Hessische mitteilungen - WILLKOMMEN UND ABSCHIED IN DER HESSISCHEN JUSTIZ - Richterbund ...
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hessische mitteilungen www.richterbund-hessen.de 1/ 21 WILLKOMMEN UND ABSCHIED IN DER HESSISCHEN JUSTIZ
INHALT IHRE VORTEILE ALS MITGLIED DES DEUTSCHEN RICHTERBUNDS: –B ezug der Deutschen Richterzeitung VORWORT 3 einschließlich exklusiver Exemplare juris- tischer Standardkommentare auf CD so- wie exklusiver Zugriff auf „JURION“ (das digitale Wissenswerk) und die Deutsche AKTUELLES 4 Richterzeitung online im Internet (auch Aus der Arbeit des Bezirksrichterrates beim OLG (Hauptrichterrat) 4 über App) – Gruppen-Diensthaftpflichtversicherung –S onderkonditionen zum Beispiel bei Versicherungen PINNWAND 8 –H aftpflicht- und Rechtsschutzversiche- rung Aus den Bezirksgruppen 8 – Vorsorgewerk – k ostenlose DRiB-Visacard Neues aus dem Landtag 9 – vergünstigter Erwerb des ZR-Report.de – v ergünstigte Teilnahme am Richter- und Staatsanwaltstag –F achforum für Mitglieder im Internet TITELTHEMA 10 – im Einzelfall Rechtsschutz für Rechts- Die neue Einstellungspraxis in Zahlen 10 streitigkeiten mit dem Dienstherrn Und tschüss – Gründe, die Justiz zu verlassen 12 Einen Link zu weiteren Informationen und dem Beitrittsformular finden Sie auf Seite 21 Warum haben Sie die Justiz verlassen? 14 IMPRESSUM eJUSTICE 16 Legal Tech – Neue Werkzeuge für die Justiz? 16 HERAUSGEBER Deutscher Richterbund Mehr Digitalisierung wagen 20 Landesverband Hessen e. V. Gerichtsstraße 2 60313 Frankfurt am Main REDAKTION INTERVIEW 22 RiOLG Dr. Charlotte Rau (V. i. S. d. P.), RiLG Barbara-Luise Bendrick, Interview mit der Ständigen Vertreterin des Generalstaatsanwalts 22 LOStA a. D. Dr. Ursula Goedel, OStA a. D. Peter Köhler, DirSG Dr. Henning Müller, StA Sebastian T. Müller, RiOLG Dr. Johannes Schmidt, KOMMENTAR 28 RiLG Dr. Christine Schröder Verschwendung wertvoller Ressourcen der Justiz 28 E-Mail: hemi@richterbund-hessen.de Freud und Leid der Pflichtverteidigung 30 SATZ UND DRUCK Wilke Mediengruppe GmbH Oberallener Weg 1, 59069 Hamm Telefon: 0 23 85-4 62 90-0 Telefax: 0 23 85-4 62 90-90 E-Mail: info@einfach-wilke.de Internet: www.einfach-wilke.de Bildnachweis: Cover und Illustrationen: p. c. p. a/ Ralf Rinke, S. 3, 4, 20, 28 : privat, S. 14: privat/ Alex Schwander www.richterbund-hessen.de 2 HeMi 1/2021
TITELTHEMA EDITORIAL VORWORT Liebe Kolleginnen und Kollegen, an einen Laufbahnwechsel dachte Hessens be- Richterliche Assistenzsysteme, kanntester Jurist sicher nicht, als er das den Ti- denen schon Goethe in Vene- tel dieses Heftes inspirierende Gedicht zu Papier dig in Form eines redezeitbe- brachte, obwohl er sich auch mit der Straßburger grenzenden Stundenglases Dissertation schon schwertat. Überhaupt stand für begegnete, werden in den ihn die Juristerei unter einem Unstern: Vom Jurastu- nächsten Jahren überragende dium in Leipzig kam er krank zurück, nach der Sta- Bedeutung erlangen. Henning tion am Reichskammergericht in Wetzlar schrieb er Müller bringt uns das Thema in ein Buch über einen Selbstmörder, und dem Frank- einer gut verständlichen Einfüh- furter Anwaltsberuf entzog er sich durch Flucht in rung nahe und unser Gastautor den Osten, wo er an einem unrühmlichen Todesur- Ullrich Steppler zeigt am Bei- teil gegen eine „Kindsmörderin“ beteiligt war. Mit spiel einer anwaltlichen Software zum claims handling im Bereich Johannes Schmidt den Weichenstellungen, die ein gelungeneres Ju- ristenleben von der Einstellung bis zum Ausschei- Fluggastrechte, wo die Reise den kennzeichnen, beschäftigen sich die HeMi im hingehen könnte. Rahmen des Heftschwerpunktes „Willkommen und Abschied“ nun 250 Jahre später. In einem großen Interview schildert die ständige Vertreterin des Generalstaatsanwalts Christina Im Eröffnungsbeitrag gibt uns Heidrun Mondl, die Kreis, welche Herausforderungen das Amt bereit- Vorsitzende des Bezirksrichterrates, einen umfas- hält und gibt uns einen lebendigen Einblick in die senden Überblick über das Engagement des Gre- Funktionsweise der Generalstaatsanwaltschaft. Kri- miums unter Corona-Bedingungen und die ernüch- tisch sehen die beiden Kommentatoren Joachim ternden Reaktionen auf die Forderung nach mehr Becker und Peter Köhler auch das Scheitern der Beteiligung – „Wer nie sein Brot mit Tränen aß …“. hessischen Initiative zu einer Vielklägergebühr und Für unseren Heftschwerpunkt hat Luise Bendrick die Reform des Rechts der Pflichtverteidigung. nachgehakt, wie sich das neue Notenquorum auf die Einstellungspraxis auswirkt und Christine Schrö- Die hohe Qualität der Beiträge und die Fotos und der hat sich dem brisanten Thema des vorzeitigen Zeichnungen von p. c. p. a. / Ralf Rinke ergänzen Ausscheidens aus dem Dienst gewidmet. sich wieder einmal kongenial. Bei der Lektüre die- ses Heftes in leider immer noch schwierigen Zeiten wünscht die Redaktion viel Spaß! Mit herzlichen Grüßen Ihr Johannes Schmidt HeMi 1/2021 3
AKTUELLES WO (K)EIN WILLE, DA (K)EIN WEG? AUS DER ARBEIT DES BEZIRKSRICHTERRATES BEIM OLG (HAUPTRICHTERRAT) Der Bezirksrichterrat ist seit das Justizprüfungsamt im April 2020 einen „Erlass dem Ausbruch der Corona-Pan- betreffend Wahrnehmung der Aufsicht in der Zwei- demie im Frühjahr 2020 in viel- ten juristischen Staatsprüfung und der staatlichen fältiger Weise in beteiligungs- Pflichtfachprüfung durch Richter und Staatsanwäl- rechtlichen Fragen gefordert te“ heraus, in dem es auf den Wortlaut des § 4 und hat durch Ausübung des In- Abs. 2 JAO hinwies, nach dem die Aufsicht bei der itiativrechts eine Reihe von The- Anfertigung der Aufsichtsarbeiten von Richterinnen men angestoßen. Die Tätigkeit und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwäl- des Gremiums, das gegenüber ten und sonstigen Bediensteten der Justiz geführt dem Ministerium auch die Funk- werde. Die Gerichts- und Staatsanwaltschaftslei- tion eines Hauptrichterrates tungen sollten auf die „Rechtslage“ hinweisen und wahrnimmt und dies durch die eine Übernahme der Aufsichtsdienste sicherstel- Heidrun Mondl Bezeichnung als „Bezirksrich- len. Das Gremium hat sich daraufhin nochmals an terrat beim Oberlandesgericht/Hauptrichterrat der das Ministerium gewandt und im Einzelnen dar- ordentlichen Gerichtsbarkeit“ kenntlich macht, war gelegt, dass die Rechtsauffassung des Justizprü- dabei von negativen Überraschungen, aber auch fungsamtes, es bestünde nach § 4 Abs. 2 JAO eine von vielen positiven Entwicklungen geprägt. Verpflichtung zur Aufsicht bei der Anfertigung der Aufsichtsarbeiten, gerade keine Grundlage im Ge- Positiv hat sich seit Beginn der Pandemie ein en- setz findet. Unter Bezugnahme auf das Urteil des ger und vertrauensvoller Austausch mit dem Prä- Niedersächsischen Dienstgerichtshofs zu Klausur- sidenten des Oberlandesgerichts, zwischen den aufsichten im ersten juristischen Staatsexamen Gremien und mit den Verbänden entwickelt. Dies (DRiZ 1997, 63) haben wir dabei gegenüber dem zeigte sich einerseits in einer Verbesserung des Ministerium ausgeführt, dass das richterliche Per- Informationsflusses und andererseits durch das sonal nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 DRiG zwar Aufgaben solidarische Vorgehen, mit dem die Arbeitsge- der Gerichtsverwaltung wahrnehmen dürfe, Klau- meinschaft der Hauptrichter- und Hauptstaatsan- suraufsichten jedoch keine Aufgaben der Gerichts- waltsvertretungen in Abstimmung mit dem Haupt- verwaltung, sondern Aufgaben der Justizverwal- personalrat der Justiz eine Vielzahl gemeinsamer tung seien und Richterinnen und Richter Geschäfte Anliegen gegenüber dem hessischen Ministerium der Justizverwaltung neben ihrem Richteramt nur der Justiz vertreten hat. Über unser solidarisches kraft Zuweisung durch ein förmliches Gesetz wahr- Handeln sowie die ernüchternden Reaktionen auf nehmen müssten, es sich bei der JAO aber ledig- unsere Forderungen nach Beteiligung möchte ich lich um eine Rechtsverordnung handele. anhand ausgewählter Beispiele einen Überblick geben. Nach gebetsmühlenartiger Wiederholung der Rechtslage kam schließlich Bewegung in die An- Klausuraufsichten gelegenheit, als sich im Oktober 2020 die 2. Co- Der Bezirksrichterrat hatte auf Hinweise der ört- ronawelle abzeichnete und der Hauptpersonalrat lichen Richterräte bereits in den vergangenen in einer Besprechung mit dem Ministerium von der Jahren gegenüber dem Ministerium immer wie- schlechten Lage eines Prüfungsraumes mit unzu- der deutlich gemacht, dass eine Verpflichtung reichender Belüftung sowie von Anordnungen be- zur Wahrnehmung der Aufsichtstätigkeiten durch richtet hatte, nach denen das Tragen eines Mund- Richterinnen und Richter nicht besteht. Besonders Nasen-Schutzes während der Aufsichtsführung betroffen von Aufsichtsanforderungen sind dabei unterbleiben solle. Der Hauptpersonalrat hat für die die Amts- und Landgerichte an den Universitäts- Tarifbeschäftigten zutreffend darauf hingewiesen, standorten. dass diese nach geltendem Arbeits- und Tarifrecht zur Übernahme von Aufsichten nicht verpflichtet Nachdem es sich ab dem Frühjahr 2020 corona- werden dürfen. Gemeinsam mit dem Hauptperso- bedingt zunehmend schwieriger gestaltete, Auf- nalrat hat der Bezirksrichterrat eine Abfrage bei al- sichtskräfte auf freiwilliger Basis zu finden, gab len Dienststellen nach freiwilligen Aufsichtskräften 4 HeMi 1/2021
AKTUELLES sowie eine Erhöhung der Aufwandspauschale für für die Kolleginnen und Kollegen, die keinen Zu- die Aufsichtstätigkeit vorgeschlagen. gang zum EWO-Datenpool haben, sofort heraufge- setzt und sodann für die Zugänge zum Datenpool Anlässlich der letzten gemeinsamen Besprechung durch eine Arbeitsgruppe kurzfristig eine geson- der Gremienvertreter mit der Ministerin, dem sog. derte Lösung gefunden werden. Runden Tisch der Räte, vom 23.02.2021 hat der Präsident des Justizprüfungsamtes mitgeteilt, die Im Herbst 2020 wurde die Latenzzeit auf allen Anhebung der Aufwandspauschale um 20 % sei dienstlichen Rechnern ohne EWO-Datenpoolzu- in „trockenen Tüchern“ und lediglich noch ein gang wieder hochgesetzt. Die Belastungen wir- entsprechender Erlass erforderlich. Zwar ist das ken aber insbesondere für die Staatsanwältinnen Justizprüfungsamt dem Vorschlag, einen landes- und Staatsanwälte sowie für das nichtrichterliche weiten Freiwilligenpool zu bilden, der von den Zu- Personal fort. Seitens des Ministeriums wird der- weisungen der Landgerichte unabhängig ist, bis- zeit eine „verschärfte organisatorische“ Lösung her nicht nähergetreten. Man hat aber zumindest favorisiert, bei der eine Liste von bekannten oder signalisiert, dass Bereitschaft bestehe, weitere gefährdeten Personen erstellt und missbräuchliche Landgerichtsbezirke einzubeziehen, die bisher Zugriffe auf gespeicherte Daten dieser Personen keine Aufsichtskräfte stellten. durch regelmäßige Kontrollen herausgefiltert wer- den. Da die nun beabsichtigte Maßnahme den Mit- Latenzzeitverkürzung bestimmungstatbestand des § 74 Abs. 1 Ziff. 17 Dass Einsatz und Solidarität mehr denn je gefor- HPVG („… Einrichtungen, die dazu geeignet sind, dert sind, hat sich im Sommer 2020 gezeigt, als wir das Verhalten …der Beschäftigten zu überwa- durch ein an alle Bediensteten gerichtetes Schrei- chen“) erfüllt, bleibt abzuwarten, ob die Gremien ben der Justizministerin davon Kenntnis nehmen nun ordnungsgemäß beteiligt werden oder doch mussten, dass die Vorfälle unberechtigten Zugriffs der Rechtsweg beschritten werden muss. Der für auf Computer hessischer Polizeibehörden zum An- Ende April 2021 anberaumte Besprechungstermin lass genommen wurden, den Sperrbildschirm der der Arbeitsgruppe lässt auf Beteiligung hoffen. Dienstrechner auch in der Justiz nach einer La- tenzzeit von drei Minuten zu aktivieren. Konzept Sitzungssaalausstattung Im Sommer 2020 hat ein weiteres wichtiges Mitbe- Das Gremium hat die Ministerin unverzüglich da- stimmungsthema an Fahrt aufgenommen, das im rauf hingewiesen, dass die Verkürzung der La- Zusammenhang mit der in weniger als 5 Jahren tenzzeit in die Gestaltung des elektronischen Ar- einzuführenden elektronischen Akte steht. beitsplatzes eingreift und einer Beteiligung bedurft hätte (§ 36 Abs. 1 Ziff. 2 HRiG, § 74 Abs. 1 Ziff. 16 Aus Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit HPVG). Der sogar ohne Vorabinformation umge- sowie der Fachgerichtsbarkeiten wurde berich- setzten Maßnahme hat das Gremium nachdrück- tet, dass die IT-Stelle Sitzungssaal-Begehungen lich widersprochen, da mögliche Missstände bei im Rahmen eines „Konzepts zur Ausstattung der der Polizei nicht zum Anlass genommen werden Sitzungssäle“ durchführe. Da den Beteiligungs- dürfen, die dritte Gewalt anlasslos unter Gene- gremien ein derartiges Konzept nicht bekannt war, ralverdacht zu stellen. Moniert wurden weiter die haben wir das Ministerium mit deutlichen Worten mangelnde Vergleichbarkeit des richterlichen Ar- darauf hingewiesen, dass Sitzungssäle Arbeits- beitsplatzes mit Arbeitsplätzen in Polizeidienststel- plätze darstellen, deren Ausstattung der Beteili- len sowie die zeitlichen, in Pebb§y nicht berück- gung nach § 74 Abs. 1 Ziff. 16 und 17 HPVG un- sichtigten Mehrbelastungen. terliege. Den Gremien wurde schließlich ein auf die Richterbank sowie die Beratungszimmer bezoge- Der Forderung, die Maßnahme unverzüglich zu- nes Sitzungssaalkonzept als ein der ständigen An- rückzunehmen, ist das Ministerium zunächst nicht passung unterliegendes „lebendes Konzept“ vor- gefolgt, hat aufgrund unserer massiven Kritik aber gestellt. Seitens der Gremien wurde eingewandt, mitgeteilt, dass man an einer schnellen, praxis- dass eine IT-Ausstattung der Güterichterräume nahen Lösung interessiert sei. Da das Problem im ebenso wenig berücksichtigt sei, wie eine Video- Wesentlichen im Zugang zu den Einwohnermelde- konferenztechnik und die konkrete Ausstattung der amtsanfragen über den Datenpool gesehen wurde, Sitzungssäle am Bedarf vor Ort zu orientieren sei. hat das Gremium zur schnellen Verbesserung der Im Übrigen wurde die fehlende Einbeziehung der Arbeitsbedingungen ein vorläufiges Angebot des Staatsanwältinnen und Staatsanwälte moniert und Ministeriums angenommen, nachdem wir uns das auf die Erfordernisse der Barrierefreiheit hingewie- Beschreiten des Rechtsweges vorbehalten hatten. sen. Im weiteren Austausch haben die Gremien Als erste Maßnahme sollte danach die Latenzzeit ferner Mindeststandards z. B. für Bildauflösungen HeMi 1/2021 5
AKTUELLES und eine Öffnungsklausel gefordert, um dem sich sandt, in dem einige Vorschläge der Gremien ändernden Stand der Technik Rechnung tragen berücksichtigt wurden. Das Gremium hat im Vor- zu können. Das entsprechend unserer Vorschlä- feld der förmlichen Beteiligung aber immer noch ge/Änderungswünsche überarbeitete Sitzungs- Einwendungen erhoben und angekündigt, die saalkonzept wurde uns nun vorgelegt, sodass die beteiligungsrechtliche Zustimmung nicht zu ertei- förmliche Beteiligung unmittelbar bevorsteht. len. Beanstandet wurden insbesondere potenzi- ell kinderbetreuende und pflegende Beschäftigte HessenConnect/Skype für Business benachteiligende Regelungen, wie z. B. bürokra- Auf ein förmliches Beteiligungsverfahren betref- tische Nachweispflichten, die nicht erfolgte Über- fend die Einführung von HessenConnect / Skype tragung der Kinderkrankentageregelung auf das for Business warten die Gremien nach wie vor, was richterliche Personal und die Verpflichtung zur In- umso misslicher ist, als Skype for Business ein anspruchnahme von Resturlaub. „auslaufendes Modell“ ist und wohl noch in diesem Jahr durch ein anderes Produkt abgelöst werden Mit Schreiben vom 30.03.2021 wurde die Befris- wird. Die Ausschreibung läuft bereits. Es bleibt also tung der vorläufigen Regelungen aufgehoben. Das spannend, was auf uns zukommen wird. Ob und Gremium hat die Aufhebung der Befristung mit Ver- wie sich die Beteiligung des Gremiums gestalten wunderung zur Kenntnis genommen, weil nach § wird, muss abgewartet werden. Im Übrigen wur- 74 HPVG nur unaufschiebbare Maßnahmen vorläu- de angekündigt, dass in absehbarer Zeit weitere fig geregelt werden dürfen und ein Beteiligungs- Online-Werkzeuge für Videokonferenzschaltung, verfahren einzuleiten ist. Nachdem der Haupt- so u. a. Webex, zur Verfügung stehen werden. Aus personalrat dem Ministerium daraufhin mitgeteilt der Sicht des Gremiums gilt es aber auch immer zu hatte, dass man der zeitnahen Einleitung des bedenken, dass Sicherheit beachtet und nicht all förmlichen Beteiligungsverfahrens entgegensehe, das über Bord geworfen wird, was Kolleginnen und wurde der Erlassentwurf „zur Ausübung etwaiger Kollegen vor Jahren erkämpft und mit der Bildung Beteiligungsrechte“ übersandt. Zu den Einwen- der IT-Kontrollkommission erreicht haben. dungen wurde mitgeteilt, dass dem Hessischen Ministerium der Justiz wegen unterschiedlicher Corona gesetzlicher Grundlagen und mangels Zuständig- In den letzten Monaten hat sich das Gremium in- keit für das beim Innenministerium verortete Thema tensiv mit den zur Aufrechterhaltung eines „risi- Arbeitszeit eine eigenständige Regelung verwehrt koangepassten Regelbetriebes“ erforderlichen sei. Maßnahmen befasst, von denen ich drei wichtige Themen herausgreifen möchte. Impfstrategie Die ständige Impfkommission hatte Anfang De- Musterdienstanweisung zember 2020 Empfehlungen zur Priorisierung bei Nachdem Beteiligungsrechte vor den Erlassen zu den anstehenden Corona-Impfmaßnahmen unter- Musterdienstanweisungen seit Beginn der Pande- breitet, die Justiz darin allerdings mit keinem Wort mie missachtet wurden und es zu heftigster Kritik erwähnt, sodass sich der Richterbund Hessen und an der Androhung disziplinar- und arbeitsrecht- der Präsident des Oberlandesgerichts mit ein- licher Konsequenzen bei Auslandsreisen gekom- dringlichen Appellen gegenüber dem Hessischen men war, wurde den Gremien nach entsprechender Justizministerium erfolgreich dafür eingesetzt ha- Zusicherung, beteiligungsrechtlich nun wieder ben, auf eine Aufnahme der Justiz in die Impfprio- in den „Normalbetrieb“ übergehen zu wollen, im risierung hinzuwirken. September 2020 ein Entwurf für eine Musterdienst- anweisung zur Stellungnahme zugeleitet. Trotz Im Januar 2021 hat das Gremium auf die Mittei- Stellungnahmen und umfangreichen ergänzenden lung des Ministeriums, dass es noch keine Über- Vorschlägen der Gremien wurde ein nach § 83 legungen für ein Impfangebot für Bedienstete der Abs. 3 HPVG über den erweiterten Hauptpersonal- Justiz gebe, dazu aufgefordert, Konzepte zu wei- rat durchzuführendes Beteiligungsverfahren nicht teren Corona-Maßnahmen, insbesondere aber zur eingeleitet. Am 05.11.2020 hat das Ministerium Impfstrategie, frühzeitig zur Verfügung zu stellen. vielmehr eine unsere Änderungsvorschläge nicht Unter Hinweis auf die Praxis anderer Bundeslän- berücksichtigende Musterdienstanweisung als Eil- der, die sowohl die geschäftsplanmäßigen Betreu- maßnahme gemäß § 73 HPVG vorläufig in Kraft ge- ungsrichter, als auch die im Bereitschaftsdienst mit setzt und nachfolgend mehrmals verlängert. betreuungsrichterlichen Aufgaben konfrontierten Kolleginnen und Kollegen der Personengruppe mit Am 22.02.2021 wurde ein „neuer“ Entwurf einer höchster Impfpriorität nach § 2 Nr. 2 CoronaImpfV Musterdienstanweisung zur Stellungnahme über- zugeordnet hatten, wurde das Ministerium wegen 6 HeMi 1/2021
AKTUELLES des deutlich erhöhten Infektionsrisikos der aktu- Teststrategie ellen Corona-Mutationen und dem daraus resultie- Bereits im Oktober/November 2020 hatte sich renden größeren Schutzbedürfnis der Kolleginnen gezeigt, dass Hauptverhandlungstermine sowie und Kollegen dringend ersucht, festzustellen und wichtige Verhandlungen und Anhörungstermine darauf hinzuwirken, dass auch in Hessen tätige abgesagt oder verschoben werden mussten, weil Richterinnen und Richter, die betreuungsrichter- Verfahrensbeteiligte kurz vor den Sitzungen Kon- liche Aufgaben wahrnehmen, in der höchsten Prio- takte mit infizierten Personen hatten oder Erkäl- ritätsgruppe geimpft werden können. tungsanzeichen verspürten. Vor dem Hintergrund, dass Landtagsabgeordnete bereits damals re- In der Skype-Besprechung des Runden Tisches gelmäßigen Testungen unterzogen wurden und mit den Räten vom 23.02.2021 hat die Justizmini- der Mangel an ausreichenden Testmöglichkeiten sterin zum Thema Priorisierung der Betreuungs- innerhalb der Justiz auf Unverständnis gestoßen und Bereitschaftsdienstrichterinnen und -richter war, hat das Gremium gegenüber dem Ministerium mitgeteilt, auf eigene Anfragen beim Sozialministe- Testmöglichkeiten gefordert. rium noch keine Antwort erhalten zu haben. Unter Bezugnahme auf bereits durchgeführte Impfungen Im Dezember 2020 wurde eine im Justizministe- an einzelnen Amtsgerichten hat die Justizministe- rium entwickelte „Teststrategie“ übermittelt. Darin rin dann ausdrücklich empfohlen, nun pragma- wurden die grundsätzlich aus dem eigenen Budget tisch vorzugehen und sich mit der entsprechenden der Dienststellen zu leistenden Testungen nur in Bescheinigung der Dienststelle impfen zu lassen. begründeten und eiligen Einzelfällen für erforder- Diese als „Startschuss“ für den Beginn der Imp- lich erachtet. Dass sich der Dienst- und Sitzungs- fung in der Hessischen Justiz zu wertende Erklä- betrieb ohne regelmäßige anlasslose Testungen rung der Justizministerin hat das Gremium an den nicht aufrechterhalten lassen wird und für die Justiz Präsidenten des Oberlandesgerichts weitergege- deshalb ein dringender Handlungsbedarf besteht, ben, woraufhin die Präsidentinnen und Präsidenten wurde dem Ministerium seitens des Gremiums, ins- der ordentlichen Gerichtsbarkeit im Beschlussweg besondere aber auch seitens der Präsidentinnen Einigkeit in Bezug auf die Ausstellung von Impfbe- und Präsidenten eindringlich vermittelt. scheinigungen für die mit betreuungsrichterlichen Aufgaben befassten Richterinnen und Richter er- Auch wenn eine der Fürsorgepflicht des Dienst- zielt haben. Neben den Abteilungsrichtern der herrn gerecht werdende „justizeinheitliche“ Test- Betreuungsabteilungen sollten demnach deren strategie nach wie vor nicht existiert, zeichnet sich geschäftsplanmäßige Vertreterinnen und Vertreter, aktuell doch eine positive Entwicklung ab. Zwi- sowie die im amtsgerichtlichen Eildienst und den schenzeitlich stellt das Land Hessen in Erfüllung landgerichtlichen Beschwerdekammern in Betreu- seiner Arbeitgeberpflicht jedem Bediensteten seit ungsangelegenheiten tätigen Richterinnen und dem 19.04.2021 Selbsttests zur Verfügung. Richter Impfbescheinigungen erhalten, sofern in- nerhalb der nächsten zwei Monate mit dem Eintritt Fazit und Ausblick des Vertretungsfalls, dem Eildienst bzw. in der Be- Trotz der Verbesserungen in der Kommunikation mit schwerdekammer mit einem Tätigwerden in einer dem Ministerium ist der Kampf um die im Vergleich Hochrisikoeinrichtung zu rechnen sei. Ansonsten zu anderen Bundesländern ohnehin defizitäre Be- sollten Impfbescheinigungen für Angehörige an- teiligung noch immer ein „mühseliges Geschäft“. derer Berufsgruppen nur ausgestellt werden, wenn Die seit Jahren erhobene Forderung nach der konkret mit ihrem zeitnahen dienstlichen Tätigwer- Rückkehr zu demokratischen Beteiligungsrechten den in einer entsprechenden Einrichtung zu rech- muss deshalb aufrechterhalten und gegenüber nen sein würde. dem Ministerium immer wieder vertreten werden. Trotz der als uneingeschränkt positiv zu bewer- Wegen der in den kommenden Jahren anstehen- tenden Erklärung der Justizministerin, der klarstel- den Einführung der elektronischen Akte wird dabei lenden Beschlussfassung der Präsidentinnen und neben den Einzelheiten der Gestaltung der Ar- Präsidenten sowie der zwischenzeitlich erfolgten beitsplätze und -abläufe sowie dem Bemühen um Zuordnung der Wachtmeisterinnen und Wachtmeis- Abschluss von Dienstvereinbarungen zur E-Akte ter zur Impfkategorie 2 ist eine Impfstrategie für insbesondere die Forderung nach einer Streichung alle Justizbediensteten bislang nicht in Sicht. Die des jegliche Mitwirkung bei Pilotierungen aus- Gremien haben deshalb beim Ministerium um In- schließenden § 81 Abs. 1 Satz 2 HPVG von Bedeu- formationen und Beteiligung zu einer Impfstrategie tung sein. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, nachgesucht. dass ein seitens des Ministeriums bei der letzten Novellierung des HRiG im Jahr 2011 gegebenes HeMi 1/2021 7
TITELTHEMA PINNWAND Versprechen, mit den Beteiligungsgremien in Ge- des umfangreichen und weit ins kommende Jahr- spräche über Verbesserungen der Beteiligungs- zehnt hineinreichenden Bauprojektes „Justizstand- rechte einzutreten, noch nicht eingelöst ist. ort Konstablerwache“ in Frankfurt wahrzunehmen haben, für das mit Rücksicht auf eine möglichst Darüber hinaus wird sich das Gremium auch zu- frühzeitige Beteiligung der „Gremienbeirat Bau“ künftig mit den hohen Arbeitsbelastungen sowie ins Leben gerufen wurde, dem Vertreterinnen und dem stetig wachsenden Personalbedarf befas- Vertreter der Personalvertretungsgremien, der sen und dabei an der Forderung nach einem De- Gleichstellungsbeauftragten und der Menschen ckungsgrad von 100 % des errechneten Perso- mit Behinderung angehören. nalbedarfs festhalten. Das Thema „Pebb§y“ mit all seinen Facetten wird das Gremium im Rahmen Ri’inAG Heidrun Mondl1 der 2024 anstehenden Nacherhebung dabei sogar noch verstärkt in Anspruch nehmen. Nicht zuletzt wird das Gremium Beteiligungsrechte anlässlich 1 Die Autorin ist Vorsitzende des Bezirksrichterrates. Aus den Bezirksgruppen Wechs el uppe : Bezirk an der Spit Fachgr ichtsbarkeit m sgrupp z e Fran e der al ger hat zu In de Sozi hwald an die r Mit k furt: a Buc k M gli anzis ssorin ie ärz 2 ederv Dr. Fr als Profe echselt. D t ze Z 021 sind ersam RinSG 2 0 2 1 te n ew barkeit ha g anne H mlu r, Dr anna Ha ng vom 1 ä r z m p Alexa 1. M Ke ichts itglieder- nder . Re lbig, Cons 7. schule ialger aus d Klein inhar Hoch uppe Soz ntlichen M rn RSG e d S tan- r e r Vorsit m Vorstan auf eigen chartl un g Fach r außero r d ig He lgericht z d e d e stimm ia wurd ende der B ausgesch n Wunsc in ein mlung ein hm (Soz den der e e ie h m ie n senw Dr. Malaik zirksgrup den. Neu versa xander D . Vorsitze ar a Bro p e le 2 Wied t ist Dr. C osch e Frankfur Dr. A dt) zum lt. er or , t sta h Ulrike gewählt w nelius Tre neuer Kas Darm uppe gewä Willo u ndele - r ughb rden Dr. n F a c h g Dr. U y, Jen Isabe burg. te Mo s Rathm l Ja ckel. ann u hn, nd 8 HeMi 1/2021
TITELTHEMA PINNWAND Neues aus dem Landtag CDU + Grüne g der Regie- ßungsantra nsfa ll Ein Entschlie d GRÜNE, nen CDU un FDP h e Korr uptio a lt s chaf t CDU rungsfraktio rü ck lic h begrüßt, da ss lic w der es ausd m u tmaß lstaatsan r ü c k- ng m it Sk ype-Lizenzen Der ener a in de r zu Mit de r Situa die Ausstattu renzanlagen bereits er G auch de d en und Videok onfe bei d e lichen tio Richte n der ehrena ckend sei, ft ig t p e r io n bz w. flächende /4485). bes c h ä Beric h t s it re e sich d r ie klein in Hessen se t- m beac ht lic h . 20 s we DP nomm en (D rs nden eine der F Abgeo e tzte wurde ange li e g e in F o r m a n t r a g s rdnete Anfrage eine s n der C s Land tag richt ausein ander D n Be (Drs. 2 U-Fraktion liche 0/5041 dring /5005). ). . 20 (Drs FDP FDP n Landta g rderte de tio n de r FDP fo flä ch en de- Die Frak 2021 Ein wichtig s Jahres gen es Thema Ende de ussetzun hang mit de im Zusamm auf, zum sc hen Vora lge- it den i den Zivi r sächliche en- e te ch ni ckend di SPD nhang m tung der Ju stiz behand n Ausstat- htsverha ndlu ng en be en im Weg e Z u s amme nztechnik Anfrage au elt auch di fü r G er ic tung sg er ic ht 8a em re leine s der FDP- e d Verwal mäß § 12 In eng Videokonfe steht die k te n un ng ge der- und ju Fraktion „K ri ch bertra gu u d ie g e n a gendgerech in- B ild - und Tonü sc ha ff en. Hierz um Fra hem nehmunge te Zeugenve de r wGO zu e Zi- nden zum T Ge- n im Strafv r- § 102a V hessisch kreise der SPD olizei und . 20/5373). erfahren“ (D rs. ZPO und stellen, da ss jedes altungs- Anfr a g e tu r b e i P li c h e r bzw sei si ch er zu s hessis ch e Ve rw struk nd häus 764). und jede tspreche „Infra für Opfer . 2 0 /3 vilgericht mindest ens ein en verfügt n (Drs er m er richte er Gewalt“ t üb gs zi m gerich rhandlun ll ttetes Ve 932). sexue ausgesta 28 .10.2020 Drs. 20/3 vo m (Antrag ab ge le hn t g wurde Der Antra 4). (RTA 20/2 er FDP Die Linke: ge d anträ SPD h t s Beric 42) und d e r Die Fra Die Fraktion Die LINKE begehrte im Zu- r in g liche 2 0 /4 0 t t e n mittels ktion d er FDP sammenhang mit einer kleinen Anfrage zur d che a Zwei cksa 40) h e ge - e Ausku iner kleinen begeh rte Istanbul-Konvention auch Auskunft zur Fra- (Dru 20/40 A SPD a che b er ein Umfan nft, ob und in nfrage ge, ob und in welcher Frequenz hessische c k s erich t ü m -a (Dru Infor g koste welche Staatsanwältinnen und Staatsanwälte bzw. FDP e it u ngsb b e von f fend für Mit n arbeite lose Corona m a eine nZ eiter g betre gung s rd tünden er Justiz zu -Tests Richterinnen und Richter an Weiterbil- m a ß te W iz k r eisen g s m aß- Antwo (Drs. 2 r Verfü dungen zur Istanbul-Konvention teilnäh- mut u s Ju st r m ittlun rt vom 0 28.12.2 /4074 nebst - a E men und ob dies verpflichtender Ausbil- tione n hrte nd. 020). gefü nsta dungsbestandteil sei bzw. entsprechende eckt Gege verd u m Planungen existierten (Drs. 20/4090). en z nahm Die Lin nen ke at ei u ke Die LIN FDP r F DP h antrag z ntos n de erichts tszeitko Die Lin ngsfr tbildu rtbildungs agen - K pande E fragte nac miebe Fra k t i o nB be Die hrliche bensar ebensa n und i r- d F o r o persön dingte h möglichen us- un us- und F h ten licher nA ü e L ausf n des L uch die wältinne d hat M it A A r r e c Anhöru usfällen reich ich de r, treuun gsang ngen in e a Frag llt, der taatsan gensta n im Be te im Bere für Richte s- durchs ele B e S e a n g e b o T e r r o rs ug fvollz uch chnittl genheiten u e- gest zeit der zum G n d tr a ungsg ichen nd der s te lt u Gewa nwälte un ftigt sich a d S erichtl ich Dauer betr beit sanwäl . sen (D t ) a Staats tete besc antrag der hä rs. 20/4 er Verfahren eu- Staa 20/4922 343). in Hes . bedie ns eßung 8). s - (Drs c h li ts 33 ein En (Drs. 20/5 n Linke HeMi 1/2021 9
TITELTHEMA WILLKOMMENER NACHWUCHS DIE NEUE EINSTELLUNGSPRAXIS IN ZAHLEN Zum Februar 2020 sind in Hessen Probe eingingen, ist die Anzahl der Bewerbungen – wie auch bereits in anderen Bun- im Jahr 2020 auf 346 und damit im Vergleich zum desländern – die Voraussetzungen Vorjahr um über 50 % gestiegen. 92 der 346 Bewer- für die Einstellung ins Richterver- ber brachten dabei die Voraussetzungen aus dem hältnis auf Probe abgesenkt wor- neuen Notenkorridor mit. den. Die in beiden Staatsexamina mindestens zu erreichende Punkt- Neueinstellungen in den Jahren 2013-2020 summe wurde um einen Punkt auf Mit der Zahl der Bewerbungen sind auch die Ein- 16 herabgesetzt. Zudem kann die stellungen im Jahr 2020 deutlich gestiegen. So Acht-Punkte-Grenze im zweiten wurden im Jahr 2019 100 Bewerber neu eingestellt Staatsexamen nunmehr unter- und im Jahr 2020 134. Insgesamt nimmt die Zahl schritten werden: auch Bewerbe- der Neueinstellungen seit Jahren recht kontinuier- Luise Bendrick rinnen und Bewerber mit mindestens 7,5 Punkten lich zu: können bei Vorliegen besonderer Umstände einge- Anzahl der stellt werden (vgl. HeMi 2/20, Seite 16). Jahr Neueinstellungen Wie hat sich die Einstellungspraxis in den hes- 2013 51 sischen Justizdienst im Hinblick auf diesen neu 2014 75 eröffneten Notenkorridor im ersten Jahr entwickelt und was sind aus Ministeriumssicht die Gründe für 2015 92 diese Öffnung? 2016 111 Hemi hat im HMdJ bei Frau Dr. Katrin Burkhardt, 2017 157 die dort als Referatsleiterin in der Personalabteilung 2018 126 tätig ist, nachgefragt: 2019 100 Gründe für die geänderten Voraussetzungen 2020 134 und neue Kriterien Als Gründe für diese Neuregelung wurden uns die Geschlechterverhältnis der Neueinstellungen Möglichkeit genannt, das Feld der potenziellen 2013 bis 2020 Bewerber zu vergrößern und so angesichts des Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen hat weiterhin hohen Personalbedarfs im richterlichen sich in diesem Zeitraum nicht wesentlich verändert. und staatsanwaltschaftlichen Bereich eine zügige Waren die Jahre 2015, 2018 und 2019 zwar starke Neubesetzung der neu geschaffenen und wieder- „Männerjahrgänge“, lag die Quote durchschnittlich besetzbaren Stellen zu gewährleisten. Durch bei 60 % Frauen und 40 % Männern. die Neuregelung können besondere Um- stände in der Person der Bewerber wie z. B. mehrjährige Berufserfahrung (z. Jahr insgesamt Frauen Anteil % Männer Anteil % B. im Sozialrecht) oder besonders gute Leistungen im Referenda- 2013 51 33 64,7 18 35,3 riat, die durch entsprechende 2014 75 47 62,7 28 37,3 Noten und Empfehlungen für die Justiz belegt sein können, 2015 92 42 45,7 50 54,3 berücksichtigt werden. 2016 111 71 64,0 40 36,0 Bewerbungssituation 2020 2017 157 100 63,7 57 36,3 Die Neureglung hat auch schon 2018 126 73 57,9 53 42,1 deutliche Wirkungen gezeigt. 2019 100 56 56,0 44 44,0 Während im Jahr 2019 unter der bisherigen Regelung 224 Bewer- 2020 134 95 70,0 39 30,0 bungen für das Richterverhältnis auf 10 HeMi 1/2021
TITELTHEMA Neueinstellungen im Jahre 2020 unter den neu- Im Folgenden drucken wir das zur Verfügung ge- en Voraussetzungen stellte statistische Material ab: Im Jahr 2020 kam die neue Notenregelung 32 Per- sonen bei 134 Neueinstellungen zugute, davon 23 Einstellungen 2018 Frauen und 9 Männern, die damit 24 Prozent der Noten im Neueinstellungen und den etwa gleichen Prozent- insgesamt Männer Frauen 2. Staatsexamen satz bei den Frauen wie bei den Männern aus- machten. 4,00 - 6,49 0 0 0 6,50 - 7,00 0 0 0 Im Detail stellen sich die Noten dieser 32 Personen wie folgt dar: 7,01 - 7,99 0 0 0 8,00 - 8,99 49 19 30 Notenwert Männer Frauen 9,00 - 11,49 73 30 43 2. Examen 7,50-7,99 und 11,50 - 13,99 4 4 0 1 7 Gesamtpunktzahl 16,00-16,99 14,00 - 18,00 0 0 0 2. Examen 7,50-7,99 und Gesamtzahl: 126 53 73 3 7 Gesamtpunktzahl ab 17,00 Einstellungen 2019 2. Examen ab 8,00 und 5 9 Gesamtpunktzahl 16,00-16,99 Noten im insgesamt Männer Frauen 2. Staatsexamen Insgesamt setzt die Neuerung der Vorausset- 4,00 - 6,49 0 0 0 zungen eine bereits seit Längerem anhaltende Ten- 6,50 - 7,00 0 0 0 denz fort: So brachten im Jahr 2013 unter 4 % der Eingestellten ein Befriedigend im Zweiten Staatse- 7,01 - 7,99 2 1 1 xamen mit, im Jahr 2014 ca. 10 %, im Jahr 2015 8,00 - 8,99 32 13 19 27 %, im Jahr 2016 mehr als 32 %, im Jahr 2017 9,00 - 11,49 60 27 33 44 %, im Jahr 2018 38 %, im Jahr 2019 34 % und nun im Jahr 2020 52 % (siehe dazu die detaillierte 11,50 - 13,99 6 3 3 Aufstellung in HeMi, 1/2017, S. 7–12 und 1/2018, 14,00 - 18,00 0 0 0 S. 24–25 für die Jahre 2013 bis 2017). Gesamtzahl: 100 44 56 Einstellungen 2020 Noten im 2. insgesamt Männer Frauen Staatsexamen 4,00 - 6,49 0 0 0 6,50 - 7,00 0 0 0 Mag die Zahl derer, die mit einem Vollbefriedigend 7,01 - 7,99 18 4 14 im 2. Examen vom Richterwahlausschuss gewählt wurden, in den letzten Jahren gesunken sein, so ist 8,00 - 8,99 53 13 40 die Anzahl derer, die ein Gut im Zweiten Examen 9,00 - 11,49 57 19 38 mitbringen, gleichbleibend zwischen knapp 2 % 11,50 - 13,99 6 3 3 und 6,4 %. 14,00 - 18,00 0 0 0 Gesamtzahl: 134 39 95 Die Redaktion bedankt sich bei Frau Dr. Katrin Burckhardt herzlich für die Zurverfügungstellung der Informationen. Ri’inLG Luise Bendrick HeMi 1/2021 11
TITELTHEMA UNWILLKOMMENER ABSCHIED UND TSCHÜSS – GRÜNDE, DIE JUSTIZ ZU VERLASSEN Aus der hessischen Justiz Überwiegend haben die ehemaligen Kollegen scheiden regelmäßig Richter sich aus der ordentlichen Gerichtsbarkeit ver- und Staatsanwälte vorzeitig aus. abschiedet. Jeweils ungefähr ein Viertel war an Die Gründe dafür sind vielfältig. Amtsgerichten, an Landgerichten und bei der In ihrer Gesamtheit werfen diese Staatsanwaltschaft tätig. Das restliche Viertel ver- Fälle aber auch ein Schlaglicht teilte sich auf zahlreiche Verwendungen. Vorzeitige auf Ursachen mittlerweile man- Abgänge hatten auch das Oberlandesgericht, die gelnder Attraktivität Justitias als Generalstaatsanwaltschaft, die Arbeitsgerichte, Arbeitgeberin. Personalmangel das Landesarbeitsgericht, die Sozialgerichte, das in der Justiz ist ein Dauerthema Landessozialgericht, die Verwaltungsgerichte, der der Verbände und der Medien. Verwaltungsgerichtshof und das Hessische Finanz- In Hessen fehlten 2020 allein in gericht zu verzeichnen. der ordentlichen Gerichtsbar- keit ca. 230 Richter und Staats- Was sind die Gründe? anwälte. Das Problem wird da- Die Bediensteten sind nicht verpflichtet, Gründe Christine Schröder durch verschärft, dass immer für das vorzeitige Ausscheiden anzugeben. Das wieder Kollegen die hessische Hessische Ministerium der Justiz hat mitgeteilt, die Justiz vorzeitig verlassen. Zum Vergleich: Altersbe- Hintergründe seien nicht in allen Fällen bekannt. dingt sind seit Anfang 2010 bis Ende 2020 in Hes- Anlass seien insbesondere Versetzungen – aus sen 586 Richter und Staatsanwälte nach § 7 Abs. 1 persönlichen Gründen – zu einem anderen Dienst- und 2 bzw. Abs. 6 Nr. 1 und 2 Hessisches Richter- herrn bzw. eine damit teilweise einhergehende gesetz ausgeschieden. Demgegenüber haben in Entlassung kraft Gesetzes nach § 21 Abs. 1 Nr. 2 der gleichen Zeit 195 Richter und Staatsanwälte die DRiG. Daneben gebe es Entlassungen auf eigenen Justiz vor Erreichen der Altersgrenze verlassen. Sie Antrag, wenn Richter bzw. Staatsanwälte eine an- machen damit rund ein Viertel der Personalabgän- dere Tätigkeit – etwa als Rechtsanwalt – planten. ge aus. Allein ihre Menge gibt Anlass, sich ihnen In Einzelfällen seien Kollegen aufgrund einer zuvor intensiver zuzuwenden und nach den Gründen für festgestellten Dienstunfähigkeit mit ihrer Zustim- ihr Ausscheiden zu fragen. mung in den Ruhestand versetzt worden. Durch die vorzeitigen Abgänge wird deutlich, dass die allgemeine Tendenz weg von einer Lebens- Einige ehemalige Kollegen waren uns gegenüber zeitbeschäftigung auch innerhalb der dritten Ge- bereit, sich zu ihren Beweggründen zu äußern1, walt spürbar ist. Wie kommt es, dass Richter und wobei die Auswahl nicht repräsentativ ist. Alle Be- Staatsanwälte nicht (mehr) berufslebenslang im fragten waren mehrjährig an unterschiedlichen Or- Justizdienst stehen, wie es die – bei Einstellung ten in Hessen an Amts-, Land- und Sozialgerichten angestrebte – Ernennung auf Lebenszeit impliziert? sowie bei der Staatsanwaltschaft tätig. Zum Teil wa- ren die Frauen und Männer auf Lebenszeit ernannt, Wer verlässt die Justiz? zum Teil standen sie noch im Probeverhältnis. Ihre Von den knapp 200 Kollegen, die in der vergange- Entscheidungen, sich aus der Judikative zu verab- nen Dekade vorzeitig ausschieden, gaben im Jahr schieden, waren zum ganz überwiegenden Teil das 2019 in der Spitze 24 Kollegen ihren Beruf auf, im Ergebnis eines langen, mitunter Jahre dauernden Jahr 2011 nur elf. Bei den Abgängen ist das Ge- Prozesses. Alle Befragten haben den Berufswech- schlechterverhältnis nahezu ausgeglichen, wobei sel rückblickend als richtigen Schritt empfunden. der Anteil der Frauen seit 2014 durchgängig über Gleichwohl schlossen nur wenige eine Rückkehr in demjenigen der Männer und insgesamt bei knapp die Justiz kategorisch aus. über 54 % liegt. Die Mehrzahl der Abgänger war bereits auf Lebenszeit ernannt, ihr Anteil liegt bei knapp 60 %, während etwas mehr als 40 % im Dienstverhältnis auf Probe oder kraft Auftrags stan- 1 D en folgenden Ausführungen liegen die Angaben von neun den. ehemaligen Kolleginnen und Kollegen zugrunde, denen 18 Fra- gen rund um ihr Ausscheiden aus der hessischen Justiz gestellt wurden. Ihnen sei an dieser Stelle insbesondere für ihre Offen- heit gedankt, denn ohne sie wäre dieser Artikel nicht zustande gekommen. 12 HeMi 2/2020
TITELTHEMA Hinsichtlich der konkreten Verwendung gaben die derungsmaßnahmen gezeigt hätten. Sie äußerten Befragten als Gründe für das Ausscheiden feh- deutliche Zweifel, ob tatsächlich allein die Leistung lende Abwechslung betreffend Art und Ort der Tä- der Berufsträger maßgeblich sei. In diesem Zusam- tigkeit sowie gleichbleibende Routine und Einsam- menhang wurde die institutionelle Abhängigkeit der keit der Arbeit – auch in den Spruchkörpern – an. Justiz von der Exekutive kritisiert, die sich in Perso- Sie nannten auch, dass Gerichtsverwaltungen bei nalentscheidungen niederschlagen könne. den Dezernatszuweisungen, insbesondere, aber nicht nur, gegenüber Proberichtern, wenig Flexibi- Schließlich wurden auch fehlende Wertschätzung lität gezeigt sowie Wünsche und Fähigkeiten der und Anerkennung der Berufsträger durch die Ge- Bediensteten nicht berücksichtigt hätten. Überdies richtsverwaltungen und das Justizministerium kri- führten sie eine unzureichende Sachausstattung tisiert, die sich sowohl in der Kommunikation als des Arbeitsplatzes an und vermissten Hilfe bei der auch im persönlichen Umgang niedergeschlagen Einarbeitung in Spezialmaterien, dies umso mehr hätten. Die ehemaligen Kollegen bemängelten, als in der Justiz Generalisten gefragt seien, man dass dadurch weder der notenmäßigen Qualifika- sich aber hochspezialisierten Anwälten mit bes- tion von Richtern und Staatsanwälten noch ihrem seren finanziellen, zeitlichen und personellen Res- damit einhergehenden Marktwert Rechnung getra- sourcen gegenübersehe. gen werde. Ebenfalls thematisierten die ehemaligen Kollegen Was muss sich ändern? den Personalmangel in der Justiz. Dieser erhöhe Es gibt zahlreiche Ideen der ehemaligen Kollegen, die Arbeitsbelastung, die dadurch verstärkt werde, die Attraktivität des Staatsdienstes zu steigern. dass zusätzlich Eildienste und Referendarausbil- Genannt wurden vielfach eine bessere Sach- und dung zu leisten seien und Aufgaben der Wacht- Personalausstattung, höhere Gehälter sowie mehr meister und Geschäftsstellen aus der Not der dor- Anerkennung der Berufsträger und ein damit ein- tigen Unterbesetzung heraus übernommen werden hergehendes wertschätzendes Betriebsklima. müssten. Der Personalmangel führe dazu, dem Überdies wurden mehr Möglichkeiten der indi- Pensum an Akten und den eigenen qualitativen An- viduellen Personalentwicklung und Supervision, sprüchen nicht gerecht zu werden. stärkere Rotationsmöglichkeiten für auf Lebenszeit ernannte Kollegen mit größeren Möglichkeiten der Als weitere Gründe wurden genannt, dass es an ei- internationalen Tätigkeit sowie Berücksichtigung ner amtsangemessenen Besoldung fehle und Mög- von persönlichen Fähigkeiten und Neigungen bei lichkeiten bestehen, erheblich höhere Einkommen, Dezernatszuweisungen angeführt. Schließlich auch teils mehrfache, außerhalb der Justiz zu erzielen. genannt wurde die Selbstverwaltung der Justiz un- In diesem Zusammenhang wurde auch bemerkt, abhängig von der Exekutive. dass die Einkommen in der Justiz nicht mit der all- gemeinen Gehaltsentwicklung mithielten und daher Die Umsetzung auch ihrer Verbesserungsvorschlä- anders als früher mit einem Richtergehalt allein kein ge könnte mit Sicherheit dazu beitragen, die Arbeit auskömmliches Familieneinkommen in Metropolre- im Dienste Justitias reizvoller zu gestalten, den Per- gionen mehr erzielbar sei. sonalmangel in der Justiz zu bekämpfen und dafür sorgen, dass das Ziel der Ernennung auf Lebens- Überdies monierten die Berufswechsler geringe zeit wieder häufiger gleichbedeutend ist mit berufs- und in zeitlich weiter Ferne liegende Aussichten auf lebenslanger Tätigkeit. Beförderung und persönliche Weiterentwicklung, die sich auch in mangelnder Transparenz von Beur- Ri’inLG Christine Schröder teilungen, Abordnungen und sonstigen Karriereför- HeMi 1/2021 13
TITELTHEMA INTERVIEW MIT Dr. Nils Kößler WARUM HABEN SIE DIE JUSTIZ VERLASSEN, HERR DR. KÖẞLER? HeMi: Herr Kößler, wir freuen aber bereits erfolgreich nach einer neuen Entwick- uns, dass Sie zu einem Ge- lung in einem anderen Teil der Landesverwaltung spräch über Ihre Erfahrungen umgesehen. im Justizdienst und die Gründe, die Sie nach einer langjährigen HeMi: Demnach haben Sie recht lange über den Berufstätigkeit als Richter zum Berufswechsel nachgedacht, bevor Sie ihn umge- Ausscheiden veranlasst haben, setzt haben. bereit sind. Können Sie uns zu- Kößler: Die erste Grundlage für den späteren Berufs- nächst schildern, wie lange und wechsel in 2018 wurde – wenn man so will – schon wo Sie tätig waren? mit meiner Abordnung zu einer Bundesbehörde in Kößler: Das mache ich sehr der Zeit von 2012 bis 2014 gelegt. Als ich 2014 von gern, zumal mich tatsächlich aus dort zurückkam, hatte ich ausgesprochen positive der Justizverwaltung noch nie Erfahrungen mit einem Chef gemacht und die Team- jemand danach gefragt hat. Ich arbeit sehr zu schätzen gelernt. Dr. Nils Kößler war unmittelbar nach meinem zweiten Staatsexamen zwölf Jahre als Richter tä- HeMi: Wäre es möglich gewesen, Sie zu überzeu- tig, davon zwei Jahre am Amtsgericht, im Übrigen gen, im Justizdienst zu bleiben? durchweg am Landgericht. Kößler: Ich denke, das wäre möglich gewesen, wenn man mir damals ein echtes Interesse an mei- HeMi: Was waren Ihre Gründe, die Justiz nach so ner persönlichen Weiterentwicklung signalisiert langer Zeit vor Erreichen der Altersgrenze zu ver- hätte. Ich möchte an dieser Stelle vielleicht noch lassen? erwähnen, dass ich nach allem, was mir gesagt wur- Kößler: Ich hatte nach etwa zehn Jahren zunehmend de, als Spruchrichter qualitativ und quantitativ eine Zweifel, dass ich in den verbleibenden etwa 30 Be- gute Performance hatte. Das erwähne ich deshalb, rufsjahren als Richter dauerhaft mit meiner Berufstä- weil ich nach wie vor meine, dass die Justiz und der tigkeit zufrieden sein würde. Dazu haben auch die Staat insgesamt ein erhebliches Interesse daran ha- sehr überschaubaren Aussichten auf eine Beförde- ben, gute Leute zu gewinnen, zu behalten und zu rung und auf eine persönliche Weiterentwicklung fördern. beigetragen. Der Anteil an Kommunikation und un- mittelbarem Umgang mit Menschen im richterlichen HeMi: Es kam aber anders und Sie haben sich für Alltag eines Zivildezernats war mir mit einem Tag pro den Wechsel entschieden. Woche deutlich zu gering. Die anderen vier Tage Kößler: Genau. Inzwischen bin ich Beamter im hes- empfand ich dann als vergleichsweise einsame sischen Innenministerium, wo ich als Referatsleiter Tätigkeit. Darüber hinaus wollte ich gerne Personal- auch die von mir angestrebte Personalverantwor- verantwortung übernehmen. Dazu wurde mir in der tung übernehmen konnte. Das von mir zuletzt ge- Justiz keine Perspektive aufgezeigt. leitete Referat betraf Rechtsfragen der hessischen Polizei und war mit seinem bunten Themenfeld, HeMi: Gab es ein ausschlaggebendes Ereignis für vorwiegend aus dem öffentlichen Recht, ein ganz Ihren Wechsel? neuer Rechtsbereich. Derzeit bin ich allerdings nicht Kößler: Ich hatte in diesem Kontext das Gespräch als Landesbeamter eingesetzt, sondern seit 2019 mit meinem Vorgesetzten, dem Gerichtspräsidenten, für eine Tätigkeit in der Frankfurter Kommunalpolitik gesucht. Der empfahl mir damals im Sommer 2016 beurlaubt. bezüglich Weiterentwicklung und Personalverant- wortung unumwunden, lieber über Möglichkeiten HeMi: Wie beurteilen Sie Ihren Berufswechsel außerhalb der Justiz nachzudenken. Das ist doch rückblickend? eigentlich ein Hammer! Was die „normale“ Weiter- Kößler: Für mich war das der richtige Schritt. Zum entwicklung innerhalb der Justiz als Richter anging, einen haben sich dadurch Chancen ergeben, die in wurde mir zwar eine Abordnung an das Oberlan- der Justiz so nicht zu erkennen waren. Zum anderen desgericht in Aussicht gestellt, allerdings mit einem muss ich in der Rückschau sagen, dass die insge- sehr vage formulierten Zeitraum. Dieser wurde dann samt zwölf Jahre in der Justiz offenbar für mich ein auch deutlich überschritten, bevor sich etwas tat. Zu ausreichend langer Zeitraum waren, um die Dinge, diesem Zeitpunkt, Ende 2017, hatte ich mich dann die mich am Richterberuf begeistert und fasziniert 14 HeMi 1/2021
TITELTHEMA haben und die ich auch lange gern ausgeübt habe, im Richterdienst. Das hat auch etwas damit zu tun, erschöpfend einsetzen zu können. Aber selbst eine dass jegliche Veränderung und Weiterentwicklung befriedigende Tätigkeit muss sich irgendwann ent- von der Richterschaft gern sofort abgelehnt und weder weiterentwickeln oder zumindest abwech- zurückgewiesen wird, weil das mit der richterlichen seln. Unabhängigkeit kollidiere. Das halte ich für einen Pawlowschen Reflex und eine inflationäre Verwen- HeMi: Wenn Sie an Ihre frühere Tätigkeit zurück- dung dieses Prinzips. Das Land und namentlich der denken, vermissen Sie dann bestimmte Elemente? Rechtsstaat haben ein großes Interesse daran, dass Kößler: Ich habe in meinen zwölf Jahren Richter- Richter sich persönlich weiterentwickeln, sich selbst dienst sehr gerne verhandelt und Verfahren gestal- und ihre Entwicklung reflektieren und dabei professi- tet, also auf konkrete Abschlüsse hingearbeitet. Das onell unterstützt werden. Dazu gehört auch Kritik an galt im Strafrecht wie im Zivilrecht. Das Verhandeln der eigenen Arbeitsform. als solches, d. h. gemeinsam in einer zunächst un- klaren Situation mit anderen Verfahrensbeteiligten HeMi: Trotz aller Kritik, könnten Sie sich vorstellen, arbeiten und auf eine Lösung hinsteuern, habe ich in die Justiz zurückzukehren? als interessant, anspruchsvoll und lehrreich empfun- Kößler: In eine reine Tätigkeit als Spruchrichter wür- den. Daraus konnte ich sicherlich auch über die Zeit de ich aus heutiger Sicht nicht mehr zurückkehren. hinweg eine Fertigkeit entwickeln. Allerdings kann Das habe ich lange genug gemacht und insofern ich nicht sagen, dass ich die Tätigkeit als solche diese Rolle ausgiebig leben dürfen. Eine Rückkehr vermisse. Tatsächlich war das schon ab dem ersten in die Justiz könnte ich mir nur so vorstellen, dass Monat nach meinem „Ausstieg“ nicht mehr der Fall. ich dort mit einem Entwicklungs- und Gestaltungs- auftrag – etwa im Rahmen der Personalentwicklung HeMi: Gibt es Dinge, die Sie überhaupt nicht ver- – auf ein bestimmtes Ziel hinarbeite. Selbstverständ- missen? lich wäre aber die Voraussetzung dafür, dass das Kößler: Wenn ich ehrlich sein soll, hat zu meiner im Ergebnis überhaupt möglich ist und kein theore- wachsenden Frustration auch beigetragen, dass tischer, unerfüllbarer Auftrag bleibt. bei einem Teil der Kolleginnen und Kollegen keine Sensibilität mehr dafür zu erkennen war, wie sich die HeMi: Was würden Sie einem Assessor raten, der Justiz insgesamt den Menschen präsentiert. Darü- sich mit dem Gedanken trägt, in der Justiz tätig zu ber habe ich mich zunehmend geärgert, weil ich der werden? Auffassung war und bin, dass man als Richter einen Kößler: Berufsanfänger in der Justiz sollten sich anderen Anspruch an sich selbst haben sollte. An darüber im Klaren sein, dass über die gesamte Be- manchen Tagen ging es bis zum Fremdschämen. rufstätigkeit hinweg eher wenig Veränderungen und Das hat mich auch deshalb so geärgert, weil ich da- quasi keine Überraschungen zu erwarten sind. Das mals wie heute viele Richterinnen und Richter ken- gilt für die eigene Tätigkeit, also den beruflichen All- ne, die ihren Job – selbst bei hoher Belastung – sehr tag und die dabei eingesetzten Fähigkeiten, aber engagiert erledigen. eben auch für die Rahmenbedingungen wie die Be- soldung oder die Zuordnung zu einer Instanz. Eine HeMi: Wie könnte die Justiz aus Ihrer Sicht attrak- Tätigkeit als Beamter im höheren Dienst scheint mir tiver werden? daher – über das gesamte Berufsleben hinweg ge- Kößler: Die Attraktivität der Justiz für Neueinsteiger sehen – mit mehr Abwechslung verbunden, weil sich wäre sicher erheblich höher, wenn es eine bewusste die Aufgaben dort immer mal wieder ändern und und erkennbare Personalentwicklung gäbe, die man auch mit neuen Aufträgen konfrontiert wird. Der den Menschen dabei hilft, ihre Stärken weiterzu- lange Verbleib in derselben Behörde und in einem entwickeln und ihre Talente einzusetzen. Richtig ist konkreten Tätigkeitsbereich, wie er für die Justiz mit allerdings auch, dass in Städten wie Frankfurt das Ausnahme der Probezeit ja typisch ist, besteht dort Gehalt höher sein müsste, um attraktiv zu sein. Das so nicht. heutige Besoldungsniveau hat wenig zu tun mit dem früheren bei Richtern und kann darüber hinaus in HeMi: Herr Kößler, haben Sie herzlichen Dank für Frankfurt die Lebenshaltungskosten – z. B. für eine das Gespräch.1 Familie – nicht angemessen abbilden. Das Interview führte unser Redaktionsmitglied Christine Schröder HeMi: Nachdem Sie nun unterschiedliche Berufe und Tätigkeitsbereiche kennengelernt haben, was könnte die Justiz Ihrer Meinung nach von anderen Branchen lernen? 1 Herr Dr. Kößler ist Vorsitzender der Fraktion der CDU in der Kößler: In der Justiz sind Supervision und persönliche Frankfurter Stadtverordnetenversammlung. Er ist Ministerialrat Weiterentwicklung völlig unterentwickelt, zumindest im hessischen Innenministerium (derz. beurlaubt) und war von 2006 bis 2018 Richter in der hessischen Justiz. HeMi 1/2021 15
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