GESUNDHEITSKOMPETENZ KURZINFORMATION FÜR PFLEGEFACHPERSONEN - DBFK

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GESUNDHEITSKOMPETENZ KURZINFORMATION FÜR PFLEGEFACHPERSONEN - DBFK
Gesundheitskompetenz
Kurzinformation für Pflegefachpersonen
GESUNDHEITSKOMPETENZ KURZINFORMATION FÜR PFLEGEFACHPERSONEN - DBFK
Impressum
Autorinnen und Autoren:
Doris Schaeffer, Michael Ewers, Annett Horn, Christa Büker, Svea Gille, Franz Wagner, Andrea Weskamm
unter Mitarbeit von:
Yvonne Adam, Tina Conrad-Mueller, Axel Doll, Johanna Gossens, Britta March, Susanne Melin

Herausgeber:
Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe
- DBfK Bundesverband e.V.
Alt-Moabit 91
10559 Berlin
Telefon: +49 (0)30-2191570
Telefax: +49 (0)30-21915777
E-Mail: dbfk@dbfk.de
Internet: www.dbfk.de

Bitte wie folgt zitieren:
Schaeffer D, Ewers M, Horn A, Büker C, Gille S, Wagner F, Weskamm A (2020): Kurzinformation für
Pflegefachpersonen. Herausgegeben von Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) und Nationaler
Aktionsplan Gesundheitskompetenz (NAP): Berlin: DBfK / NAP

Bildnachweis:
iStock (Titel, S. 10, 22, 26)
DBfK Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (S. 2)
Universität Bielefeld (S. 3)

Diese Kurzinformation wurde von der Arbeitsgruppe Gesundheitskompetenz und Pflege im DBfK und NAP
erarbeitet. Da sich das Gesundheitswesen jedoch beständig weiterentwickelt, werden wir die Broschüre in regel-
mäßigen Abständen prüfen. Wir freuen uns über Ihre Rückmeldungen dazu.
Bitte senden Sie Ihre Rückmeldung an: dbfk@dbfk.de

©2020. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich
zugelassenen Fällen bedarf deshalb der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Urhebers.
GESUNDHEITSKOMPETENZ KURZINFORMATION FÜR PFLEGEFACHPERSONEN - DBFK
Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen                            2

Vorwort

Gesundheitskompetenz – bzw. die Fähigkeit gesund-         dar. Bei einer Personalausstattung, die oft nicht einmal
heitsbezogene Information finden, verstehen, beurteilen   eine sichere Versorgung garantiert, sind alle „zusätzli-
und nutzen zu können – ist eine wichtige Grundlage        chen“ Aufgaben eine Belastung für Pflegefachpersonen
für einen besseren Umgang mit der eigenen Gesund-         – so sinnvoll und nachhaltig sie auch sein mögen.
heit und Krankheit und ihren Folgen. Die Ermittlung       Folglich sind auch Investitionen in die Struktur durch
und Förderung von Gesundheitskompetenz muss               mehr Pflegepersonal notwendig. Ebenso werden geeig-
deshalb für alle Gesundheitsprofessionen selbstver-       nete Bedingungen benötigt, um Menschen in die Lage
ständlicher Bestandteil des eigenen Handelns werden.      zu versetzen, ihre verbesserte Gesundheitskompetenz
Bei der Mehrzahl von kranken und pflegebedürftigen        auch einzusetzen; das verlangt nach Möglichkeiten des
Menschen sind es Pflegefachpersonen, die die meiste       Zugriffs auf Informationen – analog und digital – schon
Kontaktzeit mit ihnen und auch den intensivsten Lebens-   in der Einrichtung.
weltbezug haben. Das sind wichtige Voraussetzungen,
um einen realitätsnahen Eindruck von deren Gesund-        Mit der vorliegenden Broschüre wollen wir Pflegefach-
heitskompetenz zu gewinnen. Zugleich ermöglicht           personen für das Thema Gesundheitskompetenz
dies, Zugang zu finden und Gesundheitskompetenz           sensibilisieren. Wir wollen erreichen, dass sie die Stär-
wirksam zu stärken.                                       kung von Gesundheitskompetenz als ihren ureigenen
                                                          professionellen Auftrag verstehen. Zugleich möchten
Eine große Herausforderung ist, dass Gesundheitskom-      wir ihnen einige Instrumente an die Hand geben,
petenz und der professionelle Umgang mit dem Thema        um Menschen, denen sie im Pflege- und Versorgung-
in der Versorgungs- und Pflegepraxis noch keineswegs      salltag begegnen, auf dem Weg zu einer besseren
selbstverständlich sind. In der Aus- und Weiterbildung    Gesundheitskompetenz zu unterstützen.
der Gesundheitsberufe wird dieses Thema noch nicht
regelmäßig bearbeitet. Hier besteht deutlicher Nach-      Franz Wagner,
holbedarf. Eine weitere Herausforderung stellen die       Bundesgeschäftsführer des Deutschen Berufsver-
aktuellen Rahmenbedingungen pflegerischer Arbeit          bands für Pflegeberufe
GESUNDHEITSKOMPETENZ KURZINFORMATION FÜR PFLEGEFACHPERSONEN - DBFK
3                       Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen

Gesundheitskompetenz ist in den letzten Jahren zu          Wir hoffen, mit dieser Broschüre einen ersten Beitrag
einem zunehmend wichtigen Thema geworden, des-             dazu zu leisten, dass das Thema Gesundheitskom-
sen Bedeutung von der WHO mit Nachdruck unter-             petenz in der Pflege in Deutschland intensiver auf-
strichen wird. Auch in Europa findet das Thema             gegriffen wird – sowohl auf individueller Ebene, in den
mittlerweile große Aufmerksamkeit. In Deutschland          Pflegeorganisationen wie auch im Gesundheitssystem
zeigt sich dies u.a. daran, dass hier inzwischen ein       als Ganzes. Dazu ist es erforderlich, sich intensiver
Nationaler Aktionsplan zur Förderung der Gesund-           mit dem Thema auseinanderzusetzen und mit
heitskompetenz erarbeitet und veröffentlicht wurde         bestehenden Strategien und Hinweisen zur Förderung
(https://www.nap-gesundheitskompetenz.de/). Er wurde       von Gesundheitskompetenz vertraut zu machen. Wir
von einer Gruppe von ca. 20 Expertinnen und Experten       haben dazu Materialien zusammengetragen und legen
(unterstützt durch die Robert Bosch Stiftung und den       sie hier vor. Wir hoffen damit auf positive Resonanz
AOK-Bundesverband und unter der Schirmherrschaft           bei Pflegefachpersonen und -organisationen und das
des damaligen Gesundheitsministers) erarbeitet und         Interesse an diesem wichtigen Thema zu wecken. Die
enthält insgesamt 15 Empfehlungen dazu, was gesche-        Förderung von Gesundheitskompetenz wird künftig
hen muss, um die Gesundheitskompetenz in Deutsch-          eine zentrale Aufgabe sein, mit der sich alle Pflege-
land nachhaltig zu stärken. Ebenso ist – angestoßen        fachpersonen intensiv befassen müssen – dies ist
durch das Bundesgesundheitsministerium – eine              im Interesse der Patientinnen und Patienten und der
„Allianz Gesundheitskompetenz“ entstanden, in der          Ermöglichung einer patientenzentrierten Versor-
auch der Deutsche Pflegerat mit den von ihm vertrete-      gung und Pflege wie auch der Weiterentwicklung des
nen Verbänden Mitglied ist. Das Ziel der Allianz besteht   eigenen Berufs.
darin, konkrete Projekte zur Gesundheitskompetenz
anzustoßen.                                                Doris Schaeffer,
                                                           Sprecherin des Nationalen Aktionsplans Gesundheits-
                                                           kompetenz
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Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen    4

Inhalt
Worum geht es?                                                                          5

1. Überblick über Definitionen und Befunde                                              6

     1.1. Was ist Gesundheitskompetenz                                                  6

     1.2. Warum ist Gesundheitskompetenz wichtig?                                       7

     1.3. Was ist über die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung bekannt?                8

     1.4. Was fällt im Umgang mit Gesundheitsinformation schwer?                        9

     1.5. Was sind die Folgen niedriger Gesundheitskompetenz?                          10

2. Wie können Pflegefachpersonen Gesundheitskompetenz verbessern?                      11

     2.1. Aufgabenfeld Krankenhaus                                                     11

     2.2. Aufgabenfeld Ambulante Pflege                                                14

     2.3. Aufgabenfeld Alten- und Pflegeheim                                           16

3. Praktische Tipps zur Förderung von Gesundheitskompetenz                             19

     3.1. Verständlichkeit von Information verbessern – allgemeine Tipps               19

     3.2. Mündliche Kommunikation und Information verbessern                           21

     3.3. Verbesserung schriftlicher Gesundheitsinformation                            23

     3.4. Verbesserung der Information im Internet                                     25

4. Förderung von Gesundheitskompetenz als Leitungsaufgabe                              27

Literatur                                                                              29
GESUNDHEITSKOMPETENZ KURZINFORMATION FÜR PFLEGEFACHPERSONEN - DBFK
5                        Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen

Worum geht es?

Diese Kurzinformation zur Gesundheitskompetenz ist       4. Der vierte Abschnitt thematisiert die Förderung der
für Pflegefachpersonen, andere Beschäftigte in der          Gesundheitskompetenz als Leitungsaufgabe und
Pflege, Leitungskräfte von Pflegeeinrichtungen und im       stellt Maßnahmen vor, wie Pflegeeinrichtungen
Gesundheitswesen sowie Vertreterinnen und Vertreter         gesundheitskompetenter gestaltet werden können.
von Verbänden aus dem Berufsfeld Pflege gedacht.
Sie enthält Definitionen, Fakten und Tipps zum Thema     Den Abschluss bildet eine Literaturliste mit wichtigen
Gesundheitskompetenz.                                    wissenschaftlichen Studien und ergänzenden Veröffent-
                                                         lichungen zum Thema Gesundheitskompetenz.
Die Kurzinformation ist in vier Abschnitte gegliedert:
1. Der erste Abschnitt vermittelt einen kurzen           Für die Erstellung der Kurzinformation wurde zunächst
   Überblick über wichtige Definitionen und Befunde      eine ausführliche Literaturrecherche durchgeführt, bei
   aus der Forschung zur Gesundheitskompetenz.           der bereits vorliegende Materialien und Leitfäden zur
                                                         Förderung der Gesundheitskompetenz recherchiert und
2. Im zweiten Abschnitt finden sich Überlegungen
                                                         auf ihre Übertragbarkeit auf den Pflegekontext geprüft
   dazu, wie Gesundheitskompetenz gefördert
                                                         wurden. Anschließend wurde von einer Experten-
   werden kann und welche Herausforderungen dabei
                                                         gruppe die vorliegende Kurzinformation erarbeitet und
   jeweils anzugehen sind.
                                                         konsentiert1.
3. Im dritten Abschnitt werden praktische Strategien
   und Tipps vorgestellt, mit denen Gesundheits-
   informationen verständlicher gemacht werden
   können. Daneben finden sich Hinweise dazu, wie
   Gesundheitskompetenz in der Pflegepraxis gestärkt
   werden kann.

                                                         1 Die vorliegende Kurzinformation wurde durch den Quick Guide to
                                                         Health Literacy inspiriert, der 2011 vom U.S. Department of Health and
                                                         Human Services veröffentlicht wurde [1].
Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen                                      6

1. Überblick über
Definitionen und Befunde

1.1. Was ist Gesundheitskompetenz?                                            europäische Gesundheitskompetenzstudie entwickelt
                                                                              – den „European Health Literacy Survey“ (HLS-EU):
Gesundheitskompetenz wird international als Health
Literacy bezeichnet und ist vor allem in den USA                              „Gesundheitskompetenz basiert auf allgemeiner Litera-
seit langem ein wichtiges Thema in der gesundheits-                           lität und umfasst das Wissen, die Motivation und die
politischen und wissenschaftlichen Diskussion. Das                            Fähigkeiten von Menschen, relevante Gesundheits-
Konzept geht ursprünglich auf die dort geführte                               informationen in unterschiedlicher Form zu finden, zu
Alphabetisierungsdebatte zurück.                                              verstehen, zu beurteilen und anzuwenden, um im
                                                                              Alltag in den Bereichen der Krankheitsbewältigung/-
Unter „Literacy“ (auf Deutsch: Literalität) wird ganz                         versorgung, Krankheitsprävention und Gesundheits-
allgemein die Fähigkeit einer Person verstanden, lesen,                       förderung Urteile fällen und Entscheidungen treffen zu
schreiben und rechnen zu können. Diese Fähigkeit ist                          können, die ihre Lebensqualität während des gesamten
eine wesentliche Voraussetzung für gesellschaftliche                          Lebensverlaufs erhalten oder verbessern.“ [2,3]
Teilhabe.
                                                                              Gesundheitskompetenz beruht danach also auf
„Health Literacy“ wiederum bedeutet wörtlich über-                            funktionalen Schreib-, Lese- und Rechenfähigkeiten.
setzt „gesundheitliche Literalität“; durchgesetzt hat                         Ebenso wichtig ist dieser Definition nach aber die
sich im Deutschen dafür aber der Begriff Gesund-                              Fähigkeit, Gesundheitsinformation ausfindig machen,
heitskompetenz. Unter Health Literacy bzw. Gesund-                            verstehen, bewerten und einschätzen zu können,
heitskompetenz wurden zunächst die erforderlichen                             um auf dieser Basis im Alltag zu Entscheidungen zu
Schreib-, Lese- und Rechenfähigkeiten verstanden,                             gelangen, von denen die eigene Gesundheit profitiert.
um gesundheitsrelevante Informationen verstehen zu
können. Dazu gehören beispielsweise Behandlungs-                              Gesundheitskompetenz ist als relational zu verstehen
oder Pflegehinweise, das Lesen und Verstehen von                              [4]. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass sie
Packungsbeilagen von Medikamenten oder die Berech-                            einerseits auf persönlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten
nung des Blutzuckerlevels2.                                                   der oder des Einzelnen beruht. Andererseits ist sie aber
                                                                              durch die situativen Anforderungen und die Komplexität
Das Verständnis von Gesundheitskompetenz wurde                                der Systeme bestimmt, in denen der oder die Einzelne
inzwischen mehrfach weiterentwickelt. Heute wird mit                          sich bewegt und handelt [4–5] (vgl. hierzu Abb.1).
dem Begriff generell die Fähigkeit zum Umgang mit
Gesundheitsinformation bezeichnet. Erforderlich ist                           Zu diesen situativen Anforderungen gehören beispiels-
diese Fähigkeit, um tragfähige Entscheidungen zur                             weise:
Erhaltung und Förderung der eigenen Gesundheit
                                                                                  der Grad der Komplexität des jeweiligen Gesund-
oder zur Bewältigung von Krankheit und auch
                                                                                  heits- und Pflegesystems
Pflegebedürftigkeit treffen zu können.
                                                                                  die Art der Kommunikation und Informationsver-
Das spiegelt sich auch in der folgenden Definition                                mittlung der beteiligten Gesundheitsprofessionen
von Sørensen et al. wider. Sie prägt die europäische                              die Zeit, die sich die Gesundheitsprofessionen für
und auch die deutsche Diskussion und wurde für die                                die Vermittlung von Information nehmen (können)
2 „Illiteracy“ (Illiteralität) ist die Bezeichnung dafür, dass jemand nicht
                                                                                  und
lesen oder schreiben kann, also Analphabet ist. Wichtig zu betonen ist,           die besonderen Anforderungen und Rahmen-
dass eine Person mit begrenzter oder geringer Gesundheitskompetenz/               bedingungen in der jeweiligen Situation.
Health Literacy nicht zwangsläufig geringe Schreib-, Lese und
Rechenfähigkeiten hat.
7                           Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen

    Fertigkeiten und                                                                                Anforderungen
    Fähigkeiten des                             Gesundheitskompetenz                               und Komplexität
    Einzelnen                                                                                         des Systems

Abbildung 1: Zusammenspiel von persönlicher und systemischer Gesundheitskompetenz [4]

1.2. Warum ist Gesundheits-                                         Steigende Lebenserwartung

kompetenz wichtig?                                                  Auch der enorme Gewinn an Lebensjahren verlangt
                                                                    nach Gesundheitskompetenz. Seit Anfang des 20.
Gesundheitskompetenz hat in modernen Wissens- und                   Jahrhunderts ist die Lebenserwartung in Deutschland
Informationsgesellschaften hohe Bedeutung, denn in                  um 30 Jahre angestiegen. In den kommenden
ihnen muss jeder und jede Einzelne täglich in allen                 Jahrzehnten wird sie noch weiter zunehmen. Damit
Lebensbereichen gesundheitsbezogene Entscheidungen                  diese Lebensjahre auch zu lebenswerten Jahren
treffen. Dabei ist es egal, ob es um Gesundheits-                   werden, ist jeder und jede Einzelne gefordert, so viel
erhaltung und Krankheitsbewältigung geht, um Anfor-                 wie möglich für die eigene Gesundheitserhaltung zu
derungen in der Arbeitswelt, im Konsum- und Freizeit-               tun und sich für die Ermöglichung einer gesunden
bereich oder um die Nutzung von Medien und die                      Lebensweise zu engagieren. Dies gilt auch für den
Beteiligung an politischen Prozessen [6,7]. Um zu trag-             Fall, dass sich Gesundheitsbeeinträchtigungen und
fähigen Entscheidungen zu gelangen, muss jeder und                  Krankheiten oder Pflegebedürftigkeit einstellen. Auch
jede Einzelne mit gesundheitsrelevanter Information                 dann ist aktives Handeln und Selbstmanagement
umgehen können. Im Folgenden werden einige Gründe                   gefragt, was entsprechende Informiertheit und
angeführt, warum Gesundheitskompetenz immer                         Gesundheitskompetenz voraussetzt.
bedeutsamer wird.
                                                                    Umgang mit chronischen Beeinträchtigungen
Wachsendes, unübersichtliches Informationsangebot                   Anzuführen ist auch die voranschreitende Zunahme
Heute existiert ein wachsendes Informationsangebot,                 chronischer Krankheiten, dauerhafter Funktions-
das durch die Digitalisierung (Internet, Apps und Soziale           einschränkungen und in der Folge von Pflege-
Medien) täglich zunimmt. Der schnelle Zuwachs und                   bedürftigkeit. Sie ziehen zahlreiche Anforderungen
die rasche Verbreitung von Informationen und Wissen                 nach sich und konfrontieren die Betroffenen und ihr
erleichtern den Zugang zu Information, sie bringen aber             soziales Umfeld immer wieder mit neuen Aufgaben.
auch Probleme mit sich: Mit der Menge an Information                Um damit konstruktiv umgehen zu können, reicht
hat auch die Unübersichtlichkeit zugenommen.                        das vorhandene Wissen oft nicht aus. Besonders gilt
                                                                    dies, wenn plötzlich neue Komplikationen auftreten,
                                                                    sei es, weil das Medikamentenregime umgestellt
Außerdem werden vermehrt qualitativ fragwürdige und
                                                                    wurde oder eine unerwartete Verschlechterung des
fehlerhafte Informationen verbreitet, deren wissen-
                                                                    Gesundheitszustands eintritt. Auch, um diesen Anfor-
schaftliche Evidenz nicht gesichert ist. Das gilt auch
                                                                    derungen nachkommen zu können und mit chronischer
für Informationen zu Gesundheits- und Pflegethemen.
                                                                    Beeinträchtigung und/oder dauerhafter Pflegebedürf-
Hinzu kommt, dass Informationen und Wissen rascher
                                                                    tigkeit leben zu lernen, ist Gesundheitskompetenz
überholt sind als früher: Was vor einigen Jahren über
                                                                    unverzichtbar.
Gesundheit, Krankheit und Pflege als richtig gelehrt
und gelernt wurde, ist heute unter Umständen nicht
mehr aktuell, unvollständig oder sogar falsch. Daran
zeigt sich, dass der rasante Anstieg von Information und
Wissen mit einer Reihe an neuen Herausforderungen
einhergeht und hohe Anforderungen an die Gesund-
heitskompetenz mit sich bringt [7].
Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen                              8

Veränderte Rollen von Patientinnen, Patienten und           der Einschränkungen ihrer gesundheitlichen Auto-
Pflegebedürftigen                                           nomie in einer verletzlichen Situation befinden und
                                                            die Unterstützung anderer benötigen – auch beim
Verstärkt wird dies durch den Wandel der Rolle von
                                                            Umgang mit Information. Oft nehmen stellvertretend
Patientinnen und Patienten und auch von Pflege-
                                                            Angehörige/Zugehörige diese Aufgabe wahr, vielfach
bedürftigen. Sie werden heute nicht mehr nur als passive
                                                            auch andere Personen (z.B. rechtlich Betreuende)
Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen
                                                            in ihrem Umfeld. Damit sie diese Aufgabe kompetent
betrachtet, sondern als aktiv handelnde, selbstbestimmte
                                                            ausfüllen können, müssen allerdings auch sie in der
Personen, die in die Entscheidungsfindung und Aus-
                                                            Lage sein, mit gesundheits- und pflegerelevanter
gestaltung der Behandlung, Versorgung und Pflege
                                                            Information umzugehen; d.h. sie benötigen ebenfalls
einbezogen werden: „Keine Entscheidung über mich
                                                            Gesundheitskompetenz. Für viele ist dies eine Heraus-
ohne mich“ – so lautet das international verbreitete
                                                            forderung. Die Stärkung der Gesundheitskompetenz
Motto, das diese Haltung auf den Punkt bringt. Auch für
                                                            von Angehörigen/Zugehörigen stellt daher ebenfalls
die Pflege wird es als selbstverständlich angesehen,
                                                            eine wichtige Aufgabe von Pflegefachpersonen dar.
dass die Stimme der Patientinnen und Patienten gehört
und bei der Entscheidungsfindung und Aushandlung der
Behandlung und Pflege beachtet wird [8].
                                                                Bitte beachten: Das Vorhandensein von Infor-
Um sich nicht allein auf ihr Bauchgefühl oder Hören-            mation oder von mehr Information führt nicht
sagen verlassen zu müssen, sondern fundierte                    automatisch dazu, dass Menschen besser und
Entscheidungen fällen zu können, benötigen Patien-              kenntnisreicher mit gesundheitlichen Heraus-
tinnen und Patienten wie auch Pflegebedürftige                  forderungen umgehen können, aber es ist eine
zuverlässige Information und die Fähigkeit, diese               zwingende Voraussetzung dafür.
zur Entscheidungsfindung nutzen zu können. Dabei
ist zu bedenken, dass Pflegebedürftige sich aufgrund

1.3. Was ist über die Gesund-                               Eine ganze Reihe an Studien belegt, dass geringe
                                                            Gesundheitskompetenz in vielen Ländern ein großes
heitskompetenz der Bevölkerung                              Problem darstellt [3,7]. Gesundheitskompetenz ist
bekannt?                                                    zudem ungleich in der Bevölkerung verteilt. Besonders
                                                            Menschen mit niedrigem Bildungsgrad und Einkommen,
Insgesamt gewinnt Gesundheitskompetenz gesellschaft-        ältere Erwachsene, Menschen mit Migrationshinter-
lich immer höheren Stellenwert. Zugleich wird der           grund sowie Menschen mit chronischen Krankheiten
Umgang mit Gesundheitsinformation und der Erwerb            gehören zu den Bevölkerungsgruppen, die eine
von Gesundheitskompetenz von vielen Menschen als            geringe Gesundheitskompetenz aufweisen. Herkunft,
schwierig angesehen. Dies bestätigen auch inzwischen        sozio-ökonomischer Status, Bildung, Sprache, der
durchgeführte Studien.                                      Zugang zu Ressourcen und Chancen sowie das Alter
                                                            sind damit Faktoren, die Einfluss auf die Gesundheits-
Nach der Studie zur Gesundheitskompetenz der Bevöl-         kompetenz eines Menschen haben.
kerung in Deutschland hat lediglich 7,3 % der erwach-
senen Bevölkerung eine ausgezeichnete Gesundheits-          Wie sich die Situation in Deutschland darstellt, zeigt das
kompetenz. Jeder zweite Befragte verfügt über eine          folgende Schaubild, das der deutschlandweiten Studie
eingeschränkte Gesundheitskompetenz. Konkret sehen          zur Gesundheitskompetenz der Bevölkerung ent-
sich 54,3 % der Bevölkerung vor Schwierigkeiten im          nommen wurde [9]. Die Abbildung zeigt den Anteil an
Umgang mit gesundheitsbezogener Information gestellt [9].   inadäquater (rot), problematischer (gelb), ausreichender
                                                            (hellgrün) und exzellenter (dunkelgrün) Gesundheits-
Wie eine vergleichende Studie zur Gesundheitskompe-         kompetenz in einzelnen Bevölkerungsgruppen und in
tenz in Europa gezeigt hat, an der insgesamt acht           der Allgemeinbevölkerung (unterste Reihe).
europäische Länder beteiligt waren, bewegt sich
Deutschland im Vergleich mit diesen im unteren
Mittelfeld [10].
9                                            Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen

                    exzellent                                        ausreichend              problematisch                 inadäquat

      niedrige Bildung          6,2                               31,7                                        45,9                        16,3

 niedriger Sozialstatus        1,3           20,4                                            59,1                                       19,2

Migrationshintergrund                 10,6                   18,8                                    53,0                                17,5

      chronisch krank          2,1                  25,3                                            55,9                                 16,8

          ab 65 Jahre      3,0                             30,7                                             51,1                           15,2

Allgemeinbevölkerung            7,3                                      38,4                                        44,6                         9,7

                          0%                                 20%                   40%                       60%            80%                         100%

Abbildung 2: Gesundheitskompetenz einzelner Bevölkerungsgruppen in Prozent (HLS-GER)

Über eine gute Gesundheitskompetenz (dunkelgrün                                          bei Menschen mit niedriger Bildung (oberste Reihe),
und hellgrün addiert) verfügen in Deutschland in der                                     niedrigem Sozialstatus (zweite Reihe), bei Menschen
Allgemeinbevölkerung 45,7 %, über eine geringe oder                                      mit Migrationshintergrund (dritte Reihe), bei Menschen,
niedrige Gesundheitskompetenz (gelb und rot addiert)                                     die älter als 65 Jahre sind (fünfte Reihe) oder die unter
54,3 %, also mehr als die Hälfte der Befragten. Ein                                      chronischer Erkrankung leiden (vierte Reihe). Hier sind
höherer Anteil an geringer Gesundheitskompetenz als                                      es fast 73 %.
in der Allgemeinbevölkerung findet sich in Deutschland

1.4. Was fällt im Umgang mit                                                             Bedenklich stimmt auch, was der Bevölkerung im
                                                                                         Umgang mit Information Schwierigkeiten bereitet. Am
Gesundheitsinformation schwer?                                                           schwersten fällt ihr das Finden von Information. Jedem
                                                                                         zweiten Befragten bereitet dies Probleme. Das bestätigt,
Gesundheitskompetenz wurde in der europäischen und
                                                                                         dass die Vielzahl und Vielfalt an Information in der Tat
auch der deutschlandweiten Studie in drei Bereichen
                                                                                         eine große Herausforderung sind. Auch das Beurteilen
untersucht:
                                                                                         von Information stellt viele Menschen vor Probleme:
(1) Krankheitsbewältigung und Versorgung,                                                57,4 % der Befragten tun sich damit schwer. Sie wissen
                                                                                         also nicht, wie sie gefundene Information einschätzen
(2) Prävention und
                                                                                         sollen und welcher Information sie vertrauen können.
(3) Gesundheitsförderung.                                                                Folglich können sie diese Information auch nicht für
                                                                                         das eigene Handeln verwenden.
Gezeigt hat sich, dass der Umgang mit Information im
Bereich Gesundheitsförderung (z.B. zu gesundheits-
bewusstem Verhalten oder zu gesunder Ernährung)
von den Befragten in Deutschland am schwersten
eingeschätzt wird. Über 60 % sehen sich hier vor
Schwierigkeiten gestellt. Einfacher ist es für sie, mit
Informationen zur Krankheitsbewältigung/Versorgung
umzugehen. Dies finden aber trotzdem rund 40 % der
Befragten schwierig.
Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen                       10

1.5. Was sind die Folgen niedriger                       schränkter Gesundheitskompetenz [14]. Sie dürften
                                                         vermutlich auch mit einem begrenzteren Wissen über
Gesundheitskompetenz?                                    pflegerelevante Sachverhalte einhergehen. Genaues
                                                         ist hierzu nicht bekannt, weil der Umgang mit pflege-
Eine geringe Gesundheitskompetenz geht mit zahl-
                                                         bezogener Information bislang kaum untersucht wurde.
reichen Folgen für die Gesundheit einher, wie vorlie-
gende Studien bestätigen. Beispielsweise schätzen
Menschen mit niedriger Gesundheitskompetenz ihre         Studien zufolge neigen Menschen mit geringer
Gesundheit öfter als schlecht ein als Personen mit gut   Gesundheitskompetenz       außerdem     dazu,     sich
ausgeprägter Gesundheitskompetenz. Sie haben zudem       ungesünder zu verhalten und wichtige präventive
meist geringes grundlegendes Gesundheitswissen über      Maßnahmen nicht wahrzunehmen, was auf lange
den Körper, Krankheitsursachen oder Möglichkeiten        Sicht auch das Risiko von Pflegebedürftigkeit erhöhen
der Prävention und Gesundheitserhaltung, ebenso          dürfte. Zugleich nutzen sie das Gesundheitssystem
geringeres Krankheitswissen [11-13].                     intensiver: Den vorliegenden Untersuchungen zufolge
                                                         ist geringe Gesundheitskompetenz mit einer höheren
                                                         Zahl an Krankenhausaufenthalten und Arztbesuchen
Aber auch geringere Selbstmanagementfähigkeiten
                                                         sowie einer häufigeren Inanspruchnahme ärztlicher
und größere Schwierigkeiten bei der Bewältigung von
                                                         Notdienste verbunden [15–18].
Gesundheits- oder Pflegeproblemen sind Folgen einge-
11                      Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen

2. Wie können Pflegefach-
personen Gesundheits-
kompetenz verbessern?

Pflegefachpersonen sind die Berufsgruppe, die am           Bei geplanten Krankenhausaufenthalten – etwa für eine
häufigsten zu kranken und pflegebedürftigen Menschen       Hüftoperation – werden Informationen über den Eingriff
und deren Bezugspersonen Kontakt haben. Aus                selbst, dessen mögliche Folgen (z.B. Schmerzen)
diesem Grund können Pflegefachpersonen auch gut            oder Risiken sowie alternative Behandlungskonzepte
Einfluss auf deren Gesundheitskompetenz nehmen.            benötigt, aber auch darüber, wo und von wem der
Wie dies aussehen kann, soll im Folgenden anhand von       jeweilige Eingriff am ehesten durchgeführt werden kann.
Fallbeispielen aus der Pflege- und Versorgungspraxis       Üblicherweise werden solche behandlungsspezifischen
erläutert werden.                                          Informationen von niedergelassenen Ärztinnen und
                                                           Ärzten oder in einer Krankenhausambulanz durch
                                                           die dort Behandelnden vermittelt. Darüber hinaus
                                                           gibt es heute Informationsportale im Internet mit
2.1. Aufgabenfeld                                          einschlägigen Qualitätsinformationen. Was bei diesen
                                                           Informationsangeboten aber selten zur Sprache kommt,
Krankenhaus
                                                           sind die mit einem geplanten Krankenhausaufenthalt
Für die meisten Patientinnen und Patienten sowie           verbundenen alltagspraktischen Fragen – etwa
deren Angehörige/Zugehörige stellen Krankenhaus-           danach, welche persönlichen Gegenstände (z.B.
aufenthalte eine Ausnahmesituation dar, die viele          Kleidung, Schmuck, Elektrogeräte, Bargeld) man
Fragen aufwirft. Der Informationsbedarf unterscheidet      mit ins Krankenhaus nehmen kann, wie man sich
sich dabei jeweils, je nachdem, ob der Aufenthalt für      in einem Krankenhaus angemessen verhält (etwa
einen elektiven Eingriff von langer Hand vorbereitet       in einem Mehrbettzimmer) oder wie es um die
werden konnte oder ob er eine Folge unerwarteter           Besuchsregeln bestellt ist und wie (ältere) Angehörige/
gesundheitlicher Krisen oder von Unfällen ist. Er ist      Zugehörige die möglicherweise längeren Wege zum
aber in jedem Fall ausgeprägt, weshalb ein Kranken-        Krankenhaus für Besuche bewältigen können. Auch
hausaufenthalt die Gesundheitskompetenz jeder und          was postoperativ zu beachten ist und was im Fall von
jedes Einzelnen auf eine harte Probe stellt.               postoperativen gesundheitlichen Krisen geschehen
                                                           soll und welche Vorkehrungen und Absprachen,
                                                           etwa bei einer unvorhergesehenen Verlängerung des
Das beginnt bereits mit der Frage, wann man überhaupt
                                                           Krankenhausaufenthalts, notwendig sind, ist vielen
ein Krankenhaus aufsuchen sollte und welche
                                                           unklar. Gut wäre es, wenn die Pflegedirektion hier im
Gesundheitsprobleme besser von niedergelassenen
                                                           Vorfeld einer geplanten Aufnahme geeignete Informa-
Ärztinnen und Ärzten oder Bereitschaftsdiensten
                                                           tionen zusammenstellen und vorab an die jeweiligen
beantwortet werden können. Viele Menschen können
                                                           Patientinnen und Patienten übermitteln könnte.
das heute nicht gut einschätzen, weshalb sie mit
ihrem Gesundheitsproblem direkt in die Notaufnahme
des nächstgelegenen Krankenhauses gehen und                Kommt es dann zur Aufnahme, stellen sich Patientinnen
damit den teuersten Zugang zur Versorgung nutzen.          und Patienten sowie Angehörigen/Zugehörigen weitere
Mehr Informationen darüber, welche Notfallangebote         Fragen. Anders als für die im Krankenhaus arbeitenden
es in einer Region gibt und wie sie abgestuft zu           Personen ist das für sie eine fremde Umgebung mit
nutzen sind, könnten hier Abhilfe schaffen. Auch           auf den ersten Blick schwer verständlichen Abläufen.
Informationsangebote – etwa Patienteninformations-         Einige von ihnen mögen mit dem Krankenhaus schon
zentren – im Eingangsbereich von Krankenhäusern,           vertraut sein – etwa von früheren Aufenthalten oder
können Informationen bereitstellen und über Alternativen   Besuchen. Für andere ist es eine völlig neue Welt,
zu einer Inanspruchnahme der Notaufnahme aufklären.        die womöglich Angst auslöst. Die ohnehin durch
Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen                            12

die gesundheitliche Krise bestehende Unsicherheit
darüber, wie es mit ihnen weitergeht, wird dadurch            Fallbeispiel Elif und Levent Kaya
zusätzlich verstärkt. Patientinnen und Patienten oder
Angehörige/Zugehörige in solchen Situationen zu               Bevor sie auf die kardiologische
ermutigen, Fragen zu stellen und ihnen jederzeit              Station K3 aufgenommen wurde, hat
durch gezielte, gut dosierte Informationen den                die 76-jährige, leicht adipöse Elif Kaya bereits
Aufnahmeprozess ins Krankenhaus und auf der                   eine längere Odyssee hinter sich. Sie war nach
jeweiligen Abteilung oder Station zu erleichtern, ist         einem akuten Myokard-infarkt zunächst über
eine wichtige Aufgabe von Pflegefachpersonen.                 die Notaufnahme aufge-nommen und dann
Schon allein die Unsicherheit darüber, wer die vielen         mehrere Tage auf der Intensivstation behandelt
Menschen sind, die im Krankenhaus arbeiten, welche            worden. Inzwischen ist ihr Zustand weitgehend
Funktionen sie jeweils haben und was von ihnen                stabil, weshalb sie zur Weiterbehandlung
konkret an Hilfe zu erwarten ist, kann belasten.              auf die K3 verlegt wurde. Dort wurde sie der
Farbig codierte Dienstkleidung für die verschiedenen          Bezugspflegeperson Beate Kaiser zugeordnet,
Berufsgruppen in Kombination mit Informationstafeln           die sich seit zwei Tagen um sie kümmert.
auf den Stationen sowie eindeutigen Beschriftungen
auf Namensschildern der Mitarbeitenden könnten dem
begegnen und Orientierung bieten.                             Beate Kaiser ist dabei aufgefallen, dass sowohl
                                                              Frau als auch Herr Kaya – beide sind türkischer
                                                              Abstammung – Probleme damit haben, die auf
Im weiteren Verlauf werden Pflegefachpersonen dann            der Station verwendeten Formulare auszufüllen,
in Erfahrung bringen müssen, wie es um die Gesund-            im Kontakt mit den Ärztinnen und Ärzten nach
heitskompetenz von Patientinnen und Patienten                 für sie relevanten Informationen zu fragen oder
sowie deren Angehörigen/Zugehörigen im konkreten              sich im Krankenhaus zu orientieren. Beide
Einzelfall bestellt ist. Dabei sollten sie sich keinesfalls   scheinen gut Deutsch zu verstehen, sprechen
auf den Augenschein verlassen, denn über welche               aber selbst wenig und meist nur kurze, einfache
Gesundheitskompetenz jemand verfügt, sieht man                Sätze. Während Elif Kaya insgesamt sehr
ihm oder ihr nicht an. Vielmehr sollten im Rahmen             zurückhaltend, fast verschüchtert wirkt, weist ihr
des pflegerischen Assessments Red Flags [19] oder             Mann jeden Versuch der Informationssammlung
auch Testverfahren wie der Newest Vital Sign Test             oder Informationsübermittlung fast schon
/ Eiscremetest eingesetzt werden, um Hinweise zur             unhöflich zurück. Meist meidet er den Kontakt
individuellen Gesundheitskompetenz zu erhalten.               zu Ärztinnen und Ärzten und Pflegenden
Auf dieser Grundlage lassen sich im Team geeignete            – stattdessen unterhält er sich mit den
Maßnahmen planen und umsetzen. Je nach Bedarf                 Besucherinnen und Besuchern von Elif Kaya,
können allgemein pflegerische Informationen, etwa             bei denen es sich offenbar um nahe Verwandte
zur Körperhygiene und Selbstpflege, zum Umgang                handelt. Eigene Kinder hat das Ehepaar nicht.
mit therapeutisch-technischen Maßnahmen (z.B.                 Die diensthabenden Pflegefachpersonen haben
liegender Blasenkatheter, Infusionen), zum richtigen          zudem beobachtet, dass der für die Patientin
Verhalten nach operativen Eingriffen (z.B. Aufstehen,         erarbeitete Behandlungs- und Medikationsplan
Mobilität, Delir) adressatengerecht aufbereitet, bereit-      ohne Reaktion wahrgenommen und die über-
gestellt oder persönlich vermittelt werden. Bei der           mittelten Selbstpflegehinweise für die immobile
persönlichen Begegnung können Pflegefachpersonen              Patientin offensichtlich nicht umgesetzt wurden.
heute auf unterschiedliche Kommunikationstechniken            Dies alles sind – darüber wurde Beate Kaiser
zurückgreifen, die international seit längerem erprobt        bei einer kürzlich besuchten Weiterbildung
und eingesetzt werden (siehe Abschnitt 3). Voraus-            informiert – Warnsignale für eine niedrige
gesetzt ist allerdings, dass ihnen der Stationsalltag         Gesundheitskompetenz.
die dafür notwendigen personellen und zeitlichen
Freiräume gewährt.
                                                              Sie ruft deshalb das gesamte Team zusammen
                                                              und sensibilisiert es für das Problem. Es wird
                                                              beschlossen, einen Test mit dem Ehepaar
                                                              durchzuführen, um festzustellen, wie es
                                                              um deren Gesundheitskompetenz bestellt
                                                              ist. Zudem sollten alle im Team sich so
13                       Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen

                                                         oder Angebote der Patientenedukation dienen (z.B.
     verhalten, als hätte Elif Kaya (und auch ihr        durch Pflegeexpertinnen und -experten im Bereich
     Mann) Probleme damit, die ihr angebotenen           Breast-Care, Hämophilie, Diabetes; Anus-Praeter-
     Informationen zu ihrem Gesundheitszustand           Schulung).
     und ihrer Situation zu verstehen und für sich
     zu nutzen. Die Pflegefachpersonen sollen            Schließlich muss auch der Übergang aus dem
     sich grundsätzlich um eine einfache Sprache         Krankenhaus in eine häusliche Versorgung, eine
     bemühen und gelegentlich darum bitten, dass         Rehabilitationsmaßnahme oder eine Einrichtung der
     die übermittelten Informationen wiederholt          Langzeitpflege mit Information und Unterstützung
     werden, um zu überprüfen, ob sie auch               bei der Entscheidung begleitet werden. Neben dem
     verstanden wurden (siehe Abschnitt 3). Es           Entlassungsmanagement oder Case Management ist
     wird zudem überlegt, ob eventuell einer der         hier jede einzelne Pflegefachperson im Krankenhaus
     Angehörigen des Ehepaars angesprochen               gefordert, die mit der Entlassung und Weiterversorgung
     und um Mithilfe beim Übersetzen gebeten             in Zusammenhang stehenden Fragen der Patientinnen
     werden kann – einige von ihnen sind jünger          und Patienten und ihrer Angehörigen/Zugehörigen
     und sprechen offensichtlich sehr gut deutsch.       ernst zu nehmen und zu beantworten und sie bei der
     Sollte das nicht gelingen, könnte eine türkisch     Informationsverarbeitung zu unterstützen.
     sprechende Kollegin von der chirurgischen
     Station um Unterstützung gebeten werden.
     Auf diese Weise soll ermittelt werden, welchen      Pflegefachpersonen im Krankenhaus oder vergleich-
     konkreten Informationsbedarf Elif und Levent        baren stationären Einrichtungen haben somit
     Kaya zum Stationsalltag, zur Erkrankung und         insgesamt die Aufgabe
     deren Behandlung haben und wie sich dieser              Informationsangebote über das Krankenhaus
     beantworten lässt. Auch die anstehende                  im Vorfeld bereits auf Nutzerfreundlichkeit und
     Weiterverlegung in eine Rehabilitationsklinik           Vollständigkeit hin zu überprüfen;
     kann so informativ vorbereitet und damit
                                                             sich Methoden anzueignen, um die Gesund-
     einhergehende Verunsicherungen über den
                                                             heitskompetenz bei Patientinnen und Patienten
     weiteren Verlauf abgemildert werden.
                                                             oder Angehörigen/Zugehörigen einzuschätzen;
                                                             Kommunikationstechniken einzuüben, um mit
Aus dem Krankenhausalltag ist bekannt, dass Pflege-          Personen mit geringer Gesundheitskompetenz zu
fachpersonen immer wieder auch auf diagnostische und         sprechen und zu informieren;
therapeutische Maßnahmen angesprochen werden,                bei Personen mit nicht deutscher Muttersprache für
über die regelmäßig die behandelnden Ärztinnen               eine geeignete Unterstützung (Dolmetscherdienst,
und Ärzte aufklären müssen. Hier wäre eine enge              Kultur- und Sprachmittlung) zu sorgen;
Absprache im interprofessionellen therapeutischen
Team gefordert, um eventuell nach dem ärztlichen             sich im interprofessionellen Team abzustimmen,
Aufklärungsgespräch noch aufgekommene Fragen                 wer, wie, wo und wann Information übermittelt und
angemessen beantworten, abgestimmte Informationen            bei der Informationsverarbeitung unterstützt;
übermitteln und so individuelle Entscheidungsfindungs-       Information für die Zeit nach dem Krankenhaus-
prozesse der Patientinnen und Patienten unterstützen         aufenthalt bereit zu halten.
zu können.

Während Ärztinnen und Ärzte eher punktuellen und
zeitlich eng begrenzten Kontakt zu Patientinnen und
Patienten haben, sind Pflegefachpersonen sehr viel
unmittelbarer verfügbar. Sie können daher auch
unkomplizierter und direkter auf die Informations-
wünsche der Patientinnen und Patienten oder ihrer
Angehörigen/Zugehörigen reagieren und ihnen dabei
helfen, die von ärztlicher Seite übermittelten Infor-
mationen zu verarbeiten. Dem können unter anderem
auch prä- und postoperative Pflegesprechstunden
Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen                             14

2.2. Aufgabenfeld Ambulante                               kompetenz. Zu Beginn eines solchen Gesprächs ist eine
                                                          Einschätzung der Gesundheitskompetenz der Beteiligten
Pflege                                                    ratsam, z.B. durch sensible Wahrnehmung von Warn-
                                                          hinweisen oder durch kurze Fragen. Anschließend kann
Der Eintritt von Pflegebedürftigkeit vollzieht sich oft
                                                          dann eine gezielte Informationsvermittlung oder eine
schleichend mit allmählich zunehmendem Hilfebedarf,
                                                          angepasste Beratung mit Blick auf die jeweilige Pflege-
kann aber auch durch plötzliche, krisenhafte Ereig-
                                                          und Versorgungssituation folgen [19].
nisse – wie beispielsweise einen schweren Schlaganfall
– eintreten, so dass sich die Gesundheits- und Lebens-
situation der betroffenen Person und ihrer Angehörigen/   Egal, ob ambulante Pflegedienste in Anspruch
Zugehörigen von heute auf morgen ändert. In jedem Fall    genommen werden oder die Pflege eigenständig
stellt der Beginn von Pflegebedürftigkeit die Gesund-     organisiert und durchgeführt wird – stets tragen die
heitskompetenz aller Beteiligten auf eine harte Probe.    betroffenen Personen und deren Umfeld die Hauptlast
                                                          des Lebens mit Pflegebedürftigkeit und/oder Krankheit.
                                                          Auch im weiteren Verlauf des Pflegegeschehens sind
Meist müssen in dieser von Unsicherheit geprägten
                                                          sie daher auf ein hohes Maß an Gesundheitskompetenz
Situationen zahlreiche Fragen geklärt werden: Wie wird
                                                          angewiesen. Sie benötigen Informationen über die
sich die Krankheit entwickeln? Welche spezifischen
                                                          Erkrankung und potenzielle Risiken sowie über
Pflege- und Versorgungsanforderungen bestehen bei
                                                          die daraus resultierenden Anforderungen im Alltag
der Erkrankung? Wie muss der Alltag umgestaltet
                                                          (z.B. Umgang mit Medikamenten, Beachtung krank-
werden? Sind Hilfsmittel notwendig und wie oder von
                                                          heitsspezifischer Symptome, Prophylaxen, Verhalten
wem werden sie organisiert? Muss das eigene Zuhause
                                                          in Krisensituationen). Edukative Angebote in Form
umgebaut werden? Welche Unterstützungs- und
                                                          von individuellen häuslichen Einzelschulungen oder
Entlastungsmöglichkeiten gibt es und wie können sie
                                                          auch Gruppenschulungen (Pflegekurse) können zur
finanziert werden? Um den hohen Informationsbedarf zu
                                                          Stärkung der Gesundheitskompetenz von Angehörigen/
bewältigen, können u.a. einschlägige Beratungsstellen
                                                          Zugehörigen beitragen, die sich an der Pflege
mit ihren qualitätsgesicherten Informationsangeboten
                                                          beteiligen. Wichtig ist ferner die Unterstützung bei der
genutzt werden, z.B. bei Kommunen oder Kranken-
                                                          Kommunikation mit der Hausärztin oder dem Hausarzt
und Pflegekassen.
                                                          und ggf. weiteren am Pflegegeschehen Beteiligten.

Werden Leistungen der ambulanten Pflege in
Anspruch genommen, besteht – besonders zu Beginn             Fallbeispiel Herbert und Ida Wagner
– hoher Informationsbedarf. Hier sind insbesondere
in ambulanten Diensten tätige verantwortliche Pflege-
fachpersonen gefordert. Angesichts der Komplexität           Der 78-jährige Herbert Wagner hat
der bürokratischen Anforderungen ist von Seiten des          vor sechs Wochen einen Schlag-
ambulanten Pflegedienstes eine intensive und abge-           anfall erlitten. Nach einem Krankenhausaufent-
stimmte Aufklärungsarbeit erforderlich. Dabei ist es         halt und anschließender Reha ist er seit
hilfreich, die Informationen so aufzubereiten, dass          kurzem wieder zu Hause, wo ihn seine eben-
sie leicht verständlich, übersichtlich und jederzeit         falls bereits 76-jährige Ehefrau Ida Wagner
verfügbar sind. Die Informationen sollten möglichst          versorgt. Aufgrund einer rechtsseitigen Hemi-
neutral formuliert sein und der vielfach gebräuchliche       parese ist Herbert Wagner in seiner Mobilität
Werbejargon sollte vermieden werden.                         erheblich eingeschränkt; er kann mithilfe eines
                                                             Rollators gehen, bewegt sich jedoch sehr unsicher.

Die meisten Familien versorgen ihre pflegebedürftigen
Angehörigen jedoch allein, ohne die Hilfe durch              Auf Anraten des Hausarztes hat das Paar einen
einen ambulanten Pflegedienst. Die Möglichkeiten,            ambulanten Pflegedienst eingeschaltet, dessen
sich in der ambulanten Pflege für die Stärkung der           Mitarbeiterin – die Altenpflegerin Silke Herber
Gesundheitskompetenz zu engagieren, sind in diesen           – nun ihre Bezugspflegeperson ist. Sie kommt
Fällen begrenzt. Sie sind aber durchaus vorhan-              einmal täglich morgens, hilft Herbert Wagner
den, z.B. durch das Angebot unverbindlicher Pflege-          bei der Körperpflege und lernt das Paar dabei
sprechstunden. Ferner bietet sich mit den regelmäßig         nach und nach kennen. Bei einem der Besuche
zu absolvierenden Beratungseinsätzen (gem. § 37,3            fällt ihr auf, dass Herr und Frau Wagner nicht
SGB XI) eine Chance zur Stärkung der Gesundheits-            wissen, wie sie ein Formular von der Pflegekasse
15                        Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen

     für die Beantragung von Pflegeleistungen                 wieder mal mit Herbert und Ida Wagner zu
     ausfüllen sollen und wo sie entsprechende                spielen. Zudem werden in der Wohnung
     Hilfe erhalten können. Trotz Zeitdruck erläutert         Erinnerungshilfen platziert. Die Wirkungen
     Silke Herber ihnen die verschiedenen Leistungs-          dieser Maßnahmen sollen zunächst von
     arten und Kombinationsmöglichkeiten und                  Silke Herber beobachtet werden. Erst wenn
     händigt ihnen eine Broschüre über die Begut-             dies keinen Erfolg zeigt, will das Pflegeteam
     achtung des Medizinischen Dienstes der                   kompensatorische       Maßnahmen       ergreifen
     Krankenversicherung (MDK) aus. Allerdings                und den Hausarzt um eine Verordnung über
     gewinnt sie aus Gesprächen den Eindruck,                 die zweimal tägliche Medikamentenvergabe
     dass die Informationen entweder nicht gelesen            durch den Pflegedienst bitten. Zudem wird eine
     oder nicht verstanden wurden.                            Kollegin von Silke Herber, die vor einem Jahr
                                                              eine Ausbildung zur Pflegeberaterin absolviert
     Im Laufe der Zeit stellt Silke Herber dann fest,         hat, hinzugezogen. Sie soll das Ehepaar über
     dass auch in anderen Bereichen Informationen             Möglichkeiten der Wohnraumanpassung und
     benötigt werden: Ida Wagner wirkt durch                  der Entlastung der pflegenden Ehefrau aufklären,
     die Pflege ihres Mannes sichtlich erschöpft,             ihre Fragen beantworten und sie motivieren,
     Entlastungsangebote sind ihr nicht bekannt.              diese Information zur Verbesserung ihrer
     Herbert Wagner nimmt seine Medikamente                   häuslichen Pflegesituation zu nutzen.
     unregelmäßig ein und auf Nachfrage weiß er
     oft nicht, wofür die einzelnen Medikamente
     sind oder welche Folgen die Nichteinnahme            Neben der gesundheitlichen Situation der pflege-
     haben kann. Zudem ist das Ehepaar wegen der          bedürftigen Person sollten die Mitarbeitenden ambu-
     Gangunsicherheit von Herrn Wagner besorgt,           lanter Pflegedienste stets auch die psychische und
     die bereits mehrfach beinahe zu einem Sturz          körperliche Verfassung der Angehörigen/Zugehörigen
     geführt hat. Wie sie ihre Wohnung sicherer           und deren Informationsbedarfe im Blick haben.
     gestalten können, ist Herbert und Ida Wagner         Insbesondere bei langandauernden Pflegesituationen
     nicht klar.                                          bedarf es der Ermutigung zur regelmäßigen Selbst-
                                                          pflege mit Hinweisen über Möglichkeiten der eigenen
                                                          Entlastung (z.B. Tagespflege, Kurzzeitpflege, Betreu-
     Bei einer Fallbesprechung des Pflegeteams
                                                          ungsgruppen). Regelmäßige Information über Ent-
     berichtet Silke Herber über ihre Beobachtungen.
                                                          lastungsangebote ist deshalb wichtig. Denn oft
     Zwar ist der Pflegedienst nur für die Körper-
                                                          verlieren Angehörige/Zugehörige im „Dschungel“ des
     pflege bei Herbert Wagner zuständig.
                                                          Versorgungssystems den Überblick. Listen mit Adressen
     Aufgrund der Warnsignale für eine geringe
                                                          von Tages- und Kurzzeitpflegeeinrichtungen einfach
     Gesundheitskompetenz wird jedoch darüber
                                                          weiterzugeben reicht nicht aus; hilfreich wäre es
     hinaus gehender Handlungsbedarf gesehen,
                                                          vielmehr, diese immer mal wieder als Anlass für ein
     um eine Verschlechterung verhindern und die
                                                          Informationsgespräch zu nutzen. Ergänzende Angebote
     häusliche Pflege aufrecht erhalten zu können.
                                                          von ambulanten Pflegediensten, Kommunen oder
     Deshalb wird im Team überlegt, welche
                                                          Sozial- und Wohlfahrtsverbänden, wie Gesprächskreise
     Informationen erforderlich sind, um auf die
                                                          für pflegende Angehörige/Zugehörige, können ebenfalls
     unregelmäßige Medikamenteneinnahme und
                                                          zur Förderung der Gesundheitskompetenz beitragen.
     die Gangunsicherheit von Herbert Wagner wie
     auch auf die Erschöpfung von Ida Wagner zu
     reagieren.                                           Wichtig ist es, sich klar zu machen, dass es mit einer
                                                          einmaligen Information oft nicht getan ist. Beispielsweise
                                                          wird eine im weiteren Verlauf der Pflegesituation
     Um eine regelmäßige Einnahme der Medika-
                                                          eintretende Verschlechterung im Krankheitsbild der
     mente zu unterstützen soll ein umfunktioniertes
                                                          pflegebedürftigen Person neue und andere Fragen
     Memoryspiel genutzt werden, auf dem die
                                                          aufwerfen und die Gesundheitskompetenz erneut fordern.
     einzelnen Medikamente und Hinweise zum
     Einnahmemodus vermerkt sind. Eine Mitar-
     beiterin eines ehrenamtlichen Besuchs-               Auch beim Umgang mit dem Lebensende entstehen
     dienstes wird gebeten, dieses Spiel immer            zahlreiche Fragen – nicht zuletzt, weil nur wenige
                                                          Menschen mit solchen Situationen Erfahrungen
Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen                          16

haben. Es liegt auf der Hand, dass es in dieser           2.3. Aufgabenfeld Alten-
Situation nicht allein mit der Übergabe einer Broschüre
eines kooperierenden Hospiz- oder Palliativdienstes       und Pflegeheim
getan ist, wenngleich auch das bereits hilfreich
                                                          Der Übergang in eine Einrichtung der stationären Lang-
sein kann. Notwendig sind vor allem sensible und
                                                          zeitversorgung – ein Alten- oder Pflegeheim oder
wiederholte Informationsangebote von Seiten der
                                                          eine betreute Wohneinrichtung – stellt eine große
Pflegefachpersonen. Dabei ist zu berücksichtigen,
                                                          Herausforderung dar, bei dem die Gesundheits-
ob und inwieweit die Pflegebedürftigen und ihre
                                                          kompetenz von Pflegebedürftigen und ihren Ange-
Angehörigen/Zugehörigen überhaupt in der Lage
                                                          hörigen/Zugehörigen sehr strapaziert werden kann,
sind, Informationen aufzunehmen. Informationen über
                                                          zumal zahlreiche wichtige Entscheidungen zu treffen
die Möglichkeiten der Gestaltung des Lebensendes
                                                          sind. Das beginnt mit der Auswahl der „richtigen“
und der darauf zielenden Unterstützungsangebote
                                                          Einrichtung. Dafür kann mittlerweile auf recht um-
sollten deshalb wohldosiert und situationsangepasst
                                                          fangreiche Qualitätsdaten und Internetportale zurück-
übermittelt werden und den Beteiligten hinreichend
                                                          gegriffen werden. Aber meist sind die dort zu findenden
Zeit zur Verarbeitung lassen – insbesondere, wenn
                                                          Informationen wenig nutzerfreundlich aufbereitet und
schwierige Entscheidungen anstehen.
                                                          nur bedingt aussagekräftig. Ähnlich ist es mit vielen
                                                          im Internet verfügbaren Informationen über Heime.
Pflegefachpersonen in ambulanten Pflegediensten           Daher finden es Pflegebedürftige und ihre Angehörigen
oder vergleichbaren Einrichtungen können die              oft schwierig, diese für die Entscheidungsfindung zu
Gesundheitskompetenz fördern, indem sie                   nutzen. Die mündliche Information – häufig eingebettet
    qualitätsgesicherte und nutzerfreundliche Informa-    in eine Vor-Ort-Begehung oder den Besuch einer
    tion über die häusliche Pflege vorhalten und          Pflegeberatungsstelle – ist deshalb nach wie vor
    situationsangemessen übermitteln;                     unverzichtbar. Das gilt umso mehr, als Vertrauen bei
                                                          der Auswahl einer Einrichtung eine bedeutende Rolle
    sensibel den individuellen Informationsbedarf im      spielt.
    Pflegealltag erfassen und im Team nach kreativen,
    niederschwelligen Möglichkeiten zur Beantwortung
    suchen;                                               Hinzu kommt, dass ein solcher Übergang immer
                                                          eine sensible und kritische Phase im Lebenslauf von
    über präventive Maßnahmen bei Pflegebedürftigen       Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen/Zugehörigen
    (z.B. Sturzprävention) und den pflegenden             darstellt. Oft erfolgt er inzwischen im hohen Alter und
    Angehörigen (z.B. Angehörigenkurse/-treffen) infor-   in einem recht späten Stadium von Pflegebedürftigkeit
    mieren;                                               und gesundheitlicher Beeinträchtigung, was das
    Maßnahmen zur Kompensation inadäquater Gesund-        Anpassungsvermögen an die mit einem Heimeinzug
    heitskompetenz ergreifen und dabei mit allen          einhergehenden Veränderungen beeinträchtigen kann.
    Beteiligten (z.B. behandelnden Ärztinnen und          Die Übermittlung von Information – eingebettet in ein
    Ärzten) eng kooperieren;                              persönliches Gespräch mit einer Pflegefachperson – hat
                                                          deshalb auch nach der Auswahl und der Übersiedlung
    auch Angehörige/Zugehörige immer wieder mit           in eine Einrichtung der Langzeitversorgung hohe
    Informationen über die häusliche Pflege versorgen     Bedeutung. Auf diese Weise kann der neuen Bewohnerin
    und so deren Selbstmanagement unterstützen;           oder dem neuen Bewohner die biographische Neu-
    durch Pflegesprechstunden, regelmäßige, gut           orientierung und emotionale Verarbeitung dieses Schritts
    vorbereitete Beratungsbesuche – und im Bedarfs-       erleichtert werden. Information und Kommunikation
    fall ergänzende Angebote – den Verbleib in der        können zudem bei der Eingewöhnung in das neue
    Häuslichkeit ermöglichen und für eine fachlich        Umfeld unterstützen – etwa dabei, sich in der fremden
    fundierte Information sorgen.                         Umgebung zurechtzufinden, sich an die zunächst noch
                                                          unbekannten Mitbewohnerinnen und Mitbewohner
                                                          zu gewöhnen oder sich auf den neuen Tagesablauf
                                                          einzustellen und eine passende Alltagsgestaltung zu
                                                          finden.
17                        Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen

Auch und besonders bei Menschen mit kogni-
tiven Beeinträchtigungen ist es wichtig, dass                Die Bewohnerinnen und Bewohner sind
Pflegefachpersonen die Eingewöhnungsphase kommu-             meist sehr viel älter und leiden – anders als
nikativ begleiten, um drohende Hospitalisierungseffekte      Frau Meier – unter kognitiven Einbußen, meist
und Deprivation möglichst zu vermeiden. Darüber              hervorgerufen durch eine Demenz. Letztlich fällt
hinaus sollten Angehörige/Zugehörige regelmäßig              die Entscheidung, dass Frieda Meier vorerst in
über die Entwicklung der neu eingezogenen                    ihrem häuslichen Umfeld bleibt.
Heimbewohnerinnen und Heimbewohner informiert
werden – etwa darüber, wie sich sie oder er ent-             Als Frieda Meier eines Tages zuhause stürzt,
wickelt, wie der Verlust der Häuslichkeit verarbeitet        trägt sie zwar keinen körperlichen Schaden
wird und welche Herausforderungen sich im Alltag             davon, aber allen Beteiligten wird klar, dass
ergeben. Solche Informationen sind auch wichtig, um          das bisherige Versorgungsarrangement keinen
Angehörige/Zugehörige in anstehende Entschei-                Bestand mehr hat. Frieda Meier soll deshalb in
dungen einzubeziehen. Zugleich ist erforderlich, Zurück-     das nächstgelegene Seniorenzentrum umziehen.
bleibende im Blick zu behalten, wie z.B. hochaltrige         Dort wird mit dem Bezugspflegesystem ge-
Ehepartnerinnen und Ehepartner, die nun allein leben         arbeitet; die Pflegefachperson Tanja Schmidt
und bei denen die Gefahr einer Vereinsamung besteht.         wird nach einer ersten Fallbesprechung im Team
                                                             zur Ansprechpartnerin erklärt. Sie verabredet
                                                             einen Informationsbesuch in der Wohnung von
     Fallbeispiel Frieda Meier                               Frieda Meier und bittet die Familie dazu.

     Frieda Meier ist 68 Jahre alt, allein-                  Im Gespräch erkennt sie, wie schwer es Frieda
     lebend und an einer mittlerweile weit                   Meier und ihren Familienangehörigen noch
     fortgeschrittenen Parkinson-Krankheit erkrankt.         immer fällt, die getroffene Entscheidung zu
     Betreut wird sie von ihren zwei Kindern, die            akzeptieren und sich nicht allein von den eigenen
     aber beruflich stark eingebunden sind und               Gefühlen und Befürchtungen leiten zu lassen,
     in einer Nachbarstadt wohnen. Aufgrund der              sondern informiert zu handeln und entscheiden.
     zunehmenden Beeinträchtigungen ist ein Ver-             Ihr wird außerdem deutlich, dass die Information
     bleib von Frieda Meier in der eigenen Wohnung           der Familie unzureichend ist und sie weder
     nicht mehr sicher. Deshalb wird von den                 zum Verlauf von Parkinsonerkrankungen über
     Familienangehörigen – innerlich allerdings un-          ausreichende Informationen verfügt, noch zu
     sicher – eine Heimunterbringung in Erwägung             Leistungen und Angeboten des Senioren-
     gezogen. Sie erkundigen sich zunächst                   zentrums oder dazu, wie es mit Hilfe von
     bei Verwandten und im Freundeskreis und                 pflegerischen Interventionen gelingen kann,
     recherchieren im Internet. Dabei stoßen sie zwar        Frieda Meier einen guten Übergang in die
     auf viele Webseiten und auch vergleichende              Einrichtung zu ermöglichen und ihr dort
     Portale, die aber bei genauerer Betrachtung             trotz ihrer Erkrankung und Einschränkungen
     wenig nützliche Information für ihren schwierigen       ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu
     Entscheidungsprozess enthalten. Deshalb                 gewähren. Die Familie kann erhaltene Infor-
     suchen sie nach anderen Informationswegen               mation außerdem nicht gut bewerten und
     und verabreden mit einigen, ihnen passend               benötigt dazu Unterstützung.
     erscheinenden Heimen Besichtigungstermine.
     Die dabei geführten Informationsgespräche               Tanja Schmidt reagiert darauf, informiert über
     verlaufen meist freundlich; im Vordergrund              das Möglichkeitsspektrum und das Angebot
     stehen jedoch eher die Aufnahmebedingungen              in der Einrichtung und unterstützt bei der
     der Einrichtungen oder deren Vorzüge gegen-             Einschätzung. Dabei achtet sie sorgfältig
     über anderen Anbietern – die Unsicherheit               darauf, eben kein „Verkaufsgespräch“ zu
     der Familie über die anstehende Entschei-               führen. Vielmehr sollen Frieda Meier und ihre
     dungssituation kommt kaum zur Sprache.                  Familie auf Grundlage neutraler und gesicherter
     Nach jeder Besichtigung ist die Familie weniger         Informationen selbst entscheiden, was für sie
     überzeugt, denn Frieda Meier scheint eigentlich         richtig ist. Zusätzlich bietet sie der Familie an,
     nicht in solche Einrichtungen zu passen:                sich bei einem Besuch in der Einrichtung auch
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