Illustration - LAG Kinder- und Jugendkultur eV

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Illustration - LAG Kinder- und Jugendkultur eV
Magazin der LAG Kinder- und Jugendkultur Hamburg                              Winter 2020/21

                                                                      SCHW
                                                                          E
             HAMBURGER SCHULE Die Hauptstadt des Zeichnens       Illust RPUNKT:
                                                                       ratio
             TYPISCH! Setzen Verlage zu sehr auf Klischees?                   n
             INTERVIEW Wie kleine Kinder Bilder wahrnehmen
             COMEBACK Biene Maja von 1977 kehrt zurück in die Kinos
Illustration - LAG Kinder- und Jugendkultur eV
Inhalt
03   Editorial
		   Heidi Jakob

04   Stadt des Bilderbuchs
		   Hamburg ist eine Hochburg der Illustration

06   Wie kleine Kinder Bilder wahrnehmen                                        Herausgeber
		   Prof. Dr. Dagmar Bergs-Winkels im Interview
                                                                      LAG Kinder- und Jugendkultur e.V.
                                                                       www.kinderundjugendkultur.info
                                                                     Ehrenbergstraße 51, 22767 Hamburg
09   Von der Idee zum Kinderbuch
                                                                         Telefon: 040 - 524 78 97 10
		   Illustratorin Jutta Bauer über die Schulter geschaut
                                                               Die LAG Kinder- und Jugendkultur vernetzt die
                                                             Hamburger Akteur*innen und vertritt die Interessen
12   Rosa für die Mädchen, Blau für die Jungs                ihrer Mitglieder gegenüber Politik und Verwaltung.
		   Über Buchgestaltung und Geschlechterklischees
                                                            Redaktion: Christine Weiser, Claas Greite, Dörte Nimz
                                                                         Grafik: Meike Gerstenberg
                                                                       Das nächste Heft erscheint im
15   Graphic Novel
                                                                                 April 2021
		   Eine Kunstform, die Zugänge schafft
                                                                      www.kinderundjugendkultur.info

                                                              Gefördert von der Behörde für Kultur und Medien
17   Vermittlung
                                                                    der Freien und Hansestadt Hamburg.
		   Das zweite Standbein vieler Illustrator*innen
                                                                                   Bildnachweise:
19   Kritik                                                   Titel: Illustration Dieter Wiesmüller, aus: Wiesmüller/
		   Biene Maja zurück auf der Leinwand                          Modick, Wo die Sonne schlafen geht, S. 3 Foto:
                                                               Cornelia Preira, S. 5 Zeichnungen: Dieter Wiesmül-
21   Landesvereinigungen vorgestellt:                        ler, S. 6 Illustrationen: Meike Gerstenberg, S. 8 Foto:
		   Die LKJ Sachsen                                        Kolja Warnecke, S.9, 10, 11 Zeichnungen: Jutta Bauer,
                                                            Fotos: Samira Aikas, S. 15 Zeichnung: Anke Feuchten-
23   Meldungen                                                berger, S. 16 Buchcover 20. Juli 1944: Niels Schrö-
                                                            der/Bebra Verlag, Cover Hammaburg: Jens Natter/Ellert
                                                              & Richter Verlag, S. 19 Fotos: Universum Film, S. 21
24   Tipps                                                        Foto: LKJ Sachsen, S. 23 Grafik: Kibitz Verlag

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Illustration - LAG Kinder- und Jugendkultur eV
E D I TO R I A L

      Bilderleser*innen können mehr
                                                                   TEXT: HEIDI JAKOB

In Hamburg können sich an der Hochschule für Angewandte Wissen-                      vielfältige künstlerische Verfahren ein, mit denen sie Kinder und Jugend-
schaften (HAW) angehende Illustrator*innen im Studiengang Illustration               liche zu gestalterisch-ästhetischem Handeln anregen. In allen unseren
in fünf Schwerpunkten ausbilden lassen: Buchillustration, Informative                Disziplinen entstehen im übertragenen Sinn Bilder, die sich Ausdruck
und Wissenschaftsillustration, Digitale Animation und Editorial Illust-              verschaffen und sichtbar werden.
ration, Graphische Erzählung sowie Interaktive Illustration und Games.
Das ist bundesweit einmalig.                                                         Viel Spaß und eine anregende Lektüre des druckfrischen kju!

Wir nennen unsere Stadt liebevoll „Freie und Lesestadt Hamburg“ und
sie ist die Hauptstadt des Kinderbuches. Engagierte Verlage haben hier
ihren Wirkungsort. Aus Buchhandlungen und Bibliotheken werden Bilder-
geschichten und Filme mit nach Hause genommen. In kulturellen
Bildungsorten bestaunen Kinder und Jugendliche Illustrationen im
Original.

Kunstschaffende wissen, wie bedeutsam es für Kinder und Jugendli-
che ist, Bildliteralität zu erwerben. Der Weg dahin wird in der Litera-                                     HEIDI JAKOB
tur auch als Bild-Alphabetisierung bezeichnet, weil neben der Literali-
tät im Umgang mit Schrift und Text eben auch der mit Bildern erlernt
werden muss.                                                                         Heidi Jakob wusste schon als Kind, dass sie später in einer
                                                                                     Bibliothek arbeiten wollte. Sie studierte Bibliothekswesen in Hamburg und
Kinder und Jugendliche können in Veranstaltungen, die oft von und mit                ist seit 1982 Mitarbeiterin der Bücherhallen Hamburg. Seit April 2014 ist
Illustrator*innen entwickelt werden, gezielt Bilder betrachten, reflek-              ihr Aufgabengebiet die zentrale Koordination der Kinderprogramm- und
tieren, befragen, vergleichen, prüfen, diskutieren, bewerten und verarbei-           Netzwerkarbeit der Bücherhallen. Seit 2016 ist sie Mitglied des Vorstands
ten und ihre eigene Bildsprache entdecken. Akteur*innen in der Kulturellen           der LAG und dort unter anderem Ansprechpartnerin für den Bereich Kita.
Bildung regen zum differenzierten Umgang mit Kunst an. Sie setzen

                                                                              3
S C H W E R P U N KT

Wo die Hand das Denken lernt
                                                   Hamburg ist ein ganz besonderes
                                                   Biotop der Bilderbuchillustration
                                                                  TEXT: LUTZ WENDLER

W
                   ie anregend Hamburg auf           Infrastruktur. Neben wichtigen Verlagen wie      Wesentliche Voraussetzung für diesen Reich-
                   die bildliche Fantasie wir-       Oetinger und Carlsen gibt es in der Stadt das    tum an Talent ist ein einzigartiger Ausbildungs-
                   ken kann, zeigt das Buch          2005 von der Kunsthistorikerin Dagmar Gaus-      gang, der Hamburg national sowie europa-
                   „Wo die Sonne schlafen            mann-Läpple gegründete Kinderbuchhaus im         weit für Studierende attraktiv macht und welt-
                   geht“ von Dieter Wiesmül-         Altonaer Museum als wichtigen Ausstellungs-      weit Anerkennung erfährt. An der Hochschule
                   ler. Die Stadt wird darin zu      ort und Raum für Erkundungen beim Selberma-      für Angewandte Wissenschaften (kurz HAW;
einem magischen Traumort unter Wasser, mar-          chen. Außerdem wurde 2018 der Verein Neues       früher: Fachhochschule für Gestaltung an der
kante Gebäude wie das Rathaus, der Michel            Bilderbuch zur Förderung der Bilderbuchkunst     Armgartstraße) kann explizit Illustration stu-
oder das Hotel Atlantic erscheinen als Relikte       gegründet und 2019 erstmals der mit 12.000       diert werden. Mehr noch: Die unterschiedli-
eines vertrauten Atlantis, versunken in tiefem       Euro dotierte Hamburger Bilderbuchpreis ver-     chen Modulgruppen des Studienschwerpunkts
ozeanischen Blau.                                    liehen, der als Nachwuchsförderung ein über-     Illustration machen es möglich, sich umfassend
                                                     zeugendes Buch-Konzept honoriert und zudem       künstlerisch, handwerklich, digital und theore-
Dieses Bilderbuch, das mit einem begleitenden        die Veröffentlichung ermöglicht.                 tisch zu bilden. Bernd Mölck-Tassel, seit 2005
Text von Klaus Modick erstmals im Jahr 2000                                                           Professor für Illustration an der HAW, ist eben-
bei Carlsen erschien, ist geeignet, als Pars pro     Vor allem aber: In Hamburg konzentriert sich     so wie sein Vorgänger Rüdiger Stoye eine prä-
Toto eine gut begründete Einschätzung zu ver-        kreative Vielfalt. Zahlreiche der bekanntesten   gende Persönlichkeit, die als Lehrer über den
anschaulichen. „Die ansässigen Künstler*in-          deutschen Illustrator*innen leben und arbei-     Studiengang hinaus wirkt. Mölck-Tassel, der
nen sorgen für eine lebendige Illustrationssze-      ten in der Stadt, angefangen bei älteren Prot-   selbst prämierte Kinderbücher illustriert hat
ne und machen Hamburg zu einer Hauptstadt            agonist*innen der Szene wie Jutta Bauer, Ole     und für die FAZ mehrere Jahre lang regelmäßig
der europäischen Bilderbuchkunst“, sagt Frank        Könnecke, Peter Schössow, Dieter Wiesmül-        Zeitungsstrips zeichnete, steht für eine praxis-
Kühne, Programmleiter bei Carlsen. Dazu passt        ler, Sabine Wilharm über die mittlere Genera-    nahe Betreuung der Studierenden, die in sie-
eine Statistik aus der vorletzten November-          tion wie Henriette Sauvant oder Katja Gehr-      ben Semestern einen Bachelor- und in weiteren
Woche: Von den 100 bei mediacontrol aufge-           mann bis hin zu den jüngsten Absolvent*in-       drei den Master-Abschluss erwerben können.
zeigten auf dem deutschen Markt erfolgreichs-        nen wie Elsa Klever und Torben Kuhlmann –
ten Kinder- und Jugendbüchern kamen 54 aus           um nur einige zu nennen. Dass sie alle auch      Er beschreibt, wie sich die HAW in ihrer Philo-
Hamburger Verlagen.                                  nach ihrem Studium in Hamburg geblieben          sophie trotz notwendiger Veränderungen stets
                                                     sind, hat damit zu tun, dass die Medienstadt     treu geblieben sei. „Wir wollen in unserem
Grund für Hamburgs Bedeutung im Genre Bil-           sozusagen ein ideales Biotop für ihre Profes-    Curriculum beides, digital arbeiten und Tech-
derbuch ist eine über viele Jahre gewachsene         sion bietet.                                     niken anbieten, bei denen die Hände schmut-

                                                                             4
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zig werden“, sagt er. Denn es gehe um Sen-         rin des Familienunternehmens in dritter Gene-
                                                                                              sibilisierung: „Über das Handwerk wird auch        ration, erzählt, dass Studierende aus einem
                                                                                              das Digitale trainiert.“ Oder, wie der Illustra-   Kurs von Bernd Mölck-Tassel von Cornelia
                                                                                              tor Dieter Wiesmüller es formuliert: „Ich emp-     Funke (die übrigens auch an der HAW Illust-
                                                                                              finde es als einen der besten Zustände, wenn       ration studiert hat, bevor sie sich ganz auf ihr
                                                                                              die Hand denkt.“                                   erzählerisches Talent konzentrierte) eingela-
                                                                                                                                                 den wurden, jeweils eine Illustration zu einer
                                                                                              Die HAW bietet deshalb neben digitalen Labo-       Geschichte aus dem „Reckless“-Kosmos anzu-
                                                                                              ren und den selbstverständlichen Kursen in         fertigen. „Anschließend wurden zehn Künst-
                                                                                              Malerei und Zeichnen auch traditionelle Werk-      ler*innen ausgewählt, die nach Malibu zu Cor-
                                                                                              stätten, um den Studierenden Möglichkeiten         nelia Funke gereist sind beziehungsweise noch
                                                                                              zu eröffnen, zum Beispiel mit Lithographie,        reisen werden, um dort zu arbeiten und sich
                                                                                              Siebdruck oder Radierungen neue Ausdrucks-         von dem magischen Ort in wilder Natur ins-
                                                                                              möglichkeiten zu erproben. „Es geht um eine        pirieren lassen“, so Julia Bielenberg. „Dieses
                                                                                              möglichst große künstlerische Basis“, sagt         Stipendium wurde von Cornelia Funke, dem
                                                                                              Mölck-Tassel und fügt hinzu, dass die Ausbil-      Dressler Verlag und der HAW gestiftet. Eine der
                                                                                              dung niemals schematisch sein sollte: „Wir för-    Künstlerinnen war Mareike Ammersken, von
                                                                                              dern das Individuelle. Es ist wichtig, dass die    der wir im Dressler Verlag im Herbst ’21 ein
Bilder aus „Wo die Sonne schlafen geht“, Dieter Wiesmüller (Bilder) und Klaus Modick (Text)

                                                                                              Hochschule ein geistiges Klima schafft, dass       Bilderbuch veröffentlichen werden.“
                                                                                              etwas Spannendes geschehen kann – eine
                                                                                              Oase des freien Geistes, in der Raum ist für die   Und was macht nach Ansicht der Verlegerin ein
                                                                                              Entwicklung eines eigenen Stils.“                  gutes Kinderbuch aus? „Die Bilder dürfen den
                                                                                                                                                 Text nicht einfach nur illustrieren, vielmehr lie-
                                                                                              Teil dieses Prozesses ist auch die Nähe zur        fern sie ihre eigene Dimension der Geschich-
                                                                                              beruflichen Praxis, etwa mit internationalen       te. Sie lassen Raum für Interpretation, eigene
                                                                                              Workshops, wo unter Zeitdruck Themen bear-         Gedanken und beflügeln die Fantasie. Idealer-
                                                                                              beitet werden. Oder beim Gruppenbesuch von         weise sollte ein Bilderbuch auch immer ohne
                                                                                              Messen wie der Bologna Children’s Book Fair,       den Text ‚lesbar‘ sein, so können sich auch
                                                                                              wo die Studierenden ihre Mappen dabeihaben         kleine Kinder allein in ihr Bilderbuch vertiefen.
                                                                                              und mit Verleger*innen ins Gespräch kommen.        Ein gutes Bilderbuch ist ein kompletter Mikro-
                                                                                              Überdies wird für den Master als Abschluss-        kosmos auf etwa 32 Seiten, der seine Leser*in-
                                                                                              arbeit ein Buchprojekt über anderthalb Jahre       nen für Stunden in eine andere Welt entführt.
                                                                                              verfolgt, das nicht selten bereits zum Studien-    Ein hoher Anspruch!“, sagt Julia Bielenberg.
                                                                                              abschluss einen Verlag gefunden hat. Einige        Bernd Mölck-Tassel zögert vor der Antwort: „Es
                                                                                              Kontakte zu Illustrator*innen entstehen schon      gibt dafür kein Rezept. Antrainiertes visuelles
                                                                                              während des Studiums, zum Beispiel bei der         Vokabular oder Klischees sollten vermieden
                                                                                              Präsentation der Semesterarbeiten. Und ein so      werden. Wichtig sind ein eigener Stil, künst-
                                                                                              wichtiger Partner wie die Verlagsgruppe Oetin-     lerische Individualität, besondere Atmosphäre.
                                                                                              ger engagiert sich darüber hinaus an der HAW.      Und im Idealfall steht das eigentlich Schöne
                                                                                              Julia Bielenberg, verlegerische Geschäftsführe-    zwischen den Zeilen.“

                                                                                                                     5
„Wer sich mit Bildern
                  S C H W E R P U N KT

auseinandersetzt, fördert
      die Sprache“

      Prof. Dr. Dagmar Bergs-Winkels von
       der Alice Salomon Hochschule in
       Berlin über die Frage, wie Kinder
               Bilder wahrnehmen
             INTERVIEW: CHRISTINE WEISER

                             6
Nehmen Kinder Bilder und Illustrationen anders
wahr als Erwachsene?
Ja. Untersuchungen zeigen, dass die Tiefenwahrnehmung bei Kindern
und Erwachsenen unterschiedlich ist. Das gleicht sich später an. Kinder
sehen erst das Wichtigste, dann den Rahmen. Erwachsene sehen zuerst
den Rahmen und integrieren da hinein das Wichtigste. Auch die Farb-
wahrnehmung unterscheidet sich. Ganz kleine Kinder erkennen beson-
ders gut Rot, diese Farbe kennen sie schon aus dem Bauch der Mutter.
Auch Schwarz-Weiß-Kontraste sprechen kleine Kinder sehr an. Diese Prä-
gungen sollten Kinderbücher widerspiegeln. Alle anderen Farben werden
später gelernt. Wenn Kinder selbst Bilderbücher aussuchen, greifen sie
zu solchen mit Schwarz-Weiß-Kontrasten oder zu Büchern, in denen die
Farbe Rot vorkommt.                                                               von Illustrationen kennen zu lernen. So entwickeln Kinder ihren eige-
                                                                                  nen Geschmack und lernen, danach auszusuchen. Darum bin ich dafür,
Wie können Bilderbücher die kindliche Entwicklung                                 erst einmal viel anzubieten. Ältere Bücher sind aus heutiger Sicht oft sehr
fördern?                                                                          geschlechtsspezifisch, sie sind eben in einem anderen kulturellen Kon-
Kinder lernen beim gemeinsamen Anschauen und Vorlesen von Bilderbü-               text entstanden. Die Jungen toben und sind aktiv, die Mädchen dagegen
chern, zum Beispiel die Leserichtung. Auch die Wortmacht lernen sie ken-          nicht so sehr. Kinderbücher spiegeln idealerweise unsere Lebenswelt und
nen. Das stellt man fest, wenn sie zum Beispiel eine Geschichte kennen und        die Diversität unserer Lebenswelten wider. Was Kinder langweilig finden,
der oder die Vorlesende einen Teil abkürzen möchte. Kinder wissen ganz            legen sie weg.
genau, was da steht und fordern ein, dass es vorgelesen wird. Beim Vorle-
sen lernen Kinder auch, dass wir Bücher von vorn nach hinten anschauen.           Wie können Bilder und Illustrationen das Lesenlernen
Das machen ja kleine Kinder nicht, sie schlagen das Buch irgendwo auf. Kin-       unterstützen?
derbücher regen die Fantasie und das Denken an oder stellen Dinge infrage.        Bilder können eine Brücke für das Lesenlernen sein, sie können Sprache
Kinderbücher sind für die kindliche Entwicklung attraktiv, sogar auf meh-         unterstützen. Deshalb verwenden viele in Handy-Nachrichten auch gern
reren Ebenen, wenn zum Beispiel Pop-up-Bücher das motorische und der              Emojis. Kinder haben früh ein Interesse daran, die Buchstaben, die ihren
Einsatz von verschiedenen Materialien das haptische Erleben unterstützen.         Namen bilden, zu erkennen. Einzelne Buchstaben zu kennen, kann mit-
                                                                                  unter beim Begreifen anderer Worte helfen.
Was macht eine gute Illustration aus?
Illustrationen sind kulturabhängig und können zum Beispiel beruhigen              Sind Comics und Graphic Novels gute Mittel zur Lese-
oder verstören – je nachdem in welchem Kontext sie stehen. Im Vergleich           förderung?
mit anderen kulturellen Kontexten sind die Illustrationen auf dem deut-           Alles, was mit Sprache und Lesen zu tun hat, ist gut als Leseförderung. Im
schen Buchmarkt überwiegend sanft, freundlich und beschützend. Wenn               Grunde auch das, was auf der Milchtüte steht. Comics und Graphic Novels
die Illustration bei einem Kind Interesse auslöst, ist sie in Ordnung. Ich        beruhen auf direkter Kommunikation und schulen vieles. Die Leserichtung
vertraue bei Illustrationen auf die Fantasie und Erfahrung der Illustra-          wird gelernt und oft sind sie lustig. Das ist ein guter Anreiz, vor allem für
tor*innen und finde, sie machen eine wunderbare Arbeit.                           Kinder, die nicht gern lesen oder Schwierigkeiten damit haben. Die Bil-
                                                                                  der sind die eyecatcher und halten die Kinder beim Thema, die Komplexi-
Gibt es aus Ihrer Sicht auch schlechte Illustrationen, die                        tät ist im Bild reduziert. Eltern sollten nicht nervös werden, wenn Kinder
Kinder unter- oder überfordern? Wenn ja, wie?                                     zu Comics greifen. Im Gegenteil, es ist eine große Leistung, mit wenigen
Es geht eher darum, Kindern zu ermöglichen, eine große Bandbreite                 Worten eine spannende Geschichte zu erzählen.

                                                                              7
Sehen Sie die Gefahr, dass in unserer immer stärker durch                          es zu wenig gute Büchereien. In Deutschland erhalten Kinder vorwiegend
Bewegtbilder geprägten Kultur (Internet, Fernsehen,                                über die Eltern Zugang zu Kunst und Musik. Für Kinder, die diese Angebo-
Videospiele) das Medium Illustration ins Hintertreffen                             te zu Hause nicht bekommen, müssen die Schulen da sein. Der Wert der
gerät? Falls ja, lässt sich dagegen etwas unternehmen?                             ästhetischen Bildung könnte noch viel zentraler sein.
Nein, diese Gefahr sehe ich nicht. Internet, Fernsehen und Videospiele
sind weitere Angebote, die mit Bildern arbeiten. Es gibt ganz tolle Einrich-       Ein praktischer Tipp für Kitas und Schulbücherereien ist zum Beispiel die
tungen, wie das Kinderbuchhaus in Hamburg, die gerade an der Schnitt-              Anschaffung von reinen Bilderbüchern. Das schult die Wahrnehmung und
stelle zwischen Bild und Text agieren. Die sind interessant für Kinder.            die Fantasie. In Schulen sind sie auch für Jugendliche gut einsetzbar. Wir
                                                                                   leben in einer sprach- und textlastigen Kultur, das zu ergänzen ist schön.
Lesen Kinder heute anders als vor 20 oder 30 Jahren?                               Wenn sich Kinder und Jugendliche mit Bildern auseinandersetzen, för-
Das Lesen als Kulturleistung hat sich nicht verändert. Die Medienvielfalt          dert das ihre Sprache. Aber die visuelle Erziehung fängt ja nicht erst in
ist durch Internet und Fernsehen heute größer, ebenso wie die Differenzie-         der Schule an. Daher freue ich mich über Programme wie Buchstart, die
rung der Inhalte. Kinderbücher spiegeln auch immer die kulturellen Kon-            Büchervielfalt auch schon für kleine Kinder zur Verfügung stellen.
texte wider, in denen sie entstanden sind. Sie setzen sich mit Werten und
Normen auseinander.

Rezipieren Kinder Illustrationen und Bilder anders als vor
20 oder 30 Jahren?
Ja, die Kinderfilme sind viel schneller geworden, die Bewegung der Bilder
ist schneller geworden. Das kann man auch bei der Sendung mit der Maus
beobachten, heute gibt es viele kleine, schnelle Sequenzen.

Welche Rolle spielt der kulturelle Hintergrund bei der                                       DAGMAR BERGS-WINKELS
Rezeption?
Der kulturelle Hintergrund spielt eine große Rolle bei der Frage, wie wir
Bilder sehen. In welcher Reihenfolge wir Bilder anschauen, ist kultur-             Dagmar Bergs-Winkels ist Professorin für Pädagogik der Kindheit und
historisch gelernt. In anderen Kulturen gibt es andere Vorgehenswei-               lehrt und forscht an der Alice Salomon Hochschule in Berlin. Sie ist Vorsit-
sen. Deshalb ist es spannend, auch Kinderbücher aus anderen Ländern                zende des Vereins zur Förderung der Bildung und Erziehung in der Kind-
anzuschauen und zu beobachten, inwieweit sie unsere Wahrnehmungs-                  heit. Der Verein ist Träger der Kitas CampusKinder und QuartiersKinder
gewohnheiten infrage stellen. Wer Kinderbücher aus anderen kulturellen             an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Dag-
Kontexten rezipiert, kann nicht nur andere Inhalte, sondern auch andere            mar Bergs-Winkels ist Zweite Vorsitzende des Forums für Bilder-Buch-
Visualisierungsformen kennenlernen.                                                Kultur. Der Verein ist Träger des Kinderbuchhauses im Museum Altona.
                                                                                   Außerdem ist sie Wissenschaftliche Beirätin bei Buchstart Hamburg e.V.
Brauchen Kinder an Schulen eine stärkere, vertieftere
visuelle Erziehung?
Ja, ich denke schon. Ich bin immer wieder erstaunt, wie wenig Bücher
es in Kitas gibt. Oft ist auch die Vielfalt nicht besonders groß und der
Bestand wird nicht fortlaufend mit Neuem ergänzt. Auch an Schulen gibt

                                                                               8
ist im Weg
                                     S C H W E R P U N KT

Das Ziel                                          r         gewährt Einblicke
       burger Illustratorin und Autorin Jutta Baue
Die Ham
                  AIKAS
INTERVIEW: SAMIRA

                                           9
zahlreichen Werken in vielen Sprachen und            ihre anderen beiden Projekte: ein Kinderbuch
                                                    einer langen Holztafel dominiert, die nicht nur      und einen autobiografischen Comic über ihre
                                                    für gemeinsame Mahlzeiten genutzt wird. Vor-         Familiengeschichte. Einen festen Tagesplan
                                                    mittags hat Jutta Bauer das Programm für ihre        hat Jutta Bauer nicht. Beim Frühstück über-
                                                    Sommerakademie-Kurse an der Hochschule in            legt sie sich, was sie an diesem Tag machen
                                                    Hamburg geschrieben. Die Vorstellung, dass           möchte, und wenn ihr danach ist, bleibt sie
                                                    man als Illustratorin den ganzen Tag nur dasitzt     auch mal zu Hause. Manchmal gebe es Druck,
                                                    und Bilder zeichnet, sei falsch. Es gehöre           weil sie dem Verlag eine Deadline zugesichert
                                                    viel anderes und jede Menge „Organisiererei“         habe, aber im Großen und Ganzen gehe sie
                                                    dazu, sagt Bauer.                                    sehr „bauchgesteuert“ an ihre Arbeit. „Anders
                                                                                                         würde es auch nicht funktionieren, weil unse-
                                                    Derzeit arbeitet sie an drei Projekten. An die-      re Arbeit nicht gut planbar ist. Zumindest bei
                                                    sem Tag ist eines dran, das spontan aus der          mir“, meint Bauer.
                                                    Situation im Frühling entstand, als Deutsch-
                                                    land plötzlich zu Hause bleiben musste. Jutta        Genau diese Freiheit sei einer der Aspekte, die
                                                    Bauer hatte als junge Zeichnerin sieben Jahre        sie an ihrem Beruf so liebt. Ein anderer sei,
                                                    lang für die Zeitschrift „Brigitte“ Szenen aus       dass sie tun könne, was ihr Talent sei, und
                                                    dem Alltag von Frauen als Karikaturen genau          davon auch leben könne. Das sei nicht mehr
                                                    auf den Punkt gebracht. Während des Corona-          selbstverständlich, die meisten Illustrator*in-

 D
                     er Industriegebäudekom-        Lockdowns kehrte sie zu diesen Wurzeln zurück        nen könnten heute nur sehr schwer von ihrer
                     plex des Goldbekhofs wirkt,    und fertigte jeden Tag eine visuelle Tagebuch-       Arbeit leben. Sie sei in der glücklichen Lage,
                     illuminiert im spätherbstli-   seite aus ihren Beobachtungen und Selbst-            einen bekannten Namen zu haben, „aber
                     chen Schmuddelwetter, fast     reflexionen an. So entstanden die 43-seiti-          selbst Jutta Bauer kann nicht alles unterbrin-
                     magisch. In diesem Hort für    gen Corona-Diaries. An diesem Tag sollten die        gen“, wie sie sagt. Der Mainstream wird nach
                     Kunstschaffende aller Be-      150 Bücher, die als Katalog begleitend zu ihrer      Bauers Erfahrung immer breiter und die beson-
reiche hat Jutta Bauer seit Mitte der 1980er-       Ausstellung im Eppendorfer Kulturzentrum             deren, eigenen und etwas schwierigen Sachen
Jahre ein Atelier. Sie zählt zu den bekanntesten    Kunstklinik gedacht sind, eigentlich ankom-          werden immer weniger und eher von mutigen
und erfolgreichsten Bilder- und Kinderbuch-         men. Wegen Überlastung durch Kurzarbeit in           kleinen Verlagen verlegt. Auch die Zusammen-
Illustratorinnen und -Autorinnen Deutsch-           der Druckerei sind sie aber noch nicht da. Die       arbeit mit den Verlagen sei heute anders, sper-
lands. Ihre Arbeiten sind fester Teil der zeitge-   Ausstellung in der Kunstklinik soll bis zum          riger. Deshalb hat Jutta Bauer vor zwei Jahren
nössischen Kinderliteratur und wurden               7. Januar laufen (Anm. d. Red.: Stand bei            zum ersten Mal eine Agentin engagiert.
unter anderem zweimal mit dem Deutschen             Redaktionsschluss).
Jugendliteraturpreis und zuletzt mit dem Hans-                                                           Einige ihrer Buchprojekte dauern Monate lang,
Christian-Andersen-Preis ausgezeichnet.             In die Vorbereitungen der Ausstellung fällt          andere sind „quasi im Handumdrehen“ fertig.
                                                    der zweite Lockdown. Doch wie sich dann              Früher habe sie auch mal nächtelang durchge-
In ihrem „Nest“, wie sie ihr Atelier nennt,         herausstellt, muss die Kunstklinik nicht kom-        arbeitet, wenn sie „einen guten Flow“ hatte.
beherbergt Jutta Bauer eine junge Comiczeich-       plett schließen, kann einen Teil ihres Angebots      In so einer nächtlichen Session entstand einer
nerin sowie das Lektorat des Kibitz-Verlags,        unter strengen Auflagen beibehalten. Womit           ihrer Bestseller: ihr Kinderbuch „Selma“ über
der 2019 gegründet wurde und Kindercomics           die Ausstellung gerettet ist. Was steht nun auf      ein Schaf, das ganz ohne Ehrgeiz in seiner
verlegt (siehe Seite 23). Der große Raum des        dem Programm? Jetzt, wo alles für die Aus-           täglichen Routine sein Glück findet. Das 24-sei-
Ateliers wird von Bücherregalen mit Jutta Bauers    stellung organisiert ist, hat Jutta Bauer Zeit für   tige Büchlein hat sich weltweit rund 400.000

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Mal verkauft und war eigentlich nur ein Weih-          Dass ihre Arbeit dem Auftraggeber nicht gefiel,   Bild und Text sind relativ eng verzahnt. Das,
nachtsgruß für Freunde gewesen, bis der                kam bei ihr noch nie vor. „Ich bin jetzt auch     was über die Bilder erzählt sei, werde nicht als
Lappan Verlag daraus ein Buch machen woll-             im Rentenalter und kann machen, was ich           Text gebraucht – und umgekehrt. „Ich muss
te. Es sei einfach eine Geschichte gewesen, die        will, und muss jetzt nicht mehr Bücher runter-    nicht schreiben, dass das Viech traurig ist. Das
sie erzählen wollte, und wenn man Geschich-            schrubben, um meinen Lebensunterhalt zu ver-      sieht man an der Mimik. Wenn da Text steht,
ten macht, gibt man automatisch etwas mit.             dienen“, sagt die 65-Jährige.                     ist es eher so was wie ‚Das Viech lief Tag und
Für Kinder seien Geschichten in Wort oder Bild                                                           Nacht’ und man sieht dann im Bild, dass es vor
ein wichtiges Lebensmittel, meint Bauer. Sie           Ihr aktuelles Kinderbuchprojekt stammt aus        Erschöpfung zusammenklappt.“ Das ist eine
bräuchten sie, um sich die Welt zu erklären,           ihrer Feder und wird wahrscheinlich den Titel     Stärke von Jutta Bauer: Ihre Bilder sprechen
und als Hilfestellung für ihr Leben. Bei einem         „Der Weg“ bekommen und im Kibitz-Verlag           Bände und ermöglichen so auch ganz kleinen
guten Kinderbuch findet nach Bauers Auffas-            erscheinen. Die Hauptfigur des Buchs ist ein      Leser*innen, die Geschichten auch ohne viele
sung etwas statt, das mit dem Alltag und dem           nicht näher definiertes, emsiges rattenähnli-     Worte zu verstehen.
Leben der Kinder zu tun hat.                           ches „Viech“. Das Viech bekommt von seinem
                                                       König den Auftrag, eine Botschaft ins benach-     Ihr Erfolgsrezept? Authentizität und der
Die Koloration von Selma nahm dann noch mal            barte Königreich zu bringen und stößt auf sei-    Wunsch, eine Geschichte zu zeichnen und zu
ein paar Tage in Anspruch, da Jutta Bauer vor          ner Reise immer wieder auf Hindernisse. Es        schreiben, die ihr selbst gefällt. Bücher nur
20 Jahren, als das Buch entstand, ihre Zeich-          muss anderen helfen, wird gejagt, gerettet und    deshalb zu machen, weil sie sich vielleicht gut
nungen allein per Hand als Karton mit Aqua-            verliebt sich sogar. Am Ende läuft das Wesen      verkaufen könnten, hält sie für falsch. „Ich
rell-, Gouache- oder auch mal mit Acrylfarben          im Kreis und kommt wieder bei seinem König        glaube, die wirklich guten und letztlich hof-
kolorierte. Heute zeichnet die Linkshänderin           an, ohne den Auftrag erfüllt zu haben. Der ist    fentlich auch erfolgreichen Bücher sind die, wo
immer noch direkt mit einem Stift auf Papier,          von den Geschichten so begeistert, dass er die    jemand ganz sein Ding macht, was zu erzählen
macht die Kolorationen und Bildbearbeitungen           eigentliche Botschaft ins Kaminfeuer wirft. Am    hat und das auch tut, ohne sich in irgendeinen
mal per Hand und mal mit einem Bildbearbei-            Ende dürfen alle neuen Freunde mit ihm im         Markt zu quetschen. Möglicherweise funktio-
tungsprogramm am Computer-Zeichenpad.                  Königreich leben und auch die Liebesgeschich-     niert letzteres auch, aber das fände ich eher
                                                       te hat ein Happy End. „Ich wollte mal ein Kin-    schade“, sagt Bauer und lacht wieder.
Jutta Bauer hat schon oft mit vielen bekann-           derbuch machen, bei dem am Ende alles gut
ten Verlagen wie Carlsen oder Beltz und renom-         ausgeht. Es gibt genug Probleme.“ Ist der Weg
mierten Kinderbuchautor*innen wie Kirsten Boie,        das Ziel? „Eher ist das Ziel im Weg“, meint
Christine Nöstlinger, Annette Pehnt oder Jürg          Bauer und lacht herzlich.
Schubiger gearbeitet. Generell möchte sie aber
lieber ihre eigenen Bücher zeichnen und schrei-        Kinder können die Geschichten auch
ben. Nein, an den Autor*innen liege es nicht. Die      ohne Worte verstehen
hätten ihr eigentlich nie in die Arbeit reingeredet,
auch die Verlage nicht. „Ich habe immer die Texte      Im oberen Bereich des Buchs ist die Odys-
respektiert und die meine Illustrationen“, erklärt     see des kleinen Wesens in bunten Farben zu
Bauer. Die Zeichnung zu Annette Pehnts Figur           sehen. Darunter läuft immer eine kleine Bil-
„Bärbeiß“ hat sie einmal vorab geschickt, um           derabfolge ohne Text in Schwarz-Weiß, in dem
zu sehen, ob das so gehe, da die Figur ein zotteli-    man den König parallel bei seinem öden Alltag
ges, großes Monster ist und damit dem „Grüffelo“       beobachten kann. Die Grundlage bei diesem
von Schriftstellerin Julia Donaldson und Illustrator   Kinderbuch ist ein Storyboard, also Kästchen,
Axel Scheffler etwas ähnele.                           wie sie auch beim Trickfilm benutzt werden.

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     S C H W E R P U N KT

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T                             Setzen Verlage bei der
                            Buchgestaltung zu sehr auf
                             Geschlechter-Klischees?
                                 Eine Kontroverse
                                  TEXT: CLAAS GREITE

          12
!    R
                      osa und Rot für die Mädchen, Blau und Schwarz für die               Deutschland – ein Ort der gestalterischen Einfalt also, in dem Kindern
                      Jungs. Prinzessinnen und Pferde für die Mädchen, Welt-              „visuelles Fastfood“ vorgesetzt wird? Das kju-Magazin hat mehrere Kin-
                      raum und Pistolen für die Jungs. Niedlichkeit und Herz-             der- und Jugendbuchverlage mit den Vorwürfen konfrontiert. Zu einer aus-
                      schmerz für die Mädchen, Action und Abenteuer für die               führlichen Stellungnahme war aber nur der in Hamburg ansässige Carlsen-
                      Jungs. Wer durch die Kinder- und Jugendabteilungen der              Verlag bereit, Deutschlands größter Kinder- und Jugendbuch-Verlag. Frank
                      Buchhandlungen geht, findet viele Bücher, die nach Mus-             Kühne, Programmleiter für den Bereich Kinderbuch, spricht von einer „rosa
    tern wie diesen gestaltet sind. Setzen deutsche Kinder- und Jugendbuch-               Phase“ bei Mädchen und „schwarzen Phase“ bei Jungen als Teil der kindli-
    verlage zu sehr auf Geschlechterklischees, um ihre Produkte abzusetzen?               chen Entwicklung. Solche Phasen seien normal und gingen vorbei. Er sagt
    Ja – meint Bernd Mölck-Tassel, Professor für Illustration an der Hochschu-            aber auch: „Eltern müssen Kindern die Möglichkeit geben, nicht in die binä-
    le für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg. Er beklagt: „Gerade                   re Falle zu gehen“. Und auch die Verlage hätten hier eine Verantwortung:
    bei Jugendbüchern wird ganz massiv mit Geschlechterklischees gearbei-                 „Unsere Aufgabe ist es, genau das zu schwächen und differenziertere Gen-
    tet.“ Besonders die Cover würden vermeintlich „jungen- oder mädchenty-                der-Rollenbilder anzubieten.“
    pisch“ gestaltet. Ähnlich sieht es die Hamburger Illustratorin Miriam Elze:
    „Geschlechterklischees findet man auf Buchcovern“.                                    Dieser Aufgabe würden Carlsen und andere Verlage aber auch weitgehend
                                                                                          gerecht: „Das Angebot der Verlage ist sehr viel differenzierter, als es an der
    Bernd Mölck-Tassel spricht von „visuellem Fastfood“, das junge und älte-              Oberfläche wahrgenommen wird.“ Es gebe etwa durchaus stark auftretende
    re Betrachter*innen unterfordere. Das gehe über die Geschlechterklischees             Mädchenfiguren, Pippa Pepperkorn von Charlotte Habersack (Autorin) und
    hinaus – Covergestaltungen seien oft standardisiert, schablonenhaft und               Melanie Garanin (Illustration) sei ein Beispiel. Ein anderes Beispiel: Pembo,
    künstlerisch wenig innovativ. Mölck-Tassel: „Auf Buchmessen fallen mir                die Figur von Ayse Bosse (Autorin) und Ceylan Beyoglu (Illustration) – sie ist
    immer wieder sehr bunte Bücher auf. Das Gras ist grün, der Himmel hell-               mit kurzen Haaren gezeichnet, das Cover ist blau gestaltet. Kühne: „Es gibt
    blau, das Schwein rosa. Solche Bilder sind wie Nahrung mit Geschmacks-                Mädchen-Darstellungen, die überhaupt nicht dem entsprechen, was Herr
    verstärker.“                                                                          Mölck-Tassel zu Recht anklagt.“

    Mölck-Tassel führt das auf eine „fehlende Philosophie in weiten Teilen der            Dann aber holt Frank Kühne ein Buch mit rosafarbenem Cover hervor: „Dis-
    deutschen Verlagslandschaft“ zurück. Er sagt: „Wenn meine Studierenden                ney Prinzessin – Das große Buch mit den besten Geschichten“. Daneben
    auf Buchmessen ihre Entwürfe zeigen, heißt es bei den deutschen Ständen               hält er das Buch „Pembo – halb und halb macht doppelt glücklich“. Und
    oft als erstes: ‚Das ist zu künstlerisch, das lässt sich nicht verkaufen. Ganz        sagt: „Wir machen beides.“ Und: „Ich bin für diese beiden Bücher verant-
    anders ist es bei den französischen Verlagshäusern. Da wird gesagt: ‚Oh,              wortlich. Ich persönlich.“
    das ist schön‘ und später wird über die Chancen am Markt gesprochen.“
    Teil einer verlegerischen Philosophie, so Mölck-Tassel, müsse es immer sein,          „Prinzessin Lillifee“ als Symbolfigur eines Roll-Backs
    qualitativ hochwertiger Kunst eine Plattform zu geben. Kinderbuchverlage
    hätten so die Chance, „visuelle Frühförderung“ zu betreiben – doch diese              Auf die Frage, warum der Carlsen-Verlag denn beides mache, holt er wei-
    Chance werde in Deutschland leider oft vertan.                                        ter aus. „Vor 15 Jahren haben wir, was die Gender-Polarisierung anbetrifft,
                                                                                          einen Backlash erlebt. Noch in den 90er-Jahren war das viel liberaler und
    Miriam Elze blickt ebenfalls etwas neidvoll nach Frankreich – dort würden             viel weiter.“ Im Kinder- und Jugendbuchbereich sei diese Entwicklung an
    oft visuell anspruchsvollere Illustrationen realisiert. Für die Merkmale vie-         der Figur „Prinzessin Lillifee“ abzulesen. „Da gab es einen Roll-Back, und
    ler deutscher Buchcover hat sie noch eine andere Erklärung: „Viele Verlage            die Marke Prinzessin Lillifee ist die Ikone dafür.“ Die Figur sei „wahnsinnig
    kämpfen ums Überleben, deshalb haben Marketingabteilungen einen star-                 mädchenhaft, britisch-süßlich. Wir Programm-Macher haben am Anfang
    ken Einfluss auf Entscheidungen bezüglich der visuellen Umsetzung.“                   gedacht, das wird in Deutschland nie erfolgreich. Aber es wurde sehr, sehr,

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Kühne räumt aber ein, dass es im Jugendbuchbereich noch deutlich mehr
                                                                                          genderspezifische Bücher und ganze Reihen gebe. Das erklärt er so: „Es gibt
                                                                                          einfach zu wenig jugendliche Männer, die lesen.“ Nur um die 20 Prozent der
                                                                                          Leser*innen zwischen 12 und 18 seien männlich, deshalb gebe es „ein gro-
                                                                                          ßes Angebot an Umschlägen, die die klassisch-femininen Erkennungsmerk-
                                                                                          male bedienen.“ Aber aktuell gebe es auch da einen Gegentrend: die neuen
                                                                                          Cover besonders bekannter und sichtbarer Jugendbuchreihen wie „Tribute
                                                                                          von Panem“ oder „Bis(s)“ oder „Villains“ seien nicht feminin rosa sondern
                                                                                          schwarz – und damit außerordentlich erfolgreich.

                                                                                          In einem weiteren Punkt gibt er Mölck-Tassel und Miriam Elze Recht. Das
                                                                                          betrifft die oft etwas schematische, wenig vielschichtige Gestaltung von
                                                                                          Covern. Kühne sagt: „Wir haben leider kaum noch einen beratenden Buch-
                                                                                          handel. Deshalb müssen wir es schaffen, dass der Kunde das Buch am Cover
Zwei Bücher des Carlsen-Verlags - und zwei sehr verschiedene Mädchen-Darstellungen
                                                                                          erkennt, dass er sich gut und schnell orientieren kann.“ Deshalb seien die
                                                                                          Cover „in der Regel, auch im Jugendbuch, tendenziell schematischer und
sehr erfolgreich.“ Mit Lillifee sei „so ein Mädchenbild“ zurückgekommen,                  weniger differenziert als die Inhalte“.
„was es vorher in Deutschland im Kinderbuch so nicht gegeben hatte.“
                                                                                          Kinderbücher in Frankreich „künstlerischer, konzept-
Warum das so sei, es diesen Backlash gebe, erklärt Kühne so: „Ein zentra-                 stärker, frischer, freier“
ler Grund ist die Orientierung im Handel. Bücher werden zu 70 Prozent ver-
schenkt. Auch an die Neffen und Nachbarskinder. Käufer*innen wüssten                      Wie Elze und Mölck-Tassel ist er der Ansicht, dass das deutsche Publikum,
manchmal sehr wenig über diese Kinder, bis auf die Tatsache, dass sie ein                 verglichen mit dem im Nachbarland Frankreich, leider weniger bereit ist,
Junge oder Mädchen sind.“                                                                 künstlerisch anspruchsvoll gestaltete Kinder- und Jugendbücher zu kaufen.
                                                                                          Kühne: „Wir schauen immer voller Neid auf Frankreich. Das ist eine ande-
Versuche mit genderspezifischen und genderneutralen Buchcovern hätten                     re Buchkultur. Das Kinderbuch ist künstlerischer, konzeptstärker, frischer,
gezeigt, dass Eltern „zu 70 Prozent häufiger“ zu dem genderprofilierten                   freier.“ Carlsen habe auch viele französische Illustrator*innen im Programm,
Buch greifen. Es gebe aber auch entsprechende Kinderwünsche, etwa Mäd-                    aber „es wird nicht so angenommen.“
chen, die sagen: „Ich wünsche mir ein rosa Buch, weil ich dann das Gefühl
habe, das gehört zu mir.“                                                                 Immerhin sieht Kühne eine positive Entwicklung in Deutschland. „Es gibt
                                                                                          mehr einzelne Erfolge von Illustrationsstilen, die nicht so kitschig und fanta-
Ist Pembo also ein Nischenprodukt, wird das Geld letztlich mit Prinzessin                 sielos sind.“ Dem schließt sich Miriam Elze an: „Es gibt auch schöne, unge-
Lillifee verdient? Das verneint Kühne. „Genderspezifische Cover laufen gar                wöhnliche Bücher. Ich habe den Eindruck, sogar mehr als früher!“ Und
nicht unbedingt besser.“ Besonders betont er: „Diese starke Gender-Polari-                Bernd Mölck-Tassel sagt: „In Deutschland ist in den vergangenen 15 Jah-
sierung ist ein Trend, der abklingt. Und das finden wir sehr gut.“ Ein Bei-               ren vieles deutlich besser geworden in Sachen Illustration.“ Für die Zukunft
spiel für eine gut gehende, geschlechterneutrale Reihe sei „Die Schule der                wünscht er sich noch mehr „Bildkompetenz“ in deutschen Verlagen – und
magischen Tiere“, die im Carlsen-Verlag erscheint und auf die Kühne stolz                 auch etwas mehr verlegerischen Mut.
ist. Die stark genderspezifischen Bücher seien „noch ein Teilmarkt“, er nennt
auch eine Zahl: „Wir bei Carlsen machen vielleicht noch zwei Prozent rosa
Bücher im Kleinkindalter-Bereich.“

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                                                                                                                         at sich a
                                                                          S C H W E R P U N KT

                                                                                                               ov e l  h
                                                                                                         phic N            ie neues
                                                                                                 Die Gra               t, d

Made in Hamburg:
                                                                                                                 lie  r
                                                                                                  rzählfo rm etab chließt
                                                                                                 E               ers
                                                                                                       Publikum

Comics mit langem Atem
                                                                                                                           NDL   ER
                                                                                                                    UTZ WE
                                                                                                            TEXT: L

  D
                  em Laden im Souterrain ist von außen nicht anzusehen,
                  dass er als erste Adresse gilt. Tatsächlich ist „Strips & Sto-

                                                                                                                                      Panel aus Anke Feuchtenbergers noch in Arbeit befindlichem Buch „Ein deutsches Tier in deutschem Wald“
                  ries“ in der Wohlwillstraße 28 auf St. Pauli unter Kennern
                  als der Buchladen für Graphic Novels bekannt und einzig-
                  artig in Hamburg, vielleicht sogar bundesweit. Der Comic-
                  Fan Hans Ebert hat das Geschäft vor zehn Jahren gegrün-
det – „als Liebhaberprojekt“, wie er sagt, dem Vorbild eines Ladens in Mon-
treal folgend. „So etwas fehlte hier. Deshalb sind wir rasch gewachsen und
waren bald ein Szene-Treff“, erzählt Ebert.

„Strips & Stories“ veranstaltet Buchpremieren, Lesungen, Ausstellungen und
ist an der Organisation des jährlichen Comicfestivals Hamburg beteiligt. Vor
allem aber bildet der Laden die Vielfalt des Genres Graphic Novel ab. Ange-
fangen bei Klassikern wie Art Spiegelmans Holocaust-Verarbeitung „Maus
– Die Geschichte eines Überlebenden“ (1986) bis hin zur Wiener „Ulysses“-
Adaption von Nicolas Mahler und aktuellen Sachcomics zur Quantenphysik
oder zum Mueller-Report. In diesem internationalen Umfeld kommt beson-
ders gut zur Geltung, was deutschsprachige Zeichner*innen und insbeson-
dere die aus Hamburg zur Graphic Novel beitragen.

Ebert zählt spontan einige auf: Birgit Weyhe, Kathrin Klingner, Hannah
Brinkmann, Tanja Esch, Mia Oberländer und Sascha Hommer. Weyhe zum
Beispiel hat in „Madgermanes“ eine komplexe interkulturelle Geschichte
von sogenannten Vertragsarbeiter*innen aus Mosambik in der DDR erzählt,
Brinkmann empfindet in ihrer atmosphärisch dichten zeithistorischen Gra-
phic Novel „Gegen mein Gewissen“ nach, wie ihr pazifistischer Onkel den
Kriegsdienst verweigerte, trotzdem eingezogen wurde und warum er 1974

                                                                                   15
während der Grundausbildung bei der Bundeswehr Suizid beging. Allen                                                         Das zum 75. Jahrestag des Atten-
Zeichner*innen ist gemeinsam, dass sie an der Hochschule für Angewand-                                                      tats veröffentlichte Buch war als
te Wissenschaften (HAW) studiert haben – „sozusagen bei der ‚Mutter der                                                     gelungenes Beispiel anschaulicher
Szene’“, sagt Ebert und grinst. Er meint damit Anke Feuchtenberger, Profes-                                                 Geschichtsvermittlung sehr gefragt.
sorin für Medienillustration, Zeichenlehrerin und selbst einflussreiche und                                                 Schröder hielt Vorträge, besuchte
vielfach ausgezeichnete Comic-Autorin und Illustratorin.                                                                    Schulen und brachte Jugendliche in
                                                                                                                            Workshops dazu, selbst gestalterisch
Seit 1997 lehrt Feuchtenberger an der HAW. „Mein Bereich hat sich sehr                                                      tätig zu werden. Auch die Bundes-
verändert“, erzählt sie. „1997 war das noch eine kleine Gruppe und sti-                                                     zentrale für politische Bildung unter-
listisch ging vieles noch in Richtung Knollnasen-Comics. Doch plötzlich                                                     stützte das Projekt. Die gute Reso-
kamen andere, größere Themen auf, Ansätze abseits von schnellen Witzen,                                                     nanz sorgte für einen naheliegenden
die Recherchen wurden tiefer, Comic-Klischees nicht mehr bedient. Damit                                                     Folgeauftrag: eine grafische Erzäh-
stieg auch die Akzeptanz des Genres in der Öffentlichkeit.“ Statt von Gra-                                                  lung über den Widerstand der SPD-
phic Novel spricht sie lieber von einer längeren Bilderzählung. „Dabei geht                                                 Politiker Toni Sender, Theo Haubach
es nicht um die Bebilderung längerer Texte. Die Studierenden lernen viel-                                                   und Julius Leber.
mehr, sich als Autor*innen zu verstehen und von der Zeichnung ausgehend
ins Erzählen zu kommen. Wort und Bild sollten nicht zu trennen sein.“                Graphic Novels sind für Bildungseinrichtungen
                                                                                     mittlerweile eine feste Größe
                                       Die gewachsene Wertschätzung für
                                       das Genre nutzen auch zwei Ham-               Jens Natter konzentriert sich auf regionale Themen. Er hat 2014 Storms
                                       burger Zeichner, die andere Wege              „Schimmelreiter“ als Graphic Novel herausgebracht, ein dafür besonders
                                       gegangen sind. Niels Schröder hat             geeigneter Roman, weil er, so Natter, „gewaltige Bilder hervorruft“. Gera-
                                       in Bremen und Berlin (Visuelle Kom-           de ist „Hammaburg“, Natters neue Graphic Novel erschienen. Die rasant
                                       munikation mit Schwerpunkt Illustra-          gezeichnete Story konzentriert sich auf Hamburgs frühe Geschichte. „Es
                                       tion) studiert und wurde in Linz mit          geht um Ansgar, den Apostel des Nordens, um die erste heiße Phase von
                                       einer Untersuchung über Trickfilme,           Hamburgs Entwicklung, bis die Stadt 845 von Wikingern zerstört wurde“,
                                       Comics und Cartoons als Mittel der            erzählt Natter. Fachliche Unterstützung hatte er dafür von Rainer-Maria
                                       Propaganda im Zweiten Weltkrieg               Weiss, dem Direktor des Archäologischen Museums Hamburg. Für die bei-
                                       promoviert und dafür mit dem Öster-           den war die Arbeit eine Win-Win-Situation. Natter profitierte von Tipps und
                                       reichischen Staatspreis ausgezeich-           Lektorat, Weiss nutzt das populäre Medium, um fürs Museum und die kriti-
                                       net. Thema seiner ersten großen               sche Lektüre zu werben. Das Buch bekam sofort viel mediale Aufmerksam-
                                       Bilderzählung war 2014 das Leben              keit, die erste Auflage war rasch verkauft. „Das rettet den Großteil des Win-
                                       des deutsch-jüdischen Jazz-Gitarris-          ters“, sagt Natter, der davon ausgeht, dass wegen Corona abgesagte Veran-
ten Coco Schumann. 2019 folgte „20. Juli 1944. Biographie eines Tages“,              staltungen der Landeszentrale für politische Bildung und der Zentralbiblio-
eine Graphic Novel über das Attentat auf Hitler durch die Widerstandsgrup-           thek im Frühjahr nachgeholt werden. Denn Graphic Novels sind für traditio-
pe um Graf von Stauffenberg. „Der Stoff eignete sich für eine quasi filmische        nelle Bildungseinrichtungen längst eine unverzichtbar feste Größe.
Erzählung. Ich habe die Geschichte dramaturgisch auf den einen Tag zuge-
spitzt, der alles hätte verändern können“, sagt Schröder.

                                                                                16
S C H W E R P U N KT

                E
                                                                    s gibt Geheimnisse, die nichts

Wie Bilder
                                                                    von ihrem Zauber verlieren,
                                                                    wenn man sie lüftet. Auch
                                                                    denen, den die Rezeptur für
                                                                    das weltbeste Schokoladeneis
                                                                    bekannt ist, schmeckt die süße

in Büchern
                                                     Leckerei. Ganz ähnlich verhält es sich mit einer
                                                     anderen Frage, die sich nicht nur viele Kinder
                                                     stellen: Wie kommen die Bilder ins Buch? Wer
                                                     bei der Suche nach Antworten fündig wird,
                                                     muss keine Angst haben, dass es anschließend

lebendig werden
                                                     langweilig sein könnte, Bilderbücher anzu-
                                                     schauen und zu lesen.

                                                     Im Kinderbuchhaus, das im Altonaer Muse-
                                                     um beheimatet ist, dreht sich alles um Bilder-
                                                     bücher – oder um Buchkunst für Kinder und
                                                     Jugendliche, wie Leiterin Dagmar Gausmann
                                                     lieber sagt. Inzwischen ist das Kinderbuch-
                                                     haus seit 15 Jahren Schaufenster der leben-
                                                     digen und sehr aktiven Buchkunstszene Ham-
                                                     burgs. Aber nicht nur das, es ist auch ein
                                                     wichtiger Knotenpunkt im Netzwerk, Bildungs-
                                                     einrichtung, Kontaktbörse für Künstler*innen
                                                     und Veranstaltungsort. Regelmäßig gestalten
                                                     Künstler*innen Workshops für Schulklassen
                                                     und Kitagruppen im Kinderbuchhaus. Gemein-
             Die Vermittlung                         sam werden Bücher gebastelt oder Comics
           ihrer Kunst ist für viele                 gemalt. Die Begegnung, der Austausch und
                                                     das gemeinsame kreative Arbeiten von Künst-
        Illustrator*innen ein                        ler*innen und Kindern sind wichtig, findet
       zweites Standbein                             Dagmar Gausmann. Und zwar für beide Seiten.

                                                     Denn wer als Illustrator*in seinen Lebensunter-
   TEXT: CHRISTINE WEISER
                                                     halt verdienen möchte, muss neben künstleri-
                                                     schem Talent über jede Menge Organisations-
                                                     und Managerqualitäten verfügen. „Um von

                                     17
Illustrationen für Kinderbücher leben zu kön-     willkommenes Zubrot“, sagt Stefanie Wegner.        Homepage der Bücherhallen. Inzwischen hat
nen, muss man mehrere gleichzeitig machen“,       Außerdem arbeiten viele als Grafiker*in, da        Antje von Stemm viel Feedback erhalten. Kin-
sagt Stefanie Wegner, die gemeinsam mit           Kommunikationsdesign Bestandteil der Illust-       der, aber auch Erwachsene, schicken Bilder
ihrem Mann Timo Müller-Wegner seit 2002           rator*innen-Ausbildung ist.                        von ihren Pop-up-Büchern. „Es fasziniert mich
das gleichnamige Illustrationsbüro führt. Das                                                        immer wieder, wie toll und ganz unterschied-
Portfolio von Illustrator*innen muss also breit   Der Detektivcomic „Ulf und das Rätsel um die       lich die Geschichten werden. Von der Erdnuss-
aufgestellt sein. So wie das von Miriam Elze.     Neue“ ist das fünfte Buch von Tanja Esch und       butterdose bis hin zum Pfirsich kann alles zum
Als Schnellzeichnerin schuf sie einzigartige      gerade im Kibitz Verlag erschienen. Um noch        Held der Geschichte werden“, sagt Antje von
Momentaufnahmen auf Hochzeiten, Kongres-          stärker auf Comics als eigenständige Spar-         Stemm.
sen und anderen Veranstaltungen, bevor das        te der Kinder- und Jugendliteratur aufmerk-
öffentliche Leben für Monate brach lag und        sam zu machen, engagiert sich Tanja Esch seit      Stefanie Wegner verweist auf eine neue Ver-
Veranstaltungen wie Messen und große Fami-        einigen Jahren bei der Organisation der Ver-       mittlungsoption für Künstler*innen: Inzwischen
lienfeste ausfallen mussten. Das Illustrieren     anstaltung ,Kinder lieben Comics‘, die Teil des    präsentieren sich auch Hamburger Illustra-
von Bilderbüchern ist ein weiteres berufliches    Lesefestes Seiteneinsteiger ist. Ulf und ande-     tor*innen auf Plattformen wie patreon oder
Standbein. Ihre Aufgabe dabei sei es, so Elze,    re ihrer Helden erweckt Tanja Esch regelmäßig      steady einer weltweiten community. Wer sein
„mit meinen Bildern Stimmungen zu erzeu-          auf Lesungen und in Workshops zum Leben.           Profil pflegt, kann sich einen Stamm an Fans
gen, Atmosphäre zu schaffen. Die Illustrati-      Mit Comic-Fans ab sechs Jahren entwickelt          aufbauen, die ihrerseits die künstlerische
on gibt dem Text eine andere Ebene, sie kann      sie darin gemeinsam eigene Storyideen und          Arbeit mit Spenden honorieren. Illustrator*in-
ihn ergänzen oder aber ihm widersprechen.         zeigt, wie unverwechselbare Charaktere aus-        nen stellen dafür besondere Inhalte online,
Erst Text und Bild zusammen ergeben etwas         sehen könnten.                                     beispielsweise Tutorials, in denen Zeichentech-
Neues.“ Außerdem unterrichtete sie als Dozen-                                                        niken erklärt und gezeigt werden. Notgedrun-
tin in Berlin und Hamburg und vermittelte ihr     Plattformen wie patreon und steady                 gen hat auch das Kinderbuchhaus zuletzt seine
Fachwissen an Studierende.                        bieten Illustrator*innen neue Chancen              Online-Aktivitäten verstärkt, unter anderem
                                                                                                     mit Hennis hamsterstarken Hamburg-Rallye
„Dass Illustrator*innen unterrichten, zum Bei-    Auch Antje von Stemm hat einen ganz eige-          durch inzwischen acht Stadtteile. Am liebsten
spiel als Dozent*in an Hochschulen, an der        nen Ansatz für die Vermittlung ihrer Kunst         würde Dagmar Gausmann daraus einmal ein
Volkshochschule oder in Kursen im eigenen         gefunden. Die Illustratorin, die sich zudem in     gutes Buch machen. Wie das geht, weiß sie ja.
Atelier, ist ziemlich verbreitet“, sagt Stefa-    den USA zur Papieringenieurin fortbilden ließ,
nie Wegner, die sich als Ansprechpartnerin        hat unter anderem ein Pop-up-Buch entwi-
des Berufsverbandes Illustratoren Organisati-     ckelt, dass allen Bastelfans ab acht Jahren viel
on in Hamburg auskennt. Etwa 250 Mitglie-         Raum für eigene Kreativität bietet und tolle                         INFO
der sind in dem Mail-Verteiler für den regelmä-   Papiermechanismen mitliefert. „In der Zeit des
ßig stattfindenden Stammtisch. Er wurde vor       Lockdowns im Frühjahr haben einige Schulen
                                                                                                          WWW.KINDERBUCHHAUS.DE
mehr als 20 Jahren ins Leben gerufen, damit       die Bastelsets klassensatzweise bestellt“, sagt
sich die Künstler*innen austauschen können.       Antje von Stemm. Aktuell hat sie ein Set für               WWW.VONSTEMM.COM
„Einige Kolleg*innen sind neben ihrer künst-      ein Pop-up-Buch entwickelt, dass an den 32
                                                                                                               WWW.TANJAESCH.DE
lerischen Arbeit auch noch in der Vermittlung     Standorten der Bücherhallen kostenlos erhält-
aktiv. Für viele sind Workshops in Schulen und    lich ist. Inspiration und Unterstützung in Form             WWW.MIRIAMELZE.DE
anderen Einrichtungen, auf Veranstaltungen        von Online-Anleitungen gibt es sowohl auf
                                                                                                         WWW.MUELLERWEGNER.COM
wie den Kinderbuchtagen oder auf Messen ein       der Homepage der Künstlerin als auch auf der

                                                                       18
KRITIK

     Die
 unsterbliche
 Biene zurück
auf der großen
  Leinwand
    TEXT: HANNA SCHNEIDER

                              19
W
                      enn die Biene Maja 2021 in die deutschen Kinos              Die audiovisuelle Umsetzung wirkt ebenfalls datiert. Die Illustration ist
                      zurückkehrt, ist sie schon 109 Jahre alt. Die meis-         handgezeichnet. Vor oft unbewegten Hintergründen erscheinen die sehr
                      ten Zuschauenden – Kinder und Erwachsene – wer-             einfach gehaltenen, stilisierten und durch schwarze Outlines stark abge-
                      den die Geschichten um das Bienenmädchen kennen,            grenzten Figuren mit ihren großen Augen und runden, kindlich-niedli-
                      das sich nicht mit dem streng geordneten Leben im           chen Formen. Mimik und Gestik sind spärlich gehalten, die Bewegung der
                      Bienenstock abfinden, sondern lieber die Wiesenwelt         Figuren ist ruckartig. Im Kontrast dazu sind die Hintergründe viel weicher,
außerhalb erkunden möchte. Vor allem die vom ZDF entwickelte deutsch-             manchmal fast aquarellartig, aber auch realitätsnäher gestaltet. Deutlich
japanische Zeichentrickserie aus den 1970er-Jahren ist fest in der Popu-          ist der Einfluss der japanischen Anime-Künstler zu sehen, die die Biene
lärkultur verhaftet. 1977 entstand aus ausgewählten Episoden der Spiel-           Maja zeichneten, wenn auch die Figuren vom Produzenten Josef Göh-
film „Die Biene Maja – Ihre schönsten Abenteuer“, der nun wiederaufge-            len und dem amerikanischen Zeichner Marty Murphy entworfen wurden.
führt wird. Er zeigt die Geburt Majas, ihre ersten Erfahrungen im Bienen-         Das Erzähltempo ist langsam. Die Bilder lassen sich Zeit, selbst in den
leben, den Beginn ihrer Freundschaft mit der Drohne Willi und einige der          abenteuerlichen Szenen. Immer wieder verweilt der Fokus auf blühender
gemeinsamen Streifzüge.                                                           Natur. Die Farben bleiben blass. Vom bekannten Titellied abgesehen gibt
                                                                                  es wenig musikalische Untermalung, doch die Geräusche sind markant.
Die Figur der Biene Maja erdachte der Anfang des 20. Jahrhunderts sehr            Sie dienen vor allem als akustische Scherze. Die Dialoge der Figuren sind
erfolgreiche deutsche Autor Waldemar Bonsels. Seine naturromantische              aus heutiger Sicht etwas aus der Zeit gefallen.
Erzählung propagiert völkische Stereotype und verherrlicht Soldatenkult
sowie die Aufgabe des Individuellen für die Gemeinschaft. Es verwundert           Heute würde die Umsetzung so nicht mehr erfolgen. Tatsächlich gibt es
daher nicht, dass Bonsels sich den Nationalsozialisten andiente und auch          seit 2013 eine Neuauflage der Serie als 3D-Animation, die seitdem die
im Dritten Reich seine Popularität behielt.                                       alte Version abgelöst hat. Sehgewohnheiten und das Mediennutzungs-
                                                                                  verhalten von Kindern haben sich verändert – genau wie die technischen
Die Adaption als Zeichentrickserie übernimmt viele Episoden aus der               Möglichkeiten auch für den Animationsbereich. Es wird heute schneller
Buchvorlage, doch ist der Ton der Geschichten ein grundlegend anderer.            erzählt, die visuelle Gestaltung ist oft poppiger. Das muss jedoch nicht
In der Filmversion wird dies in komprimierter Form deutlich: Militärisches        heißen, dass die alte Biene Maja für Kinder heute nicht mehr funktioniert.
ist auch hier präsent, aber es wird ihm das Pathos genommen und ins               Eine klare, ruhige audiovisuelle Umsetzung von Geschichten ist gerade
Lächerliche gezogen. Maja ist eine starke, unabhängige Figur, die Auto-           für die jüngsten Kinder, das Hauptzielpublikum der Biene Maja, ideal. So
rität hinterfragt und von Wissensdurst und Tatendrang angetrieben wird.           werden sie nicht überfordert, sondern behutsam an audiovisuelle Medien
Gleichzeitig möchte sie überall helfen. An ihre Seite gestellt bekommt sie        herangeführt. Es ist wohl eher eine Frage der Gewöhnung und der ästhe-
mit dem faulen und ängstlichen, aber loyalen und liebenswerten Willi              tischen Präferenz, welche Biene bevorzugt wird. Weiter beobachten lässt
eine neue Figur. Zusammen und mit Hilfe anderer Wiesen-Freund*innen               sich dies, wenn fast zeitgleich zum Filmklassiker die aktuelle Version der
wie dem hippiesken Grashüpfer Flip bestehen sie auch gefährliche Situa-           3D-Maja auf der großen Leinwand zu sehen sein wird.
tionen. Die Werte Freundschaft und Hilfsbereitschaft stehen klar an ers-
ter Stelle.                                                                                                       INFO
Dieser Fokus entspricht den gesellschaftlichen Strömungen der Entste-
hungszeit – nur die damalige unkommentierte Adaption der problemati-              Die Biene Maja – Ihre schönsten Abenteuer, Deutschland/Japan 1977,
schen Vorlage verwundert. Auch heute bietet die Geschichte positive Bot-          Regie: Hiroshi Saito, 83 Minuten, empfohlen ab 5 Jahren, FSK 0. Kino-
schaften und Rollenbilder für Kinder, insbesondere Mädchen. Dennoch               neustart geplant für 06.01.2021. In Hamburg zu sehen voraussicht-
sind bestimmte Aspekte wie die dick-einfältige Darstellung von Willi als          lich in den CinemaxX-Kinos und in der ASTOR FILM LOUNGE HafenCity.
komisches Mittel nicht mehr zeitgemäß.

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