GESUNDHEITSKOMPETENZ KURZINFORMATION FÜR PFLEGEFACHPERSONEN - DBFK
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Impressum Autorinnen und Autoren: Doris Schaeffer, Michael Ewers, Annett Horn, Christa Büker, Svea Gille, Franz Wagner, Andrea Weskamm unter Mitarbeit von: Yvonne Adam, Tina Conrad-Mueller, Axel Doll, Johanna Gossens, Britta March, Susanne Melin Herausgeber: Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe - DBfK Bundesverband e.V. Alt-Moabit 91 10559 Berlin Telefon: +49 (0)30-2191570 Telefax: +49 (0)30-21915777 E-Mail: dbfk@dbfk.de Internet: www.dbfk.de Bitte wie folgt zitieren: Schaeffer D, Ewers M, Horn A, Büker C, Gille S, Wagner F, Weskamm A (2020): Kurzinformation für Pflegefachpersonen. Herausgegeben von Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) und Nationaler Aktionsplan Gesundheitskompetenz (NAP): Berlin: DBfK / NAP Bildnachweis: iStock (Titel, S. 10, 22, 26) DBfK Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (S. 2) Universität Bielefeld (S. 3) Diese Kurzinformation wurde von der Arbeitsgruppe Gesundheitskompetenz und Pflege im DBfK und NAP erarbeitet. Da sich das Gesundheitswesen jedoch beständig weiterentwickelt, werden wir die Broschüre in regel- mäßigen Abständen prüfen. Wir freuen uns über Ihre Rückmeldungen dazu. Bitte senden Sie Ihre Rückmeldung an: dbfk@dbfk.de ©2020. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf deshalb der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Urhebers.
Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen 2 Vorwort Gesundheitskompetenz – bzw. die Fähigkeit gesund- dar. Bei einer Personalausstattung, die oft nicht einmal heitsbezogene Information finden, verstehen, beurteilen eine sichere Versorgung garantiert, sind alle „zusätzli- und nutzen zu können – ist eine wichtige Grundlage chen“ Aufgaben eine Belastung für Pflegefachpersonen für einen besseren Umgang mit der eigenen Gesund- – so sinnvoll und nachhaltig sie auch sein mögen. heit und Krankheit und ihren Folgen. Die Ermittlung Folglich sind auch Investitionen in die Struktur durch und Förderung von Gesundheitskompetenz muss mehr Pflegepersonal notwendig. Ebenso werden geeig- deshalb für alle Gesundheitsprofessionen selbstver- nete Bedingungen benötigt, um Menschen in die Lage ständlicher Bestandteil des eigenen Handelns werden. zu versetzen, ihre verbesserte Gesundheitskompetenz Bei der Mehrzahl von kranken und pflegebedürftigen auch einzusetzen; das verlangt nach Möglichkeiten des Menschen sind es Pflegefachpersonen, die die meiste Zugriffs auf Informationen – analog und digital – schon Kontaktzeit mit ihnen und auch den intensivsten Lebens- in der Einrichtung. weltbezug haben. Das sind wichtige Voraussetzungen, um einen realitätsnahen Eindruck von deren Gesund- Mit der vorliegenden Broschüre wollen wir Pflegefach- heitskompetenz zu gewinnen. Zugleich ermöglicht personen für das Thema Gesundheitskompetenz dies, Zugang zu finden und Gesundheitskompetenz sensibilisieren. Wir wollen erreichen, dass sie die Stär- wirksam zu stärken. kung von Gesundheitskompetenz als ihren ureigenen professionellen Auftrag verstehen. Zugleich möchten Eine große Herausforderung ist, dass Gesundheitskom- wir ihnen einige Instrumente an die Hand geben, petenz und der professionelle Umgang mit dem Thema um Menschen, denen sie im Pflege- und Versorgung- in der Versorgungs- und Pflegepraxis noch keineswegs salltag begegnen, auf dem Weg zu einer besseren selbstverständlich sind. In der Aus- und Weiterbildung Gesundheitskompetenz zu unterstützen. der Gesundheitsberufe wird dieses Thema noch nicht regelmäßig bearbeitet. Hier besteht deutlicher Nach- Franz Wagner, holbedarf. Eine weitere Herausforderung stellen die Bundesgeschäftsführer des Deutschen Berufsver- aktuellen Rahmenbedingungen pflegerischer Arbeit bands für Pflegeberufe
3 Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen Gesundheitskompetenz ist in den letzten Jahren zu Wir hoffen, mit dieser Broschüre einen ersten Beitrag einem zunehmend wichtigen Thema geworden, des- dazu zu leisten, dass das Thema Gesundheitskom- sen Bedeutung von der WHO mit Nachdruck unter- petenz in der Pflege in Deutschland intensiver auf- strichen wird. Auch in Europa findet das Thema gegriffen wird – sowohl auf individueller Ebene, in den mittlerweile große Aufmerksamkeit. In Deutschland Pflegeorganisationen wie auch im Gesundheitssystem zeigt sich dies u.a. daran, dass hier inzwischen ein als Ganzes. Dazu ist es erforderlich, sich intensiver Nationaler Aktionsplan zur Förderung der Gesund- mit dem Thema auseinanderzusetzen und mit heitskompetenz erarbeitet und veröffentlicht wurde bestehenden Strategien und Hinweisen zur Förderung (https://www.nap-gesundheitskompetenz.de/). Er wurde von Gesundheitskompetenz vertraut zu machen. Wir von einer Gruppe von ca. 20 Expertinnen und Experten haben dazu Materialien zusammengetragen und legen (unterstützt durch die Robert Bosch Stiftung und den sie hier vor. Wir hoffen damit auf positive Resonanz AOK-Bundesverband und unter der Schirmherrschaft bei Pflegefachpersonen und -organisationen und das des damaligen Gesundheitsministers) erarbeitet und Interesse an diesem wichtigen Thema zu wecken. Die enthält insgesamt 15 Empfehlungen dazu, was gesche- Förderung von Gesundheitskompetenz wird künftig hen muss, um die Gesundheitskompetenz in Deutsch- eine zentrale Aufgabe sein, mit der sich alle Pflege- land nachhaltig zu stärken. Ebenso ist – angestoßen fachpersonen intensiv befassen müssen – dies ist durch das Bundesgesundheitsministerium – eine im Interesse der Patientinnen und Patienten und der „Allianz Gesundheitskompetenz“ entstanden, in der Ermöglichung einer patientenzentrierten Versor- auch der Deutsche Pflegerat mit den von ihm vertrete- gung und Pflege wie auch der Weiterentwicklung des nen Verbänden Mitglied ist. Das Ziel der Allianz besteht eigenen Berufs. darin, konkrete Projekte zur Gesundheitskompetenz anzustoßen. Doris Schaeffer, Sprecherin des Nationalen Aktionsplans Gesundheits- kompetenz
Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen 4 Inhalt Worum geht es? 5 1. Überblick über Definitionen und Befunde 6 1.1. Was ist Gesundheitskompetenz 6 1.2. Warum ist Gesundheitskompetenz wichtig? 7 1.3. Was ist über die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung bekannt? 8 1.4. Was fällt im Umgang mit Gesundheitsinformation schwer? 9 1.5. Was sind die Folgen niedriger Gesundheitskompetenz? 10 2. Wie können Pflegefachpersonen Gesundheitskompetenz verbessern? 11 2.1. Aufgabenfeld Krankenhaus 11 2.2. Aufgabenfeld Ambulante Pflege 14 2.3. Aufgabenfeld Alten- und Pflegeheim 16 3. Praktische Tipps zur Förderung von Gesundheitskompetenz 19 3.1. Verständlichkeit von Information verbessern – allgemeine Tipps 19 3.2. Mündliche Kommunikation und Information verbessern 21 3.3. Verbesserung schriftlicher Gesundheitsinformation 23 3.4. Verbesserung der Information im Internet 25 4. Förderung von Gesundheitskompetenz als Leitungsaufgabe 27 Literatur 29
5 Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen Worum geht es? Diese Kurzinformation zur Gesundheitskompetenz ist 4. Der vierte Abschnitt thematisiert die Förderung der für Pflegefachpersonen, andere Beschäftigte in der Gesundheitskompetenz als Leitungsaufgabe und Pflege, Leitungskräfte von Pflegeeinrichtungen und im stellt Maßnahmen vor, wie Pflegeeinrichtungen Gesundheitswesen sowie Vertreterinnen und Vertreter gesundheitskompetenter gestaltet werden können. von Verbänden aus dem Berufsfeld Pflege gedacht. Sie enthält Definitionen, Fakten und Tipps zum Thema Den Abschluss bildet eine Literaturliste mit wichtigen Gesundheitskompetenz. wissenschaftlichen Studien und ergänzenden Veröffent- lichungen zum Thema Gesundheitskompetenz. Die Kurzinformation ist in vier Abschnitte gegliedert: 1. Der erste Abschnitt vermittelt einen kurzen Für die Erstellung der Kurzinformation wurde zunächst Überblick über wichtige Definitionen und Befunde eine ausführliche Literaturrecherche durchgeführt, bei aus der Forschung zur Gesundheitskompetenz. der bereits vorliegende Materialien und Leitfäden zur Förderung der Gesundheitskompetenz recherchiert und 2. Im zweiten Abschnitt finden sich Überlegungen auf ihre Übertragbarkeit auf den Pflegekontext geprüft dazu, wie Gesundheitskompetenz gefördert wurden. Anschließend wurde von einer Experten- werden kann und welche Herausforderungen dabei gruppe die vorliegende Kurzinformation erarbeitet und jeweils anzugehen sind. konsentiert1. 3. Im dritten Abschnitt werden praktische Strategien und Tipps vorgestellt, mit denen Gesundheits- informationen verständlicher gemacht werden können. Daneben finden sich Hinweise dazu, wie Gesundheitskompetenz in der Pflegepraxis gestärkt werden kann. 1 Die vorliegende Kurzinformation wurde durch den Quick Guide to Health Literacy inspiriert, der 2011 vom U.S. Department of Health and Human Services veröffentlicht wurde [1].
Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen 6 1. Überblick über Definitionen und Befunde 1.1. Was ist Gesundheitskompetenz? europäische Gesundheitskompetenzstudie entwickelt – den „European Health Literacy Survey“ (HLS-EU): Gesundheitskompetenz wird international als Health Literacy bezeichnet und ist vor allem in den USA „Gesundheitskompetenz basiert auf allgemeiner Litera- seit langem ein wichtiges Thema in der gesundheits- lität und umfasst das Wissen, die Motivation und die politischen und wissenschaftlichen Diskussion. Das Fähigkeiten von Menschen, relevante Gesundheits- Konzept geht ursprünglich auf die dort geführte informationen in unterschiedlicher Form zu finden, zu Alphabetisierungsdebatte zurück. verstehen, zu beurteilen und anzuwenden, um im Alltag in den Bereichen der Krankheitsbewältigung/- Unter „Literacy“ (auf Deutsch: Literalität) wird ganz versorgung, Krankheitsprävention und Gesundheits- allgemein die Fähigkeit einer Person verstanden, lesen, förderung Urteile fällen und Entscheidungen treffen zu schreiben und rechnen zu können. Diese Fähigkeit ist können, die ihre Lebensqualität während des gesamten eine wesentliche Voraussetzung für gesellschaftliche Lebensverlaufs erhalten oder verbessern.“ [2,3] Teilhabe. Gesundheitskompetenz beruht danach also auf „Health Literacy“ wiederum bedeutet wörtlich über- funktionalen Schreib-, Lese- und Rechenfähigkeiten. setzt „gesundheitliche Literalität“; durchgesetzt hat Ebenso wichtig ist dieser Definition nach aber die sich im Deutschen dafür aber der Begriff Gesund- Fähigkeit, Gesundheitsinformation ausfindig machen, heitskompetenz. Unter Health Literacy bzw. Gesund- verstehen, bewerten und einschätzen zu können, heitskompetenz wurden zunächst die erforderlichen um auf dieser Basis im Alltag zu Entscheidungen zu Schreib-, Lese- und Rechenfähigkeiten verstanden, gelangen, von denen die eigene Gesundheit profitiert. um gesundheitsrelevante Informationen verstehen zu können. Dazu gehören beispielsweise Behandlungs- Gesundheitskompetenz ist als relational zu verstehen oder Pflegehinweise, das Lesen und Verstehen von [4]. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass sie Packungsbeilagen von Medikamenten oder die Berech- einerseits auf persönlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten nung des Blutzuckerlevels2. der oder des Einzelnen beruht. Andererseits ist sie aber durch die situativen Anforderungen und die Komplexität Das Verständnis von Gesundheitskompetenz wurde der Systeme bestimmt, in denen der oder die Einzelne inzwischen mehrfach weiterentwickelt. Heute wird mit sich bewegt und handelt [4–5] (vgl. hierzu Abb.1). dem Begriff generell die Fähigkeit zum Umgang mit Gesundheitsinformation bezeichnet. Erforderlich ist Zu diesen situativen Anforderungen gehören beispiels- diese Fähigkeit, um tragfähige Entscheidungen zur weise: Erhaltung und Förderung der eigenen Gesundheit der Grad der Komplexität des jeweiligen Gesund- oder zur Bewältigung von Krankheit und auch heits- und Pflegesystems Pflegebedürftigkeit treffen zu können. die Art der Kommunikation und Informationsver- Das spiegelt sich auch in der folgenden Definition mittlung der beteiligten Gesundheitsprofessionen von Sørensen et al. wider. Sie prägt die europäische die Zeit, die sich die Gesundheitsprofessionen für und auch die deutsche Diskussion und wurde für die die Vermittlung von Information nehmen (können) 2 „Illiteracy“ (Illiteralität) ist die Bezeichnung dafür, dass jemand nicht und lesen oder schreiben kann, also Analphabet ist. Wichtig zu betonen ist, die besonderen Anforderungen und Rahmen- dass eine Person mit begrenzter oder geringer Gesundheitskompetenz/ bedingungen in der jeweiligen Situation. Health Literacy nicht zwangsläufig geringe Schreib-, Lese und Rechenfähigkeiten hat.
7 Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen Fertigkeiten und Anforderungen Fähigkeiten des Gesundheitskompetenz und Komplexität Einzelnen des Systems Abbildung 1: Zusammenspiel von persönlicher und systemischer Gesundheitskompetenz [4] 1.2. Warum ist Gesundheits- Steigende Lebenserwartung kompetenz wichtig? Auch der enorme Gewinn an Lebensjahren verlangt nach Gesundheitskompetenz. Seit Anfang des 20. Gesundheitskompetenz hat in modernen Wissens- und Jahrhunderts ist die Lebenserwartung in Deutschland Informationsgesellschaften hohe Bedeutung, denn in um 30 Jahre angestiegen. In den kommenden ihnen muss jeder und jede Einzelne täglich in allen Jahrzehnten wird sie noch weiter zunehmen. Damit Lebensbereichen gesundheitsbezogene Entscheidungen diese Lebensjahre auch zu lebenswerten Jahren treffen. Dabei ist es egal, ob es um Gesundheits- werden, ist jeder und jede Einzelne gefordert, so viel erhaltung und Krankheitsbewältigung geht, um Anfor- wie möglich für die eigene Gesundheitserhaltung zu derungen in der Arbeitswelt, im Konsum- und Freizeit- tun und sich für die Ermöglichung einer gesunden bereich oder um die Nutzung von Medien und die Lebensweise zu engagieren. Dies gilt auch für den Beteiligung an politischen Prozessen [6,7]. Um zu trag- Fall, dass sich Gesundheitsbeeinträchtigungen und fähigen Entscheidungen zu gelangen, muss jeder und Krankheiten oder Pflegebedürftigkeit einstellen. Auch jede Einzelne mit gesundheitsrelevanter Information dann ist aktives Handeln und Selbstmanagement umgehen können. Im Folgenden werden einige Gründe gefragt, was entsprechende Informiertheit und angeführt, warum Gesundheitskompetenz immer Gesundheitskompetenz voraussetzt. bedeutsamer wird. Umgang mit chronischen Beeinträchtigungen Wachsendes, unübersichtliches Informationsangebot Anzuführen ist auch die voranschreitende Zunahme Heute existiert ein wachsendes Informationsangebot, chronischer Krankheiten, dauerhafter Funktions- das durch die Digitalisierung (Internet, Apps und Soziale einschränkungen und in der Folge von Pflege- Medien) täglich zunimmt. Der schnelle Zuwachs und bedürftigkeit. Sie ziehen zahlreiche Anforderungen die rasche Verbreitung von Informationen und Wissen nach sich und konfrontieren die Betroffenen und ihr erleichtern den Zugang zu Information, sie bringen aber soziales Umfeld immer wieder mit neuen Aufgaben. auch Probleme mit sich: Mit der Menge an Information Um damit konstruktiv umgehen zu können, reicht hat auch die Unübersichtlichkeit zugenommen. das vorhandene Wissen oft nicht aus. Besonders gilt dies, wenn plötzlich neue Komplikationen auftreten, sei es, weil das Medikamentenregime umgestellt Außerdem werden vermehrt qualitativ fragwürdige und wurde oder eine unerwartete Verschlechterung des fehlerhafte Informationen verbreitet, deren wissen- Gesundheitszustands eintritt. Auch, um diesen Anfor- schaftliche Evidenz nicht gesichert ist. Das gilt auch derungen nachkommen zu können und mit chronischer für Informationen zu Gesundheits- und Pflegethemen. Beeinträchtigung und/oder dauerhafter Pflegebedürf- Hinzu kommt, dass Informationen und Wissen rascher tigkeit leben zu lernen, ist Gesundheitskompetenz überholt sind als früher: Was vor einigen Jahren über unverzichtbar. Gesundheit, Krankheit und Pflege als richtig gelehrt und gelernt wurde, ist heute unter Umständen nicht mehr aktuell, unvollständig oder sogar falsch. Daran zeigt sich, dass der rasante Anstieg von Information und Wissen mit einer Reihe an neuen Herausforderungen einhergeht und hohe Anforderungen an die Gesund- heitskompetenz mit sich bringt [7].
Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen 8 Veränderte Rollen von Patientinnen, Patienten und der Einschränkungen ihrer gesundheitlichen Auto- Pflegebedürftigen nomie in einer verletzlichen Situation befinden und die Unterstützung anderer benötigen – auch beim Verstärkt wird dies durch den Wandel der Rolle von Umgang mit Information. Oft nehmen stellvertretend Patientinnen und Patienten und auch von Pflege- Angehörige/Zugehörige diese Aufgabe wahr, vielfach bedürftigen. Sie werden heute nicht mehr nur als passive auch andere Personen (z.B. rechtlich Betreuende) Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen in ihrem Umfeld. Damit sie diese Aufgabe kompetent betrachtet, sondern als aktiv handelnde, selbstbestimmte ausfüllen können, müssen allerdings auch sie in der Personen, die in die Entscheidungsfindung und Aus- Lage sein, mit gesundheits- und pflegerelevanter gestaltung der Behandlung, Versorgung und Pflege Information umzugehen; d.h. sie benötigen ebenfalls einbezogen werden: „Keine Entscheidung über mich Gesundheitskompetenz. Für viele ist dies eine Heraus- ohne mich“ – so lautet das international verbreitete forderung. Die Stärkung der Gesundheitskompetenz Motto, das diese Haltung auf den Punkt bringt. Auch für von Angehörigen/Zugehörigen stellt daher ebenfalls die Pflege wird es als selbstverständlich angesehen, eine wichtige Aufgabe von Pflegefachpersonen dar. dass die Stimme der Patientinnen und Patienten gehört und bei der Entscheidungsfindung und Aushandlung der Behandlung und Pflege beachtet wird [8]. Bitte beachten: Das Vorhandensein von Infor- Um sich nicht allein auf ihr Bauchgefühl oder Hören- mation oder von mehr Information führt nicht sagen verlassen zu müssen, sondern fundierte automatisch dazu, dass Menschen besser und Entscheidungen fällen zu können, benötigen Patien- kenntnisreicher mit gesundheitlichen Heraus- tinnen und Patienten wie auch Pflegebedürftige forderungen umgehen können, aber es ist eine zuverlässige Information und die Fähigkeit, diese zwingende Voraussetzung dafür. zur Entscheidungsfindung nutzen zu können. Dabei ist zu bedenken, dass Pflegebedürftige sich aufgrund 1.3. Was ist über die Gesund- Eine ganze Reihe an Studien belegt, dass geringe Gesundheitskompetenz in vielen Ländern ein großes heitskompetenz der Bevölkerung Problem darstellt [3,7]. Gesundheitskompetenz ist bekannt? zudem ungleich in der Bevölkerung verteilt. Besonders Menschen mit niedrigem Bildungsgrad und Einkommen, Insgesamt gewinnt Gesundheitskompetenz gesellschaft- ältere Erwachsene, Menschen mit Migrationshinter- lich immer höheren Stellenwert. Zugleich wird der grund sowie Menschen mit chronischen Krankheiten Umgang mit Gesundheitsinformation und der Erwerb gehören zu den Bevölkerungsgruppen, die eine von Gesundheitskompetenz von vielen Menschen als geringe Gesundheitskompetenz aufweisen. Herkunft, schwierig angesehen. Dies bestätigen auch inzwischen sozio-ökonomischer Status, Bildung, Sprache, der durchgeführte Studien. Zugang zu Ressourcen und Chancen sowie das Alter sind damit Faktoren, die Einfluss auf die Gesundheits- Nach der Studie zur Gesundheitskompetenz der Bevöl- kompetenz eines Menschen haben. kerung in Deutschland hat lediglich 7,3 % der erwach- senen Bevölkerung eine ausgezeichnete Gesundheits- Wie sich die Situation in Deutschland darstellt, zeigt das kompetenz. Jeder zweite Befragte verfügt über eine folgende Schaubild, das der deutschlandweiten Studie eingeschränkte Gesundheitskompetenz. Konkret sehen zur Gesundheitskompetenz der Bevölkerung ent- sich 54,3 % der Bevölkerung vor Schwierigkeiten im nommen wurde [9]. Die Abbildung zeigt den Anteil an Umgang mit gesundheitsbezogener Information gestellt [9]. inadäquater (rot), problematischer (gelb), ausreichender (hellgrün) und exzellenter (dunkelgrün) Gesundheits- Wie eine vergleichende Studie zur Gesundheitskompe- kompetenz in einzelnen Bevölkerungsgruppen und in tenz in Europa gezeigt hat, an der insgesamt acht der Allgemeinbevölkerung (unterste Reihe). europäische Länder beteiligt waren, bewegt sich Deutschland im Vergleich mit diesen im unteren Mittelfeld [10].
9 Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen exzellent ausreichend problematisch inadäquat niedrige Bildung 6,2 31,7 45,9 16,3 niedriger Sozialstatus 1,3 20,4 59,1 19,2 Migrationshintergrund 10,6 18,8 53,0 17,5 chronisch krank 2,1 25,3 55,9 16,8 ab 65 Jahre 3,0 30,7 51,1 15,2 Allgemeinbevölkerung 7,3 38,4 44,6 9,7 0% 20% 40% 60% 80% 100% Abbildung 2: Gesundheitskompetenz einzelner Bevölkerungsgruppen in Prozent (HLS-GER) Über eine gute Gesundheitskompetenz (dunkelgrün bei Menschen mit niedriger Bildung (oberste Reihe), und hellgrün addiert) verfügen in Deutschland in der niedrigem Sozialstatus (zweite Reihe), bei Menschen Allgemeinbevölkerung 45,7 %, über eine geringe oder mit Migrationshintergrund (dritte Reihe), bei Menschen, niedrige Gesundheitskompetenz (gelb und rot addiert) die älter als 65 Jahre sind (fünfte Reihe) oder die unter 54,3 %, also mehr als die Hälfte der Befragten. Ein chronischer Erkrankung leiden (vierte Reihe). Hier sind höherer Anteil an geringer Gesundheitskompetenz als es fast 73 %. in der Allgemeinbevölkerung findet sich in Deutschland 1.4. Was fällt im Umgang mit Bedenklich stimmt auch, was der Bevölkerung im Umgang mit Information Schwierigkeiten bereitet. Am Gesundheitsinformation schwer? schwersten fällt ihr das Finden von Information. Jedem zweiten Befragten bereitet dies Probleme. Das bestätigt, Gesundheitskompetenz wurde in der europäischen und dass die Vielzahl und Vielfalt an Information in der Tat auch der deutschlandweiten Studie in drei Bereichen eine große Herausforderung sind. Auch das Beurteilen untersucht: von Information stellt viele Menschen vor Probleme: (1) Krankheitsbewältigung und Versorgung, 57,4 % der Befragten tun sich damit schwer. Sie wissen also nicht, wie sie gefundene Information einschätzen (2) Prävention und sollen und welcher Information sie vertrauen können. (3) Gesundheitsförderung. Folglich können sie diese Information auch nicht für das eigene Handeln verwenden. Gezeigt hat sich, dass der Umgang mit Information im Bereich Gesundheitsförderung (z.B. zu gesundheits- bewusstem Verhalten oder zu gesunder Ernährung) von den Befragten in Deutschland am schwersten eingeschätzt wird. Über 60 % sehen sich hier vor Schwierigkeiten gestellt. Einfacher ist es für sie, mit Informationen zur Krankheitsbewältigung/Versorgung umzugehen. Dies finden aber trotzdem rund 40 % der Befragten schwierig.
Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen 10 1.5. Was sind die Folgen niedriger schränkter Gesundheitskompetenz [14]. Sie dürften vermutlich auch mit einem begrenzteren Wissen über Gesundheitskompetenz? pflegerelevante Sachverhalte einhergehen. Genaues ist hierzu nicht bekannt, weil der Umgang mit pflege- Eine geringe Gesundheitskompetenz geht mit zahl- bezogener Information bislang kaum untersucht wurde. reichen Folgen für die Gesundheit einher, wie vorlie- gende Studien bestätigen. Beispielsweise schätzen Menschen mit niedriger Gesundheitskompetenz ihre Studien zufolge neigen Menschen mit geringer Gesundheit öfter als schlecht ein als Personen mit gut Gesundheitskompetenz außerdem dazu, sich ausgeprägter Gesundheitskompetenz. Sie haben zudem ungesünder zu verhalten und wichtige präventive meist geringes grundlegendes Gesundheitswissen über Maßnahmen nicht wahrzunehmen, was auf lange den Körper, Krankheitsursachen oder Möglichkeiten Sicht auch das Risiko von Pflegebedürftigkeit erhöhen der Prävention und Gesundheitserhaltung, ebenso dürfte. Zugleich nutzen sie das Gesundheitssystem geringeres Krankheitswissen [11-13]. intensiver: Den vorliegenden Untersuchungen zufolge ist geringe Gesundheitskompetenz mit einer höheren Zahl an Krankenhausaufenthalten und Arztbesuchen Aber auch geringere Selbstmanagementfähigkeiten sowie einer häufigeren Inanspruchnahme ärztlicher und größere Schwierigkeiten bei der Bewältigung von Notdienste verbunden [15–18]. Gesundheits- oder Pflegeproblemen sind Folgen einge-
11 Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen 2. Wie können Pflegefach- personen Gesundheits- kompetenz verbessern? Pflegefachpersonen sind die Berufsgruppe, die am Bei geplanten Krankenhausaufenthalten – etwa für eine häufigsten zu kranken und pflegebedürftigen Menschen Hüftoperation – werden Informationen über den Eingriff und deren Bezugspersonen Kontakt haben. Aus selbst, dessen mögliche Folgen (z.B. Schmerzen) diesem Grund können Pflegefachpersonen auch gut oder Risiken sowie alternative Behandlungskonzepte Einfluss auf deren Gesundheitskompetenz nehmen. benötigt, aber auch darüber, wo und von wem der Wie dies aussehen kann, soll im Folgenden anhand von jeweilige Eingriff am ehesten durchgeführt werden kann. Fallbeispielen aus der Pflege- und Versorgungspraxis Üblicherweise werden solche behandlungsspezifischen erläutert werden. Informationen von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten oder in einer Krankenhausambulanz durch die dort Behandelnden vermittelt. Darüber hinaus gibt es heute Informationsportale im Internet mit 2.1. Aufgabenfeld einschlägigen Qualitätsinformationen. Was bei diesen Informationsangeboten aber selten zur Sprache kommt, Krankenhaus sind die mit einem geplanten Krankenhausaufenthalt Für die meisten Patientinnen und Patienten sowie verbundenen alltagspraktischen Fragen – etwa deren Angehörige/Zugehörige stellen Krankenhaus- danach, welche persönlichen Gegenstände (z.B. aufenthalte eine Ausnahmesituation dar, die viele Kleidung, Schmuck, Elektrogeräte, Bargeld) man Fragen aufwirft. Der Informationsbedarf unterscheidet mit ins Krankenhaus nehmen kann, wie man sich sich dabei jeweils, je nachdem, ob der Aufenthalt für in einem Krankenhaus angemessen verhält (etwa einen elektiven Eingriff von langer Hand vorbereitet in einem Mehrbettzimmer) oder wie es um die werden konnte oder ob er eine Folge unerwarteter Besuchsregeln bestellt ist und wie (ältere) Angehörige/ gesundheitlicher Krisen oder von Unfällen ist. Er ist Zugehörige die möglicherweise längeren Wege zum aber in jedem Fall ausgeprägt, weshalb ein Kranken- Krankenhaus für Besuche bewältigen können. Auch hausaufenthalt die Gesundheitskompetenz jeder und was postoperativ zu beachten ist und was im Fall von jedes Einzelnen auf eine harte Probe stellt. postoperativen gesundheitlichen Krisen geschehen soll und welche Vorkehrungen und Absprachen, etwa bei einer unvorhergesehenen Verlängerung des Das beginnt bereits mit der Frage, wann man überhaupt Krankenhausaufenthalts, notwendig sind, ist vielen ein Krankenhaus aufsuchen sollte und welche unklar. Gut wäre es, wenn die Pflegedirektion hier im Gesundheitsprobleme besser von niedergelassenen Vorfeld einer geplanten Aufnahme geeignete Informa- Ärztinnen und Ärzten oder Bereitschaftsdiensten tionen zusammenstellen und vorab an die jeweiligen beantwortet werden können. Viele Menschen können Patientinnen und Patienten übermitteln könnte. das heute nicht gut einschätzen, weshalb sie mit ihrem Gesundheitsproblem direkt in die Notaufnahme des nächstgelegenen Krankenhauses gehen und Kommt es dann zur Aufnahme, stellen sich Patientinnen damit den teuersten Zugang zur Versorgung nutzen. und Patienten sowie Angehörigen/Zugehörigen weitere Mehr Informationen darüber, welche Notfallangebote Fragen. Anders als für die im Krankenhaus arbeitenden es in einer Region gibt und wie sie abgestuft zu Personen ist das für sie eine fremde Umgebung mit nutzen sind, könnten hier Abhilfe schaffen. Auch auf den ersten Blick schwer verständlichen Abläufen. Informationsangebote – etwa Patienteninformations- Einige von ihnen mögen mit dem Krankenhaus schon zentren – im Eingangsbereich von Krankenhäusern, vertraut sein – etwa von früheren Aufenthalten oder können Informationen bereitstellen und über Alternativen Besuchen. Für andere ist es eine völlig neue Welt, zu einer Inanspruchnahme der Notaufnahme aufklären. die womöglich Angst auslöst. Die ohnehin durch
Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen 12 die gesundheitliche Krise bestehende Unsicherheit darüber, wie es mit ihnen weitergeht, wird dadurch Fallbeispiel Elif und Levent Kaya zusätzlich verstärkt. Patientinnen und Patienten oder Angehörige/Zugehörige in solchen Situationen zu Bevor sie auf die kardiologische ermutigen, Fragen zu stellen und ihnen jederzeit Station K3 aufgenommen wurde, hat durch gezielte, gut dosierte Informationen den die 76-jährige, leicht adipöse Elif Kaya bereits Aufnahmeprozess ins Krankenhaus und auf der eine längere Odyssee hinter sich. Sie war nach jeweiligen Abteilung oder Station zu erleichtern, ist einem akuten Myokard-infarkt zunächst über eine wichtige Aufgabe von Pflegefachpersonen. die Notaufnahme aufge-nommen und dann Schon allein die Unsicherheit darüber, wer die vielen mehrere Tage auf der Intensivstation behandelt Menschen sind, die im Krankenhaus arbeiten, welche worden. Inzwischen ist ihr Zustand weitgehend Funktionen sie jeweils haben und was von ihnen stabil, weshalb sie zur Weiterbehandlung konkret an Hilfe zu erwarten ist, kann belasten. auf die K3 verlegt wurde. Dort wurde sie der Farbig codierte Dienstkleidung für die verschiedenen Bezugspflegeperson Beate Kaiser zugeordnet, Berufsgruppen in Kombination mit Informationstafeln die sich seit zwei Tagen um sie kümmert. auf den Stationen sowie eindeutigen Beschriftungen auf Namensschildern der Mitarbeitenden könnten dem begegnen und Orientierung bieten. Beate Kaiser ist dabei aufgefallen, dass sowohl Frau als auch Herr Kaya – beide sind türkischer Abstammung – Probleme damit haben, die auf Im weiteren Verlauf werden Pflegefachpersonen dann der Station verwendeten Formulare auszufüllen, in Erfahrung bringen müssen, wie es um die Gesund- im Kontakt mit den Ärztinnen und Ärzten nach heitskompetenz von Patientinnen und Patienten für sie relevanten Informationen zu fragen oder sowie deren Angehörigen/Zugehörigen im konkreten sich im Krankenhaus zu orientieren. Beide Einzelfall bestellt ist. Dabei sollten sie sich keinesfalls scheinen gut Deutsch zu verstehen, sprechen auf den Augenschein verlassen, denn über welche aber selbst wenig und meist nur kurze, einfache Gesundheitskompetenz jemand verfügt, sieht man Sätze. Während Elif Kaya insgesamt sehr ihm oder ihr nicht an. Vielmehr sollten im Rahmen zurückhaltend, fast verschüchtert wirkt, weist ihr des pflegerischen Assessments Red Flags [19] oder Mann jeden Versuch der Informationssammlung auch Testverfahren wie der Newest Vital Sign Test oder Informationsübermittlung fast schon / Eiscremetest eingesetzt werden, um Hinweise zur unhöflich zurück. Meist meidet er den Kontakt individuellen Gesundheitskompetenz zu erhalten. zu Ärztinnen und Ärzten und Pflegenden Auf dieser Grundlage lassen sich im Team geeignete – stattdessen unterhält er sich mit den Maßnahmen planen und umsetzen. Je nach Bedarf Besucherinnen und Besuchern von Elif Kaya, können allgemein pflegerische Informationen, etwa bei denen es sich offenbar um nahe Verwandte zur Körperhygiene und Selbstpflege, zum Umgang handelt. Eigene Kinder hat das Ehepaar nicht. mit therapeutisch-technischen Maßnahmen (z.B. Die diensthabenden Pflegefachpersonen haben liegender Blasenkatheter, Infusionen), zum richtigen zudem beobachtet, dass der für die Patientin Verhalten nach operativen Eingriffen (z.B. Aufstehen, erarbeitete Behandlungs- und Medikationsplan Mobilität, Delir) adressatengerecht aufbereitet, bereit- ohne Reaktion wahrgenommen und die über- gestellt oder persönlich vermittelt werden. Bei der mittelten Selbstpflegehinweise für die immobile persönlichen Begegnung können Pflegefachpersonen Patientin offensichtlich nicht umgesetzt wurden. heute auf unterschiedliche Kommunikationstechniken Dies alles sind – darüber wurde Beate Kaiser zurückgreifen, die international seit längerem erprobt bei einer kürzlich besuchten Weiterbildung und eingesetzt werden (siehe Abschnitt 3). Voraus- informiert – Warnsignale für eine niedrige gesetzt ist allerdings, dass ihnen der Stationsalltag Gesundheitskompetenz. die dafür notwendigen personellen und zeitlichen Freiräume gewährt. Sie ruft deshalb das gesamte Team zusammen und sensibilisiert es für das Problem. Es wird beschlossen, einen Test mit dem Ehepaar durchzuführen, um festzustellen, wie es um deren Gesundheitskompetenz bestellt ist. Zudem sollten alle im Team sich so
13 Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen oder Angebote der Patientenedukation dienen (z.B. verhalten, als hätte Elif Kaya (und auch ihr durch Pflegeexpertinnen und -experten im Bereich Mann) Probleme damit, die ihr angebotenen Breast-Care, Hämophilie, Diabetes; Anus-Praeter- Informationen zu ihrem Gesundheitszustand Schulung). und ihrer Situation zu verstehen und für sich zu nutzen. Die Pflegefachpersonen sollen Schließlich muss auch der Übergang aus dem sich grundsätzlich um eine einfache Sprache Krankenhaus in eine häusliche Versorgung, eine bemühen und gelegentlich darum bitten, dass Rehabilitationsmaßnahme oder eine Einrichtung der die übermittelten Informationen wiederholt Langzeitpflege mit Information und Unterstützung werden, um zu überprüfen, ob sie auch bei der Entscheidung begleitet werden. Neben dem verstanden wurden (siehe Abschnitt 3). Es Entlassungsmanagement oder Case Management ist wird zudem überlegt, ob eventuell einer der hier jede einzelne Pflegefachperson im Krankenhaus Angehörigen des Ehepaars angesprochen gefordert, die mit der Entlassung und Weiterversorgung und um Mithilfe beim Übersetzen gebeten in Zusammenhang stehenden Fragen der Patientinnen werden kann – einige von ihnen sind jünger und Patienten und ihrer Angehörigen/Zugehörigen und sprechen offensichtlich sehr gut deutsch. ernst zu nehmen und zu beantworten und sie bei der Sollte das nicht gelingen, könnte eine türkisch Informationsverarbeitung zu unterstützen. sprechende Kollegin von der chirurgischen Station um Unterstützung gebeten werden. Auf diese Weise soll ermittelt werden, welchen Pflegefachpersonen im Krankenhaus oder vergleich- konkreten Informationsbedarf Elif und Levent baren stationären Einrichtungen haben somit Kaya zum Stationsalltag, zur Erkrankung und insgesamt die Aufgabe deren Behandlung haben und wie sich dieser Informationsangebote über das Krankenhaus beantworten lässt. Auch die anstehende im Vorfeld bereits auf Nutzerfreundlichkeit und Weiterverlegung in eine Rehabilitationsklinik Vollständigkeit hin zu überprüfen; kann so informativ vorbereitet und damit sich Methoden anzueignen, um die Gesund- einhergehende Verunsicherungen über den heitskompetenz bei Patientinnen und Patienten weiteren Verlauf abgemildert werden. oder Angehörigen/Zugehörigen einzuschätzen; Kommunikationstechniken einzuüben, um mit Aus dem Krankenhausalltag ist bekannt, dass Pflege- Personen mit geringer Gesundheitskompetenz zu fachpersonen immer wieder auch auf diagnostische und sprechen und zu informieren; therapeutische Maßnahmen angesprochen werden, bei Personen mit nicht deutscher Muttersprache für über die regelmäßig die behandelnden Ärztinnen eine geeignete Unterstützung (Dolmetscherdienst, und Ärzte aufklären müssen. Hier wäre eine enge Kultur- und Sprachmittlung) zu sorgen; Absprache im interprofessionellen therapeutischen Team gefordert, um eventuell nach dem ärztlichen sich im interprofessionellen Team abzustimmen, Aufklärungsgespräch noch aufgekommene Fragen wer, wie, wo und wann Information übermittelt und angemessen beantworten, abgestimmte Informationen bei der Informationsverarbeitung unterstützt; übermitteln und so individuelle Entscheidungsfindungs- Information für die Zeit nach dem Krankenhaus- prozesse der Patientinnen und Patienten unterstützen aufenthalt bereit zu halten. zu können. Während Ärztinnen und Ärzte eher punktuellen und zeitlich eng begrenzten Kontakt zu Patientinnen und Patienten haben, sind Pflegefachpersonen sehr viel unmittelbarer verfügbar. Sie können daher auch unkomplizierter und direkter auf die Informations- wünsche der Patientinnen und Patienten oder ihrer Angehörigen/Zugehörigen reagieren und ihnen dabei helfen, die von ärztlicher Seite übermittelten Infor- mationen zu verarbeiten. Dem können unter anderem auch prä- und postoperative Pflegesprechstunden
Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen 14 2.2. Aufgabenfeld Ambulante kompetenz. Zu Beginn eines solchen Gesprächs ist eine Einschätzung der Gesundheitskompetenz der Beteiligten Pflege ratsam, z.B. durch sensible Wahrnehmung von Warn- hinweisen oder durch kurze Fragen. Anschließend kann Der Eintritt von Pflegebedürftigkeit vollzieht sich oft dann eine gezielte Informationsvermittlung oder eine schleichend mit allmählich zunehmendem Hilfebedarf, angepasste Beratung mit Blick auf die jeweilige Pflege- kann aber auch durch plötzliche, krisenhafte Ereig- und Versorgungssituation folgen [19]. nisse – wie beispielsweise einen schweren Schlaganfall – eintreten, so dass sich die Gesundheits- und Lebens- situation der betroffenen Person und ihrer Angehörigen/ Egal, ob ambulante Pflegedienste in Anspruch Zugehörigen von heute auf morgen ändert. In jedem Fall genommen werden oder die Pflege eigenständig stellt der Beginn von Pflegebedürftigkeit die Gesund- organisiert und durchgeführt wird – stets tragen die heitskompetenz aller Beteiligten auf eine harte Probe. betroffenen Personen und deren Umfeld die Hauptlast des Lebens mit Pflegebedürftigkeit und/oder Krankheit. Auch im weiteren Verlauf des Pflegegeschehens sind Meist müssen in dieser von Unsicherheit geprägten sie daher auf ein hohes Maß an Gesundheitskompetenz Situationen zahlreiche Fragen geklärt werden: Wie wird angewiesen. Sie benötigen Informationen über die sich die Krankheit entwickeln? Welche spezifischen Erkrankung und potenzielle Risiken sowie über Pflege- und Versorgungsanforderungen bestehen bei die daraus resultierenden Anforderungen im Alltag der Erkrankung? Wie muss der Alltag umgestaltet (z.B. Umgang mit Medikamenten, Beachtung krank- werden? Sind Hilfsmittel notwendig und wie oder von heitsspezifischer Symptome, Prophylaxen, Verhalten wem werden sie organisiert? Muss das eigene Zuhause in Krisensituationen). Edukative Angebote in Form umgebaut werden? Welche Unterstützungs- und von individuellen häuslichen Einzelschulungen oder Entlastungsmöglichkeiten gibt es und wie können sie auch Gruppenschulungen (Pflegekurse) können zur finanziert werden? Um den hohen Informationsbedarf zu Stärkung der Gesundheitskompetenz von Angehörigen/ bewältigen, können u.a. einschlägige Beratungsstellen Zugehörigen beitragen, die sich an der Pflege mit ihren qualitätsgesicherten Informationsangeboten beteiligen. Wichtig ist ferner die Unterstützung bei der genutzt werden, z.B. bei Kommunen oder Kranken- Kommunikation mit der Hausärztin oder dem Hausarzt und Pflegekassen. und ggf. weiteren am Pflegegeschehen Beteiligten. Werden Leistungen der ambulanten Pflege in Anspruch genommen, besteht – besonders zu Beginn Fallbeispiel Herbert und Ida Wagner – hoher Informationsbedarf. Hier sind insbesondere in ambulanten Diensten tätige verantwortliche Pflege- fachpersonen gefordert. Angesichts der Komplexität Der 78-jährige Herbert Wagner hat der bürokratischen Anforderungen ist von Seiten des vor sechs Wochen einen Schlag- ambulanten Pflegedienstes eine intensive und abge- anfall erlitten. Nach einem Krankenhausaufent- stimmte Aufklärungsarbeit erforderlich. Dabei ist es halt und anschließender Reha ist er seit hilfreich, die Informationen so aufzubereiten, dass kurzem wieder zu Hause, wo ihn seine eben- sie leicht verständlich, übersichtlich und jederzeit falls bereits 76-jährige Ehefrau Ida Wagner verfügbar sind. Die Informationen sollten möglichst versorgt. Aufgrund einer rechtsseitigen Hemi- neutral formuliert sein und der vielfach gebräuchliche parese ist Herbert Wagner in seiner Mobilität Werbejargon sollte vermieden werden. erheblich eingeschränkt; er kann mithilfe eines Rollators gehen, bewegt sich jedoch sehr unsicher. Die meisten Familien versorgen ihre pflegebedürftigen Angehörigen jedoch allein, ohne die Hilfe durch Auf Anraten des Hausarztes hat das Paar einen einen ambulanten Pflegedienst. Die Möglichkeiten, ambulanten Pflegedienst eingeschaltet, dessen sich in der ambulanten Pflege für die Stärkung der Mitarbeiterin – die Altenpflegerin Silke Herber Gesundheitskompetenz zu engagieren, sind in diesen – nun ihre Bezugspflegeperson ist. Sie kommt Fällen begrenzt. Sie sind aber durchaus vorhan- einmal täglich morgens, hilft Herbert Wagner den, z.B. durch das Angebot unverbindlicher Pflege- bei der Körperpflege und lernt das Paar dabei sprechstunden. Ferner bietet sich mit den regelmäßig nach und nach kennen. Bei einem der Besuche zu absolvierenden Beratungseinsätzen (gem. § 37,3 fällt ihr auf, dass Herr und Frau Wagner nicht SGB XI) eine Chance zur Stärkung der Gesundheits- wissen, wie sie ein Formular von der Pflegekasse
15 Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen für die Beantragung von Pflegeleistungen wieder mal mit Herbert und Ida Wagner zu ausfüllen sollen und wo sie entsprechende spielen. Zudem werden in der Wohnung Hilfe erhalten können. Trotz Zeitdruck erläutert Erinnerungshilfen platziert. Die Wirkungen Silke Herber ihnen die verschiedenen Leistungs- dieser Maßnahmen sollen zunächst von arten und Kombinationsmöglichkeiten und Silke Herber beobachtet werden. Erst wenn händigt ihnen eine Broschüre über die Begut- dies keinen Erfolg zeigt, will das Pflegeteam achtung des Medizinischen Dienstes der kompensatorische Maßnahmen ergreifen Krankenversicherung (MDK) aus. Allerdings und den Hausarzt um eine Verordnung über gewinnt sie aus Gesprächen den Eindruck, die zweimal tägliche Medikamentenvergabe dass die Informationen entweder nicht gelesen durch den Pflegedienst bitten. Zudem wird eine oder nicht verstanden wurden. Kollegin von Silke Herber, die vor einem Jahr eine Ausbildung zur Pflegeberaterin absolviert Im Laufe der Zeit stellt Silke Herber dann fest, hat, hinzugezogen. Sie soll das Ehepaar über dass auch in anderen Bereichen Informationen Möglichkeiten der Wohnraumanpassung und benötigt werden: Ida Wagner wirkt durch der Entlastung der pflegenden Ehefrau aufklären, die Pflege ihres Mannes sichtlich erschöpft, ihre Fragen beantworten und sie motivieren, Entlastungsangebote sind ihr nicht bekannt. diese Information zur Verbesserung ihrer Herbert Wagner nimmt seine Medikamente häuslichen Pflegesituation zu nutzen. unregelmäßig ein und auf Nachfrage weiß er oft nicht, wofür die einzelnen Medikamente sind oder welche Folgen die Nichteinnahme Neben der gesundheitlichen Situation der pflege- haben kann. Zudem ist das Ehepaar wegen der bedürftigen Person sollten die Mitarbeitenden ambu- Gangunsicherheit von Herrn Wagner besorgt, lanter Pflegedienste stets auch die psychische und die bereits mehrfach beinahe zu einem Sturz körperliche Verfassung der Angehörigen/Zugehörigen geführt hat. Wie sie ihre Wohnung sicherer und deren Informationsbedarfe im Blick haben. gestalten können, ist Herbert und Ida Wagner Insbesondere bei langandauernden Pflegesituationen nicht klar. bedarf es der Ermutigung zur regelmäßigen Selbst- pflege mit Hinweisen über Möglichkeiten der eigenen Entlastung (z.B. Tagespflege, Kurzzeitpflege, Betreu- Bei einer Fallbesprechung des Pflegeteams ungsgruppen). Regelmäßige Information über Ent- berichtet Silke Herber über ihre Beobachtungen. lastungsangebote ist deshalb wichtig. Denn oft Zwar ist der Pflegedienst nur für die Körper- verlieren Angehörige/Zugehörige im „Dschungel“ des pflege bei Herbert Wagner zuständig. Versorgungssystems den Überblick. Listen mit Adressen Aufgrund der Warnsignale für eine geringe von Tages- und Kurzzeitpflegeeinrichtungen einfach Gesundheitskompetenz wird jedoch darüber weiterzugeben reicht nicht aus; hilfreich wäre es hinaus gehender Handlungsbedarf gesehen, vielmehr, diese immer mal wieder als Anlass für ein um eine Verschlechterung verhindern und die Informationsgespräch zu nutzen. Ergänzende Angebote häusliche Pflege aufrecht erhalten zu können. von ambulanten Pflegediensten, Kommunen oder Deshalb wird im Team überlegt, welche Sozial- und Wohlfahrtsverbänden, wie Gesprächskreise Informationen erforderlich sind, um auf die für pflegende Angehörige/Zugehörige, können ebenfalls unregelmäßige Medikamenteneinnahme und zur Förderung der Gesundheitskompetenz beitragen. die Gangunsicherheit von Herbert Wagner wie auch auf die Erschöpfung von Ida Wagner zu reagieren. Wichtig ist es, sich klar zu machen, dass es mit einer einmaligen Information oft nicht getan ist. Beispielsweise wird eine im weiteren Verlauf der Pflegesituation Um eine regelmäßige Einnahme der Medika- eintretende Verschlechterung im Krankheitsbild der mente zu unterstützen soll ein umfunktioniertes pflegebedürftigen Person neue und andere Fragen Memoryspiel genutzt werden, auf dem die aufwerfen und die Gesundheitskompetenz erneut fordern. einzelnen Medikamente und Hinweise zum Einnahmemodus vermerkt sind. Eine Mitar- beiterin eines ehrenamtlichen Besuchs- Auch beim Umgang mit dem Lebensende entstehen dienstes wird gebeten, dieses Spiel immer zahlreiche Fragen – nicht zuletzt, weil nur wenige Menschen mit solchen Situationen Erfahrungen
Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen 16 haben. Es liegt auf der Hand, dass es in dieser 2.3. Aufgabenfeld Alten- Situation nicht allein mit der Übergabe einer Broschüre eines kooperierenden Hospiz- oder Palliativdienstes und Pflegeheim getan ist, wenngleich auch das bereits hilfreich Der Übergang in eine Einrichtung der stationären Lang- sein kann. Notwendig sind vor allem sensible und zeitversorgung – ein Alten- oder Pflegeheim oder wiederholte Informationsangebote von Seiten der eine betreute Wohneinrichtung – stellt eine große Pflegefachpersonen. Dabei ist zu berücksichtigen, Herausforderung dar, bei dem die Gesundheits- ob und inwieweit die Pflegebedürftigen und ihre kompetenz von Pflegebedürftigen und ihren Ange- Angehörigen/Zugehörigen überhaupt in der Lage hörigen/Zugehörigen sehr strapaziert werden kann, sind, Informationen aufzunehmen. Informationen über zumal zahlreiche wichtige Entscheidungen zu treffen die Möglichkeiten der Gestaltung des Lebensendes sind. Das beginnt mit der Auswahl der „richtigen“ und der darauf zielenden Unterstützungsangebote Einrichtung. Dafür kann mittlerweile auf recht um- sollten deshalb wohldosiert und situationsangepasst fangreiche Qualitätsdaten und Internetportale zurück- übermittelt werden und den Beteiligten hinreichend gegriffen werden. Aber meist sind die dort zu findenden Zeit zur Verarbeitung lassen – insbesondere, wenn Informationen wenig nutzerfreundlich aufbereitet und schwierige Entscheidungen anstehen. nur bedingt aussagekräftig. Ähnlich ist es mit vielen im Internet verfügbaren Informationen über Heime. Pflegefachpersonen in ambulanten Pflegediensten Daher finden es Pflegebedürftige und ihre Angehörigen oder vergleichbaren Einrichtungen können die oft schwierig, diese für die Entscheidungsfindung zu Gesundheitskompetenz fördern, indem sie nutzen. Die mündliche Information – häufig eingebettet qualitätsgesicherte und nutzerfreundliche Informa- in eine Vor-Ort-Begehung oder den Besuch einer tion über die häusliche Pflege vorhalten und Pflegeberatungsstelle – ist deshalb nach wie vor situationsangemessen übermitteln; unverzichtbar. Das gilt umso mehr, als Vertrauen bei der Auswahl einer Einrichtung eine bedeutende Rolle sensibel den individuellen Informationsbedarf im spielt. Pflegealltag erfassen und im Team nach kreativen, niederschwelligen Möglichkeiten zur Beantwortung suchen; Hinzu kommt, dass ein solcher Übergang immer eine sensible und kritische Phase im Lebenslauf von über präventive Maßnahmen bei Pflegebedürftigen Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen/Zugehörigen (z.B. Sturzprävention) und den pflegenden darstellt. Oft erfolgt er inzwischen im hohen Alter und Angehörigen (z.B. Angehörigenkurse/-treffen) infor- in einem recht späten Stadium von Pflegebedürftigkeit mieren; und gesundheitlicher Beeinträchtigung, was das Maßnahmen zur Kompensation inadäquater Gesund- Anpassungsvermögen an die mit einem Heimeinzug heitskompetenz ergreifen und dabei mit allen einhergehenden Veränderungen beeinträchtigen kann. Beteiligten (z.B. behandelnden Ärztinnen und Die Übermittlung von Information – eingebettet in ein Ärzten) eng kooperieren; persönliches Gespräch mit einer Pflegefachperson – hat deshalb auch nach der Auswahl und der Übersiedlung auch Angehörige/Zugehörige immer wieder mit in eine Einrichtung der Langzeitversorgung hohe Informationen über die häusliche Pflege versorgen Bedeutung. Auf diese Weise kann der neuen Bewohnerin und so deren Selbstmanagement unterstützen; oder dem neuen Bewohner die biographische Neu- durch Pflegesprechstunden, regelmäßige, gut orientierung und emotionale Verarbeitung dieses Schritts vorbereitete Beratungsbesuche – und im Bedarfs- erleichtert werden. Information und Kommunikation fall ergänzende Angebote – den Verbleib in der können zudem bei der Eingewöhnung in das neue Häuslichkeit ermöglichen und für eine fachlich Umfeld unterstützen – etwa dabei, sich in der fremden fundierte Information sorgen. Umgebung zurechtzufinden, sich an die zunächst noch unbekannten Mitbewohnerinnen und Mitbewohner zu gewöhnen oder sich auf den neuen Tagesablauf einzustellen und eine passende Alltagsgestaltung zu finden.
17 Gesundheitskompetenz - Kurzinformation für Pflegefachpersonen Auch und besonders bei Menschen mit kogni- tiven Beeinträchtigungen ist es wichtig, dass Die Bewohnerinnen und Bewohner sind Pflegefachpersonen die Eingewöhnungsphase kommu- meist sehr viel älter und leiden – anders als nikativ begleiten, um drohende Hospitalisierungseffekte Frau Meier – unter kognitiven Einbußen, meist und Deprivation möglichst zu vermeiden. Darüber hervorgerufen durch eine Demenz. Letztlich fällt hinaus sollten Angehörige/Zugehörige regelmäßig die Entscheidung, dass Frieda Meier vorerst in über die Entwicklung der neu eingezogenen ihrem häuslichen Umfeld bleibt. Heimbewohnerinnen und Heimbewohner informiert werden – etwa darüber, wie sich sie oder er ent- Als Frieda Meier eines Tages zuhause stürzt, wickelt, wie der Verlust der Häuslichkeit verarbeitet trägt sie zwar keinen körperlichen Schaden wird und welche Herausforderungen sich im Alltag davon, aber allen Beteiligten wird klar, dass ergeben. Solche Informationen sind auch wichtig, um das bisherige Versorgungsarrangement keinen Angehörige/Zugehörige in anstehende Entschei- Bestand mehr hat. Frieda Meier soll deshalb in dungen einzubeziehen. Zugleich ist erforderlich, Zurück- das nächstgelegene Seniorenzentrum umziehen. bleibende im Blick zu behalten, wie z.B. hochaltrige Dort wird mit dem Bezugspflegesystem ge- Ehepartnerinnen und Ehepartner, die nun allein leben arbeitet; die Pflegefachperson Tanja Schmidt und bei denen die Gefahr einer Vereinsamung besteht. wird nach einer ersten Fallbesprechung im Team zur Ansprechpartnerin erklärt. Sie verabredet einen Informationsbesuch in der Wohnung von Fallbeispiel Frieda Meier Frieda Meier und bittet die Familie dazu. Frieda Meier ist 68 Jahre alt, allein- Im Gespräch erkennt sie, wie schwer es Frieda lebend und an einer mittlerweile weit Meier und ihren Familienangehörigen noch fortgeschrittenen Parkinson-Krankheit erkrankt. immer fällt, die getroffene Entscheidung zu Betreut wird sie von ihren zwei Kindern, die akzeptieren und sich nicht allein von den eigenen aber beruflich stark eingebunden sind und Gefühlen und Befürchtungen leiten zu lassen, in einer Nachbarstadt wohnen. Aufgrund der sondern informiert zu handeln und entscheiden. zunehmenden Beeinträchtigungen ist ein Ver- Ihr wird außerdem deutlich, dass die Information bleib von Frieda Meier in der eigenen Wohnung der Familie unzureichend ist und sie weder nicht mehr sicher. Deshalb wird von den zum Verlauf von Parkinsonerkrankungen über Familienangehörigen – innerlich allerdings un- ausreichende Informationen verfügt, noch zu sicher – eine Heimunterbringung in Erwägung Leistungen und Angeboten des Senioren- gezogen. Sie erkundigen sich zunächst zentrums oder dazu, wie es mit Hilfe von bei Verwandten und im Freundeskreis und pflegerischen Interventionen gelingen kann, recherchieren im Internet. Dabei stoßen sie zwar Frieda Meier einen guten Übergang in die auf viele Webseiten und auch vergleichende Einrichtung zu ermöglichen und ihr dort Portale, die aber bei genauerer Betrachtung trotz ihrer Erkrankung und Einschränkungen wenig nützliche Information für ihren schwierigen ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu Entscheidungsprozess enthalten. Deshalb gewähren. Die Familie kann erhaltene Infor- suchen sie nach anderen Informationswegen mation außerdem nicht gut bewerten und und verabreden mit einigen, ihnen passend benötigt dazu Unterstützung. erscheinenden Heimen Besichtigungstermine. Die dabei geführten Informationsgespräche Tanja Schmidt reagiert darauf, informiert über verlaufen meist freundlich; im Vordergrund das Möglichkeitsspektrum und das Angebot stehen jedoch eher die Aufnahmebedingungen in der Einrichtung und unterstützt bei der der Einrichtungen oder deren Vorzüge gegen- Einschätzung. Dabei achtet sie sorgfältig über anderen Anbietern – die Unsicherheit darauf, eben kein „Verkaufsgespräch“ zu der Familie über die anstehende Entschei- führen. Vielmehr sollen Frieda Meier und ihre dungssituation kommt kaum zur Sprache. Familie auf Grundlage neutraler und gesicherter Nach jeder Besichtigung ist die Familie weniger Informationen selbst entscheiden, was für sie überzeugt, denn Frieda Meier scheint eigentlich richtig ist. Zusätzlich bietet sie der Familie an, nicht in solche Einrichtungen zu passen: sich bei einem Besuch in der Einrichtung auch
Sie können auch lesen