Volle Unterstützung: Eltern und Schule - nds-zeitschrift.de

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5-2017

                                                                                  Landtagswahl: Schwarz-Gelb voraus?
                                                                                  Kopfbedeckungen in der Schule
                                                                                  Pädagogische Architektur: Phase Null
                                                                                  Lehrkräftemangel nimmt zu
                                                                                  Junge GEW beim Gewerkschaftstag
                                       DIE ZEITSCHRIFT DER BILDUNGSGEWERKSCHAFT   Teilstandorte: Konzeptlose Sparwut

                                       Volle Unterstützung:
                                       Eltern und Schule
69. Jahrgang Mai 2017 ISSN 0720-9673
K 5141
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Fotos: S. Ziese / M. Schulte
Eisaktion der GEW NRW

Gute Zutaten für schulische Inklusion
Mit einer ungewöhnlichen Eisaktion setzte die GEW           Besuch ab. Ihre Wahl: Chili, um die besondere Bedeutung
NRW ein Zeichen für gute Inklusion – und das gleich         von Fortbildungen im Inklusionsprozess zu betonen.
zwei Mal: beim Maiempfang des DGB NRW am 26. April          Am 1. Mai 2017 bei der zentralen Maikundgebung
2017 in Dülmen und bei der zentralen Maikundgebung          in Köln mit Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und
am Tag der Arbeit in Köln. Am Eiswagen der GEW              dem DGB-Landesvorsitzenden Andreas Meyer-Lauber
NRW konnten die Besucher*innen ihr persönliches Eis
                                                            kam der Eiswagen der GEW NRW ebenfalls gut an:
kreieren. Die unterschiedlichen Zutaten – von süß bis
                                                            Viele der 5.000 Teilnehmer*innen auf dem Heumarkt
feurig – symbolisierten die Bausteine für gute Inklusion:
                                                            mischten trotz des schlechten Wetters ihr persönliches
Wer auf kleine Klassen, Multiprofessionalität und einen
schulscharfen Sozialindex setzte, bekam vom Eismann         Inklusionseis. Bei den meisten Lehrkräften hoch im Kurs:
eine exotische Mischung aus Mango, bunten Streuseln         Mango, Pralinen, Erdbeeren und Schokolinsen – kleinere
und einer Prise Pfeffer. So gingen in Dülmen etwa 100       Klassen, der Wunsch nach einer zentralen Anlaufstelle für
individuelle Eisportionen über die Theke. Auch Schulmi-     Inklusion sowie mehr Zeit und Personal für die Schulen.
nisterin Sylvia Löhrmann stattete dem Eismann einen                              Simone Flissikowski, Frauke Rütter
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nds 5-2017 3

Mythos Elternwille
   Die Schulentwicklung folgt dem Elternwillen. Das sagt die Landespolitik seit Jahren. Glückliche
Eltern also, deren Vorstellungen von guter Schule, deren Schulwahl für ihre Kinder und deren
Mitwirkung in schulischen Angelegenheiten so entscheidend sind. Ein Mythos, denn die Schul-
politik setzt enge Grenzen! Aktuelle Beispiele sind die Inklusion und die Weiterentwicklung des
wohnortnahen Schulangebots. Hier weist die Landespolitik die Verantwortung weit von sich: Wir
schließen keine Schulen, wir gründen keine Schulen – die Eltern entscheiden. Die Schulträger
verweisen auf knappe Kassen, gehen die interkommunale Zusammenarbeit zögerlich an oder
suchen ihr Heil in Privatschulen.
   Im Ergebnis gibt es – trotz Schulkonsens – in vielen Städten und Gemeinden noch immer zu          Maike Finnern
wenig Plätze in Schulen des längeren gemeinsamen Lernens. Anderswo gibt es Probleme, weil das        stellvertretende Vorsitzende
gegliederte System nicht mehr vollständig vorhanden ist und die Bereitschaft zur umfassenden         der GEW NRW
Schulreform fehlt. Sieht so der Elternwille aus? Was nützt es, wenn Eltern formal das Recht haben,
den Ort für die sonderpädagogische Förderung ihres Kindes zu bestimmen, wenn die Landespolitik
verbindliche Qualitätsstandards für das Lernen an allen Förderorten verweigert? Sieht so eine
gute Wahlmöglichkeit aus?
Den einen Elternwillen gibt es nicht
   Eltern sind nicht gleich Eltern. Worin also soll der Elternwille bestehen? Während die einen
die Schulformen des gegliederten Systems präferieren, wollen andere dessen Überwindung. Nur
ein Teil der Eltern nutzt die Möglichkeit der freien Grundschulwahl, um für ihr Kind die beste
Schule zu finden, und wer will es ihnen verdenken? So verstärkt das Wahlverhalten der Eltern die
Segregation – Marktmechanismen, die immer auch Verlierer*innen produzieren. Einig sind die
Eltern vor allem darin, was sie ablehnen: G8 zum Beispiel. Von einem Konsens über die Alternative
sind sie jedoch weit entfernt.
   Unterschiedliche Vorstellungen von Eltern finden nicht zuletzt Ausdruck in den politischen
Positionen der Elternverbände, die schließlich Interessenvertretungen ihrer jeweiligen Schulform
sind. Im Landtag hat zuletzt die Opposition Überlegungen zur Bildung einer einheitlichen, schul-
formunabhängigen Elternvertretung als unnütze Einheitsschulideologie bezeichnet, die vermeintlich
das wahre Gesicht der rot-grünen Schulpolitik zeigten: Gleichmacherei und Druck von oben. Die
Schulentwicklung folgt dem Elternwillen. Fragt sich nur: Welchem?
Eltern als wichtige politische Pressure-Group
   Aus gewerkschaftlicher Sicht wäre es gut, wenn die in der jetzt zu Ende gehenden Legislatur-
periode unternommenen Anstrengungen, die Elternmitwirkung zu stärken, in den kommenden
Jahren fortgeführt würden. Alle Fraktionen haben sich dazu bekannt, ein weiteres Forum für
Elterninteressen zu schaffen, in dem Landeselternorganisationen, Stadt- und Kreisschulpfleg-
schaften zusammenkommen sollen. Auch wenn sich schulpolitische Vorstellungen unterscheiden:
Wenn es um Forderungen an die Landespolitik und an die Schulträger geht – zum Beispiel nach
kleineren Klassen und sauberen Toiletten –, dürften die Interessen von Bildungsgewerkschaft und
Elternverbänden nah beinanderliegen.
   Vordergründig hilft der Landesregierung der Mythos, der Elternwille sei entscheidend für die
Schulentwicklung oder gar die Schulpolitik. Sie macht sich einen schlanken Fuß. Wer aber ständig
Erwartungen enttäuscht, kriegt irgendwann die Quittung. Vielleicht ist das auch der Grund, warum
man mit Schulpolitik Wahlen verlieren kann. //
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4 INHALT

                    THEMA                                                    BILDUNG

                                                   18                                                        10

                Volle Unterstützung:                                     NRW-Landtagswahl 2017
                 Eltern und Schule                                        Schwarz-Gelb voraus?
                                                                                  Seite 8
              Elternmitwirkung in NRW
                Gutes besser machen
                                                                 Kommentar zur NRW-Landtagswahl 2017
                      Seite 18                                      Zuhören, entscheiden, handeln.
                                                                                  Seite 9
                Die neue Elternmacht
                 Druck von draußen
                                                                      Kopfbedeckungen in der Schule
                      Seite 20                                 Religiöse Freiheit und offene Kommunikation
                                                                                 Seite 10
     Im Gespräch mit der Gesamtschule Langerfeld
           Hand in Hand Schule gestalten
                                                           PISA-Sonderauswertung zu sozial-emotionalen Faktoren
                      Seite 22                                Wie das Wohlbefinden den Lernerfolg beeinflusst
                                                                                 Seite 12
        Umgang mit herausfordernden Eltern
        Wie Lehrer*innen Gelassenheit lernen
                                                               Kooperatives Erarbeiten von Bildungsbauten
                      Seite 24                                 Phase Null: Lernraum gemeinsam entwickeln
                                                                                 Seite 14

                                                        Lehrkräftemangel nimmt zu – lehramtsspezifisch und regional
                                                                            Schulen am Limit
                                                                                 Seite 16

                                                              Leitlinien für Lehrkräfte im Gemeinsamen Lernen
                                                                               Ein langer Prozess
                                                                                 Seite 17
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         ARBEITSPL ATZ

                                                                    IMMER IM HEFT

                                                                    Nachrichten           Seite 6

                                                                    Weiterbildung         Seite 32

                                                                    Jubilare              Seite 33

                                                                    Infothek              Seite 34

                                                                    Termine               Seite 38

                                                                    Impressum             Seite 39

                                                  28

             Tag der Arbeit 2017                       Dieser nds ist für alle Beamt*innen und Versorgungs-
         Wir sind viele. Wir sind eins.                empfänger*innen die aktuelle Besoldungstabelle beigelegt.
                                                       Sollte sie in Ihrer Ausgabe versehentlich fehlen, geben Sie
                   Seite 26
                                                       uns gern Bescheid per E-Mail an poststelle@gew-nrw.de.

Die junge GEW NRW beim Gewerkschaftstag
                                                       Dieser nds liegt der GEW-Wandplaner für das Schuljahr
       Für uns geht es um Solidarität
                                                       2017 / 2018 bei – und zwar für die Mitglieder, deren Unter-
                   Seite 28                            gliederungen dies veranlasst haben. Sollte der Wandplaner
                                                       in Ihrer Ausgabe versehentlich fehlen, wenden Sie sich bit-
Strategiekonferenz zur Situation der Lehrkräfte        te an Ihre GEW vor Ort. Einzelexemplare können per E-Mail
             in der Weiterbildung                      angefordert werden: poststelle@gew-nrw.de.
         Gemeinsam mehr erreichen
                   Seite 30

         Schulen mit Teilstandorten
           Konzeptlose Sparwut
                   Seite 31
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6 NACHRICHTEN

Außerschulische Nachhilfe – wer kann sich‘s leisten?
                                                                                                                                           Statt im Bildungssystem verursachte soziale Ungleichheiten zu verrin-
  Wohlhabende Eltern helfen nach                                                                                                        gern, verstärkt kommerzielle Nachhilfe sie eher: Bezahlte Nachhilfestunden
                                                                                                                                        bekommen 13 Prozent der Kinder aus armen Elternhäusern, die weniger
  Je nach Einkommen der
                                                                                                                                        als die Hälfte des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. In der
  Eltern bekommen so viele
  Kinder bezahlte Nachhilfe ...                                                                                                         Mittelschicht sind es um die 20 Prozent. Bei Familien, die mehr als das
                                                                                                                                        Doppelte des mittleren Einkommens verdienen, hat knapp jedes dritte
                                                                                                                                        Kind eine*n Nachhilfelehrer*in. Zu diesen Ergebnissen kommt die Studie
                                                                                                                                        „Außerschulische Nachhilfe. Ein prosperierender Bildungsmarkt im Span-
                                                                                     Nach Angaben von Privaten Nachhilfe-
                                                                                                                                        nungsfeld zwischen kommerziellen und öffentlichen Interessen“ der Uni-
                                                                     30 %

                                                                                     instituten* besuchen die geförderten
                                                                                     Schüler überwiegend ...                            versität Duisburg-Essen, gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung. Jedes
                                       21 %
                         20 %

                                                      20 %

                                                                                                                                        Jahr wird mehr als eine Milliarde Euro für Nachhilfestunden ausgegeben.
            15 %

                                                                                        Gymnasien                                86 %
   13 %

                                                                                                                                        Die Gründe für das Wachstum sehen die Bildungsforscher*innen in zu-
                                                                                      Realschulen                         72 %
                                                                                                                                        nehmender Unzufriedenheit der Eltern mit dem öffentlichen Schulsystem,
            50 -
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nds 5-2017 7

432 Delegierte aus allen 16 Landesverbänden entschieden über die politischen Leitlinien   Die junge GEW NRW begrüßte neue Gesichter bei ihrer Mitgliederversammlung im
der Bildungsgewerkschaft in den nächsten vier Jahren.        Foto: K. Herschelmann       DGB-Haus in Essen.                                     Foto: junge GEW NRW

28. Gewerkschaftstag der GEW                                                              Neues Team der jungen GEW NRW
   Die Delegation der GEW NRW hat Spuren auf dem 28. Gewerkschaftstag                        Bei der Mitgliederversammlung der jungen GEW NRW am 29. April 2017
der GEW in Freiburg hinterlassen: Ganz oben auf der Tagesordnung stand                    tauschten sich erfahrene und neue Mitglieder über die GEW als Mitmach-
der Dringlichkeitsantrag „Lehrkräftemangel bekämpfen – Schulqualität                      gewerkschaft aus. Zwei Workshops und Nachwahlen standen im Fokus.
sichern – Schulreformen offen halten“, der vor dem Hintergrund des akuten                 Frederik Trapp, bis dato Mitglied des Leitungsteams der jungen GEW NRW,
Lehrkräftemangels von insgesamt neun Landesverbänden eingebracht                          trat zurück. Spontane Nachrückerin war Hannah Heisterkamp. Alle fünf
und einstimmig beschlossen wurde. In dieser Entschließung wird die                        freigewordenen Plätze im Ausschuss konnten neu besetzt werden: Swantje
Politik aufgefordert, „ausreichend Ressourcen bereit zu stellen und die                   Aldag, Lehrerin; Frederike Thole, Promovierende; Marvin Weißmann, Refe-
Verteilung so zu steuern, dass in allen Regionen sowohl gleichwertige                     rendar; Mischa Luy, SHK-Rat, und Sine Derichsweiler, Studierende. Mehr
Bildungschancen als auch gleichwertige Arbeitsbedingungen gewähr-                         dazu unter www.tinyurl.com/mitmachgewerkschaft. Melanie Meier
leistet werden. Länder und Kommunen müssen attraktive Angebote
für Lehrkräfte in strukturschwachen Regionen bzw. solchen mit akuten
Lehrkräftemangel entwickeln.“ Wie wichtig der Delegation die Solidarität,
Integration und Ermöglichung von Partizipation von Zugewanderten
und Geflüchteten ist, zeigen zwei weitere Anträge aus NRW, die vom
Gewerkschaftstag einstimmig angenommen wurden. Maßgeblich von
NRW mitgetragen wurde der Entschluss zur Fortsetzung der Kampagne
„JA 13 – weil Grundschullehrer*innen es verdienen“, mit der die GEW
für gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit im Schulbereich eintritt. Mit
wenigen Änderungen hat der Gewerkschaftstag fast einstimmig die
umfangreichen „Leitlinien für eine innovative Lehrer*innenbildung“
beschlossen und damit die zweijährige konzeptionelle Arbeit des Zukunfts-
forums Lehrer*innenbildung zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht.
Mehr dazu unter www.tinyurl.com/nrw-delegation, www.tinyurl.com/
junge-gew-nrw-delegation und www.gew-gewerkschaftstag.de.bp                              Marlis Tepe und Dorothea Schäfer vor der Landespressekonferenz unter der Überschrift
                                                                                          „Kurswechsel in der Bildungspolitik – Mehr Geld für die Bildung!“. Foto: B. Butzke

Englischunterricht ab Klasse 1                                                            Marlis Tepe auf Bildungsreise
   Kinder, die in der ersten Klasse mit dem Englischunterricht beginnen,                     Die Vorsitzende der GEW, Marlis Tepe, ist auf Bildungsreise durch
sind sieben Jahre später schlechter in diesem Fach als Kinder, die erst in                Deutschland: Nach Schleswig-Holstein war am 24. April 2017 NRW an
der dritten Klasse in die Fremdsprache einsteigen. Zu diesem Ergebnis                     der Reihe. Vom Düsseldorfer Landtag mit Landespressekonferenz über
kommt ein Team um Dr. Nils Jäkel und Prof. Dr. Markus Ritter von der                      das Ruhrgebiet bis nach Münster ist sie gemeinsam mit Dorothea Schäfer,
Ruhr-Universität Bochum. Dorothea Schäfer, Vorsitzende der GEW NRW,                       Landesvorsitzende, quer durchs Land gefahren. Marlis Tepe traf unter
ordnet die Studie so ein: „Das Ergebnis überrascht. Es sollte aber nicht zu               anderem NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann und den Personalratsvor-
einer Ausweitung des Englischunterrichts ab Klasse 3 führen. Es kommt                     sitzenden der wissenschaftlich Beschäftigten der Westfälische Wilhelms-
nicht nur auf die Zahl der Unterrichtsstunden, sondern auch auf den                       Universität Münster Detlef Berntzen. In den Gesprächen ging es um die
Sprachentwicklungsstand des Kindes an.“ Die Forscher*innen werteten                       Initiative „Bildung. Weiter denken!“, um die globale Bildungskampagne
Daten aus einer Längsschnittstudie aus, die zwischen 2010 und 2014                        „Weltklasse“, in der sich die GEW engagiert, und um die Grundfinanzierung
durchgeführt wurde. Nils Jäkel analysierte mit seinen Kolleg*innen aus                    der Hochschulen in NRW. Weiter ging es für Marlis Tepe in Thüringen am
Bochum und von der Technischen Universität Dortmund Daten von 5.130                       16. Mai 2017. Mehr dazu unter www.tinyurl.com/hochschulen-finan-
Schüler*innen von 31 Gymnasien in NRW.                         RUB /kue                  zierung und www.tinyurl.com/tepe-schaefer-reise.krü
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8 BILDUNG

NRW-Landtagswahl 2017

Schwarz-Gelb voraus?
Bereits bei den Prognosen am Wahlabend stand

                                                                                                                                                            Illustrationen: PureSolutions / shutterstock.com
fest: Rot-Grün ist abgewählt, die CDU gewinnt die
Landtagswahl in NRW, Armin Laschet wird neuer
Ministerpräsident. Nachdem die SPD am Tag
nach der Wahl beschlossen hatte, das Votum der
Wähler*innen zu akzeptieren und nicht mit dem
Wahlsieger zu koalieren, ist die einzige Option für
die CDU eine Koalition mit der FDP. Disziplin ist
gefragt, denn CDU und FDP verfügen mit 100 von
199 Sitzen über eine nur knappe Mehrheit.

   Die GEW NRW gratuliert Armin Laschet und         wunderlich, dass sie zugleich die angespannte       ausfalls und die Einrichtung einer ordentlichen
der CDU zum Wahlsieg. An der Bereitschaft zur       Haushalts- und Finanzsituation anführt, um          Vertretungsreserve von zusätzlichen Stellen in
Kooperation mit der Landespolitik kann bei der      die Angleichung zeitlich zu staffeln. Erfreulich,   Höhe von acht Prozent je Schule.
Bildungsgewerkschaft kein Zweifel bestehen,         dass die CDU anstrebt im Einvernehmen mit              Übereinstimmung oder Dissens? Das klärt sich
denn unsere bildungspolitischen Ziele und bes-      den Lehrer*innenverbänden einen Stufenplan          am besten, wenn die unter Rot-Grün verbesserten
sere Arbeitsbedingungen für unsere Mitglieder       zur Umsetzung zu entwickeln.                        Beteiligungsmöglichkeiten in der Bildungskon-
sind anders nicht zu erreichen.                        Bereits im Wahlkampf hat die GEW NRW             ferenz und an Runden Tischen beibehalten
                                                    jedoch ebenso deutlich Kritik an bestimmten         werden. Die GEW NRW ist zur Teilnahme bereit.
Übereinstimmung und Dissens
                                                    Ankündigungen der beiden (mutmaßlichen)             Ambitionierte Pläne
   Nimmt man die – in Teilen differierenden –
                                                    Regierungsparteien in spe geübt. Das Spektrum
Wahlkampfaussagen von CDU und FDP zur                                                                      Das „18-Punkte-Sofortprogramm“ der CDU
Grundlage, so zeichnen sich deutlich Themen-        reicht von der Wiederbelebung des Hochschulfrei-
                                                                                                        für die ersten 100 Regierungstage ist sehr am-
felder ab, in denen die Ziele der beiden Parteien   heitsgesetzes mit der Möglichkeit der Erhebung
                                                                                                        bitioniert: Es umfasst die Ermöglichung eines
mit denen der GEW NRW übereinstimmen.               von Studienbeiträgen bis zur Schaffung einer        echten G9 und die Einführung der digitalen
Angekündigt wurden zum Beispiel eine Verbes-        Wahlmöglichkeit der Gymnasien zwischen G8           Erfassung des Unterrichtsausfalls. Es sieht eine
serung der Schüler*innen-Lehrer*innen-Relation,     und G9. Sogar eine Unterrichtsgarantie auf          Unterrichtsgarantie mit Einstellungsoffensive
mehr Lehrer*innen und eine auskömmliche             Grundlage einer täglichen Erfassung des Unter-      vor, damit die Lehrkräfteversorgung an den
Vertretungsreserve. Zur Besoldungsstruktur der      richtsausfalls wurde im Wahlkampf in Aussicht       Grundschulen schnell auf 105 Prozent steigt.
Lehrkräfte hat die CDU zwar nicht ausdrücklich      gestellt. Für die GEW NRW ist klar: Messen allein   Es kündigt ein Moratorium an, damit keine
Stellung bezogen. Sie hat jedoch deutliche          reicht nicht! Neue Software zur Erfassung kann      Förderschule mehr geschlossen wird. Es stellt die
Zustimmung zu dem rechtlichen Grundsatz             man einsetzen, mit ihrer Hilfe wird aber keine      Erhöhung der Investitionspauschale des Landes
signalisiert, dass eine gleichlange Ausbildung      einzige Stunde weniger ausfallen. Die einzige       für die Instandhaltung und Instandsetzung der
eine gleiche Bezahlung erfordert. Nicht ver-        Lösung: der Abbau des strukturellen Unterrichts-    Schulgebäude in Aussicht. Und es verspricht die
                                                                                                        Verabredung eines Sofort-Fahrplans zur Neuauf-
                                                                                                        stellung der Kita-Finanzierung. Große Pläne, bei
Sitzverteilung – NRW-Landtagswahl 2017                                         SPD              69     denen die GEW NRW genau hinschauen wird.
                                                                               CDU              72     Bildung gegen Spaltung
                                                                               FDP              28        Der Einzug der Rechtspopulist*innen, die
                                                                               AfD              16     weder für das Armutsproblem noch für andere
                                                                               GRÜNE            14     zentrale gesellschaftliche Aufgaben eine Lösung
                                                                                                        bieten können und Minderheiten offen diskri-
                                                                                                        minieren, wird die Arbeit des Landtags nicht
                                                                                                        verbessern. Gerade vor diesem Hintergrund
                                                                                                        wünschen wir uns als Gewerkschafter*innen,
                                                                                                        dass mehr soziale Gerechtigkeit bereits im Koali-
                                                                                                        tionsvertrag als Ziel verankert wird – ein Thema,
                                                                                                        das in vielen Wahlkampfreden auch von CDU
Quelle: Ministerium für Inneres und Kommunales Nordrhein-Westfalen, Landeswahlleiter                    und FDP zu hören war. //  Dorothea Schäfer
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  Kommentar zur NRW-Landtagswahl 2017

  Zuhören, entscheiden, handeln.
  Die Analysen nach der nordrhein-westfälischen Landtagswahl mach-
  ten das Scheitern von Rot-Grün schnell zu einem Scheitern rot-grüner
  Bildungspolitik. Vorsicht vor pauschalen Verurteilungen, meint die
  GEW NRW – auch mit Blick auf die kommende Landesregierung.

     Es war nicht die Schulpolitik von SPD und         schule noch eine dauerhafte Bestandsgarantie               vorbildliches Recht, das die gleichlange und
  GRÜNEN in Gänze, die wesentlich zu ihrer Ab-         angesichts der demografischen Entwicklung und              gleichwertige Lehrerausbildung einführte. Auf
  wahl beigetragen hat. Es waren vielmehr die          des veränderten Wahlverhaltens der Eltern?                 die besoldungsrechtlichen Konsequenzen ver-
  Umsetzung der Inklusion und der Versuch, die         Ironie der Geschichte, dass die unterbliebene              zichteten sie allerdings. Nun ist es an der Zeit,
  schwarz-gelbe Variante der Schulzeitverkürzung       Reform der schwarz-gelben Schulzeitverkürzung              die in Teilen verfassungswidrige Besoldung der
  akzeptabel zu machen. Hier wären deutliche Kor-      der rot-grünen Landesregierung nun nicht zuletzt           Lehrer*innen endlich zu korrigieren. Ein gutes
  rekturen erforderlich gewesen. Nicht zuletzt die     die Bilanz verhagelt hat.                                  Projekt zum Einstieg in eine Politik, die zuhört
  GEW NRW hat den Finger in die Wunde gelegt              Die rot-grünen Korrekturen waren erforder-              und dann handelt. Es wäre zum Start in die
  und gut begründete Kritik vorgetragen. Leider        lich, weil die Schulpolitik von 2005 bis 2010              Legislaturperiode zudem ein gutes Signal der
  erwies sich die rot-grüne Koalition in diesen Fra-   eine merkwürdige Mischung aus ideologisch                  neuen Landesregierung dafür, dass zu guter Bil-
  gen jedoch als weitgehend beratungsresistent.        konservativer und neoliberaler Politik war, die            dungspolitik auch bessere Arbeitsbedingungen
     Zur Schulpolitik von SPD und GRÜNEN               scheitern musste. Damals erwiesen sich die nun             und bessere Bezahlung gehören. Die Vorschläge
  gehörten aber auch mehr Beteiligung durch            vermutlich erneut gemeinsam regierenden Par-               der GEW NRW liegen auf dem Tisch. //
  Bildungskonferenz und Runde Tische, der in           teien als ebenso beratungsresistent wie zuletzt
  der Bildungskonferenz entwickelte Schulkon-          Rot-Grün in Sachen Inklusion. Wer nun mit dem
  sens mit dem folgenden Ausbau des längeren           Motto antritt, erst zuhören, dann entscheiden               www.     GEW NRW: Aktuelles und Hintergründe
                                                                                                                            zur Landtagswahl 2017
  gemeinsamen Lernens, die Abschaffung der             und handeln zu wollen, muss anders agieren. An
                                                                                                                            www.gew-nrw.de/landtagswahl-nrw-2017
  Studiengebühren oder der Ausbau des Ganztags.        der GEW NRW wird der konstruktive Dialog und
  Und nicht zuletzt war es ein Segen, dass zentrale    die gemeinsame Suche nach besten Lösungen bei
  Elemente der schwarz-gelben Schulpolitik der         der Priorität für Bildung sicher nicht scheitern.                          Dorothea Schäfer
  Jahre 2005 bis 2010 korrigiert wurden. Wer              CDU und FDP haben in ihrer Regierungszeit                               Vorsitzende der GEW NRW
  trauert den Kopfnoten nach? Wer vermisst die         mit der Novellierung des Lehrerausbildungsge-
  verbindliche Schulformempfehlung und den             setzes 2009 gezeigt, dass sie auch anders kön-
  Prognoseunterricht? Wer gibt heute der Haupt-        nen. Sie schufen ein modernes und bundesweit

                                                                                                     Wir machen das
                                                                                                     anders als andere
                                                                                                                                                www.debeka.de/socialmedia

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10 BILDUNG

Kopfbedeckungen in der Schule

Religiöse Freiheit und
offene Kommunikation
Nach den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 28. Januar 2015                              zu, selbstverständlich auch dem Islam und dem
und der darauf folgenden Änderung des Schulgesetzes ist klar: Lehrerinnen dürfen                             Judentum. Folgerichtig heißt es im nordrhein-
in NRW grundsätzlich mit Kopftuch unterrichten. Aber wie ist es mit den anderen                              westfälischen Schulgesetz (SchulG): „Die Schule
am Schulleben Beteiligten? Welche Hinweise gibt das nordrhein-westfälische                                   ist ein Raum religiöser und weltanschaulicher
(Schul-)Recht?                                                                                               Freiheit.“ (§ 2 Absatz 7 Satz 1 SchulG NRW)
                                                                                                                 Folglich können Hidschab und Tschador – For-
   Ein neunjähriges Mädchen kommt plötzlich           Bekenntnisfreiheit – also das Recht darauf, eine       men des Kopftuchs, die das Gesicht freilassen –
mit Kopftuch in die Schule – kann man ihr das         Religion zu haben und auszuüben – als auch die         und auch die Kippa von Eltern, Lehrer*innen und
verbieten? Eine vollverschleierte junge Frau          negative – also nicht glauben zu müssen und            Schüler*innen in der Schule getragen werden.
meldet sich im Weiterbildungskolleg an – mit          nicht vom Glauben bedrängt zu werden. Auch             Auch eine Schulordnung kann dies nicht so
Aussicht auf Erfolg? Ein junger Mann jüdischen        Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskon-          weitgehend einschränken.
Glaubens kommt mit Kippa in eine Schule, deren        vention (EMRK) gewährleistet die Glaubensfrei-             Schüler*innen sind wegen der aus Artikel 7
Schulordnung das Tragen von Kappen verbietet –        heit in diesen Ausprägungen, allerdings anders         GG herzuleitenden Schulpflicht gezwungen, in
darf er die Kippa anbehalten? Eine vollverschlei-     als das GG mit „Gesetzesvorbehalt“. Das bedeutet,      die Schule zu gehen, und empfinden es vielfach
erte Frau begehrt Einlass in die Schule, sie möchte   dass der innerstaatlich zuständige Gesetzgeber         als ihre religiöse Pflicht, in der Öffentlichkeit das
ihr Kind abholen – geht das? Dies sind alles Fälle,   dieses Grundrecht per Gesetz einschränken oder         Kopftuch oder die Kippa zu tragen. Würde man
die der Presse der letzten zwei Jahre entnommen       die Verwaltung gesetzlich zur Einschränkung            von ihnen verlangen, die Kopfbedeckung abzu-
sind. Eine Statistik dazu wird nicht geführt.         ermächtigen kann. Das Erziehungsrecht der              legen, so würden sie in einen unausweichlichen
   Innerhalb der religiösen Gemeinschaften            Eltern aus Artikel 6 GG verbürgt die Freiheit der      Konflikt geraten. Daher ist ihnen grundsätzlich
werden Kopftuch und Kippa unterschiedlich             Eltern, die Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen.       das Tragen eines Kopftuchs oder einer Kippa in
                                                      Demgegenüber steht Artikel 7 GG mit dem                der Schule zu erlauben.
bewertet: Das Tragen des Kopftuchs geht auf
                                                      staatlichen Erziehungsauftrag.                             Aber wie ist es mit den Vollverschleierungen,
das Bedeckungsgebot im Koran zurück: Sure
                                                         Ferner spielt das Religionsverfassungsrecht         also Nikab und Burka? Gilt die religiöse Freiheit
24, Vers 31 und Sure 33, Vers 59. Beide Suren
                                                      eine Rolle. Es ist festgehalten in Artikel 140 GG,     in der Schule unbegrenzt? Das Tragen einer
sind nicht eindeutig. Von Bedeckung der Haare
                                                      der auf weitergehende Vorschriften der Weimarer
und des Gesichts ist wörtlich nicht die Rede. Das                                                            Gesichtsverhüllung verstößt gegen die Mitar-
                                                      Reichsverfassung verweist, nämlich Artikel 136
Kopftuchgebot ist daher auch innerislamisch                                                                  beitspflicht aus § 42 Absatz 3 SchulG. Eine
                                                      bis 141. Für den Personalbereich sind zudem
umstritten. Das Bedeckungsgebot wird teilwei-                                                                Nikab tragende Schülerin kann nicht identifiziert
                                                      einschlägig: Artikel 33 GG, das den Zugang
se im Islam als unbedingte Pflicht angesehen,                                                                werden. Die Gesichtsverhüllung verhindert die
                                                      zu öffentlichen Ämtern regelt, das Grundrecht
teilweise auch nicht. Politisch wird das Kopftuch                                                            Erfüllung des Unterrichtsauftrags der Schule
                                                      der Berufsfreiheit aus Artikel 12 GG, das Dis-
als Symbol männlicher Unterdrückung der Frau                                                                 aus pädagogischer Sicht, denn erst die nonver-
                                                      kriminierungsverbot aus Artikel 3 GG sowie die
bewertet. Bei der Kippa gibt es innerjüdisch                                                                 bale Kommunikation durch Mimik und Gestik
                                                      allgemeine Handlungsfreiheit aus Artikel 2 GG.
ebenfalls geteilte Aussagen über die Pflicht, wo                                                             ermöglicht die soziale Interaktion im Klassenver-
und wann der Kopf zu bedecken sei.                    Schule ist ein Raum religiöser Freiheit                band. Außerdem können Probleme beim Sprach-
                                                         In Deutschland gibt es also keinen Laizismus,       verständnis entstehen, weil die Sprache unter
Zwischen Religionsfreiheit, Elternrecht                                                                      dem Schleier gedämpft und deswegen schwer
                                                      auch die Landesverfassung (LV) ist offen für Religi-
und staatlichem Erziehungsauftrag                                                                            verständlich ist. Ferner besteht bei Versuchen
                                                      on in der Schule, wie sich aus dem Erziehungsziel
   Aus juristischer Sicht geht es im Schulbereich     „Ehrfurcht vor Gott“ (Artikel 7 Absatz 1 LV NRW)       in den naturwissenschaftlichen Fächern durch
um eine Abwägung zwischen der Religionsfrei-          und aus der Offenheit für christliche und andere       den Schleier Verletzungsgefahr. Schließlich leidet
heit, dem Elternrecht und dem staatlichen Erzie-      Bekenntnisse in der Gemeinschaftsschule (Artikel       auch die Interaktion unter den Schülern*innen,
hungsauftrag in der Schule. Artikel 4 Grundgesetz     12 Absatz 3 LV) ergibt. Diese Offenheit kommt          weil durch die Vollverschleierung der Aufbau
(GG) verbürgt sowohl die positive Glaubens- und       allen religiös-weltanschaulichen Überzeugungen         von sozialen Beziehungen beeinträchtigt wird.
nds 5-2017 11

                                                                                                      Fotos: Inkje / photocase.de, ra2studio / shutterstock.com
                                                                                                                                                                  Verständigung in den schulischen Gremien
                                                                                                                                                                  oder im Elterngespräch ist nur möglich, wenn
                                                                                                                                                                  alle Beteiligten nicht nur die jeweiligen Worte
                                                                                                                                                                  hören, sondern auch die Mimik der anderen
                                                                                                                                                                  wahrnehmen können.
                                                                                                                                                                  Rechtliche Grundsätze
                                                                                                                                                                  für den Schulalltag
                                                                                                                                                                     Zusammenfassend ergeben sich damit fol-
                                                                                                                                                                  gende Grundsätze für den Umgang mit verschlei-
                                                                                                                                                                  erten Schülerinnen und Eltern im Schulalltag:
                                                                                                                                                                  ◆◆ Das Tragen des Kopftuchs ohne Gesichts-
                                                                                                                                                                     verhüllung ist an nordrhein-westfälischen
                                                                                                                                                                     Schulen generell erlaubt. Dasselbe gilt für
                                                                                                                                                                     die Kippa.
                                                      auch die eingangs erwähnte vollverschleierte                                                                ◆◆ In NRW hat ein generelles Verbot, auf dem
  Rechtslage an                                       Frau nicht in das Weiterbildungskolleg aufge-                                                                  Schulgelände Gesichtsverhüllungen zu tra-
                                                      nommen werden.
  privaten Schulen                                                                                                                                                   gen, keine Grundlage im Schulgesetz.
                                                                                                                                                                  ◆◆ Schülerinnen dürfen jedenfalls im Unter-
                                                      Verschleierte Mütter: Identifizierung
  An privaten Schulen ist der Sachverhalt grund-
                                                      und Kommunikation ermöglichen                                                                                  richt keine Gesichtsverhüllung tragen.
  sätzlich ein anderer, denn sie sind nach § 101
  Absatz 3 SchulG berechtigt, sich eine besondere                                                                                                                 ◆◆ Eltern im Allgemeinen kann ohne Differen-
                                                          Zum Umgang mit verschleierten Müttern in
  pädagogische, religiöse oder weltanschauliche                                                                                                                      zierung per Schulordnung das Betreten des
  Prägung zu geben. Daher können private Schulen      der Schule gibt es bisher keine Rechtsprechung.
                                                                                                                                                                     Schulgeländes untersagt werden.
  im Schulvertrag mit den Eltern jegliche religiöse   Die vollverschleierte Mutter macht von ihrer Reli-
                                                                                                                                                                  ◆◆ Liegt eine konkrete Gefahr vor, kann
  Bekleidung ausschließen und insbesondere auch       gionsfreiheit und – indem sie zur Schule kommt –
  eine einheitliche Schulbekleidung vorschreiben.                                                                                                                    verschleierten Personen das Betreten
                                                       zugleich auch von ihrem Elternrecht Gebrauch.
                                                                                                                                                                     des Schulgeländes im Einzelfall verboten
                                                      Das Schulgesetz regelt diese Konstellation nicht
                                                                                                                                                                     werden.
Kopfbedeckung – ja,                                   explizit. Deshalb lässt sich in diesen Fällen nur
                                                                                                                                                                  ◆◆ Von gesichtsverschleierten Müttern kann
Vollverschleierung – nein                             aus allgemeinen Grundsätzen schöpfen: Die
                                                                                                                                                                     ein Heben des Schleiers zur Identifizierung
                                                      Grundrechte der Mutter werden eingeschränkt
   Daher ist eine Abwägung zwischen der Glau-                                                                                                                        verlangt werden.
                                                      vom staatlichen Erziehungsrecht aus Artikel 7
bensfreiheit (Artikel 4 GG) und dem staatlichen                                                                                                                   ◆◆ In Mitwirkungsgremien und in Gesprächs-
                                                      GG. Dieses gebietet, für die Sicherheit in der
Bestimmungsrecht im Schulwesen (Artikel 7                                                                                                                            situationen kann die Entfernung des
                                                      Schule und den Frieden in der Schule zu sorgen.
Absatz 1 GG) notwendig. Beide stehen sich                                                                                                                            Schleiers verlangt werden. //
                                                      Dabei muss gleichzeitig die Werteordnung des
grundsätzlich gleichrangig gegenüber. Nach
                                                      Grundgesetzes beachtet werden. Das bedeutet,
dem Grundsatz der praktischen Konkordanz
                                                      dass den Grundrechten der Einzelnen weitest-
ergänzen sie sich wechselseitig in einer Weise,
                                                      mögliche Geltung zu verschaffen ist.
die weder das eine noch das andere bevorzugt
                                                          Per Schulordnung kann geregelt werden, dass                                                                     Bayerischer Verwaltungsgerichtshof: Keine
oder maximal behauptet. Es ist daher immer            Eltern das Schulgelände nicht betreten dürfen –                                                             PDF     gesichtsverhüllende Verschleierung im Un-
nach Lösungen zu suchen, die dem Grundrecht           es sei denn zum Elternsprechtag oder zu Schul-                                                                      terricht (Pressemitteilung zum Beschluss
die maximal mögliche Entfaltung sichert.              mitwirkungsveranstaltungen. Ein solches Verbot                                                                      vom 22. April 2014)
   Zunächst einmal gilt es zu klären, ob das Ziel                                                                                                                         www.tinyurl.com/vgh-bayern
                                                      ist aber nur generell und nicht mit spezifischem
auf andere Weise erreicht werden kann. Eine                                                                                                                       www.    GEW NRW: Schule braucht ein offenes
                                                      Bezug auf das Kopftuch möglich. Im Einzelfall ist                                                                   Gesicht
Ausweichmöglichkeit ist im Falle einer Vollver-       aber zulässig, einer vollverschleierten Mutter –                                                                    www.tinyurl.com/offenes-gesicht
schleierung für die Schule dann nicht annehm-         auf das Hausrecht gestützt – den Zutritt zum                                                                www.    GEW NRW: Entscheidung nicht den
bar, wenn sie zu einer Unterrichtsgestaltung          Schulgelände zu verwehren, da ihre Identität                                                                        Schulen überlassen
führt, die ihrem fachlichen Konzept, nämlich der                                                                                                                          www.tinyurl.com/entscheidung-schulen
                                                      nicht festzustellen ist. Sollte sie bereit sein, diese
offenen Kommunikation im Unterrichtsgespräch                                                                                                                      www.    Ilse Führer-Lehner: Konfliktstoff Kopftuch
                                                      offenzulegen, wird man ihr den Zutritt gewähren                                                                     (in: nds 4-2015)
im Gegensatz zu einseitigen Monologen der             müssen. Das gilt auch in den Fällen, in denen                                                                       www.tinyurl.com/konfliktstoff-kopftuch
Lehrkraft, in gravierender Weise zuwiderliefe.        vollverschleierte Mütter ihre Kinder abholen
So hat jedenfalls der Bayerische Verwaltungs-         möchten, sofern den Eltern dafür generell der
gerichtshof entschieden (Aktenzeichen: 7 C S          Zutritt zur Schule gewährt wird.
13.2592 und 7 C13.2593). Diese Grundsätze                 Bei Elternsprechtagen und in Pflegschafts-                                                                            Joachim Fehrmann*
gelten genauso auch in nordrhein-westfälischen        sitzungen müssen Mütter ihr Gesicht ständig                                                                               Gruppenleiter Schulrecht im
                                                                                                                                                                                Ministerium für Schule und
Schulen: Schüler*innen können also mit Kopf-          freilegen, damit Kommunikation in vollem Um-
                                                                                                                                                                                Weiterbildung NRW (*Der Beitrag
bedeckung, aber nicht gesichtsverschleiert zum        fang möglich ist. Das ergibt eine Gesamtschau                                                                             gibt die persönliche Meinung des
Unterricht gehen. Aus diesem Grund konnte             der Schulmitwirkungsbestimmungen. Denn eine                                                                               Autors wieder.)
12 BILDUNG

PISA-Sonderauswertung zu sozial-emotionalen Faktoren

Wie das Wohlbefinden
den Lernerfolg beeinflusst
Nachdem die OECD nicht zuletzt von den Bildungsgewerkschaften im-                                         OECD-Durchschnitt – und das obwohl die Ein-
mer wieder dafür kritisiert wurde, dass sie das schulische Lernen auf den                                 führung der verkürzten Gymnasialzeit subjektiv
Lernoutput in bestimmten Fächern reduziert, nimmt die Bildungsabtei-                                      zu einer Verdichtung der Lernanforderungen
                                                                                                          geführt hat.
lung der OECD nun in zunehmenden Maße auch Aspekte der sozialen
                                                                                                             In allen OECD-Ländern sehen die Mädchen
und emotionalen Entwicklung in den Blick. Dies spiegelt sich auch in der                                  ihre Lebenssituation kritischer und fühlen sich
PISA-Sonderauswertung der Daten von 2015 wider. In dieser Sonderaus-                                      von den Lehrkräften weniger unterstützt. Dies
wertung geht es um das Wohlbefinden („well-being“) der Schüler*innen                                      überrascht, da die „Problemkinder“ meist männ-
in der Schule.                                                                                            lich sind. Offensichtlich werden die ruhigen und
                                                                                                          arbeitsamen Mädchen in ihren Bedürfnissen
   Ausgewertet wurden die Zufriedenheit und             Inwieweit kann die GEW dennoch aus den
                                                                                                          gerne übersehen.
das Zugehörigkeitsgefühl von Schüler*innen           OECD-Daten Erkenntnisse für ihre bildungs
sowie auch ihr Zusammenleben und der Umgang          politische Argumentation gewinnen? Der Blick         Der Wunsch nach Zugehörigkeit
mit Mitschüler*innen und Lehrkräften. Die Ergeb-     auf die Rankingplätze im internationalen Ver-           In Hinblick auf das Zusammenleben in der
nisse basieren auf den Daten der PISA-Erhebung       gleich hilft dabei mit Sicherheit nicht weiter.      Schule zeigt die Sonderauswertung, dass Mob-
von 2015, an der 540.000 Schüler*innen aus 72        Die Ergebnisse beruhen auf Befragungen der           bing ein ernst zu nehmendes Problem zu sein
Ländern und Wirtschaftsräumen teilgenommen           Jugendlichen. Ihre Antworten sind kulturell          scheint. Deutschland liegt hier nicht über dem
haben. Unter well-being versteht die OECD die        konnotiert, weil beispielsweise bestimmte The-       OECD-Durchschnitt, aber immerhin geben circa
Gesamtheit der psychologischen, sozialen und         men in bestimmten Kulturen tabuisiert werden.
kognitiven Verfasstheit sowie die Einschätzung                                                            16 Prozent der Jugendlichen an, in der Schule
                                                     Auch die Sensibilität für soziale Ausgrenzung        Opfer von Mobbing geworden zu sein. Das ist
der Lebensqualität durch 15-jährige Lernende.        und Mobbing oder die Erwartungen an das              eine sehr hohe Zahl und macht deutlich, dass
Erkenntnisgewinn für die GEW?                        Verhalten von Schüler*innen oder Lehrer*innen        Handlungsbedarf besteht. Über die Sensibili-
   Dass sich die OECD-Bildungsabteilung nun          sind kulturell verschieden. Erkenntnisse sind also
                                                                                                          sierung aller pädagogischen Fachkräfte hinaus
auch der emotionalen Entwicklung der Ler-            eher aus den allgemeinen Ergebnissen und aus
                                                                                                          brauchen die Lehrkräfte mehr Zeit für die einzel-
nenden zuwendet, ist aus Sicht der GEW ambi-         nationalen Werten zu gewinnen. Natürlich sind
                                                                                                          nen Jugendlichen. Meistens bleibt in der Schule
valent zu sehen. Einerseits zeigt sich darin, dass   die Ergebnisse auch in großen Teilen wenig über-
                                                                                                          zu wenig Zeit, um Kindern und Jugendlichen für
die OECD die Einwände der Gewerkschaften             raschend und gehören zum Erfahrungsschatz
                                                                                                          persönliche Beratungsgespräche zur Verfügung
durchaus ernst nimmt und versucht, darauf zu         von Lehrkräften.
                                                                                                          zu stehen. Die Schulsozialarbeit ist häufig nicht
reagieren. Andererseits wird die emotionale
                                                     Weniger Leistungsdruck trotz Turboabi?               ausreichend mit Personal ausgestattet und der
und soziale Entwicklung der Jugendlichen in
                                                        Für die OECD-Bildungsabteilung dürften            schulpsychologische Dienst völlig überlaufen.
erster Linie als Wirtschaftsfaktor, als eine Art
                                                     einige Ergebnisse indes recht lehrreich sein.        Deshalb fordert die GEW eine Herabsetzung
„Veredelung“ des Humankapitals gesehen. Für
die GEW ist die sozial-emotionale Entwicklung        Die asiatischen Staaten wurden in den letzten        der Unterrichtsverpflichtung sowie einen be-
Teil eines ganzheitlichen Bildungsbegriffs. Die      Erhebungen stets euphorisch als PISA-Sieger          darfsgerechten Ausbau der Schulsozialarbeit
Bildungsgewerkschaft tritt für soziales Lernen       gefeiert. Nun zeigt sich, wie unglücklich die        und des schulpsychologischen Dienstes. Die
ein, weil sie für eine friedliche, demokratische     Jugendlichen in einem solchen Drill-System sind,     meisten Jugendlichen geben die Beziehung
und tolerante Gesellschaft steht. Sie begründet      mit wie vielen Ängsten und Einschränkungen           zu den Lehrkräften als wichtigen Faktor für
sozial-emotionales Lernen sozial- und gesell-        der Lebensfreude die hohen Leistungen erkauft        das Wohlbefinden in der Schule und für den
schaftspolitisch – die OECD begründet es öko-        werden. In Bezug auf Leistungsdruck liegen die       Lernerfolg an. Dies unterstreicht, dass Lehrkräfte
nomisch. Das ist ein wesentlicher Unterschied.       deutschen Jugendlichen dagegen unter dem             dringend genügend Zeit für Lern- und Entwick-
Fotos: suschaa, epert / photocase.de
                                                                                                                                                                      nds 5-2017 13

                                                                                   PISA-Studie: Anteil der 15-jährigen                 PISA-Studie: Anteil der 15-jährigen
                                                                                   Schüler*innen, die regelmäßig Opfer von Mobbing     Schüler*innen, die bei Schwierigkeiten in der
                                                                                   an ihrer Schule sind.                               Schule Unterstützung von ihren Eltern bekommen.

                                                                                   Niederlande                                9,3 %   Lettland                                         86,2 %
                                                                                   Portugal                                  11,8 %   Türkei                                           86,6 %
                                                                                   Island                                    11,9 %   Japan                                            87,1 %
                                                                                   Spanien                                   14,0 %   Polen                                            88,4 %
                                                                                   Irland                                    14,7 %   Italien                                          89,3 %
                                                                                   Deutschland                               15,7 %   Frankreich                                       89,9 %
                                                                                   Griechenland                              16,7 %   Griechenland                                     90,2 %
                                                                                   Finnland                                  16,9 %   Spanien                                          90,5 %
                                                                                   Norwegen                                  17,7 %   OECD                                             90,6 %
                                                                                   Frankreich                                17,9 %   Finnland                                         90,9 %
                                                                                   Schweden                                  17,9 %   USA                                              91,1 %
                                                                                   Türkei                                    18,6 %   Deutschland                                      91 ,3 %
                                                                                   OECD                                      18,7 %   Großbritannien                                   91,5 %
                                                                                   USA                                       18,9 %   Belgien                                          91,6 %
                                                                                   Dänemark                                  20,1 %   Schweden                                         92,2 %
lungsgespräche brauchen. Lehrkräftearbeitszeit                                     Ungarn                                    20,3 %   Norwegen                                         93,0 %
allein auf den Unterricht zu reduzieren, ist des-                                  Polen                                     21,1 %   Ungarn                                           93,1 %
halb nicht mehr zeitgemäß.                                                         Japan                                     21,9 %   Irland                                           94,1 %
    Ein weiteres zentrales Ergebnis der Studie                                     Großbritannien                            23,9 %   Dänemark                                         94,3 %
ist, dass es den Jugendlichen besonders wich-                                      Tschechien                                25,4 %   Portugal                                         94,6 %
tig ist, in der Schule ein Zugehörigkeitsgefühl                                    Lettland                                  30,6 %   Niederlande                                      96,6 %

(„sense of belonging“) zu empfinden und frei                                       Ausgewählte OECD-Länder, Quelle: OECD, PISA 2015 Results. Students’ Well-Being. Volume III – Overview
von Angst zu sein. Deutschlands Jugendliche
fühlen sich nicht häufiger ausgegrenzt als der                                     aus ihrer gewohnten Lerngruppe entfernt zu          ihrer Schul- und Unterrichtsentwicklung nach-
OECD-Durchschnitt und Versagensängste sind                                         werden und unter Umständen eine Schulform           haltig durch bessere Ressourcenzuweisung und
in den asiatischen Ländern sehr viel weiter                                        besuchen zu müssen, die als gesellschaftliches      schulinterne Fortbildungsangebote unterstützt
verbreitet. Auffallend ist aber, dass Kinder mit                                   Abseits gilt.                                       werden. Ein besonderes Augenmerk sollte dabei
Lernproblemen, die wenig Unterstützung durch                                          Kinder aus Armutsverhältnissen, die wenig        auf Schulen mit besonderen sozialen und päda-
ihre Eltern erfahren, mehr Schulängste zeigen                                      häusliche Unterstützung für das schulische          gogischen Herausforderungen gelegt werden.
und sich weniger integriert fühlen. Nicht zuletzt                                  Lernen erfahren, sind in besonderem Maße            Diese Schulen brauchen nicht nur die besten und
vor diesem Hintergund fällt auf: Schüler*innen                                     von sonderpädagogischem Förderbedarf und            engagiertesten Pädagog*innen, sondern auch
aus Förderschulen sind in den Erhebungen                                           in vielen Bundesländern von dem Besuch einer        eine verstärkte Mittelzuweisung und verlässliche
deutlich unterrepräsentiert. Da es in den mei-                                     Förderschule betroffen. Ihre belastenden Le-        Unterstützungssysteme.
sten Staaten der Erde keine Förderschulen für                                      bensumstände werden in einem gegliederten              Auch wenn die PISA-Sonderauswertung keine
                                                                                   Schulsystem in ein Persönlichkeitsmerkmal um-       bahnbrechend neuen Erkenntnisse erbracht hat,
den Bereich Lernen gibt, sollte diese spezielle
                                                                                   definiert: die „Lernbehinderung“. Die Aufgabe       so helfen uns die Daten doch durchaus, weiterhin
Schulform gesondert betrachtet werden. Wie
                                                                                                                                       unsere Forderung nach einer gut ausgestatteten,
schätzen Jugendliche dieser Schulform ihren                                        eines inklusiven demokratischen Schulsystems
                                                                                                                                       demokratischen, gendersensiblen, inklusiven
Lernerfolg und ihre Zukunftsaussichten ein?                                        besteht jedoch darin, Bildungsbenachteiligungen
                                                                                                                                       Schule mit Argumenten zu unterfüttern. //
                                                                                   auszugleichen und Kindern und Jugendlichen
Systemimmanente Ausgrenzung
                                                                                   aus Armutsverhältnissen und mit psychosozial
   Der Zusammenhang zwischen dem Bildungs-                                         belastenden Lebensumständen kompensato-
interesse der Eltern und dem Wohlbefinden                                          rische Bildungsangebote zu machen und ihnen                     OECD: PISA 2015 Results. Students’ Well-
sowie dem Lernerfolg der Jugendlichen ist of-                                                                                           PDF        Being. Volume III – Overview.
                                                                                   ein wertschätzendes Zugehörigkeitsgefühl zu                     www.tinyurl.com/well-being-overview
fensichtlich: Kinder und Jugendliche, die von                                      vermitteln.                                                     OECD: Are students happy? PISA 2015
ihrem Elternhaus wenig Unterstützung erfahren,
                                                                                                                                        PDF        Results. Students’ Well-Being. (Zusammen-
zeigen mehr Ängste und erzielen schlechtere                                        Bildungsbenachteiligung ausgleichen
                                                                                                                                                   fassung)
Lernergebnisse. Das gegliederte Schulsystem                                           Leider werden die Schulen in Deutschland                     www.tinyurl.com/well-being-zusammenfas-
                                                                                                                                                   sung
verstärkt diesen Effekt noch, denn es reagiert                                     gerade in der Wahrnehmung dieser Aufga-
gemäß seiner Logik auf diese Problematik mit                                       be wenig unterstützt. Das beginnt mit einer
schlechten Zensuren und im Extremfall mit der                                      Lehrer*innenbildung, die auf den Unterricht mit                       Ilka Hoffmann
Abschulung in eine andere Schulform. Kinder                                        Mittelschichtskindern aus bildungsorientierten                        Leiterin des Organisationsbereichs
                                                                                                                                                         Schule der GEW
und Jugendliche, die sich ohnehin schon benach-                                    Familien zugeschnitten ist, und endet in einer
teiligt fühlen und von ihren Eltern wenig unter-                                   Mittelzuweisung, die die sozialen Herausforde-
stützt werden, müssen zusätzlich damit rechnen,                                    rungen von Schulen negiert. Schulen müssen in
14 BILDUNG

Kooperatives Erarbeiten von Bildungsbauten

                                                                                                                                                              Illustration: PureSolution / shutterstock.com
Phase Null:
Lernraum gemeinsam entwickeln
Wenn ein Schulgebäude neu gebaut oder ein bestehendes Gebäude
umgebaut werden soll, müssen unterschiedlichste Perspektiven zum
Konsens gebracht werden: Architekt*innen, die Schulverwaltung,
Lehrende und Lernende. Keine leichte Aufgabe. Kooperative Methoden
können helfen, gemeinsam gute Lösungen zu entwickeln.
   Vor 20 Jahren hielt Kooperatives Lernen als        Zukunftswerkstätten. Die Entwicklung der soge-      Raumprogramm für ihre zukünftigen Lern- und
Prinzip und didaktischer Ansatz Einzug in Europa.     nannten „Phase Null“ verdeutlicht beispielhaft,     Unterrichtsräume. Diese Zusammenarbeit ist
Das Arbeitsprinzip beruht auf drei Phasen: Think –    dass es sich lohnt, Think – Pair / Square – Share   in einen für die jeweilige Schule maßgeschnei-
Pair / Square – Share. In der ersten Phase arbeitet   nicht nur im Unterricht, sondern auch zur Lern-     derten Prozess eingebettet, der in der Regel aus
jede*r für sich alleine. In der zweiten Phase wer-    raumentwicklung zu nutzen.                          aufeinander aufbauenden Workshops besteht.
den die Ergebnisse im Partnerteam oder in der                                                             Das Raumprogramm gibt an, welche Funktionen
                                                      Synergieeffekte von Pädagogik und
Kleingruppe besprochen, bevor sie in der dritten      Raum für das Lehren und Lernen nutzen               das zu planende Gebäude erfüllen soll. Es ist die
Phase dem Plenum vorgestellt werden. Dabei                                                                Grundlage zum Beispiel für einen Architektur-
                                                          Um Schulen als zukunftsfähige Lernräume
ist Kooperatives Lernen keineswegs nur eine                                                               wettbewerb und für die Entwurfsplanung des
                                                      planen und bauen zu können, hat sich in den
Methode, die von Schüler*innen im Unterricht                                                              Architekturbüros. Der Kommunikation hin auf
                                                      vergangenen Jahren ein Verfahren zur Planung
umgesetzt werden kann. Auch in beruflichen                                                                ein gemeinsames Ziel kommt in der Phase Null
                                                      von Schulneu- und Umbaumaßnahmen entwi-
Settings trifft man immer häufiger auf dieses                                                             ein besonderer Stellenwert zu, sowohl innerhalb
                                                      ckelt, das der eigentlichen Bauplanung und
Prinzip, insbesondere bei Fragestellungen, die                                                            der Schulgemeinschaft als auch zwischen den
                                                      -ausführung – den Phasen 1 bis 9 – vorgeschaltet
das gemeinsame Wirken in multiprofessionellen                                                             verschiedenen Professionen.
                                                      ist. Deshalb wird diese Planungsphase häufig
Teams erfordern. Teams, deren Mitglieder in                                                                  Der Prozess zur Lernraumentwicklung (Abbil-
                                                      als Phase Null bezeichnet: Unterstützt durch
dieser Methode erfahren sind, nutzen sie effizient                                                        dung links) beginnt immer mit einer Bestands-
                                                      ein professionelles Schulbauberatungsteam
und gewinnbringend. Anwendungsmöglichkeiten                                                               aufnahme, die sich in zwei Bereiche gliedert: In
                                                      erarbeitet die Schule gemeinsam mit der Schul-
                                                                                                          der kommunalen und baulichen Bestandsauf-
sind Fachkonferenzen, Gesamtkonferenzen oder          verwaltung und den Verantwortlichen für die
                                                                                                          nahme werden städtebauliche, sozialräumliche
Schulentwicklungsprozesse, zum Beispiel in            kommunalen Gebäude ein pädagogisch basiertes
                                                                                                          und planerische Gegebenheiten geprüft. In
                                                                                                          der pädagogischen Bestandsaufnahme wird
Prozess zur Lernraumentwicklung – Ebenen und Akteur*innen
                                                                                                          analysiert, wie das Schulkonzept in die Praxis
                                                                                                          umgesetzt wird. Dafür werden gemeinsam mit
                   Schule                                          Verwaltung                             Lehrenden, Lernenden, Eltern, nichtlehrenden
                                       Bestandsaufnahme                                                   Mitarbeiter*innen und weiteren wichtigen
                                                                                                          Akteur*innen – etwa mit dem Förderverein
     >  Aktuelles pädagogisches Konzept                            >  Schüler*innenzahlen                 der Schule – Schlüsselinterviews durchgeführt.
                                                                   >  Baupläne                            Durch Schulbegehungen und Hospitationen
     >  Entwicklungsziele
                                                                                                          während des Schulalltags wird die reale Nutzung
                                                                   >  Machbarkeitsstudie
                                                                                                          des vorhandenen Gebäudes genau erfasst. Wenn
         Schulentwicklungsprozesse                                 >  Finanzierung
                                                                                                          es darum geht, eine Vision für das künftige
                                                                                                          Schulgebäude zu entwickeln, erweisen sich
                                                                                                          Exkursionen zu kürzlich neu errichteten oder
                                                                                                          umgebauten Schulen und Gespräche mit den
                                         Kommunikation                                                    dortigen Kolleg*innen als wichtige Informa-
                                                                                                          tionsquellen. Hinzu kommen terminliche und
Lehrende                              Lernende           Schulleitung                       Bauherr       wirtschaftliche Eckdaten, wie die zu erwartenden
                                                                                                          zukünftigen Schüler*innenzahlen. Auf diese
                                                                                                          Weise werden Schritt für Schritt interdisziplinär
                                                                                                          architektonisches, planerisches und pädago-
Eltern                                Förderer
                                                                                                          gisches Wissen zusammengeführt.
                                                                                                             Im weiteren Prozess geht es darum, die zu-
            sonstiges Personal                           Politik                     Architekturbüro      künftigen Entwicklungsziele für die Schule auch
nds 5-2017 15

                         Ausgangsfrage: Wie soll der Schulhof gestaltet sein?
      Lernende – Unterstufe                 Lernende – Oberstufe                  Lernende – Mittelstufe                       Schulleitung
       „Wir wollen rennen,                „Ist uns egal: Wir sind                 „Wir wollen chillen,                 „Aufsichtspersonal soll
    klettern, spielen, toben,               vor dem Tor in der                   abhängen, liegen, unter               effizient, übersichtlich
        schreien, hüpfen,                     Fußgängerzone.“                          uns sein ...“                     mit zwei Lehrkräften
      Verstecken spielen.“                                                                                               durchführbar sein.“

              Lehrende                        Hausmeister*innen                    Sozialpädagog*innen                       Schulverwaltung
         „Er soll auch als               „Sicherheit geht vor! Kein              „Bei allen Wetterlagen                       „Pro Schüler
       grünes Klassenzimmer              Zugang für Außenstehende!“                     nutzbar!“                            stehen 5 m2 zur
           nutzbar sein.“                                                                                                      Verfügung.“

         Prozessergebnis: Der Schulhof wird mit verschiedenen Zonen gestaltet: Spielbereiche mit
 Klettergerüst – Bewegungselemente – Fußballfeld – Tischtennisplatten überdacht – Tische und Bänke unter
               Bäumen – Amphitheather und Liegewiese – Treppenelemente im hinteren Bereich

räumlich-konzeptionell zu definieren, mit dem      um gemeinsam einen zukunftsfähigen Lernort zu        die Beteiligten sich weniger als Betroffene und
Ziel Synergieeffekte von Pädagogik und Raum        gestalten. Jeder Lernraumentwicklungsprozess         mehr als Akteur*innen begreifen, die gezielt
für das Lernen und Lehren nutzen zu können.        erfordert dabei ein eigenes Prozessdesign, das       darauf hinarbeiten, dass pädagogische Konzepte
Dazu werden Funktionsbereiche wie Fach- und        an den Schultyp und die Bedürfnisse der Schule       in die Gestaltung von Schulraum einfließen. In
Klassenräume, Cluster, Lernlandschaften, Aula,     genau angepasst und sukzessive im laufenden          der Regel stellt sich im Kollegium eine verän-
Mensa, Eingangsbereich, Verwaltung und Au-         Prozess feinjustiert wird.                           derte Raumwahrnehmung ein, die dazu führt,
ßengelände definiert und ihre Zuordnungen                                                               dass Räume aktiv „gelesen“ und in der Folge
                                                   Das Ergebnis: praktischer Kompass
zueinander festgelegt. Multifunktionale Nut-                                                            verstärkt pädagogisch genutzt werden.
                                                   und verändertes (Raum-)Bewusstsein
zungen der verschiedenen Raumbereiche werden                                                               Im Ergebnis werden Individualitäten (in Einzel-
optimiert, indem zum Beispiel Verkehrsflächen         Das Endergebnis der Phase Null ist ein            phasen) und Gemeinsamkeiten (Austausch-
mit individuellen Arbeitsplätzen versehen wer-     Raumfunktionsprogramm, das die bindende              phasen in Paar- oder Gruppenkonstellationen)
den oder die Mensa als Erweiterung der Aula        Planungsgrundlage für den Entwurfsprozess            wahrgenommen, Unterschiedliches ermöglicht
genutzt wird.                                      der Architektur darstellt. Gleichzeitig ist es ein   und Konsens gefunden. Dadurch entstehen Ver-
                                                   pädagogisch-räumlicher Kompass, der weiteren         antwortung und Identifikation aller mit „ihrem“
Kooperative Methoden:                              Entscheidungen der Verwaltungs- und politischen      Gebäude und dessen Freifläche. Dieses Mitwach-
Gewinn für die Lernraumentwicklung                 Entscheidungsgremien als Grundlage dient.            sen in einem Planungsprozess bringt neben der
   In allen Phasen und auf allen Ebenen der           Aus architektonischer Sicht ist der Prozess er-   Identifikation der Einzelnen mit dem komplexen
Lernraumentwicklung kommen kooperative             folgreich, wenn die Aktivitäten der Nutzer*innen     Vorhaben auch die Erweiterung des individuellen
Methoden zum Einsatz (Abbildung oben), denn        klar herausgearbeitet und in Bedürfnisse über-       Blickwinkels der Teilnehmenden. Die Toleranz
Think – Pair/Square – Share bewährt sich immer     setzt worden sind. So können Vorstellungen über      gegenüber künftig nötigen Adaptionen und
dann, wenn verschiedene Perspektiven gewinn-       räumliche Beziehungen und Raumqualitäten             Veränderungen wie Mehrfachnutzungen und
bringend ausgetauscht und abgestimmt werden        entwickelt werden.                                   das Verständnis für die Notwendigkeit von
sollen. Die Antworten auf die Schlüsselfragen         Aus der Perspektive der Verwaltung soll eine      Einsparungen fördern den Dialog zwischen
werden in den Phasen Pair/Square und Share         möglichst genaue Passung zwischen Bedarf             Lernenden, Lehrenden und Verwaltung. Koope-
gemeinsam diskutiert. So entwickelt sich Schritt   und Produkt am jeweiligen Standort entwickelt        rative Prinzipien gehören zum unverzichtbaren
für Schritt ein Konsens, der Redundantes und       werden, damit die im Allgemeinen nicht uner-         Handwerkszeug in realen Lernprozessen. //
Nebensächliches eliminiert, Nichtkonsensfähiges    heblichen öffentlichen Mittel effizient, wirksam
identifiziert und zum Konsent herausarbeitet,      und verantwortlich eingesetzt werden können.
Wesentliches benennt und dokumentiert. Alle           Aus pädagogischer Sicht formuliert das                           Dr. Petra Regina Moog
Beteiligten lernen die Kompetenzen der jeweils     Raumfunktionsprogramm klar, wie die räum-                           Leitung der SOPHIA Akademie Düs-
anderen in Face-to-Face-Gesprächen schätzen,       liche Anordnung das pädagogische Konzept                            seldorf, Schulentwicklungsbegleiterin
kennen deren Entscheidungsbegründungen,            unterstützen kann. Unter dem Gesichtspunkt,                         und Schulbauberaterin, Dozentin
                                                                                                                       für Begabungsförderung am CCB
lernen voneinander und erweitern ihre eigenen      dass pädagogische Methoden sich wandeln kön-                        Düsseldorf
Perspektiven.                                      nen, müssen gut durchdachte Entscheidungen
   Nicht nur die Sachebene wird dabei berück-      getroffen und priorisiert werden, die für die                       Marayle Küpper
sichtigt, sondern auch die emotionale Ebene. Die   Lebensdauer eines Schulgebäudes – also etwa                         Lehrerin für Gestaltungstechnik
                                                                                                                       und Deutsch, Fachleiterin Gestal-
Prozesssteuerung bindet jede*n mit ein, stülpt     50 Jahre lang – gelten sollen.
                                                                                                                       tungstechnik am ZfsL Düsseldorf,
einem Kollegium nicht einen Raum über, sondern        Ein wichtiger Effekt eines partizipativ durch-                   Moderatorin für Kooperatives Lernen
nutzt die Expertise der einzelnen Akteur*innen,    geführten Lernraumentwicklungsprozess ist, dass                     am Green-Institut Rhein-Ruhr
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