Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim BMF: Bedingungsloses Grundeinkommen
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Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF November 2021 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim BMF: Bedingungsloses Grundeinkommen ● Im folgenden Artikel wird die Kurzfassung eines Gutachtens des unabhängigen Wissenschaftli- chen Beirats beim BMF wiedergegeben. ● Gutachten und Stellungnahmen des Wissenschaftlichen Beirats beim BMF sind als Beitrag zum allgemeinen Diskurs zu verstehen und geben nicht notwendigerweise die Meinung des BMF wieder. ● Ein bedingungsloses, existenzsicherndes Grundeinkommen (BGE) ist nach den Berechnungen des Beirats nicht finanzierbar. ● Hohe Grenzsteuersätze zur Finanzierung hätten erhebliche negative Arbeitsmarktreaktionen zur Folge. ● Anders als das bestehende System der sozialen Sicherung ignoriere ein BGE wichtige Faktoren der Bedürftigkeit und führe dadurch zu Ausgabensteigerungen. Einleitung In seinem im September veröffentlichten Gutach- ten1 fragt der Wissenschaftliche Beirat beim BMF, Seit Jahren wird in Deutschland ein BGE disku- inwieweit das BGE eine finanzierbare Alternative tiert, das allen Bürgerinnen und Bürgern als fester, zu dem bestehenden System der sozialen Absiche- monatlicher Betrag ausbezahlt wird, ohne dies an rung in Deutschland darstelle. Bedingungen zu knüpfen. Das BGE soll jedem ein existenzsicherndes Einkommen garantieren, wo- bei die Vorschläge der Befürwortenden eines BGE Hoher Finanzierungsbedarf bei in der Regel nicht detailliert ausgearbeitet sind. Ge- einem existenzsichernden BGE mein ist ihnen die Hoffnung, mit einem BGE Kin- der- und Altersarmut sowie Hartz IV zu beenden. Wenn das BGE das bisherige soziokulturelle Exis- Bei erwerbsfähigen Bedürftigen bräuchte es keiner tenzminimum für alle Bürgerinnen und Bürger ga- stigmatisierenden Bedürftigkeitsprüfung mehr. Bei rantieren will, muss es sich an den Leistungen des Langzeitarbeitslosen könnten die Sanktionen ent- bestehenden Systems der Grundsicherung orien- fallen, wenn diese aktuell bestehenden Verpflich- tieren. Der Regelbedarf soll die alltäglichen Kos- tungen nicht nachkommen. ten des Lebensunterhalts abdecken. Er liegt im Jahr 2021 für Erwachsene bei monatlich 446 Euro, 1 Die Langfassung ist abrufbar unter https://www. bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/ Ministerium/Wissenschaftlicher-Beirat/Gutachten/ bedingungsloses-grundeinkommen.html 38
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim BMF: Bedingungsloses Grundeinkommen November 2021 für Kinder je nach Alter zwischen 283 Euro und 1.119 Mrd. Euro. Zur Gegenfinanzierung können aus 373 Euro. dem Sozialbudget die Leistungen der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung und die Einkommens- Analysen und Berichte Während der Regelsatz bundeseinheitlich festge- leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung he- legt wird, werden die Leistungen für Unterkunft rangezogen werden, sowie sämtliche Förder- und und Heizung regional entsprechend den Mietni- Fürsorgesysteme, wie z. B. Kindergeld, Elterngeld, veaus differenziert. So sind etwa in München die Grundsicherung für Arbeitsuchende und Grundsi- Mietkosten je nach Art der Bedarfsgemeinschaft cherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie zwischen 40 Prozent und 50 Prozent höher als für Wohngeld. Beiträge zur Kranken- und der sozialen vergleichbaren Wohnraum in Berlin. Solche regi- Pflegeversicherung können nicht gegengerech- onal unterschiedlichen Bedarfe können bei einem net werden, da die entsprechende Versicherung als existenzsichernden BGE nicht berücksichtigt wer- Teil des soziokulturellen Existenzminimums wei- den. Es muss daher so hoch angesetzt werden, dass terhin mitfinanziert werden muss. Die Ansprüche auch der höchste Bedarf durch das BGE vollständig aus der gesetzlichen Rentenversicherung haben Ei- abgedeckt wird. gentumscharakter und stehen ebenfalls nicht zur Gegenfinanzierung zur Verfügung. Das gesamte Bedingungslosigkeit erfordert, dass Erwachsenen Einsparpotenzial beläuft sich somit auf maxi- und Kindern unabhängig von der Familiengröße mal 232 Mrd. Euro. Damit verbleibt eine Finanzie- jeweils das gleiche Grundeinkommen ausbezahlt rungslücke von 887 Mrd. Euro. Die Abgabenquote wird. Der Bedarf steigt jedoch unterproportional stiege damit selbst dann von 41,3 Prozent auf etwa mit der Familiengröße und ist regional sehr unter- 67,0 Prozent an, wenn durch die höheren Steuer- schiedlich. Das BGE verzichtet darauf, dies bei der sätze wider Erwarten keine Beschäftigungsverluste Bedarfsberechnung zu berücksichtigen, und führt einträten. damit im Vergleich zum gegenwärtigen System der Grundsicherung zu einer Umverteilung zugunsten größerer Familien und zugunsten von Personen in Simulationsrechnungen: Regionen mit niedrigem Mietniveau. Verhaltensanpassungen und Konkret müsste das BGE mindestens so angesetzt Gegenfinanzierung werden, dass Alleinstehende in München weiter- hin das soziokulturelle Existenzminimum in Höhe Der Beirat hat mithilfe des ifo Mikrosimulations- von maximal 1.208 Euro monatlich erhalten wür- modells Arbeitsangebotseffekte mit in die Betrach- den. Für Kinder ergibt sich aus der gleichen Überle- tung einbezogen und dabei verschiedene Varianten gung heraus ein Bedarf von 684 Euro. Eine vierköp- des BGE dem Status quo des Jahres 2021 gegen- fige Familie erhielte damit ein BGE von 3.784 Euro überstellt (s. a. Tabelle 1). Dies erlaubt es, die fiska- im Monat. In München läge sie damit 1.008 Euro lischen, arbeitsmarkt- und umverteilungspoliti- über dem Mindestbedarf, in Berlin um 1.495 Euro. schen Auswirkungen des BGE in Abhängigkeit von seiner Höhe zu veranschaulichen. Von Befürwor- Dies führt zu einem entsprechend höheren Finan- tenden wird oft unterstellt, dass ein BGE keine nen- zierungsbedarf. Bezahlt man für einen Erwachse- nenswerten negativen Beschäftigungseffekte nach nen im Monat 1.208 Euro und für ein Kind 684 Euro, sich ziehe. Auch ein solches Szenario wurde ergän- so beträgt der jährliche Finanzierungsbedarf zend berechnet. 39
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim BMF: Bedingungsloses Grundeinkommen November 2021 Überblick über die Simulationsrechnungen Tabelle 1 Steuersätze mit (ohne) Szenario BGE pro Monat Finanzierung Verhaltensanpassung 1: Einstieg in das BGE 175 Euro (mit Aufkommensneutrale --- Verhaltensanpassungen) Abschaffung des steuerlichen 200 Euro (ohne Verhaltensanpas- Grundfreibetrags und des sung) steuerlichen Kinderfreibetrags 2: Absicherung des 446 Euro für Erwachsene; Aufkommensneutrale Erhöhung des aktuellen Steuertarifs alltäglichen Bedarfs 373 Euro für Minderjährige Abschaffung der steuerlichen um 12 (5,5) Prozentpunkte Freibeträge und der Regelleistungen in der Grundsicherung 3: Standardvorschlag 1.000 Euro für Erwachsene; Abschaffung der A: + 54,9 Prozentpunkte, 500 Euro für Minderjährige steuerlichen Freibeträge, Defizit 200 Mrd. Euro der Grundsicherung und des (+ 46,0 Prozentpunkte, Arbeitslosengelds I, Anhebung aufkommensneutral) des Einkommensteuertarifs B: 90 Prozent, Defizit 147 Mrd. Euro (Variante A) beziehungsweise (77 Prozent, aufkommensneutral) Einführung einer proportionalen 4: Existenzsicherndes BGE 1.208 Euro für Erwachsene; A: + 54,9 Prozentpunkte, Einkommensteuer (Variante B) 684 Euro für Minderjährige 404 Mrd. Euro Defizit (+ 54,9 Prozentpunkte, Defizit 57 Mrd. Euro) B: 90 Prozent, Defizit 348 Mrd. Euro (88 Prozent, aufkommensneutral) Quelle: Wissenschaftlicher Beirat beim BMF Bei weitgehender Beibehaltung des bestehenden Arbeitslosengeld II (ALG II) in Höhe von 446 Euro Steuer- und Transfersystems, der gesetzlichen So- im Monat für Erwachsene entspricht und dem zialversicherungen und der sozialstaatlichen Leis- höchsten Regelsatz für Kinder in Höhe von tungen (Szenario 1), könnte ein BGE in Höhe von 373 Euro. Dieses BGE ersetzt die bedarfsabhängi- 175 Euro pro Monat aufkommensneutral finanziert gen staatlichen Leistungen für den alltäglichen Be- werden, wenn der steuerliche Grundfreibetrag und darf, nicht jedoch die Leistungen für Wohnen. Zur der steuerliche Kinderfreibetrag abgeschafft wür- Gegenfinanzierung können, da die BGE-Zahlungen den. Dies würde allerdings zu einer höheren Grenz- die maximale Steuerentlastung durch den steuer- steuerbelastung führen, die wiederum zu einem lichen Grundfreibetrag und den Kinderfreibetrag Beschäftigungsrückgang (in Vollzeitäquivalenten) (sächliches Existenzminimum und Freibetrag für von 4,1 Prozent führt. Rund 3,2 Prozent der Be- Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf) schäftigten würden in der Folge ihre Arbeit voll- übersteigen, die Steuerfreibeträge vollständig ge- ständig aufgeben. Ohne die negativen Beschäfti- strichen werden. Die Simulationen weisen hier ei- gungseffekte ließe sich ein BGE von 200 Euro im nen Rückgang des Arbeitsangebotsvolumens um Monat aufkommensneutral finanzieren, wobei ver- knapp 14 Prozent aus. Etwa 3,6 Millionen Personen fassungsrechtliche Probleme verblieben, da gegen würden sich dafür entscheiden, überhaupt nicht die Befreiung des Existenzminimums von der Be- mehr zu arbeiten. Mit diesen Verhaltensanpassun- steuerung verstoßen würde. gen ist eine Anhebung des gegenwärtigen Steuerta- rifs um 12 Prozentpunkte über den gesamten Ta- In Szenario 2 wird die aufkommensneu trale rifverlauf notwendig. Die Haushaltseinkommen Einführung eines partiellen BGE betrachtet, sinken im Durchschnitt um über 8 Prozent. Haus- das dem im Jahr 2021 geltenden Regelsatz im halte im untersten Einkommensdezil gewinnen 40
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim BMF: Bedingungsloses Grundeinkommen November 2021 rund 33 Prozent hinzu, Haushalte im 2. und 3. Dezil staatliche Defizit beliefe sich im 3. Szenario auf können mit einstelligen prozentualen Zuwächsen rund 200 Mrd. Euro jährlich, beim Szenario 4 be- rechnen. Haushalte in den obersten drei Einkom- liefe sich das Defizit sogar auf über 400 Mrd. Euro. Analysen und Berichte mensdezilen verlieren hingegen im Durchschnitt Bei Ersetzen der bestehenden Einkommensteuer zwischen 13 Prozent und 19 Prozent. durch eine proportionale Einkommensteuer von 90 Prozent (Variante B) läge der Beschäftigungs- rückgang bei über 30 Prozent; das jährliche Defizit Dezil läge bei 147 Mrd. Euro im Szenario 3 beziehungs- weise 348 Mrd. Euro in Szenario 4. Bereits ohne In der beschreibenden Statistik wird eine Berücksichtigung des Defizits verlören alle Haus- sortierte Liste beziehungsweise Verteilung haltstypen im Aggregat 9,7 Prozent an verfügbaren teils in Dezile (Zehntel) eingeteilt. Jedes De- Einkommen. Besonders stark wiederum wären die zil enthält dieselbe Anzahl von Daten (z. B. Verluste bei Paaren mit Kindern. Das verbleibende Messwerte); bei einer Liste mit 100 Daten Einkommen würde im großen Umfang umverteilt enthält jedes Dezil somit 10 Daten. Oft wer- werden. Die untersten Einkommen verdoppelten den Dezile verwendet, um Ungleichgewichte sich nahezu und auch die Einkommen des 2. bis in der Verteilung zwischen den jeweils „Un- 5. Dezils stiegen deutlich an. Nettozahler wären die tersten“ und „Obersten“ (z. B. beim Einkom- Einkommensbezieher der obersten vier Dezile. men) deutlich zu machen. Ohne Anpassungen des Arbeitsangebots wäre ein existenzsicherndes BGE selbst durch die Abschaf- In Szenario 3 wird ein BGE in Höhe von 1.000 Euro fung der steuerlichen Freibeträge und Anhebung im Monat für Erwachsene und von 500 Euro im des Einkommensteuertarifs um 54,9 Prozent- Monat für Kinder betrachtet. Es ersetzt neben den punkte (Variante A) aufkommensneutral nicht zu bereits in Szenario 2 abgeschafften Sozialtransfers finanzieren. Eine aufkommensneutrale Gegenfi- auch noch die bedarfsabhängige Wohnförderung nanzierung wäre allenfalls mit einer proportio- und das ALG I, wenngleich dies das Existenzmini- nalen Einkommensteuer in Höhe von 88 Prozent mum nicht mehr in jedem Fall sicherstellt. Zur Fi- möglich. nanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung werden wei- Bei solchen Grenzsteuersätzen stellt sich die Frage terhin die Arbeitgeberbeiträge erhoben. Die Arbeit- nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit. nehmerbeiträge werden jedoch abgeschafft und Durchschnittssteuersätze in einer Größenord- das entstehende Defizit in den Sozialkassen durch nung von 75 Prozent und mehr rufen nach bisheri- die allgemeine Einkommensteuer finanziert. Inva- gen Rechtsprechungslinien ernsthafte verfassungs- liditätsbezogene Leistungen und Leistungen der rechtliche Probleme hervor. Kinder- und Jugendhilfe bleiben erhalten. Unter Berücksichtigung von Verhaltensanpassun- Der kostspielige Verzicht auf gen zeigt sich sowohl bei einem BGE von 1.000 Euro Information für Erwachsene und 500 Euro für Kinder (Szena- rio 3) als auch bei einem existenzsichernden BGE in Während in der Informationsgesellschaft gemein- Höhe von 1.208 Euro für Erwachsene und 684 Euro hin Daten und Informationen eine immer höhere für Kinder, dass eine aufkommensneutrale Ge- Bedeutung beigemessen wird, verzichtet ein BGE genfinanzierung selbst bei einer Erhöhung des ge- selbst auf wichtige Informationen, die jetzt be- genwärtigen Steuertarifs um 54,9 Prozentpunkte reits vorliegen und einfach zu erheben sind. Per- (Variante A) nicht möglich wäre. Das Arbeitsvo- sonen mit erhöhtem Förderbedarf sind dann nicht lumen würde um 27,5 Prozent zurückgehen, das mehr zu identifizieren, wenn Informationen zu 41
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim BMF: Bedingungsloses Grundeinkommen November 2021 Vermögen, Familienstand, Alter, Erwerbsfähigkeit, Personenkreis, der mit seinen Steuern das BGE zum Intensität der Arbeitssuche und Ausbildung, tat- größten Anteil finanziert. Freizügigkeit umfasst im- sächliche Mietkosten im Vergleich zum lokalen mer auch die Möglichkeit, sich den Zahlungen an Mietniveau nicht mehr erhoben werden. Die Aus- ein großzügiges Sozialsystem durch Auswandern gaben des BGE liegen damit wesentlich höher als zu entziehen. Zwar können sich Deutsche durch der Betrag, der notwendig wäre, um allen Bürgen Wegzug nicht sofort und gänzlich der deutschen ein existenzsicherndes Einkommen zu gewähren. Besteuerung entziehen. Aber die durch das Außen- steuergesetz vorgesehenen Einschränkungen gel- Während ein BGE den Informationsbedarf hin- ten nur temporär und können einen weitgehenden sichtlich der Bedürftigkeit senkt, wird der Infor- „brain drain“ und eine weitreichende Verlagerung mationsbedarf an anderer Stelle jedoch deut- von Investitionen ins Ausland nicht verhindern. lich ansteigen. Aufgrund der substanziell höheren Grenzsteuersätze wird Schwarzarbeit attraktiver. Deren Bekämpfung ist unabdingbar, wenn die Fi- Rechtliche Einordnung nanzierung des BGE sichergestellt sein soll. Der Staat muss daher die Kontrolle derjenigen ausdeh- Neben den ökonomischen Aspekten wären für eine nen, die als Leistungsträger das BGE finanzieren. Einführung eines BGE auch zwei wichtige rechtli- che Fragen zu beantworten: Besitzt der Bund nach dem Grundgesetz (GG) die Gesetzgebungskompe- BGE und Freizügigkeit tenz für die Einführung eines BGE? Wäre ein BGE in der Sache mit der Verfassung vereinbar? Die bisher vorgebrachten Argumente berücksich- tigen nicht, dass Deutschland Mitglied der Euro- Eine Bundesgesetzgebungskompetenz ist nicht er- päischen Union (EU) ist. Zu deren Grundfesten sichtlich. Der Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 gehören die EU-Freizügigkeitsregelungen, die es Nr. 12 GG, wonach die konkurrierende Bundes- EU-Bürgerinnen und -Bürgern erlauben, sich in- kompetenz für die „Sozialversicherung“ vorgese- nerhalb der EU frei anzusiedeln. Das gilt für Per- hen ist, passt nicht: denn alle Varianten des BGE, die sonen, die sich entschließen, ihren Lebensmit- vorgeschlagen werden, sind gerade nicht nach dem telpunkt aus einem anderen Land der EU nach Versicherungsprinzip ausgestaltet. Entsprechendes Deutschland zu verlagern, und es gilt für Bürgerin- gilt für den Kompetenztitel der „öffentlichen Für- nen und Bürger in Deutschland, die ihren Lebens- sorge“ in Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG, denn hier ist kenn- mittelpunkt in ein anderes Land der EU verlagern zeichnend, dass staatliche Leistungen einer konkre- möchten. ten Notsituation abhelfen sollen. Das ist beim BGE nicht der Fall. Rechtsfolge ist, dass den Ländern die Personen mit unterdurchschnittlichen Erwerbs- Gesetzgebungszuständigkeit zukommt. Der Bund möglichkeiten werden durch ein BGE angezogen, müsste daher zunächst eine Grundgesetzänderung vor allem, wenn das BGE Höhen erreicht, die deut- herbeiführen, um selbst gesetzgeberisch tätig wer- lich über den Möglichkeiten zur Einkommenser- den zu können. zielung im Heimatland der jeweiligen Person lie- gen. Das macht das System wesentlich teurer als in Schwieriger sind inhaltliche Grenzen aus der Ver- den Simulationen ausgewiesen und führt zu noch fassung zu bestimmen. Diese müssten anhand der höheren Steuern. jeweils konkreten Vorschläge geprüft werden, ins- besondere, weil erhebliche Auswirkungen auf die Wichtiger noch als diese Zuwanderungsanreize Staatsfinanzierung und auf das Sozialversiche- erscheinen mögliche Abwanderungswirkungen rungssystem zu erwarten wären. Ein grundlegen- für die Personen mit überdurchschnittlichen Er- der Umbau der Organisationsstruktur des Sozial- werbseinkommen in Deutschland. Das ist der staats wird durch das GG nicht verhindert. Art. 87 42
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim BMF: Bedingungsloses Grundeinkommen November 2021 Abs. 2 GG normiert zwar die Sozialversicherungs- Viele Posten des aktuellen Sozialbudgets stehen träger, sofern sie mit Zuständigkeit über eine Bun- für eine Gegenfinanzierung nicht zur Verfügung. deslandgrenze hinaus existieren, als mit Selbst- So entsteht mit der Einführung eines existenzsi- Analysen und Berichte verwaltung ausgestattete bundesunmittelbare chernden BGE ein Finanzierungsbedarf von knapp Körperschaften. Das Sozialversicherungssystem 900 Mrd. Euro jährlich. Simulationsrechnungen könnte theoretisch jedoch abgeschafft werden, so- zeigen, dass bereits die Einführung eines partiel- fern die grundrechtlich gebotenen Ziele anderwei- len BGE in Höhe der derzeit geltenden Regelsätze tig erreicht werden. in der Grundsicherung zu weitreichenden negati- ven Arbeitsangebotsreaktionen führt. Ein wirklich existenzsicherndes BGE ist nicht mehr aufkom- Schlussbetrachtungen mensneutral zu finanzieren. Die Idee eines BGE, das allen Bürgerinnen und Aus normativer Sicht ist ergänzend darauf hinzu- Bürgern Existenzsicherung verspricht, gewinnt in weisen, dass das BGE mit einem umfassenden Ver- Deutschland an Zustimmung. Das Gutachten des sorgungsanspruch das Subsidiaritätsprinzip ver- Beirats zeigt jedoch, dass sich die Ausgaben eines letzt, das die Einzelverantwortung des Menschen solchen Systems nicht finanzieren lassen. Die hö- in den Mittelpunkt stellt. Darauf hat der Beirat heren Ausgaben beruhen zum einen darauf, dass bereits in einem Gutachten aus dem Jahre 2008 ein BGE Familiengröße und regionale Mieten hingewiesen. nicht konditionieren kann und damit in vielen Fäl- len über die reine Existenzsicherung hinausgeht. 43
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