal glei-
    unterstützt, deren globale Agenda auch auf die poli-                  chen Rechte nicht in der Lage ist eine Reihe von Pro-
    tischen Rechte der Minderheiten eingeht und Power-                    blemen zu lösen.
    sharing als möglichen Schlüssel zur Schaffung von                         In Zukunft wird man sich also eher mehr als weni-
    Frieden zwischen Volksgruppen erwähnt.23                              ger mit dem Problem von Gruppenkonflikten in Staa-
                                                                          ten konfrontiert sehen. Auf der Basis dieses Befundes
                                                                          folgen nun zwei Szenarien für die Entwicklung inner-
    3. Frieden und Demokratie durch                                       staatlicher Konflikte. Einmal gelingt es, dank Power-
       Power-Sharing? Zwei Szenarien                                      Sharing-Vereinbarungen zu mehr Inklusion und Ge-
                                                                          rechtigkeit zu gelangen. Die Folge sind Stabilität im
    Auch wenn eine Vielzahl von ethno-politischen Kon-                    Innern und Inklusion der Minderheit. Im anderen Fall
    flikten in der unmittelbaren Folge des Zusammen-                      zerren innere und äußere Faktoren an der Integra-
    bruchs des Ostblocks stattfanden, so ist doch nicht                   tionsfähigkeit des Staates bis er in seiner Integrität in
    davon auszugehen, dass sich mit der Stabilisierung                    Frage gestellt wird.
    der neu entstandenen Staaten und der Konsolidie-
    rung der Demokratie in den Transformationsstaaten,
    welche in den alten Grenzen fortbestehen, die globale                 3.1. Szenario I: Inklusion durch Power-Sharing
    Herausforderung innerstaatlicher Konflikte erledigt                        und erfolgreiche Etablierung von inter-
    haben wird. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen                           mediären Organisationen
    und Indizien. Auf dem afrikanischen Kontinent bei-
    spielsweise ist nicht absehbar, dass die Infragestellung              Die Einführung der Konkordanzdemokratie schafft im
    der kolonialen Grenzen durch ethnische Selbstbestim-                  von Gruppenkonflikten betroffenen Staat die Rah-
    mungsforderungen von Teilen der Eliten ein Ende neh-                  menbedingungen sowohl für Stabilisierung als auch
    men wird. Einige autoritär geführte Staaten haben                     Demokratisierung. Die Elite wurde erfolgreich in die
    demokratische Transformationsprozesse noch vor                        Formulierung der neuen institutionellen Ordnung ein-
    sich, die häufig mit der Wieder- oder Neuerfindung                    gebunden und somit auf das neue Modell verpflich-
    von ethnischen Gruppen einhergehen. Auf knapp                         tet. Das »Ownership« für die Implementierung des
                                                                          neuen Systems wurde in die Hände lokaler Kräfte ge-
    22 1. Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Ak-          geben. Die internationale Gemeinschaft stützt das
       tionsplans »Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Frie-
       denskonsolidierung«, S. 38. http://www.auswaertiges-amt.           24 UNDP 2004: »Kulturelle Freiheit in unserer Welt der Vielfalt.
       de/diplo/de/Aussenpolitik/FriedenSicherheit/Krisenpraeven-            Bericht über die menschliche Entwicklung 2004«, Berlin:
       tion/Aktionsplan1BerichtBuReg0506.pdf.                                Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen.
    23 GPAAC-Weltkonferenz vom 21.-24. Juli 2005. A Global                25 Lale Akgün: Der Islam in Europa – Von der Dekonstruktion
       Action Agenda for the Prevention of Violent Conflict, 4.2.4.          eines Feindbildes zu einer partnerschaftlichen Hinwendung.
       Effective Participation and Equality, 4.2.5. State effectiveness      In: Internationale Politik und Gesellschaft, Friedrich-Ebert-
       and democratic governance, http://www.gppac.net/                      Stiftung (Hg.), 3/2006, S. 150.
Internationale Politikanalyse   9

Abkommen durch politische und wirtschaftliche Hilfe       Die sich dadurch etablierenden Strukturen lassen sich
und ein Monitoring der vormals verfeindeten Seiten.       nur sehr schwer wieder aufbrechen.
    Die Selbstorganisation von gesellschaftlichen Inte-       Die Festschreibung der Gruppenrechte führt
ressen abseits der ethnischen oder religiösen Grup-       schließlich dazu, dass die gesamte gesellschaftliche
penzugehörigkeit findet nach einer Konsolidierungs-       Ordnung sich entlang dieser Gruppen organisiert. Das
phase parallel zum Power-Sharing statt. Intermediäre      Entstehen einer gesamtstaatlichen, bürgerschaft-
Organisationen (Verbände, Gewerkschaften, etc.) bie-      lichen Kultur wird dadurch verunmöglicht. Intermedi-
ten den Angehörigen der vorher im Konflikt befind-        äre Organisationen (Verbände, Gewerkschaften, etc.)
lichen Gruppen die Möglichkeit, individuelle Vorstel-     werden in ihrem Entstehen behindert oder können die
lungen jenseits der spezifischen Gruppeninteressen        ihnen zugedachte Rolle nicht wahrnehmen. Die Politik
einzubringen. Es besteht die Chance mit Angehörigen       der Parteien wird durch die Berufung auf ethnische
anderer Gruppen in Kontakt zu kommen und gemein-          Interessen definiert. Extremistische Parteien werden
sam für gesellschaftliche Ziele zu kämpfen.               dadurch gefördert. Insbesondere in Wahlkampfzeiten
    Die Dezentralisierung führt nicht zu einer Abtren-    überbieten sie sich an Radikalität. Das Gemeinwohl
nung nach ethnischen Grenzen und die dezentralisier-      aller Bürger gerät zunehmend in den Hintergrund.
ten Politikbereiche können auf der neu errichteten            Die Einführung des Konkordanzsystems und die
Ebene erfolgreich etabliert werden. Lokale Kontroll-      Einbeziehung Angehöriger aller Gruppen in die Ver-
mechanismen entwickeln sich gut und eine politische       waltung und Staatsbetriebe führt zu Kosten, welche
Kultur der Partizipation und Konsensfindung auch auf      das Staatsbudget überlasten. Für Investitionen und
kommunaler Ebene fasst allmählich Fuß.                    Sozialleistungen bleibt kein Raum, Arbeitslosigkeit
    Nach Konsolidierung der Konkordanzdemokratie          und Armut gefährden den sozialen Frieden in der ge-
erweist sich das Modell als ineffizient und den ökono-    samten Bevölkerung. Die durch die Globalisierung
mischen und gesellschaftlichen Erfordernissen des         steigenden Effizienzanforderungen an den Staat kön-
Landes nicht gewachsen. Der Globalisierungsdruck          nen durch das Power-Sharing-Modell nicht gelöst
schwächt die einvernehmlichen Verhandlungssysteme         werden. Die Leistungen für den Bürger werden re-
derart, dass sie sich als nicht tragfähig erweisen.       duziert, politische Entscheidungen können nicht
Daraus ergibt sich die Chance einer an rationalen         adäquat und schnell genug getroffen werden. Die
Maßstäben orientierten Verfassungsdebatte, welche         Rücksicht auf Partikularinteressen führt zum Verlust
ethnische, religiöse oder regionale Kriterien in den      der Wettbewerbsfähigkeit auf dem globalen Markt.
Hintergrund drängt. Die Eliten können sich auf eine       Die Abhängigkeit von internationaler Hilfe perpetuiert
zukunftsweisende Agenda einigen, die allen Seiten         sich in dem wirtschaftlich schwachen Post-Konflikt-
zugute kommt. Die Notwendigkeit der Reformen              Staat, eine Renten-Ökonomie entsteht.
kann der Bevölkerung unabhängig von ihrer Grup-               Die Dezentralisierung und Stärkung der kommu-
penzugehörigkeit erfolgreich vermittelt werden. Ge-       nalen Selbstverwaltung reduziert die Loyalität zum
genkräfte können von den die Gruppen führenden            Gesamtstaat und stärkt die Sezessionsbestrebungen.
Eliten erfolgreich diskursiv isoliert werden.             In den kompakten Siedlungsgebieten der ethnischen
                                                          Minderheit kommt es zu einer verdeckten oder offe-
                                                          nen Kantonalisierung. Der Druck aus einem oder
3.2. Szenario II: Segregation der Gesell-                 mehreren Lagern ethnischen, religiösen oder regiona-
     schaft und Schwächung der staatlichen                len Hintergrundes bleibt konstant oder verstärkt sich
     Strukturen                                           und kann die jeweils relevante Volksgruppe erfolg-
                                                          reich hinter die proklamierten Interessen vereinigen.
Die Mehrheitsbevölkerung erfährt den Systemwechsel        Nach dem Muster der »Salamitaktik« werden dem
als das Erzeugnis internationalen Drucks. Diese fühlt     Zentralstaat Stück für Stück weitere Desintegrations-
sich in ihren Interessen übergangen, lokale Gegeben-      schritte abgerungen. In diesem Szenario wird die Re-
heiten und Voraussetzungen seien nicht adäquat be-        gionalisierung der Anfang eines Prozesses, der über
rücksichtigt worden, es sei eine Entwicklung vorweg-      Autonomie schließlich zu Sezessionsbestrebungen
genommen worden, die mehr Zeit und »Ownership«            führt.
in Anspruch genommen hätte. Das »neue« Demokra-
tiemodell führt zu Frustration und zur Diskreditierung
der Demokratie insgesamt. Der Staat wird in seiner
Integrität in Frage gestellt und damit geschwächt. Die
Korruption floriert und rechtsfreie Räume geben der
organisierten Kriminalität reichlich Betätigungsraum.
10   Stefan Dehnert     »Demokratieförderung in Post-Konflikt-Gesellschaften – Konkordanzdemokratie als Konfliktlösungsmodell?«

     4. Power-Sharing als Teil einer                                 liche Standards erfüllen. Die »State Failure Task Force«
        Gesamtstrategie des gesellschaft-                            an der Universität Maryland listet als solche auf: die
        lichen Ausgleichs – Handlungs-                               Beteiligung am Welthandel, ein Mindestmaß an
        optionen für die deutsche Politik                            Grundbedürfnisbefriedigung, die Einbettung in sta-
                                                                     bile regionale Zusammenhänge und die Beteiligung
     Angesichts einer Vielzahl von fragilen Staaten und der          an internationalen Organisationen.27 Die soziale und
     Tatsache, dass in einigen Weltregionen schwache                 ökonomische Förderung der Post-Konflikt-Staaten als
     bzw. versagende Staaten »schon seit Jahrzehnten zur             Zielländer deutscher Entwicklungsarbeit ist ein unver-
     Normalität der Nord-Süd-Beziehungen«26 gehören,                 zichtbarer Teil einer Gesamtstrategie zur dauerhaften
     erscheint die Frage, ob konkordanzdemokratische                 Stabilisierung.
     Verfahren einen Lösungsansatz für Post-Konflikt-                    Was bei aller institutionellen Unterstützung und
     Gesellschaften darstellen, die offene Unterstützung             ökonomischer Flankierung nicht vergessen werden
     und Förderung erfahren sollen oder ob sie als Anoma-            darf, ist die Notwendigkeit der Versöhnung. Sie legt
     lie der repräsentativen Demokratie anzusehen ist, de-           mitunter erst den Grundstein für eine allmähliche Auf-
     ren Förderung deshalb in Frage steht, als eher akade-           lösung der durch den Konflikt und seine Vorgeschichte
     misch. Die Alternative besteht in der massiven Präsenz          entstandenen gesellschaftlichen Abgrenzungen. Für
     ziviler und militärischer Interventionskräfte, welche           die darüber hinaus notwendigen vertrauensbildenden
     die Gewährleistung von Sicherheit und Menschen-                 Maßnahmen zwischen den verfeindeten Gruppen
     rechten garantieren. Ein solches Engagement ist nicht           gibt es eine Reihe von erprobten Instrumenten.
     möglich und auch nicht wünschenswert. Rechte und                    Die Frage, die sich die deutsche Außenpolitik stel-
     Interessen der Minderheiten müssen deshalb durch                len muss, ist, ob sie weiter ad hoc auf ethno-politische
     verbindliche Vereinbarungen geschützt werden und                Krisen wie im Westlichen Balkan reagieren will, oder
     Institutionen zum Ausgleich mit den Mehrheitsinter-             ob sie aus den eigenen und fremden Interventionser-
     essen beitragen.                                                fahrungen Konsequenzen zieht und ein Konzept zur
         Ohne eine Einhegung des Konflikts und stabilisierte         Demokratisierung in Post-Konflikt-Gesellschaften ent-
     Verhältnisse zwischen den Konfliktparteien fehlen die           wickelt, das allen Akteuren deutscher EZ als Orientie-
     Grundvoraussetzungen sowohl für einen nachhal-                  rungspunkt dienen könnte. Das vom BMZ in Auftrag
     tigen Demokratisierungsprozess als auch für wirt-               gegebene Diskussionspapier »Förderung von Good
     schaftliche Entwicklung. Der behauptete Gegensatz               Governance in Nachkriegsgesellschaften« aus dem
     von Power-Sharing und Reformen lässt außer acht,                Jahr 2005 weist in diese Richtung und führt als Teil
     dass in Post-Konflikt-Gesellschaften meist das eine             einer umfassenden Strategie explizit die Berücksich-
     ohne das andere schlicht nicht möglich ist. Die Fin-            tigung der »ethno-politische(n), ethno-soziale(n),
     dung eines übergreifenden Konsenses mag zeitauf-                ethno-nationale(n) und ethno-regionale(n) Struktur
     wendig sein, er stellt Reformen jedoch auf eine Basis,          eines Gemeinwesens« an und nennt als relevantes
     die von einer breiten Mehrheit verantwortet wird und            Modell der Machtteilung in multi-ethnischen Staaten
     deshalb auch Aussicht auf weitgehende Akzeptanz                 die Konkordanzdemokratie.28 Nachhaltige Befriedung
     innerhalb aller Bevölkerungsgruppen hat. Aufgrund               von Konflikten in multiethnischen Gesellschaften sei
     der Konflikt- und Ausgrenzungserfahrung müssen für              nur möglich, »wenn neben der Stärkung des Minder-
     die Minderheit(en) zunächst Anreize geschaffen wer-             heitenschutzes die Organisation und Verteilung der
     den, um Vertrauen in die staatlichen Institutionen              Macht in multiethnischen Staaten neu gestaltet wird.
     (wieder) aufzubauen. Investoren werden ohne eine                Dafür gibt es zwei Ansatzpunkte: Machtteilung durch
     Konfliktbeilegung, die auch die sich in der Minderheit          Gruppenautonomie oder durch integrative Dezentra-
     befindende Konfliktpartei umfasst, einen Bogen um               lisierung«. Als Nachteil der Gruppenautonomie wird
     das Land machen. Und dies auch bei formalen rechts-             die Verfestigung ethnischer Spaltungen konstatiert,
     staatlichen Garantien für ihre Investitionen.                   der Dezentralisierung hingegen wird bei guter Vorbe-
         Weiterhin gilt, dass Stabilität in fragilen Staaten mit     reitung das Potential zugeschrieben, neben der Be-
     ethno-politischen Konflikten auch durch Mechanis-               friedigung von Selbstbestimmungsbedürfnissen auch
     men der Konkordanz nicht nachhaltig erreicht werden
     kann, wenn die Rahmenbedingungen nicht wesent-
                                                                     27 Jack A. Goldstone u. a., State Failure Task Force Report:
                                                                        Phase III Findings, 2000, S. 38–40.
     26 T. Debiel/S. Klingebiel/A. Mehler/U. Schneckener: Zwischen   28 »Förderung von Good Governance in Nachkriegsgesellschaf-
        Ignorieren und Intervenieren – Strategien und Dilemmata         ten«, hg. von der GTZ, Eschborn 2005, S. 14 f. https://www.
        externer Akteure in fragilen Staaten. Hg. von der Stiftung      gtz.de/de/dokumente/de-gg-in-nachkriegsgesellschaften-
        Entwicklung und Frieden, Januar 2005.                           2005.pdf
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