Gesundheitsförderung und Prävention für ältere Menschen im Setting Kommune - Kurz-Expertise
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Gesundheitsförderung und Prävention für ältere Menschen im Setting Kommune Kurz-Expertise www.bmg.bund.de
Gesundheitsförderung und Prävention für ältere Menschen im Setting Kommune Kurz-Expertise Gefördert durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) Autorin: Andrea Kuhlmann Unter Mitarbeit von Katrin Koch Projektleitung: Prof. Dr. Gerhard Naegele Dr. Marina Schmitt Institut für Gerontologie an der Technischen Universität Dortmund Dortmund, im März 2009
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3 Inhaltsverzeichnis Einleitung......................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................... 5 1 Strukturelle und rechtliche Rahmenbedingungen der Gesundheitsförderung...................................... 6 2 Gesundheitsförderung für ältere Menschen............................................................................................................................................................................................... 7 2.1 Gesundheitszustand und Präventionspotenziale................................................................................................................................................................................................................................ 7 2.2 Gesundheitsförderung im Lebensverlauf........................................................................................................................................................................................................................................... 8 2.3 Themenfelder von Prävention und Gesundheitsförderung in Kommunen................................................................................................................................ 8 2.4 Ansätze, Zielgruppen und Zugangswege....................................................................................................................................................................................................................................... 10 2.5 Stand der Gesundheitsförderung für ältere Menschen in Deutschland....................................................................................................................................... 10 3 Gesundheitsförderung, soziale Benachteiligung und Alter...........................................................................................................................14 4 Der Setting-Ansatz in der Gesundheitsförderung.......................................................................................................................................................................16 4.1 Der Setting-Ansatz in der Gesundheitsförderung – theoretische Grundlagen..................................................................................................................16 4.2 Die Schlüsselelemente des Setting-Ansatzes.............................................................................................................................................................................................................................17 4.3 Überblick zur Rezeption des Settingansatzes in Bezug auf das Setting Kommune in Deutschland. ........................................................................................................................................................................................................................................................................................17 5 Die gegenwärtige Praxis sozialraumbezogener gesundheitsfördernder Interventionen.............................................................................................................................................................................................................. 21 6 Sozialraumorientierte Gesundheitsförderung im kommunalen Setting für ältere Menschen.................................................................................................................................................................................................................................................................................................. 24 6.1 Kommunale Gesundheitsförderung für ältere Menschen – ein Überblick............................................................................................................................... 24 6.2 Praxiserfahrungen zur sozialraumorientierten Gesundheitsförderung für ältere Menschen im Setting Kommune....................................................................................................................................................................................................................................................................................................... 25 6.2.1 Aufsuchende Aktivierung (WHO).............................................................................................................................................................................................................................................. 26 6.2.2 Kommunale Gremien – Initiatoren und Steuerungsinstanzen. ............................................................................................................................................. 28 6.2.3 Forschungsvorhaben. .................................................................................................................................................................................................................................................................................30 7 Diskussion und Schlussfolgerungen..............................................................................................................................................................................................................................32 8 Zusammenfassung. ...................................................................................................................................................................................................................................................................................................... 35 Literatur.......................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................... 36 Anhang.............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. 40
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Einleitung 5 Einleitung Vor dem Hintergrund einer deutlichen Zunahme des Anteils heitliche Potenziale älterer Bürgerinnen und Bürger und der älterer und sehr alter Menschen in der Bevölkerung stehen Lebenswelt-bezogene Gesundheitsförderungsansatz (Set- die Kommunen vor den Herausforderungen des demogra- ting-Ansatz) beschrieben sowie vorbildhafte Projekte der fischen Wandels. Dabei spielt die Gesundheit der älteren kommunalen Gesundheitsförderung im Alter vorgestellt. Menschen eine entscheidende Rolle mit Auswirkungen Die Erfahrungen aus den Projekten werden diskutiert und im sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Bereich. Der Schlussfolgerungen daraus gezogen. Die Kurzexpertise Förderung der Gesundheit älterer Menschen kommt da- schließt mit einer Zusammenfassung. her eine herausragende Rolle zu. Körperliche Bewegung, ausgewogene Ernährung, Stressbewältigung, geistige Ak- tivität und soziale Teilhabe können wesentlich zur Gesund- heit im Alter – auch bei bereits bestehenden Erkrankungen - beitragen. Die Kommunen sind die Lebenswelt, in der äl- tere Menschen gut über Gesundheitsförderung erreicht werden können. Mit dem Ansteigen chronischer Erkrankungen, die durch kurative Versorgung wenig beeinflussbar und nach heuti- gem Forschungsstand nicht heilbar sind, nimmt auch die Bedeutung präventiver und gesundheitsfördernder Maß- nahmen im Gesundheitswesen zu. Für das vorrangig kura- tiv ausgerichtete deutsche Gesundheitswesen leitet sich daraus die Notwendigkeit der Stärkung von Gesundheits- förderung und Prävention ab (Hurrelmann & Laaser, 2006, 749; Dt. Bundestag, 2002). Die kommunale Ebene ist der Ort, an dem sich demografi- sches Altern der Bevölkerung konkret auswirkt. Die Kommu- nen, d. h. die Städte, Kreise und Gemeinden, sind in erster Linie zuständig, wenn es um die Gestaltung der Lebensver- hältnisse der Menschen vor dem Hintergrund des demo- grafischen Alterns der Bevölkerung geht. Die vorliegende Kurz-Expertise befasst sich deshalb mit der Gesundheits- förderung und Prävention für ältere Menschen im Setting Kommune. Im Mittelpunkt steht die Frage nach der Umset- zung gesundheitsfördernder und präventiver kontextbe- zogener und individueller Interventionen. Der Begriff Gesundheitsförderung wurde Mitte der 1980er Jahre im Kontext der gesundheitspolitischen Diskussion der WHO geprägt (Ottawa-Charta, WHO, 1986). Gesund- heitsförderung richtet sich auf die Verbesserung von Le- bensbedingungen und eine damit einhergehende Stär- kung der Gesundheit. In der vorliegenden Kurzfassung der Expertise „Gesund- heitsförderung und Prävention für ältere Menschen im Setting Kommune“ werden strukturelle und rechtliche Rahmenbedingungen der Gesundheitsförderung, gesund-
6 Strukturelle und rechtliche Rahmenbedingungen der Gesundheitsförderung 1 Strukturelle und rechtliche Rahmenbedingungen der Gesundheitsförderung Gesundheitsförderung und Prävention stellen eine gesamt- und Wissenschaft, Sozialversicherungsträger, Wirtschafts- gesellschaftliche und über die Gesundheitspolitik hinaus- unternehmen, Bildungseinrichtungen, Leistungserbringer, gehende Querschnittsaufgabe dar. Diese tangiert verschie- Selbsthilfegruppen). dene Politikbereiche und fällt in den Zuständigkeitsbereich der Kommunen, der Länder und des Bundes. Gesundheits- Der Gesetzlichen Krankenversicherung wurde der gesetz- förderung und Prävention sind Gegenstand der Institutio- liche Auftrag zur allgemeinen (Primär-)Prävention und nen des Medizinsystems und reichen über die Gesundheits- Gesundheitsförderung übertragen (§ 20 SGB V, 2000). politik hinaus in die Arbeits-, Umwelt-, Wirtschafts- und Primärpräventive Leistungen sollen „den allgemeinen Ge- Verkehrspolitik (Bäcker et al., 2000, 48). Gegenwärtig ist sundheitszustand verbessern und insbesondere einen Bei- eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure und Institutionen trag zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von mit der Umsetzung von präventiven und gesundheitsför- Gesundheitschancen erbringen“ (SGB V § 20, Abs. 1). Mit dernden Maßnahmen befasst. Neben einer fehlenden über- der Neufassung des § 20 SGB V wird zum Teil eine saluto- regionalen und regionalen Angebotsübersicht stellen ins- gene und soziale Sichtweise auf Gesundheit aufgegriffen besondere die mangelnde Vernetzung der Aktivitäten und (Walter & Schwartz, 2003, 260). Akteure zentrale Probleme dar (SVR, 2002, 76). Prävention und Gesundheitsförderung gewinnen zuneh- Die Vielfalt von Gesundheitsförderung und Prävention zeigt mend an Bedeutung. Die Zuständigkeiten dafür sind je- sich nicht nur auf struktureller Ebene, sondern auch hin- doch auf Bundes- und Länderebene aber auch im kommu- sichtlich ihrer Themenfelder1. Darüber hinaus ergeben sich nalen Bereich weit gestreut. Insgesamt besteht jedoch auf vielfältige Möglichkeiten, präventive und gesundheitsför- den unterschiedlichen Ebenen weiterhin Handlungsbedarf. dernde Angebote zu systematisieren (z. B. Individual- oder Gruppenmaßnahme, Fokussierung spezifischer Lebenspha- sen oder Kontexte bzw. Settings), so dass eine große Band- breite an Handlungsfeldern entstanden ist (SVR, 2002, 78). Auf kommunaler Ebene finden sich verschiedene Anbieter präventiver Leistungen, wie z. B. Einrichtungen der medi- zinischen Versorgung (Gesundheitsämter, niedergelasse- ne Ärztinnen und Ärzte, Krankenkassen, Sozialstationen). Aber auch im Bildungs- (z. B. in Kindergärten, Schulen, Volkshochschulen) und Freizeitbereich (z. B. Vereinen), in der Kommunalverwaltung, im Einzelhandel, in Religions- gemeinschaften, in Betrieben und Verbraucherberatungs- stellen sind entsprechende Anbieter verortet (Walter & Schwartz, 2003, 254ff). Insgesamt stellen Prävention und Gesundheitsförderung einen heterogenen Versorgungsbereich dar, der durch verschiedene Probleme gekennzeichnet ist: Wie in ande- ren Versorgungsbereichen des Sozial- und Gesundheitswe- sens, ist die inhaltliche und finanzielle Ausgestaltung durch eine Aufgaben- und Verantwortungsdiffusion unter den Be- teiligten und Verantwortlichen gekennzeichnet (u. a. Poli- tik in Bund, Ländern, Städten und Gemeinden, Forschung 1 Für eine Übersicht zu den Themenfeldern s. SVR (2002, 77f).
Gesundheitsförderung für ältere Menschen 7 2 Gesundheitsförderung für ältere Menschen Das Thema Gesundheitsförderung und Prävention im Alter höhten Mortalität einher und stellen für Männer und Frau- hat seit den 1990er Jahren international (insbesondere im en auch im höheren Alter die häufigste Todesursache dar Kontext der Arbeit der Weltgesundheitsorganisation) wie (Walter & Schwartz, 2001,197; Steinhagen-Thiessen & Bor- national (vgl. u. a. Sachverständigenrat für die Konzertierte chelt, 1996; SVR, 2002,94). Aktion im Gesundheitswesen, 2002) an Bedeutung gewon- nen. Dies ist zum einen auf die demografische Entwicklung Betrachtet man den subjektiv bewerteten Schweregrad, und den medizinisch-technischen Fortschritt zurückzufüh- rangieren hingegen Erkrankungen des Bewegungsappa- ren, die wachsende Versorgungsbedarfe nach sich ziehen. rates4, die häufig mit chronischen Schmerzzuständen as- Zum anderen leitet sich aus mittel- und langfristigen Finan- soziiert sind, an erster Stelle (BMFSFJ, 2001; Steinhagen- zierungsrisiken des Gesundheitssystems Handlungsbedarf Thiessen & Borchelt, 1996). Schmerzen gehen oftmals mit ab (Walter et al., 2008, 360). Einschränkungen bei unterschiedlichen Verrichtungen und sozialen Kontakten einher. Sie wirken sich zudem in hohem Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung Maße auf die Zufriedenheit mit der Gesundheit und die für ältere Menschen sind bis ins hohe Alter sinnvoll – diese Lebenszufriedenheit aus (RKI, 2002, 15f). Von psychischen Erkenntnis findet in Wissenschaft, Gesellschaft und Praxis Störungen ist rund ein Viertel der über 65jährigen Bevöl- zunehmend Beachtung. Die bestehenden Präventionspo- kerung betroffen, wobei es sich vorwiegend um demen- tenziale älterer Menschen wurden in verschiedenen Über- zielle und depressive Erkrankungen handelt (Helmchen et sichtsarbeiten ausgewiesen (vgl. Kruse, 2002; Walter & al., 1996,195; RKI, 2002,18). Schwartz, 2001; SVR, 2002) und legen die Implementierung entsprechender gesundheitsfördernder Maßnahmen nahe. Demenzielle Erkrankungen stellen eine der bedeutends- ten Ursachen für den Verlust von Selbständigkeit und das 2.1 Gesundheitszustand und Präventionspotenziale Eintreten von Pflegebedürftigkeit dar, was die Notwen- digkeit der Entwicklung geeigneter präventiver sowie be- Der Gesundheitszustand im Alter wird durch funktionelle handlungs- und versorgungsstruktureller Maßnahmen un- Veränderungen des gesamten Organismus und einzelner terstreicht (Bickel, 2001,42ff; Deutscher Bundestag, 1996; Organe2 beeinflusst, die mit Funktionseinbußen einherge- Schneekloth, Potthoff, Piekara & Rosenbladt, 1996,99ff). hen. Insgesamt stellt sich der Gesundheitszustand älterer Menschen sehr unterschiedlich dar. Dies ist u. a. darauf zu- Obwohl gegenwärtig davon auszugehen ist, dass mit zu- rückzuführen, dass zum einen eine Akkumulation gesund- nehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit des Eintretens heitsschädigender Faktoren im Lebensverlauf auftritt, die von chronischen und demenziellen Erkrankungen sowie im höheren Lebensalter einen Bedeutungszuwachs erfah- von Mehrfacherkrankungen (Multimorbidität) steigt, ist ren können. Zum anderen steigt mit zunehmendem Alter Alter nicht generell mit Krankheit und Pflegebedürftigkeit auch die Wahrscheinlichkeit des Auftretens (mehrerer) al- gleichzusetzen. Nach Ergebnissen des Bundesgesundheits- terstypischer, chronischer Erkrankungen. Man spricht in surveys (RKI, 2002) bewerten ca. zwei Drittel der 60-79-jäh- diesem Zusammenhang von Multimorbidität (Walter & rigen Frauen und Männer ihren Gesundheitszustand als gut, Schwartz, 2001,170ff). sehr gut oder ausgezeichnet. Im Alter überwiegen Erkrankungen des zerebrovaskulären Es zeigt sich, dass viele gesundheitliche Einschränkungen Systems sowie Erkrankungen des Bewegungsapparates. im Alter verhaltens- und nicht altersbedingt sind: Eine Ver- Herz-Kreislauf-Erkrankungen3 gehen mit einer deutlich er- ringerung von Risikofaktoren könnte somit zu einer Verbes- serung der gesunden Lebenserwartung beitragen (Walter, 2 Beispielhaft zu nennen sind Veränderungen der Sinnesorgane (Alterssichtigkeit, Linsentrübung, Hochtonverlust) oder des 2008,245). Darüber hinaus liegen einigen Risikofaktoren Bewegungsapparates (Abnahme der Skelettmuskulatur, Abnahme mehrfache Ursachen zugrunde. Beispielsweise sind Stür- der Elastizität von Sehnen, Bändern und Muskeln und der Gelenk- beweglichkeit sowie des Mineralgehalts der Knochen) (Walter & Schwartz, 2001,170ff). 4 Krankheitsbilder umfassen insbesondere Osteoarthrosen (Knie-, 3 Krankheitsbilder sind u. a. Hypertonie, Arteriosklerose, Myokardin- Hüftarthrose), Dors opathien und Osteoporose (Walter & Schwartz, farkt und Apoplex (Walter & Schwartz, 2001,197) 2001,174; Steinhagen-Thiessen & Borchelt, 1996)
8 Gesundheitsförderung für ältere Menschen ze in der Regel multifaktoriell bedingt und stellen oftmals Ältere Menschen rücken somit auf internationaler (WHO, das Ergebnis einer Risikoverkettung dar (BMFSFJ, 2001,90; 1997, WHO, 1998) wie nationaler Ebene (vgl. u. a. SVR, RKI, 2002,16). Obwohl für viele weit verbreitete (chronische) 2002,92; SVR, 2007) zunehmend als Zielgruppe für prä- Erkrankungen im Alter5 Risikofaktoren und entsprechende ventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen in den Präventionsmöglichkeiten bekannt sind (BMFSFJ, 2001,89; Mittelpunkt. RKI, 2002,13; Walter & Schwartz, 2001,198f), werden bis- lang bestehende Präventionspotenziale nicht immer aus- Die Bedeutung der Gesundheitsförderung auch für die äl- reichend genutzt. Neben dem individuellen Gesundheits- tere Bevölkerung wurde erstmals in der Deklaration von Ja- verhalten kann dies u. a. darauf zurückgeführt werden, dass karta (WHO, 1997) betont. Vor dem Hintergrund kumulie- Risikofaktoren oftmals nicht (frühzeitig) erkannt werden. render Gesundheitsrisiken im Lebensverlauf, richtete sich die Aufmerksamkeit dabei nicht nur auf die Lebensphase 2.2 Gesundheitsförderung im Lebensverlauf Alter, sondern auch auf den Alternsprozess. Gesundheits- förderung wurde dabei von der Weltgesundheitsorgani- Basierend auf Befunden, nach denen Prävention in jedem sation (WHO) als eine Schlüsselkomponente für gesundes Alter, d. h. im gesamten Lebensverlauf für Frauen und Män- Altern identifiziert. ner gleichermaßen von Bedeutung ist, rücken ältere Men- schen als Zielgruppe zunehmend in den Mittelpunkt des Im Rahmen der Strategie „Health for all in the 21st Century“ Interesses (Kuhlmey, 2006,10; Walter, Schneider & Bisson (WHO, 1998) wurde „Gesundes Altern” zudem explizit als 2006,537ff). Kruse (2002, 104) beschreibt beispielsweise Ziel benannt. In der weiteren Auseinandersetzung um Mög- Präventionsmöglichkeiten für folgende Gesundheitsrisi- lichkeiten und Strategien eines gesunden Alter(n)s entwi- ken des hohen Alters: Stürze, Hör- und Seheinbußen, Er- ckelte die WHO das Konzept des „Active Ageing“ (Aktives krankungen des Gebisssystems, kardiovaskuläre Erkran- Altern). Dieses Konzept geht über das engere Verständnis kungen und Harninkontinenz. Diese Erkrankungen können eines „gesunden Alterns“ hinaus und umfasst einen „Pro- im frühen und mittleren Lebensalter und auch im höheren zess zur Optimierung der Chancen für mehr Gesundheit, Lebensalter durch einen gesundheitsbewussten Lebensstil Partizipation und Sicherheit, mit dem Ziel, die Lebensqua- und umweltbezogene Maßnahmen beeinflusst werden. lität alternder Menschen zu verbessern.“ (WHO, 2002,12). Um die vorhandenen, oftmals jedoch ungenutzten Prä- Bei der Konzeption und Umsetzung gesundheitsfördern- ventionspotenziale zu nutzen, ist die Förderung der Inan- der Maßnahmen für ältere Menschen erscheinen dabei in spruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen von besonde- besonderer Weise das Geschlecht und der soziale Status rer Bedeutung. Außerdem ist nach Kruse (2002) aufgrund von Bedeutung. So bestehen geschlechts- und statusspe- der Multimorbidität älterer Menschen eine umfassende zifische Unterschiede nicht nur im Hinblick auf die Morbi- Diagnostik, wie sie z. B. ein geriatrisches Assessment er- ditätsstrukturen älterer Frauen und Männer. Vielmehr zei- möglicht, zu fordern. gen sich insbesondere zu ungunsten der Männer deutliche Unterschiede im Bereich gesundheitsrelevanter Lebenssti- Auch im Alter bestehen Veränderungspotenziale im bio- le und hinsichtlich der Inanspruchnahme gesundheitsför- logisch-physiologischen, in der psychologischen sowie in dernder Maßnahmen (Dapp et al., 2002b,3ff; Kahl, Hölling der sozialen Dimension. So kann regelmäßiges körperli- & Kamtsiuris, 1999). Handlungsbedarf besteht somit insbe- ches Training sowohl die physische als auch die kognitive sondere in Bezug auf die Förderung des Gesundheitsbe- Leistung positiv beeinflussen. Rehabilitative Maßnahmen wusstseins und –verhaltens älterer Männer (Kruse, 2002). tragen zur Erhaltung und Verbesserung von sensomoto- rischen, kognitiven und alltagspraktischen Funktionen 2.3 Themenfelder von Prävention und damit zur Selbstständigkeit bei. Auch das Erleben und Gesundheitsförderung in Kommunen und Verhalten sowie die soziale Teilhabe sind im Alter gestaltbar. Beispielhaft zu nennen sind hier Potenziale Die Themenfelder der Prävention und Gesundheitsförde- zur Bewältigung psychischer Belastungen (psychische rung sind vielfältig und aufgrund ihrer unterschiedlichen Widerstandsfähigkeit und Resilienz), aber auch das frei- Entstehungsgeschichten und Kontexten, in denen die The- willige Engagement älterer Menschen (RKI, 2002, 10f). men Prävention und Gesundheitsförderung eine Rolle spie- len (z. B. im gesetzlichen Gesundheits- und Unfallschutz, 5 Walter & Schwartz (2001,197ff) benennen diesbezüglich folgende im Rahmen der medizinischen Versorgung, im Bereich von Krankheiten: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ II, Erkrankungen der Atemwege, Osteoporose und Stürze, Infektions- Betroffenen-Verbänden) ergeben sich ganz unterschied- krankheiten, Harninkontinenz und Psychische Erkrankungen liche Kategorisierungssysteme. Diese überschneiden sich (Demenz, Depression).
Gesundheitsförderung für ältere Menschen 9 teilweise, sind jedoch auch teilweise nicht miteinander die Gestaltung des Übergangs in den Ruhestand kompatibel. Um diesem Problem zu begegnen, kategori- siert der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion und Wohnen (SVR 2002, 93). im Gesundheitswesen (SVR, 2002) die Themenfelder der Prävention und Gesundheitsförderung folgendermaßen: Eine weitere thematische Differenzierung auf der Themen- bzw. Angebotsebene der seniorenbezogenen Gesundheits- Krankheitsbezogen: Früherkennung bei Kindern und Ju- förderung und Prävention nehmen Hollbach-Grömig und gendlichen, Früherkennung von Krebserkrankungen, Seidel-Schulze (2007,109f) in ihrer Umfrage bei 570 Städ- Früherkennung von Schwangerschaftskomplikationen, ten, Gemeinden und Landkreisen im Jahr 2006 vor. Diese chronische Erkrankungen (z. B. Diabetes, Asthma), In- spiegelt die umfassende und breite Themenpalette von fektionserkrankungen (z. B. AIDS, Geschlechtskrankhei- Gesundheitsförderungs- und Präventionsmaßnahmen auf ten, Hepatitis B) kommunaler Ebene wider. Die dort aufgeführten Themen und Angebote umfassen: ereichsbezogen: Ernährung(-szusätze), Bewegung, B Stressbewältigung, Sucht isikogruppenbezogene Maßnahmen R (z. B. Herz-Kreislauf, Adipositas, Diabetes) Gesundheitsschutz: z. B. Infektionsschutz, Hygiene- kontrollen, Trinkwasserprüfungen, Lebensmittelhygie- aßnahmen, um das Wissen über Alternsprozesse zu M ne und -kontrolle fördern A rbeitsschutz: z. B. Reduktion physikalisch-chemischer hemenbezogene Kampagnen T sowie psychosozialer „arbeitsbedingter Gesundheits- (z. B. zu einem neuen Altersbild) gefährdungen“ Wohnberatung für ältere Menschen Unfälle: Unfälle in Schule und Beruf, Unfälle im Verkehr Aufsuchende Sozialarbeit Diese Themenfelder und die entsprechenden daraus re- sultierenden Angebote können durch die Wahl eines le- ildungs- und Kursangebote zu B bensphasenspezifischen Zugangs auch auf verschiedene – Stressbewältigung Altersgruppen bezogen werden. Prävention und Gesund- – Ernährungsberatung heitsförderung im Alter zielen vor allem auf die Gesund- – Gedächtnistraining heitserhaltung, die Kompensation altersbedingter Beein- – Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein trächtigungen (einschließlich Ausschöpfung rehabilitativer – Soziale Kompetenz und soziale Kontakte Potenziale nach Krankheitseintritt) sowie den Erhalt der Selbständigkeit (SVR, 2002,92). Daraus lassen sich vielfälti- P räventiver Hausbesuch, z. B. durch den Hausarzt bzw. ge Handlungsfelder für Prävention und Gesundheitsförde- die Hausärztin rung im Alter ableiten. Dazu gehören altersunabhängige Themenfelder, wie Unfallverhütung, Ernährung, Mundpro- Bewegungs- und Sportangebote phylaxe, Grippeimpfungen und die Bewältigung kritischer Lebensereignisse. Stärker altersabhängige Themenfelder, I nformation und Beratung zum Umgang mit also solche die erst mit zunehmendem Alter an Bedeutung Medikamenten gewinnen, sind Information und Beratung zum Umgang mit Rauchen der Erhalt körperlicher und geistiger Gesundheit bzw. Rauchentwöhnung die Betreuung bei chronischer Erkrankung I nformation und Beratung zum Umgang mit Alkohol und Alkoholproblemen das (Selbst-) Management chronischer Erkrankungen erbesserung der Inanspruchnahme von V eine angemessene Medikation Vorsorgeuntersuchungen
10 Gesundheitsförderung für ältere Menschen Stärkung des Pflegepotenzials der Familie für Frauen sind. In diesem Sinne sind die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer und sozio-kultureller Bedarfe bei aßnahmen zur Förderung der Gesundheit pflegender M der Konzeption entsprechender gesundheitsfördernder Angehöriger Angebote für die Akzeptanz bei der jeweiligen Zielgruppe von wesentlicher Bedeutung (Douma et al., 2007). Eine He- Sonstiges rausforderung besteht darin, Menschen, die bislang keine oder nur vereinzelt Angebote wahrnehmen (z. B. Angehöri- Am häufigsten werden bei den Mitgliedern des „Gesunde ge unterer Sozialschichten), zu motivieren und einzubezie- Städte“-Netzwerks „Wohnberatung“ (Platz 1), „Bewegungs- hen (Kruse, 2004, 53ff; Wiesmann et al., 2006). Kruse (ebd.) und Sportangebote“ (Platz 2), „Kurse zur Ernährung“ (Platz verweist deshalb auf die Bedeutung der positiven Beein- 3), „aufsuchende Sozialarbeit“ (Platz 4) genannt, gefolgt flussung gesellschaftlicher und individueller Altersbilder. von „Gedächtnistraining“ (Platz 5) und „risikogruppenbe- zogenen Maßnahmen“ (Platz 6). In den nicht zum Netzwerk In den letzten Jahren wurde zunehmend eine Ausrichtung gehörenden Städten liegen Angebote zu „Bewegung und der Gesundheitsförderung auf vulnerable und von sozialer Sport“ auf dem ersten Platz, gefolgt von „Wohnberatung“ Benachteiligung betroffene Zielgruppen gefordert. Diese (Platz 2), „risikogruppenbezogenen Maßnahmen“ (Platz werden über verhältnismäßig unspezifische Zugänge und 3), „Gedächtnistraining“ (Platz 4), „aufsuchende Sozialar- gesundheitsfördernde Maßnahmen nur selten erreicht. Die beit“ (Platz 5) und „Stärkung des Pflegepotenzials der Fa- Ermittlung angemessener Zugangswege stellt dabei eine milie“ (Platz 6). wesentliche Herausforderung dar (SVR, 2002; SVR, 2007). 2.4 Ansätze, Zielgruppen und Zugangswege Mit der in Deutschland anhaltenden Fokussierung auf ver- haltensorientierte Maßnahmen in der Prävention und Ge- Die Gesundheit älterer Menschen wird maßgeblich durch sundheitsförderung geht die Gefahr einher, dass beste- die Qualität der Umwelt und die gesellschaftlichen Lebens- hende Präventionspotenziale nicht genutzt werden. Vor bedingungen beeinflusst. Aufgrund großer Differenzen in diesem Hintergrund sprach sich der Sachverständigenrat der Gesundheit im Alter besteht zudem ein Bedarf an einer im Gesundheitswesen bereits in seinem Gutachten 2001 Vielzahl von Maßnahmen der Gesundheitsförderung. Die- für die Umsetzung von Interventionen nach dem Setting- se müssen den jeweils unterschiedlichen Lebenssituatio- Ansatz aus (vgl. SVR, 2002 Bd. 1,271). nen älterer Menschen gerecht werden. Zu nennen sind hier z. B. „gesunde ältere Menschen“, „ältere Menschen mit be- 2.5 Stand der Gesundheitsförderung sonderen Bedürfnissen“, „ältere Menschen mit Behinderun- für ältere Menschen in Deutschland gen oder chronischen Erkrankungen“. Die Entwicklung und Umsetzung gesundheitsfördernder Maßnahmen für älte- Bislang bestehen in Deutschland noch keine flächende- re Menschen muss auf die jeweiligen Bedürfnisse und Be- ckenden Angebote der Prävention und Gesundheitsförde- darfe der älteren Zielgruppen abgestimmt werden (Dean rung für ältere Menschen6. Das Thema wurde in den letz- & Holstein, 1991,343ff). ten Jahren allerdings im Rahmen unterschiedlicher Initiati- ven aufgegriffen und erlangte zunehmend fachpraktische Wichtig ist, den Zugang zu den Zielgruppen niedrig- und wissenschaftliche Bedeutung. schwellig zu wählen: Je nach Gesundheitszustand der Zielgruppe sind dabei Komm- oder aufsuchende Bring- Beispielhaft ist der deutsche Präventionspreis zu nennen, strukturen geeignet. Für ältere Menschen mit Migrations- der von 2004 bis 2007 von der Bertelsmann Stiftung, dem hintergrund stellt zudem die Überwindung sprachlicher Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und der Bundes- Barrieren eine Notwendigkeit für die Inanspruchnahme zentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) verliehen dar (Wohlrab, 2004; Schnabel & Schopf, 2006). Der Zu- wurde. Im Jahr 2005 stand das Thema „Gesund in der zwei- gang zu den Angeboten wird außerdem durch die An- bindung von Stadtteilen an den ÖPNV beeinflusst (Hikl 6 Ältere Menschen nehmen zwar durchaus die individuellen Kursan- & Bill, 2005). gebote der Krankenkassen wahr. Im Jahr 2004 stellten ältere Ver- sicherte (60+) ca. 24 % der Kursteilnehmerinnen und Kursteileneh- mer. Sie nahmen vorzugsweise Bewegungsangebote in Anspruch (78 %). An zweiter Stelle stehen Ernährungsangebote (12 %), gefolgt Bei der Gestaltung des Zugangs zu Projekten müssen die Be- von Kursen zum Umgang mit Stress (11 %) und Sucht- bzw. Genuss- darfe von Migrantinnen und Migranten sowie geschlechts- mitteln (0,3 %) (MDS 2006, 60ff). Aber auch hier zeigen sich deutli- che Unterschiede im Inanspruchnahmeverhalten in Bezug auf das spezifische Unterschiede berücksichtigt werden. So bevor- Geschlecht und den sozio-ökonomischen Status (vgl. Kahl, Hölling & zugen ältere islamische Frauen Angebote, die ausschließlich Kamtsiuris, 1999; Richter, Brand & Rössler, 2002).
Gesundheitsförderung für ältere Menschen 11 ten Lebenshälfte (50plus)“ im Mittelpunkt. Insgesamt zeig- hat „Botschaften für gesundes Älterwerden“ einschließlich te sich im Rahmen dieses Wettbewerbs eine große Band- der „15 Regeln für gesundes Älterwerden“ veröffentlicht. breite gesundheitsfördernder Angebote für die Zielgruppe Darüber hinaus hat diese Arbeitsgruppe, die nach der Fu- „50+“, die unterschiedliche Themenbereiche, Zielgrup- sion von der Bundesvereinigung Prävention und Gesund- pen, und Settings umfassen (Stierle et al., 2005). Seit 2007 heitsförderung fortgeführt wird, Empfehlungen für Ziele ist die Manfred-Lautenschläger-Stiftung Partner des BMG für ein gesundes Altern erarbeitet. Zielbereiche dabei sind und der BZgA beim Deutschen Präventionspreis. z. B. Bewegung, Ernährung, Sturzprophylaxe, psychische Gesundheit und soziale Teilhabe. Außerdem ist auf folgende Maßnahmen der Bundesregie- rung hinzuweisen: Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen der nationalen Gesundheitszielentwicklung (gesundheits- Um die Möglichkeiten der Prävention im Alter – auch un- ziele.de) ein neues Gesundheitsziel „Gesund älter werden“ ter Nutzung internationaler Erfahrungen - aufzuzeigen hat bearbeitet wird. das BMG die Expertise „Gesund altern – Stand der Präventi- on und Entwicklung ergänzender Präventionsstrategien“ Im Rahmen des gemeinsam vom BMBF und BMG getrage- bei Herrn Prof. Kruse, Heidelberg in Auftrag gegeben. Die- nen Forschungsprogramms der Bundesregierung „Gesund- se wurde 2002 veröffentlicht und hat große präventive Po- heitsforschung – Forschung für den Menschen“, das u. a. tenziale älterer Menschen insbesondere in den Bereichen den Förderschwerpunkt „(Primäre) Präventionsforschung“ Bewegung, Ernährung, geistige Aktivität und Nutzung von beinhaltet, wurden in der dritten von insgesamt vier För- Früherkennungsuntersuchungen aufgezeigt. Über die Mög- derphasen Themen adressiert, die für Menschen über 50 lichkeiten der Primärprävention im Alter informiert das BMG Lebensjahre wichtig sind, wie z. B. Bewegung und Mobili- im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit mit der Broschüre tät, Information und Bildung, Eigenständigkeit und Integ- „Gesund altern“, die auf der Basis der Expertise von Herrn ration sowie allgemeine Gesundheitsförderung. Die För- Professor Kruse erstellt wurde. derphase umfasst die Zeitspanne 2007 bis 2010. Auf Grund der Bekanntmachung (30.06.2006) zur Einreichung der Mit dem Forschungsprojekt „Gesundheitliche Prävention Forschungsprojekte wurden aus 72 eingereichten Anträ- bei Frauen in der zweiten Lebenshälfte“ wurden von Herrn gen auf Förderung mit einem Finanzvolumen von insge- Professor Kruse Empfehlungen für die Gestaltung präven- samt 32 Millionen Euro 14 Projekte bewilligt. tiver Maßnahmen für Frauen in der zweiten Lebenshälfte erarbeitet und vorgelegt. Dazu wurden Unterschiede von Die Bundesregierung hat im Juni 2008 den Nationalen Ak- Risiken und Ressourcen sowie die Zusammenhänge von Ge- tionsplan „IN FORM - Deutschlands Initiative für gesunde schlecht und Krankheit analysiert und bewertet. Neben der Ernährung und mehr Bewegung“ verabschiedet. Ziel ist wissenschaftlichen Studie wurden in einer Broschüre Hand- die nachhaltige Verbesserung des Ernährungs- und Bewe- lungsempfehlungen für Frauen veröffentlicht. gungsverhaltens, um Fehlernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht und damit zusammenhängende Krankheiten Das Bundesministerium für Gesundheit hat die beiden vor- zu vermeiden. Dabei sind ältere Menschen eine wichtige genannten Expertisen den für Prävention relevanten Orga- Zielgruppe. Um konkret zu erproben, wie nachhaltige ge- nisationen auf Bundesebene zur Verfügung gestellt. sundheitsförderliche Strukturen im kommunalen Bereich aufgebaut werden können, hat das BMG im Rahmen der Das Thema Prävention im Alter wurde vom BMG in das Initiative IN FORM die BZgA mit dem Modellprojekt „Ge- Deutsche Forum Prävention und Gesundheitsförderung sund im Alter“ beauftragt. Unter dem Motto „Bewegt le- eingebracht. Ziel war es, durch Zusammenarbeit mit Bun- ben – Mehr vom Leben“ sollen im Rhein-Sieg-Kreis neue Zu- desressorts, Ländern, Sozialversicherungsträgern und Zivil- gangswege zu Präventionsmaßnahmen eröffnet werden. gesellschaft die Information zu verbessern und Ressourcen Mit Informationsveranstaltungen, über Tageszeitungen, zu bündeln. Beim ersten Kongress des Deutschen Forums Projektmedien, wie Flyer und Broschüren, sowie über das Prävention und Gesundheitsförderung im April 2004 unter Internet sollen ältere Menschen angesprochen und einbe- dem Titel „Gesellschaft mit Zukunft – Altern als Herausfor- zogen werden. Die Angebote, u. a. von Sportvereinen und derung für Prävention und Gesundheitsförderung“ wurde kommunalen Einrichtungen, sollen an die Bedürfnisse der der Beitrag, den Prävention und Gesundheitsförderung zu älteren Menschen angepasst werden. einem aktiven Altern in Gesellschaft und Arbeitswelt leis- ten können, ressortübergreifend dargestellt und diskutiert. Die Erfahrungen im Rhein-Sieg-Kreis sollen durch die Zent- Die Arbeitsgruppe „Gesund altern“ des Deutschen Forums ren für Bewegungsförderung, die ebenfalls im Rahmen der
12 Gesundheitsförderung für ältere Menschen Initiative IN FORM in den Ländern eingerichtet wurden, auf pe, zu den beteiligten Berufsgruppen und Organisations- weitere Regionen übertragen werden. Dazu werden Ar- formen, zu den Inhalten der Leistungen, zur Abgrenzung beitshilfen und Handlungsleitlinien entwickelt, die bun- zu bereits bestehenden Versorgungsleistungen, zur Häu- desweit einsetzbar sind. figkeit der Besuche und weitere Kosten-Nutzen-Analysen (Bundesvereinigung für Gesundheit e. V., 2005,4ff) noch In Zusammenhang mit der Initiative IN FORM wurde erst- aus. Aufgrund der widersprüchlichen Ergebnisse zur Wirk- mals eine Übersicht gesundheitsfördernder Projekte (mit samkeit dieses Ansatzes sind präventive Hausbesuche in dem Fokus auf Ernährung und Bewegung) des Bundes, der Deutschland bislang kein Bestandteil der Regelversorgung. Länder und Kommunen erstellt, die regelmäßig aktuali- siert werden soll. Bei der Durchsicht fällt auf, dass es auf al- Das Hamburger Projekt „Aktive Gesundheitsförderung im len Ebenen bislang erst vereinzelt Projekte gibt, die sich an Alter“ (Dapp et al., 2002a) ist ein Gesundheitsvorsorgepro- die Zielgruppe der älteren Menschen richten. Die Mehrheit gramm, das sich an „gesunde“ ältere Menschen9 richtet und der Projekte fokussiert Kinder, Jugendliche, Eltern und ist in darauf zielt, durch den frühzeitigen Einsatz vorbeugender kinder- und jugendbezogenen Institutionen angesiedelt.7 Maßnahmen dem Eintreten von Erkrankungen, Hilfs- und Pflegebedürftigkeit entgegenzuwirken. Bei diesen Maß- Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und nahmen handelt es sich somit um Gesundheitsförderung. Verbraucherschutz adressiert mit dem Internetangebot Bei Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die im Projektver- www.fitimalter.de sowohl die Zielgruppe der Seniorinnen lauf kognitive oder körperliche Einschränkungen aufwie- und Senioren selbst als auch Fachkräfte, die im Bereich der sen oder die z. B. durch die Pflege eines Angehörigen nicht Seniorenverpflegung tätig sind8. in der Lage waren, das Geriatrische Zentrum aufzusuchen, wurde ein Hausbesuch durchgeführt. Für bereits erkrankte Als gegenwärtig bedeutsame und sich gegenseitig er- ältere Menschen waren in der Regel Maßnahmen der ter- gänzende präventive Konzepte für die zweite Lebenshälf- tiären Intervention, also der Rehabilitation und Pflege, in- te können „Präventive Hausbesuche“ und das Programm diziert. Das Konzept umfasst im Sinne der Gesundheitsbil- „Aktive Gesundheitsförderung im Alter“ benannt werden dung vier Aspekte, die sich für diese Zielgruppe bewährt (v. d. Knesebeck et al., 2006,168ff). Präventiven Hausbesu- haben (Dapp et al., 2002a, 5ff): chen liegt ein aufsuchender Ansatz zugrunde. Dieses An- gebot richtet sich an über 70jährige, die gegenwärtig noch ultidimensionaler Ansatz (Interventionen in den M nicht pflegebedürftig sind und in ihrer häuslichen Umge- Bereichen Ernährung, Bewegung und Soziales) bung aufgesucht werden. I nterdisziplinärer Ansatz (Gesundheitsberater-Team aus Präventive Hausbesuche den Bereichen Ökotrophologie, Physiotherapie, Sozial- pädagogik; Leitung: geriatrisch ausgebildete Ärztin oder zielen auf die Früherkennung von Risiken und Beeinträch- geriatrisch ausgebildeter Arzt) tigungen der Eigenständigkeit und Produktivität Verhaltensorientierter Ansatz (didaktisches Konzept der bieten konkrete Gegenmaßnahmen Kleingruppenarbeit, mit dem Ziel, die Eigenverantwor- tung der älteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Hin- einhalten darüber hinaus verschiedene Angebote für b blick auf einen aktiven Lebensstil zu stärken) Angehörige. Verhältnisorientierter Ansatz (geriatrisches Netzwerk: Obwohl die Wirksamkeit präventiver Hausbesuche in ver- Förderung der Zusammenarbeit zwischen ambulanten schiedenen Untersuchungen belegt wurde, weisen die vor- und stationären medizinischen Einrichtungen, Herstel- liegenden Studien insgesamt inkonsistente Befunde auf. lung von Kontakten zu Trägern gesundheitsfördernder Neben fehlenden Hinweisen für spezifische Erfolgsdeter- Angebote in den verschiedenen Stadtteilen Hamburgs; minanten steht die Beantwortung von Fragen zur Zielgrup- direkte Hinweise auf wohnortnahe Angebote). 7 Online verfügbar unter (Zugriff 02/2009) http://www.in-form.de/ cln_090/nn_1418592/SharedDocs/Downloads/Broschuere-Projekte- Das Programm „Aktive Gesundheitsförderung im Alter“ Bund-Laender,templateId=raw,property=publication File.pdf/ Broschuere-Projekte-Bund-Laender.pdf weist eine Komm-Struktur auf. Unter Rückgriff auf das Em- 8 Online verfügbar unter (Zugriff 02/2009) http://www.inform.de/ cln_090/nn_1418592/SharedDocs/Downloads/Broschuere-NAP- 9 D. h. die Teilnehmerinnen und Teilnehmer müssen mindestens 60 INFORM, templateId=raw,property=publicationFile.pdf/ Jahre alt sein und dürfen nicht von einer dementiellen Erkrankung Broschuere-NAP-IN-FORM.pdf betroffen oder bereits pflegebedürftig sein (Dapp, 2002a, 5).
Gesundheitsförderung für ältere Menschen 13 powerment-Konzept werden die Bereiche, die der Eigen- verantwortung unterliegen, nämlich Ernährung, Bewegung und soziale Teilhabe fokussiert. Hervorzuheben ist, dass es sich um auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmte Empfehlungen im Rahmen der Primärprävention handelt. Darüber hinaus existiert in Deutschland eine Vielzahl von gesundheitsfördernden und präventiven Projekten, Maß- nahmen und Angeboten für die zweite Lebenshälfte. Zu- künftiger Handlungsbedarf für die Umsetzung eines integ- rierten Gesundheitsförderungs- und Präventionskonzeptes besteht u. a. darin (Kruse, 2004, 53ff): ie Nachhaltigkeit und Übertragbarkeit der Projekte zu d sichern die Vernetzung von Projekten und den Aufbau von Kooperationen der beteiligten Akteure (z. B. zwischen Medizin, Pflege und Krankenkassen) anzustreben die Projekte bundesweit bekannt und zugänglich zu machen. Hinsichtlich der Vernetzung von gesundheitsfördernden und präventiven Angeboten und der Information der Ad- ressaten haben nach Kruse (2004, 57f) die Krankenkassen, insbesondere aber die Kommunen eine herausragende Be- deutung. Gefordert sind auf kommunaler Ebene alle Ak- teure, vom Sportverein über die Volkshochschulen bis zu Seniorenorganisationen, um gesundheitsförderliche An- gebote zu entwickeln und auf die Zielgruppe der älteren Menschen auszurichten.
14 Gesundheitsförderung, soziale Benachteiligung und Alter 3 Gesundheitsförderung, soziale Benachteiligung und Alter Der Zusammenhang zwischen niedrigem sozialen Status prekäre Lebenslagen im Alter entstehen, die sich gegebe- (niedrige Bildung, niedriger Berufsstatus, niedriges Einkom- nenfalls dann weiter verschärfen, wenn chronische Krank- men), einem schlechten Gesundheitszustand, höherer Krank- heiten oder Behinderungen eintreten. heitsbelastung und früherer Sterblichkeit („Gesundheitli- che Ungleichheit“) ist durch zahlreiche Studien belegt (vgl. Eine Prognose der zukünftigen Einkommensentwicklung BMGS, 2005; Mielck, 2005). Bildung, Umwelt-, Arbeits- und im Alter gestaltet sich schwierig, da diese durch politische, Lebensbedingungen prägen gesundheitsrelevante Verhal- gesetzgeberische, aber auch individuelle Faktoren beein- tensweisen und den Lebensstil. Sie tragen dazu bei, dass der flusst wird. Vor dem Hintergrund von zunehmend prekären Gesundheitszustand je nach sozialer Schicht variiert. Risiko- und unterbrochenen Erwerbsbiographien, Teilzeitbeschäf- faktoren (z. B. Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel), tigungsverhältnissen und Veränderungen im Leistungs- Krankheitsvorkommen und Beschwerdeniveau weisen ent- recht (z. B. Privatisierung der Alterssicherung) ist mit einem sprechend einen deutlichen Schichtbezug auf (Dt. Bundes- Anstieg der Altersarmut und mit einer weiteren Differen- tag, 2002, 403; Lampert et al., 2005, Mielck & Helmert, 2006). zierung der Einkommensverhältnisse im Alter zu rechnen (Mnich et al. , 2008, 27; Bauer, 2008; Naegele, 2008; BMFS- Bildung, Beruf und Einkommen wirken als Merkmale der ver- FJ 2006; BMFSFJ, 2002). tikalen Ungleichheit indirekt auf den Gesundheitszustand ein. Die mit dem Sozialstatus verbundenen Lebensbedingun- Zudem ist festzustellen, dass die soziale Schicht das Inan- gen und Verhaltensweisen und ihr Einfluss auf die Gesund- spruchnahmeverhalten beeinflusst. Richter, Brand und heit sind komplex und erlauben keine Rückschlüsse im Sinne Rössler (2002,421) stellen in einer nordrhein-westfälischen einfacher Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge. Berücksich- Studie für Frauen einen signifikanten Zusammenhang zwi- tigt man zudem die Entstehungsgeschichte von Krankheiten schen Inanspruchnahme gesundheitsfördernder Maßnah- im Lebensverlauf, nimmt die Komplexität zu (Mielck 2005). men und sozialer Schicht fest: So nahmen lediglich 4 % der Frauen aus der Unterschicht gegenüber knapp 17 % der Bei der Betrachtung der materiellen Situation im Alter Frauen aus der Oberschicht an entsprechenden Maßnah- dürfen die bestehenden und zum Teil erheblichen Unter- men teil. Auch die Bereitschaft zur privaten Finanzierung schiede nicht vernachlässigt werden. Bei differenzierter gesundheitsfördernder Maßnahmen weist einen sozia- Betrachtung ist eine Abhängigkeit der materiellen Lage len Gradienten auf: Sie liegt in der Oberschicht bei knapp im Alter von Geschlecht, Haushaltsgröße und Region fest- 60 %, in der Mittelschicht bei 43 % und in der Unterschicht zustellen. Geschlechtsspezifische Unterschiede ergeben bei 24 %. Insgesamt betrachtet fällt der Anteil derjenigen, sich im Alternsprozess insbesondere zu Ungunsten älte- die noch nie an gesundheitsfördernden Maßnahmen teil- rer Frauen. So sind gegenwärtig alleinstehende hochalt- genommen haben, jedoch sehr hoch aus (Männer 83 %, rige Frauen häufiger als Männer von sozioökonomisch un- Frauen 75 %) (Richter, Brand & Rössler, 2002). günstigen Lebensbedingungen betroffen (Kruse, 2002, 169). Zudem zeigt sich, dass das Armutsrisiko insbesonde- Bei einer geschlechtsspezifischen Betrachtung lassen sich re in Einpersonenhaushalten 65-jähriger und älterer Men- weitere Unterschiede und Ungleichheiten feststellen. Die schen erhöht ist (BMFSFJ, 2006,137; Lampert et al., 2005, geringere Lebenserwartung der Männer ist neben bio- 118). Unterschiede treten zudem zwischen Ost- und West- physischen und genetischen Dispositionen auch auf ge- deutschland zutage: So stellen ältere ostdeutsche Männer schlechtsspezifische Unterschiede in gesundheitsförder- (70-85 Jahre) und Frauen (ab dem 55. Lebensjahr) die ein- lichen Lebensstilen zurückzuführen. Daraus ergibt sich ein kommensschwächsten Gruppen dar (DZA, 2005). besonderer Handlungsbedarf für die Förderung des Ge- sundheitsbewusstseins und Gesundheitsverhaltens älterer Darüber hinaus können besonders im Alter Hemmungen Männer (Kruse, 2002, 169). Zudem nehmen Frauen häufi- bestehen, staatliche Transferleistungen (z. B. Leistungen ger als Männer an gesundheitsfördernden Angeboten teil der Grundsicherung) in Anspruch zu nehmen (verschäm- (Dapp et al. 2002b, 3ff; Kahl, Hölling & Kamtsiuris, 1999). te Altersarmut). So ist die Inanspruchnahmequote bei Hil- fen zum Lebensunterhalt in der Gruppe der über 65-Jähri- Bei Betrachtung der „gesunden Lebenserwartung“, also gen mit 1,3 % im Vergleich zur Gesamtbevölkerung (3,3 %) der Zeit der beschwerdefreien Lebensjahre, wird deutlich, unterdurchschnittlich (BMFSFJ, 2006, 202). Hier können dass Frauen längere Zeit mit gesundheitlichen Beeinträch-
Gesundheitsförderung, soziale Benachteiligung und Alter 15 tigungen leben als Männer. So lagen 2002 in Deutschland die in Gesundheit verbrachten Lebensjahre für Frauen bei 74 Jahren, Lebensjahre mit gesundheitlichen Beeinträchti- gungen umfassten durchschnittlich 7,6 Jahre. Bei den Män- nern waren es 69,9 gesunde und 5,9 durch Beschwerden beeinträchtigte Lebensjahre (RKI, 2006, 17f). Während zur Ausgestaltung von Präventionsansätzen für Ältere im Allgemeinen bereits umfangreiche Befunde vor- liegen (vgl. auch Kap. 2), ist der Kenntnisstand zu primär- präventiven Strategien für sozial benachteiligte ältere Menschen gegenwärtig noch gering. Als geeignete und vielversprechende Strategien für sozial benachteiligte Zielgruppen werden gegenwärtig kontextbezogene An- sätze diskutiert, die verhaltens- und verhältnispräventive Maßnahmen kombinieren (Setting-Ansätze). Der Setting- Ansatz gilt insbesondere unter der Perspektive der Adres- sierung sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen als vielversprechend. Die Stadt bzw. der Stadtteil als Setting der Gesundheitsför- derung erweist sich insbesondere für ältere Menschen als besonders geeignet. Es ist davon auszugehen, dass für äl- tere selbständig lebende Menschen die unmittelbare Woh- numgebung, der Stadtteil in dem sie leben, als Lebenswelt zentrale Bedeutung besitzt. Dies gilt umso mehr, je stärker die Mobilität dieser Zielgruppe durch gesundheitliche Be- einträchtigungen oder mangelnde finanzielle Ressourcen beeinträchtigt ist. Der Stadtteil kann somit einen geeigne- ten Zugang für ältere Menschen im Allgemeinen und spezi- ell auch für sozial benachteiligte ältere Menschen zu Maß- nahmen der Gesundheitsförderung bieten (Kümpers, 2008; Kümpers & Rosenbrock, in Druck). Zudem werden insbesondere auf lokaler Ebene die Folgen gesellschaftlichen Wandels, der allgemein angespannten wirtschaftlichen Lage und einer fehlenden gesundheits- fördernden Gesamtpolitik deutlich. Aufgrund des Bedeu- tungsverlustes familiärer und beruflicher Bindungen fällt den Städten und Gemeinden im Kontext der kommunalen Daseinsfürsorge zunehmend die Übernahme sozialer Stütz- funktionen zu. Dies gilt insbesondere für die Bürgerinnen und Bürger, die ein erhöhtes Gesundheitsrisiko aufweisen oder über keine sozialen Unterstützungsnetzwerke verfü- gen, z .B. ältere alleinstehende Menschen. Integrierte ge- sundheitsfördernde Maßnahmen der Stadt- und Gemein- deentwicklung stellen in diesem Zusammenhang einen erfolgversprechenden Ansatzpunkt dar (AG Gesundheits- fördernde Städte und Gemeindeentwicklung, 2004, 20).
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