Gesundheit Wir denken neu - CHARITÉ 2030

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R E T H I N K I N G H E A LT H

Wir denken
Gesundheit
           neu.
     ­C H A R I T É 20 3 0
        ST RAT EG I S C H E AU S R I C H T U N G D E R
  ­C H A R I T É — U N I V E R S I T Ä TS M E D I Z I N B E R L I N
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Unsere Strategie
auf einen Blick

               WIR DENKEN GESUNDHEIT NEU (RETHINKING HEALTH).
               Die Charité wird treibende Kraft einer werteorientierten Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung
               entlang dreier Prämissen:

                   → Wir begreifen Menschen in all ihren Dimensionen
                     (Human Ecosystem).

                   → Wir erschließen Grenzbereiche
                     (Exploring Boundaries).

                   → Wir begründen unser Handeln wissenschaftlich
                     (Based on Science).
               Für das gemeinsame Ziel, Gesundheit neu zu denken, nutzen wir unsere strukturelle Vielfalt und
               individuellen Kompetenzen.

               2030 IST DIE CHARITÉ — UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN

                   → führend in Ausbildung, Forschung, Translation und
                     Gesundheitsversorgung;

                   → mit ihren Partnereinrichtungen Triebfeder struktureller und
                     inhaltlicher Entwicklung der regionalen und überregionalen
                     Gesundheitsversorgung;
                   → eine konstant innovative und wirtschaftlich gesunde
                     Organisation.

               UNABDINGBARE VORAUSSETZUNGEN ZUR REALISIERUNG
               DIESER ZIELSETZUNGEN SIND:
                   → Exzellente und motivierte Mitarbeiter*innen

                   → sowie eine moderne Infrastruktur.

Unsere Strategie auf einen Blick
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Inhalt

1   Medizin
    im Umbruch                                              88   6    Standorte, Infrastruktur und
                                                                      Wirtschaftlichkeit                                       44
                                                                                                                                44

    1. 1.   Verschiebung im Medical Need                    8        6. 1.   Campus ­Charité Mitte CCM                          46
    1.2.    Chancen und Herausforderungen                            6.2.    Campus Virchow-Klinikum CVK                        48
            des biomedizinischen Fortschritts               9        6.3.    Campus Benjamin Franklin CBF                       50
    1.3.    Veränderungen durch Digitalisierung            10        6.4.    Campus Berlin Buch CBB                             53
    1.4.    Zukunft der Arbeitswelt                        11        6.5.    Wirtschaftlichkeit und Investitionen               53
                                                                     6.6.    Ökologisch nachhaltige Infrastruktur               54
                                                                     6.7.    Modernisierung der IT-Infrastruktur                54

2     Charité
      heute                                                14
                                                           14

    2. 1.
    2.2.
            Die ­Charité als Universitätsmedizin
            Die ­Charité als Impulsgeberin im
                                                           14    7    Interne
                                                                      Transformation                                           56
                                                                                                                                56

            Wissenschafts- und Gesundheitsnetzwerk         16        7. 1.   Prinzipien für die Weiterentwicklung
    2.3.    Forschung                                      16                der Organisation                                   56
    2.4.    Aufgaben in der Vermittlung von                          7.2.    Organisations- und Steuerungsmechanismen           57
            Wissen und Kompetenzen                         17        7.3.    Gesprächspartnerin für Politik und Gesellschaft    57
    2.5.    Medizinische Versorgung                        18        7.4.    Schnittpunkt an horizontaler und vertikaler
    2.6.    Infrastruktur                                  19                Vernetzung                                         58
                                                                     7.5.    Marke und Kommunikation                            58
                                                                     7.6.    Organisationskultur                                59

3     Vision und Zielbild ­
      Charité 2030                                         20
                                                            20

    3. 1.
    3.2.
            Vision
            Zielbild
                                                           20
                                                           23
                                                                 8     Zusammenfassung
                                                                       und Ausblick                                            61
                                                                                                                               61

    3.3.    Überblick: Die Strategiefelder                 24                Glossar                                            64
                                                                             Impressum                                          68

4     Strategiefelder in der
      Gesundheitsversorgung
      und Biomedizin                                       26
                                                            26

    4. 1.   Medizin der Zukunft                            26
    4.2.    Gesundheitsversorgung der ­Charité 2030        31
    4.3.    Innovation und Forschung an der Charité 2030   34

5 Menschen
  Bildung
           und
                                                           40
                                                            40

    5. 1.   Vielfalt, Chancengerechtigkeit und
            Entwicklungsmöglichkeiten                      40
    5.2.    Wissenschaftsorientierung und
            Personalentwicklung an der C­ harité           41
    5.3.    Ausbildung für die Medizin der Zukunft         42

Inhalt
7

Vorwort

          Das Gesundheitssystem in Deutschland muss in den ­kommenden
          Jahren einem massiven Änderungsbedarf gerecht werden.
          Dieser resultiert insbesondere aus den Folgen der demo-
          grafischen Entwicklung, dem Umgang mit Fortschritten in der        Prof. Dr. Heyo K. Kroemer
          Biomedizin und aus der Digitalisierung als zentraler Heraus-
                                                                             Vorstandsvorsitzender
          forderung der kommenden Dekade. Die ­Charité — Universitäts-
          medizin Berlin trägt seit jeher besondere Verantwortung für
          Forschung, Translation, Gesundheitsversorgung sowie Ver-
          mittlung von Wissen und medizinischer Kompetenz. Sie wird
          sich diesen Herausforderungen in besonderem Maße stellen
          und steht darüber hinaus auch intern vor umfassenden               Prof. Dr. Axel Radlach Pries
          Veränderungsprozessen. Zusätzlich hat die COVID-19-Pande-          Dekan
          mie in 2020 gezeigt, dass unsere Organisation in der Lage
          sein muss, mit gänzlich unerwarteten Anforderungen schnell
          und agil umzugehen. Wir erwarten, dass sich aus der steigen-
          den globalen Mobilität und den gesundheitlichen Konsequen-
          zen klimatischer Veränderungen weitere grundlegend neue            Astrid Lurati
          Aufgabenstellungen für unsere Institution ergeben werden.          Vorstand Finanzen
          Um die ­Charité auf diese Veränderungen vorzubereiten, haben       und Infrastruktur
          wir im Vorstand den Strategieprozess ­Charité 2030 initiiert.

          Mit diesem Strategieprozess nutzen wir die Chance, die Ent-
          wicklungen der kommenden Jahre in der Biomedizin und im
          Gesundheitssystem im Interesse der Menschen in Berlin und in       Carla Eysel
          Deutschland mitzugestalten. Unser Anspruch ist es, dies aus
                                                                             Vorstand Personal
          der Position einer international exzellenten Organisation in der   und Pflege
          Biomedizin, als tragende Säule des Gesundheitssystems in
          Berlin und als Teil einer der international führenden Wissen-
          schafts- und Gesundheitsregionen heraus zu leisten.

          In diesem Papier stellen wir die Eckpunkte der strategischen       Prof. Dr. Martin Kreis
          Ausrichtung der ­Charité dar. Neben den strategischen Zielen       Vorstand
          enthalten unsere Ausführungen auch eine Planung zur                Krankenversorgung
          Entwicklung der klinischen Standorte der C  ­ harité in Berlin.
          Der Strategieprozess wurde in der C ­ harité von vielen Füh-
          rungskräften sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aktiv
          mitgetragen. Für diese Unterstützung möchten wir uns an
          dieser Stelle bedanken. Wenn sich wie bisher viele Beschäf-        Prof. Dr. Christopher Baum
          tigte aktiv bei der Weiterentwicklung und Umsetzung der            Vorstand
          Strategie einbringen, wird dies zum langfristigen Erfolg der       Translationsforschungsbereich
          ­Charité beitragen.

Vorwort
8

                                                              sich daraus große Chancen zur Mitgestaltung.
                                                              Daraus leitet sich aber auch ab, dass die ­Charité
                                                              heute beginnen muss, Antworten auf diese
                                                              Herausforderungen der Zukunft zu finden.

1      Medizin im
       Umbruch
                                                              1.1. Verschiebung im
                                                              Medical Need

                                                              In den kommenden beiden Dekaden wird es zu
                                                              deutlichen Veränderungen im medizinischen
Die Rahmenbedingungen für das                                 Bedarf, dem Medical Need der Bevölkerung,

Gesundheitssystem und für die                                 kommen. Diese Veränderungen werden durch
                                                              umfassende globale Entwicklungen wie die weiter
biomedizinische Wissenschaft                                  steigende Mobilität und die Folgen klimatischer

verändern sich in den kommenden                               Veränderungen beschleunigt und häufiger als
                                                              bisher in gesundheitlichen Krisen wie zum Bei-
Jahren extrem schnell und                                     spiel Pandemielagen sichtbar werden. An dieser
                                                              Stelle zeichnen sich vier Entwicklungen ab:
umfassend. Diese Veränderungen
haben weitreichende Folgen für die
Ressourcenallokation in der         → Mehr Patient*innen
Gesundheitsversorgung und die       durch die demografische
Wettbewerbsfähigkeit der            Entwicklung
biomedizinischen Forschung der      Die absolute Zahl älterer Menschen in Berlin-
                                    Brandenburg und in Deutschland wird in den
Universitätsmedizin in Deutschland. kommenden Jahren steigen. Ausgehend von der
                                                              heutigen Inzidenz schwerer Erkrankungen
                                                              bedeutet das zum Beispiel für Berlin eine Zunah-
                                                              me von mehreren zehntausend stationären
         Das Gesundheitssystem in Deutschland steht           Fällen pro Jahr.1 Die meisten dieser Erkrankten
         in den kommenden Jahren vor großen Heraus-           werden zeitgleich mehr als zwei, viele sogar
         forderungen und einem weiter zunehmenden             mehr als vier Krankheitsbilder entwickeln, die
         Veränderungsdruck. Nicht zuletzt die COVID-19-       eine dauerhafte Versorgung notwendig machen.
         Pandemie hat die Stärken, aber auch die              Der Bedarf an stationären Zentren, in denen ­
         Probleme und Risse in diesem System aufge-           eine komplexe und spezialisierte Gesundheits-
         zeigt. Dabei wirkten bereits die ersten Monate       versorgung gebündelt ist, wird steigen.
         der Pandemie wie ein Brennglas auf einige
         Entwicklungen, die sich in der Biomedizin und
         der Gesundheitsversorgung schon seit Jahren          → Zunahme des
         abzeichnen. Andere Fragestellungen wie zum
         Beispiel die künftigen Strukturen der stationären    ­Versorgungsbedarfs für
         Versorgungslandschaft wurden dagegen etwas in
         den Hintergrund gedrängt, werden aber in den
                                                               ­chronisch Erkrankte
         kommenden Monaten umso prominenter auf der           Der medizinische Fortschritt ermöglicht es zuneh-
         Agenda der Entscheidungsträger*innen stehen.         mend, den Verlauf von bisher stark ­einschränkenden
                                                              und fatalen Krankheiten wie zum Beispiel Krebs-
         Aus der Zusammenschau aller Entwicklungen            oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei guter
         wird deutlich, dass sich das Umfeld, in dem die
         ­Charité agiert, massiv wandeln und damit die
                                                              1 Quelle: Modellierung der demografischen Entwicklung Berlins und
          künftige strategische Positionierung der ­Charité   deren Folgen für die erwartete Krankheitshäufigkeit, Unternehmens-
          stark beeinflussen wird. Für die ­Charité ergeben   controlling ­Charité, Februar 2020.

1 Medizin im Umbruch
9

         Lebensqualität über viele Jahre zu stabilisie-     1.2. Chancen und
         ren. Durchbrüche in der Grundlagenforschung        Herausforderungen des
         deuten für die kommende Dekade auf weite-          biomedizinischen Fortschritts
         re Fortschritte hin. Die daraus resultierende,
         veränderte Krankheitslast erfordert in vielen      Die letzten beiden Jahrzehnte waren von außer-
         Bereichen Hochleistungsmedizin, die gleichzeitig   gewöhnlichen Fortschritten in der biomedizini-
         eine akzeptable Lebensqualität gewährleistet.      schen Forschung sowie deren Überführung in die
         Der Ressourcenbedarf, dem das Gesundheits-         klinische Anwendung gekennzeichnet. Moderne
         system für die Versorgung von Patient*innen        Bildgebung, adaptive Krebstherapien oder die
         mit chronifizierten Erkrankungsbildern gerecht     Behandlung von Hepatitis C seien hierfür nur
         werden muss, wird noch weiter zunehmen.            beispielhaft genannt. Erkenntnisse der aktuellen
                                                            Grundlagenforschung und der frühen angewand-
                                                            ten Forschung lassen vermuten, dass sich die
         → Zunehmende Bedeutung                             Intensität und Geschwindigkeit des biomedizini-
                                                            schen Fortschritts fortsetzen oder weiter
         von Prävention im Rahmen                           steigern wird. Für nationale Gesundheits- und
         des demografischen Wandels                         Wissenschaftssysteme und deren Einrichtungen
                                                            birgt dies große Chancen, aber auch fundamen-
         Innovative Konzepte in der Biomedizin werden       tale Herausforderungen:
         es ermöglichen, Mechanismen sowohl zur Prä-
         vention und Früherkennung als auch zur Re-
         generation besser zu verstehen und zu nutzen.      → Zentrale Bedeutung
         Anwendungen werden beispielsweise innovative
         Diagnostik, intelligente Vernetzung von Daten      der Translation für das
         oder Interventionen auf zellulärer und moleku-
         larer Ebene umfassen. Gesunde und Erkrankte,
                                                            ­Gesundheitswesen
         Krankenkassen und Versorger werden dieses          Das Volumen und die Vielfalt der weltweit
         erweiterte Spektrum zur Gesunderhaltung ver-       gewonnenen Erkenntnisse in der Biomedizin
         stärkt einsetzen beziehungsweise anbieten.         werden weiter zunehmen. Der Bedarf, diesen
                                                            Erkenntnisgewinn für die Menschen in der
                                                            regionalen und nationalen Gesundheitsversor-
         → Zunahme ­ambulanter                              gung in gesundheitliches Wohlergehen zu
                                                            übersetzen, wird steigen. Ohne schnelle und
         oder telemedizinischer                             erfolgreiche Translation werden Medical Needs
         ­Behandlungsmöglichkeiten                          nicht gedeckt werden können. Die Überführung
                                                            des verfügbaren Erkenntnisgewinns in die
         Teile der stationären medizinischen Versorgung     medizinische Anwendung wird dabei an organi-
         werden in deutlichem Umfang durch ambulante        satorische, kulturelle wie auch finanzielle
         oder telemedizinische Behandlungsformen            Grenzen stoßen. Institutionen, die erfolgreich an
         abgelöst werden. Bei gleicher oder sogar höhe-     der Überwindung dieser Grenzen arbeiten,
         rer Qualität und geringeren Kosten ist das         werden international an Einfluss gewinnen.
         Ambulantisierungspotential in einigen Fachge-
         bieten hoch. Im internationalen Vergleich hat
         Deutschland hier Nachholbedarf. Sowohl der         → Zunahme
         Kostendruck im Gesundheitssystem als auch die
         Bedürfnisse von Patient*innen werden diese         von ­Forschung an
         Entwicklung in den kommenden Jahren be-
         schleunigen. Für ein exakt aufeinander abge-
                                                            Fächergrenzen
         stimmtes Zusammenwirken stationärer und            In Zukunft werden Erkenntnisgewinn und
         ambulanter Versorgungsangebote werden              Innovation in der Biomedizin zunehmend an
         veränderte Strukturen und Kompetenzen not-         den Grenzen von bisher separaten Fächern
         wendig werden.                                     entstehen. Dies betrifft sowohl Entwicklungen
                                                            innerhalb der Biomedizin – wie zum Beispiel die
                                                            Erforschung der Interaktion zwischen dem

1 Medizin im Umbruch
10

         gastrointestinalen Mikrobiom und Funktionen
         des Gehirns – als auch disziplinübergreifende
                                                              → Quelle für Fortschritt
         Ansätze wie beispielsweise zwischen Physik,          in Diagnostik und Therapie
         Biologie, Informatik und Medizin. Für die Positio-
         nierung einzelner wissenschaftlicher Einrichtun-     Die digitale Verfügbarkeit und Verknüpfung von
         gen hat dies weitreichende Konsequenzen.             Daten wird sowohl in der Versorgung von Patien-
         Verbünde und Einrichtungen, die Interaktions-        tinnen und Patienten als auch in der Forschung
         potentiale nutzen und disziplinäre Hürden            zu neuen Methoden und besseren Ergebnissen
         schnell und effektiv abbauen, werden die Chan-       führen. Beispiele reichen von der Verknüpfung
         cen im Wettbewerb um Erkenntnis und Mittel           relevanter medizinischer Daten für Prävention
         besonders gut nutzen können.                         und Diagnose über den Einsatz von Machine
                                                              Learning in der Pathologie, Radiologie und
                                                              Genetik bis zur algorithmusbasierten Auswer-
                                                              tung von Daten aus Digital Devices chronisch
         → Höherer Legitimations-                             Kranker. Der Einsatz digitaler Technologien wird
         bedarf von Wissenschaft                              zur Grundlage von Qualität und Innovation.

         Innovative Forschung in der Biomedizin wird
         auch zukünftig hohe Investitionen öffentlicher
         Mittelgeber erforderlich machen. Ihre Erkennt-       → Entkopplung von
         nisse werden Einfluss auf politische Entschei-
         dungen und die Verteilung knapper gesellschaft-
                                                              Ort und Person
         licher Ressourcen nehmen. Die negativen              Durch digitale Technologien wird ein größerer
         Konsequenzen fehlerhafter oder voreiliger, aber      Teil der Patient-Arzt-Kontakte nicht mehr am
         auch der Nutzen gut fundierter wissenschaft-         selben physischen Ort stattfinden. Diese Ent-
         licher Erkenntnis wurden bald nach Beginn der        kopplung wird die Organisation der Gesundheits-
         COVID-19-Krise offensichtlich. Im Wettbewerb         versorgung stark verändern. Angereichert durch
         um Finanzmittel wird der Anspruch öffentlicher       automatisierte Assistenzsysteme, algorithmus-
         Geldgeber an die Relevanz und Reproduzierbar-        basierte Diagnosewerkzeuge oder Alltagsdevices
         keit wissenschaftlicher Ergebnisse deutlich          wie Smartwatches wird diese Entwicklung zur
         steigen. Einrichtungen, die durch ihre klare         Etablierung digitaler Behandlungsformen als
         strategische Ausrichtung, ihre Expertise und         dritte Säule neben der ambulanten und stationä-
         ihre Qualität die hohen Investitionssummen           ren Versorgung führen.
         legitimieren und nutzbar machen können,
         werden gestärkt werden.

                                                              → Neue Wettbewerber
         1.3. Veränderungen durch
         Digitalisierung
                                                              und Partner
                                                              Der Nutzen von digitalisierten Daten im Gesund-
         Die Digitalisierung der Medizin wird die zentrale    heitswesen ist – wie in anderen Wirtschafts-
         Herausforderung des Gesundheitssystems im            zweigen – von der Etablierung einer kritischen
         kommenden Jahrzehnt. Viele etablierte Institu-       Masse abhängig. Beispiele dafür sind zentrale
         tionen im Gesundheitswesen und der biomedizi-        Biodatenbanken, standardisierte elektroni-
         nischen Forschung werden sich umfassend neu          sche Behandlungsakten und telemedizinische
         ausrichten müssen, um langfristig erfolgreich        Plattformen für Gesundheitsdienstleistungen.
         weiterbestehen zu können. Global agierende           Diese Critical Mass- und Plattform-Effekte
         Technologiekonzerne werden verstärkt in einzel-      werden sowohl national in der Gesundheits-
         ne Segmente des Gesundheitssystems eintreten         versorgung als auch international in der Wis-
         und dort innovative Dienstleistungen einführen.      senschaft zu massiven Veränderungen im
         Medizin und Forschung werden in 15 Jahren            Wettbewerb und zum ­Markteintritt globaler
         quantitativ, methodisch und technologisch            Technologiekonzerne führen. Langfristig wer-
         radikal digitaler sein als heute. Drei Entwicklun-   den sich entweder monopolistische Struktu-
         gen sind dabei von besonders hoher Relevanz:         ren oder Netzwerkverbünde durchsetzen.

1 Medizin im Umbruch
11

         1.4. Zukunft der Arbeitswelt
                                                            → Starke ­
         Es gibt eine Vielzahl von Hinweisen darauf, dass   Werteorientierung
         sich bereits heute feststellbare, umfassende
         Veränderungen der Arbeitswelt im Gesundheits-      Es zeichnet sich ab, dass gesellschaftliche
         wesen in den kommenden Jahren in voller Breite     Werte jenseits ökonomischer Orientierung
         entfalten werden. Dieser Wandel wird insbeson-     einen stärkeren Einfluss auf individuelle,
         dere durch die Auswirkungen technologischer        aber auch auf politische Entscheidungen
         Entwicklungen wie der Digitalisierung sowie        haben werden. Arbeitgeber*innen werden
         durch die Anwendungsmöglichkeiten Künstlicher      darauf reagieren müssen, indem sie Organi-
         Intelligenz vorangetrieben. Darüber hinaus         sations- und Steuerungsmechanismen
         führen grundlegende Entwicklungen im gesell-       anpassen und die Legitimation ihres Handelns
         schaftlichen Zusammenleben zu neuen Heraus-        transparent machen.
         forderungen – hierzu zählen:
                                                            Aus der Zusammenführung der beschriebe-
                                                            nen Entwicklungen ergeben sich umfassende
                                                            Änderungen für das Gesundheits- und Wissen-
         → Fachkräftemangel                                 schaftssystem in Deutschland.
         durch Demografie
         Die Anzahl von Menschen im arbeitsfähigen
         Alter wird abnehmen. Auch wenn sich das in
         Berlin weniger deutlich als im Bundesgebiet
         zeigen wird, kann sich die Region von dieser
         Entwicklung nicht abkoppeln. Bis 2040 werden
         in Deutschland mehr Menschen den Arbeits-
         markt verlassen als neue Erwerbstätige hinzu-
         kommen. Gut ausgebildete Fachkräfte werden
         entscheidend für die Leistungs- und Wettbe-
         werbsfähigkeit von Gesundheitsversorgern sein.

         → Veränderung von
         ­Berufsbildern
         Die schnelle Zunahme von verfügbarem Wissen
         und Methoden, die Digitalisierung und eine
         veränderte Arbeitsteilung werden in den kom-
         menden Jahren die Berufsbilder und damit auch
         die Ausbildung im Gesundheitswesen umfassend
         verändern. Neue Technologien wie zum Beispiel
         die Künstliche Intelligenz werden den Berufsall-
         tag in den meisten Gesundheitsberufen stark
         beeinflussen. Die COVID-19-Krise hat gezeigt,
         mit welch hoher Geschwindigkeit Anpassungen
         notwendig und möglich sind.

1 Medizin im Umbruch
Die Charité
auf einen Blick
                                                                                        644Auszubildende
                                                                       AUSBILDUNG
                                                                                                > 8.000

                                                                                  9
                                                                                                           Studierende

                                                                                        Ausbildungsgänge
                                                                                        in Gesundheitsberufen

                                                                290
                                                                                       21          Studiengänge

                                                                Professorinnen
                                                                und Professoren

                             4.454                                             4.200
                             Forschende Ärztinnen                                 Veröffentlichungen
                             und Ärzte                                            in wissenschaftlichen
                                                                                  Zeitschriften

                                                         10
                                                                      ERC
                     FORSCHUNG                                        Grants

                                                                                  3/3
                                                                                    Exzellenzprojekte

                                        4/17
                                                                                    (mit/ohne
                                                                                    Sprecherschaft)

                                         Sonderforschungsbereiche
                                         (mit/ohne Sprecherschaft)

Abbildung 1: Kennzahlen der Charité, Stand 2019 2

2 Beschäftigte und Studierende: als Anzahl der Personen; Stationäre
Fälle: ohne außerbudgetäre Fälle; Betten: gemäß Krankenhausplan
KRANKENVERSORGUNG

                                                      4.553     Pflegekräfte

   491          Beschäftigte
                BIH                     154.261                  Stationäre Fälle

TRANSLATION DURCH BIH                             700.819
                                                      Ambulante Fälle

                80             Mio.

    26   Arbeitsgruppen
                               €
                               Budget
                               BIH

         BIH

                                        179Mio. €
                 0,1
                                        Drittmittel
                           Mio.
                           €

                                        3.001
                 Jahresüberschuss

                                                                            Betten

     GESAMT

                                                         2 Mrd.€
                                                         Gesamteinnahmen

          18.700
          Beschäftigte im Konzern
          aus 111 Nationen                      >100
                                                Kliniken und Institute
14

2            ­Charité
              heute
Die ­Charité gehört zu den führenden Einrichtungen in der
biomedizinischen Forschung in Europa und zählt zu den
bekanntesten Krankenhäusern weltweit. Für die
medizinische Versorgung in Berlin nimmt die ­Charité eine
zentrale und koordinierende Rolle ein; darüber hinaus ist
sie ein Knotenpunkt in der Berliner Wissenschafts- und
Start-up-Landschaft. Durch die Integration ihrer
Tätigkeitsfelder legt die ­Charité Grundlagen für Translation
und bietet wissenschaftsbasierte Erkenntnis für
Entscheidungsträger. Die ­Charité ist eine der größten
Ausbildungsstätten für Mediziner*innen und
Gesundheitsfachkräfte in Deutschland. Für die Zukunft der
­Charité wurden verschiedene Entwicklungsbedarfe
 identifiziert, insbesondere das breitere Aufschließen zu
 internationalen Spitzeneinrichtungen in der Forschung und
 die Entwicklung einer kompetitiven Infrastruktur.

           2.1. Die ­Charité als                              ziert sich die ­Charité gegenüber anderen
           Universitätsmedizin                                Einrichtungen des Gesundheitswesens und
                                                              der Biomedizin.
           Die Charité — Universitätsmedizin Berlin inte-
           griert Forschung, Translation, Gesundheitsver-
           sorgung sowie Aus-, Fort- und Weiterbildung        → Weiterentwicklung der
           (Abbildung 2). Die Kombination dieser Tätig-
           keitsfelder ist das Fundament, um Erkenntnisse
                                                              Verbindung von Forschung
           aus der Forschung in die klinische Anwendung zu    und Gesundheitsversorgung
           überführen und Wissen an Ärztinnen und Ärzte,
           Gesundheitsfachkräfte und die Gesellschaft         Die Überführung wissenschaftlicher Erkenntnis
           weiterzugeben. Die strukturellen Grundlagen        aus der Grundlagenforschung über die klinische
           für Translation (einschließlich Wissenstransfer)   Forschung bis zur Behandlung von Patient*in-
           sind ein zentrales Merkmal der ­Charité. Durch     nen lässt sich in keiner anderen Organisations-
           die Verbindung ihrer Tätigkeitsfelder differen-    form so unterbrechungsfrei umsetzen wie

2 ­Charité heute
15

     Abbildung 2: Die Tätigkeitsfelder der Charité

           in der Universitätsmedizin. Klinisch tätige          → Weiterentwicklung der
           Charité-Wissenschaftler*innen kommen in
           ihrer täglichen Arbeit mit dem Bedarf an neuen       Verbindung von Forschung
           Therapieformen in Berührung und können For-
           schungsfragen aus dieser wissenschaftsnahen
                                                                und der Vermittlung von
           Patientenversorgung ableiten. Die Intensität der     Wissen und Kompetenzen
           Translation zwischen Wissenschaft und Versor-
           gung ist ein zentrales Differenzierungsmerkmal       Den Studierenden, Ärzt*innen in Fort- und
           der Universitätsmedizin Berlin. Die Charité          Weiterbildung sowie Auszubildenden in den
           profitiert hierbei von der Integration des Berlin    Gesundheitsfachberufen der Charité werden
           Institute of Health (BIH), ihrer Größe und Fächer-   Kompetenzen in einer Institution vermittelt, die
           vielfalt sowie von der Vielzahl an Spezialisierun-   medizinische Versorgung stetig an neue wissen-
           gen, während Patient*innen zeitnah Zugang zu         schaftliche Erkenntnisse anpasst. Spitzenfor-
           Innovationen erhalten, die dem internationalen       schung trifft auf einige der besten Studierenden
           Forschungsstand entsprechen und für die Be-          und Auszubildenden ihrer Jahrgänge und profi-
           handlung hier in Berlin adaptiert werden. Dies       tiert von interprofessionellen und interdisziplinä-
           gilt besonders für schwere, komplexe und selte-      ren Ansätzen, die nur ein großer Ausbildungs-
           ne Erkrankungen. Parallel hierzu engagiert sich      standort wie die Charité generieren kann.
           die Charité zunehmend für den Transfer von ge-
           sundheitsförderndem Wissen in die Gesellschaft.

2 Charité heute
16

           → Weiterentwicklung                                         2.2. Die ­Charité als Impulsgeberin
                                                                       im Wissenschafts- und
           der Verbindung von                                          Gesundheitsnetzwerk
           Gesundheitsversorgung und                                   Die ­Charité ist für die Wissenschafts- und
           der ­Vermittlung von Wissen                                 Gesundheitsregion Berlin von zentraler Bedeu-

           und Kompetenzen                                             tung. In der biomedizinischen Wissenschaft ist
                                                                       die ­Charité in regionalen Verbünden und Koope-
           Die ­Charité bildet als einer der größten Aus-,             rationen stark vernetzt. Neben der engen
           Fort- und Weiterbildungsbetriebe im deutschen               Zusammenarbeit mit der Humboldt-Universität
           Gesundheitswesen Jahr für Jahr dringend benö-               zu Berlin, der Freien Universität und der Techni-
           tigtes Fachpersonal für die Gesundheitsversor-              schen Universität (Berlin University Alliance)
           gung aus. Die Ausbildung findet in einem Umfeld             umfasst dies Kooperationen mit dem Max-Del-
           statt, das Gesundheitsversorgung auf internatio-            brück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) der
           nalem Spitzenniveau gewährleistet. Darüber                  Helmholtz-Gemeinschaft, mit den Instituten der
           hinaus bietet die ­Charité einen breiten Zugang zu          Max-Planck- und der Fraunhofer-Gesellschaften,
           fachlichen Spezialisierungen. Absolvent*innen               der Leibniz-Gemeinschaft sowie mit dem Robert
           der ­Charité setzen wiederum als Pflegekräfte,              Koch-Institut. In Zusammenarbeit mit der
           niedergelassene oder leitende Ärzt*innen Stan-              Stiftung ­Charité gelingt es zudem, durch innova-
           dards an vielen Orten im Gesundheitswesen. Die              tive Formate den Forschungstransfer in Berlin zu
           ­Charité profitiert dabei selbst von diesem außer-          fördern. Die örtliche Konzentration dieser
            gewöhnlichen Talentpool.                                   Scientific Community ist einzigartig. Mit ihren
                                                                       über 18.000 Beschäftigten gibt die ­Charité an
                                                                       vielen Stellen Impulse für Innovationen und ist
                                                                       eine tragende Säule für die Berliner Start-up-
           → Zukunft der                                               Szene im Segment Gesundheit.
           ­Universitätsmedizin
            in Deutschland und                                         2.3. Forschung
            Rolle der ­Charité                                         Die Forschung der ­Charité gehört bereits heute
           Über die oben beschriebenen Aufgaben hinaus-                in einigen Bereichen zur europäischen und
           gehend übernimmt die Universitätsmedizin in                 internationalen Spitze. Im QS World University
           Deutschland an vielen Stellen Verantwortung,                Ranking 2019 belegt die ­Charité als beste
           um in überregionalen Netzwerken Versorgungs-                deutsche Medizinfakultät Rang 33, im Times
           strukturen mitzugestalten. Dies wurde zuletzt               Higher Education Ranking 2020 als zweitbeste
           während der COVID-19-Pandemie sichtbar, zeigt               deutsche Universitätsmedizin den Rang 44. Zwei
           sich aber auch seit vielen Jahren beim Aufbau               Dimensionen verdeutlichen dies:
           telemedizinischer Versorgungsstrukturen, der
           Koordination onkologischer Netzwerke, in
           gestuften Versorgungskonzepten für Notfälle
           oder in der Pädiatrie. Die ­Charité wirkt in dieser         → Forschungsergebnisse
           Rolle gestaltend in Berlin und bietet als Teil des
           Netzwerks der deutschen Universitätsmedizin
                                                                       mit großer Relevanz
           wissenschaftsbasierte Grundlagen für politische             Die ­Charité zählt heute zu den führenden deut-
           Entscheidungsträger im nationalen und interna-              schen Einrichtungen in der Biomedizin. Im
           tionalen Kontext an.                                        Vergleich deutscher Universitätskliniken wurden
                                                                       beispielsweise in 2017 die Publikationen der
                                                                       Wissenschaftler*innen der ­Charité am häufigs-
                                                                       ten in anderen Artikeln ihres Fachgebiets zitiert.3
                                                                       Es ist der ­Charité in den letzten Jahren auch

           3 Autorenschaft der obersten 10 Prozent der international
           meistzitierten Artikel in den für die Charité relevanten
           Forschungsgebieten (Relative Citation Ratio).

2 ­Charité heute
17

           zunehmend gelungen, zu den Spitzeneinrichtun-                     2.4. Aufgaben in der Vermittlung
           gen in Europa aufzuschließen. Die weltweit                        von Wissen und Kompetenzen
           führenden internationalen Institutionen, beson-
           ders aus dem angelsächsischen Raum, übertref-                     Die Aus- und Weiterbildung von Ärzt*innen und
           fen die ­Charité allerdings noch deutlich.                        Gesundheitsfachkräften gehört zu den Kernauf-
                                                                             gaben der ­Charité. Nicht nur wegen ihres öffent-
                                                                             lich-rechtlichen Mandats trägt sie als eine der
                                                                             größten Ausbildungsstätten im deutschen
           → Hohe Drittmittel-                                               Gesundheitswesen eine besondere Verantwor-
           einwerbung                                                        tung. Ein signifikanter Anteil aller Ärzt*innen in
                                                                             Berlin hat einen Teil der Aus- oder Weiterbildung
           Die C
               ­ harité hat ihre eingeworbenen Drittmittel in                an der ­Charité absolviert. Auch ein überpropor-
           den vergangenen 10 Jahren um 30 Prozent                           tionaler Anteil der Beschäftigten in der Pflege
           gesteigert. Mit einem Verhältnis von 1:0,8                        und in anderen Gesundheitsfachberufen wurde
           zwischen eingeworbenen Drittmitteln und dem                       an der ­Charité ausgebildet. Als Stärken in der
           Landeszuschuss hat die ­Charité im Jahr 2018                      Lehre und Ausbildung werden gemäß einer
           ein Allzeithoch erreicht. Kaum eine andere                        internen Analyse4 die Modellstudienganginitiati-
           Einrichtung der deutschen Universitätsmedizin                     ve, die Qualität der Graduiertenkollegs, die
           kann eine höhere Hebelwirkung der Grundmittel                     Clinician Scientist-Programme sowie der neue
           in Bezug auf die Drittmittel ausweisen. In den                    gemeinsame Bildungscampus mit Vivantes
           letzten drei Jahren konnten dabei insbesondere                    betrachtet. Handlungsbedarf wird in Bezug auf
           die Anteile von Forschungsmitteln der Deut-                       die Weiterentwicklung des Modellstudiengangs,
           schen Forschungsgemeinschaft (DFG) und des                        die Organisation der ärztlichen Weiterbildung
           Bundes gesteigert werden. So führt der Förderat-                  und die Ausdifferenzierung der Berufsbilder in
           las der DFG die ­Charité in Bezug auf die Gesamt-                 der Pflege gesehen. Im Folgenden werden zwei
           mittel mit Abstand an der ersten Position. Auch                   Aspekte kurz hervorgehoben:
           größenadjustiert belegt die ­Charité einen der
           vorderen Plätze. In Bezug auf einige Förderforma-
           te wie Sonderforschungsbereiche mit Sprecher-
           schaft oder Advanced European Research Grants                     → Modernisierte und
           (Advanced ERC) kann die ­Charité ihre Position
           künftig noch weiter ausbauen.
                                                                             vertiefte Studiengänge
                                                                             An der ­Charité waren im Sommersemester 2019
                                                                             über 6.000 Studierende immatrikuliert, davon
           Die interne Analyse4 der Forschung an der C    ­ harité           über 4.700 Studierende im humanmedizinischen
           zeigt als besondere Stärken den direkten Zugang                   und etwas über 500 im zahnmedizinischen
           zur Gesundheitsversorgung, eine global etablierte                 Studiengang. Weitere knapp 800 Studierende
           Reputation, die inhaltliche Exzellenz in einigen                  verteilen sich vorwiegend auf spezialisierte
           Schwerpunkten, eine sehr starke Vernetzung mit                    Master-Studiengänge wie beispielsweise Public
           anderen akademischen Institutionen und die                        Health, Molekularmedizin oder Epidemiologie.
           wissenschaftliche Gestaltungsfreiheit. Als Aufga-                 Mit diesem Angebot trägt die ­Charité maßgeb-
           ben für die Zukunft werden vor allem eine schär-                  lich zur Graduiertenausbildung in der Biomedizin
           fere Profilierung und das Aufschließen weiterer                   bei und zählt hinsichtlich der Anzahl der Studie-
           Forschungsbereiche von der nationalen zur                         renden zu den größten medizinischen Fakultäten
           internationalen Spitze angeführt. Darüber hinaus                  in Deutschland. In den vergangenen Jahren hat
           gilt der Beschluss zur Integration des Berlin                     die ­Charité eine führende Rolle bei der Moderni-
           Institute of Health (BIH) in die C
                                            ­ harité – als dritte            sierung des Studiengangs Humanmedizin einge-
           Säule neben der Versorgung der Patient*innen                      nommen und mit großem Einsatz einen Modell-
           und der Medizinischen Fakultät – als wegweisend                   studiengang für die heutigen Anforderungen des
           für die künftige Ausrichtung der Forschung.                       Arztberufes entwickelt. Dieses kompetenzorien-
                                                                             tierte moderne Curriculum der Humanmedizin
                                                                             muss auch in Zukunft dynamisch an die medizi-
           4 Analyseergebnisse aus Gesprächen mit über 200 Führungskräften
                                                                             nischen und wissenschaftlichen Erfordernisse
           der ­Charité und externen Expert*innen.                           angepasst werden.

2 ­Charité heute
18

           → Großer Ausbildungs-         → Systemrelevanter
           betrieb für Gesundheitsfach- ­Versorger für Berlin
           berufe                        Die ­Charité versorgt mit ihren rund 3.000 Betten
           Die C
               ­ harité übernimmt Verantwortung für die         (davon knapp 450 Intensivbetten), ihren über 60
           Ausbildung von aktuell insgesamt 600 Auszubil-       zentralen OP-Sälen und ihrer diagnostischen und
           denden in über 40 Berufen. Der Schwerpunkt           therapeutischen Infrastruktur Jahr für Jahr über
           liegt hier mit über 550 Auszubildenden – davon       154.000 stationäre Fälle (Abbildung 1). Jede*r
           knapp 350 in der Pflege – auf den Gesundheits-       sechste Berliner*in mit voll- oder teilstationärem
           fachberufen. ­Charité und Vivantes haben Anfang      Behandlungsbedarf kommt in die ­Charité. Dieser
           2020 ihre eigenen Gesundheitsfachschulen in          Anteil liegt bei besonders schweren und komple-
           einen gemeinsamen Bildungscampus überführt:          xen Fällen noch deutlich höher; bei einigen
           den Berliner Bildungscampus für Gesundheitsbe-       Indikationen wie beispielsweise onkologischen
           rufe. Ziel der Ausgründung ist es, einen moder-      Krankheitsbildern wird mehr als ein Drittel aller
           nen, für Lehrende und Lernende attraktiven           Berliner Fälle an der ­Charité behandelt. Nach
           Ausbildungscampus zu schaffen und die Kapazi-        Vivantes ist die ­Charité der größte medizinische
           täten von aktuell etwa 1.700 Ausbildungsplätzen      Versorger der Stadt, dabei übernimmt sie einen
           auf ungefähr 3.000 im Jahr 2025 zu erhöhen.          wachsenden Anteil schwerer Fälle. Darüber
                                                                hinaus verantwortet die ­Charité systemrelevante
                                                                Aufgaben als Dienstleister für die öffentliche
           2.5. Medizinische Versorgung                         Gesundheitsfürsorge wie beispielsweise die
                                                                Organisation und Durchführung der Corona-Test-
           Den größten Teil ihrer Einnahmen erzielt die         strategie für Berlin oder die Sicherstellung der
           ­Charité mit Erlösen aus der Versorgung von          medizinischen Versorgung von Flüchtlingen.
            Patient*innen. Die ­Charité hat in der medizini-
            schen Versorgung einen sehr guten Ruf. So wird
            sie beispielweise für das Jahr 2019 im Ranking
            der Newsweek als das fünftbeste Krankenhaus         → Hochleistungsmedizin
            weltweit geführt und belegt Rang 1 im deutsch-      und Regelversorgung
            landweiten Vergleich des Focus Magazins. In den
            letzten Jahren hat die ­Charité kontinuierlich      Die ­Charité hat sich als medizinischer Maximal-
            mehr Patientinnen und Patienten sowohl ambu-        versorger profiliert. Der Maximalversorgungsan-
            lant als auch stationär versorgt (jährliche         teil am Case Mix der C ­ harité nimmt inzwischen 52
            Wachstumsrate seit 2016 +0,8 Prozent bezie-         Prozent ein. Über die Hälfte des Leistungsgesche-
            hungsweise +1,7 Prozent).                           hens an der C­ harité ist damit auf die Versorgung
                                                                von schweren, komplexen oder seltenen Krank-
           In Gesprächen mit über 200 Führungskräften           heitsverläufen ausgerichtet. Dabei wird dieser
           der C­ harité und externen Expert*innen wurden       Anteil mit nur 20 Prozent der Fälle realisiert, 80
           als Stärken im Bereich der medizinischen             Prozent sind der Regelversorgung zuzuordnen.
           Versorgung unter anderem die Vielzahl hoher          Die Regelversorgung häufiger Erkrankungen ist
           Spezialisierungen, innovative sowie interdiszipli-   relevant für die Aus- und Weiterbildung in vielen
           näre Behandlungskonzepte, die Bedeutung der          medizinischen Berufen sowie für Teilbereiche der
           klinischen Standorte für die lokale Versorgung in    Forschung an der C ­ harité, so zum Beispiel für die
           Berlin und das exzellente Personal identifiziert.    Versorgungsforschung. Im bundesweiten Ver-
           Als Herausforderungen für die nächsten Jahre         gleich der Universitätsklinika weist die C­ harité
           wurden unzureichende ambulante Kapazitäten,          einen Case Mix Index (CMI) von 1,57 aus und liegt
           ein hoher Investitionsbedarf bei der Infrastruk-     damit leicht über dem Durchschnitt.5 Diese
           tur und bisher unzureichend genutzte Potentiale      Kennzahlen verdeutlichen das Spannungsfeld,
           bei der Schwerpunktbildung und Vernetzung            in dem sich die ­Charité bewegt – als spezialisierter
           angeführt. Besonders hervorzuheben ist die           Schwerpunktversorger mit gleichzeitiger Verant-
           Rolle der ­Charité in drei Aspekten:                 wortung für die wohnortnahe Regelversorgung.

                                                                5 Gemäß Vergleichszahlen des Verbands der Universitätsklinika
                                                                Deutschlands für 2018.
2 ­Charité heute
19

          → Spezialisierung mit                              Der Erneuerungsbedarf ist damit sehr hoch. Nur
                                                             15 Prozent der Flächen sind in einem neuwerti-
          überregionaler Bedeutung                           gen oder neuwertig sanierten Bauzustand, das
                                                             heißt nicht länger als 10 Jahre in Nutzung seit
          Knapp 20 Prozent der stationären Patient*innen     Neubau oder Sanierung.
          der Charité reisen für Diagnostik und Therapie
          entweder aus dem weiter entfernten Umland,         Viele Gebäude stehen unter Denkmalschutz.
          aus ganz Deutschland oder dem Ausland an. Sie      Dies führt zu besonderen Herausforderungen im
          suchen die Charité mit überdurchschnittlich        Umgang mit einem weitgehend historischen
          schweren, komplexen oder seltenen Erkrankun-       Gebäudebestand, wie unter anderem überdurch-
          gen auf. Beispielsweise kommen über 60 Prozent     schnittlich hohen Instandhaltungs- und weite-
          aller Patient*innen, die an der Charité aufgrund   ren Betriebskosten, die beispielsweise durch
          bösartiger Neubildungen des Auges, des Gehirns     lange Transportwege und die Reinigung großer
          oder sonstiger Teile des Zentralnervensystems      Verkehrsflächen bedingt werden. Zum anderen
          behandelt werden, von außerhalb nach Berlin.       sind, sofern diese im Einklang mit dem Denk-
          Bei der Behandlung von angeborenen Fehlbildun-     malschutz stehen, besonders massive Eingriffe
          gen des Muskel-Skelett-Systems liegt der Anteil    in die Bausubstanz erforderlich, um Gebäude-
          der von auswärts angereisten Patient*innen bei     strukturen an die Anforderungen zeitgemäßer
          knapp 50 Prozent.                                  Krankenversorgungs-, Forschungs- und Lehrpro-
                                                             zesse anzupassen. Dies betrifft beispielsweise
                                                             die zu geringe Dimensionierung der Zimmer für
          2.6. Infrastruktur                                 die Patientinnen und Patienten oder die Aus-
                                                             stattung mit Sanitärzellen, aber auch die
          Die Gebäudestruktur der Charité ist mit einer      klinischen Funktionsbereiche und Forschungsla-
          Nutzungsfläche von annähernd 500.000 m2,           bore, die heutigen Sicherheitsnormen nicht
          verteilt auf vier Hauptstandorte, durch große      mehr gerecht werden. Die Flächennutzung wird
          Heterogenität und eine Vielzahl architektoni-      aktuell deshalb so ausgelegt, dass die Gebäude
          scher Stilepochen gekennzeichnet. Mehr als die     mit überdurchschnittlich gutem Bauzustand
          Hälfte der Gebäude wurde vor den 1980er-           verstärkt Stationen und hochinstallierten
          Jahren gebaut oder saniert (Abbildung 3).          Forschungsbereichen zugutekommen. Ambulan-
                                                             zen, Lehrräume und Verwaltungsbereiche sind
                                                             zu einem höheren Anteil in älteren Gebäuden
                                                             untergebracht, in denen die geringeren gebäu-
              Abbildung 3: Verteilung der Baujahre           detechnischen Anforderungen noch erfüllt
              beziehungsweise Jahr der letzten Kern-         werden können.
              sanierung aller Gebäude der Charité
                                                             Der Neubau des Forschungs- und Lehrgebäudes
                                                             CharitéCrossOver sowie die Sanierung und der
                                                             teilweise Neubau des Hochhauskomplexes am
                                                             Campus Charité Mitte bildeten den Auftakt zu
                                                             der dringend benötigten baulichen Erneuerung.
                                                             Die Sanierung von Stationen am Campus Benja-
                                                             min Franklin und der Neubau eines Herzzent-
                                                             rums am Campus Virchow-Klinikum sind weitere
                                                             Schritte in Richtung „Neue Charité“.

                  vor 1950    50er- bis 70er-Jahre
                  80er- bis 00er-Jahre    ab 2010

2 Charité heute
20

3             Vision und Zielbild
              ­Charité 2030
3.1. Vision

Die ­Charité strebt an, in der kommenden Dekade treibende
Kraft einer werteorientierten Weiterentwicklung der
Gesundheitsversorgung zu werden und sich als führende
Universitätsmedizin in Ausbildung, Forschung, Translation
und medizinischer Behandlung zu positionieren. Im
Zentrum dieses Ziels steht die Vision Wir denken
Gesundheit neu (Rethinking Health) – einer Medizin der
Zukunft, die entlang von drei wertedefinierenden
Prämissen entwickelt wird.

           → Menschen in all ihren                             Human Ecosystems in den Fokus ihrer For-
                                                               schung, um diese gezielt für die Gesunderhal-
           Dimensionen begreifen                               tung zu nutzen. So werden Therapieansätze der
           ­(Human Ecosystem)                                  personalisierten Medizin weiterentwickelt und
                                                               zur Behandlung relevanter Krankheitsbilder
           Für einen erweiterten Gesundheitsbegriff erfasst    eingesetzt, aber auch präventive und regenerati-
           die C
               ­ harité die Menschen systemisch von ihrer      ve Ansätze zum Erhalt der Gesundheit der
           molekularen Konstitution bis hin zu ihrer persön-   Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der ­Charité
           lichen Umwelt und lässt diese individuellen         erarbeitet. Die ­Charité zielt mit diesem Ansatz
           Dispositionen und Präferenzen in die Ergebnis-      unter anderem darauf ab, vieldimensionale
           orientierung medizinischer Behandlung einflie-      Angebote vorzuhalten, die eine Gesundheitsver-
           ßen. Die Gesundheit eines Menschen – ob im          sorgung unabhängig von physikalischen Orten
           privaten oder beispielsweise auch im Arbeitsum-     oder sektoralen und organisatorischen Grenzen
           feld – wird durch die Kombination genetischer,      ermöglichen. Erst diese Form der Immersion in
           physischer, mentaler, familiärer, beruflicher,      eine Gesundheitsorganisation wird dem An-
           sozio­ökonomischer oder geographischer Aspek-       spruch der Menschen an die Gesundheitsversor-
           te bestimmt. Die Wissenschaftler*innen der          gung der Zukunft entsprechen können.
           ­Charité nehmen relevante Einflussfaktoren des

3 Vision und Zielbild ­Charité 2030
21

           → Grenzbereiche                                      Innovationskultur liegt in den Menschen an
                                                                der C
                                                                    ­ harité – von den Patient*innen über die
           ­erschließen ­(Exploring                             Studierenden und Auszubildenden bis zu den
            Boundaries)                                         Beschäftigten in allen Bereichen und Strukturen.

           An den Grenzflächen zwischen Fächern, Diszipli-      Das Zusammenwirken dieser drei Prämissen
           nen, Institutionen, Sektoren und Professionen        schafft die Grundlage für die strategisch-inhalt-
           liegt das Potential für die Lösung der großen        liche Entwicklung der ­Charité im kommenden
           Herausforderungen der Medizin. Die ­Charité          Jahrzehnt (Abbildung 4).
           strebt an, bestehende Hindernisse und Grenzen
           im heutigen Gesundheitssystem aufzulösen oder
           zu verschieben und damit neue Handlungsspiel-
           räume zu erschließen. Sie löst sich vom herr-
           schenden Krankheitsbegriff als Organdefekt und
           denkt Gesundheit systemisch. Damit bieten sich
           Chancen für wissenschaftliche Durchbrüche,
           neue diagnostische und therapeutische Optionen
           sowie eine umfassende Behandlung für Patien-
           tinnen und Patienten. Die Digitalisierung und
           eine engere Zusammenarbeit zwischen Acade-
           mia und Industrie stärken und beschleunigen
           diese Entwicklungen. Während der COVID-19-
           Pandemie wurde sichtbar, welche Leistungen
           erreicht werden, wenn partnerschaftlich – über
           sichtbare und unsichtbare Grenzen hinweg –
           übergeordnete Ziele verfolgt werden. Dies auch
           in Zukunft zum Handlungsprinzip zu machen, ist
           Teil der Vision der ­Charité.

           → Wissenschaftlich
           ­begründet handeln
            (Based on Science)
           Exzellente Wissenschaft ist das Fundament, um
           Ideen aus der Grundlagenforschung über die
           klinische Forschung in die Anwendung zu über-
           führen. Mutige, innovative Forschungsansätze
           werden dabei direkt von klinischen Fragestellun-
           gen stimuliert. Die ­Charité etabliert und fördert
           ein Forschungsumfeld, in dem die Ansätze
           robuster und die Ergebnisse reproduzierbarer
           werden. So bekennt sich die ­Charité zur wissen-
           schaftlichen Evidenz als belastbarer Grundlage
           für die Übernahme von Verantwortung bei der
           Weiterentwicklung von Biomedizin und Gesund-
           heitsversorgung sowie für die Vermittlung von
           wissenschaftlicher Erkenntnis in die Gesell-
           schaft. Eine Voraussetzung dafür sind vielfältige
           Kooperationen mit Forschungsorganisationen
           und innovativen Unternehmen sowie Start-ups.
           Der Schlüssel zu dieser Wissenschafts- und

3 Vision und Zielbild ­Charité 2030
22

     Abbildung 4: Wir denken Gesundheit neu (Rethinking Health)
23

     3.2. Zielbild

     Wir denken Gesundheit neu.
     Wir sind treibende Kraft der werteorientierten Weiterentwicklung
     der Gesundheitsversorgung.

     → Wir sehen uns in der Tradition von Rudolf Virchow und
     überwinden für eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung
     disziplinäre, konzeptionelle und strukturelle Grenzen. Wir
     verbinden hierbei Wissenschaft und Fürsorglichkeit und
     begreifen die Menschen in ihrer Umwelt und Vielfalt.

     → Wir entwickeln zielgerichtete Therapie- und
     Präventionskonzepte, die möglichst viele Menschen
     erreichen. Wir beteiligen unsere Patient*innen und unsere
     Mitarbeiter*innen aktiv an der Gesunderhaltung und
     Gesundwerdung.

     → Wir zielen auf robuste und relevante Forschungsergebnisse
     und engagieren uns für das Vertrauen in wissenschaftliche
     Erkenntnis. Wir setzen Neues mutig um und verstehen
     Rückschläge als Bestandteil von Innovation.

     → Wir verbessern die klinische Versorgung, indem wir
     wissenschaftliche Erkenntnisse und Kompetenzen über alle
     Karrierestufen, Professionen und Fächergrenzen hinweg
     weitergeben.

     → Wir gestalten Berlin als Zukunftsregion der
     Gesundheitsversorgung. Dafür vernetzen wir Wissenschaft
     und Gesundheitswirtschaft und verbinden Daseinsfürsorge mit
     nachhaltigem, unternehmerischem Handeln.
24

           3.3. Überblick:
           Die Strategiefelder

           Für die Umsetzung ihrer Vision formuliert die
           ­Charité Strategieziele in sechs Strategiefeldern.
            Das zentrale Strategiefeld ist die Entwicklung
            der Medizin der Zukunft. Dieses wird durch
            Aktivitäten in drei Strategiefeldern aus den
            Kernaufgabenbereichen der Universitätsmedizin
            getragen. Die wesentlichen Voraussetzungen für
            die strategische Weiterentwicklung werden in
            zwei ermöglichenden Strategiefeldern geschaf-
            fen (Abbildung 5).

           Um die Strategieziele zu erreichen, müssen
           Ressourcen priorisiert und die Aufmerksamkeit
           der Organisation fokussiert werden. Mit jedem
           beschriebenen Strategieziel sind weitergehende
           Planungen zur Umsetzung und zu Investitionen
           verknüpft. Einige Umsetzungsaufgaben – wie
           beispielsweise Infrastruktur und Personalgewin-
           nung – sind von übergeordneter Relevanz und
           werden als strategische Handlungsfelder zentral
           initiiert und gesteuert (zusammengefasst im
           Kapitel 8).

3 Vision und Zielbild ­Charité 2030
I N N OVAT I O N &
                                                Zukunft                      M E N SC H E N &
25          FO R S C HU NG                         (Kap 4.1)                    B I LDU N G
            an der Charite                                                     an der Charite
              (Kap 4.1)                                                              (Kap 5.)

     Abbildung 5: Die sechs Strategiefelder der Charité 2030
                                                                                                                                      Zentrales
                                                                                                                                     Strategiefeld

                                                                                                                                        T RAGE NDE
                                                                                                                                    ST RAT EGIE FE L DE R
              STA ND O RT E, I NFRAST RU KT U R                       INTERNE
               U ND WI RTS CHAFT L I CHK EI T                   T RA N SFO R M AT I O N                                              E R M Ö GL ICHE NDE
                           (Kap 6.)                                     (Kap 7.)
                                                                                                                                    ST RAT EGIE FE L DE R

                                                                G ES U ND HE ITS-
                                                                 V E R SORG U NG
                                                                      an der Charité
                                                                        (Kap 4.2.)

                                                               Medizin der
                          IN N OVATION &
                                                                Zukunft                                    M E NSCHE N &
                           FORSCH UN G                                 (Kap 4.1.)                             B IL D U NG
                               an der Charité                                                                      an der Charité
                                 (Kap 4.3.)                                                                          (Kap 5.)

                              STA N DORTE, I N FRAST RU KT U R                                        INT E R NE
                               UN D WI RTSCH A FT L ICHKE IT                                    T RA NS FOR M AT ION
                                                 (Kap 6.)                                               (Kap 7.)

3 Vision und Zielbild Charité 2030
26

4           Strategiefelder in der Gesund-
            heitsversorgung und Biomedizin
In drei der insgesamt sechs Strategiefelder formuliert die
­Charité ihre Ziele in der Gesundheitsversorgung und
 Forschung. Im Strategiefeld Medizin der Zukunft wird die
 ­Charité zum Referenzzentrum für Unmet Medical Need. Sie
  richtet den Fokus auf fächerübergreifende Ansätze, versteht
  Gesundheit als aktiven Prozess der Anpassung mit daraus
  folgenden innovativen Präventionsstrategien und setzt auf
  die nutzenorientierte medizinische Versorgung als Leitmotiv.
  Im Strategiefeld Gesundheitsversorgung entwickelt die
  ­Charité eine Medizinstrategie, gestaltet die digitale
   Universitätsmedizin und etabliert sich als Kern eines
   Versorgungsnetzwerks. Im Strategiefeld Innovation und
   Forschung wird die Translation ins Zentrum gestellt, ein
   deutlich erkennbares Forschungsprofil angestrebt und ein
   Bekenntnis zu verantwortungsvoller und robuster
   Wissenschaft formuliert.

           4.1. Medizin der Zukunft                              4.1.1. Referenzpunkt zu Unmet
                                                                 Medical Needs
           Dieses Strategiefeld steht in der kommenden
           Dekade im Zentrum der Ausrichtung der ­Charité.       Unmet Medical Needs sind die Treiber der
           Die vier Strategieziele in diesem Strategiefeld       medizinischen Forschung. Lücken zwischen
           sind darauf ausgerichtet, die Medizin der Zu-         verfügbaren und benötigten Therapieformen und
           kunft zu gestalten. Sie alle verbindet das Prinzip,   Behandlungsstrukturen sind häufig der Impuls-
           die Translation von wissenschaftlicher Erkennt-       geber von Forschungsprogrammen und der
           nis in die klinische Versorgung und den Transfer      Entwicklung medizinischer Innovationen. Die
           von gesundheitsförderndem Wissen in die               Häufigkeit und Schwere von Krankheitsbildern
           Gesellschaft als treibende Kraft für die Gestal-      aus individueller und gesellschaftlicher Sicht
           tung der Gesundheitsversorgung der kommen-            dienen hierbei der Kalibrierung (Abbildung 6).
           den Jahre zu nutzen.                                  Der Nutzen eines Behandlungsansatzes muss
                                                                 sich an der Erfüllung des Bedarfs beweisen.

4 Strategiefelder in der Gesundheitsversorgung und Biomedizin
27

                 Die Charité setzt sich zum                                                               Konkretisierung
                 Ziel, Versorgungslücken                                                                  bis 2030
                 stärker und systematischer
                 als heute zu vermessen und                                                          → Entwicklung von Online-Monitoring-
                                                                                                       Formaten zur Identifikation von Medical
                 zu einer nachvollziehbaren                                                            Needs
                 und transparenten                                                                   → Aufbau von Strukturen in Forschung
                 Bewertung von Diagnostik                                                              und Krankenversorgung zu Unmet Medical

                 und Therapie beizutragen.                                                             Needs, zum Beispiel Clinician Scientist-
                                                                                                       Programm, Patient Reported Outcome-
                                                                                                       Initiative, Patientenbeteiligungsformate,
                 Dafür soll die Perspektive der Patient*innen
                                                                                                       industrieunabhängige klinische
                 stärker als heute in der Forschung und für die
                                                                                                       Studien (IITs)
                 Gestaltung von Versorgung berücksichtigt werden.
                 Als Gegenpol zu privatwirtschaftlichen Unterneh-                                    → Aufbau von Think Tanks zu Unmet
                 men braucht es hierfür Akteur*innen wie die                                           Medical Needs
                 Charité, die sich an diesem Diskurs transparent,
                 wissenschaftsbasiert und ohne dominante kom-                                        → Ausbau von Public Health-Ansätzen zur
                 merzielle Interessen beteiligen und Orientierung                                      Bewertung von Unmet Medical Needs
                 geben können. Angesichts der Herausforderungen
                                                                                                     → Profilierung als Akteurin im internatio-
                 des Gesundheitssystems werden solche Stimmen
                 in den kommenden Jahren für Entscheidungs-                                            nalen Diskurs mit Wissenschaft und Politik
                 träger*innen und Patient*innen an Bedeutung                                           zu Definition und Programmen in Bezug
                 gewinnen. Als öffentliche Einrichtung setzt sich                                      auf Unmet Medical Needs
                 die Charité — Universitätsmedizin Berlin zum Ziel,
                 sich hierbei im Auftrag der Gesellschaft aktiv
                 und effektiv einzubringen.

                                                                                                                 VE RFÜG BARE
                                                                                                                     ANZAHL
                                                                                                                                                              SCH WER E DER
                                                                                                           ZUG ÄNG LI CHE                                      ER KRAN KUN G
Abbildung 6: Unmet Medical Need                   6
                                                                                                                ANZAHL               I NDI VI DUELLER
                                                                                                                                     UNMET ME DI CAL             KRAN KH EITSLAST
                                                                                                       VE RB LEI B E NDE                   NE ED
                                                                                                         MORB I DI TÄT                                            EN D-OF-LIFE

                                                           VERF
                                                             VERFÜGBARE
                                                                    Ü G BARE
                                                                                                           NUTZEN DURCH             Krankheits-                   KR ITER IEN

                                                                                                                                     schwere
                                                               ANZA                                        ALTERNATI VEN
                                                                  AN HL
                                                                     ZAHL                                   SCHWERE
                                                                                                                 SCHWE REDE DE
                                                                                                                             R R      G ESELLSCHAFTLI CHE R
                                                   Z UGÄNGL    ICHE                                            E RKERK
                                                                                                                    RANKUNG
                                                                                                                       RANKUNG           UNME T ME DI CAL
                                                       Z UGÄNGL   ICHE           I NDI  VI DUE LLER
                                                          ANZAHL
 Therapie-                                      VERBL
                                                  VERBL
                                                             ANZAH L
                                                        EIBENDE
                                                     VERF   ÜGBARE
                                                           EIBENDE
                                                                                UNME
                                                                                     I NDI
                                                                                    UNMET
                                                                                           VI DUELLER
                                                                                         T MEME
                                                                                        NE NE
                                                                                               DI CAL
                                                                                            ED ED
                                                                                                  DI CAL          K RANK  HEI TSLAST
                                                                                                                     K RANK HE I TSLAST
                                                                                                                                                NEED

alternativen                                 NUTZ
                                                  M ORBIDIT
                                                     M ORBIDIT
                                                    EN ENDURCH
                                                               ÄT ÄT
                                                          ANZAHL                                                    END-OF-LI
                                                                                                       SCHWERE KDERIKRTERI
                                                                                                         E RK RANKUNG
                                                                                                                                FE FE
                                                                                                                       E ND-OF-LI
                                                                                                                              EN EN
                                                                                                                         RI TERI
                                              Z UGÄNGL
                                                 NUTZ     ICHE
                                                            DURCH
                                              ALTALT
                                                  ERNAT
                                                    ANZAHL
                                                      ERNATIVEN
                                                              IVEN         I NDI VI DUE LLER
                                                                           UNME    T ME DI CAL CHE R K RANK HEI TSLAST
                                                                            G ESELLSCHAFTLI
                                          VERBL EIBENDE                        G ESELLSCHAFTLI
                                                                                   NE ED ME DI CAL CHE R
                                                                               UNMETUNME T ME DI CAL          END-OF-LI FE
                                            M ORBIDIT ÄT                                NE NEED
                                                                                            ED                                               I NZI DENZ
                                                                                                              K RI TERI EN
                                         NUTZ EN DURCH                                                                                      PRÄVALENZ
                                         ALT ERNAT IVEN
                                                                       G ESELLSCHAFTLI CHE R                                                  SELTE NE
                                                                          UNMET ME DI CAL                                                   K RANK HE I T
                                                                                  NE ED

                                                                                 I NZI DE DENZ
                                                                                    I NZI NZ
6 Quelle nach Vreman RA, Heikkinen I,
Schuurman A et al. Unmet Medical Need:                                          PRÄVALE   NZ
                                                                                   PRÄVALENZ                                  Patienten-
                                                                                                                              population
An Introduction to Definitions and
Stakeholder Perceptions. Value Health.                                            SELTE NE NE
                                                                                     SELTE
2019;22(11):1275-1282.                                                          K RANK  HEIHET I T
                                                                                   K RANK
                                                                            I NZI DE NZ
                                                                           PRÄVALE NZ
                                                                             SELTE NE
28

           4.1.2. Fokus auf fächerübergreifende                      Konkretisierung
           Ansätze
                                                                     bis 2030
           Gesundheit neu zu denken, heißt für die Charité
           auch, traditionelle Disziplin- und Organgrenzen
           zu hinterfragen und zu überwinden. Neue Er-          → Entwicklung von Forschungsschwerpunkten
           kenntnisse in der Biomedizin haben aktuell ein         mit Fokus auf Grenzbereiche zwischen den
           hohes Potential für innovative Behandlungsan-          Fächern
           sätze, wenn der Fokus auf miteinander kommuni-
                                                                → Aufbau und Weiterentwicklung
           zierende Organsysteme (unter anderem gut–
                                                                  interdisziplinärer Zentren, Stationen und
           brain oder heart–brain) und (patho)biologische
                                                                  Behandlungskonzepte
           Prozesse wie beispielsweise Entzündung, Zelltod
           oder Regeneration gerichtet wird.                    → Intern: Veränderung der Steuerungs- und
                                                                  Anreizmechanismen
           Es ist das Ziel der Charité,
           diese interdisziplinären und
           systemischen Ansätze                                4.1.3. Gesundheit als aktiver
           sowohl in der Wissenschaft                          Prozess der Anpassung und
                                                               Prävention
           als auch in der Versorgung
           von Patient*innen weiter zu                         In der Medizin von Morgen wird der Auftrag von
                                                               Forschung und Versorgung weit über die bisheri-
           entwickeln.                                         ge starke Konzentration auf Interventionen bei
                                                               Krankheit hinausgehen. Eine zentrale Rolle
           Für die Wissenschaft müssen die Interaktionen       spielen dabei gesundheitsfördernde Anpas-
           verschiedener Felder gefördert werden, so           sungsprozesse an die Umwelt (Adaption) rund
           beispielsweise bei der Erforschung verschiedener    um Ereignisse mit pathologischem Wirkungs-
           Organsysteme (Darm, Gehirn, Gelenke, Herz-          potential wie zum Beispiel erbgutschädigende
           Kreislauf, Lunge, Knochen) auf dem interdiszipli-   Faktoren (Strahlung, Nahrungsbestandteile),
           nären Forschungsgebiet der Immunologie. Hierzu      Infektionen, Veränderung des Mikrobioms,
           gibt es an der Charité und am Berlin Institute of   falsche Ernährung oder schädigende Klimaein-
           Health (BIH) schon heute eine Vielzahl von          flüsse. Das bessere Verständnis dieser komple-
           Ansätzen. Auch für die Klinik ist diese systemi-    xen und kontinuierlichen Adaptionsprozesse ist
           sche Herangehensweise erfolgversprechend und        eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung
           herausfordernd. Wenn Vertreter*innen mehrerer       innovativer Präventionsstrategien und neuer
           Disziplinen einen Fall gemeinsam betrachten, ist    Therapiekonzepte. Die Charité setzt sich zum
           das im Sinne der Patientinnen und Patienten, da     Ziel, solche Konzepte stärker als heute zu
           die Behandlungsoptionen aus unterschiedlichen       erforschen und zu verstehen, um a) Krankheiten
           Blickwinkeln kompetent erörtert werden können.      zu erkennen, bevor Symptome entstehen, und
           Gleichzeitig sind solche Ansätze aufwendiger und    somit früher und erfolgreicher zu behandeln
           zumeist im DRG-System nicht abgebildet. Die         (Interception), und b) die Krankheits-Resilienz zu
           Charité zielt darauf, diese Herausforderungen für   erhöhen. Auch im Rahmen der c) Krankheitstole-
           das Wohl ihrer Patient*innen zu überwinden.         ranz sind Adaptionsprozesse zur Gesunderhal-
                                                               tung relevant und eröffnen ein neues wichtiges
           Die Charité verbindet mit dieser Zielsetzung        Forschungsfeld (Abbildung 7). Daraus sollen
           konkrete Ergebniserwartungen: Für die Forschung     wegweisende Ansätze für die Medizin der
           die Gewinnung neuer Erkenntnisse über die           kommenden Dekaden entstehen. Die Vermeidung
           Zusammenhänge im gesunden und kranken               künftiger Erkrankungen kann dann durch d) die
           Organismus und für die Versorgung von Patientin-    personalisierte Verstärkung von Krankheitsresi-
           nen und Patienten ganzheitliche Behandlungs-        lienz- und Krankheitstoleranz-Programmen zum
           strategien. Diese Ziele begründen eine Weiterent-   Beispiel auf Basis zellübergreifender molekularer
           wicklung der Organisation der Charité.              Datenanalysen gelingen. Digitale Ansätze, mit

4 Strategiefelder in der Gesundheitsversorgung und Biomedizin
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