Impuls für KMU-Verwaltungsräte: Tipps für die COVID-19-Krise - Teil 2 - swissVR Impuls II/2020
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swissVR Impuls II/2020 Mai 2020 Impuls für KMU-Verwaltungsräte: Tipps für die COVID-19-Krise – Teil 2
Tipps für KMU-VR in der COVID-19-Krise Vorwort Das Coronavirus (COVID-19) stellt Verwaltungsräte Dieser swissVR Impuls wurde von swissVR zusam- auf unterschiedlichen Ebenen vor Herausforderun- men mit der Hochschule Luzern – Wirtschaft aus- gen. Wegen der Auswirkungen der Corona-Pande- gearbeitet. mie stehen KMU in vieler Hinsicht vor einer grossen, möglicherweise sogar existenzgefährdenden Bedro- hung. Zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen hat der Bundesrat zeitnah verschiedene Sofortmassnahmen ergriffen: einerseits lindern Überbrückungskredite Autorenschaft: Liquiditätsengpässe. Andererseits soll die Verord- Cornelia Ritz Bossicard, unabhängige Verwal- nung über insolvenzrechtliche Massnahmen (CO- tungsrätin, Präsidentin swissVR (corne- VID-19-Verordnung Insolvenzrecht) vermeiden, lia.ritz@swissvr.ch) und dass grundsätzlich gesunde KMU aufgrund einer Dr. Marius Fuchs, Verwaltungsrat und Dozent für temporären Überschuldungssituationen Konkurs an- Corporate Restructuring & Turnaround Manage- melden müssen. Zudem erlaubt die ebenfalls zeit- ment, Studienleiter CAS Turnaround Management lich befristete COVID-19-Stundung für KMU eine am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Verschnaufpause von bis zu sechs Monaten, um das Hochschule Luzern (marius.fuchs@hslu.ch) Geschäft neu zu ordnen. Titelseite: iStock.com/wutwhanfoto Diese Massnahmen können aus Sicht der aktuellen Situation als zweckdienlich eingestuft werden. Sie Dieser Text soll betroffenen und interessierten Un- dürfen aber keineswegs darüber hinwegtäuschen, ternehmen, namentlich KMU, als mögliche Orientie- dass die Corona-Krise nachhaltige Veränderungen rungshilfe dienen. Er gibt die Erkenntnisse der Au- mit sich bringen wird und diese wiederum jedes toren wieder und beinhaltet weder die Meinung KMU in unterschiedlicher Ausprägung treffen wer- noch konkrete Empfehlungen der Vereinigung den. Ein hoffnungsvolles Abwarten und Aussitzen swissVR an ihre Mitglieder. Die Autoren, swissVR auf die «Zeit danach» ist unbedingt zu vermeiden. und die Hochschule Luzern übernehmen keine Ver- Die neuen Insolvenz-Verordnungen sind kein Ruhe- antwortung, Garantie oder Haftung für die Korrekt- kissen. Sie nehmen den Verwaltungsrat in die heit und Angemessenheit der Massnahmen und leh- Pflicht, die Fortführung der Gesellschaft im neuen, nen jede Haftung für allfällige direkte oder indirekte noch nicht richtig fassbaren Umfeld, sicherzustellen. finanzielle oder sonstige Schäden ab, die sich erge- Eigentümer, Mitglieder des Verwaltungsrats sowie ben, wenn eine Person aufgrund dieser Informatio- das Management – oftmals in Personalunion – sind nen eine Handlung vornimmt oder unterlässt. aufgefordert, gemeinsam und konzentriert an der (strategischen) Neuorientierung ihres Unterneh- swissVR ist eine Vereinigung für Verwaltungsrats- mens zu arbeiten. Der Blick ist unternehmerisch mitglieder in der Schweiz, von Verwaltungsräten nach vorne zu richten. für Verwaltungsräte – attraktiv – unabhängig – fo- kussiert. Mit ihrem Angebot trägt sie zur Professio- Mit diesem 2. swissVR Impuls mit Tipps für KMU nalisierung der Verwaltungsräte in der Schweiz bei. Verwaltungsräte in der COVID-19-Krise hoffen wir, swissVR fördert den Erfahrungsaustausch unter einen wertvollen Beitrag für die weitere Bewältigung Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräten von Un- dieser Krise zu leisten. ternehmen aller Branchen und bietet seinen über 900 Mitgliedern ein bedürfnisspezifisches Informa- tions- und Weiterbildungsangebot. swissVR richtet sich exklusiv an Personen mit einem aktiven Ver- waltungsratsmandat. Für weitere Informationen zu swissVR und zur Mit- gliedschaft: www.swissvr.ch Cornelia Ritz Bossicard Dr. Marius Fuchs Präsidentin swissVR Dozent Institut für Finanz- swissVR, Suurstoffi 1, 6343 Rotkreuz dienstleistungen Zug IFZ info@swissvr.ch, +41 41 757 67 11 der Hochschule Luzern Anmerkung: Die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern sich laufend. Wir verweisen für weitere De- tails auf die Verordnungen sowie die jeweils aktu- ellen Erläuterungen der verschiedenen Bundesäm- ter. (Version vom 4. Mai 2020) swissVR Impuls II/2020 | Mai 2020 2
Tipps für KMU-VR in der COVID-19-Krise Tipps für KMU-VR in der COVID-19 Krise Manche Unternehmen kämpften bereits vor der Corona-Krise mit Ertragsproblemen, dün- nen Liquiditätspuffern und unklaren Zukunftsperspektiven (z.B. durch Klumpenrisiken, Ab- hängigkeiten, ungelöster Nachfolge). Durch COVID-19 sind nun auch viele gut positionierte und gesunde KMU mit einem Schlag von der Krise erfasst worden. Aufgrund der noch kaum abschätzbaren wirtschaftlichen Folgen sind KMU der Gefahr ausgesetzt, in den nächsten Monaten in existentielle Bedrängnis zu geraten. Die Ursachen von Unternehmenskrisen können vielfältig sein: Die Liquiditätskrise definiert sich dadurch, dass Verpflichtungen bei Fälligkeit oder mit einer angemessenen Verspätung nicht beglichen werden können. Die Ertragskrise zeigt sich in stagnierendem bzw. sinken- dem Umsatz, schrumpfenden (Brutto-)Margen und - nicht selten - auch in steigenden be- trieblichen Kosten. Eine Strategiekrise entsteht, wenn sich Kundenverhalten oder Bran- chenstrukturen grundsätzlich verändern oder neue Technologien und neuartige Konkurren- ten auftreten. Ertrags- und Liquiditätskrisen sind oft die Folge von nicht erkannten oder nicht gemeisterten Strategiekrisen oder – wie in der aktuellen Situation – aufgrund von be- hördlich verordneten temporären Schliessungen oder Betriebseinschränkungen. Es ist da- von auszugehen, dass COVID-19 im Nachgang viele nachhaltige Veränderungen mit sich bringt. KMU sind daher jetzt gefordert, Chancen und Risiken solcher Veränderungen zu prüfen und geeignete Massnahmen einzuleiten. 1. Finanzierung laufender Liquiditätsbe- 2. Anpassung Überschuldungsanzeige dürfnisse und Stundung Mit den Überbrückungskrediten (COVID-19-Kredit Mit der Verordnung über insolvenzrechtliche Mass- bzw. COVID-19-Kredit Plus) hat der Bundesrat den nahmen vom 16. April 2020 (COVID-19-Verordnung KMU ermöglicht, sich auf schnelle und unbürokrati- Insolvenzrecht) geht der Bundesrat in seinen Bemü- sche Weise Liquidität in Form von rückzahlbaren hungen, den wirtschaftlichen Schaden für KMU mög- Krediten zu besorgen. lichst zu begrenzen, noch einen Schritt weiter. Gemäss der Verordnung zur Gewährung von Kredi- Die Verordnung umfasst zeitlich begrenzte Regelun- ten und Solidarbürgschaften in Folge des Coronavi- gen: rus (COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung) vom 1. Befristete Entbindung des Verwaltungsrats sowie 25. März 2020 (Stand 20. April 2020) dient die Soli- der Revisionsstelle von der Pflicht zur Überschul- darbürgschaft des Bundes jedoch ausschliesslich der dungsanzeige gemäss Art. 725 Abs. 2 OR. An- Sicherstellung von Bankkrediten für die laufenden merkung: Die Pflicht zur Erstellung von Zwi- Liquiditätsbedürfnisse der Unternehmen. Ausge- schenbilanzen bei begründeter Besorgnis einer schlossen sind u.a. die Finanzierung von neuen In- Überschuldung bleibt bestehen. vestitionen ins Anlagevermögen, Dividendenzahlun- gen, Gewährung von aktiven Aktionärsdarlehen und 2. Vorübergehende Anpassung im «ordentlichen» Zahlungen an Gruppengesellschaften im Ausland. Nachlassverfahren. Die COVID-19-Kredite können jederzeit zurückge- 3. COVID-19 Stundung, d.h. Option einer nied- führt werden. rigschwelligen Erlangung einer maximal 3-mo- natigen Stundung (die einmalig um weitere Die bezogenen COVID-19-Kredite bis CHF 500'000 max. 3 Monate verlängert werden kann). werden für die Bemessung eines Kapitalverlusts o- der einer Überschuldung nicht als Fremdkapital be- Die Regelungen sind explizit auf KMU zugeschnitten rücksichtigt, die COVID-19-Kredite Plus, d.h. über und beabsichtigen Unternehmen zu schützen, die CHF 500'000 jedoch schon. Dadurch wird vermie- per 31. Dezember 2019 eine nichtüberschuldete Bi- den, dass KMU durch aktuell entstehende ausseror- lanz vorweisen können. dentliche Verluste in den Konkurs getrieben werden. Diese Regelung ist temporär und nach aktueller Ver- Mit dieser Bedingung versucht der Bundesrat den ordnung bis zum 31. März 2022 gültig. Balanceakt zu meistern, gesunden Unternehmen eine möglichst gute Überlebenschance zu geben, Tipp für VR: Es gilt zu beachten, dass COVID-19- während für bilanziell angeschlagene Unternehmen Kredite zweckgebunden sind. Wird ein Kredit für ei- weiterhin die bisherigen gesetzlichen Rahmenbedin- nen unzulässigen Zweck verwendet, so sind die Or- gungen gelten. Zu beachten ist, dass die neue Ver- gane (inkl. Verwaltungsräte) sowie die mit der Ge- ordnung eine Veröffentlichungspflicht der COVID-19 schäftsführung befassten Personen persönlich und Stundung vorsieht und im Gegensatz zur bestehen- solidarisch für den Schaden verantwortlich und haft- den gesetzlichen Nachlassstundung Lohnforderun- bar. swissVR Impuls II/2020 | Mai 2020 3
Tipps für KMU-VR in der COVID-19-Krise gen und Alimentsansprüche ausnimmt, also Fortzah- • Führen Sie eine möglichst objektive und kritische lung erfordert. Standortbestimmung durch. Wir empfehlen eine klassische SWOT-Analyse (Stärken/Schwä- Die neue Verordnung verschafft gewissen KMU und chen/Chancen/Gefahren). Überlegen Sie sich, eine ihren solidarisch haftenden VR-Mitgliedern eine Ver- externe Vertrauensperson (evtl. Querdenker) bei- schnaufpause in Bezug auf Überschuldungssituatio- zuziehen. nen. Dadurch kann sich das Unternehmen auf die al- • Bleiben Sie in engem Kontakt mit Ihren wichtigs- lenfalls notwendige oder vielleicht gar überfällige or- ten Stakeholdern, namentlich Mitarbeitenden, ganisatorische und finanzielle Restrukturierung kon- Kunden, Lieferanten sowie Aktionären, Banken zentrieren. und allfälligen Investoren. Tipp für VR: Die COVID-19-Stundung wird für viele • Hinterfragen Sie die Alternativen kritisch und un- gesunde KMU ein dringend benötigter und somit terstützen Sie den Verwaltungsrat und die Ge- zweckdienlicher und gerechtfertigter Rettungsring schäftsleitung mit Ihrem Erfahrungs- und Fachwis- sein. Wir raten jedoch davon ab, dieses Instrument sen soweit wie möglich. vorschnell oder leichtfertig zu nutzen. • Prüfen Sie allenfalls auch Strategien oder Optio- nen, die selbst aus heutiger Sicht als radikal er- Folgende Überlegungen sind anzustellen: scheinen mögen. • Temporäre Gültigkeit: Es muss die Aussicht Die Welt sah zu Beginn des laufenden Jahres noch bestehen, dass die Gesellschaft bis zum Stichtag völlig anders aus. Es besteht jedoch durchaus die am 31.12.2020 überlebensfähig ist. Der VR Möglichkeit, dass sich durch weitere Verwerfungen muss das u.a. mit Hilfe einer schlüssigen Finanz- und Umwälzungen neben existenzbedrohlichen Ge- planung (gem. Art. 716a Abs. 1, Ziff. 3 OR) do- fahren auch einzigartige Chancen eröffnen. kumentieren. • Publikationspflicht sowie aktive Informa- Tipp für VR: Der Verwaltungsrat muss neben dem tion der Gläubiger: Dies dürfte Lieferanten kurzfristigen Geschehen (u.a. Liquiditätsplanung; (Vorkasse) wie Kunden (Gewährleistungen, Ga- Bestelleingang) verstärkt auch Signale von aussen rantien) zu Verhaltensänderungen bewegen, die in seine Überlegungen einbeziehen (Konkurrenten, sich langfristig nachteilig auswirken können. Kunden, Lieferanten). Die folgenden, nicht ab- schliessenden Aspekte sind von Interesse: • Protokollierung: Der VR muss seinen Ent- scheid schriftlich begründen und nachvollziehbar • Konkurrenz: Wie verhalten sich unsere (in- & dokumentieren. Wir verweisen auf den swissVR ausländischen) Konkurrenten? (z.B. ruhig/zu- Leitfaden 2/2019 «Protokolle für den Verwal- rückhaltend, angeschlagen, aggressives Abwer- tungsrat». ben von Kunden, mögliche Partnerschaft) • Megatrends: Welche Megatrends bestanden Diese Punkte zeigen, wie stark der VR im Falle einer vor der Krise und welche könnten sich neu erge- Unternehmenskrise in der nächsten Zeit gefordert ben? (Chance/Gefahr?) ist. Wie wir im swissVR Impuls I/2020 bereits er- wähnt haben, zeigt die Erfahrung, dass bei Krisen • Technologien: Wie geht es mit der forcierten generell zu spät und nicht konsequent genug einge- Digitalisierung weiter? Welche anderen Techno- griffen wird. logien lassen sich für innovative Angebote ein- setzen? 3. Der Blick nach vorne • Kunden / Lieferanten: Wie weit betreffen die obgenannten Überlegungen unsere Schlüssel- Eigentümer, Geschäftsleitung und namentlich die kunden und -lieferanten? Ist eine Vor- oder Rü- Mitglieder des Verwaltungsrats sind aufgefordert, ckintegration von uns respektive von diesen eine umfassende Situationsanalyse zu machen. Ne- (evtl. im Zusammenhang mit einem angeschla- ben den laufend zu aktualisierenden Liquiditätspla- genen Konkurrenten oder einer grundsätzlichen nungen (1. Priorität) und angepassten Umsatzpla- Neuorganisation der Lieferkette) denkbar? nungen (empfohlen: bad case und worst case) geht es nun zusätzlich darum, das aktuelle Geschäftsmo- Die aktuelle Situation zeigt, dass Strategiereviews dell und die Organisation auf ihre Fortführungsfähig- und Risikomanagement nicht nur einmalige Prozesse keit und Zweckmässigkeit hin kritisch zu prüfen. sind, sondern sich die Unternehmen regelmässig mit diesen Fragestellungen auseinandersetzen müssen. Tipp für VR: VR-Mitglieder sollten folgende Aspekte Dies gilt insbesondere mit Blick auf die volatilen in ihre Überlegungen einfliessen lassen: kommenden Monate und Jahre. • Verschaffen Sie sich Klarheit über Ihre Rechte und Es ist zu erwarten, dass Themen wie Leadership in Pflichten gemäss Art. 716a OR (Oberleitung der Krisenzeiten, Personalpolitik, Vergütung sowie Stell- Gesellschaft) vertretungen bis hin zu Nachfolgefragen von Ge- • Beachten Sie, dass Ihre Geschäftsführung und schäftsführern oder GL-Mitgliedern bei den VR-Sit- Mitarbeitenden mittlerweile seit Monaten über- zungen an Wichtigkeit wie auch an Dringlichkeit ge- mässig stark gefordert sind. Behalten Sie die Ent- winnen. Die Aufgaben des VR – verstanden als Gre- wicklung kritisch im Auge, seien Sie verfügbar, mium wie auch aus der Sicht des einzelnen Mitglieds planen Sie in Szenarien und vermitteln Sie wenn – werden mit Sicherheit spürbar anspruchsvoller. möglich Ruhe und Vertrauen. swissVR Impuls II/2020 | Mai 2020 4
Tipps für KMU-VR in der COVID-19-Krise Daher ist es auch notwendig, dass sich VR-Gremien selbstkritisch fragen, ob sie in der aktuellen Zusam- mensetzung willig und fähig sind, die neuen Heraus- forderungen zu stemmen. Es ist durchaus denkbar, dass COVID-19 auch zu zahlreichen Neubesetzun- gen in Verwaltungsräten führen wird. Fazit Der Verwaltungsrat muss sich zeitnah die Frage stel- len, ob COVID-19 für das Geschäftsmodell als «vor- beiziehendes Gewitter» einzustufen ist oder ob zu- sätzliche Massnahmen bis hin zu einer umfassenden Neuausrichtung zu prüfen sind. Der Bundesrat hat mit den «COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung» und «COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht» einen weiteren Schutzschirm gebaut. Dieser darf nicht leichtsinnig aufgespannt werden – vielmehr ist der Verwaltungsrat gefordert, sich frühzeitig grundsätz- liche Überlegungen zur Fortführungsfähigkeit und zu den möglichen Chancen zu machen. Jetzt sind zu- kunftsorientierte, unternehmerisch und umsichtig denkende Verwaltungsräte gefragt. swissVR Impuls II/2020 | Mai 2020 5
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