Hundert und mehr Fragen zu Thailand

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Hundert und mehr Fragen zu Thailand
Hundert und mehr Fragen
   zu Thailand
   Teil 3
   Thailändische Höflichkeit
   und Etikette

   © Thaihom Enterprises und Josef Burri 2013
   Stand: 23.01.2013

Der Reisende setzt seinen Fuss endlich auf thailändischen Boden. Damit fängt
das Abenteuer erst richtig an. Wie wird er dem Taxifahrer begegnen? Wie be­
handelt er das Servicepersonal im Hotel? Wie begrüsst er seine Gesprächs­
partner? Welche Geschenke bringt er seinen thailändischen Freunden mit? Wie
sollten sie verpackt sein, damit er keinen ungewollten Faux-pas begeht? Wel­
che Namen wird er sich merken müssen? Thailand als Land des Lächelns:
Wird er die Sprache des Lächelns lernen und verstehen? Darf er den Kindern
mit der Hand über den Kopf streichen? Wie drückt er seine Kritik aus, wenn er
mit den Hotelleistungen oder mit der Arbeit seiner thailändischen Mitarbeiter
nicht einverstanden ist? Wie und bei welchen Gelegenheiten macht er Kompli­
mente? Wie gestaltet sich die thailändische Gesprächskultur? Was bedeutet
ein „Ja“ und ein „Nein“ in Thailand? Solche und viele weitere Fragen stellen
sich dem Reisenden, der die Regeln der thailändischen Höflichkeit lernen
möchte.
Hundert und mehr Fragen zu Thailand
Wie begrüsse ich Thailänder?

Thais begrüssen einander mit dem
„Wai“: Sie legen die gestreckten Hand­
flächen zusammen (wie zum Gebet)
und halten die Hände vor die Brust
oder den leicht geneigten Kopf. Dabei
gibt es feine Unterschiede: Je höher im
Rang die begrüsste Person und je
grösser der hierarchische Unterschied
der beiden Personen ist, desto höher
hält der tiefer im Rang Stehende die
Hände. Auch wer zuerst grüsst, ist für
den Thailänder ganz genau festgelegt.
Es ist immer die Person tieferen Ran­
ges. Höher stehen zum Beispiel der äl­
tere Bruder oder die ältere Schwester,       Ein Mönchsanwärter mit einem perfekten
die Eltern, der Lehrer, der Vorgesetzte,     Wai
der Polizist, der Kunde. Im Zweifelsfall
gilt das Alter: Der Jüngere begrüsst zu­     grüssen und zuwarten, ob der thailän­
erst den Älteren. Sind mehrere Perso­        dische Partner dann noch einen kräfti­
nen zugegen, wird jede mit einem Wai         gen Händedruck anfügen möchte, um
bedacht, sofern sie älter oder höheren       so seine Weltläufigkeit zu demonstrie­
Ranges ist. Mönche stehen immer hö­          ren. Bei der Verabschiedung gelten im
her, grüssen Laien aber nie mit dem          Übrigen dieselben Regeln.
Wai zurück; jüngere Mönche bezeugen
älteren oder höherrangigen Mönchen           Erhält ein Thai ein Geschenk, wird er
den Respekt mit einem Wai.                   seinen Dank ebenfalls mit dem Wai
                                             zum Ausdruck bringen. In diesem Fall
Der Ausländer wird in vielen Alltagssi­      wird nicht erwartet, dass der Geber
tuationen in Thailand als höherrangig        ebenfalls den Wai anwendet. Auch
betrachtet. Das gilt aber nicht in allen     Entschuldigungen sind im familiären
Fällen: Wer beispielsweise die Eltern        Umfeld oft von einem Wai begleitet.
seiner thailändischen Freundin be­
sucht, wird selbstverständlich zuerst        Was muss der Ausländer über die Na­
grüssen. Andernfalls könnten die El­         mensgebung in Thailand wissen?
tern denken, dass ihre Tochter nicht
gut genug für den Fremden („farang“)         Die meisten Thai haben drei Namen:
sei. Touristen wie Geschäftsreisende         den Ruf- oder „Übernamen“ (wird in
sollten sich angewöhnen, wenn immer          der Familie und im engeren Freundes­
möglich mit dem Wai zu grüssen, vor          kreis gebraucht), den offiziellen Vorna­
allem wenn der Stand und das Alter           men (wird wie bei uns der Nachname
der begrüssten Person unklar sind. Es        verwendet) und den offiziellen Nach-
erleichtert den Umgang ungemein und          oder Familiennamen. Wenn ich bei­
entspannt die Atmosphäre. Selbstver­         spielsweise mit meiner thailändischen
ständlich sind viele Thai (auch im Ge­       Freundin telefoniere, nenne ich sie
schäftsleben) daran gewöhnt, dass            „Yui“. (Wäre sie älter als ich, würde ich
sich Fremde per Handschlag begrüs­           sie aus Höflichkeit mit „Phie Yui“ anre­
sen. Bei Unsicherheiten sollte der           den.) Im offiziellen Umgang mit Behör­
Fremde immer zuerst mit dem Wai              den und in der Geschäftswelt wird sie
                                             mit „Khun Poonwalai“ (Vorname) ange­
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Hundert und mehr Fragen zu Thailand
sprochen. Muss sie beispielsweise ein        de Ausländer an den Thai orientiert. In
Formular ausfüllen, auf dem der Nach­        der Geschäftswelt ist das Ausziehen
name verlangt wird, heisst sie „Poon­        der Schuhe unüblich.
walai“ (Vorname) „Pinsukanchana“
(Nachname).                                  Was bedeutet die Sprache des Lä­
                                             chelns?
Kinder und Grosskinder von Königen
gelten als Prinzen und Prinzessinnen         Lächeln in Thailand ist wichtig. Die
und tragen folgende Titel: „Chao Fah“,       Thai lächeln, auch wenn ihnen das
„Phra Ong Chao“ oder „Mom Chao“.             Wasser bis zum Hals steht. Doch was
Die nächsten beiden Generationen von         verbirgt sich hinter dem Lächeln? Ist es
Königsabkömmlingen haben ebenfalls           nur Freundlichkeit, wie wir Europäer
Anspruch auf einen Titel: „Mom Rat­          vermuten? Das thailändische Lächeln
chawong“ (abgekürzt M.R.) und „Mom           ist Anlass zu zahlreichen Missver­
Luang“ (abgekürzt M.L.). Familienna­         ständnissen – und es dauert Jahre, bis
men sind in Siam erst seit der Regie­        der Ausländer die mindestens zwölf
rungszeit von König Rama VI. (Regie­         verschiedenen Arten des Lächelns un­
rungszeit: 1910 bis 1925) bekannt.           terscheiden und deuten kann. Ein
                                             freundlicher Gesichtsausdruck kann
Welche Art von Höflichkeit erwarten          Freundschaft und Zuneigung, Ehrfurcht
die Thai vom Ausländer?                      und Respekt, Bedauern und Entsetzen
                                             ausdrücken; Lächeln kann aber auch
Die Thai wissen, dass sie von Auslän­        Unsicherheit, Ärger, Aggression, Ge­
dern nicht dieselbe Art von Höflichkeit      schäftstüchtigkeit oder Dilettantismus
erwarten dürfen, die sie in Familie und      überdecken.
Berufsleben pflegen. Sie anerkennen
die Bemühungen des Ausländers und            Der Ausländer, der diese Codes inter­
verstecken gleichzeitig ihre eigene Un­      pretieren will, darf nicht überheblich
sicherheit im Umgang mit dem Frem­           sein und muss gut beobachten kön­
den hinter einer schwer durchschauba­        nen. Für „Anfänger“ genügt es aber
ren Fassade. Benimmt sich ein Auslän­        vollkommen, gegenüber den thailändi­
der daneben, wird der Thai lächeln, ge­      schen Mitmenschen einfach nur
genüber von Landsleuten auf die klar         freundlich zu sein und „schwierige“ Si­
sichtbare Tatsache hinweisen, dass es        tuationen durch ein entwaffnendes Lä­
sich eben um einen „farang“ handle           cheln zu meistern. Wer Zorn und Ärger
und schlimmstenfalls den Fremden für         offen zum Ausdruck bringt, gilt als un­
arrogant und ungehobelt halten. Wenn         gehobelt und unfein, egal ob Ausländer
sich ein Thai daneben benimmt, sind          oder Thai. Jedes „Missgeschick“, das
die Reaktionen im Übrigen ähnlich.           einem Ausländer oder einem Thai pas­
                                             siert, wird mit einem Lächeln und dem
Muss ich die Schuhe ausziehen, wenn          Ausdruck „Mai pen rai“ („Es macht
ich ein Haus betrete?                        nichts“) begleitet.

Wer ein thailändisches Haus betritt,
zieht die Schuhe aus. Kein Thai würde
dieses ungeschriebene Gesetz der
Gastfreundschaft verletzen. In grösse­
ren Häusern werden Ausländer gele­
gentlich darauf hingewiesen, dass sie
ihre Schuhe anbehalten dürfen. Am            Die schwierige Sprache des Lächelns
besten ist es, wenn sich der unwissen­

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Welche Aufmerksamkeit schenke ich            Schweizer Offiziersmesser (selbstver­
Kindern?                                     ständlich nicht im Handgepäck trans­
                                             portieren), Taschenlampe, Cognac,
Die Menschen in Thailand sind Kindern        Schokolade (gut verpackt, kühl gela­
gegenüber ausserordentlich tolerant          gert), Süssigkeiten, Kosmetikartikel mit
und wohlwollend. Gleichzeitig werden         „grossen“ Namen, vakuum-verpacktes
selbst Kleinkinder zu Höflichkeitsfor­       Trockenfleisch, Baumnüsse (aber bitte
men angehalten. Der Ausländer                einen Nussknacker mitliefern). Darf es
braucht keine Berührungsangst mit            etwas mehr kosten, sind auch Uhren
thailändischen Kindern bis zu acht           mit „grossen“ Namen (vor allem aus
oder zehn Jahren zu haben. Selbst der        der Schweiz) stets hoch geschätzt. Un­
Kopf, der bei Erwachsenen als Tabu­          geeignet sind: Käse und Artikel aus
zone gilt, darf bei Kindern berührt wer­     Plastik. Genau so wichtig wie der Inhalt
den. Thais kneifen Kindern liebevoll in      ist in Thailand die Verpackung. Das
die Wangen (streichen aber nicht über        Mitbringsel macht erheblich mehr Freu­
die Haare). Wenn Kinder bis ins Alter        de, wenn es in ein geschmackvolles
von ungefähr acht Jahren mit dem Wai         Geschenkpapier (nicht in den Farben
grüssen, muss ich nicht mit derselben        weiss oder schwarz) gewickelt und mit
Geste antworten. Der Thai würde dann         einem hübschen Bändel verziert ist.
dem Kind ein paar freundliche Worte
sagen. In vielen kleineren Geschäften        Warum reagieren Thailänder allergisch
sind die Kinder der Besitzer (und oft        auf heftige Reaktionen?
auch die Kinder von ärmeren Verwand­
ten) anwesend und helfen schon von           Die Thai werden von frühester Jugend
frühester Jugend an mit. In den Städ­        an zur Zurückhaltung und Mässigung
ten halten sich gelegentlich bettelnde       erzogen, ganz im Sinne der buddhisti­
Frauen mit Kleinkindern auf. Es ist ver­     schen Devise, immer dem „mittleren
nünftiger, einer Kinderhilfsorganisation     Pfad“ zu folgen. Die wahren Gefühle
einen Beitrag zu spenden als solchen         werden nicht nach aussen gekehrt,
Bettlerinnen, die oft zu einer mafia-        und ein jähzorniger Mann gilt als Rü­
ähnlichen Organisation gehören und           pel, eine vorlaute Frau als unerzogen.
Kinder als Lockmittel zur Ertragssteige­     Die Thai reagieren deshalb häufig ver­
rung missbrauchen.                           stört, wenn ein Ausländer seinem (viel­
                                             leicht sogar verständlichen) Ärger
Soll ich meinen thailändischen Freun­        lauthals Ausdruck verleiht und mit den
den oder Geschäftspartnern Geschen­          Händen herumfuchtelt. In ihren Augen
ke mitbringen?                               verliert der Fremde den Respekt, und
                                             sie werden sich hüten, seine Gesell­
Kleine Geschenke erhalten die Freund­        schaft zu suchen oder mit ihm zusam­
schaft. Das gilt selbstverständlich auch     menzuarbeiten. Thai haben ein ausge­
für Thailand. Der vorausschauende            prägtes Bedürfnis nach Harmonie, und
Reisende überlegt sich schon zu Hau­         sie sind dauernd bemüht, ein emotio­
se, welche Geschenke er mitbringen           nales Gleichgewicht zu bewahren oder
könnte. Dabei sollte es sich um Pro­         herzustellen. Eine handfeste Auseinan­
dukte aus seinem Heimatland oder             dersetzung kann für westliche Men­
hochklassige internationale Markenarti­      schen wie ein reinigendes Gewitter
kel handeln. Peinlich wäre es zum Bei­       sein. Für Thai bedeutet es das Ende
spiel, wenn mein thailändischer Freund       des Harmoniebestrebens. Wenn ein
die Aufschrift „Made in Thailand“ auf        unachtsamer thailändischer Autofahrer
seinem Geschenk lesen müsste. Hier           an der roten Ampel ins Heck des vor­
ein paar Beispiele für Mitbringsel:          deren Wagens prallt, wird der Geschä­

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digte dem Unfallverursacher zuerst           merkungen (in englischer Sprache)
einmal sagen: „Mai pen rai.“ Wörtlich        festhalten kann.
übersetzt bedeutet das: „Es macht
nichts.“ Im übertragenen Sinn will er        Warum können Thailänder westliche
sagen: „Alles halb so schlimm“, „wir         Überheblichkeit überhaupt nicht aus­
werden das schon hinkriegen“, „kein          stehen?
Grund zur Sorge“. Gleichzeitig
schwingt folgende Aussage mit: „Ich          Thailand war nie Kolonie – und darauf
bin bereit, mit Dir ganz normal und ru­      bilden sich die Thai etwas ein, auch
hig über unser Problem zu sprechen,          wenn diese „historische Leistung“ eher
und ich möchte nicht, dass Du wegen          besonderen Umständen als militäri­
mir das Gesicht verlierst.“                  scher Stärke oder diplomatischer Raffi­
                                             nesse zu verdanken ist. Sie wissen,
Wie bringe ich Kritik zum Ausdruck?          dass sie in einer hochstehenden Kultur
                                             gross geworden sind. Sie wollen von
Im Westen wird zwischen konstruktiver        ihren Gesprächspartnern aus dem
und destruktiver Kritik unterschieden.       Westen ernst genommen werden –
Offen geäusserte Kritik wird in Thai­        und sie sind stolz auf ihr Land und mit­
land immer persönlich aufgefasst und         unter nationalistisch. Thai können des­
ist mit einem Gesichtsverlust des Kriti­     halb die bewusste oder unbewusste
sierten verbunden, was unter allen           Überheblichkeit mancher Westler nicht
Umständen vermieden werden sollte.           ausstehen. Sie empfinden es zum Bei­
Wenn ein thailändischer Manager mit          spiel als Beleidigung, wenn Thailand
seinen Mitarbeitern ein bestimmtes Ziel      als Dritt-Welt-Land bezeichnet wird.
erreichen will, wird er zuerst ein Lob       (Angesichts der gewaltigen wirtschaftli­
aussprechen und zum Ausdruck brin­           chen Entwicklung Thailands und der
gen, wie nahe das Ziel dank der guten        Hochkultur dieses Landes sollte sich
Zusammenarbeit schon ist. Dann wird          der Ausländer vielmehr die Frage stel­
er einen Punkt herausgreifen, der noch       len, ob die „Dritte Welt“ nicht genau so
verbessert werden kann. Alle Mitarbei­       gut in Leipzig, London oder Los Ange­
ter werden sich bemühen, einem               les beginnen könnte.)
freundlichen Chef zu Diensten zu sein
und die Leistung zu steigern.                Warum sind Komplimente wichtig?

Das „Rezept“ funktioniert im Prinzip         Wer in ein thailändisches Haus einge­
auch in Restaurants und Hotels, es sei       laden ist oder die Räume eines Ge­
denn, der Gast hat es mit dem gar            schäftspartners betritt, macht ein paar
nicht so seltenen Typus des thailändi­       freundliche Komplimente. So kann ich
schen Jung-Managers zu tun, der eine         feststellen oder zur Kenntnis nehmen,
gute Ausbildung genossen hat und             wie geschmackvoll das Wohnzimmer
deshalb seine Nase sehr hoch hält.           eingerichtet ist, welch exzellente Gar­
Solche arroganten Angestellten „be­          derobe die Dame des Hauses trägt,
straft“ der Gast am besten durch Nicht­      wie wundervoll der Garten hergerichtet
beachtung. Entspricht die Leistung in        ist, wie wohl erzogen die Hunde sind
wesentlichen Punkten nicht den Erwar­        (Rassehunde zu halten gilt mittlerweile
tungen, ist eine schriftliche Beanstan­      als chic), wie hervorragend das Essen
dung beim Reisebüro, wo die Leistung         schmeckt oder wie zweckmässig die
gebucht wurde, angebracht. In man­           Anordnung der Büromöbel ist. Dabei
chen Hotelketten in Thailand liegen          darf ich aber nicht offensichtlich lügen;
heute auch Formulare auf, worin der          sonst könnte der Partner meinen, ich
Gast zuhanden der Direktion seine Be­        würde ihn versteckt kritisieren. Kompli­

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mente tragen wie andere Gesten der           dem Fremden ins Gespräch zu kom­
Höflichkeit bei zur Gestaltung einer an­     men und ein vertrauliches Klima zu
genehmen Gesprächsatmosphäre, die            schaffen.
beispielsweise Ausgangspunkt für gute
Geschäftsbeziehungen sein kann. Thai         Stimmt es, dass die Thai nie „nein“ sa­
ziehen es im Allgemeinen vor, Partys         gen?
in einem Restaurant und nicht bei sich
zu Hause durchzuführen. Ein Kompli­          Als Ausländer und speziell als Tourist
ment nach dem Essen wird erwartet            wird man in Thailand hundert Mal am
(„arooi“ heisst „gut“, „arooi mahk“ be­      Tag gefragt, ob man dies oder jenes
deutet „exzellent“).                         kaufen möchte, natürlich immer zu ei­
                                             nem besonders günstigen Preis. Nach
Was wissen Thailänder über die               der zehnten Ablehnung beginnt einen
Schweiz und das westliche Ausland?           das Spiel zu langweilen, und viele Aus­
                                             länder fühlen sich belästigt. Wie würde
Die Schweiz hat bei allen Thai einen         ein Thai diese Situation meistern? In­
hohen Stellenwert und gilt bei einigen       dem er hundert Mal „danke“ und nie
sogar als „Paradies“. Das hat am we­         nein sagt. Eine andere Möglichkeit ist
nigsten mit der Eigenart der Schweizer       das Nichtbeachten des Angebotes: Der
zu tun, einiges mit der Landschaft, de­      Ausländer geht seinen Weg, ohne
ren Sonnenseite in Thailand bekannt          nach rechts und links zu schauen und
ist, vieles aber mit der Tatsache, dass      vermeidet jeden Augenkontakt mit dem
die Königsfamilie über Jahrzehnte mit        Anbieter. Eine Negation hat in Thailand
der Schweiz eng verbunden war. Ein           häufig einen unangenehmen Beige­
vertieftes Wissen ist dagegen nicht zu       schmack, und sie wird deshalb vermie­
erwarten. (Umgekehrt ist das Thailand-       den, vor allem wenn sie mit einem Ge­
Bild des „normalen“ Mitteleuropäers          sichtsverlust verbunden sein könnte.
auch nur durch ein paar wenige Kli­
schees geprägt.) Äussert ein Thai Be­        Thai geben gerne Auskunft darüber, ob
wunderung für die Schweiz, so ist das        sie rauchen, das Whiskey-Trinken lie­
zunächst einfach eine Geste der Höf­         ben, heute schon auf dem Markt waren
lichkeit gegenüber dem Gast. Es wäre         oder eine Schwester in der Schweiz
unangemessen, wenn dieser dem Thai           haben. Antworten auf solche Fragen
nun breitschweifig erklären würde, wie       können als „neutral“ betrachtet werden.
hart die Schweizer für ihr gutes Geld        Frage ich eine Frau, ob sie schon ver­
arbeiten müssen, wie hervorragend die        heiratet sei, wird es heikler. Falls sie
soziale Wohlfahrt organisiert ist, wie       an mir interessiert ist, wird sie „nein“
gut die öffentlichen Transportmittel         sagen, auch wenn es nicht oder nicht
funktionieren oder wie nervenaufrei­         ganz stimmt. Will sie aber sofort klar­
bend und zeitraubend der Berufsver­          machen, dass sie keinen Gedanken an
kehr ist. Falls der Thai an solchen In­      eine mögliche intime Beziehung ver­
formationen oder Meinungen interes­          schwendet, wird sie mit „ja“ antworten.
siert ist, würde er gezielt danach fra­      Frage ich einen Taxifahrer, ob er wis­
gen. Die korrekte Reaktion des Frem­         se, wo sich der Soi XY befinde, wird er
den ist der Dank für das freundliche         mit „ja“ antworten, auch wenn er keine
Kompliment. Wenn die Rede auf die            Ahnung hat; dabei ist er nicht nur an
Schweiz (oder ein anderes Land)              der Taxifahrt interessiert, sondern er
kommt, wissen die Thai meistens von          würde auch sein Gesicht verlieren,
irgendeinem Verwandten oder Bekann­          wenn er sein Nichtwissen eingestehen
ten zu berichten, der dort wohnt. Das        würde. (Wer nach einem bestimmten
ist ein unverfängliches Thema, um mit        Soi, also einer Nebenstrasse fragt,

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sollte auch den Namen der dazu gehö­         geld, ebenso der Wärter, der auf dem
rigen Hauptstrasse kennen.) Selbst           Restaurant-Parkplatz auf den Wagen
„neutrale“ Fragen, die eine Ablehnung        aufpasst. Die Mädchen und Jungen an
implizieren, werden im Thai sonderba­        der Zapfsäule erhalten nur ein Trink­
rer Weise mit „ja“ beantwortet: „Morgen      geld, wenn sie die Scheiben reinigen.
Sonntag gehst du doch nicht zur Ar­          Recht freigebig sind die Thai gegen­
beit?“ Antwort des Europäers: „Nein,         über Musikern und Sängern in Nacht­
morgen gehe ich nicht.“ Antwort der          clubs.
Thai: „Ja, morgen gehe ich nicht.“
                                             Wie überwinden wir Sprachbarrieren?
Wenn eine Gruppe von deutschen Ma­
nagern ihre thailändischen Kollegen zu       Glücklich ist, wer die internationale
einer privaten Party einladen, werden        Sprache der Gesten versteht. Ein
einige zusagen, aber nicht erscheinen;       freundliches Gesicht und ein Lächeln
andere geben von Anfang an vor, dass         helfen in manchen Situationen weiter.
sie leider schon verabredet sind oder        Leider gelangen wir damit aber nicht
wegen der Krankheit eines Kindes             über eine minimale Kommunikation
nicht an der Party teilnehmen können.        hinaus. Ausserdem verwenden die
Jeder Thai fürchtet sich vor der Situati­    Thai kaum Gesten beim Sprechen,
on, als einziger Einheimischer an einer      weil dies als unhöflich gilt. Informatio­
Party mit lauter Deutschen (oder ande­       nen von Bedeutung (wie Adressen)
ren Ausländern) teilnehmen zu müs­           sollte man sich von einem Thai in thai­
sen. Wer als Ausländer Thai an seiner        ländischer Schrift auf ein neutrales
Party haben will, muss dafür sorgen,         Blatt Papier aufschreiben lassen. (Wird
dass einige Wortführer oder Manager          die Adresse beispielsweise auf einen
der Thai sicher teilnehmen werden,           Prospekt mit dem Königspalast ge­
und die Einladung muss sehr persön­          schrieben, könnte der Taxifahrer den
lich und nachdrücklich ausgesprochen         verblüfften Touristen vor dem Königs­
werden. Findet die Party in einem be­        palast absetzen.) Die Thai sind im All­
kannten Restaurant statt, ist sicherge­      gemeinen Ausländern gegenüber sehr
stellt, dass es auch gutes thailändi­        hilfsbereit, und es findet sich fast im­
sches Essen gibt. Der Ausländer stellt       mer jemand, der ein paar Brocken eng­
erstaunt fest, dass ein simples „ja“         lisch versteht.
oder „nein“ in Thailand viele Facetten
hat.                                         Wie bedanken sich die Thai?

In welchen Situationen gibt man Tipps        Alle Menschen in Thailand bedanken
(Trinkgelder)?                               sich mit einem Wai. Und damit hat es
                                             sich meist. Sie haben nicht die Ange­
Thailand kennt keinen „Automatismus“         wohnheit, in nicht enden wollende Be­
für Trinkgelder. Taxifahrer zum Bei­         geisterungsstürme und Lobeshymnen
spiel erhalten in der Regel keines.          auszubrechen, wenn sie beschenkt
Grundsätzlich ist immer dann ein Trink­      werden. Das geschmackvoll eingewi­
geld am Platz, wenn jemand eine be­          ckelte Päckchen, das sie zum Geburts­
sondere Leistung erbracht hat. Tipps         tag erhalten und in dem der Name des
von höchstens zehn Prozent des               Gebers auf einer Karte steht, werden
Rechnungsbetrages in Restaurants             sie nicht einmal sofort öffnen, sondern
und Bars, wo Ausländer verkehren,            zu den andern Geschenken auf den
sind üblich geworden (in bar, nicht mit      Gabentisch legen. Denn sie möchten
der Kreditkarte verrechnen). Der Kof­        nicht als begierige oder unbeherrschte
ferträger im Hotel erwartet ein Trink­       Menschen dastehen. Doch wenn der

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begehrenswerten Frau der Diamant­            Überhaupt sollte der Ausländer seine
ring gefällt, den ich ihr kürzlich über­     sprachunterstützenden Gesten spar­
reichte, wird sie ihn bei nächstbester       sam einsetzen. Den Taxifahrer „ruft“
Gelegenheit tragen, wenn sie mit mir         man, am Strassenrand stehend, mit ei­
ausgeht.                                     ner leichten Handbewegung des locker
                                             herabhängenden rechten Arms herbei.
Wie gestaltet sich in Thailand der           Den Kellner spricht man mit „noong“ an
„small talk“?                                (kein Winken mit der Hand, höchstens
                                             ein leichtes Kopfnicken). Die Rech­
Wenn Thai unter sich sind, schwatzen         nung bestellt man mit den Worten
und lachen sie ohne Unterlass. Sie ge­       „check bin“ („check bill“; das Schluss-L
hören einem Volk an, das sich gerne          wird wie ein N ausgesprochen), oder
unterhält, im privaten Kreis, bei Festen     man macht mit der rechten Hand eine
und bei der Arbeit. Es gibt kaum ein         kurze Bewegung, wie wenn man einen
Thema, das sie auslassen. Sie bezie­         Kreditkartenbeleg unterschreiben wür­
hen auch gerne den Ausländer mit ein         de.
und freuen sich, wenn sie mit ihm ihren
(manchmal etwas derben) Spass trei­          Wo liegen im thailändischen Alltag die
ben dürfen. Weitaus am liebsten reden        grössten Unterschiede zwischen Ein­
sie über das Essen, ein unerschöpfli­        heimischen und Ausländern aus dem
ches, unverfängliches und gleichzeitig       Westen?
höchst kontroverses Thema: Wie
scharf muss oder darf es sein? Da ge­        Die Menschen in Thailand lachen ger­
hen die Meinungen oft erstaunlich weit       ne und leben nach den Devisen „no
auseinander.                                 problem“ („mai mie banhah“) oder „mai
                                             pen rai“ („macht nichts“). Westler ma­
Dürfen wir fotografieren?                    chen hingegen aus jeder Mücke einen
                                             Elefanten (ein Problem). Thai nehmen
Fotografieren ist in Thailand mit Aus­       sich selbst, wie sie sind, und sie
nahme der mehrheitlich islamischen           kämen nie auf den Gedanken, sich sel­
Provinzen im Süden kein Problem.             ber zu hassen. Westler hingegen nei­
Selbstverständlich wird ein angemes­         gen zu Selbstzweifeln, Unzufriedenheit
senes Betragen und Kleidung auf dem          mit sich selbst und Nörgeleien an an­
Tempelgelände vorausgesetzt. Für             deren. Die Thai lernen von Kind an
professionelle Aufnahmen (Foto, Vi­          höfliche Umgangsformen, die oft etwas
deo, Fernsehen, Film) wende man sich         devot wirken, können aber, vor allem
an die thailändischen Vertretungen im        nach viel Alkoholkonsum, auch sehr
Ausland. Thailand ist daran interes­         ausgelassen sein. „Krehng chai“ (wört­
siert, entsprechende Aufträge ins Land       lich etwa „achtsames Herz“) ist ein
zu holen. Fotografierverbote existieren      Schlüsselbegriff für das Verständnis
innerhalb von Palastgebäuden und in          der thailändischen Höflichkeit; er kann
vielen Museen. Wer zufälligerweise           Vieles bedeuten (Scheu, Respekt, Ehr­
Augenzeuge von einem Auftritt eines          erbietung, Rücksichtnahme), meint
Mitgliedes der königlichen Familie wird,     aber vor allem die Fähigkeit, sich in
sollte das Fotografieren unterlassen.        den anderen hineinzuversetzen und zu
                                             spüren, wo die feinen Linien der Ab­
Wie winkt man in Thailand ein Taxi           grenzung zwischen Menschen verlau­
oder eine Person herbei?                     fen. Diese Sichtweise der Höflichkeit
Es ist verpönt, mit den Händen herum­        ist Ausländern mit ihrer formellen Höf­
zufuchteln, mit den Fingern zu schnip­       lichkeit und schwach entwickelter Sen­
pen oder jemanden herbeizupfeifen.           sibilität im Umgang mit andern völlig

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unbekannt. „Sanuk“ („Vergnügen“) hat         und dass die Probleme und Begren­
im thailändischen Alltag einen sehr ho­      zungen menschlichen Daseins durch
hen Stellenwert. Westler laufen im Ver­      ängstliche Erwartung der nächsten Ka­
gleich dazu ernst oder missmutig durch       tastrophe nicht geringer werden.
die Welt und merken gar nicht, dass
das Leben grundsätzlich ein Fest ist

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