Demokratieförderung in Post-Konflikt-Gesellschaften - Konkordanzdemokratie als Konfliktlösungsmodell?
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Internationale Politikanalyse International Policy Analysis Stefan Dehnert Demokratieförderung in Post-Konflikt- Gesellschaften – Konkordanzdemokratie als Konfliktlösungsmodell? Das Ende des Kalten Krieges hat der Demokratie zu einem unerwarte- ten weltweiten Erfolg verholfen, dennoch kam es gleichzeitig zum Aus- bruch zahlreicher, meist ethnopolitischer Konflikte, die zu scheiternden oder gescheiterten Staaten führten. Der als überwunden gehoffte ethnisch verfasste Nationalstaat hat nach dem Ende der Blockkonfrontation eine Renaissance erlebt. Das von der Staatengemeinschaft präferierte Modell zur Bearbeitung der Konflikte ist die Konflikttransformation durch Staatsreform. Zur Stabi- lisierung von durch innerstaatliche Gruppenkonflikte fragil gewordenen Staaten werden institutionelle Veränderungen vorgeschlagen oder verord- net. Konkordanzdemokratie kann Blockaden in segmentierten Gesellschaf- ten auflösen, die Eliten effektiv einbinden und Minderheiten als funktio- nales Element in das politische System integrieren. Konkordanzdemokratie kann am Ende des Konfliktes die Substituierung staatlicher Aufgaben durch private Akteure beenden und einer weiteren Delegitimierung des Staates vorbeugen. Gerade für junge Demokratien bietet das Modell der Konkordanzdemokratie einen Stabilitätsvorteil, sie war und ist eine Friedenschance. APRIL 2008 Impressum Bestellungen Alle Texte sind online verfügbar: Friedrich-Ebert-Stiftung Friedrich-Ebert-Stiftung www.fes.de/ipa Internationale Politikanalyse Internationale Politikanalyse Die in dieser Publikation zum Ausdruck Abteilung Internationaler Dialog z. Hd. Antje Schnadwinkel kommenden Meinungen sind die des D-10785 Berlin D-53170 Bonn Autors / der Autorin und spiegeln nicht www.fes.de/ipa E-Mail: info.ipa@fes.de notwendigerweise die Meinung der E-Mail: info.ipa@fes.de Fax: +49 (228) 883-625 Friedrich-Ebert-Stiftung wider. ISBN 978-3-89892-869-4
Ausgewählte Veröffentlichungen des Referats „InternationaleInternationale Politikanalyse“ Politikanalyse International Policy Analysis Unit Arbeitskreis Europa Thorsten Benner, Stefanie Flechtner (Hrsg.) Chancen für eine nachhaltige Energiepolitik Demokratien und Terrorismus – Erfahrungen mit = mçäáíáâJfåÑçI=^éêáä=OMMT= der Bewältigung und Bekämpfung von Terroran- = schlägen. Fallstudien USA, Spanien, Niederlande AG Europäische Integration und Großbritannien. Plädoyer für ein europäisches Sozialmodell = cêáÉÇÉå=ìåÇ=páÅÜÉêÜÉáí, g~åì~ê=OMMT= = bìêçé®áëÅÜÉ=mçäáíáâI=^éêáä=OMMT= = = Sven Biscop Michael Sommer The International Security Engagement of the Eu- Ein soziales Europa braucht Arbeitnehmer- ropean Union - Courage and Capabilities for a mitbestimmung [also available in English] “More Active” EU. Report from the 1st mçäáíáâJfåÑçI=^éêáä=OMMT= European Strategic Forum, Warsaw 2006. = cêáÉÇÉå=ìåÇ=páÅÜÉêÜÉáíI=g~åì~ê=OMMT Bert Hoffmann Kuba in der Nach-Fidel-Ära Stefanie Flechtner cbpJi®åÇÉê~å~äóëÉI=j®êò=OMMT Demokratie ist die beste Antwort im Kampf = gegen den Terrorismus James K. Galbraith = mçäáíáâJfåÑçI=aÉòÉãÄÉê=OMMS= Maastricht 2042 and the Fate of Europe. Toward Convergence and Full Employment Michael Dauderstädt, Barbara Lippert, = bìêçé®áëÅÜÉ=mçäáíáâI=j®êò=OMMT= Andreas Maurer Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2007: Daniela Schwarzer Hohe Erwartungen bei engen Spielräumen Spannungen im Club der 13 – Reformbedarf = bìêçé®áëÅÜÉ=mçäáíáâI=kçîÉãÄÉê=OMMS= der Eurozone. bìêçé®áëÅÜÉ=mçäáíáâI=j®êò=OMMT= Jana Zitzler Plädoyer für eine europäische Mindestlohnpolitik Arbeitskreis Europa [also available in English] Gefahr für die nationale Daseinsvorsorge im = mçäáíáâJfåÑçI=kçîÉãÄÉê=OMMS= EU-Binnenmarkt? = mçäáíáâJfåÑçI=j®êò=OMMT= Jo Leinen Die Kosten der Nicht-Verfassung Jonathan Wadsworth = mçäáíáâJfåÑçI=kçîÉãÄÉê=OMMS= Mit flexiblen Arbeitsmärkten aus der Beschäfti- gungskrise? Ein Blick auf britische Erfahrungen = mçäáíáâJfåÑçI=j®êò=OMMT Diese und weitere Texte Svenja Blanke Mexikos junge Demokratie zwischen Stagnation sind online verfügbar: und Krise http://www.fes.de/internationalepolitik = cbpJi®åÇÉê~å~äóëÉI=j®êò=OMMT= Jürgen Kahl Bestellungen bitte an: Die Mongolei im Reformtief – Dauerkrise oder Friedrich-Ebert-Stiftung „zweiter Aufbruch“? Internationale Politikanalyse cbpJi®åÇÉê~å~äóëÉI=g~åì~ê=OMMT z.Hd. Ursula Müller D – 53170 Bonn E-Mail: info.ipa@fes.de Tel.: +49 (228) 883-212 Fax: +49 (228) 883-625
Internationale Politikanalyse 1 Inhalt 1. Verstärkung spezifischer Konflikttypen nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1.1 Konkordanzdemokratie als Konfliktlösungsmodell? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.2. Kollektives Minderheitenrecht vs. allgemeine Menschenrechte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 1.3. Westliches Exportmodell? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2. Deutschland setzt auf Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3. Frieden und Demokratie durch Power-Sharing? Zwei Szenarien . . . . . . . . . . . . . 8 3.1. Szenario I: Inklusion durch Power-Sharing und erfolgreiche Etablierung von intermediären Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 3.2. Szenario II: Segregation der Gesellschaft und Schwächung der staatlichen Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 4. Power-Sharing als Teil einer Gesamtstrategie des gesellschaftlichen Ausgleichs – Handlungsoptionen für die deutsche Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 4.1. Konsequenzen für Deutschlands Außenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
2 Stefan Dehnert »Demokratieförderung in Post-Konflikt-Gesellschaften – Konkordanzdemokratie als Konfliktlösungsmodell?« 1. Verstärkung spezifischer Häufig bestehen von einer Seite der im Konflikt Konflikttypen nach dem Ende befindlichen Gruppen oder Minderheiten Autonomie- des Ost-West-Konfliktes oder gar Unabhängigkeitsbestrebungen. Sie berufen sich dabei meist auf das Selbstbestimmungsrecht der Auf der einen Seite hat das Ende des Ost-West-Kon- Völker. Die Umsetzung dieser Forderung stellt die fliktes der Demokratie als Regierungsform zu einem Souveränität der Staaten und das Prinzip der Unver- unerwarteten, weltweiten Erfolg verholfen – nie gab letzlichkeit der Grenzen in Frage, mithin das etablierte es so viele Demokratien wie heute. Das Ende des Ost- internationale Staatensystem. Jeder Fall einer Sezes- West-Konfliktes hat auf der einen Seite der Demokra- sion birgt das Potential eines Präzedenzfalles in sich tie als Regierungsform zu einem unerwarteten, welt- (siehe die Debatte um den Kosovo), der im Sinne eines weiten Erfolg verholfen – nie gab es so viele Demo- »slippery slope« zu einem nicht mehr aufzuhaltenden kratien wie heute. Auf der anderen Seite kam es zum Nachahmereffekt führen könnte. Wie weit das Selbst- offenen Ausbruch von ethnisch, religiös oder regional bestimmungsrecht der Völker reicht, ist umstritten motivierten Konflikten, die mitunter in »failing« oder und die Beantwortung dieser Frage politisch höchst »failed states« endeten.1 Die Forschung befasst sich brisant. seit etwa 15 Jahren intensiv mit diesem erstarkten Das deshalb von der Staatengemeinschaft präfe- Konflikttypus. Dabei stellt der ethnopolitische Konflikt rierte Modell ist das der Konflikttransformation durch einen Sonderfall dar; sowohl bei den Bemühungen Staatsreform. Zur Stabilisierung von durch innerstaat- um Konfliktmanagement und Krisenprävention als liche Gruppenkonflikte fragil gewordenen Staaten auch bei der Suche nach institutionellen Lösungen für werden institutionelle Veränderungen vorgeschlagen einen dauerhaften, inner-gesellschaftlichen Frieden. oder verordnet. In Reaktion auf die interethnischen Als Erklärung für den Ausbruch bewaffneter ethni- Konflikte auf dem Westlichen Balkan wurden von der scher Konflikte werden u. a. genannt: Gruppenkon- Staatengemeinschaft beispielsweise konkordanzde- flikte, historische Differenzen und stereotype Feind- mokratische Demokratiemodelle oktroyiert, die in den bilder, durch autoritäre Regime nur eingedämmt aber Nachfolgestaaten des auseinander gebrochenen Ju- nicht gelöste interethnische Differenzen, oder aber goslawien den jeweiligen Minderheiten weitgehende die Instrumentalisierung potentiell vorhandener Kon- politische Rechte einräumen und sicherstellen, dass flikte durch politische Unternehmer, die auf den Ängs- diese zum einen nicht zum Bestimmungsobjekt der ten der ethnischen Gruppen aufbauen und damit die Mehrheit werden und zum anderen Anreize entste- Gesellschaft bewusst spalten, bzw. eine Gemenge- hen, welche die Partizipation der Minderheiten am lage aus diesen Faktoren. Aber auch die Globalisie- politischen Geschehen im Staat erhöhen sollen. Aber rung wird wegen ihrer vermeintlichen Verstärkung auch bei Beitrittskandidaten Mittelosteuropas hat die partikularer Identitäten und die dadurch erfolgende EU konkordanzdemokratische Modelle zum Schutz Abgrenzung mit dafür verantwortlich gemacht. und zur Integration von Minderheiten zur Durchset- Nicht nur die Forschung hat auf den Trend vom zung gebracht.3 Dies geschieht in Form von unter- zwischenstaatlichen zum innerstaatlichen Konflikt re- schiedlich ausgeprägten Modellen der horizontalen agiert. Zur Befriedung dieser Konflikte wendet die Machtteilung, die z. B. Vetoregeln, garantierte Parla- Weltgemeinschaft heute erhebliche politische, militä- mentssitze oder Minderheitenproporz in der staat- rische und finanzielle Ressourcen auf. Neben den VN lichen Verwaltung und bei der Vergabe öffentlicher sind die EU und einige EU-Mitgliedsländer besonders Mittel vorsehen (so in Makedonien, Bosnien und Her- aktiv in dem Versuch, Mittel der Krisenprävention und zegowina, UN-Protektorat Kosovo). Bisher sind die In- -beilegung zu entwickeln und in ihr außenpolitisches terventionen der EU jedoch ad hoc erfolgt, ohne ein Instrumentarium zu integrieren. Eine Reihe von Staa- festgefügtes Instrumentarium zur Hand zu haben. ten hat mittlerweile eine außenpolitische Strategie zur Daneben können Elemente vertikaler Machttei- Konfliktprävention erarbeitet, auch die Bundesregie- lung, territorialer Autonomie in unterschiedlicher rung.2 Form zur Befriedigung des Selbstbestimmungsrechts der Minderheiten beitragen. Dies reicht von der De- 1 Die »State Failure Task Force« der Universität Maryland iden- zentralisierung staatlicher Macht und der Stärkung tifizierte für den Zeitraum 1988–1994 alleine 20 ethnische Kriege, während für den Zeitraum von 1955–1988 »nur« 44 2004. http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpo- als solche identifiziert wurden. In: Jack A. Goldstone u. a., litik/FriedenSicherheit/Krisenpraevention/Aktionsplan-Voll- Stefan Dehnert ist State Failure Task Force Report: Phase III Findings, 2000, text.pdf Landesvertreter der S. 35. 3 Martin Brusis, The European Union and interethnic power- Friedrich-Ebert-Stiftung 2 Aktionsplan »Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und sharing arrangements in accession countries, Flensburg in Makedonien. Friedenskonsolidierung« der Bundesregierung vom 12. Mai 2003.
Internationale Politikanalyse 3 der kommunalen Selbstverwaltung bis hin zur Föde- Gerade in jungen Demokratien bietet die Konkor- ralisierung eines Staates. Dadurch kann den meist danzdemokratie einen Stabilitätsvorteil. Konkordanz kompakt siedelnden Minderheiten die Möglichkeit war und ist eine Friedenschance (vom Westfälischen gegeben werden, ihre Bedürfnisse auf der lokalen Frieden bis heute). Als andere Seite der selben Me- oder regionalen Ebene selbständig zu regeln, ohne die daille gelten aber die folgenden Schwächen: Integrität des Staates direkt in Frage zu stellen. 쮿 der Abschluss »falscher Kompromisse«, die sich Aber nicht nur in den jugoslawischen Nachfolge- aus der Notwendigkeit der »win-win«-Situation er- staaten wurde der Versuch unternommen, die Kon- geben, fliktparteien durch von außen verordnete Staatsre- 쮿 die Innovationsschwäche, die sich in mangelnder form in die staatlichen Strukturen zu integrieren. Auch oder verzögerter Problemlösungsfähigkeit aus- in anderen Teilen der Welt wurden vergleichbare Pro- drückt, zesse angestoßen – mit mehr oder weniger Erfolg. 쮿 die Tendenz zum Elitenkartell, dem durch direktde- Auf der Basis dieser Interventionserfahrungen liegen mokratische Elemente entgegen gesteuert werden bereits eine Fülle von Länderstudien vor. müsste. Power-Sharing bezeichnet den weiter gefassten Be- griff von Modellen der Regierungsbeteiligung von 1.1 Konkordanzdemokratie als Minderheiten als Form des Interessenausgleichs zwi- Konfliktlösungsmodell? schen Gruppen in divergierenden, segmentierten Staatswesen. In Theorie und Praxis hat es eine breite Bei der Konkordanzdemokratie handelt es sich um Variationsbreite möglicher institutioneller Ausformun- einen »Konfliktregelungsmechanismus zwischen riva- gen, wobei die folgenden als typisch gelten: Große lisierenden Gruppen […]. An die Stelle von Mehrheits- Regierungskoalition aus der Mehrheit der Parteien, entscheiden oder autoritärer Entscheidung einzelner Schutz der Minderheitenrechte, Dezentralisierung, tritt das gütliche Einvernehmen, die Suche nach ei- Konsensentscheidungen (T. D. Sisk), Kontrolle und nem breit abgestützten Kompromiss.«4 Seine Funk- personelle Besetzung der Armee, Verteilung und Kon- tion kann darin bestehen, trolle der finanziellen Ressourcen (P. G. Roeder/ 쮿 die in Konkurrenzsystemen vermuteten politischen D. Rothchild). Unter dem Oberbegriff Power-Sharing Blockaden stark segmentierter Gesellschaften auf- wurden bereits während des Kalten Krieges die zulösen, beiden wichtigsten Modelle der Konfliktbeilegung 쮿 das begrenzte Reservoir einer leistungsfähigen Elite entwickelt. Zum einen die Konkordanzdemokratie in Kleinstaaten in die staatlichen Funktionen einzu- (consociational democracy), zum anderen das »Inte- binden oder aber grative Modell«. Die theoretische Grundlage zur Lö- 쮿 Minderheiten nicht nur zu schützen, sondern diese sung von Gruppenkonflikten in gespaltenen Gesell- als funktionales Element in das politische und schaften durch Konkordanzdemokratie legte Arend staatliche System zu integrieren. Lijphart 1969.5 Die Basis der Argumentation lautet, Das Modell der Konkordanzdemokratie zur Lösung dass der destabilisierende Effekt in fundamental ge- innergesellschaftlicher Konflikte wird in etablierten spaltenen Gesellschaften, sei es aufgrund von Klas- westeuropäischen Demokratien bereits seit langer Zeit senunterschieden, fehlender Möglichkeiten sozialer angewendet. Die Schweiz, Österreich und die Nieder- Mobilität oder strikter Gruppendifferenzierung, nur lande sind die meist in diesem Zusammenhang ge- durch konkordanzdemokratische Regelungen über- nannten – positiven – Beispiele. wunden werden kann. 1977 schließlich formulierte er Als Stärken der Konkordanzdemokratie gegenüber vier Grundprinzipien, die erfüllt sein müssten, um von der Konkurrenzdemokratie gelten Konkordanzdemokratie zu sprechen: Große Koalition, 쮿 die gesellschaftliche Stabilität und der soziale Frie- gegenseitiges Veto, segmentäre Autonomie und Pro- den, portionalität.6 Das Konkordanzmodell zeichnet sich 쮿 die sachbezogenere und konsensuale Lösung von durch Inklusion, Verhandlungen und Kompromissbil- Problemen und Interessenkonflikten in divergieren- dung aus, während das Mehrheitsmodell der West- den, segmentierten Staatswesen, minster-Demokratie durch Wettbewerb und Aus- 쮿 die Einbeziehung von Minderheiten, sowohl eth- schluss charakterisiert ist. nisch als auch politisch. 5 Arend Lijphart, Consociational Democracy, World Politics, Vol. 21, No. 2 (January 1969), pp. 207–225. 4 Riklin, Alois (Hg.): Handbuch politisches System der Schweiz, 6 A. Lijphart, Democracy in Plural Societies. A Comparative Bd. 1, Bern 1983, S. 62. Exploration, New Haven and London, 1977.
4 Stefan Dehnert »Demokratieförderung in Post-Konflikt-Gesellschaften – Konkordanzdemokratie als Konfliktlösungsmodell?« Zentral in diesem Modell ist das Elitenkartell, des- 1.2. Kollektives Minderheitenrecht vs. sen Rolle darin besteht, bestehende Konflikte durch allgemeine Menschenrechte? Kompromiss oder gütliches Einvernehmen beizule- gen. Durch Konkordanz wird also zunächst die Elite Bei der Frage der Implementierung von konkordanz- gestärkt und die Bindung der konkurrierenden Grup- demokratischen Modellen in Post-Konflikt-Gesell- pen an diese erhöht. Durch den Zwang zum Kompro- schaften geht es in einigen wenigen Fällen um die miss werden in der Regel die gemäßigten Eliten ge- Machtaufteilung unter mehr oder weniger gleich star- stärkt, während im politischen Konkurrenzmodell im ken Gruppen. Häufiger handelt es sich um die An- Falle ethnopolitischer Konflikte eher die radikale Elite erkennung besonderer Vertretungsrechte von Min- gestärkt wird. Dabei gilt es zu beachten, dass die derheiten, die sich entweder kulturell, ethnisch, reli- Unterstützung für eine spezifische Elite in ethno- giös oder regional definieren. Dieser Fall soll hier zum politischen Konflikten häufig vor dem Hintergrund Ausgangspunkt der Diskussion genommen werden. mangelnder Sicherheit und dem Fehlen einer sozialen Bei der Debatte um die Richtigkeit und Notwendigkeit Grundsicherung geschieht. In der Hoffnung auf Be- von kulturellen und politischen Minderheitenrechten reitstellung dieser Güter verlassen sich Menschen in spielt das staatliche Selbstverständnis als politischer fragilen Staaten – auch vor dem Hintergrund meist oder ethnischer Nationalstaat eine wichtige Rolle. Das vorhandener Diskriminierung – auf die Repräsentan- Verständnis von Nation in modernen Industriestaaten ten ihrer Ethnie, gerade dann, wenn diese durch die ist politisch verfasst, orientiert sich an gemeinsamen Verfügung über Waffen und die Bereitschaft zum Ein- Wertvorstellungen, Institutionen und politischen satz derselben zumindest Sicherheit zu bieten schei- Überzeugungen. Der Begriff »Volk« wird dabei poli- nen. Von den staatlichen Institutionen haben sich die tisch interpretiert, im Sinne der wahlberechtigten Be- Angehörigen der Minderheit meist schon losgesagt. völkerung, die durch ihre Stimmabgabe die Herrschaft Zentral ist am Ende des Konfliktes deshalb zunächst, der sie repräsentierenden Vertreter legitimiert. »Volk« dass die Substituierung der staatlichen Aufgaben ist demnach keine ethnische Kategorie.8 Der über- durch private Akteure beendet und einer weiteren wunden gehoffte ethnisch verfasste Nationalstaat hat Delegitimierung des Staates vorgebeugt wird. Dies jedoch nach dem Ende der Blockkonfrontation eine geschieht durch die Anerkennung der von der Bevöl- Renaissance erlebt. Minderheiten haben nach 1989 kerung legitimierten Akteure als Vertreter ihrer begonnen, »sich sozial, kulturell, politisch und ökono- Gruppe. misch zu organisieren, manche als ethnische Gruppe Der »Integrative Ansatz«, der am prominentesten wieder zu definieren oder neu zu erfinden«.9 von Donald Horowitz vertreten wird, baut auf Anreize Mit Minderheitenrechten ist darüber hinaus die zur interethnischen Kooperation. Das Ziel besteht ge- Frage verknüpft, ob die Garantie der universalen Men- rade in der Aufhebung der ethnischen Loyalitäten schenrechte ausreichend und unter dem Gleichheits- durch alternative Angebote der politischen Identifi- grundsatz zwingend notwendig ist10, oder ob die kation. Diese können wirtschaftlicher, regionaler oder Garantie von Minderheitenrechten im Sinne der spe- anderweitiger Natur sein. Horowitz schlägt fünf ver- zifischen Anerkennung und Förderung (affirmative schiedene Mechanismen vor, wie dieses Ziel erreicht action) deren Menschenrecht auf Identität erst er- werden kann: Die Verteilung der Macht auf territorialer möglicht und zu mehr gesellschaftlicher Kohäsion Ebene, Dezentralisierung zur Bildung intra-ethnischen und Partizipation führt.11 Wird durch Gruppenrechte Wettbewerbs auf kommunaler Ebene, Wahlgesetze, nicht die Assimilierung in den Staatsverband unter- welche die Bildung von gemeinsamen Wahlplattfor- bunden oder gar eine Segregation in Parallelgesell- men unterstützen, Maßnahmen zur Unterstützung alternativer gesellschaftlicher Orientierung, die Ver- 8 Friedrich Heckmann, Nationalstaat, multikulturelle Gesell- minderung der interethnischen Spannungen durch schaft und ethnische Minderheitenpolitik, in: Partizipations- chancen ethnischer Minderheiten, Friedrich-Ebert-Stiftung, eine gerechte Ressourcenverteilung zwischen Mehr- Bonn 1993, S. 7–18. heit und Minderheit.7 Der integrative Ansatz verlangt 9 http://www.uni-potsdam.de/portal/mai06/forschung/m_ ein Maß an Kooperationsbereitschaft, das zwischen minderheiten.htm. den verfeindeten Parteien meist nicht zu erwarten ist. 10 So Alain Finkielkraut, Die Niederlage des Denkens, Reinbek Für die unmittelbare Post-Konflikt-Phase eignet er sich 1989, S. 19. deshalb kaum. 11 In diesem Sinne argumentiert Heiner Bielefeldt, Rechte kul- tureller Minderheiten als Freiheitsanspruch. Zur menschen- rechtlichen Begründung des Minderheitenschutzes, in: Heiner Bielefeldt und Jörg Lüer, Rechte nationaler Minder- 7 Donald L. Horowitz, Ethnic Groups in Conflict, Berkeley heiten. Ethische Begründung, rechtliche Verankerung und 1985. historische Erfahrung, Bielefeld 2004, S. 27–56.
Internationale Politikanalyse 5 schaften unterstützt? Will man das, fragen die Kriti- zum Schutz nationaler Minderheiten« (FCNM) ma- ker? Geht es bei der institutionellen Anerkennung von chen dies deutlich. So wird mitunter explizit auf die Minderheitenrechten tatsächlich um deren Identität eigene territoriale Integrität verwiesen, die durch die im Sinne eines »affective sense of belonging […] so- zuerkannten Rechte nicht in Frage gestellt werden cially defined in terms of their meaning for the actors, dürfe oder aber es wird die Existenz von Minderheiten representing ties of blood, soil, faith, and community«12 auf dem eigenen Territorium schlichtweg bestritten. oder nicht vielmehr um »strategische Instrumente, die Auch Deutschland hat das Übereinkommen mit Vor- wissenschaftlich erfunden und politisch genutzt wor- behalten und Erklärungen eingeschränkt: »Nationale den seien«.13 Nach Überzeugung derer, die in der Ge- Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland sind währung von Kollektivrechten den Gleichheitsgrund- die Dänen deutscher Staatsangehörigkeit und die An- satz verletzt sehen, würde ein Diskriminierungsverbot gehörigen des sorbischen Volkes mit deutscher Staats- den Anforderungen an Gerechtigkeit und Gleichheit angehörigkeit. Das Rahmenübereinkommen wird genügen. Dies geht jedoch meist an den Realitäten auch auf die Angehörigen der traditionell in Deutsch- vorbei. Zum einen betrachten die Mehrheiten eth- land heimischen Volksgruppen der Friesen deutscher nisch verfasster Nationalstaaten den Staat häufig als Staatsangehörigkeit und der Sinti und Roma deut- ihr »Eigentum«, dessen Pfründe sie deshalb auch nur scher Staatsangehörigkeit angewendet.« Das FCNM an Angehörige der Mehrheitsbevölkerung verteilen. von 1995 stellt auf europäischer Ebene den bisher Zum anderen kann der Schutz der individuellen Iden- ehrgeizigsten Versuch dar, Minderheitenrechte fest- tität mitunter nur im Kollektiv erfolgen. Eine Reihe von zuschreiben. Bürgerrechten sind auch Kollektivrechte, die sich vom Neben der Frage, ob Minderheitenrechte politi- Individuum alleine nicht praktizieren lassen (Religions- scher Natur in Form kollektiver Vertretungsansprüche riten, Kulturpflege, Sprachgebrauch). bei der Suche nach politischen Arrangements in Post- Die Anerkennung von Minderheitenrechten ist im Konflikt-Staaten Anwendung finden sollen, stellt sich Völkerrecht bisher nur vorsichtig umgesetzt worden. darüber hinaus die Frage, ob über die international So wird im 1966 verabschiedeten »Internationalen garantierten kulturellen Rechte hinaus – und in Reak- Pakt über bürgerliche und politische Rechte« in Arti- tion auf die häufig stattfindende Diskriminierung von kel 27 nur von kulturellen Minderheitenrechten ge- Minderheiten – nicht auch deren politische Rechte im sprochen, die geschützt aber nicht gefördert werden Völkerrecht verankert werden sollten. müssen. »In Staaten mit ethnischen, religiösen, oder sprachlichen Minderheiten darf Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, 1.3. Westliches Exportmodell? gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Ein prinzipieller Einwand lautet, dass ein Power-Sha- Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer ring-Modell auf die jeweils sehr unterschiedlichen Pro- eigenen Sprache zu bedienen.«14 blemlagen in den Zielländern nicht anwendbar ist. Der Seit Jahrzehnten gibt es vor allem von wissen- sehr technische Begriff des »institutional engineer- schaftlicher Seite Bemühungen um eine allgemein an- ing« zeugt von dieser Problematik. Vor allem, so die erkannte Definition des Minderheitenbegriffs. Die Kritiker, lassen sich die Erfahrungen aus etablierten Furcht vor weit reichenden politischen Implikationen Demokratien nicht übertragen. Es sei am Ende nur verhinderte bisher eine Einigung innerhalb der Staa- die – langfristige – Unterstützung des politischen Pro- tengemeinschaft. Die Erklärungen und Vorbehalte der zesses möglich. Auch die Erfahrungen aus Südost- Unterzeichnerstaaten des »Rahmenübereinkommens europa ließen sich nicht mit anderen Regionen ver- gleichen, da die Aussicht auf EU-Integration eine stark 12 Pippa Norris, Ballots not bullets: testing consociational theo- domestizierende Wirkung auf die herrschenden Eliten ries of ethnic conflict, electoral systems and democratization, in diesen Gesellschaften habe. Und aktuell wird ein Konferenzpapier der »International Conference on Institu- tional Design, Conflict Management and Democracy in the Teil dieser Bedenken noch dadurch akzentuiert, dass late Twentieth Century«, University of Notre Dame 9–11 De- Intervention und »nation-building« durch die cember 1999. http://ksghome.harvard.edu/~pnorris/acrobat/ US-Politik der Bush-Administration in Teilen der Welt bullets.pdf. in Verruf gekommen ist.15 Die Befürworter betonen, 13 Sabine Riedel laut Tagungsbericht »Bedeutungswandel von dass die Power-Sharing-Arrangements zum einen den Ethnizität in Südosteuropa« vom 18.–21. November 2005. http://www.giub.uni-bonn.de/vgdh/tagungen/ Tagungsberichte_198.pdf. 15 Thomas Carothers: The Backlash against democracy promo- 14 Zitiert aus: Völkerrechtliche Verträge, hg. v. Albrecht Randel- tion, in: Foreign Affairs, March/April 2006, Vol. 85, Num- zhofer, 8. Auflage, Berlin 1999, S. 183. ber 2.
6 Stefan Dehnert »Demokratieförderung in Post-Konflikt-Gesellschaften – Konkordanzdemokratie als Konfliktlösungsmodell?« jeweiligen Gegebenheiten angepaßt werden müssen In den Analysen werden eine Reihe von Bedenken und zum anderen – wie in demokratischen Gesell- angeführt. schaften üblich – keinen Ewigkeitsanspruch erheben. Als größte Gefahr dieser institutionellen Lösung Sie müßten den politischen und gesellschaftlichen wird gesehen, dass Formen der Integration, die auf Veränderungsprozessen angepaßt werden und von partikularen Gruppenmerkmalen beruhen, zur dauer- den Mitgliedern einer geteilten Gesellschaft immer haften Segregation der Gesellschaft entlang dieser wieder neu verhandelt werden.16 Unterscheidung führen können. Alle politischen Häufig ist auch umstritten, ob tatsächlich inter- Themen würden während der Aushandlungsprozesse ethnische Differenzen und die mangelnde Integration zwischen den auf Profilierung orientierten ethnisch von Minderheiten der Auslöser für den Ausbruch ei- definierten Parteien »ethnisiert«. Außerdem setze er nes offenen ethno-politischen Konfliktes waren.17 Das für die politischen Eliten Anreize zur Eskalation durch ethno-politische Potential in einer Gesellschaft kann immer weiter reichende Forderungen, welche zur auch von politischen Unternehmern genutzt und ein Wählerbindung beitragen sollen. Der Trend zur Konflikt von diesen bewusst herbeigeführt werden. Verstärkung des Separatismus und zur staatlichen Allerdings stellt sich die Frage, ob sich dadurch die Desintegration werde somit unterstützt. Eine große Ausgangslage für externe Akteure ändert. Wenn der Koalition möglichst aller Konfliktparteien kann solche Konflikt bereits eskalierte und die Eliten die jeweiligen Effekte jedoch eindämmen. Bevölkerungsgruppen erfolgreich hinter sich versam- Die individuelle Autonomie werde durch die Fest- meln konnten, ist dies in der Mehrzahl der Fälle wohl schreibung einer (ethnischen) Gruppenidentität unter- zu verneinen. Sind die Gruppeninteressen bereits miniert. Gesamtgesellschaftliche Themen würden in etabliert, sind sie von außen kaum effektiv in Frage zu den Hintergrund geraten und organisierte Interessen stellen. Dann gilt, dass einmal geschaffene Realitäten jenseits der Gruppe würden geschwächt oder am Ent- anerkannt werden müssen. stehen gehindert. Durch die Förderung der politischen Ob und unter welchen Umständen Power-Sharing- Partizipation und die Ausdifferenzierung gesellschafts- Modelle tragfähige Konzepte für die Befriedung von politischer Institutionen kann zur Begrenzung der Eli- interkulturellen oder interethnischen Konflikten dar- tenmacht beigetragen werden. Das Ziel liegt dabei in stellen, ist an vielen Fallbeispielen untersucht worden. einem Individualisierungsprozeß, der allerdings auch Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass Power- die Allgemeinverbindlichkeit der durch gütliches Ein- Sharing ein großes Potential hat, zur kurz- bis mittel- vernehmen zwischen organisierten Gruppeninteres- fristigen Befriedung eines ethnopolitischen Konflikts sen erzielten Ergebnisse zunehmend in Frage stellt. beizutragen.18 Gleichzeitig wird jedoch angezweifelt, Dies wiederum kann als Chance für eine Hinwendung dass derartige Machtteilungskonzepte langfristig den zu mehr individueller Verantwortung in Politik und Frieden sichern und zur Demokratisierung beitragen.19 Gesellschaft und die Durchbrechung von monopoli- sierten Gruppeninteressen verstanden werden. 16 Ian O’Flynn/David Russel (Ed.), Power Sharing: New Chal- Vetoregeln würden den Minderheitenparteien die lenges for Divided Societies, London 2005, S. 3. Möglichkeit zur »politischen Erpressung« geben und 17 Beverly Crawford: »Explaining cultural conflict in Ex-Yugo- slavia: Institutional weakness, economic crisis, and identity erschwerten die Konsensbildung. Reformen blieben politics«, in: Beverly Crawford and Ronnie D. Lipschutz so stecken oder würden verlangsamt, im Extremfall (eds.): The Myth of »Ethnic Conflict«. http://www.southeas- komme es zu einem »Kalten Frieden« und allseitiger teurope.org/documents/The%20Myth%20of%20_Ethnic% Frustration. Power-Sharing verhindere somit die Bear- 20Conflict_.htm. Zu weiteren möglichen Ursachen vergl. beitung der dem Konflikt zugrundeliegenden Hinter- Sabine Kurtenbach/Peter Lock (Hg.), Kriege als (Über)Lebens- welten – Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und In- gründe. Zusätzlich verschärft werde dies durch die seln der Zivilität, Bonn 2004. Globalisierung, welche zur Partikularisierung von 18 Kritisch dazu: Philip G. Roeder/Donald Rothchild (ed.), Sus- Identitäten beitrage. Allerdings kann sie auch Koope- tainable peace: power and democracy after civil wars, New rations- und somit Reformzwänge auf Konkordanz- York 2005. Auch Anna Jarstad: Power Sharing for Peace and systeme ausüben. Der Mangel an Effizienz von kon- Democracy?, paper presented at the 47th annual meeting kordant verhandelten Entscheidungen in einer inter- of the International Studies Association, San Diego, USA, 22–25 March 2006. http://www.pcr.uu.se/publications/other nationalisierten und interdependenten Welt kann _pub/PS%20Jarstad%20ISA%20and%20Vail.pdf. einen heilsamen Reformdruck aufbauen, kann aber 19 Vergl. Timothy D. Sisk, »Power Sharing.« Beyond Intractabil- auch zu krisenhaften Gegenreaktionen führen. ity. Eds. Guy Burgess and Heidi Burgess. Conflict Research Fraglich ist, ob direktdemokratische Regelungen Consortium, University of Colorado, Boulder. Posted: Sep- wie Volksabstimmungen Power-Sharing-Vereinbarun- tember 2003. und P. G. Roeder/D. Rothchild (ed.), Susta- gen bedrohen und deshalb qualifizierte Fragen der inable peace, S. 320 ff. Reichweite von Referenden entzogen werden sollen.
Internationale Politikanalyse 7 Hier können sowohl negative (Annan-Plan in Zypern, Krisenpolitik zum Erfolg geführt werden. Deutsch- Neuabgrenzung der Gemeinden in Makedonien laut land, als ein Motor der ESVP, hat daran ein besonderes Ohrid-Abkommen) als auch positive Beispiele (Refe- Interesse. renden sind in der Schweiz ein Garant für die Kon- In Bosnien und Herzegowina und in Makedonien sensfindung in den Institutionen) gefunden werden. sind Power-Sharing-Modelle die Grundlage der Kon- Komparative Forschungen fehlen hier bisher.20 Zumin- fliktbeilegung gewesen. Die Implementierung und dest besteht die Chance, dass der Tendenz zum Eli- Überwachung der Friedensordnung wurde und wird tenkartell (vor allem in Kleinstaaten) durch Einführung von deutscher Seite auf vielfältige Weise begleitet. Die von direktdemokratischen Elementen entgegen getre- im Falle Bosniens deutlich sichtbaren Schwächen der ten wird. Schließlich müssen die Eliten in der politi- Staatsordnung mit seinen sich gegenseitig blockieren- schen Verantwortung beweisen, ob sie ihren Ankün- den Institutionen darf nicht darüber hinwegtäuschen, digungen und Ansprüchen gerecht werden. Verfehlen dass darin immerhin der Schlüssel zur Beendigung ei- sie dieses Ziel, so besteht zumindest die Möglichkeit nes jahrelangen, blutigen Krieges steckte. Reformen des Elitenwechsels oder der Entstehung von Alterna- sind zweifellos dringend notwendig, müssen jedoch tiven. in eigener Verantwortung getroffen werden. Die Im- plementierung des Ohrid-Abkommens wiederum hat sich als Erfolg erwiesen, auch wenn in Teilbereichen 2. Deutschland setzt auf Prävention Anpassungen als sinnvoll erscheinen, um den Geist des Abkommens weiter mit Leben zu erfüllen und die Über die Mitgliedschaft in Internationalen Organisa- allgemeine Akzeptanz zu erhöhen. tionen ist Deutschland weltweit entweder mittelbar Die deutsche Außenpolitik sieht in der Herstellung als Beitragszahler oder unmittelbar mit zivilem und verlässlicher staatlicher Strukturen, der Verrecht- militärischem Personal in den institutionellen lichung der Konfliktaustragung, insbesondere in (Wieder-)aufbau von Post-Konflikt-Staaten involviert. Maßnahmen zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit, Dies sind vor allem die VN, die OSZE, die G8, die der Einhaltung der Menschenrechte vor allem im NATO, die EU und der Europarat.21 Die Präsenz von Sinne der Gleichberechtigung der Geschlechter, des Bundeswehrsoldaten in internationalen Friedensein- Minderheitenschutzes und der Religionsfreiheit eine sätzen ist besonders ausgeprägt auf dem Westlichen Priorität ihrer Krisenpolitik. Im Aktionsplan »Zivile Kri- Balkan. Deutsche Soldaten sind bis heute in Bosnien senprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsoli- und Herzegowina und im Kosovo stationiert, sie dierung« wird dieser Ansatz detailliert dargelegt. waren es nach 2001 auch in Makedonien. Aber auch Dort ist auch die Rede von der Entwicklung von stan- deutsche Polizisten sind bis heute in der Region tätig. dardisierten oder modellhaften Verfahren zum Schutz Die geographische Nähe des Balkan zu Deutschland und zur Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit in und die Erfahrung mit den kriegsbedingten Flücht- Post-Konflikt-Situationen. Hier wird der Schwerpunkt lingsströmen legt nahe, in der Absicherung und Sta- allerdings alleine auf die Einbeziehung von Rechts- bilisierung der Region einen Schwerpunkt zu setzen. staatselementen in VN-Friedensmissionen und die Neben den Ausgaben für das Militär sind aber auch Einrichtung provisorischer gerichtlicher Strukturen umfassende Finanzhilfen zum Wiederaufbau der gelegt. Wohn- und Verkehrsinfrastruktur und der staatlichen Daneben werden erwähnt: die Stabilisierung der Institutionen geflossen. Durch die Hilfen der EU ist Sicherheitsstrukturen, die Schaffung von Friedenspo- Deutschland über den bilateralen Beitrag hinaus fi- tenzialen in Zivilgesellschaft, Medien sowie Kultur und nanziell und politisch engagiert. Die erfolgreiche Be- Bildung, (auch durch die internationale Vernetzung), friedung der Region gilt als Prüfstein der Europäischen die Sicherung von Lebenschancen in Wirtschaft und Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). Insbe- Umwelt, die Stärkung der globalen Ebene – Vereinte sondere der Fall Makedonien, wo die EU maßgeblich Nationen, der Ausbau der regionalen Ebene – Euro- am Zustandekommen des Friedensabkommens von päische Union, die Unterstützung für Afrika – (Sub-) Ohrid beteiligt war, soll als Modellfall einer geglückten Regionalorganisationen und der Ausbau der nationa- len Infrastruktur für zivile Krisenprävention. 20 Das »International Journal on Multicultural Societies« (IJMS) Minderheitenrechte finden Erwähnung, allerdings der UNESCO hat zu einem solchen Forschungsprojekt auf- ohne auf die Frage politischer Vertretungsansprüche gerufen. www.unesco.org/shs/ijms/thematic_outline. einzugehen. Weder gibt es eine Festlegung auf den 21 Details zu den Aktivitäten und zur deutschen Beteiligung auf der Web-Site des Auswärtigen Amtes: https://www.diplo.de/ Schutz von kulturellen Rechten, wie sie völkerrechtlich diplo/de/Aussenpolitik/FriedenSicherheit/Krisenpraevention/ verbindlich sind, noch wird darauf eingegangen, ob InstrumenteInternational.html politische Gruppenrechte zur Befriedung von Konflik-
8 Stefan Dehnert »Demokratieförderung in Post-Konflikt-Gesellschaften – Konkordanzdemokratie als Konfliktlösungsmodell?« ten aktive Unterstützung finden sollen. Im ersten Be- 200 Ländern dieser Erde verteilt leben rund 5000 ver- richt der Bundesregierung über die Umsetzung des schiedene ethnische Gruppen. Viele von diesen sind Aktionsplanes vom Mai 200622 wird im Abschnitt Opfer von Ausgrenzung oder haben nur sehr einge- »Demokratisierungshilfe und Demokratieförderung« schränkte Beteiligungschancen in Staat und Gesell- auf das Ziel der Bundesregierung verwiesen, »die schaft.24 politische Partizipation aller gesellschaftlicher Grup- Die Globalisierung wird auch weiterhin zur Auflö- pen in jungen Demokratien« zu unterstützen. Der sung staatsbürgerlicher Identitäten beitragen, die sich Bezug zu institutionellen Lösungen im Sinne von an nationalen Grenzen orientieren. Die verminderte Power-Sharing-Modellen wird jedoch nicht explizit Leistungsfähigkeit des Nationalstaates gegenüber sei- hergestellt. nen Bürgern und die Auswirkungen der zunehmen- Durch die Unterstützung der Implementierung des den Migration führen zu Reaktionen im Sinne einer Power-Sharing-Modells für Makedonien und Bosnien Suche nach neuen Orientierungspunkten. Eine Mög- und Herzegowina zeigt Deutschland jedenfalls im Ein- lichkeit ist die Selbstdefinition nach ethnischen oder zelfall, dass es Power-Sharing mit Elementen von spe- religiösen Kriterien. Dies lässt sich beispielsweise in ziellen Gruppenrechten für notwendig erachtet, um den Migrantencommunities in Deutschland beobach- in geteilten Gesellschaften das Zusammenleben der ten, die sich zunehmend über ihre Religionszuge- sich gegenüberstehenden Gruppen zu ermöglichen. hörigkeit definieren.25 Die Vorstadt-Revolten in Paris Im Rahmen der VN hat Deutschland die »Global Part- zeigen darüber hinaus, dass der republikanische Staat nership for the Prevention of Armed Conflict« (GPPAC) im Beharren auf die von ihm garantierten, formal glei- unterstützt, deren globale Agenda auch auf die poli- chen Rechte nicht in der Lage ist eine Reihe von Pro- tischen Rechte der Minderheiten eingeht und Power- blemen zu lösen. sharing als möglichen Schlüssel zur Schaffung von In Zukunft wird man sich also eher mehr als weni- Frieden zwischen Volksgruppen erwähnt.23 ger mit dem Problem von Gruppenkonflikten in Staa- ten konfrontiert sehen. Auf der Basis dieses Befundes folgen nun zwei Szenarien für die Entwicklung inner- 3. Frieden und Demokratie durch staatlicher Konflikte. Einmal gelingt es, dank Power- Power-Sharing? Zwei Szenarien Sharing-Vereinbarungen zu mehr Inklusion und Ge- rechtigkeit zu gelangen. Die Folge sind Stabilität im Auch wenn eine Vielzahl von ethno-politischen Kon- Innern und Inklusion der Minderheit. Im anderen Fall flikten in der unmittelbaren Folge des Zusammen- zerren innere und äußere Faktoren an der Integra- bruchs des Ostblocks stattfanden, so ist doch nicht tionsfähigkeit des Staates bis er in seiner Integrität in davon auszugehen, dass sich mit der Stabilisierung Frage gestellt wird. der neu entstandenen Staaten und der Konsolidie- rung der Demokratie in den Transformationsstaaten, welche in den alten Grenzen fortbestehen, die globale 3.1. Szenario I: Inklusion durch Power-Sharing Herausforderung innerstaatlicher Konflikte erledigt und erfolgreiche Etablierung von inter- haben wird. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen mediären Organisationen und Indizien. Auf dem afrikanischen Kontinent bei- spielsweise ist nicht absehbar, dass die Infragestellung Die Einführung der Konkordanzdemokratie schafft im der kolonialen Grenzen durch ethnische Selbstbestim- von Gruppenkonflikten betroffenen Staat die Rah- mungsforderungen von Teilen der Eliten ein Ende neh- menbedingungen sowohl für Stabilisierung als auch men wird. Einige autoritär geführte Staaten haben Demokratisierung. Die Elite wurde erfolgreich in die demokratische Transformationsprozesse noch vor Formulierung der neuen institutionellen Ordnung ein- sich, die häufig mit der Wieder- oder Neuerfindung gebunden und somit auf das neue Modell verpflich- von ethnischen Gruppen einhergehen. Auf knapp tet. Das »Ownership« für die Implementierung des neuen Systems wurde in die Hände lokaler Kräfte ge- 22 1. Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Ak- geben. Die internationale Gemeinschaft stützt das tionsplans »Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Frie- denskonsolidierung«, S. 38. http://www.auswaertiges-amt. 24 UNDP 2004: »Kulturelle Freiheit in unserer Welt der Vielfalt. de/diplo/de/Aussenpolitik/FriedenSicherheit/Krisenpraeven- Bericht über die menschliche Entwicklung 2004«, Berlin: tion/Aktionsplan1BerichtBuReg0506.pdf. Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen. 23 GPAAC-Weltkonferenz vom 21.-24. Juli 2005. A Global 25 Lale Akgün: Der Islam in Europa – Von der Dekonstruktion Action Agenda for the Prevention of Violent Conflict, 4.2.4. eines Feindbildes zu einer partnerschaftlichen Hinwendung. Effective Participation and Equality, 4.2.5. State effectiveness In: Internationale Politik und Gesellschaft, Friedrich-Ebert- and democratic governance, http://www.gppac.net/ Stiftung (Hg.), 3/2006, S. 150.
Internationale Politikanalyse 9 Abkommen durch politische und wirtschaftliche Hilfe Die sich dadurch etablierenden Strukturen lassen sich und ein Monitoring der vormals verfeindeten Seiten. nur sehr schwer wieder aufbrechen. Die Selbstorganisation von gesellschaftlichen Inte- Die Festschreibung der Gruppenrechte führt ressen abseits der ethnischen oder religiösen Grup- schließlich dazu, dass die gesamte gesellschaftliche penzugehörigkeit findet nach einer Konsolidierungs- Ordnung sich entlang dieser Gruppen organisiert. Das phase parallel zum Power-Sharing statt. Intermediäre Entstehen einer gesamtstaatlichen, bürgerschaft- Organisationen (Verbände, Gewerkschaften, etc.) bie- lichen Kultur wird dadurch verunmöglicht. Intermedi- ten den Angehörigen der vorher im Konflikt befind- äre Organisationen (Verbände, Gewerkschaften, etc.) lichen Gruppen die Möglichkeit, individuelle Vorstel- werden in ihrem Entstehen behindert oder können die lungen jenseits der spezifischen Gruppeninteressen ihnen zugedachte Rolle nicht wahrnehmen. Die Politik einzubringen. Es besteht die Chance mit Angehörigen der Parteien wird durch die Berufung auf ethnische anderer Gruppen in Kontakt zu kommen und gemein- Interessen definiert. Extremistische Parteien werden sam für gesellschaftliche Ziele zu kämpfen. dadurch gefördert. Insbesondere in Wahlkampfzeiten Die Dezentralisierung führt nicht zu einer Abtren- überbieten sie sich an Radikalität. Das Gemeinwohl nung nach ethnischen Grenzen und die dezentralisier- aller Bürger gerät zunehmend in den Hintergrund. ten Politikbereiche können auf der neu errichteten Die Einführung des Konkordanzsystems und die Ebene erfolgreich etabliert werden. Lokale Kontroll- Einbeziehung Angehöriger aller Gruppen in die Ver- mechanismen entwickeln sich gut und eine politische waltung und Staatsbetriebe führt zu Kosten, welche Kultur der Partizipation und Konsensfindung auch auf das Staatsbudget überlasten. Für Investitionen und kommunaler Ebene fasst allmählich Fuß. Sozialleistungen bleibt kein Raum, Arbeitslosigkeit Nach Konsolidierung der Konkordanzdemokratie und Armut gefährden den sozialen Frieden in der ge- erweist sich das Modell als ineffizient und den ökono- samten Bevölkerung. Die durch die Globalisierung mischen und gesellschaftlichen Erfordernissen des steigenden Effizienzanforderungen an den Staat kön- Landes nicht gewachsen. Der Globalisierungsdruck nen durch das Power-Sharing-Modell nicht gelöst schwächt die einvernehmlichen Verhandlungssysteme werden. Die Leistungen für den Bürger werden re- derart, dass sie sich als nicht tragfähig erweisen. duziert, politische Entscheidungen können nicht Daraus ergibt sich die Chance einer an rationalen adäquat und schnell genug getroffen werden. Die Maßstäben orientierten Verfassungsdebatte, welche Rücksicht auf Partikularinteressen führt zum Verlust ethnische, religiöse oder regionale Kriterien in den der Wettbewerbsfähigkeit auf dem globalen Markt. Hintergrund drängt. Die Eliten können sich auf eine Die Abhängigkeit von internationaler Hilfe perpetuiert zukunftsweisende Agenda einigen, die allen Seiten sich in dem wirtschaftlich schwachen Post-Konflikt- zugute kommt. Die Notwendigkeit der Reformen Staat, eine Renten-Ökonomie entsteht. kann der Bevölkerung unabhängig von ihrer Grup- Die Dezentralisierung und Stärkung der kommu- penzugehörigkeit erfolgreich vermittelt werden. Ge- nalen Selbstverwaltung reduziert die Loyalität zum genkräfte können von den die Gruppen führenden Gesamtstaat und stärkt die Sezessionsbestrebungen. Eliten erfolgreich diskursiv isoliert werden. In den kompakten Siedlungsgebieten der ethnischen Minderheit kommt es zu einer verdeckten oder offe- nen Kantonalisierung. Der Druck aus einem oder 3.2. Szenario II: Segregation der Gesell- mehreren Lagern ethnischen, religiösen oder regiona- schaft und Schwächung der staatlichen len Hintergrundes bleibt konstant oder verstärkt sich Strukturen und kann die jeweils relevante Volksgruppe erfolg- reich hinter die proklamierten Interessen vereinigen. Die Mehrheitsbevölkerung erfährt den Systemwechsel Nach dem Muster der »Salamitaktik« werden dem als das Erzeugnis internationalen Drucks. Diese fühlt Zentralstaat Stück für Stück weitere Desintegrations- sich in ihren Interessen übergangen, lokale Gegeben- schritte abgerungen. In diesem Szenario wird die Re- heiten und Voraussetzungen seien nicht adäquat be- gionalisierung der Anfang eines Prozesses, der über rücksichtigt worden, es sei eine Entwicklung vorweg- Autonomie schließlich zu Sezessionsbestrebungen genommen worden, die mehr Zeit und »Ownership« führt. in Anspruch genommen hätte. Das »neue« Demokra- tiemodell führt zu Frustration und zur Diskreditierung der Demokratie insgesamt. Der Staat wird in seiner Integrität in Frage gestellt und damit geschwächt. Die Korruption floriert und rechtsfreie Räume geben der organisierten Kriminalität reichlich Betätigungsraum.
10 Stefan Dehnert »Demokratieförderung in Post-Konflikt-Gesellschaften – Konkordanzdemokratie als Konfliktlösungsmodell?« 4. Power-Sharing als Teil einer liche Standards erfüllen. Die »State Failure Task Force« Gesamtstrategie des gesellschaft- an der Universität Maryland listet als solche auf: die lichen Ausgleichs – Handlungs- Beteiligung am Welthandel, ein Mindestmaß an optionen für die deutsche Politik Grundbedürfnisbefriedigung, die Einbettung in sta- bile regionale Zusammenhänge und die Beteiligung Angesichts einer Vielzahl von fragilen Staaten und der an internationalen Organisationen.27 Die soziale und Tatsache, dass in einigen Weltregionen schwache ökonomische Förderung der Post-Konflikt-Staaten als bzw. versagende Staaten »schon seit Jahrzehnten zur Zielländer deutscher Entwicklungsarbeit ist ein unver- Normalität der Nord-Süd-Beziehungen«26 gehören, zichtbarer Teil einer Gesamtstrategie zur dauerhaften erscheint die Frage, ob konkordanzdemokratische Stabilisierung. Verfahren einen Lösungsansatz für Post-Konflikt- Was bei aller institutionellen Unterstützung und Gesellschaften darstellen, die offene Unterstützung ökonomischer Flankierung nicht vergessen werden und Förderung erfahren sollen oder ob sie als Anoma- darf, ist die Notwendigkeit der Versöhnung. Sie legt lie der repräsentativen Demokratie anzusehen ist, de- mitunter erst den Grundstein für eine allmähliche Auf- ren Förderung deshalb in Frage steht, als eher akade- lösung der durch den Konflikt und seine Vorgeschichte misch. Die Alternative besteht in der massiven Präsenz entstandenen gesellschaftlichen Abgrenzungen. Für ziviler und militärischer Interventionskräfte, welche die darüber hinaus notwendigen vertrauensbildenden die Gewährleistung von Sicherheit und Menschen- Maßnahmen zwischen den verfeindeten Gruppen rechten garantieren. Ein solches Engagement ist nicht gibt es eine Reihe von erprobten Instrumenten. möglich und auch nicht wünschenswert. Rechte und Die Frage, die sich die deutsche Außenpolitik stel- Interessen der Minderheiten müssen deshalb durch len muss, ist, ob sie weiter ad hoc auf ethno-politische verbindliche Vereinbarungen geschützt werden und Krisen wie im Westlichen Balkan reagieren will, oder Institutionen zum Ausgleich mit den Mehrheitsinter- ob sie aus den eigenen und fremden Interventionser- essen beitragen. fahrungen Konsequenzen zieht und ein Konzept zur Ohne eine Einhegung des Konflikts und stabilisierte Demokratisierung in Post-Konflikt-Gesellschaften ent- Verhältnisse zwischen den Konfliktparteien fehlen die wickelt, das allen Akteuren deutscher EZ als Orientie- Grundvoraussetzungen sowohl für einen nachhal- rungspunkt dienen könnte. Das vom BMZ in Auftrag tigen Demokratisierungsprozess als auch für wirt- gegebene Diskussionspapier »Förderung von Good schaftliche Entwicklung. Der behauptete Gegensatz Governance in Nachkriegsgesellschaften« aus dem von Power-Sharing und Reformen lässt außer acht, Jahr 2005 weist in diese Richtung und führt als Teil dass in Post-Konflikt-Gesellschaften meist das eine einer umfassenden Strategie explizit die Berücksich- ohne das andere schlicht nicht möglich ist. Die Fin- tigung der »ethno-politische(n), ethno-soziale(n), dung eines übergreifenden Konsenses mag zeitauf- ethno-nationale(n) und ethno-regionale(n) Struktur wendig sein, er stellt Reformen jedoch auf eine Basis, eines Gemeinwesens« an und nennt als relevantes die von einer breiten Mehrheit verantwortet wird und Modell der Machtteilung in multi-ethnischen Staaten deshalb auch Aussicht auf weitgehende Akzeptanz die Konkordanzdemokratie.28 Nachhaltige Befriedung innerhalb aller Bevölkerungsgruppen hat. Aufgrund von Konflikten in multiethnischen Gesellschaften sei der Konflikt- und Ausgrenzungserfahrung müssen für nur möglich, »wenn neben der Stärkung des Minder- die Minderheit(en) zunächst Anreize geschaffen wer- heitenschutzes die Organisation und Verteilung der den, um Vertrauen in die staatlichen Institutionen Macht in multiethnischen Staaten neu gestaltet wird. (wieder) aufzubauen. Investoren werden ohne eine Dafür gibt es zwei Ansatzpunkte: Machtteilung durch Konfliktbeilegung, die auch die sich in der Minderheit Gruppenautonomie oder durch integrative Dezentra- befindende Konfliktpartei umfasst, einen Bogen um lisierung«. Als Nachteil der Gruppenautonomie wird das Land machen. Und dies auch bei formalen rechts- die Verfestigung ethnischer Spaltungen konstatiert, staatlichen Garantien für ihre Investitionen. der Dezentralisierung hingegen wird bei guter Vorbe- Weiterhin gilt, dass Stabilität in fragilen Staaten mit reitung das Potential zugeschrieben, neben der Be- ethno-politischen Konflikten auch durch Mechanis- friedigung von Selbstbestimmungsbedürfnissen auch men der Konkordanz nicht nachhaltig erreicht werden kann, wenn die Rahmenbedingungen nicht wesent- 27 Jack A. Goldstone u. a., State Failure Task Force Report: Phase III Findings, 2000, S. 38–40. 26 T. Debiel/S. Klingebiel/A. Mehler/U. Schneckener: Zwischen 28 »Förderung von Good Governance in Nachkriegsgesellschaf- Ignorieren und Intervenieren – Strategien und Dilemmata ten«, hg. von der GTZ, Eschborn 2005, S. 14 f. https://www. externer Akteure in fragilen Staaten. Hg. von der Stiftung gtz.de/de/dokumente/de-gg-in-nachkriegsgesellschaften- Entwicklung und Frieden, Januar 2005. 2005.pdf
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