Hofnachfolge AGRARSOZIALE GESELLSCHAFT E.V.

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Hofnachfolge AGRARSOZIALE GESELLSCHAFT E.V.
AG RAR S O Z IALE                             G E S E LLS C HAF T   E. V.

                                          Schwerpunkt

                                          Hofnachfolge

Interviews

Volker Bruns
BLG-Vorsitzender

Rolf Hoffner
Landsiedlung Baden-Württemberg

ASG-Frühjahrstagung
in Brandenburg an der Havel

H 20781 | 69. Jahrgang | 02/2018 | www.asg-goe.de
Hofnachfolge AGRARSOZIALE GESELLSCHAFT E.V.
Inhaltsverzeichnis

              ASG
                         1     Editorial
                         2     ASG-Frühjahrstagung 2018 in Brandenburg an der Havel:
                        		     Für eine echte Energiewende muss noch viel passieren
                         8     Richtigstellung zum Artikel „Kernige Dörfer 2017 ausgezeichnet“
                         9     Nutzen für die Gesellschaft deutlich sichtbar machen
      Agrarpolitik
                        11		 Neues von der agrarpolitischen Bühne: Geschichte wiederholt sich – oder auch mal nicht
   Landwirtschaft
                        13		 Geschlechtergerechte Teilhabe in der landwirtschaftlichen Interessenvertretung

     Schwerpunkt        Hofnachfolge
                        16		   Interview mit Volker Bruns: Wir brauchen mehr Nüchternheit
                        19		   Innovative Konzepte des landwirtschaftlichen Neueinstiegs in ausgewählten EU-Ländern
                        22		   Hofnachfolge in konventionell wirtschaftenden Betrieben und im Ökolandbau
                        24		   Chancen einer außerfamiliären Hofübergabe
                        27		   Außerfamiliäre Hofübergabe: Neue Bäuerinnen und Bauern braucht das Land!
                        31		   Interview mit Rolf Hoffner: Auf der Suche nach dem passenden Betrieb
                        33		   Interview zur innerfamiliären Hofübernahme: Niemand soll sich ausgegrenzt fühlen
                        34		   Es gibt genug Nachwuchs
                        38		   Hofabgabeerfordernis in der Alterssicherung der Landwirte: agrarstrukturell wirksam und zeitgemäß?
                        40     Das Kreuz mit der Pflegeklausel
                        42     Lesetipp: Hofübergabe gestalten, Abfindung regeln
                        42     SVLFG-Seminar: Betriebsübergabe – ein Gesundheitsthema
                        44     Hofübergabe bewusst gestalten – über was man alles reden sollte
        Lesetipps
                        45 Die Preise lügen. Warum uns billige Lebensmittel teuer zu stehen kommen
                        46 Rentenbank Geschäftsbericht 2017 mit Agrar Spezial: Was essen wir morgen?
          Termine
                        46 Landentwicklung 4.0 – Digitalisierung in Landentwicklung und Landwirtschaft, moderne
                        		Beteiligungsverfahren
                        46 Ernst-Engelbrecht-Greve-Preis 2019
      Personalien
                        47 Christel Hoffmann verstorben
                        47 Franz Sauter 90 Jahre
                        47 Dietmar Ilg im Vorstand der Rentenbank
Aus der Forschung
                        48 Nationale Naturlandschaften (NNL) und erneuerbare Energien
                        48 Bioenergie im Spannungsfeld – Wege zu einer nachhaltigen Bioenergieversorgung
                        48 Überregional aktive Kapitaleigentümer in ostdeutschen Agrarunternehmen: Entwicklungen bis 2017

     Fotos Titelseite: © Martina Berg – Fotolia.com. Sofern keine Nachweise an den Fotos und Abbildungen stehen, wurden diese der Redaktion
     von den Autor*innen, Fotograf*innen und Verlagen überlassen oder stammen aus dem Bildarchiv der Agrarsozialen Gesellschaft e.V.

                                                                                        | ASG | Ländlicher Raum | 02/2018 |
Hofnachfolge AGRARSOZIALE GESELLSCHAFT E.V.
Editorial                                                                                                                      1

                       „Im Prinzip wollen es alle, nur wenn es dann konkret wird, dann sieht es anders
                      aus …“, so die Erfahrung einer Referentin der ASG-Frühjahrstagung zum Thema
                      „Erneuerbare Energien im ländlichen Raum“ in Brandenburg an der Havel.

                       Bei dem „was alle wollen“ handelt es sich um das Erreichen von Klimazielen und
                      damit letztlich um den Wunsch nach guten Lebensbedingungen für alle Menschen.
                      Denn dazu bedarf es nun mal eines guten Klimas. Dass „gutes Klima“ dabei durch­
                      aus mehrdeutig zu verstehen ist, wurde bei der Tagung immer wieder deutlich.
Foto: privat

                        Das Gastgeberland Brandenburg steht bei der Nutzung erneuerbarer Energien
                      in Deutschland ganz weit vorne, insbesondere durch zahlreiche große Windparks,
                      aber auch Photovoltaik- und Biogasanlagen. Sehr beindruckend, welche Entwick-
                      lungen hier stattgefunden haben! Viel frischer Wind und eitel Sonnenschein!?
                      Ja und Nein. Es gibt – und das gilt für alle Bundesländer – weiterhin zahlreiche
                      Herausforderungen wie z. B. die Implementierung intelligenter Formen von
                      Sektorenkopplung, Energiespeicherung und Netzausbau.

                        Und es gibt viele beteiligte Akteure. Damit kommt der andere „Klimaaspekt“ ins
                      Spiel: die Frage nach dem sozialen Klima, der Akzeptanz und den Stimmungen in
                      der Bevölkerung, nach Gerechtigkeit, Gewinnern und Verlierern. Wer profitiert von
                      den nicht unerheblichen Gewinnen der neuen Technologien? Noch viel zu selten
                      die Kommunen und damit die Bevölkerung vor Ort. Dieses Klima wird durch poli­
                      tische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Interessen und Sichtweisen ebenso
                      beeinflusst wie durch eigene Erfahrungen mit einer Sache, einem Thema oder
                      Menschen. Wenn es konkret wird, dann kommen zu den komplexen, scheinbar
                      rein sachlich-fachlichen Themen noch viele andere Aspekte hinzu. Und wenn
                      diese nicht die notwendige Aufmerksamkeit erhalten, dann können die Folgen
                      über schlechtes Klima untereinander weit hinausgehen, bis hin zu Unwettern mit
                      Zerstörungspotenzial.

                        Und da gibt es eine deutliche Schnittmenge der Energiewende (vor Ort) mit dem
                      Schwerpunktthema dieses Heftes: Hofnachfolge. Auch hier handelt es sich um
                      Prozesse, die Zeit und ein Bewusstsein für die verschiedenen beteiligten Ebenen
                      benötigen. Bei der Hofübergabe wird eine Besonderheit des landwirtschaftlichen
                      Familienbetriebes besonders deutlich: Alles ist irgendwie mit allem vermischt –
                      Sachfragen (wie z. B. Steuer, Erbrecht), persönliche Wünsche, Vorstellungen,
                      Ängste und Traditionen ebenso wie betriebliche Erfordernisse und Bedingungen.
                      Ob Hofübergabe, inner- oder außerfamiliär, oder auch der Übergang in der Unter-
                      nehmensführung großer Agrarbetriebe, immer handelt es sich um herausfordernde
                      Veränderungsprozesse, die Menschen ganz persönlich betreffen. Diese Prozesse
                      gilt es bewusst zu gestalten. Dazu bedarf es vor allem gelingender Kommunikation.
                      Und dafür wiederum braucht es Zeit(en), Orte, Beziehungsaufbau und Vertrauen,
                      die Bereitschaft und Fähigkeit zum Perspektivwechsel. Eine Prozessbegleitung ist
                      hier oft sehr sinnvoll. Hilfreich sind auch – für eine gelingende Hofübergabe wie auch
                      für die Energiewende – gemeinsame Ziele, vielleicht sogar Visionen. „Eigentlich
                      wollen es ja alle…“ – eine gute Grundlage für gelingende Veränderungsprozesse.

                      Ihre
                      Ute Göpel
                      BAG Familie und Betrieb e.V.
                      Bundesarbeitsgemeinschaft der Landwirtschaftlichen Familienberatungen und Sorgentelefone, Schwalmstadt

| ASG | Ländlicher Raum | 02/2018 |
Hofnachfolge AGRARSOZIALE GESELLSCHAFT E.V.
2                                                                                                                  ASG

                       ASG-Frühjahrstagung 2018 in Brandenburg an der Havel:

                        Für eine echte Energiewende muss noch viel passieren
                                                                                  1990) verfehlen; eine Reduzierung um 55 % bis
Fotos: M. Busch

                                                                                  2030 sei jetzt das Ziel der neuen Bundesregierung,
                                                                                  berichtete Jan Hinrich Glahr. Um dies zu er­reichen,
                                                                                  seien im Koalitionsvertrag Sonderausschreibungen
                                                                                  für Wind und Photovoltaik vereinbart worden, die
                                                                                  über die im aktuellen EEG festgelegten Höchstmen-
                                                                                  gen hinausgehen. Das ambitionierte Ziel für 2030
                                                                                  könne jedoch nur erreicht werden, wenn die Länder
                                                                                  mitzögen und zeitnah ein verbindlicher Fahrplan
                                                                                  zum Kohleausstieg festgelegt werde. Besonders
                                                                                  in Brandenburg sei es schwierig, hierfür einen trag-
                                                                                  fähigen gesellschaftlichen Konsens zu erreichen.
                                                                                  Ein Teil der Wertschöpfung, die bei Schließung der
     Jörg Vogelsänger, Minister für Ländliche Entwicklung, Umwelt und
                                                                                  Tagebaue verlorenginge, könne durch die „Erneuer-
     Landwirtschaft und Dr. Juliane Rumpf, Vorsitzende des Vorstands
     der Agrarsozialen Gesellschaft
                                                                                  baren“ jedoch ersetzt werden. Mit der Erhöhung des
                                                                                  Anteils der Erneuerbaren übernehme die Branche
                                                                                  eine große Verantwortung für die Energieversor-
                         Im Rahmen des Empfangs der Brandenburgischen             gung Deutschlands. Der Bund und auch das Land
                       Landesregierung wies Jörg Vogelsänger, Minister            Brandenburg müssten die beteiligten Akteure daher
                       für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirt-            in die Lage versetzen, dieser Rolle gerecht zu
                       schaft, auf die aktuelle Diskussion zur neuen              werden. Es werde ein verlässlicher gesetzlicher
                       GAP-Förderperiode und den EU-Haushalt hin.                 Rahmen benötigt, der Planungssicherheit schaffe
                       Er begrüße den Vorschlag von Finanzkommissar               und strategische Spekulationen am Markt verhindere.
                       Günther Oettinger, künftig 1,11 % des Bruttonational­      Aufkommensneutrale und faire Wettbewerbsbedin-
                       einkommens in das EU-Budget einzuzahlen. Aus               gungen könnten durch eine CO2-Steuer im Strom-
                       Deutschland gäbe es hierzu positive Signale. Die           und Wärmesektor geschaffen werden. Der BBE
                       Europaskepsis in einigen Ländern bereite ihm aller-        plädiere dafür, künftig die Industrieprivilegien beim
                       dings Sorgen. Damit Europa, die Landwirtschaft und         Strom direkt über den Bundeshaushalt zu finanzie-
                       der ländliche Raum eine Zukunft hätten, rief Vogel-        ren, so könne die EEG-Umlage für die Bürger*innen
                       sänger dazu auf, die Menschen für Europa zu ge-            um 1,5 ct/kWh (netto) sinken. Um die neuen Klima-
                       winnen und dafür zu sorgen, dass europafeindliche          ziele zu erreichen, sei eine klügere Nutzung der
                       Parteien nicht gewählt würden. Ebenfalls zur Zu-           neuen und der vorhandenen Infrastruktur – sowohl
                       kunft gehörten die erneuerbaren Energien, zu denen         im Übertragungs- als auch im Verteilungsnetz –
                       die allgemeine Zustimmung groß sei; schwieriger            notwendig. Der Mobilitätssektor müsse ebenfalls
                       werde es, wenn es konkret darum gehe, im länd-             konsequent auf die Nutzung erneuerbarer Energien
                       lichen Raum Windkraftanlagen zu bauen. Tagungen            ausgerichtet werden.
                       wie die der ASG, bei denen ein Erfahrungsaustausch
                       u. a. darüber stattfinde, wie eine größere Akzeptanz
                       erreicht werden könne, seinen sehr wichtig.                  „Ein übergreifendes Konzept, wie eine nachhaltige
                                                                                    Marktdynamik für erneuerbare Energien und die nötigen
                                                                                    CO2-Einsparungen zur Erreichung der Klimaziele er-
            „Deutschland kann nicht gleichzeitig Energiewendeland sein              wirkt werden können, fehlt im Koalitionsvertrag völlig.“
            und Kohleland bleiben.“                                                 Nils Boenigk, Agentur für Erneuerbare Energien (AEE)
            Jan Hinrich Glahr, Sprecher Bundesverband Erneuerbare Energien e.V.
            Berlin-Brandenburg (BBE)
                                                                                   In den vergangenen Jahren habe der Ausbau der
                                                                                  erneuerbaren Energien im Stromsektor bei der
                        Deutschland werde das für 2020 verpflichtende             Vermeidung von CO2-Emissionen die größte Rolle
                       EU-Ausbauziel für erneuerbare Energien und auch            gespielt, so Nils Boenigk. Im Wärme- und Verkehrs­
                       die selbstgesetzten Klimaschutzziele für 2020              bereich sei die Entwicklung jedoch weit weniger
                       (Reduzierung der Emissionen um 40 % gegenüber              positiv verlaufen. Auch fehlten im aktuellen Koalitions-

                                                                                              | ASG | Ländlicher Raum | 02/2018 |
Hofnachfolge AGRARSOZIALE GESELLSCHAFT E.V.
ASG                                                                                                                 3

      vertrag die Ambi­tio­nen, dies zu verändern. Positiv       Als Energieland sei Brandenburg an der Sektoren­
      seien die klaren Bekenntnisse zu Klimaschutz, Kohle-      koppelung besonders interessiert und fördere ver-
      ausstieg, Sekto­ren­koppelung und Speichertechnolo-       schiedene Pilotprojekte im Bereich „Power to Gas“;
     gien. Er kritisierte jedoch, dass kein direkter Bezug      10 % des Erdgases im Netz könnten durch Wasser-
     auf eine CO2-Bepreisung vorhanden sei und der              stoff ersetzt werden. Die Speicher-Richtlinie zur ver-
     Ausbau des regene­­­rativen Stroms vom Netzausbau          besserten Integration von Erneuerbaren Energien
     abhängig gemacht werde. Allerdings gäbe es viele           (SPREE) mit einem Umfang von 50 Mio. € (davon
     ­Maßnahmen, die einen Ausbau der Erneuerbaren              40 Mio. € aus dem EFRE) liege zzt. in Brüssel zur
      ohne erhöhten Netzausbau ermöglichten. Leider             Genehmigung vor, während das 1 000-Speicher­-
      fehlten im Koalitionsvertrag auch Aussagen zur Ak-        Programm für den privaten Bereich ausschließlich
      teursvielfalt. Die Rede von der dezentralen Energie-      mit Landesmitteln umgesetzt werde (7 Mio. €).
      wende sei nicht nur ein Schlagwort. Bisher hätten         Das Ziel sei, die Eigenverbrauchsquote und den
      viele unterschiedliche Akteure die Möglichkeit ge-        Autarkie­grad zu steigern sowie die punktuelle
      habt, sich wirtschaftlich zu beteiligen, weshalb der      Entlastung des Verteilnetzes.
      Anteil der vier großen Stromkonzerne am regene­
      rativ erzeugten Strom in Deutschland 2016 weniger
      als 6 % betragen habe. Die Akzeptanz in der Bevöl-          „Für das Gelingen der Energiewende ist die Stärkung der
      kerung für erneuerbare Energien sei weiterhin hoch,         allgemeinen, sozio-politischen Akzeptanz ebenso wichtig
      auch wenn Widerstand zu einzelnen Projekten                 wie die konkrete Akzeptanz einzelner Maßnahmen vor Ort.“
      wachse. Ein weiterer Ausbau sei nur über eine Be-           Michael Krug, Forschungszentrum für Umweltpolitik
      teiligung der Menschen vor Ort möglich, wozu auch           der Freien Universität Berlin
      intelligente Vermarktungskonzepte gehörten, die
      den Verbrauch der Energie vor Ort förderten und
      damit die regionale und kommunale Wertschöpfung             Ziel des im Rahmen des EU-Programms Horizont
      erhöhten und die Stromnetze entlasteten.                  2020 geförderten internationalen Forschungsprojek-
                                                                tes WinWind sei, so Michael Krug, die gesellschaft-
                                                                liche Akzeptanz in windenergiearmen Regionen ver-
„Wir haben einen Prüfauftrag zur Einführung einer               schiedener Länder zu untersuchen und zu stärken.
bundeseinheitlichen Regelung für die Beteiligung von            Zielregionen in Deutschland seien die windenergie-
Kommunen an Windkraftanlagen durch eine Sonder­                 armen Bundesländer Thüringen und Sachsen; zum
abgabe erteilt.“                                                Vergleich dienen Schleswig-Holstein und Branden-
Dr. Klaus Freytag, Abteilungsleiter „Energie und Rohstoffe“,    burg als Regionen mit gut ausgebauter Windener-
Ministerium für Wirtschaft und Energie des Landes Brandenburg   gie. Das „Gemeinschaftswerk Energiewende“ habe
                                                                bisher eine breite Zustimmung in der Bevölkerung
                                                                erfahren, die allgemeine Akzeptanz der Onshore­
       Dr. Klaus Freytag erläuterte, dass 2015 60 % des         Windenergie liege bei 83 %, sinke bei lokaler Be­
     in Brandenburg erzeugten Stroms exportiert worden          troffenheit jedoch auf 60 – 70 %. In Regionen, die
     sei; der Anteil der regenerativen Energieträger an         bereits Erfahrung mit Windenergie hätten, sei die
     der Stromerzeugung habe knapp 30 %, der der                Zustimmung allerdings größer als in Regionen,
     Kohle etwa 60 % betragen. Trotz des hohen Anteils          wo dies nicht der Fall sei. Fördernde Faktoren
     der Kohle habe Brandenburg seinen gesamten                 seien Verfahrens- und Verteilungsgerechtigkeit so-
     CO2-Ausstoß seit 1990 um 36 % senken können.               wie Vertrauen in den Prozess. Akzeptanzbarrieren
     Dr. Freytag betonte die hohe Bedeutung der Versor-         seien bspw. Gefühle der Ohnmacht oder Fremd­
     gungssicherheit für die Industrie, die heute nur mit       bestimmung. Wegen der Vielfalt von Einflüssen und
     Kohlestrom erreicht werden könne, zudem sei die            der unterschiedlichen Wahrnehmung der Akteure
     Wertschöpfung in der Lausitz durch die Kohle sehr          gäbe es keine Patentrezepte. Mögliche Maßnahmen
     hoch. Dennoch gehe er davon aus, dass Anfang der           seien Kommunikationsstrategien, die sich an die
     2030er Jahre der Tagebau eingestellt werde. Der            „schweigende Mehrheit“ wenden, die Kommuni­
     Ausbau der regenerativen Energieerzeugung sei in           kation von Leuchtturmprojekten und Gemeinwohl­
     Brandenburg stark vorangetrieben worden, bei der           effekten, Dialog- und Beratungsangebote und eine
     Windenergie stehe das Land an zweiter Stelle hinter        professionelle Unterstützung der Kommunen. Bei-
     Niedersachsen. Die Gesamtleistung der Erneuer­             spiele für solche Maßnahmen seinen Gütesiegel
     baren betrage fast 75 % des Bruttostromverbrauchs          für „faire“ Windenergie, wie sie in Thüringen und
     in Brandenburg. Das Land stehe – im Gegensatz              Schleswig­-Holstein bereits existierten, oder der
     zu anderen Bundesländern – zu dem Ziel, 2 % der            Vorschlag einer bundesweiten Sonderabgabe an
     Landesfläche für Windenergieanlagen auszuweisen.           umliegende Kommunen.

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                                                                      sich Dr. Klaus Freytag sicher, allerdings werde über
„Der Unterschied zu Deutschland besteht darin, dass es                die richtigen Wege gestritten. Das Land Branden-
in Dänemark keine Gegnerschaft zwischen Bürgerenergie­                burg habe durch die Deindustrialisierung maßgeb-
gesellschaften und Energieerzeugern gibt, wie sie in
                                                                      lich zu den vergangenen CO2-Einsparungen beige-
Deutschland oft zu beobachten ist.“
                                                                      tragen; wenn es um den Ausbau der Erneuerbaren
Dipl. Ing. (FH) Horst Leithoff, Geschäftsführer der Bürgerwindparks   ginge, werde vor allem südlich des Mains blockiert.
Grenzstrom Vindtved, Brebek und Süderlügum

                                                                       Eine gute Zusammenarbeit attestierte Jan Hinrich
                                                                      Glahr Politik und Verbänden in Brandenburg. Aller-
              In Dänemark handele es sich bei der Planung             dings gäbe es eine kleine, lautstarke Minderheit,
            eines Windparks nicht wie in Deutschland um einen         die Gegenwind erzeuge. Gemeindevertreter*innen
            hauptsächlich technischen Prozess, so Horst Leithoff,     und regional Verantwortliche müssten immer wieder
            sondern um einen politischen, der in den (sehr flächen­   dieselben Aussagen wie „Windkraftanlagen machen
            großen und Städte einschließenden) Kommunen               krank“ oder „Windstrom hilft nicht bei der Energie-
            entschieden werde. Zunächst werde den Bürger*in-          wende!“ widerlegen. Es sei aber wichtig, diese Dis-
            nen ein Plan mit Schutzzonen und Freiflächen              kussion zu führen und alle Menschen mitzunehmen.
            (z. B. für Naturschutz) vorgelegt und nach Ideen          Hierzu ergänzte Horst Leithoff, dass wir in einer
            zum Standort gefragt. Ist die Stimmung vor Ort hin-       Zeit der vereinfachten Kommunikation lebten, die
            sichtlich neuer Anlagen schlecht, wird das Projekt        Themen Klimaschutz und Energiewende jedoch zu
            fallen gelassen, ist sie positiv, erstelle der Stadtrat   komplex seien, als dass sie in drei Sätzen erklärt
            auf Basis der Rückmeldungen der Bürgerschaft und          werden könnten. Er schlug deshalb vor, moderne
            eigener Beratungen einen revidierten kommunalen           Kommunikation wie kurze Videos auf Youtube zu
            Plan. Dieser werde dann einem Windparkentwickler          nutzen.
            vorgelegt, der mit der technischen Planung beginne.
            Die gesamte Planungsphase werde durch Bürger-              Zu Sektorenkoppelung und Speichertechniken
            versammlungen begleitet. Am Ende stehe ein Be-            erläuterte Glahr auf Nachfrage der Moderatorin
            schluss des Stadtrates, der selbst dann negativ aus-      Petra Schwarz, dass diese oft auf Pilotprojektebene
            fallen könne, wenn der Projektierer schon viel Geld       stehenblieben, da sie bis heute nicht wirtschaftlich
            investiert habe. Mindestens 20 % der gebauten             betrieben werden könnten. Zwar sei die Förderung
            Windleistung müssten an die Bürger*innen im Um-           solcher Techniken im Koalitionsvertrag vorgesehen,
            kreis der Anlagen verkauft werden, was jedoch nicht       allerdings sei vom Gesetzgeber versäumt worden,
            immer gelinge, da keine hohen Renditen zu erwar-          hemmende gesetzliche Regelungen abzubauen.
            ten seien. Zusätzlich erhalte die betroffene Gemein-      Lt. Dr. Freytag hätten einige Stadtwerke zwar
            de einmalig oder jährlich einen bestimmten Betrag,        Speicher­technik installiert, diese sei jedoch nicht
            der von der installierten Leistung abhängig sei und       wirtschaftlich und in Brandenburg könnten die
            der z. B. für die Landschaftspflege, für kulturelle       bereits vorhandenen Fernwärmenetze ein großes
            Aktivitäten oder auch für Informationen zu regene­        Potenzial für die Sektorenkoppelung darstellen.
            rativen Energien eingesetzt werde.

            Diskussion                                                  „Wenn wir den Energieverbrauch nicht mindestens um
                                                                        50 % senken, ist eine sozial und ökologisch tragbare
              In der Diskussion gab es keinen Konsens darüber,          Energiewende nicht möglich.“
            ob die Politik die richtigen Lösungen für die Energie-      Antje von Broock, stellv. Geschäftsführerin Politik & Kommunika­tion,
            wende habe, selbst wenn Einigkeit über die Klima-           Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
            schutzziele bestehe. Lt. Michael Krug werde teilweise
            die Sinnhaftigkeit der Energiewende in Frage gestellt;
            daher sei ein gesamtgesellschaftlicher Dialog not-         Sowohl die deutschen als auch die europäischen
            wendig und nicht nur eine Kommission für den              Klimaziele müssten an die Verpflichtung des Pariser
            Kohleausstieg. Eine Möglichkeit hierfür sah Krug          Klimaabkommens angepasst werden, so Antje von
            in der Entwicklung kommunaler Energiekonzepte,            Broock. Dabei gehe es um eine weitgehende Dekar-
            an denen sich Bürger*innen beteiligen könnten.            bonisierung der Wirtschaft bis zur Mitte des Jahr-
            Nils Boenigk wies auf die paradoxe Situation in           hunderts. Um dies zu erreichen, seien gesetzlich
            der Bundesregierung hin, dass ein Ministerium zur         verankerte Reduktionsvorgaben für die einzelnen
            Energiewende stehe und ein anderes sie als zu             Sektoren notwendig. Deutschland stehe jedoch
            teuer bezeichne. Es sei jedoch Zeit zum Handeln.          skandalös schlecht da, die CO2-Emissionen seien
            Die zugesagten EU-Ziele würden eingehalten, war           seit 2009 nicht mehr gesunken. Nach wie vor würden

                                                                                  | ASG | Ländlicher Raum | 02/2018 |
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     enorme Mengen an Kohle für die Stromgewinnung                     steuer gezahlt werde – wegen des kommunalen
     verbrannt, während Windkraftanlagen teilweise                     Finanzausgleichs wenig Geld bei den betroffenen
     heruntergeregelt werden würden. Der Ausbau der                    Gemeinden. Der Städte- und Gemeindebund Bran-
     erneuerbaren Energien sei von der letzten Regie-                  denburg schlage deshalb vor, die Berechnung der
     rung gebremst worden, die festgelegten Ausbau-                    Konzessionsabgabe, welche die Gemeinden dafür
     mengen stünden nicht mit den Klimazielen in Ein-                  erhielten, dass der Netzbetreiber seine Leitungen im
     klang. Um das deutsche Klimaschutzziel für 2020                   öffentlichen Straßenraum verlegen dürfe, zu verän-
     noch einzuhalten, müsse der Kohleausstieg schnell                 dern. Heute richte sich die Höhe der Abgabe aus-
     eingeleitet und die Kapazitäten bis 2020 um die                   schließlich danach, wieviel Strom in die Gemeinde
     Hälfte reduziert werden. Wie dies möglich sei, ohne               geliefert werde. Dies sei unzeitgemäß und setzte die
     die Versorgungssicherheit zu gefährden, habe der                  falschen Anreize: „Belohnt wird, wer besonders viel
     BUND in seinem Abschaltplan für AKW und Kohle                     Strom verbraucht.“ Die Konzessionsabgabe für ver-
     gezeigt. Neben dem Entfernen des Ausbaudeckels                    brauchten Strom betrage derzeit zwischen 1,32 und
     aus dem EEG seien faire Konzepte für Bürgerenergie                2,39 Cent je Kilowattstunde, ihre Höhe müsse künftig
     notwendig. Diese sei der Motor der Energiewende                   auch vom eingespeisten Strom abhängig gemacht
     und verkörpere Teilhabe, Demokratie und Trans­                    werden. Das Mittel- und Niederspannungsnetz wer-
     parenz in einem zentralen Wirtschaftsbereich. Je                  de aber heute auch zum Abtransport von erzeugtem
     rascher der Ausbau erfolge, desto wichtiger werde                 Strom genutzt. Bei einer Deckelung der Konzessions­
     es, Akzeptanz zu erreichen. Die Entwicklung der                   abgabe für eingespeisten Strom auf einen Höchst-
     Erneuerbaren müsse im Einklang mit der Natur                      betrag von 0,33 Cent je Kilowattstunde, würde die
     vorangebracht werden, die bereits vielfältig unter                Stromrechnung nur etwa um 1 % steigen – die
     Druck stehe. Der vielzitierte Vogelschlag an den                  Kommunen in Brandenburg könnten jedoch mit
     Windkraftanlagen sei jedoch eine wesentlich gerin-                Mehreinnahmen von 51,1 Mio. € rechnen. Da eine
     gere Gefahr für Vögel als Glasfassaden, Verkehr                   Anpassung der Konzessionsabgabe nur auf Bun-
     und die Nahrungsknappheit durch Monokulturen                      desebene durchgesetzt werden könne, erfolgten
     in der Landwirtschaft.                                            derzeit die Abstimmungen mit den Bundesministerien.

„Wir können die Akzeptanz für die Energiewende nur                       „Die Planung und Errichtung von Windparks erfordert eine
erhalten, wenn Bürger und Gemeinden vor Ort messbar                      integrative Herangehensweise und individuelle Lösungen.
etwas davon haben.“                                                      Mit pauschalen Abgaben kann die notwendige Akzeptanz
Sebastian Kunze, Referatsleiter für Energie- und Kommunalwirtschaft,
                                                                         nicht erreicht werden.“
Städte- und Gemeindebund Brandenburg                                     Torsten Levsen, Vorstandsvorsitzender ­Denker & Wulf AG

      Die Auswertung von Umfragen zu kommunaler                          Nachdem klar sei, dass die Klimaziele 2020 ver-
     Wertschöpfung aus Windkraft in Brandenburg hätte                  fehlt würden, stünden nun die Ziele für das Jahr
     ergeben, dass nur 10 – 15 % der theoretisch zu er-                2030 im Fokus der Bundesregierung, so Torsten
     zielenden Gewerbesteuereinnahmen bei den Kom-                     Levsen. Deren Erreichbarkeit sei aber ebenfalls
     munen als Einnahmen verbucht werden konnten, so                   fraglich. Der Energiesektor spiele bei den formulier-
     Sebastian Kunze. Zudem bliebe – wenn Gewerbe-                     ten Zielen die Hauptrolle, der Anteil der erneuerbaren

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          Energien am Stromverbrauch solle bis 2030 auf                                       Eine Reihe von Veränderungen sei jedoch durch
          65 % steigen. Hierfür sei allerdings nicht nur eine                               das in Kooperation mit der FH Nordhausen ent­
          zügige Reduzierung der Kohleverstromung, son­dern                                 wickelte Energie- und Klimaschutzkonzept für
          auch eine deutliche Erhöhung der jährlichen Aus-                                  die Gemeinde, Veranstaltungen zu den Themen
          schreibungsmengen für Windenergie und Fotovol-                                    „regionale Wertschöpfung“ „Bürgerbeteiligung“
          taik notwendig. Bei den Ausschreibungen für Wind-                                 oder „Wärme­erzeugung und Wärmeversorgung“
          energie seien 2017 besonders viele Bürgerenergie-                                 sowie die 2013 gegründete Bürger-Energiegenos-
          gesellschaften zum Zuge gekommen, während zu                                      senschaft ­Helmetal eG bewirkt worden. So seien
          heutigen Kosten kalkulierte und bereits genehmigte                                Fotovoltaikanlagen auf zwei Kindertagesstätten
          Anlagen den Zuschlag nicht erhalten hätten.1 In                                   und einem Altenpflegeheim, hier mit einem Energie-
          der Folge würde nun ein Großteil der Windparks                                    speichersystem, montiert worden. Mit Solarstrom
          nicht oder verzögert gebaut. Der Brutto-Zubau                                     versorgt würden auch die Ladesäulen für das ge-
          (ohne abgebaute Leistung) sei bereits von mehr als                                meindeeigene E-Mobil. Das Elektromobilitätsprojekt
          5 300 MW (2017) auf 3 500 MW (2018) gesunken.                                     „WERTHER mobil…“ sei ein Fahr- und Leihdienst,
          Hinzu komme der absehbare Rückbau der über                                        mit dem u. a. die Nahmobilität älterer Menschen er-
          20 Jahre alten Anlagen. Bei der zweiten Ausschrei-                                leichtert werden solle. Ende 2017 sei der Windpark
          bung 2018 hätte es erstmals eine Unterzeichnung                                   zwar immer noch nicht gebaut worden, habe aber
          der ausgeschriebenen Mengen gegeben, weil oft                                     schon den Preis „Gemeinsam und fair geht mehr“
          nur noch Residualflächen zur Verfügung stünden,                                   der Thüringer Energie- und GreenTech-Agentur
          auf denen es bedeutend schwieriger sei, angepasste                                (ThEGA) erhalten. Aufgrund des speziellen Verfah-
          Anlagen zu bauen. Die entstandene Ausbaulücke                                     rens der Poolpacht würden die Grundstückseigen-
          sei nur noch schwer zu schließen und habe auch zu                                 tümer künftig einen guten Pachtzins erhalten, die
          einer Reduzierung der Zahl der Akteure am Markt                                   Einwohner*innen von einem günstigen Stromtarif
          geführt. Viele mittelständische Projektierer seien,                               profitieren und die Mitglieder der 2013 gegründeten
          sofern sie nicht in größerem Maße selbst Betreiber                                Bürger-Energiegenossenschaft Helmetal eG über
          geworden seien, von den großen Energieversorgern                                  eine Geldanlage verfügen. Ziel der Helmetal eG sei
          aufgekauft worden.                                                                die regionale dezentrale Erzeugung von erneuer­
                                                                                            baren Energien mit hoher regionaler Wertschöpfung
                                                                                            und die langfristig Etablierung als Stromanbieter.
„Wertschöpfung kann am Ort gebunden werden. Die Energie-
genossenschaft Helmetal eG erzeugt regional und dezentral
erneuerbare Energien und möchte sich vor Ort langfristig als                                   „Die Gemeinden müssen ein Mitspracherecht haben.
Stromanbieter etablieren.“                                                                     Leider ist es aber rechtlich nicht möglich, dass die
Hans-Jürgen Weidt, Bürgermeister der Gemeinde Werther                                          Gemeinde im Aufsichtsrat der Genossenschaft sitzt.“
                                                                                               Bernd Bechly, Vorstandsvorsitzender, Rehfelde-EigenEnergie eG

            Hans-Jürgen Weidt beschrieb den Weg der in
          Nordthüringen gelegenen Gemeinde Werther mit                                       Die Rehfelde-EigenEnergie eG sei 2011 als
          ca. 3 350 Einwohner*innen und acht Ortsteilen zur                                 Arbeitskreis der Gemeinde Rehfelde entstanden
          „grünen Kommune“. 2010 seien die Erneuerbaren                                     und 2012 als Genossenschaft mit 120 Mitgliedern
          Energien erstmals thematisiert worden. Nach breiter                               gegründet worden, erläuterte Bernd Bechly. Zu
          Streuung von Informationen und positiver Resonanz                                 diesem Zeitpunkt habe auch die Planung von zwei
          auf eine Meinungsumfrage zur „Energiewende im                                     Windkraftanlagen begonnen. Ziel des Rehfelder
          ländlichen Raum“ habe es eine Reihe von Informa­                                  Modells sei es gewesen, eine stabile Eigenversor-
          tionsveranstaltungen zum Thema Windenergie und                                    gung aller Rehfelder*innen mit Energie und Wärme
          Planung eines Windparks gegeben. Aufgrund der                                     sicherzustellen, eine sozialverträgliche, preisgünstige
          Gesetzeslage sei es bislang nicht möglich gewesen,                                und unabhängige Alternative zu den Energieriesen
          ein kommunales Windrad zu bauen.                                                  zu schaffen, Strom und Wärme im Energiemix aus

           1
               Nach EEG 2017 müssen Bürgerenergiegesellschaften ihre Windkraftanlagen nicht wie andere Betreiber 24 Monate nach öffentlicher Bekanntgabe des
               Zuschlags in Betrieb nehmen, sondern haben hierzu 48 Monate Zeit. Des Weiteren müssen sie, abweichend zu anderen Akteuren, nicht angeben, wo
               der Windpark im Landkreis bzw. der kreisfreien Stadt gebaut werden soll. Aus diesem Grund ist die Projektierung dieser Windparks oft noch wenig fort-
               geschritten, wenn sie den Zuschlag erhalten und die Kalkulation der Kosten der Anlagen erfolgt unter der (realistischen) Annahme, dass diese in Zukunft
               sinken werden. Ist der Zuschlag erteilt und gehen die Anlagen ans Netz, erfolgt die Vergütung für den eingespeisten Strom entsprechend dem Wert
               des höchsten Zuschlags in der jeweiligen Bieterrunde und nicht entsprechend des vorher abgegebenen (niedrigeren) Gebots. Durch diese Kon­struktion
               werden gewerbliche Windparkprojektierer benachteiligt. Neben den Verzögerungen beim Ausbau der Windenergie wird kritisiert, dass es sich bei den
               10 Personen, die zur Bildung der Bürgerenergiegesellschaft (im Sinn des EEG 2017) notwendig sind, auch um ortsfremde Investoren handeln kann und
               daher die Wertschöpfung aus der Region abfließe.

                                                                                                           | ASG | Ländlicher Raum | 02/2018 |
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ASG                                                                                                                 7

     nachhaltigen und umweltverträglichen Rohstoffen             munalpolitische Akteure und Verwaltung mit dem
     zu erzeugen, die lokalen Energie-Ressourcen zu              Thema auseinandersetzten. Damit diese angesto-
     erschließen und die Wertschöpfung in der Region             ßenen Prozesse nicht im Sande verliefen, würden
     zu entwickeln. Schließlich sei die Denker & Wulf AG         sie kontinuierlich begleitet. Eine gegenseitige Rück-
     mit der Projektierung beauftragt worden, als Partner        kopplung in der Kommunikation aller Beteiligten und
     und spätere Betreiberin der beiden Windenergie­             Betroffenen untereinander sorge für Transparenz.
     anlagen fungiere die Rehfelde-EigenEnergie eG,
     die heute 240 Mitglieder aus ganz Deutschland
                                                                 Diskussion
     habe und zusätzlich zwei Fotovoltaikanlagen be­
     treibe. Da jede Person, die mit einem Genossen-               „Es darf keine Diskussion mehr über die Klimaziele
     schaftsanteil von 2 500 € beteiligt sei, eine Stimme        geben,“ betonte Torsten Levsen. Diese müssten auf
     habe, handele es sich in Rehfelde um einen echten           allen Ebenen der Gesellschaft durchgesetzt werden
     Bürgerwindpark und nicht um wenige Investoren,              und alle sollten etwas dazu beitragen. Zur Erhöhung
     die sich eine Anlage teilten. Etwa 80 % der Ziele           ihrer Wertschöpfung könnten die Gemeinden Ein-
     des Rehfelder Modells hätten verwirklicht werden            fluss darauf nehmen, welcher Projektierer den
     können, Unzufriedenheit bestehe allerdings darüber,         Windpark baue und betreibe und so zu einer Rege-
     dass eine direkte regionale Vermarktung nicht mög-          lung kommen, von der sie profitierten. Auch Andrea
     lich und der Strompreis durch hohe Abgaben viel             Spangenberg betonte, dass die Politik die Energie-
     zu hoch sei. Eine günstigere Gestaltung des Strom-          wende nicht allein schaffen werde. Allerdings beste-
     preises für Genossenschaftsmitglieder oder Ein­             he in der Bevölkerung oft eine starke Abwehrhaltung
     wohner*innen sei gesetzlich nicht erlaubt.                  hinsichtlich des Themas, Bevölkerung sowie ehren-
                                                                 amtliche Ortsbeiräte seien oft schlecht informiert
                                                                 und Kommunalpolitiker*innen würden nur unter vier
„Es gilt, mit den Menschen vor Ort eine gemeinsame,              Augen ihre positive Einstellung zu diesem Thema
miteinander verflochtene, nachhaltige Entwicklung und            bekunden. Es erfordere viel Zeit und Engagement,
somit die Gestaltung ihrer Zukunft zu erarbeiten.“               bis sich genügend Vertrauen in den Gemeinden
Andrea-Liane Spangenberg, Vorstandsvorsitzende Bioenergiedorf-
                                                                 entwickelt habe, um ein konkretes Projekt voran­
Coaching Brandenburg e.V.                                        zubringen.

                                                                   Von unterschiedlichen Seiten wurden die Verän­
       In der Kommunalpolitik von Kommunen unter                 derungen des EEG in den letzten Jahren als hinder-
     10 000 Einwohner*innen seien die Themen Energie             lich für die Energiewende und den Aufbau echter
     und Klimaschutz oft nachrangig und entsprechende            Bürgerenergie kritisiert, zudem würden die ehren-
     Gremien fehlten. Um dies zu verändern, engagiere            amtlich tätigen Menschen teilweise überstrapaziert.
     sich Andrea-Liane Spangenberg im Bioenergie-                Hans-Jürgen Weidt wies darauf hin, dass im Bereich
     dorf-Coaching Brandenburg e.V. dafür, dass kleine           erneuerbare Energien sowohl Fachwissen als auch
     Kommunen die Themen Energie und Klimaschutz                 Organisationswissen erforderlich seien, weshalb
     auf die politische Agenda nehmen. Die unabhängige           sich hier hauptsächlich Selbständige engagierten,
     und überparteiliche Institution, die über ein Netz-         deren Belastungsgrenze häufig erreicht sei.
     werk von Personen aus Wissenschaft, Forschung
     und Praxis im Bereich erneuerbare Energien verfüge,          Sebastian Kunze bezeichnete es als höchstes Maß
     stehe den Gemeinden durch Wissensvermittlung                der Bürgerbeteiligung, wenn Geld in den kommunalen
     und Moderation kompetent zur Seite. Dies geschehe           Haushalt fließe; nicht jeder habe das Kapital, sich
     durch die Initiierung von regelmäßigen Energie­             an einer Windkraftanlage zu beteiligen. Die Konzes-
     Stammtischen. Die dort stattfindenden Diskussionen          sionsabgabe unterliege als vertragliche Regelung
     lösten Impulse aus, in deren Folge sich auch kom-           zwischen Netzbetreiber und Gemeinde zudem nicht

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           dem kommunalen Finanzausgleich und sei, entge-              Schlusswort
           gen ihrer unglücklichen Bezeichnung, als Abgabe
           nicht zweckgebunden und habe den Vorteil, dass                In ihrem Schlusswort rief Dr. Juliane Rumpf alle
           sie nicht ständigen Schwankungen unterliege,                Anwesenden dazu auf, das Thema Klimaschutz in
           wie die Gewerbesteuer. Als Bestandteil des Strom-           ihre Netzwerke zu tragen und damit die Energie-
           preises werde sie letztlich von allen bezahlt, die          wende voranzubringen. Durch Information und
           Strom verbrauchten.                                         Kommunikation könne es gelingen, Vertrauen zu
                                                                       schaffen und alle Menschen dabei mitzunehmen.
             Zum Thema Speichertechniken und Sektoren­                 „Dort wo Menschen im ländlichen Raum aktiv
           koppelung ergänzte Antje von Broock, dass es                werden, da wo sie die Initiative ergreifen und
           nicht darum gehen könne, den Strom zu speichern,            andere Menschen überzeugen und mitreißen,
           der heute durch die Abschaltung der Windkraftanla-          da bekommen wir auch die Lösung für das
           gen „verlorengehe“. Zunächst müssten die Kohle-             Problem.“ Dagmar Babel
           kraftwerke abgeregelt werden, Speichertechniken
           würden dann nur für die sog. „Dunkelflaute“ benö-
           tigt. Die Umwandlung von elektrischer Energie in
           Wasserstoff und dann weiter in flüssige Brennstoffe,
           wie sie auch im Rahmen der vom Bundesforschungs­                       ASG-Herbsttagung
           ministerium geförderten Kopernikus-Projekte ent­                  am 14. und 15. November 2018
           wickelt werde, sei jedoch sehr ineffektiv und nur
           im Interesse der beteiligten Autoindustrie, die den                        in Göttingen
           Verbrennungsmotor retten wolle.

          Richtigstellung zum Artikel „Kernige Dörfer 2017 ausgezeichnet“
     In der Printausgabe von Ländlicher Raum 01/2018 sind im Artikel „Kernige Dörfer 2017 ausgezeichnet“ auf dem
     Foto zur Preisverleihung auf S. 16 nicht – wie angegeben – die Finalisten, Sieger und Sonderpreisträger, sondern
     ausschließlich die Sonderpreisträger zu sehen. Das folgende Foto zeigt nun, wie auch die Onlineversion der Zeit-
     schrift, alle angegebenen Personen.

                                                                                                                            Foto: BMEL, Ingo Heine

Die Finalisten, Sieger und Sonderpreisträger im Wettbewerb 2017 bei der Preisverleihung

                                                                                   | ASG | Ländlicher Raum | 02/2018 |
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                            Nutzen für die Gesellschaft
                             deutlich sichtbar machen
Die baden-württembergische Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch, MdL, wird ab Herbst 2018 im
Kuratorium der Agrarsozialen Gesellschaft (ASG) mitwirken und hat anlässlich ihrer Teilnahme an
der gemeinsamen Sitzung von Vorstand und Kuratorium im April 2018 über die Zukunft der Gemein-
samen Agrarpolitik (GAP) gesprochen. Am 1. Juni 2018 hat die Europäische Kommission Vorschläge
zur Neuausrichtung der GAP nach 2020 veröffentlicht. Staatsekretärin Gurr-Hirsch gibt nachfolgend
eine erste Einschätzung hinsichtlich der Eckpunkte und der Ausgestaltung.

  Für die Förderperiode der Gemeinsamen europä­

                                                                                                                     Foto: MLR / Jan Potente
ischen Agrarpolitik (GAP) ab 2020 hat die EU-Kom-
mission ein breites Aufgabenportfolio vorgelegt. Die
EU stellt sich mit ihrem Vorschlag den gesellschaft-
lichen Anforderungen an eine moderne, leistungs­
fähige und verantwortungsbewusste Landwirtschaft
mit den Prioritäten Klimaschutz und Biodiversität.
Gleichzeitig hat der Entwurf aber auch die Produktion
hochwertiger Lebensmittel und die Wettbewerbs­
fähigkeit der kleineren und mittleren bäuerlichen
Familienbetriebe im Blick, wie sie in Baden-Württem­
berg vorherrschend sind.

 Damit enthält der Legislativvorschlag eine Reihe
von guten Ansätzen, die auch auf den Agrarsektor
und den ländlichen Raum Baden-Württembergs
passen. Diese haben wir auch im grün-schwarzen
Koalitionsvertrag von 2016 für die kommende
Förderperiode klar abgesteckt.

  Die Beibehaltung der bisherigen Zwei-Säulen­-         über Kappung und Degression sollte allerdings bei
Struktur begrüßen wir ausdrücklich. Ich weise in        den weiteren Verhandlungen im direkten Zusam-
diesem Zusammenhang darauf hin, dass die direkt         menhang mit der stärkeren Förderung der bäuer­
einkommenswirksamen Direktzahlungen aus der             lichen Familienbetriebe bei der Ausgestaltung der
1. Säule keine Geschenke an unsere Bäuerinnen           Strategiepläne geführt werden.
und Bauern sind, sondern ein Ausgleich für die
höheren Standards, welche sie im weltweiten Ver-          Meines Erachtens sollte die EU-Kommission auch
gleich einhalten müssen, um vor allem hochqualita­      noch deutlicher aufzeigen, wie den Mitgliedstaaten
tive Nahrungsmittel zu produzieren.                     mehr Flexibilität u. a. bei der Förderung zur Entwick-
                                                        lung der ländlichen Räume (LEADER, Naturparke,
  Auch der Vorschlag der Kommission, die ersten         Innovative Maßnahmen für Frauen im Ländlichen
Hektare in der Zeit nach 2020 noch besser zu för-       Raum (IMF) etc.) gewährt werden kann. Denn: Eine
dern, findet die Unterstützung Baden-Württembergs.      bedarfsgerechte Programmplanung für die 2. Säule
Damit kann der strukturelle und wirtschaftliche         kann nur durch die Regionen bzw. die Länder selbst
Nachteil unserer Betriebe mit weniger Flächenaus-       erfolgen, damit die Menschen vor Ort – mit finanziel-
stattung mindestens teilweise ausgeglichen werden.      ler Unterstützung durch die EU – lebenswerte länd-
Ich finde es im Übrigen wichtig, Regionen, die sich     liche Räume und attraktive, lebendige Dörfer mitge-
im Bereich der Fläche eher durch Kleinstrukturen        stalten können. Die föderalen Strukturen in Deutsch-
auszeichnen, besser zu fördern. Die mit einem in­       land müssen deshalb bei der weiteren Ausgestal-
dividuellen Lohnkostenfaktor gewichtete Kappung         tung der Reform unbedingt berücksichtigt werden.
der Direktzahlungen ab 100 000 € pro Betrieb halten
wir für eine angemessene Reaktion auf die im Mehr-        Aus Sicht Baden-Württembergs ist ein sehr wichtiger
jährigen Finanzrahmenplan vorgesehene Kürzung           Aspekt im Legislativvorschlag leider nur sehr vage
der GAP-Mittel im EU-Haushalt. Die Diskussion           formuliert: die bessere finanzielle Unterstützung der

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                      Tierhaltung. Die komplexen Anforderungen an die              Mit Blick auf die neue Förderperiode ist es ein zen-
                      Landwirtschaft durch den medial forcierten, gesell-        trales Anliegen, den Nutzen der Landwirtschaft und
                      schaftlichen Druck, vor allem im Bereich Tierwohl,         der Gemeinsamen Agrarpolitik für die Gesellschaft
                      aber auch die erhöhten Anforderungen an eine               deutlich sichtbar zu machen.
                      nachhaltige Nahrungsmittelproduktion sowie der
                      Ressourcen- und Klimaschutz bedingen einen                   Mit Nachdruck setzt sich Baden-Württemberg da-
                      hohen Entwicklungs- und Investitionsbedarf.                her für eine Vereinfachung der Förderverfahren ein.
                                                                                 Anstatt der bisherigen Prozessorientierung, die vor
                       Die Kürzungen der Mittel für die 2. Säule, wie sie        allem auf die Einhaltung von formalen Prüfkriterien
                      derzeit von der EU-Kommission vorgesehen sind,             fokussiert ist, will die EU künftig das Prinzip der Er-
                      halte ich daher für überzogen. Die EU tut gut daran,       gebnis- und Zielorientierung anwenden. Mit dieser
                      diese Strategie nochmals zu überdenken, vor allem          Neuausrichtung verbinden wir die Erwartung, dass
                      auch im Blick auf die öffentliche Akzeptanz der            die GAP für die Landwirte einfacher, für die länd-
                      GAP-Reform. Immerhin sind es vor allem die Mittel          lichen Räume attraktiver und für die Umwelt wirk­
                      der 2. Säule, die in der Bevölkerung ganz allgemein        samer wird. Die Formulierung der Zielkriterien be-
                      gutgeheißen werden.                                        darf aus meiner Sicht gerade unter diesen Aspekten
                                                                                 einer großen Sorgfalt.
                        Unsere Bestreben z. B. in der Qualitäts- und
                      Regionalvermarktung, im Bereich der Kennzeichnung            Die Baseline für die Bewirtschaftungs- und Produk-
                      (z. B. Tierwohl) sowie im Rahmen der vielfältigen          tionsbedingungen muss weiterhin EU-weit einheitlich
                      Förderanreize und Bildungsangebote müssen wei-             geregelt sein (EU-Fachrecht), um Wettbewerbs­
                      tergeführt und ausgebaut werden.                           verzerrungen zu verhindern. Hier dürfen die Mit-
                                                                                 gliedstaaten und die Regionen nicht zu viel Gestal-
                       Auch in Zukunft müssen deshalb im Rahmen der              tungsspielraum erhalten. Ich gehe davon aus, dass
                      GAP spezifische und zielgerichtete Maßnahmen, z. B.        für Deutschland diesbezüglich die Festlegung auf
                      die Investition in digitale Technik, in Tierwohl oder in   nationaler Ebene erfolgt.
                      neue Wertschöpfungsbausteine wie die Direktver-
                      marktung oder die Verarbeitung, angeboten werden.           Baden-Württemberg wird den Legislativvorschlag
                                                                                 der EU-Kommission unter enger Einbeziehung der
                        Alle genannten Maßnahmen sind auf gesellschaftliche      Partner des ländlichen Raums und der Landwirt-
                      Akzeptanz angewiesen, sei es bei der Standortfindung       schaft intensiv prüfen. Wir werden uns auch für die
                      für einen neuen Stall oder hinsichtlich der Wertschät-     neue Förderperiode dafür einsetzen, die Lebens­
                      zung der Lebensmittel beim Einkaufsverhalten.              verhältnisse in den bäuerlichen Familien zu ver­
                                                                                 bessern und den ländlichen Raum zukunftsfähig
                        Damit all dies zielgerichtet und effektiv gefördert      und attraktiv zu gestalten.
                      werden kann, wobei die bäuerlichen Familienbetriebe
                      – ob im Haupt- oder Nebenerwerb – im Mittelpunkt
                      stehen, und praxisgerechte Lösungen für den länd-
                      lichen Raum entwickelt werden können, müssen
                      unsere Anstrengungen für die kommende Förder­              Friedlinde Gurr-Hirsch MdL
                      periode daher vor allem auf eine finanziell gut aus-       Staatssekretärin im Ministerium für Ländlichen Raum
                      gestattete GAP gerichtet sein.                             und Verbraucherschutz Baden-Württemberg
Foto: M. Wende

                                                                                              | ASG | Ländlicher Raum | 02/2018 |
Agrarpolitik                                                                                                         11

Neues von der agrarpolitischen Bühne:

      Geschichte wiederholt sich – oder auch mal nicht
         Über eine altbekannte Brüsseler Reformstrategie, wenig überraschende Reaktionen
                                    und neue Unwägbarkeiten

  Die Reaktionen auf die ver-           Tatsächlich bereitet ein vertiefter   Direktzahlungen bei einer be-
meintlich überraschenden,             Einblick in die Historie der Gemein­    stimmten Betriebsgröße, der von
weil für alle Mitgliedstaaten         samen Agrarpolitik und wieder-          der hiesigen Regierung aus über-
verpflichtenden Degressions-          kehrende Bemühungen um deren            geordneten Erwägungen auf kei-
und Kappungsvorschläge der            Weiterentwicklung manches               nen Fall akzeptiert werden kann
EU-Kommission folgten einem           Aha-Erlebnis. Konnten sich die          und regelmäßig unter Aufwen-
bekannten Muster mit regionaler       ostdeutschen Großbetriebe An-           dung einiger politischer Mühe
Komponente. Während Baden-            fang der 90er Jahre im damaligen        und erheblicher Kosten mindes-
Württembergs Landwirtschafts­         Beitrittsgebiet noch auf ihren          tens entschärft werden muss.
minister Peter Hauk die Brüsseler     Exotenstatus berufen und                Auf diese Weise ist 2003 aus
Kappungspläne als „angemesse-         Welpenschutz bei der Gewährung          einer vorgeschlagenen größen­
ne Reaktion auf die vorgesehene       von Preisausgleichszahlungen            abhängigen Degression mit fester
Kürzung der GAP-Mittel im EU­-        anstelle staatlich garantierter         Abschneidegrenze eine schritt-
Haushalt“ lobte und sich seine        Stützpreise beanspruchen, nahm          weise, aber moderat steigende
neue bayerische Amtskollegin          fortan das Verständnis für ost-         Umschichtung, 2008 aus einer
Michaela Kaniber „ausgespro-          deutsche Besonderheiten und             degressiven Kappung eine pro-
chen positiv“ zu einer Obergrenze     Entgegenkommen bei der Ver­             gressive Modulation und 2013
für die Direktzahlungen äußerte,      teilung der Brüsseler Agrarmil­         aus einer Verpflichtung zu Kap-
kamen aus dem Osten der Repu-         liarden im In- und Ausland konti-       pung und Degression eine Option
blik farbenübergreifend ganz          nuierlich ab. Gleichzeitig fühlte       mit der Möglichkeit geworden,
andere Töne. Sie reichten von         sich bislang noch jede Bundes-          diese durch eine stärkere För­
dunkelroten Warnungen vor             regierung und jeder Landwirt-           derung der ersten Hektare zu
einem massiven Mittelabfluss          schaftsminister unabhängig von          ersetzen.
(Thüringens Birgit Keller) über       Partei (meistens CSU, auch
hellrote Kritik an einseitiger Be-    schon mal Grüne), Herkunft                Und diesmal? Sie könne sich
nachteiligung einer gewachsenen       (Bayern!) und Geschlecht (zuneh-        kaum vorstellen, ließ Bundes­
Agrarstruktur (Brandenburgs           mend weiblich) der ostdeutschen         ministerin Julia Klöckner mit Blick
Jörg Vogelsänger) bis zu schwar-      Landwirtschaft so weit verpflichtet,    auf die jüngsten Brüsseler Kap-
zen Befürchtungen eines Verlusts      dass man sie nicht ungebremst           pungspläne bereits verlauten,
von Arbeitsplätzen und Wirtschafts­   jeglichen Kürzungsgemeinheiten          „dass wir hier ohne Änderungen
kraft (Sachsens Thomas Schmidt).      aus den Brüsseler Amtsstuben            mitgehen können“. Allerdings be-
Drastischere Worte fanden kraft       aussetzen darf, erst recht nicht        zog sie ihre Absage ausdrücklich
Amtes die Bauernverbandspräsi-        unter einer zwar vielfältig bean-       nur auf eine „rigide Kappung“,
denten. Während der Thüringer         spruchten, aber in Kappungs­            während man eine degressive
Klaus Wagner einmal mehr „einen       fragen seit jeher sensibilisierten      Ausgestaltung der Direktzahlun-
Schlag ins Gesicht der ostdeut-       Bundeskanzlerin mit dem Wahl-           gen prüfen werde, so die CDU­-
schen Landwirtschaft“ verspürte,      kreis Vorpommern-Rügen.                 Politikerin aus dem bekannter­
sieht Sachsens kampferprobter                                                 maßen eher südlich gelegenen
Wolfgang Vogel sichere Anzeichen        In der europäischen Hauptstadt        Rheinland-Pfalz. Umverteilen ja,
für eine „heuchlerische Inszenie-     weiß man diese Situation bei            abschneiden nein, so in etwa
rung unter dem Deckmantel einer       der Suche nach agrarpolitischer         dürfte ein Verhandlungsziel der
gerechteren Verteilung“ und ver-      Konsensfindung auf dem zuneh-           gegenwärtigen Bundesregierung
mutet einen neuerlichen Brüsse-       mend schwieriger gewordenen             lauten. Das könnte klappen,
ler Versuch, die wettbewerbs­         Verhandlungsparkett seither             wenn auch wie gehabt nicht zum
starken ostdeutschen Landwirt-        trefflich zu nutzen. Das Vorgehen       Nulltarif. Denn eins dürfte sich er-
schaftsbetriebe zu zerschlagen.       ähnelt sich dabei alle Jahre aufs       neut zeigen: Der in den Brüsseler
Das kam dem einen oder ande-          Neue: Die EU-Kommission macht           Konferenzräumen zu zahlende
ren bekannt vor.                      einen Vorschlag zur Kappung der         politische Preis für die Direkt­

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     zahlungen im Allgemeinen und          men reicher machen“. Zugege-          wohl bewusst. Grethe verweist
     den Verzicht auf Kappung im           ben, klappern gegen die EU­-          auf die langen historischen
     Besonderen wird tendenziell           Agrarpolitik gehört speziell für      Zyklen, in denen Vorschläge
     weiter ansteigen!                     Umweltverbände zum Handwerk.          von Agrarökonomen gemeinhin
                                           Aber gesellschaftliche Akzeptanz      Eingang in die praktische Politik
       Dies gilt umso mehr, als sich die   der GAP als Voraussetzung für         finden. Den kritischen Hinweis,
     Kommissionsbeamten mit den            deren langfristigen Bestand und       lediglich aus dem berühmten
     geforderten nationalen Strategie-     damit die allenthalben geforderte     Elfenbeinturm auf die Mühen
     plänen für die Ausgestaltung der      Planungssicherheit für Bauern,        der agrarpolitischen Ebenen zu
     1. Säule eine weitere Regelung        Betriebe, Behörden und Regio-         schauen, lässt der Beiratsvorsit-
     ausgedacht haben, die speziell        nen braucht auch Unterstützung        zende ähnlich wie seine Vorgän-
     hierzulande schon jetzt für erheb-    abseits der vielzitierten Agrar­      ger gelten, denn zu einer funda-
     liches Kopfzerbrechen sorgt. Im       kreise. Die scheint ferner denn je.   mental falschen Politik gehöre
     föderalen Deutschland mit ge-                                               nun mal eine fundamentale Kritik.
     schätzt einem Dutzend penibel           Nicht wirklich überraschen konn-
     auf Eigenständigkeit und die          te der übliche Verriss der GAP          Ungeachtet der vielen allzu Be-
     Wahrung regionaler Besonder­          aus den Reihen der deutschen          kannten in den aktuellen Reform-
     heiten bedachter Länderagrar­         Agrarökonomie. Der Wissen-            gleichungen bleiben gleichwohl
     minister könnte dieser Vorschlag      schaftliche Beirat für Agrarpolitik   auch einige große Unbekannte,
     den Boden zur einen oder ande-        beim Bundeslandwirtschaftsmi-         die einen Ausgang der Reform­
     ren politischen Wirtshausschläge-     nisterium bescheinigt auch in         bemühungen wenig vorhersehbar
     rei bereiten. Zumindest hätte er      seinem jüngsten Gutachten der         machen. Dies reicht von der
     das Zeug dazu, die Agrargemüter       EU-Agrarpolitik einmal mehr           nationalen Ebene mit der nach
     landauf, landab über Jahre zu         Versagen auf ganzer Linie und         wie vor fehlenden Abstimmung
     beschäftigen.                         fordert deren grundlegende Neu-       zwischen dem traditionell agra­
                                           konzeption mit einer konsequen-       rischen Anliegen verpflichteten
       Abzuwarten bleibt, inwieweit die    ten Orientierung an Gemeinwohl-       Bundeslandwirtschaftsministerium
     Ministerin mit der künftigen GAP      zielen in den Bereichen Umwelt-,      und einem per se den Umwelt­
     ihrem Ziel näherkommen wird,          Klima- und Tierschutz. Als Grund-     belangen zuneigenden Umwelt-
     die Landwirtschaft „in die Mitte      übel der gegenwärtigen GAP            ressort bis zu offenen Fragen
     der Gesellschaft“ zu rücken. Die      wird deren vergebliche und nicht      des künftigen EU-Agrarbudgets.
     ersten Reaktionen aus den Rei-        zu rechtfertigende Ausrichtung        Der Finanzvorschlag von Haus-
     hen der Umweltverbände machen         auf die Einkommensstützung            haltskommissar Günther Oettinger
     da wenig Hoffnung. Während            landwirtschaftlicher Betriebe         sieht eine moderate Kürzung des
     die Ministerin insbesondere das       ausgemacht, die mit den Direkt-       künftigen EU-Agrarhaushalts um
     Festhalten an der bestehenden         zahlungen nicht mal ansatzweise       5 % vor, wobei allerdings die Mit-
     Zwei-Säulen-Struktur als unver-       erreicht werde. Die aktuellen         tel für die 2. Säule deutlich stärker
     zichtbar lobt, stellt genau die       Versuche, die Zahlungen einmal        gekürzt werden sollen als die für
     nach Auffassung der Umweltseite       mehr „gerechter“ und „grüner“         die 1. Säule. Diese Ungleichbe-
     das eigentliche Problem dar.          zu machen, kritisiert der Beirats-    handlung dürfte ebenso noch
     Der NABU nennt das Brüsseler          vorsitzende Harald Grethe als         für Kontroversen sorgen wie der
     GAP-Papier „ein Drama für             „Herumdoktern“ ohne Aussicht          Gesamtplafonds. Nicht auszu-
     die Artenvielfalt“, der Deutsche      auf tatsächliche Verbesserungen.      schließen, dass andere EU­-
     Naturschutzring meint Ähnliches,      Allerdings schwant auch dem           Aufgaben etwa im Bereich der
     wenn er der Kommission vorwirft,      Vorsitzenden und seinen Gelehr-       Flüchtlingspolitik weitere Mittel in
     sie konterkariere mit dem Fest-       tenkollegen, dass der politische      erheblichem Umfang beanspru-
     halten an den überholten Direkt-      Reformwille in Europa derzeit         chen. Eins scheint damit zumin-
     zahlungen ihre eigenen Umwelt-        nicht sehr ausgeprägt ist und die     dest klar: Die in der Vergangen-
     ziele. Wenig Interpretationsspiel-    Aussichten für eine grundlegende      heit bewährte Methode, Agrar-
     raum lässt wie gewohnt die Sicht      Agrarreform gegen Null gehen.         kompromisse mit zusätzlichen
     von Greenpeace. Es stehe außer        Die Wissenschaft ist sich denn        Brüsseler Milliarden zu befördern,
     Frage, so die Umweltorganisation,     auch ihrer neuerlichen Zuschauer-     wird diesmal nicht funktionieren.
     auch die künftige EU-Agrarpolitik     rolle mit beschränktem Einfluss       Es wird noch viel Schweiß der
     werde weiter „Familienbetriebe        auf das aktuelle Spielgeschehen       Edlen kosten, die GAP-Kuh vom
     zerstören und Industrieunterneh-      oder gar den Spielausgang sehr        Eis zu bringen. Rainer Münch

                                                                         | ASG | Ländlicher Raum | 02/2018 |
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