Im Schatten von Leuchttürmen - Potenziale besser ausschöpfen Deutscher Biotechnologie-Report 2016 - Cluster für individualisierte ...

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Im Schatten von Leuchttürmen - Potenziale besser ausschöpfen Deutscher Biotechnologie-Report 2016 - Cluster für individualisierte ...
Im Schatten von
Leuchttürmen
Potenziale besser ausschöpfen
Deutscher Biotechnologie-Report
2016
Im Schatten von Leuchttürmen - Potenziale besser ausschöpfen Deutscher Biotechnologie-Report 2016 - Cluster für individualisierte ...
Impressum

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Die Zahlenangaben und Informationen basieren auf Daten, die im
Rahmen einer Primärdatenerhebung sowie Sekundärdatenrecher­
che von relevanten Unternehmen ermittelt wurden. Die in diesem
Report wiedergegebenen qualitativen und quantitativen Einschät­
zungen wurden mit hoher Sorgfalt ermittelt, jedoch übernimmt
der Herausgeber keine Haftung für die Richtigkeit und Vollständig­
keit der Angaben.

Ernst & Young GmbH
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Theodor-Heuss-Anlage 2, 68165 Mannheim

Dr. Siegfried Bialojan
Executive Director, Life Sciences Center Mannheim
Telefon +49 621 4208 11405
siegfried.bialojan@de.ey.com

April 2016

Layout und Produktion: CPoffice Bietigheim-Bissingen,
Sabine Reissner
Im Schatten von Leuchttürmen - Potenziale besser ausschöpfen Deutscher Biotechnologie-Report 2016 - Cluster für individualisierte ...
Inhalt
Vorwort                                                       4

1 Perspektive
Momentum verpasst?                                            8
Leuchttürme als Hoffnungsschimmer?                           15
Biotech-Branche trotzdem im Stimmungshoch                    21

2 Kennzahlen Biotech-Standort Deutschland
Standortkennzahlen neu überdacht                             26
Unternehmensgründungen weiter rückläufig                     29
Unternehmertum fördern                                       32

3 Finanzierung
Börsenrallye flacht ab – Analyse und Trends                  38
Zahlen und Fakten – Deutschland                              44
Zahlen und Fakten – Europa                                   58
Zahlen und Fakten – USA                                      64

4 Transaktionen
Biotech-Transaktionen stehen weltweit hoch im Kurs           68
Zahlen und Fakten – Deutschland                              73
Zahlen und Fakten – International                            78

Anhang – Methodik und Definitionen                           82

Danksagung                                                   83

Weitere Informationen finden Sie unter www.de.ey.com/lifesciences
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Vorwort
                                                  Die Kernbotschaften der letzten beiden Biotechnologie-Reports enthielten eindeutige Forde­
                                                  rungen an die Politik („1 % für die Zukunft“, 2014), aber auch Erwartungen an die Unterneh­
                                                  men und alle Teilnehmer im Biotech-Sektor in Deutschland („Momentum nutzen“, 2015).

                                                  Dabei stand vor allem die Botschaft im letzten Jahr durch das außergewöhnliche Comeback der
                                                  Biotechnologie weltweit auf einem extrem starken Fundament. Dadurch boten sich realistische
                                                  Chancen, das globale Momentum für die Weiterentwicklung des Sektors in Deutschland zu
                                                  nutzen. Selbst den politischen Forderungen konnte man durch die neu gewonnene Wertschät­
                                                  zung von Biotech als Innovationsmotor noch mehr Nachdruck verleihen. Es geht nicht weiter
                                                  um wünschenswerte Zukunftsmusik: Die Zukunft hat begonnen und kommt mit einer geball-
                                                  ten Wirtschaftskraft daher.

                         Umso mehr drängt sich deshalb die Themenstellung für den vorliegenden Report von alleine auf:

                         • Wurde das vorgegebene Momentum genutzt?
                         • Wie profitiert der Biotech-Sektor in Deutschland von den internationalen Entwicklungen und schärft dabei sein Profil?
                         • Inwieweit werden durch aktuelle Entwicklungen auch politische Denk- und Entscheidungsprozesse vorangebracht?

                         Im Ergebnis kommt der Bericht tatsächlich zu zweigeteilten Aussagen. Einerseits implizieren viele der analysierten
                         Zahlen und Trends eher den Schluss „Momentum verpasst“ oder stellen dessen Nutzung zumindest infrage. Der
                         aktuelle Titel „Im Schatten von Leuchttürmen“ zeichnet andererseits auch ein Bild mit positiven Signalen. Er ent­
                         hält – dem Vorbild früherer Titel folgend – allerdings auch einen klaren Imperativ für die weitere wirtschaftliche Ent­
                         wicklung des Sektors.

                         Das Leuchtturmbild soll gleichzeitig auch eine visuelle Anregung für die ebenso wichtige gesellschaftliche Diskussion
                         mit Fragen sein, die in den vergangenen Jahren immer wieder gestellt wurden:

                         • Genügt es uns, Innovation in Deutschland auf wenige Hotspots mit Strahlkraft zu beschränken?
                         • Sind wir mit der Rolle des Zulieferers zufrieden, obwohl deutlich lukrativere Konstellationen erreichbar wären?
                         • Sind wir nicht vielmehr sogar verpflichtet, das deutlich stärkere Potenzial der Lebenswissenschaften viel breiter
                            zum Leuchten zu bringen – aus wirtschaftlicher Sicht für eine starke Life-Sciences-Industrie, aus volkswirtschaft­
                            licher Sicht für einen angemessenen Return aus den enormen Innovationsinvestments im Forschungsbereich
                            und nicht zuletzt auch aus ethischer Sicht in der Verantwortung für Patienten oder die Umwelt?

4   | Deutscher Biotechnologie-Report 2016
Im Schatten von Leuchttürmen - Potenziale besser ausschöpfen Deutscher Biotechnologie-Report 2016 - Cluster für individualisierte ...
Erstmals gibt es in diesem Jahr eine dedizierte Zusammenarbeit mit dem Branchenverband BIO Deutschland hinsicht­
lich der Erhebung von Unternehmenskennzahlen. Der Verband und EY reagieren damit auf das formale Einstellen
der biotechnologie.de-Plattform nach der Beendigung des Vertrags zwischen dem BMBF und BIOCOM. Mit dieser
Kooperation zwischen BIO Deutschland und EY sollen die Qualität der Unternehmenszahlen sowie die Konsistenz der
Erhebungsgrundlagen sichergestellt werden.

Über das nach wie vor anhaltende globale Momentum in der Biotechnologie bleibt unsere globale Studie „Beyond
borders“ die geeignete Quelle für Detailanalysen und Expertenmeinungen. Gerade die Periode nach Überschreiten des
Zenits bei den Kapitalmarktaktivitäten (vor allem IPOs) ist spannend. Einerseits steht die Nachhaltigkeit des Bio­
tech-Booms auf dem Prüfstand, andererseits sind jetzt die Weichenstellungen für die Zukunft nach dem Höhenflug zu
treffen.

In unserer alljährlichen Publikation „Pulse of the industry“ werden wir im Herbst weiter fragen, wie sich die massiven
Änderungen im Gesundheitssektor (Innovationen, Kostendruck, Erstattungsrisiken etc. ) sukzessive auch in den
Unternehmen im Medizintechniksektor niederschlagen.

EY betrachtet auch das Thema „Digitalisierung“ und deren Auswirkungen auf die Industrie der Zukunft („Industrie
4.0“). Mit einer speziell diesem Thema zugewandten EY Start-up-Initiative begleiten wir die jungen Innovatoren in
diesem Feld ebenso, wie wir massiv in unseren neuen Beratungsbereich „Data Analytics“ investieren, der die Digitali­
sierungsanstrengungen auch der Life-Sciences-Industrie im Fokus hat.

Das Zusammenwirken aller Disziplinen der Life-Sciences-Industrie zu verstehen wird zu einer unabdingbaren Kernkom­
petenz für den Aufbau des patientenorientierten Gesundheitssystems der Zukunft. Die gedankliche Auseinanderset­
zung mit diesen Zusammenhängen, unzählige Gespräche mit allen Beteiligten sowie ein fundiertes Wissen der Fakten
schaffen eine solide Basis für eine Beratungsexpertise, die wir unseren Kunden im gesamten Life-Sciences-Bereich
zur Verfügung stellen.

Mit diesem Vorausblick hoffe ich, dass Ihnen die vorliegende Studie hilfreiche Anregungen liefert, und freue mich auf
den Dialog mit Ihnen.

Dr. Siegfried Bialojan
EY Life Sciences Center Mannheim

                                                                                                                         Vorwort |   5
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Perspektive

6   | Deutscher Biotechnologie-Report 2016
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�
    Momentum verpasst?
    Entsprechend der Branchengröße und
    der breiten Innovationsbasis kann
    der deutsche Biotech-Sektor leider nicht
    adäquat von den Entwicklungen an den
    internationalen Kapitalmärkten und dem
    globalen Aufwärtstrend für Biotech
    profitieren. In Anlehnung an den letzt­
    jährigen Titel „Momentum nutzen“
    muss man sich am Innovationsstandort
    Deutschland also mit der Frage „Momen­
    tum verpasst?“ auseinandersetzen.

    Leuchttürme als
    Hoffnungsschimmer?
    Andererseits blitzt das vorhandene
    Potenzial durchaus sichtbar auf. Gibt es
    also Möglichkeiten, die Erfolgsfaktoren
    der Leuchtturmunternehmen breiter
    zu nutzen und damit aus den verein­
    zelten Leuchtpunkten eine Landschaft
    von Innovatoren zu schaffen?

    Biotech-Branche trotz­
    dem im Stimmungshoch
    Aber vielleicht ist das gar nicht gewollt?
    Die positiven Ergebnisse aus Branchen­
    umfragen könnten den Schluss nahe-
    legen, dass sich die Biotech-Branche in
    Deutschland mehrheitlich bereits auf ein
    Dasein als Zulieferer und Dienstleister
    eingerichtet hat. Diesem Segment geht
    es gut, wenn die Leuchttürme national
    und international erfolgreich sind. Die
    Frage bleibt allerdings: Kann sich Deutsch-
    land als Volkswirtschaft leisten, offen­
    kundig vorhandenes und umfangreich
    gefördertes Potenzial im Innovations-
    feld Gesundheit und Life Sciences unter
    Wert zu verkaufen?

                                  Perspektive |   7
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Momentum
verpasst?

2015 – ein Jahr voller Chancen                     Er stellt vor allem vier Aspekte in den Vorder­   Das IPO-Fenster bleibt offen                 63

Nicht umsonst stand der Biotechnologie-            grund seines optimistischeren Ausblicks:
                                                                                                              USA
Report des vergangenen Jahres unter dem                                                                       Europa
Motto „Momentum nutzen“. Positive Impulse          • Produkte statt Versprechen: Biotech mit
von allen Seiten der Stakeholder (Kapital­           breiter Palette innovativer Produkte mit                                                                 45
markt, Investoren, Pharma etc.) waren seit           hoher Relevanz im Markt (z. B. Gilead)                                           41
Langem nicht mehr so klar artikuliert. Als         • reifere Spieler: Erfolgsgeschichten,
Vorreiter hatte der IPO-Boom am US-Kapital­          die den Sektor treiben, vom „typischen                                                             33          33

markt ein Biotech-Feuerwerk gezündet, das            Verlustmacher“ zu wirtschaftlichen
in Folge auch in Europa sichtbar Fuß fasste.         Erfolgsstorys
                                                   • vertiefte Kapitalmarktverankerung:
Das weit geöffnete Börsenfenster – außer­            Spezialisten und Generalisten, hohes             15
                                                                                                           13                13
dem in bisher nicht gekannter zeitlicher             Kapitalvolumen                                              10 9
                                                                                                                                            8
­Dimension über drei Jahre hinweg – war nicht      • verbesserte F&E-Produktivität: höhere
 nur eine Riesenchance für Biotech-Unter­            Erfolgswahrscheinlichkeit, höhere F&E-                                       3
 nehmen mit validen Wachstums- und Exit-Stra­-       Aufwendungen, höhere Zulassungsraten
 tegien; vielmehr wurde das komplette Kapi­                                                            2010       2011       2012      2013        2014        2015

 talökosystem dadurch enorm angekurbelt.           Diesem positiven Umfeld, das nicht nur in                                                 Quelle: EY, Capital IQ
 Private und jüngere Biotech-Firmen profi­tier­    den USA, sondern auch in Europa spürbar
 ten dabei durch signifikant gestiegene Venture-   wurde, muss sich der Biotechnologiesektor in      präsentiert. Nur zwei Börsengänge (Affimed,
 Capital-Volumina ebenso wie börsen­notierte       Deutschland stellen. Die Kernfrage im Jahr        Probiodrug) und ein Reverse Take­over
 Firmen durch nachhaltiges Interesse der           2016 lautet folglich:                             (Pieris) 2014 sowie lediglich ein weiterer IPO
 Investoren am Kapitalmarkt (Details siehe                                                           2015 (Curetis) sind eindeutig zu wenig.
 Kapitel „Finanzierung“).                          Momentum genutzt oder einmalige                   Über den Verlauf des IPO-Fensters entsprach
                                                   Chancen verpasst?                                 dies einer Quote von 0,8 Prozent der privaten
Im erweiterten Ökosystem hatte dies auch           Im Folgenden sollen einige Aspekte vor die­
eine deutliche Aufwertung von Biotech in Ver­      sem Hintergrund näher beleuchtet werden:          Auch die IPO-Umsätze sind nach wie vor hoch
handlungen mit Pharma- und anderen Part­                                                             in Mrd. US$

nern zur Folge. Der Transaktionsmarkt stieg in     Momentum „Börsengang“                                      USA
bisher nicht erreichte Höhen (Details siehe        Mit zeitlicher Verzögerung war die IPO-Welle               Europa
Kapitel „Transaktionen“).                          aus den USA 2014 auch nach Europa über­                                                        5,0
                                                   geschwappt. Mit 33 IPOs europäischer Biotech-     4,5
In dieser Situation wurden natürlich auch          Unternehmen 2014 und ebenfalls 33 Bör­
                                                                                                                                                              3,8
wieder Stimmen lauter, die – in Anlehnung an       sengängen 2015 konnte das Kapitalmarkt-
frühere Perioden und typische „Investment          Momentum in Europa zumindest genutzt und                3,3                        3,3

Cycles“ – eine gefährliche Blase aufgrund von      aufrechterhalten werden, auch wenn wäh­
Überbewertungen im „Hype“ des Börsen­              renddessen die IPO-Anzahl in den USA wieder
booms als Gefahr an die Wand malten. Aber          sank, nämlich auf nur 45 IPOs 2015 im Ver­                                                           1,9
es gibt vermehrt auch positive Analysen, die       gleich zu 63 im Vorjahr.                                      1,6
                                                                                                                                                                    1,4
klare Unterschiede zu früheren Hochphasen
im Biotech-Sektor ausmachen, so etwa               Allerdings waren deutsche Biotech-IPOs
                                                                                                                       0,5
die Einschätzung von Bruce Booth, Partner          relativ zur Zahl der Biotech-Unternehmen in                                              0,3
bei Atlas Venture (Nature Biotechnology:           Deutschland und zur Position des deutschen
Volume 34, Number 1, January 2016):                Biotech-Sektors in Europa klar unterre­-            2000       2004                 2013        2014        2015

                                                                                                                                             Quelle: EY, Capital IQ

8   | Deutscher Biotechnologie-Report 2016
Im Schatten von Leuchttürmen - Potenziale besser ausschöpfen Deutscher Biotechnologie-Report 2016 - Cluster für individualisierte ...
IPO-Quote 2014/2015
                                                   in Prozent

                                                    DE                     0,8
                                                                                         2,3

                                                    CH                            1,4
                                                                                        2,1

                                                     F
deutschen Biotech-Firmen (2,3 % bezogen                                                                 4,8
auf Therapeutikaentwickler). In Europa lag                                                                                                  9,6
die Quote bei 3,3 Prozent (6,6 %) und in den
USA sogar bei 4,7 Prozent (7,2 %). Damit
wird Deutschland vor allem von den IPO-akti­
ven Ländern wie Frankreich oder Schweden
                                                    EU                                         3,3
                                                                                                                     6,6

deutlich abgehängt. Lediglich die Schweiz,
wo es in diesem Zeitraum (2013–2015)
nur zwei Biotech-IPOs von Schweizer Firmen
                                                   USA                                                 4,7
                                                                                                                           7,2

                                                                           IPOs/private Unternehmen gesamt        IPOs/private Therapeutikaentwickler
­gegeben hatte, war unerwartet schwach.
                                                                     Quelle: EY
 ­Immerhin hatte es an der Schweizer Börse
  weitere Life-Sciences-Börsengänge gegeben,
  z. B. die Abspaltung der Cassiopea aus dem       ­ örsengängen bereithielte. Neben den
                                                   B                                                 entwickler bleibt das starke Missverhältnis
  Cosmo-Konzern in Italien. Zu der niedrigen       fehlenden Investoren verwiesen die Unter­         weitgehend erhalten. Dies spricht dafür, dass
  IPO-Quote deutscher Biotech-Unternehmen          nehmen auch auf den Aspekt der Vergleich­         als weitere strukturelle Faktoren die mangeln­-
  kam hinzu, dass auch weiterhin (seit 2006)       barkeit. Erst eine kritische Masse an Unter­      de Börsenreife (mangelnde „IPO Readiness“)
  kein Börsengang am Heimatmarkt in Frank­         nehmen am Kapitalmarkt pro Marktsegment           hinsichtlich der Produktentwicklungsstadien
  furt erfolgte.                                   schafft gut vergleichbare Peergroups – eine       wie auch der Organisationsstrukturen (Risk
                                                   unabdingbare Voraussetzung für Investoren         Management, Reporting, internes Controlling,
Momentum also verpasst?                            wie für Unternehmen zur fundierten Bewer­         Kommunikation, IR etc.) hinzukommen.
Über die Gründe für das Ausbleiben von IPOs        tung ihrer Investments.
in Frankfurt wurde viel diskutiert. Als eine der                                                     Beides sind sicherlich ebenfalls direkte Kon­
Ursachen wurde dabei zunächst das Fehlen           Der wichtigste Grund für das weitgehende          sequenzen aus der Finanzierungsmisere und
spezialisierter Investoren, Analysten und Life-    Ausbleiben deutscher Börsengänge ist aber         der dadurch bedingten Zeitverzögerung in
Sciences-Research-Abteilungen der Invest­          tatsächlich struktureller Natur: Die IPO-Ana­     der Produktentwicklung bzw. des „Verschlan­
mentbanken ausgemacht. Die Zahl der Exper­         lysen (Details siehe Kapitel „Finanzierung“)      kungsdrucks“ für die Organisation. Das Dilem­-
ten, die ausreichendes Verständnis für die         zeigen eindeutig, dass die Investorenpräfe­       ma in dieser Situation besteht darin, dass
spezifischen Belange des Life-Sciences-Sek­        renz für Börsengänge im aktuellen Boom fast       ­einerseits der Zeitdruck immens ist, das nach
tors – lange Laufzeiten, hohe Entwicklungs­        ausschließlich bei Therapeutikaentwicklern         wie vor offene Börsenfenster nutzen zu wol­
risiken, hohe Kosten – aufweisen, war in den       liegt. Über 80 Prozent der IPOs, sowohl in         len bzw. zu müssen, und andererseits die Auf­
Jahren zuvor systematisch reduziert wor-           den USA als auch in Europa, fallen in diese        gabe, die Zeitversäumnisse und Organisa­
den. Gerade aber die spezialisierten Investoren    Kategorie. Börsenstorys in anderen Subseg­         tionsmängel ad hoc zu beseitigen, kaum zu
wurden als initiale Treiber des Börsenbooms        menten (z. B. Diagnostik, Service) waren           erfüllen ist.
in den USA angesehen. Erst danach sorgten          deutlich schwieriger zu platzieren und fallen
die „Generalisten“ für entsprechende Kapital­      zahlenmäßig kaum ins Gewicht.                     Eine Initiative der Deutschen Börse AG (siehe
volumina, die Verbreiterung des IPO-Fensters                                                         Artikel von Stefan Höfer, S. 10) zur Verbesse-
und die Verlängerung von dessen Zeitdauer.         Bezogen auf Deutschland heißt dies, dass          rung der IPO Readiness setzt hier an. Interes­
                                                   hierzulande aufgrund der jahrelangen              sierte Unternehmen sollen durch das Venture
Politische Initiativen hierzu mit Forderungen      Kapital­knappheit und dabei erzwungener           Network u. a. auch Zugang zu Investoren-
an die Deutsche Börse zur Etablierung eines        ­Geschäftsmodellverschiebungen gerade             netzwerken bekommen und damit mittelfris­
„Neuen Marktes 2.0“ waren weder hilfreich           im Segment der Therapeutikaentwickler zah­       tig die IPO Readiness verbessern – verbunden
noch sinnvoll. Zu Recht argumentierte die           lenmäßig weniger Unternehmen vertreten           natürlich mit der Hoffnung auf ein Wiederbe­
Börse, dass sie das komplette Instrumenta­          sind (siehe Analyse auf S. 21). Aber selbst      leben der Life-Sciences-Börsengänge auf dem
rium für die technische Abwicklung von              korrigiert auf die Zahl der Therapeutika­-       Frank­furter Parkett.

                                                                                                                                    Perspektive |       9
Im Schatten von Leuchttürmen - Potenziale besser ausschöpfen Deutscher Biotechnologie-Report 2016 - Cluster für individualisierte ...
Deutsche Börse Venture Network:
                                        Eine wertvolle Plattform
                                        für Wachstumsunternehmen
Stefan Höfer
Vice President Pre-IPO Markets &
DB Venture Network
Deutsche Börse AG, Eschborn
www.venture-network.com

Deutsche Börse Venture Network                                             • Umsatzwachstum von durchschnittlich 30 Prozent in den letzten
Im internationalen Vergleich ist es insbesondere für junge deutsche          beiden Jahren (gemessen am Umsatz)
Biotech-Unternehmen schwierig, auf dem nationalen Markt im                 • Jahreserlös über 500.000 Euro
­Anschluss an die Gründungsfinanzierung Zugang zu Kapital zu erhal-
 ten. Am 11. Juni 2015 startete die Deutsche Börse AG daher gemein-        Die Plattform mit gesichertem Data Room
 sam mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie das              Wird das Unternehmen für die Plattform freigeschaltet, erhält es Zugang
 „Deutsche Börse Venture Network“, um Finanzierungsmöglichkeiten            zum Netzwerk und zu den Investoren. Die Plattform bietet den Unter-
 für Wachstumsunternehmen zu vereinfachen bzw. zu ermöglichen              nehmen auch einen eigenen gesicherten Data Room, in dem sich ein
 und letztendlich Börsengänge in Deutschland zu stärken. Bereits über      Investor nach der ersten Kontaktaufnahme entscheidungsrelevante
 60 Unternehmen und 140 Investoren nutzen das Angebot.                     vertrauliche Daten des Unternehmens ansehen kann. Die Dokumente
                                                                           im Data Room können nicht gespeichert, gedruckt oder versandt
Zugang zu einem ausgeprägten Netzwerk …                                    ­werden. Der Zugang erfolgt nur nach Freigabe durch das Unternehmen
Das Venture Network stellt seinen Mitgliedern eine exklusive, nicht         und kann von ihm auch jederzeit wieder beendet werden. Der Investor
­öffentliche branchen- und länderübergreifende Onlineplattform zur          auf der anderen Seite ist sich durch entsprechende Hinweise bewusst,
 Verfügung, auf der erste Kontakte zu Investoren hergestellt, aber auch     dass es sich um Non-Disclosure-Daten handelt.
 Finanzierungsrunden angebahnt und durchgeführt werden können.
 Das Programm unterstützt Unternehmen vor allem darin, sich ein effi-      Roadshows vertiefen Beziehungen
 zientes Business-Netzwerk aufzubauen. Neben international stattfin-       Neben der Möglichkeit der digitalen Kontaktaufnahme wird zur virtuel-
 denden Investoren-Roadshows und exklusiven Networking-Events in           len Plattform auch eine eigene Matching-Veranstaltungsreihe angebo-
 kleineren Gruppen werden zusätzlich Kapitalmarkttrainings ange­           ten: Bei den „Investor Talks“ präsentieren die Unternehmen ihr Konzept
 boten. Die Teilnehmer profitieren in diesem Rahmen intensiv von den       vor den Investoren und vertiefen danach in Einzelgesprächen die
 ­Erfahrungen der Mentoren und erfahrenen Unternehmen.                     ­Kontakte. Die internationale Roadshow fand 2015 bereits in Frankfurt,
                                                                            New York, Boston und im Silicon Valley statt. Das Konzept stieß dabei
… mit internationalen Investoren                                            auf äußerst positive Resonanz. Mehrere der US-Investoren sind bereits
Neben den typischen Kapitalanlegern wie VC-Investoren wird deutschen        Teil des Netzwerks und der Zuspruch wächst beinahe täglich. Für 2016
und internationalen Investoren aus den Bereichen Private Equity und         sind weitere Investor-Talks-Termine angesetzt.
Family Offices sowie vermögenden Privatpersonen ein effizienter und
einfacher Zugang zu den europäischen Wachstumsunternehmen                  Fokus auf Deutschland lenken
­geboten. Dabei soll ein Fokus – insbesondere der internationalen Inves-   Auch für den komplexen Bereich Life Sciences könnte sich das Deut-
 toren – auf die wachstumsstarken deutschen Biotech-Unternehmen,           sche Börse Venture Network als wertvolle Plattform erweisen, da
 die sich dem Netzwerk anschließen, gelenkt werden.                        es auf nationaler und internationaler Ebene Kontakte zu spezialisierten
                                                                           Investoren anbieten kann. Dabei ist es wichtig, die Anzahl der Biotech-
Aufnahmekriterien                                                          Unternehmen auf der Plattform zu erhöhen, um das Augenmerk insbe­-
Das Venture Network richtet sich an Unternehmen, die bereits erste         sondere internationaler Investoren auf die deutsche Biotech-Szene zu
unternehmerische Erfolge vorweisen können, Later-Stage-Unternehmen         lenken und ein entsprechendes Interesse bei den spezialisierten Inves-
oder Unternehmen, die sich bereits in der Pre-IPO-Phase befinden.          toren zu wecken.
Für die Qualifizierung müssen drei der folgenden sechs Kriterien erfüllt
werden:                                                                    IPO in Frankfurt erwünscht, aber keine Pflicht
                                                                           Eine Verpflichtung zu einem Börsengang an der Deutschen Börse
• Finanzierungrunden über zehn Millionen Euro in den letzten              ­besteht nicht. Wenn ein deutsches Biotech-Unternehmen im Deutsche
   beiden Jahren sowie eine Unternehmensbewertung von über                  Börse Venture Network das Vertrauen der nationalen und internatio­
   20 Millionen Euro                                                        nalen Investoren gewinnt und sich durch erfolgreiche Finanzierungs-
• Nominierung durch einen Lead-Investor, der signifikant im                runden mit Beteiligung internationaler Investoren entsprechend
   Unter­nehmen investiert ist und einen entsprechenden Track               stärkt, ist es nicht unrealistisch, dass diese internationalen Investoren
   Record vorweisen kann                                                    das Unternehmen auch bei einem Börsengang in Deutschland
• Mindestens fünf Millionen Euro Eigenkapital                              begleiten und somit eine Basis für neue Biotech-IPOs in Deutschland
• Umsatz im letzten Jahr über zehn Millionen Euro                          schaffen.

10   | Deutscher Biotechnologie-Report 2016
Momentum verpasst?

                                                                           +50%                VC-Volumen in den USA im Jahr 2015

Momentum „Kapitalökosystem“                         Kapitalaufnahme europäischer Biotech-Unternehmen
                                                    Summe in Mrd. €
Das dominierende Thema „IPO-Boom“ war
nicht nur für die direkt partizipierenden                 Risikokapital   Börsengang        Kapitalerhöhung an der Börse
­Unternehmen ein Meilenstein vorwärts; viel­
                                                    4
 mehr wurde dadurch Biotech insgesamt für                                                     IPO-Triggerpunkt
 ­Investoren in allen Finanzierungskategorien       3
  wieder ins Blickfeld gerückt. Exit-Optionen
  für Venture-Capital-Investoren haben bereits      2

  sehr kurzfristig zu einer signifikanten Bele­
  bung des gesamten VC-Marktes geführt.             1

In den USA legte das VC-Volumen bereits                       2011             2012                    2013                    2014                   2015

2014 um 43 Prozent gegenüber dem Vorjahr                                                                      Quelle: EY, BioCentury, Capital IQ und VentureSource
zu und 2015 war der Zuwachs mit 50 Prozent
noch deutlicher. Im Verlauf des offenen IPO-         eine Zunahme von 143 Prozent zu verzeich-                Wenngleich diese Kapitalzuflüsse sehr positiv
Fensters von 2013 bis 2015 wurde das VC-            nen war. Hier zeigt sich die Korrelation                  für das Unternehmen und auch für die
Volumen also mehr als verdoppelt (+114 %).          ­zwischen IPO-Zahl und Follow-on-Finanzie­                ­gesamte Biotech-Branche in Deutschland zu
                                                     rungen noch deutlicher.                                   bewerten sind, stehen sie sicherlich nicht in
Auch in Europa war dieser IPO-Triggereffekt                                                                    direktem Zusammenhang mit einer VC-Bele­
klar sichtbar: VC legte zeitgleich mit dem          Der Blick auf Deutschland (Details siehe                   bung durch Börsengänge. Korrigiert um die­
­Öffnen des IPO-Fensters 2013/2014 bereits          ­Kapitel „Finanzierung“) zeigt diesen Wech­                sen Sondereffekt bleibt auf der VC-Seite somit
 um 31 Prozent zu und steigerte das Investi-         selbezug bei genauem Hinsehen ebenfalls –                 ein Minus von 56 Prozent, und selbst wenn
 tionsvolumen 2015 noch um weitere 44 Pro­           wenngleich mit umgekehrten Vorzeichen. Die                man weitere Privatrunden des Vorjahres aus
 zent. Selbst wenn man die außerordentlichen         Gesamtstatistik zur VC-Finanzierung weist                 der Statistik nimmt (z. B. 55 Mio. € von Gly­
 Privatfinanzierungsrunden von CureVac               auf den ersten Blick zwar ein Wachstum um                 cotope 2014), fällt die Bilanz nach wie vor
 unbe­rücksichtigt lässt, bleibt ein Wachstum        49 Prozent im Vergleich zu 2014 aus; die                  mit minus 33 Prozent negativ aus – ein weite­
 von über 30 Prozent. Insgesamt verbuchte            Jahre 2013 und 2014 lagen annähernd auf                   rer Schlag ins Kontor der deutschen Biotech-
 der europäische Sektor somit einen Anstieg          gleichem Niveau. Allerdings wird dieses Bild              Branche und eindeutig eine verpasste Chance.
 von 88 Prozent im Zeitraum 2013 bis 2015            erheblich verzerrt durch die außerordent­                 Andere Länder in Europa hingegen (z. B. UK,
 (+73 % ohne CureVac-Finanzierung). Diese            lichen Privatfinanzierungsrunden allein bei               Frankreich, Schweiz) profitieren deutlich vom
 Zahlen sind vor dem Hintergrund einer über          CureVac (167 Mio. € in zwei Runden).                      IPO-Fenster und von Kapitalmarktaktivitäten.
 Jahre eher stagnierenden Entwicklung der
 VC-Investitionen streng korreliert mit der         Kapitalaufnahme deutscher Biotech-Unternehmen
 Zahl der IPOs – ein klares Indiz für das Zusam­-   Summe in Mio. €

 menspiel der Kapitalquellen und für die                  Risikokapital   Risikokapital ohne CureVac            Börsengang            Kapitalerhöhung an der Börse
 eminente Bedeutung des Kapitalmarktes
                                                    300
 schlechthin.

Die bereits börsennotierten Firmen bekamen          200

den Aufwind deutlich zu spüren. Kapitaler­
höhungen an der Börse legten in den USA im          100
Zeitraum 2013 bis 2015 um 59 Prozent zu.
Noch stärker fiel dieser Effekt an den europä­
ischen Kapitalmärkten aus, wo insgesamt                       2011             2012                    2013                    2014                   2015

                                                                                                              Quelle: EY, BioCentury, Capital IQ und VentureSource

                                                                                                                                                Perspektive |   11
Risikokapitalinvestitionen 2015
Finanzierungssummen je Branche in Mio. €

     1.792                                                                       Konsumentendienstleistungen
                                                                                 Oninehandel

          611                                                                    Finanzdienstleistungen
                                                                                 FinTech

                   283                                                           Unternehmenssoftware
                                                                                 Big Data

                                202                                              Gesundheit
                                                                                 Life Sciences

                                      38
                                                                                 Energie

                                                  27                             Transport
                                                                                 Mobilität

                                                       33
                                                                                 Industrieprodukte

                                                                25               Dienstleistungen für Unternehmen
                                                                                 Marketing, E-Commerce              Entsprechend deutlich schwächer als im
                                                                        54                                          restlichen Europa, aber immerhin noch
                                                                                 Sonstiges
                                                                                                                    im Positiven bewegt sich die Statistik der
                                                                                                                    Kapital­erhöhungen börsennotierter deut­
                                                                                                                    scher Biotech-Unternehmen. Über die Pe-
                                                                                             11.754                 riode 2013 bis 2015 ergibt sich zwar ein
Risikokapitalinvestitionen in Europa 2013 bis 2015                                                                  Wachstum von 31 Prozent (Gesamteuropa:
in Mio. €                                                                                                           143 %); dennoch verdeutlicht auch diese
      Übriges Europa                                                                                                Zahl, dass das Kapitalmarkt-Momentum der
      Frankreich                                                                                                    letzten drei Jahre in Deutschland aufgrund
      Großbritannien                                                                                                der Abstinenz der Frankfurter Börse nicht
                                                                                             4.502
      Deutschland
                                                                                                                    ­genutzt werden konnte.
                                                       7.567
                                                                                                                    Momentum „Digitalisierung/
                                                                                                                    Biologisierung“
                                                                                             1.551
                                                                                                                    Dass Risikokapital in Deutschland nicht
                                                       2.986
                                                                                                                    grundsätzlich ausgeschlossen ist, zeigt der
              4.928                                                                                                 Blick auf den IT-Sektor. Mit dem Kernthema
                                                                                             2.626                  „Digitalisierung/Industrie 4.0“ wurde regel­
              1.779                                    1.216                                                        recht eine neue Start-up-Kultur gestartet, mit
                                                                                                                    Berlin als Dreh- und Angelpunkt für junge
                928                                                                                                 ­Unternehmer, innovative Ideen und reichlich
                                                       1.776
                                                                                                                     VC-Kapital.
              1.571                                                                          3.075
                                                                                                                    Eine aktuelle Studie von EY (Start-up-Baro­
                                                       1.589
                650                                                                                                 meter 2016) belegt eindeutig, dass Deutsch­
                                                                                                                    land hinsichtlich der VC-Investments insge­
                2013                                   2014                                     2015
                                                                                                                    samt den traditionell stärkeren Ländern wie
                                                                                                                    z. B. Großbritannien den Rang abgelaufen hat
Risikokapitalinvestitionen in europäischen Metropolen
                                                                                                                    und Berlin als Brennpunkt sogar mehr Venture
      Investitionssumme in Mio. €                                                                                   ­Capital einsammeln konnte als London.
      Zahl von VC-Investitionen

     2.145                                                                                                          Die Studie zeigt aber vor allem auch, dass
      205                                                                                                           das aktuelle Momentum sehr konzentriert
                       1.773
                                                                                                                    das IT-Umfeld umfasst: mit Digitalisierung im
                                                                                                                    Handel (Industrie 4.0, Onlinehandel), im
                        132                                                                                         ­Finanzbereich (FinTech) sowie generell im
                                        992                                                                          Zusammenhang mit Software zur Bewäl­
                                                         94
                                                        687
                                                                                                                     tigung der „Big Data“-Herausforderungen.
                                                                                                                     Dahinter fallen die VC-Volumina, die in den
                                                                                           53
                                                                        296                                          ­Life-Sciences- und Gesundheitsmarkt gehen,
                                                                                           206            135
                                           25                            28
                                                                                                           24         deutlich zurück.

     Berlin            London         Stockholm         Paris          Hamburg          München           Zürich
                                                                                                                    Zugegebenermaßen kann man diese
                                                              Quelle: EY Start-up-Barometer Deutschland 2016        ­Bereiche (Digitalisierung vs. Life Sciences/­

12   | Deutscher Biotechnologie-Report 2016
Momentum verpasst?

Bio­logisierung) hinsichtlich Risikopotenzial,                                    Translation
Kostenbedarf und Zeitschienen bis zur Pro­                                 kommerzielle Wertschöpfung
duktvermarktung nicht einfach nebeneinan­
derstellen. Auch die typische „B2C“-Aufstel­
lung der meisten Digitalisierungsthemen
erleichtert deren Marktdurchdringung und
breite Akzeptanz erheblich. Dennoch bleibt
                                                             Idee                Innovation                      Markt
der gemeinsame Nenner beider die konkrete
Ausrichtung auf die Gestaltung der zukünf­
tigen Schlüsselbranchen.

Insofern: Auch hier ein Momentum verpasst?                                       Risiko, Zeit, Kapital

Momentum „Politik“
Auch auf der Ebene der politischen Diskus­
sion wurde durch verschiedene Initiativen
ein Momentum erzeugt: Industrieverbände               Akademie                              Investoren/Unternehmen
(z. B. BIO Deutschland, BVK), renommierte
Wirtschaftsforschungsinstitute und Gremien
(Sachverständigenrat, EFI etc.) wie auch          Forschungs-         BMBF            BMWi        Unternehmerische (steuerliche)
Darstellungen in den EY Biotech-Reports           förderung                                       Incentives
2014 („1 % für die Zukunft“) und 2015             Forschungsexzellenz                             Eigenkapitalmobilisierung
(„Momentum nutzen“) stellten eindringlich         Translation                                     (z. B. Abgeltungsteuer)
die stärkere Mobilisierung von Privatkapital      Tech-Transfer                                   F&E-Incentives (z. B. Verlustvortrag)
als unabdingbare Voraussetzung für einen
­erfolgreichen Innovationsstandort Deutsch­       			                                 Politik
 land heraus.
                                                                                                                               Quelle: EY
Dazu gab es konkrete Forderungen zum
­Abbau der ungleichen steuerlichen Behand­        offen, ob und wie die Ergebnisse des runden     Accelerator in den USA als Startrampe für
 lung von Fremd- und Eigenkapital ebenso          Tisches tatsächlich einen Weg in die Legisla­   wachsende deutsche Start-up-Unternehmen,
 wie Vorschläge zur Schaffung steuerlicher        tive finden werden.                             die Erweiterung des Invest-Zuschusses für
 Anreizsysteme für private Anleger und insti­                                                     Business Angels oder auch die Erweiterung
 tutionelle Investoren. Die vielen Vorschläge     Ein Eckpunktepapier der Großen Koalition        des EXIST-Programms mögen zwar sinnvolle
 wurden bereits im letzten Jahr detailliert       zum Thema „Wagniskapital“ basierte auf der      Ergänzungen sein, sie werden aber nicht die
 ­beschrieben. Doch was ist daraus geworden?      absolut richtigen Erkenntnis, dass Deutsch­     grundsätzliche Problematik des Wagniskapi­
                                                  land mit dem Anspruch, ein führender            talmangels lösen können.
Im Verlauf des letzten Jahres gab es in der       Innovationsstandort zu sein, unbedingt
Tat einige Aktivitäten: So hatte das BMWi         auch entsprechend wettbewerbsfähig beim         Auffällig bleibt, dass echte Anreize für unter­
­einen runden Tisch etabliert, der explizit die   Zugang zu Wagnis­kapital sein muss. Die         nehmerisches Handeln (steuerliche Anreize)
 Unterstützung von Börsengängen für junge         konkreten Vorschläge enthalten einige inter­    nach wie vor gewissermaßen tabuisiert wer­
 Wachstumsunternehmen zum Ziel hatte und          essante Anhaltspunkte wie z. B. die Auf­-       den und weiterhin die in Deutschland aus­
 dazu Empfehlungen erarbeitete. Diese sind        stockung des ERP-/EIF-Dachfonds sowie die       geprägte Fördermentalität fortgeschrieben
 zwar alle im Ansatz richtig, konkrete Umset­     Rückkehr der KfW als Anker­investor. Andere     wird, ein eher „antiunternehmerisches“
 zungsvorschläge fehlen aber. Insofern bleibt     Initiativen wie die Ein­richtung eines German   Instrument.

                                                                                                                                Perspektive |   13
Momentum verpasst?

  ROUND TABLE BEI BUNDESMINISTER SIGMAR GABRIEL
                                                      Immerhin gab es auch Papiere aus der politi­       • Die Finanzierung von Innovationen kann
  MEHR BÖRSENGÄNGE VON JUNGEN                         schen Szene in Berlin, die explizit die steuer­      deshalb nur über Eigenkapital (d. h.
  WACHSTUMSUNTERNEHMEN IN
  DEUTSCHLAND                                         lichen Anreizsysteme favorisieren. Seitens der       Risiko- und Beteiligungskapital) erfolgen.
                                                      SPD-Fraktion wurden Vorschläge unterbrei­
                                                      tet, die die Besserstellung des Eigenkapitals      Diesem Verständnis folgend muss sich
                                                      als wesentliche „Innovationswährung“ for­          eine Gesellschaft wie Deutschland mit dem
                                                      dern, Neuregelungen hinsichtlich der Verlust­      ­Anspruch, Innovationsstandort zu sein,
                                                      vorträge anmahnen und außerdem auch                 deutlich stärker mit ihrer Risikoaversion und
                                                      zur Behandlung von Veräußerungsgewinnen             der ­damit verbundenen Abneigung gegen­
                                                      Stellung beziehen. Es bewegt sich also tat­         über Eigen-/Beteiligungskapital auseinander­
                                                      sächlich etwas in der politischen Diskussion.       setzen. Mit einer Aktienquote im einstelligen
  ABSCHLUSSBERICHT DER ARBEITSGRUPPEN
  SEPTEMBER 2015
                                                      Leider wurde eine Hauptforderung der in             Prozentbereich – trotz eines weiteren ­Momen-
                                                      den letzten EY Biotech-Reports geführten            tums durch historisch niedrige Zinsniveaus –
                                                      Auseinandersetzung mit diesen Themen                liegt Deutschland weit von den Anforderungen
                                                      nach wie vor nicht aufgegriffen: die Durch­         an effektive Innovationsgesellschaften ent­
Empfehlung 4: Die Politik sollte                      führung professioneller Studien zur Identi­         fernt. Die häufig zitierten, deutlich erfolgrei­
sich klar und öffentlich zur                          fizierung geeigneter Maßnahmen zur Verbes­          cheren Länder bzgl. des Hervorbringens
volkswirtschaftlichen Bedeutung                       serung der Eigenkapitalmobilisierung sowie          echter Life-Sciences-Innovationen (z. B. USA)
von Börsengängen und des                              deren Evaluierung hinsichtlich Eignung, Wir­        sind unter anderem auch deshalb so erfolg­
Aktienmarktes bekennen […].                           kungsgrad, Aufwand und Kosten. Nach                 reich, weil dort die Aktienquote nahe bei
                                                      wie vor gibt es kein konsistentes Konzept zur       50 Prozent liegt. Das Verständnis der oben
Empfehlung 5: Verbesserung                            ­Bewältigung der Gesamtproblematik. Die             angesprochenen Zusammenhänge haftet
der wirtschaftlichen Bildung in                        aufgeführten Vorschläge stehen isoliert als        dort also entweder stärker im Bewusstsein
Deutschland.                                           Einzelvorschläge im Raum – zum Teil deut-          der Menschen oder es herrscht eine grund­
                                                      lich als Partikularinteressen formuliert.           sätzlich andere Mentalität hinsichtlich Risiko­
Empfehlung 6: Anreize bzw.                                                                                akzeptanz vor.
Abbau regulatorischer Hinder-                         Die aktive Auseinandersetzung zeigt zwar,
nisse für die Aktienanlage der                        dass man ein entstandenes Momentum
Kapitalsammelstellen, v. a. der
Versicherungsunternehmen.

Empfehlung 9: Schaffung von
                                                      ­weiter verfolgt. Das ist erfreulich. Allerdings
                                                       bleibt abzuwarten, inwieweit diese Aktivität
                                                       durch aktuelle Probleme (z. B. die Flüchtlings­
                                                       situation) nicht wieder „abgewürgt“ wird.
                                                                                                         Bundestag
                                                                                                         Deutschland braucht eine neue Gründerzeit

                                                  !
Anreizen für das Aktiensparen                                                                            [...]. Es muss für junge innovative Unterneh­
deutscher Privatanleger.                              Es fehlt aber insgesamt auch eine breitere         men attraktiv sein, in Deutschland zu starten
                                                      gesellschaftspolitische Diskussion, die            und von hier aus in die Welt zu expandieren.
Empfehlung 10: Steuerliche                            die ­Voraussetzungen für erfolgreiche Inno­        Die Regierungskoalition sieht sich dem Ziel
Privilegierung von Beteiligungs-                      vationen besser erklärt (siehe auch Abbil­         verpflichtet, Deutschland als Investitions-
kapital und Investitionen im                          dung S. 13):                                       standort für Wagniskapital international wett­
Rahmen von Börsengängen von                                                                              bewerbsfähig zu gestalten.
Wachstumsunternehmen (z. B.                           • Echte Innovationen sind nicht bloße Ideen,
Enterprise Investment Scheme/                           sondern erst die daraus entwickelten
EIS in UK).                                             Marktprodukte.
                                                      • Die Umsetzung echter Innovationen geht
Quelle: BMWi, September 2015                            mit Risiken über zum Teil lange Zeiträume
                                                        mit zum Teil hohem Kapitalbedarf einher.

14     | Deutscher Biotechnologie-Report 2016
Leuchttürme als
Hoffnungs­schimmer?

                                                                 Technologie                           Diesen Kriterien folgend kann in
                                                                 Produktportfolio                      Deutschland eine durchaus statt­
                                                                 Marktpotenzial                        liche Liste von Biotech-Unter­
                                                                 Externe Anerkennung (Deals)           nehmen mit Leuchtturmcharakter
                                                                                                       generiert werden:
                                         Visibilität
                                                                 Externe Validierung (IPOs)            Deal Makers
                                                                 Business Model                        Apogenix
                                                                 Marktkapitalisierung                  Deals mit AbbVie, Cangene
                                                                 Internationales Benchmarking          BioNTech
                                                                                                       Deals mit Lilly, Genmab, Sanofi,
                                                                                                       Siemens
                                                                  Quelle: EY                           CureVac
                                                                                                       Deals mit Boehringer Ingelheim,
                                                                                                       Sanofi Pasteur, B&M Gates
Zu einseitige Betrachtung?                        • Forscherpersönlichkeiten mit internatio­           Evotec
Die eingangs erfolgte Beschreibung der              nalem Renommee                                     Deals mit vielen Big Pharmas und
Biotechnologie in Deutschland mag zu Recht        • innovative Ideen aus der Forschung                 Akademie
als einseitig kritisiert werden. Da sie vor       • führende Position bei Patentanmeldungen            Glycotope
allem die besonders risiko-, kapital- und zeit­                                                        Deal mit Octapharma
inten­siven Segmente der Therapeutikaent­         Visibilität – die Strahlkraft der                    Immatics
wicklung in den Mittelpunkt stellt und andere     Leuchttürme                                          Deals mit Roche, MorphoSys,
­Geschäftsbereiche der Biotechnologie (z. B.      Allerdings gelingt es in Deutschland nicht,          BioNTech, MD Anderson
 Diagnostik, grüne und industrielle Biotechno­    dieses Potenzial in der entsprechenden               MorphoSys
 logie, Services/Tools) weitgehend ausblen­       Breite auf die Straße zu bringen. Vielmehr           Deals mit vielen Big Pharmas
 det, könnte ein falsches Bild der Branche ent­   sehen wir eine ganze Reihe von Leucht­               Phenex Pharmaceuticals
 stehen. Darauf wird im folgenden Abschnitt       türmen als erfreuliche Einzelereignisse, von         Deals mit Janssen, Gilead
 noch näher eingegangen. Fest steht aber, dass    ­denen das Potenzial ausstrahlt. Was sind die        SuppreMol
 der Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg           Erfolgsfaktoren dieser Leuchttürme? Liefern         Verkauf an Baxter
 der Biotechnologie nun einmal am besten           sie Patentrezepte für die Bildung erfolgrei­        Stage Cell Therapeutics
 im lukrativen Segment der Medikamenten­           cher Biotech-Unternehmen?                           Verkauf an Juno Therapeutics
 entwicklung realisiert wird. Dieses wird
 somit klar zum international anerkannten         Die Basis für die Ableitung der wesentlichen         Börsengänger
 Grad­messer.                                     Erfolgsfaktoren sind Unternehmen, die über           Affimed (NASDAQ)
                                                  die letzten Jahre national und vielfach auch         Pieris (Rev. Takeover, NASDAQ)
Die zuvor formulierte Kritik am Innovations­      international deutliche Visibilität erreicht         Probiodrug (Euronext)
system in Deutschland fällt auch deswegen         ­haben. Ausschlaggebend dafür ist in der             Curetis (Euronext)
so heftig aus, weil unbestritten ein großes        Regel die Anerkennung und/oder Validierung
Potenzial für ein erfolgreiches Partizipieren      der Leistung durch externe Marktteilnehmer.         Branchenführer am Kapitalmarkt
am lukrativsten Markt, der Therapeutika­           Sicht­barste Kennzeichen sind demnach Deals         Qiagen
entwicklung, vorhanden ist:                        in Form von Allianzen mit internationalen           Marktkap. 12/15: 4,5 Mrd. Euro
                                                   Partnern oder aber auch die Validierung durch       MorphoSys
• großzügige finanzielle Ausstattung der           ­einen Börsengang, der ebenfalls ein inter­natio-   Marktkap. 12/15: 1,1 Mrd. Euro
  universitären und außeruniversitären              nales Benchmarking bzw. eine nachhaltig gute       Evotec
  Forschung                                         Positionierung am Kapitalmarkt einleitet.          Marktkap. 12/15: 0,5 Mrd. Euro

                                                                                                                              Perspektive |   15
Leuchttürme als Hoffnungs­schimmer?

Erfolgsfaktoren                                    Unternehmen, die aufgrund schwieriger                medizinischen Forschung mitarbeitet und in­
Die Frage nach den wichtigsten Erfolgsfakto­       ­Finanzierungsverhältnisse den Weg der               ternational mitreden kann. Wichtiger wäre es
ren dieser so identifizierten Leuchttürme           Technologieplattformen beschritten hatten,          da schon, auch sicherzustellen, dass
­ergibt im Wesentlichen nur drei Kategorien,        um breitere geschäftliche Optionen zu               neue Erkenntnisse aus der Spitzenforschung
 in denen sich alle wiederfinden:                   haben. ­Allen gemeinsam ist dennoch die             vorausschauend identifiziert werden und
                                                    klare Ausrichtung dieser Plattformen                die Translation zu einem effizienteren Pro­
Zugang zu Eigenkapital                              auf definierte therapeutische Produkte              zess ausgebaut wird.
Es fällt natürlich spontan auf, dass die            (Ausnahmen: Curetis und Qiagen mit
Leuchtturmliste eine Reihe von privaten             Diagnostikprodukten).                               Bei dem Begriff „Translation“ besteht nach
­Unternehmen enthält, die in den letzten                                                                wie vor große Verwirrung: Es geht dabei
 Jahren kontinuierlich und signifikant von den     „Hot Topic“-Ausrichtung                              nicht nur – wie vornehmlich von vielen aka­
 ­bekannten Family Offices (Hopp und Strüng­       Besonders auffällig ist die Aufstellung der          demischen Institutionen definiert – um die
  mann) unterstützt wurden. Eine weitere Sub­      meisten Leuchttürme im Themenbereich der             möglichst enge und schnelle Einbindung von
  gruppe (insbesondere solcher Unternehmen,        Immuntherapie. Dieses Gebiet ist erst in den         Patienten, sondern vor allem um die Über­
  die aktuell Börsengänge durchführen konnten:     letzten Jahren ins Zentrum der Therapiean­           setzung („Translation“) von akademischen
  Affimed, Probiodrug, Pieris, Curetis) zeich­     sätze für Krebserkrankungen gerückt. Daher           Konzepten in kommerzielle Entwicklungs­
  net sich dadurch aus, dass sie von Anbeginn      muss man den hier genannten Unternehmen              programme (natürlich unter Einbeziehung
  durch ein internationales Konsortium von         hohen Respekt dafür zollen, dass sie früh­           der Patientenschiene). Patienteneinbindung
  Investoren begleitet wurden (Orbimed, LSP,       zeitig auf das richtige Pferd gesetzt haben und      allein mag zwar wichtige Erkenntnisse zur
  Forbion, Wellington, HBM etc.). Schließlich      damit aktuell auch auf der internationalen           Wirksamkeit von Therapieschemata bringen;
  gehören dazu natürlich auch die Urgesteine       Bühne Aufmerksamkeit erzeugen können.                ohne die kommerzielle Weiterentwicklung
  Qiagen, MorphoSys und Evotec, die über den       ­Allerdings stehen für viele der aktuellen           werden Patienten in der Breite aber nie davon
  Kapitalmarkt bzw. durch geschickte Partner­       ­Immuntherapieansätze die klinischen „Proof         profitieren können.
  schaften ausreichend kapitalisiert sind. Die       of Concept“-Ergebnisse noch aus, sodass
  verbleibenden Unternehmen Phenex Pharma­-          die ­Risiken für diese Entwicklungen nach wie      Translationsbeschleuniger
  ceuticals und Stage Cell Therapeutics, die         vor sehr hoch sind. Umso mehr ist deshalb          Translation muss ein aktiver, vorausschau­
  nicht in den Genuss der komfortablen Kapital­-     das stabile Finanzierungsumfeld für diese          ender Prozess sein. Die Verbreiterung der
  ausstattung kamen, konnten dieses Manko            ­Unternehmen (Family Office, internationale        „Leuchtturmbasis“ führt deshalb zunächst
  durch exzellente Forschungsleistungen bzw.          VC-Konsortien) relevant. Auch Phenex ist          ganz klar über professionellere und effi­
  hochaktuelle Themenbeiträge (NASH bei               ein Paradebeispiel für die Ausrichtung auf        zientere Wege der Translation. Es gibt erfreu­
  Phenex, CAR-T-Zellen bei Stage Cell) kompen­-       ­attraktive Pharma-Targets. Mit dem gezielten     licherweise hierzulande einige gute Ansätze,
  sieren. Hier bestätigt sich die in früheren          ­Ansatz für die nichtalkoholische Fettleber      die Beispielcharakter haben:
  ­Berichten bereits häufig wiederholte These,          (NASH: non-alcoholic steatohepatitis) hatte
   dass auch in Deutschland vorhandenes                 auch dieses Unternehmen genau zum richti­       Mit seinem „EVT Innovate“-Ansatz stellt
   ­Potenzial im therapeutischen Bereich der            gen Zeitpunkt auf ein sehr attraktives Target   Evotec (siehe EY Biotech-Report 2015)
    Biotechnologie erfolgreich und schneller            gesetzt.                                        verschiedenen Gruppen aus der internatio­
    ­umgesetzt werden könnte, wenn mehr Kapi­                                                           nalen Spitzenforschung die Drug-Discovery-
     tal zur Verfügung stünde.                     „Geht doch!“ …                                       Plattformen des Hamburger Unternehmens
                                                   … ist man geneigt zu sagen. Aber wie schafft         zur Verfügung. Damit wird eine signifikante
Technologieplattformen mit dediziertem             man es, diese Erfolgsfaktoren auf breiterer          Beschleunigung des Übergangs von der
Produktfokus                                       ­Basis in Deutschland zu etablieren? Die the­        Forschung in die kommerzielle Entwicklung
Der zweite Erfolgsfaktor trifft faktisch auf        matische Ausrichtung („Hot Topics“) ist             erreicht. Evotec schlägt mit diesem Vor-
alle aufgeführten Unternehmen zu. Er                ­sicherlich das kleinste Problem. Es gibt eine      gehen gleichzeitig einen sehr effizienten Weg
entspricht auch einer bereits früher disku­          genügend breit gefächerte Forschungsland­          zur Industrialisierung des Drug-Discovery-
tierten Ausrichtung vieler deutscher Biotech-        schaft in Deutschland, die an der Front der        Prozesses ein.

16   | Deutscher Biotechnologie-Report 2016
Leuchtturm Kapital                               Technologieplattform            Hot Topic
		                                               mit Produktausrichtung

Affimed
Apogenix
BioNTech
Curetis
CureVac
Evotec
Glycotope
                                                                                                                    usländische
                                                                                                                   A
Immatics                                                                                                           Investoren
                                                                                                                   Family Offices
MorphoSys                                                                                                          Kapitalmarkt
Qiagen
                                                                                                                    iagnostik
                                                                                                                   D
Phenex                                                                                                             Biologicals
                                                                                                                   Small Molecules
Pieris                                                                                                             Vakzine/
Probiodrug                                                                                                          Zelltherapie

Stage Cell                                                                                                         Immuntherapie
                                                                                                                   Andere
SuppreMol
                                                                                                             Quelle: EY

BioMed X hat sich zum Ziel gesetzt, in einem      rung von Managementqualifikationen             Auch EY hat die Bedeutung der Start-ups als
globalen Forschungswettbewerb junge Spit­         wurde bereits vor einigen Jahren               Innovationstreiber und mögliche zukünftige
zenforscher mit hochinnovativen Konzepten         beschrieben.                                   Branchenführer erkannt. Die „EY Start-up-
an den Standort Heidelberg zu bringen, um       • Aktive Translation sehen auch zunehmend        Initiative“ unterstützt die nach den genannten
in der zur Verfügung gestellten modernen          große Pharma-Unternehmen als beste             Qualitätskriterien selektierten Start-ups in
Laborinfrastruktur an ihren Projekten zu for­     Zugangsoptionen zu Innovation an. Unter­       der Optimierung ihrer Geschäftsprozesse –
schen. Ein wesentlicher Aspekt im Sinne der       nehmen wie Bayer und Merck betreiben           vor allem auf der wirtschaftlichen Seite.
Translation ist dabei, dass alle Projekte von     inzwischen sogenannte Accelerators. Diese      Auch dies ist als konkreter Beitrag für die
vornherein durch Pharma-Partner finanziert        sollen explizit dazu beitragen, junge Start-   Translationsbeschleunigung zu verstehen
werden, die entsprechend auch in die Selek­       ups mit passenden Konzepten zu identifizie­    (siehe Artikel „EY Start-up-Initiative“ S. 20).
tion der Projekte einbezogen sind. Dieses         ren und deren Geschäftsentwicklung spe­
Konzept wurde vom initialen Sponsor Merck         ziell durch die Mitnutzung von Ressourcen      Erfolgsfaktor Kapitalquellen
KGaA inzwischen auf weitere Partner wie           des großen Partners (Equipment, Techno­        Die oben dargestellten Aktivitäten, die sicher­
Boehringer Ingelheim, Roche, AbbVie und           logien, Fachexperten, Businessmentoren/        lich nicht umfassend, sondern mit aktuel-
J&J ausgedehnt (siehe Artikel von Christian       Coaches, Kapital) im wahrsten Sinne des        len und erfolgreichen Beispielen beschrieben
Tidona und Ann De Beukelaer S. 18).               Wortes zu beschleunigen.                       wurden, sollten dazu beitragen, dass nicht
                                                                                                 nur die richtigen Themen aus wissenschaft­
Translationsbeschleunigung erfordert aber       Insgesamt rücken damit junge, innovative         licher Sicht (Erfolgsfaktor „Hot Topics“)
nicht nur die effektive Identifizierung und     Start-ups wieder sehr viel stärker als Innova­   breiter und mit der richtigen Geschäftspla­
Übersetzung innovativer Projekte. Eine wei­     tionstreiber in den Fokus. Unzählige Initia­     nung (Erfolgsfaktor „Tech-Plattform“ etc.)
tere wichtige Voraussetzung ist die profes­     tiven haben sich unter dem Tenor „Start-up       angegangen werden. Viel wichtiger ist nach
sionelle Ausrichtung der Start-ups, inklusive   Acceleration“ dem Thema Translationsbe­          wie vor die ausreichende Kapitalausstattung.
­Geschäftsplanung, Managementbesetzung          schleunigung verschrieben. Die wichtigsten       Die dargestellten Leuchttürme sind vor allem
 und internationaler Vernetzung:                Ziele dabei sind die folgenden:                  in diesem Faktor durch ihren spezifischen
                                                                                                 ­Zugang zu privaten Investoren bzw. internatio­
• Auch hier bietet BioMed X den Forschungs­     • Qualität der Idee: Umsetzbarkeit in ein         nalen VC-Konsortien oder ihre bereits seit
  partnern Unterstützung an. In speziell          ­attraktives Geschäftsmodell                    Jahren etablierte Position am Kapitalmarkt
  konzipierten Kursen in „Entrepreneurship“     • Qualität des Managements: Erfahrung in          privilegiert.
  werden entsprechende Management­                der Entwicklung des Unternehmens zum
  grundlagen gelegt.                              Marktteilnehmer                                Insofern ist dieser Erfolgsfaktor nicht einfach
• Ein weiterer Translationsansatz im Innova-    • Qualität der Prozesse: Einbeziehung            zu verbreitern. Wenngleich die Zahl der in
  tionszentrum caesar in Bonn, Life Science       ­modernster Technologie (z. B. digitale        Deutschland aktiven Family Offices von Privat­
  Inkubator (LSI), mit seinem besonderen           Technologien) für eine beschleunigte          investoren deutlich mehr umfasst als die
  Schwerpunkt auf der spezifischen Förde-          Geschäftsentwicklung                          ­volumenmäßig vorn stehenden Familien Hopp

                                                                                                                                    Perspektive |   17
BioMed X – ein neues Innovations-
                                                           modell an der Schnittstelle
                                                           zwischen akademischer Forschung
                                                           und der Pharma-Industrie
Dr. Ann De Beuckelaer, Dr. Christian Tidona
Geschäftsführer BioMed X Innovation Center,
Heidelberg
www.bio.mx

Synergien nutzen – Akademie und Pharma zusammenbringen                   Regionale Inkubation
Mit über 80 Milliarden Euro haben die jährlichen Ausgaben für            Die Bindung zum jeweiligen Pharma-Unternehmen bleibt über die
Forschung und Entwicklung in Deutschland im Jahr 2013 ein neues          g ­ esamte Projektlaufzeit sehr eng. Zu Beginn wird der detaillierte For-
­Rekordhoch erreicht. Zwei Drittel dieser Forschungs- und Entwick-       schungsplan gemeinsam erarbeitet, wobei die Kreativität der jungen
 lungsleistungen werden durch die Unternehmen erbracht, ein Drittel      Nachwuchswissenschaftler durch die Erfahrung der industriellen For-
 entfällt auf die universitären und außeruniversitären Forschungsein-    scher ideal ergänzt wird. Jedes Team wird zudem kontinuierlich von
 richtungen. Trotz dieser hohen Aufwendungen finden beide Partner in     ­einem industriellen und einem akademischen Mentor begleitet und
 Deutschland nach wie vor zu selten zueinander. Das 2013 in Heidel-       ­erhält Zugang zu den Entrepreneurship- und Leadership-Programmen
 berg gegründete BioMed X Innovation Center arbeitet genau an dieser       von BioMed X. Der Leistungsdruck ist hoch, denn innerhalb einer Lauf-
 Schnittstelle zwischen akademischer und industrieller Forschung. Es       zeit von zwei bis vier Jahren sollen echte wissenschaftliche Durchbrü-
 baut auf drei Säulen auf: Crowdsourcing, Boot Camps und regionale         che erzielt werden, die in herausragende wissenschaftliche Publikatio-
 Inkubation von Innovationsprojekten mit talentierten Nachwuchswis-        nen und in Patentanmeldungen münden. Der rege wissenschaftliche
 senschaftlern aus aller Welt in enger Partnerschaft mit Pharma-Unter-     Austausch mit anderen akademischen Einrichtungen im Umfeld von
 nehmen. Dieses neue Innovationsmodell und erste Erfolge werden im         Heidelberg ist dafür essenziell. Innerhalb des Biotech-Clusters Rhein-
 Folgenden erläutert.                                                      Neckar (BioRN) bestehen enge Partnerschaften mit dem EMBL, der
                                                                         Universität Heidelberg, dem DKFZ und der Hochschule Mannheim.
Crowdsourcing und Boot Camps
Jedes Projekt beginnt mit einem bislang ungelösten präklinischen For-     Erste Erfolge zusammen mit den Pharma-Partnern
schungsproblem, dessen Lösung einen erheblichen Fortschritt für die       Das neuartige Inkubationsmodell wurde 2013 zusammen mit Merck
Entwicklungspipeline eines Pharma-Partners von BioMed X bedeuten          in Darmstadt initiiert und wirft bereits erste Früchte ab. Die gemeinsam
würde. Häufig geht es hierbei um die Aufklärung von Pathogenitäts­        entwickelte Bioinformatikplattform für selektive Kinase-Inhibitoren
mechanismen komplexer Erkrankungen und um die Identifikation und          wird im Sommer 2016 als Start-up-Unternehmen aus BioMed X aus-
Validierung vollkommen neuer molekularer Targets für die Entwick-         gegründet. Im vergangenen Jahr haben Boehringer Ingelheim, Roche
lung zielgerichteter Arzneimittel. Das bisherige Spektrum bei BioMed      und AbbVie ebenfalls neue Forschergruppen im BioMed X Innovation
X reicht von der Krebsforschung über die Neurowissenschaften und          Center etabliert. Für Johnson & Johnson rekrutiert BioMed X zurzeit
Lungenforschung bis hin zur Mikrobiologie und Nanotechnologie. In        ein Forscherteam, das sich mit einem mikrobiologischen Thema beschäf­
weltweiten Ausschreibungen an den besten Universitäten und For-          tigt. Weitere Projekte befinden sich in der Anbahnung. Neben dem
schungseinrichtungen werden talentierte akademische Nachwuchs-           ­stetig wachsenden Standort in Heidelberg sind mittelfristig weitere
wissenschaftler aufgefordert, möglichst originelle Projektideen zur       BioMed-X-Standorte in Nordamerika, Israel und Asien geplant.
­Lösung des jeweiligen Problems einzureichen. Rund 300 Bewerbungen
 aus aller Welt erreichen während jeder Ausschreibung durchschnittlich   BioMed X weist einen neuen Innovationsweg
 die BioMed-X-Crowdsourcing-Plattform. Hieraus werden die 15 besten      Um Zugriff auf externe Innovationen zu bekommen, war die Pharma-
 Kandidaten gemeinsam mit dem Pharma-Partner ausgewählt und              Industrie bislang im Wesentlichen auf drei Modelle angewiesen:
 zu einem fünftägigen Boot Camp nach Heidelberg eingeladen. Unter        ­bilaterale Kooperationen mit der Akademie, bilaterale Kooperationen
 Betreuung erfahrener Mentoren finden sich die Kandidaten in fünf         mit Biotech-Unternehmen und Public Private Partnerships. Die ersten
 konkurrierenden Gruppen zusammen und entwickeln aus der Summe            Erfolge in Heidelberg belegen, dass BioMed X dieses Spektrum um ein
 origineller Ideen fünf einzigartige und gut durchdachte Projektvor-      viertes, bislang einzigartiges Modell erweitert, bei dem durch eine Kom-
 schläge. Eine erfahrene Jury aus Vertretern des Pharma-Partners und     bination aus globalem Crowdsourcing und regionaler Inkubation die
 des BioMed-X-Beirats prämiert die Gewinner. Diese erhalten ein mehr-    Lücke zwischen Akademie und Industrie systematisch geschlossen wird.
 jähriges Forschungsstipendium am BioMed X Innovation Center, wo
 sie ihre Forschungsprojekte in einem molekular- und zellbiologischen
 Labor im Technologiepark Heidelberg inmitten des Life Sciences Cam-
 pus der Universität Heidelberg umsetzen. Über 2.200 Projektideen
 aus rund 100 Ländern hat BioMed X bisher erhalten. Aktuell beschäf-
 tigt BioMed X 57 Mitarbeiter aus 17 verschiedenen Ländern in sechs
 Forschergruppen, darunter Gruppenleiter und Postdoktoranden aus
 namhaften Einrichtungen wie MIT, Harvard oder Oxford.

18   | Deutscher Biotechnologie-Report 2016
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