Illustration - LAG Kinder- und Jugendkultur eV
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Magazin der LAG Kinder- und Jugendkultur Hamburg Winter 2020/21 SCHW E HAMBURGER SCHULE Die Hauptstadt des Zeichnens Illust RPUNKT: ratio TYPISCH! Setzen Verlage zu sehr auf Klischees? n INTERVIEW Wie kleine Kinder Bilder wahrnehmen COMEBACK Biene Maja von 1977 kehrt zurück in die Kinos
Inhalt 03 Editorial Heidi Jakob 04 Stadt des Bilderbuchs Hamburg ist eine Hochburg der Illustration 06 Wie kleine Kinder Bilder wahrnehmen Herausgeber Prof. Dr. Dagmar Bergs-Winkels im Interview LAG Kinder- und Jugendkultur e.V. www.kinderundjugendkultur.info Ehrenbergstraße 51, 22767 Hamburg 09 Von der Idee zum Kinderbuch Telefon: 040 - 524 78 97 10 Illustratorin Jutta Bauer über die Schulter geschaut Die LAG Kinder- und Jugendkultur vernetzt die Hamburger Akteur*innen und vertritt die Interessen 12 Rosa für die Mädchen, Blau für die Jungs ihrer Mitglieder gegenüber Politik und Verwaltung. Über Buchgestaltung und Geschlechterklischees Redaktion: Christine Weiser, Claas Greite, Dörte Nimz Grafik: Meike Gerstenberg Das nächste Heft erscheint im 15 Graphic Novel April 2021 Eine Kunstform, die Zugänge schafft www.kinderundjugendkultur.info Gefördert von der Behörde für Kultur und Medien 17 Vermittlung der Freien und Hansestadt Hamburg. Das zweite Standbein vieler Illustrator*innen Bildnachweise: 19 Kritik Titel: Illustration Dieter Wiesmüller, aus: Wiesmüller/ Biene Maja zurück auf der Leinwand Modick, Wo die Sonne schlafen geht, S. 3 Foto: Cornelia Preira, S. 5 Zeichnungen: Dieter Wiesmül- 21 Landesvereinigungen vorgestellt: ler, S. 6 Illustrationen: Meike Gerstenberg, S. 8 Foto: Die LKJ Sachsen Kolja Warnecke, S.9, 10, 11 Zeichnungen: Jutta Bauer, Fotos: Samira Aikas, S. 15 Zeichnung: Anke Feuchten- 23 Meldungen berger, S. 16 Buchcover 20. Juli 1944: Niels Schrö- der/Bebra Verlag, Cover Hammaburg: Jens Natter/Ellert & Richter Verlag, S. 19 Fotos: Universum Film, S. 21 24 Tipps Foto: LKJ Sachsen, S. 23 Grafik: Kibitz Verlag 2
E D I TO R I A L Bilderleser*innen können mehr TEXT: HEIDI JAKOB In Hamburg können sich an der Hochschule für Angewandte Wissen- vielfältige künstlerische Verfahren ein, mit denen sie Kinder und Jugend- schaften (HAW) angehende Illustrator*innen im Studiengang Illustration liche zu gestalterisch-ästhetischem Handeln anregen. In allen unseren in fünf Schwerpunkten ausbilden lassen: Buchillustration, Informative Disziplinen entstehen im übertragenen Sinn Bilder, die sich Ausdruck und Wissenschaftsillustration, Digitale Animation und Editorial Illust- verschaffen und sichtbar werden. ration, Graphische Erzählung sowie Interaktive Illustration und Games. Das ist bundesweit einmalig. Viel Spaß und eine anregende Lektüre des druckfrischen kju! Wir nennen unsere Stadt liebevoll „Freie und Lesestadt Hamburg“ und sie ist die Hauptstadt des Kinderbuches. Engagierte Verlage haben hier ihren Wirkungsort. Aus Buchhandlungen und Bibliotheken werden Bilder- geschichten und Filme mit nach Hause genommen. In kulturellen Bildungsorten bestaunen Kinder und Jugendliche Illustrationen im Original. Kunstschaffende wissen, wie bedeutsam es für Kinder und Jugendli- che ist, Bildliteralität zu erwerben. Der Weg dahin wird in der Litera- HEIDI JAKOB tur auch als Bild-Alphabetisierung bezeichnet, weil neben der Literali- tät im Umgang mit Schrift und Text eben auch der mit Bildern erlernt werden muss. Heidi Jakob wusste schon als Kind, dass sie später in einer Bibliothek arbeiten wollte. Sie studierte Bibliothekswesen in Hamburg und Kinder und Jugendliche können in Veranstaltungen, die oft von und mit ist seit 1982 Mitarbeiterin der Bücherhallen Hamburg. Seit April 2014 ist Illustrator*innen entwickelt werden, gezielt Bilder betrachten, reflek- ihr Aufgabengebiet die zentrale Koordination der Kinderprogramm- und tieren, befragen, vergleichen, prüfen, diskutieren, bewerten und verarbei- Netzwerkarbeit der Bücherhallen. Seit 2016 ist sie Mitglied des Vorstands ten und ihre eigene Bildsprache entdecken. Akteur*innen in der Kulturellen der LAG und dort unter anderem Ansprechpartnerin für den Bereich Kita. Bildung regen zum differenzierten Umgang mit Kunst an. Sie setzen 3
S C H W E R P U N KT Wo die Hand das Denken lernt Hamburg ist ein ganz besonderes Biotop der Bilderbuchillustration TEXT: LUTZ WENDLER W ie anregend Hamburg auf Infrastruktur. Neben wichtigen Verlagen wie Wesentliche Voraussetzung für diesen Reich- die bildliche Fantasie wir- Oetinger und Carlsen gibt es in der Stadt das tum an Talent ist ein einzigartiger Ausbildungs- ken kann, zeigt das Buch 2005 von der Kunsthistorikerin Dagmar Gaus- gang, der Hamburg national sowie europa- „Wo die Sonne schlafen mann-Läpple gegründete Kinderbuchhaus im weit für Studierende attraktiv macht und welt- geht“ von Dieter Wiesmül- Altonaer Museum als wichtigen Ausstellungs- weit Anerkennung erfährt. An der Hochschule ler. Die Stadt wird darin zu ort und Raum für Erkundungen beim Selberma- für Angewandte Wissenschaften (kurz HAW; einem magischen Traumort unter Wasser, mar- chen. Außerdem wurde 2018 der Verein Neues früher: Fachhochschule für Gestaltung an der kante Gebäude wie das Rathaus, der Michel Bilderbuch zur Förderung der Bilderbuchkunst Armgartstraße) kann explizit Illustration stu- oder das Hotel Atlantic erscheinen als Relikte gegründet und 2019 erstmals der mit 12.000 diert werden. Mehr noch: Die unterschiedli- eines vertrauten Atlantis, versunken in tiefem Euro dotierte Hamburger Bilderbuchpreis ver- chen Modulgruppen des Studienschwerpunkts ozeanischen Blau. liehen, der als Nachwuchsförderung ein über- Illustration machen es möglich, sich umfassend zeugendes Buch-Konzept honoriert und zudem künstlerisch, handwerklich, digital und theore- Dieses Bilderbuch, das mit einem begleitenden die Veröffentlichung ermöglicht. tisch zu bilden. Bernd Mölck-Tassel, seit 2005 Text von Klaus Modick erstmals im Jahr 2000 Professor für Illustration an der HAW, ist eben- bei Carlsen erschien, ist geeignet, als Pars pro Vor allem aber: In Hamburg konzentriert sich so wie sein Vorgänger Rüdiger Stoye eine prä- Toto eine gut begründete Einschätzung zu ver- kreative Vielfalt. Zahlreiche der bekanntesten gende Persönlichkeit, die als Lehrer über den anschaulichen. „Die ansässigen Künstler*in- deutschen Illustrator*innen leben und arbei- Studiengang hinaus wirkt. Mölck-Tassel, der nen sorgen für eine lebendige Illustrationssze- ten in der Stadt, angefangen bei älteren Prot- selbst prämierte Kinderbücher illustriert hat ne und machen Hamburg zu einer Hauptstadt agonist*innen der Szene wie Jutta Bauer, Ole und für die FAZ mehrere Jahre lang regelmäßig der europäischen Bilderbuchkunst“, sagt Frank Könnecke, Peter Schössow, Dieter Wiesmül- Zeitungsstrips zeichnete, steht für eine praxis- Kühne, Programmleiter bei Carlsen. Dazu passt ler, Sabine Wilharm über die mittlere Genera- nahe Betreuung der Studierenden, die in sie- eine Statistik aus der vorletzten November- tion wie Henriette Sauvant oder Katja Gehr- ben Semestern einen Bachelor- und in weiteren Woche: Von den 100 bei mediacontrol aufge- mann bis hin zu den jüngsten Absolvent*in- drei den Master-Abschluss erwerben können. zeigten auf dem deutschen Markt erfolgreichs- nen wie Elsa Klever und Torben Kuhlmann – ten Kinder- und Jugendbüchern kamen 54 aus um nur einige zu nennen. Dass sie alle auch Er beschreibt, wie sich die HAW in ihrer Philo- Hamburger Verlagen. nach ihrem Studium in Hamburg geblieben sophie trotz notwendiger Veränderungen stets sind, hat damit zu tun, dass die Medienstadt treu geblieben sei. „Wir wollen in unserem Grund für Hamburgs Bedeutung im Genre Bil- sozusagen ein ideales Biotop für ihre Profes- Curriculum beides, digital arbeiten und Tech- derbuch ist eine über viele Jahre gewachsene sion bietet. niken anbieten, bei denen die Hände schmut- 4 4
zig werden“, sagt er. Denn es gehe um Sen- rin des Familienunternehmens in dritter Gene- sibilisierung: „Über das Handwerk wird auch ration, erzählt, dass Studierende aus einem das Digitale trainiert.“ Oder, wie der Illustra- Kurs von Bernd Mölck-Tassel von Cornelia tor Dieter Wiesmüller es formuliert: „Ich emp- Funke (die übrigens auch an der HAW Illust- finde es als einen der besten Zustände, wenn ration studiert hat, bevor sie sich ganz auf ihr die Hand denkt.“ erzählerisches Talent konzentrierte) eingela- den wurden, jeweils eine Illustration zu einer Die HAW bietet deshalb neben digitalen Labo- Geschichte aus dem „Reckless“-Kosmos anzu- ren und den selbstverständlichen Kursen in fertigen. „Anschließend wurden zehn Künst- Malerei und Zeichnen auch traditionelle Werk- ler*innen ausgewählt, die nach Malibu zu Cor- stätten, um den Studierenden Möglichkeiten nelia Funke gereist sind beziehungsweise noch zu eröffnen, zum Beispiel mit Lithographie, reisen werden, um dort zu arbeiten und sich Siebdruck oder Radierungen neue Ausdrucks- von dem magischen Ort in wilder Natur ins- möglichkeiten zu erproben. „Es geht um eine pirieren lassen“, so Julia Bielenberg. „Dieses möglichst große künstlerische Basis“, sagt Stipendium wurde von Cornelia Funke, dem Mölck-Tassel und fügt hinzu, dass die Ausbil- Dressler Verlag und der HAW gestiftet. Eine der dung niemals schematisch sein sollte: „Wir för- Künstlerinnen war Mareike Ammersken, von dern das Individuelle. Es ist wichtig, dass die der wir im Dressler Verlag im Herbst ’21 ein Bilder aus „Wo die Sonne schlafen geht“, Dieter Wiesmüller (Bilder) und Klaus Modick (Text) Hochschule ein geistiges Klima schafft, dass Bilderbuch veröffentlichen werden.“ etwas Spannendes geschehen kann – eine Oase des freien Geistes, in der Raum ist für die Und was macht nach Ansicht der Verlegerin ein Entwicklung eines eigenen Stils.“ gutes Kinderbuch aus? „Die Bilder dürfen den Text nicht einfach nur illustrieren, vielmehr lie- Teil dieses Prozesses ist auch die Nähe zur fern sie ihre eigene Dimension der Geschich- beruflichen Praxis, etwa mit internationalen te. Sie lassen Raum für Interpretation, eigene Workshops, wo unter Zeitdruck Themen bear- Gedanken und beflügeln die Fantasie. Idealer- beitet werden. Oder beim Gruppenbesuch von weise sollte ein Bilderbuch auch immer ohne Messen wie der Bologna Children’s Book Fair, den Text ‚lesbar‘ sein, so können sich auch wo die Studierenden ihre Mappen dabeihaben kleine Kinder allein in ihr Bilderbuch vertiefen. und mit Verleger*innen ins Gespräch kommen. Ein gutes Bilderbuch ist ein kompletter Mikro- Überdies wird für den Master als Abschluss- kosmos auf etwa 32 Seiten, der seine Leser*in- arbeit ein Buchprojekt über anderthalb Jahre nen für Stunden in eine andere Welt entführt. verfolgt, das nicht selten bereits zum Studien- Ein hoher Anspruch!“, sagt Julia Bielenberg. abschluss einen Verlag gefunden hat. Einige Bernd Mölck-Tassel zögert vor der Antwort: „Es Kontakte zu Illustrator*innen entstehen schon gibt dafür kein Rezept. Antrainiertes visuelles während des Studiums, zum Beispiel bei der Vokabular oder Klischees sollten vermieden Präsentation der Semesterarbeiten. Und ein so werden. Wichtig sind ein eigener Stil, künst- wichtiger Partner wie die Verlagsgruppe Oetin- lerische Individualität, besondere Atmosphäre. ger engagiert sich darüber hinaus an der HAW. Und im Idealfall steht das eigentlich Schöne Julia Bielenberg, verlegerische Geschäftsführe- zwischen den Zeilen.“ 5
„Wer sich mit Bildern S C H W E R P U N KT auseinandersetzt, fördert die Sprache“ Prof. Dr. Dagmar Bergs-Winkels von der Alice Salomon Hochschule in Berlin über die Frage, wie Kinder Bilder wahrnehmen INTERVIEW: CHRISTINE WEISER 6
Nehmen Kinder Bilder und Illustrationen anders wahr als Erwachsene? Ja. Untersuchungen zeigen, dass die Tiefenwahrnehmung bei Kindern und Erwachsenen unterschiedlich ist. Das gleicht sich später an. Kinder sehen erst das Wichtigste, dann den Rahmen. Erwachsene sehen zuerst den Rahmen und integrieren da hinein das Wichtigste. Auch die Farb- wahrnehmung unterscheidet sich. Ganz kleine Kinder erkennen beson- ders gut Rot, diese Farbe kennen sie schon aus dem Bauch der Mutter. Auch Schwarz-Weiß-Kontraste sprechen kleine Kinder sehr an. Diese Prä- gungen sollten Kinderbücher widerspiegeln. Alle anderen Farben werden später gelernt. Wenn Kinder selbst Bilderbücher aussuchen, greifen sie zu solchen mit Schwarz-Weiß-Kontrasten oder zu Büchern, in denen die Farbe Rot vorkommt. von Illustrationen kennen zu lernen. So entwickeln Kinder ihren eige- nen Geschmack und lernen, danach auszusuchen. Darum bin ich dafür, Wie können Bilderbücher die kindliche Entwicklung erst einmal viel anzubieten. Ältere Bücher sind aus heutiger Sicht oft sehr fördern? geschlechtsspezifisch, sie sind eben in einem anderen kulturellen Kon- Kinder lernen beim gemeinsamen Anschauen und Vorlesen von Bilderbü- text entstanden. Die Jungen toben und sind aktiv, die Mädchen dagegen chern, zum Beispiel die Leserichtung. Auch die Wortmacht lernen sie ken- nicht so sehr. Kinderbücher spiegeln idealerweise unsere Lebenswelt und nen. Das stellt man fest, wenn sie zum Beispiel eine Geschichte kennen und die Diversität unserer Lebenswelten wider. Was Kinder langweilig finden, der oder die Vorlesende einen Teil abkürzen möchte. Kinder wissen ganz legen sie weg. genau, was da steht und fordern ein, dass es vorgelesen wird. Beim Vorle- sen lernen Kinder auch, dass wir Bücher von vorn nach hinten anschauen. Wie können Bilder und Illustrationen das Lesenlernen Das machen ja kleine Kinder nicht, sie schlagen das Buch irgendwo auf. Kin- unterstützen? derbücher regen die Fantasie und das Denken an oder stellen Dinge infrage. Bilder können eine Brücke für das Lesenlernen sein, sie können Sprache Kinderbücher sind für die kindliche Entwicklung attraktiv, sogar auf meh- unterstützen. Deshalb verwenden viele in Handy-Nachrichten auch gern reren Ebenen, wenn zum Beispiel Pop-up-Bücher das motorische und der Emojis. Kinder haben früh ein Interesse daran, die Buchstaben, die ihren Einsatz von verschiedenen Materialien das haptische Erleben unterstützen. Namen bilden, zu erkennen. Einzelne Buchstaben zu kennen, kann mit- unter beim Begreifen anderer Worte helfen. Was macht eine gute Illustration aus? Illustrationen sind kulturabhängig und können zum Beispiel beruhigen Sind Comics und Graphic Novels gute Mittel zur Lese- oder verstören – je nachdem in welchem Kontext sie stehen. Im Vergleich förderung? mit anderen kulturellen Kontexten sind die Illustrationen auf dem deut- Alles, was mit Sprache und Lesen zu tun hat, ist gut als Leseförderung. Im schen Buchmarkt überwiegend sanft, freundlich und beschützend. Wenn Grunde auch das, was auf der Milchtüte steht. Comics und Graphic Novels die Illustration bei einem Kind Interesse auslöst, ist sie in Ordnung. Ich beruhen auf direkter Kommunikation und schulen vieles. Die Leserichtung vertraue bei Illustrationen auf die Fantasie und Erfahrung der Illustra- wird gelernt und oft sind sie lustig. Das ist ein guter Anreiz, vor allem für tor*innen und finde, sie machen eine wunderbare Arbeit. Kinder, die nicht gern lesen oder Schwierigkeiten damit haben. Die Bil- der sind die eyecatcher und halten die Kinder beim Thema, die Komplexi- Gibt es aus Ihrer Sicht auch schlechte Illustrationen, die tät ist im Bild reduziert. Eltern sollten nicht nervös werden, wenn Kinder Kinder unter- oder überfordern? Wenn ja, wie? zu Comics greifen. Im Gegenteil, es ist eine große Leistung, mit wenigen Es geht eher darum, Kindern zu ermöglichen, eine große Bandbreite Worten eine spannende Geschichte zu erzählen. 7
Sehen Sie die Gefahr, dass in unserer immer stärker durch es zu wenig gute Büchereien. In Deutschland erhalten Kinder vorwiegend Bewegtbilder geprägten Kultur (Internet, Fernsehen, über die Eltern Zugang zu Kunst und Musik. Für Kinder, die diese Angebo- Videospiele) das Medium Illustration ins Hintertreffen te zu Hause nicht bekommen, müssen die Schulen da sein. Der Wert der gerät? Falls ja, lässt sich dagegen etwas unternehmen? ästhetischen Bildung könnte noch viel zentraler sein. Nein, diese Gefahr sehe ich nicht. Internet, Fernsehen und Videospiele sind weitere Angebote, die mit Bildern arbeiten. Es gibt ganz tolle Einrich- Ein praktischer Tipp für Kitas und Schulbücherereien ist zum Beispiel die tungen, wie das Kinderbuchhaus in Hamburg, die gerade an der Schnitt- Anschaffung von reinen Bilderbüchern. Das schult die Wahrnehmung und stelle zwischen Bild und Text agieren. Die sind interessant für Kinder. die Fantasie. In Schulen sind sie auch für Jugendliche gut einsetzbar. Wir leben in einer sprach- und textlastigen Kultur, das zu ergänzen ist schön. Lesen Kinder heute anders als vor 20 oder 30 Jahren? Wenn sich Kinder und Jugendliche mit Bildern auseinandersetzen, för- Das Lesen als Kulturleistung hat sich nicht verändert. Die Medienvielfalt dert das ihre Sprache. Aber die visuelle Erziehung fängt ja nicht erst in ist durch Internet und Fernsehen heute größer, ebenso wie die Differenzie- der Schule an. Daher freue ich mich über Programme wie Buchstart, die rung der Inhalte. Kinderbücher spiegeln auch immer die kulturellen Kon- Büchervielfalt auch schon für kleine Kinder zur Verfügung stellen. texte wider, in denen sie entstanden sind. Sie setzen sich mit Werten und Normen auseinander. Rezipieren Kinder Illustrationen und Bilder anders als vor 20 oder 30 Jahren? Ja, die Kinderfilme sind viel schneller geworden, die Bewegung der Bilder ist schneller geworden. Das kann man auch bei der Sendung mit der Maus beobachten, heute gibt es viele kleine, schnelle Sequenzen. Welche Rolle spielt der kulturelle Hintergrund bei der DAGMAR BERGS-WINKELS Rezeption? Der kulturelle Hintergrund spielt eine große Rolle bei der Frage, wie wir Bilder sehen. In welcher Reihenfolge wir Bilder anschauen, ist kultur- Dagmar Bergs-Winkels ist Professorin für Pädagogik der Kindheit und historisch gelernt. In anderen Kulturen gibt es andere Vorgehenswei- lehrt und forscht an der Alice Salomon Hochschule in Berlin. Sie ist Vorsit- sen. Deshalb ist es spannend, auch Kinderbücher aus anderen Ländern zende des Vereins zur Förderung der Bildung und Erziehung in der Kind- anzuschauen und zu beobachten, inwieweit sie unsere Wahrnehmungs- heit. Der Verein ist Träger der Kitas CampusKinder und QuartiersKinder gewohnheiten infrage stellen. Wer Kinderbücher aus anderen kulturellen an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Dag- Kontexten rezipiert, kann nicht nur andere Inhalte, sondern auch andere mar Bergs-Winkels ist Zweite Vorsitzende des Forums für Bilder-Buch- Visualisierungsformen kennenlernen. Kultur. Der Verein ist Träger des Kinderbuchhauses im Museum Altona. Außerdem ist sie Wissenschaftliche Beirätin bei Buchstart Hamburg e.V. Brauchen Kinder an Schulen eine stärkere, vertieftere visuelle Erziehung? Ja, ich denke schon. Ich bin immer wieder erstaunt, wie wenig Bücher es in Kitas gibt. Oft ist auch die Vielfalt nicht besonders groß und der Bestand wird nicht fortlaufend mit Neuem ergänzt. Auch an Schulen gibt 8
ist im Weg S C H W E R P U N KT Das Ziel r gewährt Einblicke burger Illustratorin und Autorin Jutta Baue Die Ham AIKAS INTERVIEW: SAMIRA 9
zahlreichen Werken in vielen Sprachen und ihre anderen beiden Projekte: ein Kinderbuch einer langen Holztafel dominiert, die nicht nur und einen autobiografischen Comic über ihre für gemeinsame Mahlzeiten genutzt wird. Vor- Familiengeschichte. Einen festen Tagesplan mittags hat Jutta Bauer das Programm für ihre hat Jutta Bauer nicht. Beim Frühstück über- Sommerakademie-Kurse an der Hochschule in legt sie sich, was sie an diesem Tag machen Hamburg geschrieben. Die Vorstellung, dass möchte, und wenn ihr danach ist, bleibt sie man als Illustratorin den ganzen Tag nur dasitzt auch mal zu Hause. Manchmal gebe es Druck, und Bilder zeichnet, sei falsch. Es gehöre weil sie dem Verlag eine Deadline zugesichert viel anderes und jede Menge „Organisiererei“ habe, aber im Großen und Ganzen gehe sie dazu, sagt Bauer. sehr „bauchgesteuert“ an ihre Arbeit. „Anders würde es auch nicht funktionieren, weil unse- Derzeit arbeitet sie an drei Projekten. An die- re Arbeit nicht gut planbar ist. Zumindest bei sem Tag ist eines dran, das spontan aus der mir“, meint Bauer. Situation im Frühling entstand, als Deutsch- land plötzlich zu Hause bleiben musste. Jutta Genau diese Freiheit sei einer der Aspekte, die Bauer hatte als junge Zeichnerin sieben Jahre sie an ihrem Beruf so liebt. Ein anderer sei, lang für die Zeitschrift „Brigitte“ Szenen aus dass sie tun könne, was ihr Talent sei, und dem Alltag von Frauen als Karikaturen genau davon auch leben könne. Das sei nicht mehr auf den Punkt gebracht. Während des Corona- selbstverständlich, die meisten Illustrator*in- D er Industriegebäudekom- Lockdowns kehrte sie zu diesen Wurzeln zurück nen könnten heute nur sehr schwer von ihrer plex des Goldbekhofs wirkt, und fertigte jeden Tag eine visuelle Tagebuch- Arbeit leben. Sie sei in der glücklichen Lage, illuminiert im spätherbstli- seite aus ihren Beobachtungen und Selbst- einen bekannten Namen zu haben, „aber chen Schmuddelwetter, fast reflexionen an. So entstanden die 43-seiti- selbst Jutta Bauer kann nicht alles unterbrin- magisch. In diesem Hort für gen Corona-Diaries. An diesem Tag sollten die gen“, wie sie sagt. Der Mainstream wird nach Kunstschaffende aller Be- 150 Bücher, die als Katalog begleitend zu ihrer Bauers Erfahrung immer breiter und die beson- reiche hat Jutta Bauer seit Mitte der 1980er- Ausstellung im Eppendorfer Kulturzentrum deren, eigenen und etwas schwierigen Sachen Jahre ein Atelier. Sie zählt zu den bekanntesten Kunstklinik gedacht sind, eigentlich ankom- werden immer weniger und eher von mutigen und erfolgreichsten Bilder- und Kinderbuch- men. Wegen Überlastung durch Kurzarbeit in kleinen Verlagen verlegt. Auch die Zusammen- Illustratorinnen und -Autorinnen Deutsch- der Druckerei sind sie aber noch nicht da. Die arbeit mit den Verlagen sei heute anders, sper- lands. Ihre Arbeiten sind fester Teil der zeitge- Ausstellung in der Kunstklinik soll bis zum riger. Deshalb hat Jutta Bauer vor zwei Jahren nössischen Kinderliteratur und wurden 7. Januar laufen (Anm. d. Red.: Stand bei zum ersten Mal eine Agentin engagiert. unter anderem zweimal mit dem Deutschen Redaktionsschluss). Jugendliteraturpreis und zuletzt mit dem Hans- Einige ihrer Buchprojekte dauern Monate lang, Christian-Andersen-Preis ausgezeichnet. In die Vorbereitungen der Ausstellung fällt andere sind „quasi im Handumdrehen“ fertig. der zweite Lockdown. Doch wie sich dann Früher habe sie auch mal nächtelang durchge- In ihrem „Nest“, wie sie ihr Atelier nennt, herausstellt, muss die Kunstklinik nicht kom- arbeitet, wenn sie „einen guten Flow“ hatte. beherbergt Jutta Bauer eine junge Comiczeich- plett schließen, kann einen Teil ihres Angebots In so einer nächtlichen Session entstand einer nerin sowie das Lektorat des Kibitz-Verlags, unter strengen Auflagen beibehalten. Womit ihrer Bestseller: ihr Kinderbuch „Selma“ über der 2019 gegründet wurde und Kindercomics die Ausstellung gerettet ist. Was steht nun auf ein Schaf, das ganz ohne Ehrgeiz in seiner verlegt (siehe Seite 23). Der große Raum des dem Programm? Jetzt, wo alles für die Aus- täglichen Routine sein Glück findet. Das 24-sei- Ateliers wird von Bücherregalen mit Jutta Bauers stellung organisiert ist, hat Jutta Bauer Zeit für tige Büchlein hat sich weltweit rund 400.000 10
Mal verkauft und war eigentlich nur ein Weih- Dass ihre Arbeit dem Auftraggeber nicht gefiel, Bild und Text sind relativ eng verzahnt. Das, nachtsgruß für Freunde gewesen, bis der kam bei ihr noch nie vor. „Ich bin jetzt auch was über die Bilder erzählt sei, werde nicht als Lappan Verlag daraus ein Buch machen woll- im Rentenalter und kann machen, was ich Text gebraucht – und umgekehrt. „Ich muss te. Es sei einfach eine Geschichte gewesen, die will, und muss jetzt nicht mehr Bücher runter- nicht schreiben, dass das Viech traurig ist. Das sie erzählen wollte, und wenn man Geschich- schrubben, um meinen Lebensunterhalt zu ver- sieht man an der Mimik. Wenn da Text steht, ten macht, gibt man automatisch etwas mit. dienen“, sagt die 65-Jährige. ist es eher so was wie ‚Das Viech lief Tag und Für Kinder seien Geschichten in Wort oder Bild Nacht’ und man sieht dann im Bild, dass es vor ein wichtiges Lebensmittel, meint Bauer. Sie Ihr aktuelles Kinderbuchprojekt stammt aus Erschöpfung zusammenklappt.“ Das ist eine bräuchten sie, um sich die Welt zu erklären, ihrer Feder und wird wahrscheinlich den Titel Stärke von Jutta Bauer: Ihre Bilder sprechen und als Hilfestellung für ihr Leben. Bei einem „Der Weg“ bekommen und im Kibitz-Verlag Bände und ermöglichen so auch ganz kleinen guten Kinderbuch findet nach Bauers Auffas- erscheinen. Die Hauptfigur des Buchs ist ein Leser*innen, die Geschichten auch ohne viele sung etwas statt, das mit dem Alltag und dem nicht näher definiertes, emsiges rattenähnli- Worte zu verstehen. Leben der Kinder zu tun hat. ches „Viech“. Das Viech bekommt von seinem König den Auftrag, eine Botschaft ins benach- Ihr Erfolgsrezept? Authentizität und der Die Koloration von Selma nahm dann noch mal barte Königreich zu bringen und stößt auf sei- Wunsch, eine Geschichte zu zeichnen und zu ein paar Tage in Anspruch, da Jutta Bauer vor ner Reise immer wieder auf Hindernisse. Es schreiben, die ihr selbst gefällt. Bücher nur 20 Jahren, als das Buch entstand, ihre Zeich- muss anderen helfen, wird gejagt, gerettet und deshalb zu machen, weil sie sich vielleicht gut nungen allein per Hand als Karton mit Aqua- verliebt sich sogar. Am Ende läuft das Wesen verkaufen könnten, hält sie für falsch. „Ich rell-, Gouache- oder auch mal mit Acrylfarben im Kreis und kommt wieder bei seinem König glaube, die wirklich guten und letztlich hof- kolorierte. Heute zeichnet die Linkshänderin an, ohne den Auftrag erfüllt zu haben. Der ist fentlich auch erfolgreichen Bücher sind die, wo immer noch direkt mit einem Stift auf Papier, von den Geschichten so begeistert, dass er die jemand ganz sein Ding macht, was zu erzählen macht die Kolorationen und Bildbearbeitungen eigentliche Botschaft ins Kaminfeuer wirft. Am hat und das auch tut, ohne sich in irgendeinen mal per Hand und mal mit einem Bildbearbei- Ende dürfen alle neuen Freunde mit ihm im Markt zu quetschen. Möglicherweise funktio- tungsprogramm am Computer-Zeichenpad. Königreich leben und auch die Liebesgeschich- niert letzteres auch, aber das fände ich eher te hat ein Happy End. „Ich wollte mal ein Kin- schade“, sagt Bauer und lacht wieder. Jutta Bauer hat schon oft mit vielen bekann- derbuch machen, bei dem am Ende alles gut ten Verlagen wie Carlsen oder Beltz und renom- ausgeht. Es gibt genug Probleme.“ Ist der Weg mierten Kinderbuchautor*innen wie Kirsten Boie, das Ziel? „Eher ist das Ziel im Weg“, meint Christine Nöstlinger, Annette Pehnt oder Jürg Bauer und lacht herzlich. Schubiger gearbeitet. Generell möchte sie aber lieber ihre eigenen Bücher zeichnen und schrei- Kinder können die Geschichten auch ben. Nein, an den Autor*innen liege es nicht. Die ohne Worte verstehen hätten ihr eigentlich nie in die Arbeit reingeredet, auch die Verlage nicht. „Ich habe immer die Texte Im oberen Bereich des Buchs ist die Odys- respektiert und die meine Illustrationen“, erklärt see des kleinen Wesens in bunten Farben zu Bauer. Die Zeichnung zu Annette Pehnts Figur sehen. Darunter läuft immer eine kleine Bil- „Bärbeiß“ hat sie einmal vorab geschickt, um derabfolge ohne Text in Schwarz-Weiß, in dem zu sehen, ob das so gehe, da die Figur ein zotteli- man den König parallel bei seinem öden Alltag ges, großes Monster ist und damit dem „Grüffelo“ beobachten kann. Die Grundlage bei diesem von Schriftstellerin Julia Donaldson und Illustrator Kinderbuch ist ein Storyboard, also Kästchen, Axel Scheffler etwas ähnele. wie sie auch beim Trickfilm benutzt werden. 11
! S C H W E R P U N KT y p i s c h T Setzen Verlage bei der Buchgestaltung zu sehr auf Geschlechter-Klischees? Eine Kontroverse TEXT: CLAAS GREITE 12
! R osa und Rot für die Mädchen, Blau und Schwarz für die Deutschland – ein Ort der gestalterischen Einfalt also, in dem Kindern Jungs. Prinzessinnen und Pferde für die Mädchen, Welt- „visuelles Fastfood“ vorgesetzt wird? Das kju-Magazin hat mehrere Kin- raum und Pistolen für die Jungs. Niedlichkeit und Herz- der- und Jugendbuchverlage mit den Vorwürfen konfrontiert. Zu einer aus- schmerz für die Mädchen, Action und Abenteuer für die führlichen Stellungnahme war aber nur der in Hamburg ansässige Carlsen- Jungs. Wer durch die Kinder- und Jugendabteilungen der Verlag bereit, Deutschlands größter Kinder- und Jugendbuch-Verlag. Frank Buchhandlungen geht, findet viele Bücher, die nach Mus- Kühne, Programmleiter für den Bereich Kinderbuch, spricht von einer „rosa tern wie diesen gestaltet sind. Setzen deutsche Kinder- und Jugendbuch- Phase“ bei Mädchen und „schwarzen Phase“ bei Jungen als Teil der kindli- verlage zu sehr auf Geschlechterklischees, um ihre Produkte abzusetzen? chen Entwicklung. Solche Phasen seien normal und gingen vorbei. Er sagt Ja – meint Bernd Mölck-Tassel, Professor für Illustration an der Hochschu- aber auch: „Eltern müssen Kindern die Möglichkeit geben, nicht in die binä- le für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg. Er beklagt: „Gerade re Falle zu gehen“. Und auch die Verlage hätten hier eine Verantwortung: bei Jugendbüchern wird ganz massiv mit Geschlechterklischees gearbei- „Unsere Aufgabe ist es, genau das zu schwächen und differenziertere Gen- tet.“ Besonders die Cover würden vermeintlich „jungen- oder mädchenty- der-Rollenbilder anzubieten.“ pisch“ gestaltet. Ähnlich sieht es die Hamburger Illustratorin Miriam Elze: „Geschlechterklischees findet man auf Buchcovern“. Dieser Aufgabe würden Carlsen und andere Verlage aber auch weitgehend gerecht: „Das Angebot der Verlage ist sehr viel differenzierter, als es an der Bernd Mölck-Tassel spricht von „visuellem Fastfood“, das junge und älte- Oberfläche wahrgenommen wird.“ Es gebe etwa durchaus stark auftretende re Betrachter*innen unterfordere. Das gehe über die Geschlechterklischees Mädchenfiguren, Pippa Pepperkorn von Charlotte Habersack (Autorin) und hinaus – Covergestaltungen seien oft standardisiert, schablonenhaft und Melanie Garanin (Illustration) sei ein Beispiel. Ein anderes Beispiel: Pembo, künstlerisch wenig innovativ. Mölck-Tassel: „Auf Buchmessen fallen mir die Figur von Ayse Bosse (Autorin) und Ceylan Beyoglu (Illustration) – sie ist immer wieder sehr bunte Bücher auf. Das Gras ist grün, der Himmel hell- mit kurzen Haaren gezeichnet, das Cover ist blau gestaltet. Kühne: „Es gibt blau, das Schwein rosa. Solche Bilder sind wie Nahrung mit Geschmacks- Mädchen-Darstellungen, die überhaupt nicht dem entsprechen, was Herr verstärker.“ Mölck-Tassel zu Recht anklagt.“ Mölck-Tassel führt das auf eine „fehlende Philosophie in weiten Teilen der Dann aber holt Frank Kühne ein Buch mit rosafarbenem Cover hervor: „Dis- deutschen Verlagslandschaft“ zurück. Er sagt: „Wenn meine Studierenden ney Prinzessin – Das große Buch mit den besten Geschichten“. Daneben auf Buchmessen ihre Entwürfe zeigen, heißt es bei den deutschen Ständen hält er das Buch „Pembo – halb und halb macht doppelt glücklich“. Und oft als erstes: ‚Das ist zu künstlerisch, das lässt sich nicht verkaufen. Ganz sagt: „Wir machen beides.“ Und: „Ich bin für diese beiden Bücher verant- anders ist es bei den französischen Verlagshäusern. Da wird gesagt: ‚Oh, wortlich. Ich persönlich.“ das ist schön‘ und später wird über die Chancen am Markt gesprochen.“ Teil einer verlegerischen Philosophie, so Mölck-Tassel, müsse es immer sein, „Prinzessin Lillifee“ als Symbolfigur eines Roll-Backs qualitativ hochwertiger Kunst eine Plattform zu geben. Kinderbuchverlage hätten so die Chance, „visuelle Frühförderung“ zu betreiben – doch diese Auf die Frage, warum der Carlsen-Verlag denn beides mache, holt er wei- Chance werde in Deutschland leider oft vertan. ter aus. „Vor 15 Jahren haben wir, was die Gender-Polarisierung anbetrifft, einen Backlash erlebt. Noch in den 90er-Jahren war das viel liberaler und Miriam Elze blickt ebenfalls etwas neidvoll nach Frankreich – dort würden viel weiter.“ Im Kinder- und Jugendbuchbereich sei diese Entwicklung an oft visuell anspruchsvollere Illustrationen realisiert. Für die Merkmale vie- der Figur „Prinzessin Lillifee“ abzulesen. „Da gab es einen Roll-Back, und ler deutscher Buchcover hat sie noch eine andere Erklärung: „Viele Verlage die Marke Prinzessin Lillifee ist die Ikone dafür.“ Die Figur sei „wahnsinnig kämpfen ums Überleben, deshalb haben Marketingabteilungen einen star- mädchenhaft, britisch-süßlich. Wir Programm-Macher haben am Anfang ken Einfluss auf Entscheidungen bezüglich der visuellen Umsetzung.“ gedacht, das wird in Deutschland nie erfolgreich. Aber es wurde sehr, sehr, 13
Kühne räumt aber ein, dass es im Jugendbuchbereich noch deutlich mehr genderspezifische Bücher und ganze Reihen gebe. Das erklärt er so: „Es gibt einfach zu wenig jugendliche Männer, die lesen.“ Nur um die 20 Prozent der Leser*innen zwischen 12 und 18 seien männlich, deshalb gebe es „ein gro- ßes Angebot an Umschlägen, die die klassisch-femininen Erkennungsmerk- male bedienen.“ Aber aktuell gebe es auch da einen Gegentrend: die neuen Cover besonders bekannter und sichtbarer Jugendbuchreihen wie „Tribute von Panem“ oder „Bis(s)“ oder „Villains“ seien nicht feminin rosa sondern schwarz – und damit außerordentlich erfolgreich. In einem weiteren Punkt gibt er Mölck-Tassel und Miriam Elze Recht. Das betrifft die oft etwas schematische, wenig vielschichtige Gestaltung von Covern. Kühne sagt: „Wir haben leider kaum noch einen beratenden Buch- handel. Deshalb müssen wir es schaffen, dass der Kunde das Buch am Cover Zwei Bücher des Carlsen-Verlags - und zwei sehr verschiedene Mädchen-Darstellungen erkennt, dass er sich gut und schnell orientieren kann.“ Deshalb seien die Cover „in der Regel, auch im Jugendbuch, tendenziell schematischer und sehr erfolgreich.“ Mit Lillifee sei „so ein Mädchenbild“ zurückgekommen, weniger differenziert als die Inhalte“. „was es vorher in Deutschland im Kinderbuch so nicht gegeben hatte.“ Kinderbücher in Frankreich „künstlerischer, konzept- Warum das so sei, es diesen Backlash gebe, erklärt Kühne so: „Ein zentra- stärker, frischer, freier“ ler Grund ist die Orientierung im Handel. Bücher werden zu 70 Prozent ver- schenkt. Auch an die Neffen und Nachbarskinder. Käufer*innen wüssten Wie Elze und Mölck-Tassel ist er der Ansicht, dass das deutsche Publikum, manchmal sehr wenig über diese Kinder, bis auf die Tatsache, dass sie ein verglichen mit dem im Nachbarland Frankreich, leider weniger bereit ist, Junge oder Mädchen sind.“ künstlerisch anspruchsvoll gestaltete Kinder- und Jugendbücher zu kaufen. Kühne: „Wir schauen immer voller Neid auf Frankreich. Das ist eine ande- Versuche mit genderspezifischen und genderneutralen Buchcovern hätten re Buchkultur. Das Kinderbuch ist künstlerischer, konzeptstärker, frischer, gezeigt, dass Eltern „zu 70 Prozent häufiger“ zu dem genderprofilierten freier.“ Carlsen habe auch viele französische Illustrator*innen im Programm, Buch greifen. Es gebe aber auch entsprechende Kinderwünsche, etwa Mäd- aber „es wird nicht so angenommen.“ chen, die sagen: „Ich wünsche mir ein rosa Buch, weil ich dann das Gefühl habe, das gehört zu mir.“ Immerhin sieht Kühne eine positive Entwicklung in Deutschland. „Es gibt mehr einzelne Erfolge von Illustrationsstilen, die nicht so kitschig und fanta- Ist Pembo also ein Nischenprodukt, wird das Geld letztlich mit Prinzessin sielos sind.“ Dem schließt sich Miriam Elze an: „Es gibt auch schöne, unge- Lillifee verdient? Das verneint Kühne. „Genderspezifische Cover laufen gar wöhnliche Bücher. Ich habe den Eindruck, sogar mehr als früher!“ Und nicht unbedingt besser.“ Besonders betont er: „Diese starke Gender-Polari- Bernd Mölck-Tassel sagt: „In Deutschland ist in den vergangenen 15 Jah- sierung ist ein Trend, der abklingt. Und das finden wir sehr gut.“ Ein Bei- ren vieles deutlich besser geworden in Sachen Illustration.“ Für die Zukunft spiel für eine gut gehende, geschlechterneutrale Reihe sei „Die Schule der wünscht er sich noch mehr „Bildkompetenz“ in deutschen Verlagen – und magischen Tiere“, die im Carlsen-Verlag erscheint und auf die Kühne stolz auch etwas mehr verlegerischen Mut. ist. Die stark genderspezifischen Bücher seien „noch ein Teilmarkt“, er nennt auch eine Zahl: „Wir bei Carlsen machen vielleicht noch zwei Prozent rosa Bücher im Kleinkindalter-Bereich.“ 14
ls at sich a S C H W E R P U N KT ov e l h phic N ie neues Die Gra t, d Made in Hamburg: lie r rzählfo rm etab chließt E ers Publikum Comics mit langem Atem NDL ER UTZ WE TEXT: L D em Laden im Souterrain ist von außen nicht anzusehen, dass er als erste Adresse gilt. Tatsächlich ist „Strips & Sto- Panel aus Anke Feuchtenbergers noch in Arbeit befindlichem Buch „Ein deutsches Tier in deutschem Wald“ ries“ in der Wohlwillstraße 28 auf St. Pauli unter Kennern als der Buchladen für Graphic Novels bekannt und einzig- artig in Hamburg, vielleicht sogar bundesweit. Der Comic- Fan Hans Ebert hat das Geschäft vor zehn Jahren gegrün- det – „als Liebhaberprojekt“, wie er sagt, dem Vorbild eines Ladens in Mon- treal folgend. „So etwas fehlte hier. Deshalb sind wir rasch gewachsen und waren bald ein Szene-Treff“, erzählt Ebert. „Strips & Stories“ veranstaltet Buchpremieren, Lesungen, Ausstellungen und ist an der Organisation des jährlichen Comicfestivals Hamburg beteiligt. Vor allem aber bildet der Laden die Vielfalt des Genres Graphic Novel ab. Ange- fangen bei Klassikern wie Art Spiegelmans Holocaust-Verarbeitung „Maus – Die Geschichte eines Überlebenden“ (1986) bis hin zur Wiener „Ulysses“- Adaption von Nicolas Mahler und aktuellen Sachcomics zur Quantenphysik oder zum Mueller-Report. In diesem internationalen Umfeld kommt beson- ders gut zur Geltung, was deutschsprachige Zeichner*innen und insbeson- dere die aus Hamburg zur Graphic Novel beitragen. Ebert zählt spontan einige auf: Birgit Weyhe, Kathrin Klingner, Hannah Brinkmann, Tanja Esch, Mia Oberländer und Sascha Hommer. Weyhe zum Beispiel hat in „Madgermanes“ eine komplexe interkulturelle Geschichte von sogenannten Vertragsarbeiter*innen aus Mosambik in der DDR erzählt, Brinkmann empfindet in ihrer atmosphärisch dichten zeithistorischen Gra- phic Novel „Gegen mein Gewissen“ nach, wie ihr pazifistischer Onkel den Kriegsdienst verweigerte, trotzdem eingezogen wurde und warum er 1974 15
während der Grundausbildung bei der Bundeswehr Suizid beging. Allen Das zum 75. Jahrestag des Atten- Zeichner*innen ist gemeinsam, dass sie an der Hochschule für Angewand- tats veröffentlichte Buch war als te Wissenschaften (HAW) studiert haben – „sozusagen bei der ‚Mutter der gelungenes Beispiel anschaulicher Szene’“, sagt Ebert und grinst. Er meint damit Anke Feuchtenberger, Profes- Geschichtsvermittlung sehr gefragt. sorin für Medienillustration, Zeichenlehrerin und selbst einflussreiche und Schröder hielt Vorträge, besuchte vielfach ausgezeichnete Comic-Autorin und Illustratorin. Schulen und brachte Jugendliche in Workshops dazu, selbst gestalterisch Seit 1997 lehrt Feuchtenberger an der HAW. „Mein Bereich hat sich sehr tätig zu werden. Auch die Bundes- verändert“, erzählt sie. „1997 war das noch eine kleine Gruppe und sti- zentrale für politische Bildung unter- listisch ging vieles noch in Richtung Knollnasen-Comics. Doch plötzlich stützte das Projekt. Die gute Reso- kamen andere, größere Themen auf, Ansätze abseits von schnellen Witzen, nanz sorgte für einen naheliegenden die Recherchen wurden tiefer, Comic-Klischees nicht mehr bedient. Damit Folgeauftrag: eine grafische Erzäh- stieg auch die Akzeptanz des Genres in der Öffentlichkeit.“ Statt von Gra- lung über den Widerstand der SPD- phic Novel spricht sie lieber von einer längeren Bilderzählung. „Dabei geht Politiker Toni Sender, Theo Haubach es nicht um die Bebilderung längerer Texte. Die Studierenden lernen viel- und Julius Leber. mehr, sich als Autor*innen zu verstehen und von der Zeichnung ausgehend ins Erzählen zu kommen. Wort und Bild sollten nicht zu trennen sein.“ Graphic Novels sind für Bildungseinrichtungen mittlerweile eine feste Größe Die gewachsene Wertschätzung für das Genre nutzen auch zwei Ham- Jens Natter konzentriert sich auf regionale Themen. Er hat 2014 Storms burger Zeichner, die andere Wege „Schimmelreiter“ als Graphic Novel herausgebracht, ein dafür besonders gegangen sind. Niels Schröder hat geeigneter Roman, weil er, so Natter, „gewaltige Bilder hervorruft“. Gera- in Bremen und Berlin (Visuelle Kom- de ist „Hammaburg“, Natters neue Graphic Novel erschienen. Die rasant munikation mit Schwerpunkt Illustra- gezeichnete Story konzentriert sich auf Hamburgs frühe Geschichte. „Es tion) studiert und wurde in Linz mit geht um Ansgar, den Apostel des Nordens, um die erste heiße Phase von einer Untersuchung über Trickfilme, Hamburgs Entwicklung, bis die Stadt 845 von Wikingern zerstört wurde“, Comics und Cartoons als Mittel der erzählt Natter. Fachliche Unterstützung hatte er dafür von Rainer-Maria Propaganda im Zweiten Weltkrieg Weiss, dem Direktor des Archäologischen Museums Hamburg. Für die bei- promoviert und dafür mit dem Öster- den war die Arbeit eine Win-Win-Situation. Natter profitierte von Tipps und reichischen Staatspreis ausgezeich- Lektorat, Weiss nutzt das populäre Medium, um fürs Museum und die kriti- net. Thema seiner ersten großen sche Lektüre zu werben. Das Buch bekam sofort viel mediale Aufmerksam- Bilderzählung war 2014 das Leben keit, die erste Auflage war rasch verkauft. „Das rettet den Großteil des Win- des deutsch-jüdischen Jazz-Gitarris- ters“, sagt Natter, der davon ausgeht, dass wegen Corona abgesagte Veran- ten Coco Schumann. 2019 folgte „20. Juli 1944. Biographie eines Tages“, staltungen der Landeszentrale für politische Bildung und der Zentralbiblio- eine Graphic Novel über das Attentat auf Hitler durch die Widerstandsgrup- thek im Frühjahr nachgeholt werden. Denn Graphic Novels sind für traditio- pe um Graf von Stauffenberg. „Der Stoff eignete sich für eine quasi filmische nelle Bildungseinrichtungen längst eine unverzichtbar feste Größe. Erzählung. Ich habe die Geschichte dramaturgisch auf den einen Tag zuge- spitzt, der alles hätte verändern können“, sagt Schröder. 16
S C H W E R P U N KT E s gibt Geheimnisse, die nichts Wie Bilder von ihrem Zauber verlieren, wenn man sie lüftet. Auch denen, den die Rezeptur für das weltbeste Schokoladeneis bekannt ist, schmeckt die süße in Büchern Leckerei. Ganz ähnlich verhält es sich mit einer anderen Frage, die sich nicht nur viele Kinder stellen: Wie kommen die Bilder ins Buch? Wer bei der Suche nach Antworten fündig wird, muss keine Angst haben, dass es anschließend lebendig werden langweilig sein könnte, Bilderbücher anzu- schauen und zu lesen. Im Kinderbuchhaus, das im Altonaer Muse- um beheimatet ist, dreht sich alles um Bilder- bücher – oder um Buchkunst für Kinder und Jugendliche, wie Leiterin Dagmar Gausmann lieber sagt. Inzwischen ist das Kinderbuch- haus seit 15 Jahren Schaufenster der leben- digen und sehr aktiven Buchkunstszene Ham- burgs. Aber nicht nur das, es ist auch ein wichtiger Knotenpunkt im Netzwerk, Bildungs- einrichtung, Kontaktbörse für Künstler*innen und Veranstaltungsort. Regelmäßig gestalten Künstler*innen Workshops für Schulklassen und Kitagruppen im Kinderbuchhaus. Gemein- Die Vermittlung sam werden Bücher gebastelt oder Comics ihrer Kunst ist für viele gemalt. Die Begegnung, der Austausch und das gemeinsame kreative Arbeiten von Künst- Illustrator*innen ein ler*innen und Kindern sind wichtig, findet zweites Standbein Dagmar Gausmann. Und zwar für beide Seiten. Denn wer als Illustrator*in seinen Lebensunter- TEXT: CHRISTINE WEISER halt verdienen möchte, muss neben künstleri- schem Talent über jede Menge Organisations- und Managerqualitäten verfügen. „Um von 17
Illustrationen für Kinderbücher leben zu kön- willkommenes Zubrot“, sagt Stefanie Wegner. Homepage der Bücherhallen. Inzwischen hat nen, muss man mehrere gleichzeitig machen“, Außerdem arbeiten viele als Grafiker*in, da Antje von Stemm viel Feedback erhalten. Kin- sagt Stefanie Wegner, die gemeinsam mit Kommunikationsdesign Bestandteil der Illust- der, aber auch Erwachsene, schicken Bilder ihrem Mann Timo Müller-Wegner seit 2002 rator*innen-Ausbildung ist. von ihren Pop-up-Büchern. „Es fasziniert mich das gleichnamige Illustrationsbüro führt. Das immer wieder, wie toll und ganz unterschied- Portfolio von Illustrator*innen muss also breit Der Detektivcomic „Ulf und das Rätsel um die lich die Geschichten werden. Von der Erdnuss- aufgestellt sein. So wie das von Miriam Elze. Neue“ ist das fünfte Buch von Tanja Esch und butterdose bis hin zum Pfirsich kann alles zum Als Schnellzeichnerin schuf sie einzigartige gerade im Kibitz Verlag erschienen. Um noch Held der Geschichte werden“, sagt Antje von Momentaufnahmen auf Hochzeiten, Kongres- stärker auf Comics als eigenständige Spar- Stemm. sen und anderen Veranstaltungen, bevor das te der Kinder- und Jugendliteratur aufmerk- öffentliche Leben für Monate brach lag und sam zu machen, engagiert sich Tanja Esch seit Stefanie Wegner verweist auf eine neue Ver- Veranstaltungen wie Messen und große Fami- einigen Jahren bei der Organisation der Ver- mittlungsoption für Künstler*innen: Inzwischen lienfeste ausfallen mussten. Das Illustrieren anstaltung ,Kinder lieben Comics‘, die Teil des präsentieren sich auch Hamburger Illustra- von Bilderbüchern ist ein weiteres berufliches Lesefestes Seiteneinsteiger ist. Ulf und ande- tor*innen auf Plattformen wie patreon oder Standbein. Ihre Aufgabe dabei sei es, so Elze, re ihrer Helden erweckt Tanja Esch regelmäßig steady einer weltweiten community. Wer sein „mit meinen Bildern Stimmungen zu erzeu- auf Lesungen und in Workshops zum Leben. Profil pflegt, kann sich einen Stamm an Fans gen, Atmosphäre zu schaffen. Die Illustrati- Mit Comic-Fans ab sechs Jahren entwickelt aufbauen, die ihrerseits die künstlerische on gibt dem Text eine andere Ebene, sie kann sie darin gemeinsam eigene Storyideen und Arbeit mit Spenden honorieren. Illustrator*in- ihn ergänzen oder aber ihm widersprechen. zeigt, wie unverwechselbare Charaktere aus- nen stellen dafür besondere Inhalte online, Erst Text und Bild zusammen ergeben etwas sehen könnten. beispielsweise Tutorials, in denen Zeichentech- Neues.“ Außerdem unterrichtete sie als Dozen- niken erklärt und gezeigt werden. Notgedrun- tin in Berlin und Hamburg und vermittelte ihr Plattformen wie patreon und steady gen hat auch das Kinderbuchhaus zuletzt seine Fachwissen an Studierende. bieten Illustrator*innen neue Chancen Online-Aktivitäten verstärkt, unter anderem mit Hennis hamsterstarken Hamburg-Rallye „Dass Illustrator*innen unterrichten, zum Bei- Auch Antje von Stemm hat einen ganz eige- durch inzwischen acht Stadtteile. Am liebsten spiel als Dozent*in an Hochschulen, an der nen Ansatz für die Vermittlung ihrer Kunst würde Dagmar Gausmann daraus einmal ein Volkshochschule oder in Kursen im eigenen gefunden. Die Illustratorin, die sich zudem in gutes Buch machen. Wie das geht, weiß sie ja. Atelier, ist ziemlich verbreitet“, sagt Stefa- den USA zur Papieringenieurin fortbilden ließ, nie Wegner, die sich als Ansprechpartnerin hat unter anderem ein Pop-up-Buch entwi- des Berufsverbandes Illustratoren Organisati- ckelt, dass allen Bastelfans ab acht Jahren viel on in Hamburg auskennt. Etwa 250 Mitglie- Raum für eigene Kreativität bietet und tolle INFO der sind in dem Mail-Verteiler für den regelmä- Papiermechanismen mitliefert. „In der Zeit des ßig stattfindenden Stammtisch. Er wurde vor Lockdowns im Frühjahr haben einige Schulen WWW.KINDERBUCHHAUS.DE mehr als 20 Jahren ins Leben gerufen, damit die Bastelsets klassensatzweise bestellt“, sagt sich die Künstler*innen austauschen können. Antje von Stemm. Aktuell hat sie ein Set für WWW.VONSTEMM.COM „Einige Kolleg*innen sind neben ihrer künst- ein Pop-up-Buch entwickelt, dass an den 32 WWW.TANJAESCH.DE lerischen Arbeit auch noch in der Vermittlung Standorten der Bücherhallen kostenlos erhält- aktiv. Für viele sind Workshops in Schulen und lich ist. Inspiration und Unterstützung in Form WWW.MIRIAMELZE.DE anderen Einrichtungen, auf Veranstaltungen von Online-Anleitungen gibt es sowohl auf WWW.MUELLERWEGNER.COM wie den Kinderbuchtagen oder auf Messen ein der Homepage der Künstlerin als auch auf der 18
KRITIK Die unsterbliche Biene zurück auf der großen Leinwand TEXT: HANNA SCHNEIDER 19
W enn die Biene Maja 2021 in die deutschen Kinos Die audiovisuelle Umsetzung wirkt ebenfalls datiert. Die Illustration ist zurückkehrt, ist sie schon 109 Jahre alt. Die meis- handgezeichnet. Vor oft unbewegten Hintergründen erscheinen die sehr ten Zuschauenden – Kinder und Erwachsene – wer- einfach gehaltenen, stilisierten und durch schwarze Outlines stark abge- den die Geschichten um das Bienenmädchen kennen, grenzten Figuren mit ihren großen Augen und runden, kindlich-niedli- das sich nicht mit dem streng geordneten Leben im chen Formen. Mimik und Gestik sind spärlich gehalten, die Bewegung der Bienenstock abfinden, sondern lieber die Wiesenwelt Figuren ist ruckartig. Im Kontrast dazu sind die Hintergründe viel weicher, außerhalb erkunden möchte. Vor allem die vom ZDF entwickelte deutsch- manchmal fast aquarellartig, aber auch realitätsnäher gestaltet. Deutlich japanische Zeichentrickserie aus den 1970er-Jahren ist fest in der Popu- ist der Einfluss der japanischen Anime-Künstler zu sehen, die die Biene lärkultur verhaftet. 1977 entstand aus ausgewählten Episoden der Spiel- Maja zeichneten, wenn auch die Figuren vom Produzenten Josef Göh- film „Die Biene Maja – Ihre schönsten Abenteuer“, der nun wiederaufge- len und dem amerikanischen Zeichner Marty Murphy entworfen wurden. führt wird. Er zeigt die Geburt Majas, ihre ersten Erfahrungen im Bienen- Das Erzähltempo ist langsam. Die Bilder lassen sich Zeit, selbst in den leben, den Beginn ihrer Freundschaft mit der Drohne Willi und einige der abenteuerlichen Szenen. Immer wieder verweilt der Fokus auf blühender gemeinsamen Streifzüge. Natur. Die Farben bleiben blass. Vom bekannten Titellied abgesehen gibt es wenig musikalische Untermalung, doch die Geräusche sind markant. Die Figur der Biene Maja erdachte der Anfang des 20. Jahrhunderts sehr Sie dienen vor allem als akustische Scherze. Die Dialoge der Figuren sind erfolgreiche deutsche Autor Waldemar Bonsels. Seine naturromantische aus heutiger Sicht etwas aus der Zeit gefallen. Erzählung propagiert völkische Stereotype und verherrlicht Soldatenkult sowie die Aufgabe des Individuellen für die Gemeinschaft. Es verwundert Heute würde die Umsetzung so nicht mehr erfolgen. Tatsächlich gibt es daher nicht, dass Bonsels sich den Nationalsozialisten andiente und auch seit 2013 eine Neuauflage der Serie als 3D-Animation, die seitdem die im Dritten Reich seine Popularität behielt. alte Version abgelöst hat. Sehgewohnheiten und das Mediennutzungs- verhalten von Kindern haben sich verändert – genau wie die technischen Die Adaption als Zeichentrickserie übernimmt viele Episoden aus der Möglichkeiten auch für den Animationsbereich. Es wird heute schneller Buchvorlage, doch ist der Ton der Geschichten ein grundlegend anderer. erzählt, die visuelle Gestaltung ist oft poppiger. Das muss jedoch nicht In der Filmversion wird dies in komprimierter Form deutlich: Militärisches heißen, dass die alte Biene Maja für Kinder heute nicht mehr funktioniert. ist auch hier präsent, aber es wird ihm das Pathos genommen und ins Eine klare, ruhige audiovisuelle Umsetzung von Geschichten ist gerade Lächerliche gezogen. Maja ist eine starke, unabhängige Figur, die Auto- für die jüngsten Kinder, das Hauptzielpublikum der Biene Maja, ideal. So rität hinterfragt und von Wissensdurst und Tatendrang angetrieben wird. werden sie nicht überfordert, sondern behutsam an audiovisuelle Medien Gleichzeitig möchte sie überall helfen. An ihre Seite gestellt bekommt sie herangeführt. Es ist wohl eher eine Frage der Gewöhnung und der ästhe- mit dem faulen und ängstlichen, aber loyalen und liebenswerten Willi tischen Präferenz, welche Biene bevorzugt wird. Weiter beobachten lässt eine neue Figur. Zusammen und mit Hilfe anderer Wiesen-Freund*innen sich dies, wenn fast zeitgleich zum Filmklassiker die aktuelle Version der wie dem hippiesken Grashüpfer Flip bestehen sie auch gefährliche Situa- 3D-Maja auf der großen Leinwand zu sehen sein wird. tionen. Die Werte Freundschaft und Hilfsbereitschaft stehen klar an ers- ter Stelle. INFO Dieser Fokus entspricht den gesellschaftlichen Strömungen der Entste- hungszeit – nur die damalige unkommentierte Adaption der problemati- Die Biene Maja – Ihre schönsten Abenteuer, Deutschland/Japan 1977, schen Vorlage verwundert. Auch heute bietet die Geschichte positive Bot- Regie: Hiroshi Saito, 83 Minuten, empfohlen ab 5 Jahren, FSK 0. Kino- schaften und Rollenbilder für Kinder, insbesondere Mädchen. Dennoch neustart geplant für 06.01.2021. In Hamburg zu sehen voraussicht- sind bestimmte Aspekte wie die dick-einfältige Darstellung von Willi als lich in den CinemaxX-Kinos und in der ASTOR FILM LOUNGE HafenCity. komisches Mittel nicht mehr zeitgemäß. 20
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