Info 2 / 2021 - Engagiert über die Schule hinaus - Kantonsschule Hottingen

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Info 2 / 2021 - Engagiert über die Schule hinaus - Kantonsschule Hottingen
Engagiert
… über die Schule hinaus

info               2 / 2021
Info 2 / 2021 - Engagiert über die Schule hinaus - Kantonsschule Hottingen
Inhalt                                                                               Editorial

                                                                                                                                                 Redaktion

                           In dieser Ausgabe
                                                                                                                                                 Sandra Nussbaumer
                                                                                                                                                 Barbara Ingold

                                                                                                 Engagiert
          Menschenrechte              Menschenrechte             Maturitätsaufsatz
                                                                                                 … über die Schule hinaus
           Engagiert              Menschenrechts-                Vom Fischer
                                     verletzungen                  und dem                       Liebe Leserin,
                                   in Ostturkestan              Bürgermeister                    lieber Leser

             6—9                      10—11                       14—15                          von Sandra Nussbaumer

                                                                                                 E       s ist beelendend. Wer Nachrichten liest,
                                                                                                         sieht oder hört, begegnet Menschenrechts-
                                                                                                         verletzungen allenthalben: niedergeschla-
                                                                                                                                                                 Ausserdem schreibt Daniel Aufschläger, Präsident
                                                                                                                                                           der Schulkommission, vom Besuch von Sayragul
                                                                                                                                                           Sauytbay an der Kantonsschule Hottingen im vergan-
                                                                                                         gene Proteste und Demonstrationen auf Kuba,       genen Dezember. Sauytbay stammt aus der autono-
                                                                                                 prekäre Zustände im Flüchtlingscamp Moria auf             men Region Xinjiang (bzw. Ostturkestan) im Nordwesten
                                                                                                 Lesbos, die systematische Unterdrückung und Folter        Chinas und gehört als Kasachin der muslimischen
                                                                                                 der Uiguren in der autonomen Region Xinjiang, die         Bevölkerungsgruppe an. Nach ihrer Flucht vor dem
                                                                                                 Machtübernahme der Taliban in Afghanistan. Gewalt         chinesischen Regime veröffentlichte sie ein gleicher-
                                                                                                 und Ausbeutung hier, Unterdrückung und Diskri-            massen aufklärendes wie verstörendes Buch über die
                                                                                                 minierung da. Aktuell macht die Spionagesoftware          systematische Unterdrückung und Gewalt gegen die
                                                                                                 Pegasus von sich reden. Die Spyware, die offiziell        muslimische Bevölkerung, mehrheitlich Uiguren, die Me-
                                                                                                 selbstverständlich nur im Kampf gegen Terrorismus         thoden in den Umerziehungslagern sowie die Pläne
         Rund um die Schule          Spass mit Zahlen             Arbeitswoche                   eingesetzt werden darf, soll von autokratischen           Chinas für die Übernahme der Weltmacht. Der Augen-
                                                                                                 Staaten und autoritären Regimen missbräuchlich ver-       zeugenbericht der «Kronzeugin» sorgte weltweit zwar
         Wie durch Wille              Das Jahr 0           «Konsumiere mit                       wendet worden sein, um weltweit Hunderte Oppo-            für grosses Aufsehen, hatte politisch aber (noch) wenig
          Taten werden                                     Verantwortung!»                       sitionelle, Regimekritiker, Journalisten oder Menschen-
                                                                                                 rechtsaktivisten auszuhorchen und sie letztlich aus-
                                                                                                                                                           Konsequenzen.
                                                                                                                                                                 Sie haben Recht, wenn Sie das alles wenig er-
                                                                                                 zuschalten. Dies bedeutet einen nicht zu unterschät-      baulich finden. Und bevor wir jetzt allzu sehr in Trübsal
                                                                                                 zenden Angriff auf Demokratie und Freiheit, aber          verfallen, bringt Ihnen vielleicht das Engagement der

           16—17                      20—21                           24                         auch auf Grund‑ und Menschenrechte. Man kann das
                                                                                                 nicht weiter alarmierend finden und das Gefühl
                                                                                                 haben, das betreffe uns hier in der Schweiz nicht. Doch
                                                                                                                                                           beiden Schülerinnen Mrittika Sadmin und Eya Takrouni
                                                                                                                                                           den Glauben an das Gute zurück. Im Frühlingssemester
                                                                                                                                                           2020 haben sie das Freifach Entwicklungszusammen-
                                                                                                 das wäre ziemlich naiv. Oder man kann davor kapitu-       arbeit besucht, daraufhin ihr erstes Projekt in Bangla-
                                                                                                 lieren. Das jedoch wäre defätistisch. Menschenrechte      desch auf die Beine gestellt und sind nun dabei, ihre
                                                                                                 betreffen uns alle. Auch hier und auch heute noch.        eigene Entwicklungshilfeorganisation zu gründen. Das
                              Interview04 —05                                                   Deshalb lohnt es sich, dafür zu kämpfen – persönlich      gibt doch Anlass zu Hoffnung.
                              Bildnerisches Gestalten 12 —13                                    und politisch.
                              Maturitätsaufsatz18 —19                                                 Im Frühjahr dieses Jahres hat die Kantonsschule     Nach neun Jahren schreibt Christoph Meier seine letzte
                              Öko-logisch!                21                                    Hottingen die Wanderausstellung «Speak Truth To           Öko‑logisch‑Kolumne. An dieser Stelle möchten wir
                              Kolumne22                                                         Power» der Robert‑Kennedy‑Stiftung beherbergt. Die        uns recht herzlich für die thematisch vielfältigen, inhalt-
                              Wort des Rektors            23                                    Robert F. Kennedy Human Rights Foundation setzt           lich interessanten und klugen Beiträge bedanken.
                              Agenda24                                                          sich für Menschenrechtsbildung ein und führt verschie-    Wir haben in diesen Jahren so einiges gelernt und gehen
                                                                                                 dene Veranstaltungen an und mit Schulen durch.            achtsamer durch die Welt. Danke, lieber Christoph!
                                                                                                 Die Foto‑Ausstellung zeigt neben international be-
                                                                                                 kannten Menschenrechtlern wie Desmond Tutu oder
                                                                                                 Elie Wiesel auch die Schweizer Hans Caprez oder
                                                                                                 Emilie Lieberherr. Geschichtslehrer und Mit‑Initiator
                                                                                                 Moritz Schenk berichtet in dieser Ausgabe von der
                                                                                                 Ausstellung, den Klassenbesuchen durch Menschen-
                                                                                                 rechtsaktivistinnen und ‑aktivisten und den Plenar-
                                                                                                 veranstaltungen.

2                                        h info #2 2021                                                                                            h info #2 2021                                                        3
Info 2 / 2021 - Engagiert über die Schule hinaus - Kantonsschule Hottingen
Interview

Mit dem gut bepackten
IMS-Rucksack
in die Welt hinaus
Bekanntlich führen viele Wege
nach Rom. Aber es gilt auch
                                                                                                                                                                 Damien Vouillamoz
das Umgekehrte: Viele Wege führen                                                                                                                                        Abschlussjahr 2006
von Rom in die Welt hinaus.
                                                                                                                                                             Aktuelle Tätigkeit
                                                                                                                                                             Gründer und Geschäftsführer der Digio AG

von Sandra Nussbaumer                                                                                                                                        Berufswunsch bei Eintritt in die IMS
                                                                                                                                                             Software-Entwickler
Nach Abschluss der Informatik-
mittelschule (IMS) stehen den                                                                                                                                Werdegang nach der IMS
Absolventinnen und Absolventen                                                                                                                               Nach der IMS habe ich ein Informatikstudium
                                                                                                                                                                                                                                                                             André Bürkler
mit dem EFZ und der Berufs-
maturität alle Türen offen. Unsere
                                                                                                                                                             an der Hochschule für Technik in Rapperswil
                                                                                                                                                             (heute OST) absolviert. Im Anschluss habe ich
                                                                                                                                                                                                                          Diego Steiner                                         Abschlussjahr 2007
fünf Beispiele zeigen, es ist alles                                                                                                                          als Software‑Engineer bei einem international                  Abschlussjahr 2007
möglich: Studium, Firmengrün-                                                                                                                                tätigen KMU in Zürich begonnen, mein Können                                                            Aktuelle Tätigkeit
dung, radikaler Branchenwechsel,                                                                                                                             unter Beweis zu stellen. In acht Jahren habe       Aktuelle Tätigkeit                                  Leiter Fachstelle Jugendarbeit Region Baden
Karriere im Private Banking.
                                                 Iris Hunkeler                                                                                               ich diverse Positionen wie Development Team
                                                                                                                                                             Lead, Projektleiter, Lead Projektleiter und zum
                                                                                                                                                                                                                ICT‑Coach beim Zürcher Lehrbetriebsverband
                                                                                                                                                                                                                ICT                                                 Berufswunsch bei Eintritt in die IMS
                                                  Abschlussjahr 2009                                                                                         Schluss COO (Chief Operation Officer) einge-                                                           Irgendetwas mit Computern …
                                                                                                                                                             nommen. Im Jahre 2016 habe ich dann mein           Berufswunsch bei Eintritt in die IMS
                                      Aktuelle Tätigkeit                                           Nicole Andrade                                            eigenes Unternehmen (Digio AG) gegründet,          Applikationsentwickler                              Werdegang nach der IMS
                                      Lead Software Engineer bei ti & m AG                             Abschlussjahr 2005                                    das ich heute mit 9 Mitarbeitern und zahlrei-                                                          2008: Web‑Entwickler
                                                                                                                                                             chen Projekten führe.                              Werdegang nach der IMS                              2010: Projektleiter Web‑Entwicklung
                                      Berufswunsch bei Eintritt in die IMS                 Aktuelle Tätigkeit                                                Seit meinem Studium habe ich mich immer            2009: Informatik Teilzeitstudium an der HSR         2012: Branchenwechsel – Jugendarbeiter &
                                      Ich hatte keinen konkreten Berufswunsch.             Private Banking bei der Credit Suisse                             wieder für die Aus‑ und Weiterbildung von jun-     2011: Gründung der Webagentur «Renuo                Organisationsentwickler, Bachelor in Sozialer
                                                                                                                                                             gen Fachkräften interessiert und eingesetzt.       GmbH» mit Freund und Mit‑IMS ler Lukas Elmer        Arbeit (berufsbegleitend)
                                      Werdegang nach der IMS                               Berufswunsch bei Eintritt in die IMS                              Nebst der Ausbildung zahlreicher IMS‑Prakti-       2014: Ausbildung der ersten IMS‑Praktikanten        2012 habe ich von der Informatik auf Soziale
                                      Ein Jahr nach Abschluss der IMS begann ich           Da ich keinen konkreten Berufswunsch hat-                         kanten unterrichte ich beim Zürcher Lehrbe-        in der Renuo GmbH                                   Arbeit umgesattelt. Es sollte mehr der Mensch
                                      ein berufsbegleitendes Studium in Richtung           te, habe ich auf Anraten meines Vaters Ernst                      triebsverband ICT (ZLI) Informatik‑Lernende        2017: Weiterbildung SVEB‑Zertifizierung             und weniger die Technik und wirtschaftliche
                                      Wirtschaftsinformatik (4 Jahre bis zum Bache-        Buschor, der als damaliger Bildungsdirektor                       und IMS‑Schüler und nehme als Prüfungs-            2018: Wechsel in die Ausbildung als ICT‑Coach       Interessen im Vordergrund stehen. Meine lang-
                                      lor an der ZHAW, anschliessend nochmals 2.5          des Kantons Zürich die IMS mitinitiiert hatte,                    experte der Prüfungskommission PK19 des            beim Zürcher Lehrbetriebsverband ICT.               jährige Pfaditätigkeit sowie diverse Zivildienst-
                                      Jahre bis zum Master an der FHNW). Parallel          diese Schule gewählt. Ich war im allerersten                      Kantons Zürich Abschlussarbeiten (IPA) von         Meine aktuelle Tätigkeit ist vergleichbar mit       einsätze im sozialen Bereich begünstigten den
                                      dazu arbeitete ich 80 % (nach Abschluss des          Jahrgang dieses Ausbildungsganges.                                Informatik‑Lernenden und IMS‑Schülern ab.          einem Lehrmeister eines Betriebs. Ich agiere        Wechsel. Für mich war das, wie mir manch-
                                      Studiums 100 %) in verschiedenen IT‑Rollen:                                                                            2021 habe ich ein MAS im Bereich der Cyber         als Instruktor und Betreuer, nicht als Lehr-        mal gesagt wurde, nicht ein Schritt zurück auf
                                      Ich begann als Entwicklerin, aber arbeitete          Werdegang nach der IMS                                            Security an der Hochschule für Technik in          person. Während meiner Zeit in der Pfadi habe       Feld 1, sondern vielmehr eine Weiterentwick-
                                      auch als Requirements Engineer, Projektleite-        Nach dem Praktikum im IT‑Service bei der                          Luzern begonnen.                                   ich viele junge, angehende Leiter ausgebildet.      lung meiner beruflichen Laufbahn.
                                      rin, Data Analyst, Scrum Master. Ich kehrte je-      Swisscom habe ich direkt zur Bank gewechselt.                                                                        Das wollte ich nicht nur in meiner Freizeit, son-   2014: Weiterbildung SVEB‑Zertifizierung
                                      doch immer wieder zur Entwicklung zurück,            Damals hatte man ja mit dem IMS‑Abschluss                         Rückblick auf die IMS                              dern auch beruflich machen. Als ICT‑Coach           2016: Master in BA «Public and Nonprofit
                                      da mir dies bis heute am meisten Spass macht.        auch gleich die kaufmännische Berufsmaturi-                       Die IMS hat mir nebst der Informatik ein breites   beim Zürcher Lehrbetriebsverband ICT bilde          Management»
                                      Heute arbeite ich bei ti & m AG in Zürich als        tät. Ich kam als Allrounderin zur ZKB und bin                     und tiefes Wissen in den diversen Bereichen        ich im Basislehrjahr Informatiklernende im          2018: CAS Praxisausbildner in Sozialer Arbeit
                                      Lead Software Engineer. Aktuell leite ich            dort 10 Jahre lang geblieben. Berufsbegleitend                    wie Wirtschaft, Recht und Buchhaltung ver-         1. Lehrjahr aus. Dabei bin ich für eine Gruppe      2019: Leiter Fachstelle für Jugendarbeit
                                      ein Projekt, wo wir für einen Kunden einen           habe ich Betriebsökonomie studiert. Eine                          schafft. Dieses fundierte Wissen konnte ich        von Applikationsentwicklern zuständig und be-
                                      B2B‑Online‑Marktplatz für Gastronomiearti-           Hochschulkarriere wollte ich allerdings nie ein-                  während meines Werdegangs und nicht zu-            gleite sie während dem ersten Jahr im neuen         Rückblick auf die IMS
                                      kel aufbauen. Ich arbeite da in der Software-        schlagen, ich habe immer gerne gearbeitet.                        letzt auch als Gründer und Geschäftsführer         Beruf: von den ersten Schritten beim Program-       Die kaufmännische Berufsmaturität, die man
                                      entwicklung mit und unterstütze mein Team            Danach habe ich zur Credit Suisse gewechselt,                     der Digio AG immer wieder gewinnbringend           mieren, über die ersten Erfahrungen mit Web-        zu meiner Zeit mit dem IMS‑Abschluss noch
                                      bei technischen und fachlichen Fragen.               wo ich heute immer noch bin und im Private                        einsetzen.                                         seiten und Datenbanken bis zum eigenständi-         erlangte, und das dort angeeignete Wissen
                                                                                           Banking arbeite.                                                  Die Mischung aus Informatikausbildung und          gen Abschlussprojekt.                               waren die Basis für viele spätere Tätigkeiten
                                      Rückblick auf die IMS                                                                                                  Schule fand ich optimal, da mir dies viel Frei-                                                        und Ausbildungen. Ganz allgemein konnte ich
                                      An der IMS mag ich die Kombination von               Rückblick auf die IMS                                             raum und Zeit verschaffte, mich mit privaten       Rückblick auf die IMS                               mir durch die Kombination von KV und Infor-
                                      sehr breiter Allgemeinbildung (mit Fächern           Die IMS bietet eine sehr gute Grundausbildung.                    Informatikprojekten zu verwirklichen.              Obwohl ich während den Jahren an der KSH            matik nützliche Kompetenzen und Fähigkei-
                                      wie Geschichte, Biologie, Chemie), wirtschaft-       Der schulische Teil ist sehr wertvoll, aber ge-                   Ich schaue immer wieder gerne auf diese            nicht besonders gut darin war, haben mir die        ten aneignen: Strukturierte Herangehensweise
                                      licher Grundbildung (Wirtschaftsrecht, BWL,          nauso ist es die Berufserfahrung. Rückblickend                    intensive, aber trotzdem unbeschwerte Zeit         kaufmännischen Fächer das Rüstzeug mitge-           an Probleme, Arbeitsorganisation, Affinität zu
                                      VWL) sowie den IT‑Modulen. Vieles aus den            muss ich allerdings sagen, dass ich wohl auch                     zurück und komme immer wieder gerne für            geben, um eine eigene Firma zu gründen und          Zahlen und Buchhaltung, grundlegendes Ver-
                                      IT‑Fächern habe ich jedoch ehrlich gesagt erst       hätte die HMS absolvieren können. Letztlich                       das IMS‑Kontaktseminar oder den Home-              damit erfolgreich zu werden.                        ständnis für IT‑Themen, …
                                      nach Eintritt ins Berufsleben so richtig verstan-    hat mich Informatik doch zu wenig interessiert,                   coming‑Day an die KSH.
                                      den. In guter Erinnerung blieben mir ausserdem       als dass ich in dieser Branche hätte bleiben                                                                         Ratschläge an aktuelle Schülerinnen                 Ratschläge an aktuelle Schülerinnen
                                      die intensiven und spannenden Projektwochen.         wollen.                                                           Ratschläge an aktuelle Schülerinnen                und Schüler                                         und Schüler
                                                                                                                                                             und Schüler                                        Die Welt von uns Informatik‑Fachpersonen ist        Sich mit knapp 16 Jahren für einen Beruf und
                                      Ratschläge an aktuelle Schülerinnen                  Ratschläge an aktuelle Schülerinnen                               Ich bin froh, habe ich diese Ausbildung ernst      unendlich vielseitig und spannend. Probiert         eine Ausbildung zu entscheiden, ist keine ein-
                                      und Schüler                                          und Schüler                                                       genommen und somit meinen Rucksack für             aus, was euch Spass macht, versucht zu ver-         fache Sache. Vielleicht seid ihr danach das
                                      Ich bin der Meinung, dass die IMS einen guten        Mit dem Abschluss an einer weiterführenden                        den späteren Werdegang gut mit Wissen be-          stehen, wie etwas funktioniert. Mit der Freude      Leben lang glücklich in der IT‑Branche – per-
                                      Einstieg in die IT‑Welt bietet. Nutzt diese Grund-   Schule, insbesondere mit der Berufsmaturität,                     packt war. Es ist unmöglich zu sagen, wohin        an der Sache lernt es sich wie von selbst.          fekt. Falls nicht, habt den Mut, auch nach
                                      bildung und probiert verschiedene Tätigkeiten        hat man alle Möglichkeiten. Auch wenn man                         es einen in der Berufswelt führen wird. Man        Und wenn ihr später bei der Suche nach ei-          der Erstausbildung einen Wechsel zu machen.
                                                                                                                                              FOTOS : Z VG

                                      aus! So könnt ihr am besten herausfinden, was        sich einmal für etwas entscheidet, heisst das                     sollte sich darum immer so viele Optionen wie      nem Praktikum zeigen könnt, dass ihr euch für       Die Türen stehen offen und die in der IMS er-
                                      euch wirklich interessiert und was euch Spass        nicht, dass man für immer dort bleiben muss.                      möglich offenhalten. Ein gut bepackter Ruck-       die Informatik begeistert, werdet ihr euch vor      worbenen Kompetenzen werden euch auch in
                                      macht.                                               Wechsel sind jederzeit möglich.                                   sack ist dabei das Wichtigste.                     Angeboten kaum noch retten können.                  anderen Branchen nützlich sein.

4                                                            h info #2 2021                                                                                                                                                 h info #2 2021                                                                         5
Info 2 / 2021 - Engagiert über die Schule hinaus - Kantonsschule Hottingen
Menschenrechte

                                                                                                                                                                Bei den Menschenrechten ist
                                                                                                                                                                Neutralität keine Option

Engagiert                         Während gut sechs Wochen des FS 2021
                                  stand die Kantonsschule Hottingen im
                                  Zeichen der Menschenrechte. Die Schule
                                  beherbergte die Fotoausstellung «Speak
                                  Truth to Power» der Robert F. Kennedy
                                  Human Rights Foundation und zahlreiche
                                  Aktivistinnen und Aktivisten besuchten
                                  die Schule live und via Videochat.

                                                                                                                                                                                                                                                                         Schülerinnen wollen sich für
                                                                                                                                                                                                                                                                         Menschenrechte einsetzen
                                                                                                                                                                                                                                                                  Über den nachhaltigen Eindruck der Aktivis-
                                                                                                                                                                                                                                                                  tinnen und Aktivisten auf die Schülerinnen
                                                                                                                                                                                                                                                                  und Schüler zeigte sich Stephanie Eger, Direc-
                                                                                                                                                                                                                                                                  tor Human Rights Education, im Anschluss
                                                                                                                                                                                                                                                                  an die Besuche sehr erfreut: «Es war inspirie-
                                                                                                                                                                                                                                                                  rend zu sehen, wie sehr sich die Schüle-
                                                                                                                                                                von Moritz Schenk                                                                                 rinnen und Schüler und Lehrpersonen der
                                                                                                                                                                                                                                                                  Kantonsschule Hottingen nicht nur für die
                                                                                                                                                                Zugegeben, das zehnjährige Kind, das einst                                                        Menschenrechte interessierten, sondern vor
                                                                                                                                                                das Weisse Haus bewohnt hat und das                                                               allem dafür, wie sie sich für sie engagieren
                                                                                                                                                                mental noch nicht ausgezogen ist, war immer                                                       können.» Sie spielte damit auf mehrere Schü-
                                                                                                                                                                gut für eine Schlagzeile. Auch zu den Men-                                                        lerinnen an, welche sich im Anschluss an
                                                                                                                                                                schenrechten hat es manch Erstaunliches ge-                                                       die Besuche bei der Robert-Kennedy-Stiftung
                                                                                                                                                                sagt. Desmond Tutu hat wohl den Kopf                                                              meldeten, um den so genannten Youth Am-
                                                                                                                                                                darüber geschüttelt. «Wenn der Elefant den              Menschen stehen für andere                bassadors beizutreten, der Jugendorganisa-
                                                                                                                                                                Fuss auf dem Schwanz der Maus hat, und                  Menschen ein                              tion der Stiftung unter der Co‑Leitung auch
                                                                                                                                                                du sagst, du seist neutral, wird die Maus deine   Besagte Aufmerksamkeit erregten vor allem       einer ehemaligen KSH‑Schülerin (siehe Bei-
                                                                                                                                                                Neutralität nicht schätzen», sagt Tutu. Und       die Besuche der Menschenrechts‑Aktivis-         trag von Luisa Lichtenberger).
                                                                                                                                                                er fügt an: «Wenn du dich in Situationen von      tinnen und ‑Aktivisten. Nach einer coronabe-           Als gegen Mitte Juni die pandemiebe-
                                                                                                                                                                Ungerechtigkeit als neutral bezeichnest,          dingt abenteuerlichen Eröffnungsveran-          dingten Schutzmassnahmen so weit ge-
                                                                                                                                                                hast du die Position des Unterdrückers ge-        staltung im Anschluss an die Frühlingsferien,   lockert wurden, dass wieder kleinere Ver-
                                                                                                                                                                wählt.» Tutu war der Mann, der in Südafrika       welche dem Hausdienst, der Schulleitung         anstaltungen möglich wurden, war klar,
                                                                                                                                                                mit Nelson Mandela den staatlich verordneten      und den Organisatoren einiges an Planungs-      dass mit einem besonderen Gast auch noch
                                                                                                                                                                Rassismus beseitigt hatte. Die Kantons-           talent abverlangte, besuchten mehrere           ein kleines Podium stattfinden konnte. Am
                                                                           FOTO S: SO R A P O P / ISTO CK PH OTO, S N A P CR ACK L E N P O P / ISTO CK PH OTO

                                                                                                                                                                schule Hottingen hat im Frühjahrssemester         Aktivistinnen und Aktivisten insgesamt 15       18. Juni besuchte der Holocaust‑Überlebende,
                                                                                                                                                                Menschenrechtsaktivisten wie Desmond              Klassen. Umweltschutz, Menschen- und            emeritierte Germanistikprofessor Ladislaus
                                                                                                                                                                Tutu zugehört anstelle der Stimme der Popu-       Frauenrechte, aber auch Business Rights         Löb die Kantonsschule Hottingen in der Aula.
                                                                                                                                                                listen, die zwar meistens Lautstärke und Ge-      kamen zur Sprache. Vincent Magne (G3c)          Als 11‑Jähriger war er dem Konzentrations-
                                                                                                                                                                hör, nicht aber das Menschenrecht auf ihrer       erklärte im Anschluss an den Besuch des         lager Bergen‑Belsen entronnen. Die Klassen
                                                                                                                                                                Seite haben. Die Fachschaft Geschichte            Menschenrechtsaktivisten Yann Lenggen-          H2a und G2d, mehrere Schülerinnen aus
                                                                                                                                                                organsierte mit der Robert F. Kennedy Human       hager: «Mich interessieren aktuelle gesell-     allen Klassenstufen und Lehrpersonen aus
                                                                                                                                                                Rights Foundation die Ausstellung «Speak          schaftliche Debatten. Mein Vortrag zu Flücht-   dem Kollegium nahmen an der Veranstal-
                                                                                                                                                                Truth to Power». Stiftungspräsident Christoph     lingsrecht und der Besuch Herrn Lenggen-        tung teil, die auch live gestreamt werden
                                                                                                                                                                Karlo sagt: «Es freut mich sehr, dass die         hagers, einem ehemaligen IKRK‑Delegierten,      konnte. An seinem Schlusszitat, das der fast
                                                                                                                                                                Robert‑Kennedy‑Stiftung bereits seit längerer     ermöglichten mir die persönliche Auseinan-      90‑jährige Löb der Schule mitgab, hätte
                                                                                                                                                                Zeit eine fruchtbare Zusammenarbeit mit           dersetzung mit historischen und juristischen    der eingangs erwähnte Desmond Tutu wohl
                                                                                                                                                                der Kantonsschule Hottingen pflegt. Entstan-      Fragen.» Laura Niklaus (G2c) erhielt mit        seine Freude, denn für eine neutrale Posi-
                                                                                                                                                                den aus der Initiative einzelner Personen,        ihrer Klasse Einblick in die Schicksale der     tion bei Unrecht lässt auch Löb damit keinen
                                                                                                                                                                kann so eine grosse Anzahl von Schülerinnen       Verdingkinder und erklärte anschliessend:       Spielraum: «Seid kritisch gegenüber Vor-
                                                                                                                                                                und Schüler auf aktuell wichtige Themen           «Diese Lebensgeschichten haben mich er-         urteilen. Hinterfragt. Und bleibt humorvoll.»
                                                                                                                                                                aus dem Bereich der Menschenrechte auf-           schüttert. Sie müssen weitergegeben             Und nach einer kurzen Pause des Beden-
                                                                                                                                                                merksam gemacht werden.»                          werden.»                                        kens: «Ja, das ist es.»

6                h info #2 2021                                                                                                                                                                                                        h info #2 2021                                                              7
Info 2 / 2021 - Engagiert über die Schule hinaus - Kantonsschule Hottingen
Menschenrechte

“Education is
the most powerful
weapon you
can choose to
change the world.”
Das Titel‑Zitat von Nelson Mandela beschreibt
den Beginn sowie die aktuelle Tätigkeit
von Luisa Lichtenberger in der Robert F. Kennedy
Human Rights Foundation.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Desmond Tutu

                                                                                                                                                                                                                                                                        Elie Wiesel

                                                                                        Wer etwas ändern will, muss es zuerst
                                                                                        verstehen.
                                                                                 Ein wichtiges Element der Menschenrechtsbildung der
                                                                                 Foundation ist unsere Wanderausstellung, die im Mai
                                                                                 und Juni bekanntlich auch im Foyer der Kantonsschule
                                                                                 Hottingen ausgestellt wurde. Mich persönlich hat in der
                                                                                 Ausstellung das Porträt von Kailash Satyarthi und sein
                                                                                 Kampf gegen die Kinderarbeit beeindruckt. Denn Kinder-
                                                                                 arbeit ist neben bewaffneten Konflikten einer der häu-
                                                                                 figsten Gründe, wieso Kinder nicht zur Schule gehen und
                                                                                 somit keine Bildung erhalten, mit der sie ihre eigene
                                                                                 Zukunft formen könnten. Kailash macht dabei auf einen
                    von Luisa Lichtenberger                                      wichtigen Umstand aufmerksam: Menschen müssen da-
                                                                                 hingehend sensibilisiert werden, dass Kinderarbeit ein
                    Begonnen hat alles im Geschichtsunterricht an der Kan-       Problem ist und beim Konsum darauf geachtet werden
                    tonsschule Hottingen. In Gruppen hatten wir einzelne         kann, ob in der Produktion der Güter Kinderarbeit invol-
                    Normen der «Allgemeinen Erklärung der Menschenrech-          viert ist. Erst wenn diese Sensibilisierung geschehen ist,
                    te» erarbeitet und unserer Klasse präsentiert. Meine         können auch Veränderungen stattfinden.
                    Gruppe hatte sich dabei das «Recht auf Bildung» aus-
                    gesucht und zum ersten Mal beschäftigte ich mich ge-               Menschenrechte brauchen junge
                    nauer damit, was dieses Recht garantiert und wie es                Menschen, die sich für sie einsetzen.
                                                                                                                                                                                FOTOS : ED D IE A DA M S / RO BER T F. K EN N EDY HUM A N R IG H T S SWIT ZER L A N D

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Hans Caprez
                    ausserhalb der Schweiz umgesetzt wird. Während Bil-          Mit meinem Kollegen Max Kallenbach habe ich in der
                    dung für uns im Alltag selbstverständlich erscheint und      Robert‑Kennedy‑Stiftung die Aufgabe übernommen, zu-
                    Eltern verpflichtet sind, darauf zu achten, dass ihre Kin-   sätzlich zu den bestehenden Lernmaterialien und der
                    der regelmässig die Schule besuchen, wird allein wegen       Ausstellung eine Plattform für junge Menschen in der
                                                                                                                                                                                                                                                                          Luisa Lichtenberger ist 24 Jahre alt und
                    bewaffneten Konflikten rund 28 Millionen Kindern das         Schweiz aufzubauen, über welche sie sich über Men-                                                                                                                                       besuchte während ihrer Gymnasialzeit
                    Recht auf Bildung verwehrt. Was ich in diesen Schul-         schenrechte informieren, austauschen und engagieren                                                                                                                                      das FGZ und die KSH. Sie hat eben ihr
                    stunden gelernt habe, hat meine Sicht auf die Bedeu-         können. Im März 2020 wurden deshalb die Youth Am-                                                                                                                                        Jurastudium an der Universität Zürich
                                                                                                                                                                                                                                                                          und Universität Amsterdam beendet und
                    tung von Menschenrechten und die Wichtigkeit derer           bassadors der Robert F. Kennedy Foundation ins Leben                                                                                                                                     arbeitet an einem Lehrstuhl für Straf-
                    Durchsetzung bis heute geprägt. In meinem Jurastudi-         gerufen. Aufgrund der Pandemie waren auch diese                                                                                                                                          recht an der Universität Zürich. Neben-
                    um habe ich mich anschliessend immer wieder mit              «JugendbotschafterInnen» im letzten Jahr hauptsächlich                                                                                                                                   bei engagiert sie sich bei der Robert
                    Menschenrechten beschäftigt, sei es im Rahmen von            online unterwegs und haben bereits einen Filmwettbe-                                                                                                                                     F. Kennedy Human Rights Foundation,
                                                                                                                                              FOTO : LUMINIS / ISTO CK PH OTO

                                                                                                                                                                                                                                                                          in der sie die Youth Ambassadors be-
                    Vorlesungen über Grundrechte und Völkerrecht oder in         werb und eine Konferenz über Kinderrechte organisiert.                                                                                                                                   treut, sowie bei Legal Help, einem Verein,
                    Summer Schools über «Globalization and Human Rights»         Das kommende Jahr steht bei den Youth Ambassadors                                                                                                                                        der kostenlose Rechtsauskunft und
                    und «Business and Human Rights». In dieser Zeit bin ich      unter dem Motto «Klimawandel und Menschenrechte»                                                                                                                                         Vermittlung an Anwälte und Anwältinnen
                                                                                                                                                                                                                                                                          anbietet. Wer Luisa in ihrer Funktion
                    durch einen Freund auf die Robert F. Kennedy Human           und es werden wieder einen Filmwettbewerb sowie
                                                                                                                                                                                                                                                                          als Youth Ambassador für Menschen-
                    Rights Foundation aufmerksam gemacht worden, die             Podiumsdiskussionen rund um dieses Thema organisiert.                                                                                                                                    recht kontaktieren möchte, tut dies
                    junge Menschen mit Bildungsprogrammen für Menschen-          Auch Schülerinnen und Schüler der Kantonsschule Hot-                                                                                                                                     unter: luisa@rfkhumanrights.ch.
                    rechte sensibilisieren will.                                 tingen möchten wir mit diesem Projekt ansprechen.

8                                                             h info #2 2021                                                                                                                                                                                                                                            h info #2 2021                  9
Info 2 / 2021 - Engagiert über die Schule hinaus - Kantonsschule Hottingen
Menschenrechte

Weltweite Aufmerksamkeit
für chinesische
Menschenrechts­verletzungen
in Ostturkestan                                                                                                                                                                                                                                                                               «Es ist ein Stoff,
Kampfansage Chinas mit seinem autoritären System                                                                                                                                                                                                                                             aus dem Hollywood
an die liberalen-freiheitlichen Gesellschaften                                                                                                                                                                                        ausgewertet. Auf dieser Basis konnte die Zahl von                                                    Sayragul entlarvt eine kolonialistische, men-
                                                                                                                                                                                                                                      rund einer Million Internierter in den Lagern, etwa     einen packenden                        schenverachtende, auf die Bedürfnisse und den
                                                                                                                                                                                                                                      10 Prozent der uigurischen Bevölkerung, geschätzt     Polit-Thriller machen                    Machterhalt der herrschenden Kommunistischen
                                                                                                                                                                                                                                      werden. Das alles hat dazu geführt, dass die Parla-          könnte.»                          Partei zentrierte Politik, die vom Bewusstsein einer
                                                                                                                                                                                                                                      mente in den Niederlanden, Kanada und Gross-                                                   weltweit geltenden Überlegenheit des Han‑Volkes
                                                                                                                                                                                                                                      britannien das Unrecht an den Uiguren schliesslich                                             (Mehrheits‑Ethnie in China) durchdrungen ist. Ja,
                                                                                                                                                                                                                                      per Abstimmung als Genozid bezeichnet haben.                                   es entsteht das Bild einer rassistischen, kolonialistischen und im-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     perialistischen Staatsführung. Das erinnert fatal an die von China
                                                                                                                                                                                                                                             Abhängigkeit der Welt                                                   zu Recht scharf kritisierte Politik der europäischen Kolonialmäch-
                                                                                                                                                                                                                                             Was die Machthaber den Menschen in Ostturkestan und                     te, die das chinesische Volk im 19. und beginnenden 20. Jahrhun-
                                                                                                                                                                                                                                      in Tibet sowie den Andersdenkenden in Festlandchina und in                     dert auf eine abstossende Art vielfach gedemütigt und geschädigt
                                                                                                                                                                                                                                      Hongkong antun, ist keine innere Angelegenheit Chinas, wie das                 hat. Die Strategie, wie das chinesische Regime nun seinerseits die
                                                                                                                                                                                                                                      Regime immer wieder festhält, sondern betrifft uns alle. Denn                  Welt dominieren will, beschreibt Sayragul so, wie es die Behörden-
                                                                                                                                                                                                                                      Menschenrechte sind global und unteilbar und werden von China                  vertreter ihr gegenüber im Lager offenbart haben. Wir tun gut da-
                                                                                                                                                                                                                                      auch bei uns im Westen angegriffen und geschwächt: China, im                   ran, ihr zu glauben, da die Dissidentin wider Willen eine von vielen
                                                                                                                                                                                                                                      Besonderen der Parteichef und Präsident Xi Jingping, hält sein                 Zeuginnen ist und die Taten und Worte der chinesischen Regie-
                                                                                                                                                                                                                                      System der kontrollierten und disziplinierten Gesellschaft, in der             rungsvertreter unmissverständlich für sich sprechen.
                                                                                                                                                                                                                                      «Harmonie» gemäss der Schreckensvision von Aldous Huxleys
                                                                                                                                                                                                                                      «Schöner neuer Welt» herrschen soll, für dem westlichen, liberal‑frei-         Was können wir tun?
                                                                                                                                                                                                                                      heitlichen System überlegen. Die chinesische Führung setzt ihr                 Adrian Zenz ist der Ansicht, dass nur massive wirtschaftliche
                                                                                                                                                                                                                                      Herrschaftssystem nach innen mit harter Hand durch und verficht          und politische Kosten China zu einer Abschwächung seiner Re-
                                                                                                                                                                                                                                      es gleichzeitig aggressiv gegen aussen, wenn nötig mit Drohungen         pression im Innern und seiner Aggression nach aussen, namentlich
                                                                                                                                                                                                                                      und Erpressungen. Begünstigt wird dies durch die starke globale          die Ausdehnung seiner territorialen Grenzen (Brennpunkt ist die
                                                                                                                                                                                                                                      Machtstellung infolge des beispiellosen Aufstiegs zur bald domi-         angestrebte Eroberung Taiwans) führen. Er nennt den Ausschluss
                                                                                                                                                                                                                                      nierenden Wirtschaftsmacht. So ist China z. B. der drittwichtigs-        aus der UNO und anderen Gremien, also eine internationale Äch-
                                                                                                                                                                                                                                      te Handelspartner der Schweiz und gar der wichtigste Handels-            tung, wozu auch ein Boykott der Olympischen Winterspiele 2022
                                                                                                                                                                                                                                      partner Deutschlands. Ein grosser Teil der Gewinne nicht nur der         in Peking gehören würde. Ferner sollte die Schweiz die EU‑Sank-
                                                                                                                                                                                                                                      deutschen Autoindustrie waren in den letzten Jahren nur dank dem         tionen als Antwort auf die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang
                                                                                                                                                                                                                                      China‑Geschäft möglich. Die wirtschaftliche Abhängigkeit von             unterstützen und das Schweizer Parlament die Verbrechen ge-
                                                                                                                                                                                                                                      China hat viele westliche Länder dazu gebracht,                                           gen die Menschlichkeit in Ostturkestan offiziell als
                                                                                                                                                                                                                                      bei den Menschenrechtsverletzungen in Tibet, Xin-                                         Genozid einstufen. Wir alle sollten uns näher mit
                                                                                                                                                                                                                                      jiang und anderen Teilen von China wegzuschauen.             «Kaum ein Land               China beschäftigen und unsere Naivität gegenüber
                                                                                                                                                                                                                                      Kaum ein Land kann es sich leisten, sich mit Peking
                                                                                                                                                                                                                                      anzulegen. Was passiert, wenn der Zorn Chinas
                                                                                                                                                                                                                                                                                               kann es sich leisten, dem              Land ablegen: Wenn es alternative Produkte
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                zu «made in China» gibt, diese kaufen und Chinas
                                                                                                                                                                                                                                      entfacht ist, zeigt der Fall von Australien: So wur-         sich mit Peking              Auftritt in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und
                                                                                                                                                                                                                                      de beispielsweise im Mai 2020 Australiens Forde-                 anzulegen.»              Kultur hinterfragen und mit Argumenten sowie
von Daniel Aufschläger                                                                                                                                                                                                                rung nach einer unabhängigen Untersuchung zum                                             Zivilcourage den Einfluss abwehren.
                                                                                                                                                                                                                                      Ursprung des Corona-Virus mit massiven Wirt-
Sayragul Sauytbay referiert am Morgen des 11. Dezembers in der               sie später als Schuldirektorin in die Mühlen der staatlichen Um-                                                                                         schaftssanktionen beantwortet. China belegte 2020 australische
coronakonform bestuhlten Aula vor Schülerinnen und Schülern                  erziehungskampagnen und wurde schliesslich als Lehrerin für                                                                                              Einfuhren von Wein über Holz und Kohle bis zu Hummer mit Ein-
der Kantonsschule Hottingen eindringlich über das unermessliche              einige Monate in einem Lager interniert. Heute kann sie aus dem                                                                                          fuhrrestriktionen. Das ist für Australien eine Herausforderung, denn
Leid ihrer Landsleute in Xinjiang (deutsch: «neue Gebiete») – oder           sicheren Asyl in Schweden, wo ihr und ihrer Familie nach ihrer                                                                                           40 Prozent der australischen Exporte gehen nach China, und jeder
in ihrer präferierten Wortwahl Ostturkestan. Die kleine Frau, die            abenteuerlichen Flucht nach Kasachstan Aufnahme gewährt wur-                                                                                             13. Arbeitsplatz hängt vom Geschäft mit China ab.
grosse gesundheitliche Entbehrungen erlitt und ihre belastende               de, über ihre schlimmen Erfahrungen berichten. Es ist ein Stoff,                                                                                                Einzig die USA stellen sich als liberaler Systemrivale gegen
Geschichte bei jedem Vortrag wieder schmerzhaft durchlebt, wirkt             aus dem Hollywood einen packenden Polit-Thriller machen könn-                                                                                            China, sind aber für eine wirkungsvolle Politik gegenüber China
dabei alles andere als müde. Sie strahlt im persönlichen Gespräch            te. Nur wird das nicht geschehen, denn dies würde den Zorn der                                                                                           zu schwach, zumal auch die USA wirtschaftlich in einem erhebli-
keinen Hass aus, sondern viel menschliche Wärme und Anteilnah-               Machthaber in China erregen. Das kann sich nicht einmal Holly-                                                                                           chen Ausmass von China abhängig ist. Nach der
                                                                                                                                                   FOTOS : EN D ILI MEME T K ER IM, D ER PR ÄSID EN T D ER UIGUR EN IN D ER SCHWEIZ

me. Zehn Jahre zuvor erlebten wir in der Aula den kraftvollen Auf-           wood erlauben, denn die Filmbranche ist stark abhängig vom                                                                                               Zeit der Alleingänge von Donald Trump sucht die
tritt der uigurischen Freiheitskämpferin Rebyia Kadeer, die einen            China-Geschäft.                                                                                                                                          Regierung Biden nun Verbündete in Europa und                 «Wir alle sollten
ähnlichen Leidensweg hinter sich hat.                                                                                                                                                                                                 Asien. Erste Erfolge geben einen Funken Hoffnung:             uns näher mit
       Sie berichtet von ihrem Sohn, dem die Kindergärtnerin den                   Genozid in Ostturkestan                                                                                                                            So wurden die kürzlich gegen China verhängten,
Mund zugeklebt hatte, damit er nicht in seiner Muttersprache                       Sayragul hat mit ihren Aussagen vor verschiedenen Par-                                                                                             recht bescheidenen Sanktionen der EU infolge der
                                                                                                                                                                                                                                                                                                China beschäftigen
redete. Sie spricht von ihren Erlebnissen in den Umerziehungs-               laments‑ und UN‑Ausschüssen dazu beigetragen, dass Chinas                                                                                                Unterdrückung in Ostturkestan mit den USA ab-              und unsere Naivi-
lagern, die von China schönfärberisch «Berufsbildungszentren»                Menschenrechtsverletzungen in Ostturkestan und in Tibet, aber                                                                                            gestimmt. Die Schweiz steht als «neutraler» Staat         tät   gegenüber dem
genannt werden: Da wird eine Frau vor versammelten Insassinnen               auch in anderen Teilen von China zu einem grossen Thema ge-                                                                                              daneben, muss sich aber bald entscheiden, zu                  Land ablegen.»
und Insassen von Gefängnispersonal vergewaltigt und Folteropfer              worden sind. Neben den Aussagen von Sayragul gibt es noch                                                                                                welcher Koalition sie gehört. China sieht den Schul-
werden an einer Stange aufgehängt in verschmutztem Wasser bis                andere Quellen. Die Beweise für die Menschenrechtsverletzungen                                                                                           terschluss nicht gerne, protestierte lauthals und
unters Kinn … Die Unterbringung spricht einer menschlichen                   in Ostturkestan sind breit abgestützt. Es gibt verschiedene Einzel-                                                                                      verhängte seinerseits Sanktionen. Zudem kanzelte der chinesische
Behandlung Hohn: Ungenügende Nahrung und Liegen auf einem                    zeugen sowie interne Behördenpapiere, die eine systematische                                                                                             Botschafter in Bern die Schweiz wegen der im April 2021 veröf-
Betonboden in ungeheizten Zellen. Die noch nicht 50‑Jährige hat              Gehirnwäsche von Hunderttausenden von Uiguren belegen. Auch                                                                                              fentlichten neuen China‑Strategie ab. Diese enthält zwar eine
denn auch vor lauter Rheuma Mühe, Treppen zu steigen und ist                 die Forschungsarbeiten des in den USA arbeitenden Sozialwissen-                                                                                          nüchterne und treffende Analyse, sieht aber auf der Handlungs-
auf einen Handlauf angewiesen. Die zur Volksgruppe der Kasachen              schaftlers Adrian Zenz, der 2018 eine wegweisende Studie publi-                                                                                          ebene eher zahnlose Massnahmen vor. Die Stossrichtung ist klar:                     Daniel Aufschläger
gehörige Sayragul Sauytbay schildert ihren Lebenslauf, der einen             zierte, belegen die Existenz der Umerziehungslager für ethnische                                                                                         Wir schätzen zwar die Menschenrechtslage in China nicht, aber                       Präsident der Schulkommission der Kantonsschule Hottingen,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Vorstandsmitglied im Verein Kulturzentrum Tibet Songtsen House,
vielversprechenden Anfang nahm mit der Ausbildung zur Ärztin,                Minderheiten in Ostturkestan. Adrian Zenz hat dazu in minutiö-                                                                                           das Geschäft ist uns dann doch wichtiger. Die offizielle Schweiz                    engagiert sich seit Jahren für die Menschenrechte in Tibet,
der Heirat ihres Wunschpartners und später zwei Kindern. Wie in              ser Kleinarbeit öffentliche chinesische Quellen wie Rechtstexte,                                                                                         fürchtet sich vor dem Zorn Chinas und einschneidenden Sanktio-                      Ostturkestan und China
ihrem Buch «Die Kronzeugin» (Europa-Verlag) geschildert, geriet              Bau- und Stellenausschreibungen, aber auch Satellitenaufnahmen                                                                                           nen, die Schweizer Unternehmen treffen könnten.

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Info 2 / 2021 - Engagiert über die Schule hinaus - Kantonsschule Hottingen
Bildnerisches Gestalten

Ästhetik des Alltäglichen
Eine Arbeit von Valentina Kotas (G4a)

12                                      h info #2 2021   h info #2 2021   13
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Maturitätsaufsatz

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    bedacht und legte ihm die Scheine in einem                 Während dieser Tage kämpfte der Fischer
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Umschlag vor den Frachter. Trotzdem tauchte         wie einige Stadtbewohner um sein Leben. Die
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    er eines Morgens auf: «Wir brauchen Medika-         wenigen übrig gebliebenen Möhren hatte er
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    mente, Fischer, Medikamente!» rief er. «Sie sind    bereits verzehrt, von den rohen Kartoffeln be-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    der Einzige, der uns diese zu einem vernünf-        kam er Bauchkrämpfe. Er wusste, dass sein
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    tigen Preis besorgen kann. Kommen Sie ab            Ende nahte. Er dachte an seine Frau und seinen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    jetzt dreimal die Woche! Ich zähle auf Sie, mein    Sohn. Den Umschlag mit den Scheinen indes
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Lieber!»                                            hatte er längst vergessen.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Dass der Fischer nicht der einzige Waren-           Es war in dieser Nacht, als erneut ein
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    lieferant hätte sein müssen, verschwieg der         Sturm aufkam. Der Fischer erwachte aus sei-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Bürgermeister. Für ihn war er nämlich der mit       nem Zustand, als ein Regentropfen jäh seine
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Abstand billigste Bote. So korrumpierte der         Stirn nässte. Er wusste, er war noch nicht tot.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Bürgermeister seine Frachtzufuhr und wälzte         Der Wind brauste immer stärker, der Regen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    die Warenlieferungen einzig und allein auf den      prasselte in Riesentropfen auf ihn nieder und
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Fischer um, der in des Bürgermeisters Augen         es stürmte, wie es noch nie zuvor gestürmt
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    so dumm war, jedes Mal für ein paar Scheine,        hatte. Donner grollte und Blitze schlugen in
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    ein Geschäft einzugehen. Doch störte das den        Bäume ein. Sie machten die Nacht zum Tag.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Bürgermeister nicht. Schliesslich verdiente er      Und da waren sie wieder, die Worte des Windes.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    sich mit der Dummheit des Fischers, die eigent-     Zuerst vernahm er nur unklare Laute und ur-

Vom
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    lich Gutgläubigkeit war, eine goldene Nase.         plötzlich deutlich gesprochene Worte: «Fischer!
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Aber auch der Fischer war dem Geld längst           Du wolltest mehr, als dir zusteht. Getrieben von
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    verfallen. Seine Familie sah er immer seltener.     der Gier vergassest du, wer du einmal warst.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Auf die «Immergern» folgte die «Immermeer».         Verstehe diese Warnung, Fischer! Du wirst wie-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           In einer der folgenden Nächte ging ein       der leben und lieben können, befällt dich die

Fischer
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    starker Wind und vereinzelt waren bereits Trop-     Gier jedoch ein zweites Mal, erwachst du nicht
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    fen zu spüren. Der Kapitän der «Immergrün»          mehr.» Der Fischer schreckte auf, die Warnung
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    hätte sich nicht auf den Weg gemacht, aber          ging ihm durch Mark und Bein. Die Regentrop-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    derjenige der «Immermeer» stach in See. Ihm         fen wurden kleiner, dünnten sich aus, schliess-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    hätte mulmig zu Mute sein müssen, als er in         lich liess der Regen nach. Der Fischer dachte

und dem
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    den schmalen Kanal einbog, der zur Bürger-          an seine Frau, seinen Sohn und es war ihm, als
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    meisterstadt führte, aber er sah bereits den        sähe er seine Rettung am Horizont nahen.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Umschlag mit den Scheinen vor sich und leg-                Auch in der Stadt des Bürgermeisters
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    te noch ein paar Knoten drauf. Was jetzt pas-       wütete der Sturm erneut. Er lag frierend in
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    sierte, kam nicht unverhofft. Der Wind, der         seinem goldenen Bett. Der Wind drückte die

Bürgermeister
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    einem die Gischt um die Ohren blies, und der        Fenster auf und füllte das Zimmer mit eisiger
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Regen, der auf die Fracht peitschte, brachten       Luft. «Bürgermeister! Du wolltest mehr, als dir
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    das Schiff zum Drehen, bis es im Kanal fest-        zusteht. Dein unersättliches Verlangen nach
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    steckte. Der Fischer konnte sich nur mit Müh        Reichtum und Macht führte zum Tode deiner
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    und Not auf dem Bug halten und verletzte sich,      Bürger. Höre diese Warnung, Bürgermeister!
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    als er seinen Kopf an einem Perlcontainer           Du wirst leben und mit dir deine Stadt. Lässt
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    stiess. Einige Container kippten, die Waren         du dich allerdings ein zweites Mal in Versu-
     von Aurelio Haller                                                                                                                                                                                                                                                                                             fielen über Bord und der Fischer, von einem         chung führen, so erlöse ich dich nicht von dem
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Schlag getroffen, fiel in Ohnmacht. In seinen       Bösen und dein Ort wird mit dir und allen Be-

     W       ie jede Woche löste der Fischer das
             Schiffstau vom Quai und tuckerte los,
             um seine Waren auszuliefern. Wie jede
                                                         Stadt soll grösser und moderner werden, wir
                                                         expandieren und unsere Tiere brauchen Futter.
                                                         Treibstoff, Sie wissen schon, dass die Karren
                                                                                                            Edel auf Ihr Blech. Sie wissen ja, dass dabei
                                                                                                            auch etwas für Sie rausspringt.» Wieder hielt
                                                                                                            er ihm die Hand zum Einschlagen hin. Und
                                                                                                                                                                                                                                                                         Aufgabenstellung:
                                                                                                                                                                                                                                                                         Schreiben Sie – ausgehend von
                                                                                                                                                                                                                                                                         dieser Pressefotografie –
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Träumen formte der Wind Worte, die er nicht
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    verstand, gerade so als lausche er einer Spra-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    che, die er nicht kannte.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        wohnern nicht den Tag auf die Nacht folgen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        sehen.» Der Bürgermeister jedoch wähnte sich
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        in einem Fiebertraum und hatte die Windswor-
             Woche winkte er seiner Frau und seinem      so richtig mit Dampf gezogen werden können.        wieder tat der Fischer, wie von ihm erwartet.                                                                                                                einen Essay oder eine Erzählung.                  Im Dorf des Bürgermeisters schlug es         te am nächsten Morgen bereits wieder verges-
     Sohn zum Abschied. Und wie jede Woche freu-         Das Futter aus Ihrem Ort sei das beste der Welt,          So ging es die nächsten Wochen. Immer                                                                                                                                                            dreizehn, als der Fischer erwachte. Man hatte       sen.
     te er sich auf seine Arbeit. Sein Weg führte ihn    sagt man. Und ganz unter uns: Natürlich läge       mehr und Grösseres verlangte der Bürgermeis-                                                                                                                                                            lange auf seine Ankunft gewartet, doch er kam              Der Fischer kam nicht mehr. Einige Wo-
     über seichte Gewässer, über einen schmalen          auch etwas für Sie drin.» Mit einem Augen-         ter und der Fischer tat, wie geheissen. Legte                                                                                                                                                           nicht. Auch in der kleinen Stadt hatte es wäh-      chen später indes machte sich ein neuer
     Kanal in eine kleine Stadt, die er belieferte. An   zwinkern streckte der Bürgermeister ihm die        er in der kleinen Stadt an, kamen Männer, die                                                                                                                                                           rend jener Nacht heftig gestürmt und noch im-       Fischer daran, seine Waren am Hafen aus-
     Bord seines kleinen Schiffes, der «Immergrün»,      Hand hin. Der Fischer schlug ein. Er wusste        ihm seine Waren abnahmen. Jetzt auch die                                                                                                                                                                mer ging ein starker Wind. Die Annahme, der         zubreiten, als man einen Mann um die Ecke
     transportierte er, was die Dorfbewohner in ih-      nicht, ob er anders gekonnt hätte. Der Bürger-     Kartoffeln, Möhren, das Getreide und Mehl.                                                                                                                                                              Fischer sei verunglückt, kam also nicht von         schlendern sah.
     rem Alltag so brauchten: Kartoffeln, Möhren,        meister verabschiedete sich mit einem gönner-      Den kleinen Marktstand gab es nicht mehr. Den                                                                                                                                                           Ungefähr. Man schickte Späher und bald dar-
     Getreide und Mehl. In der kleinen Stadt moch-       haften Klaps auf die Schulter, ein Liedchen        Fischer störte das kaum, dass er keinen Kon-                                                                                                                                                            auf Rettungsschiffe, die die Verankerung lösen
     te man den Fischer. Hatte er erst einmal an-        falsch pfeifend.                                   takt mehr zu seinen Kunden pflegte, da jedes                                                                                                                                                            und den Fischer aus der misslichen Lage be-
     gelegt und seine Ware an einem kleinen Markt-              In der darauffolgenden Woche sah man        Mal von Neuem der Bürgermeister daher fla-                                                                                                                                                              freien sollten. Die «Immermeer» konnte aber
                                                                                                                                                                                                                                                                         Das querliegende Containerschiff
     stand am Hafen ausgestellt, kamen die Leute,        also den Fischer in seinem Hafen ablegen, mit      niert kam, um ihm ein neues Angebot zu ma-                                                                                                                   im Suezkanal                               auch nach Tagen nicht auf Kurs gebracht wer-
     schauten, rochen, nahmen die Waren prüfend          grösserer Ladung als üblich. Er winkte seiner      chen. So kassierte der Fischer jede Woche                                                                                                                    Ende März 2021 ist das mit 13’800          den. Die lebenswichtigen Medikamente und
     in die Hand und unterhielten sich. So ging es       Frau und seinem Sohn. In der kleinen Stadt         grössere Scheine. Scheine, die unbewusst sei-                                                                                                                Containern beladene Schiff «Evergreen»     die Güter für den täglichen Bedarf blieben aus.
                                                                                                                                                                                                                                                                         im Suezkanal auf Grund gelaufen.
     den ganzen Tag, bis nichts mehr übrig war.          angekommen, warteten überraschenderweise           ne Sinne trübten. Nach dem siebten Angebot                                                                                                                   Mit mehreren Baggern an Land und zehn
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Erst da begriff der Bürgermeister die Fra-
     Auch an diesem Tag.                                 zwei starke Männer, die ihn drängten, das Fut-     des Bürgermeisters erwähnte der Fischer, dass                                                                                                                Schleppern auf dem Wasser gelang           gilität seines selbst errichteten Systems. Die
            Der Fischer, zufrieden mit dem Geschäft      ter direkt abzugeben. Der Fischer tat wie be-      ihm sein Boot zu klein werde. Die Waren hätten                                                                                                               es der Kanalbehörde nach Tagen, das        Versorgung der Stadt über diesen einen Kanal
     und erfreut über die Begegnungen, packte sei-       fohlen und machte sich dann daran, die ande-       keinen Platz mehr auf der kleinen Fläche. «Kein                                                                                                              Frachtschiff zu befreien. Das Unglück      sicherzustellen, füllte zwar seine Brieftasche,
                                                                                                                                                                                                                                                                         hat weltweit Lieferketten durcheinander-
     ne Sachen zusammen und wollte sich gerade           ren Güter wie üblich auszulegen. Die Leute         Problem, mein Herr, ich besorge Ihnen ein neu-                                                                                                               gebracht.                                  aber mit dem erwirtschafteten Geld konnte er
     zum Gehen wenden, als der Bürgermeister ihm         kamen, schauten und kauften. Als die gesam-        es, grösseres Schiff», versprach der Bürger-                                                                                                                                                            nicht für die toten Seelen seiner Stadt bezahlen.
     entgegen kam, ganz im Anschein, mit dem             te Ware verkauft war, schlenderte wiederum         meister. «Allerdings unter einer Bedingung: Ab                                                                                                                                                          Die Güter wurden rar und als die Bürger ihre
     Fischer etwas besprechen zu wollen. «Herr           der Bürgermeister auf ihn zu, wiederholt ein       jetzt kommen Sie zweimal die Woche. Der Fi-                                                                                                                                                             Misere begriffen, brach Panik aus. Man hams-
                                                                                                                                                                                                               FOTO : K E YSTO N E /A P/SUE Z CA N A L AU T H O R IT Y

     Fischer!», rief der Bürgermeister noch im Ge-       schelmisches Grinsen in den Mundwinkeln und        scher willigte ein und eine Woche später war                                                                                                                                                            terte, was er noch zu hamstern gab, und zog
     hen. «Geben Sie mir eine Sekunde!» Der Fi-          Scheine in der Hand. «Sieh an, sieh an! Der        er stolzer Besitzer der «Immergern», einem                                                                                                                                                              sich mit der Familie zurück. Geld war nichts
                                                                                                                                                                  FOTO : A N D R E A AST ES / ISTO CK PH OTO

     scher wartete. «Monsieur, was wäre die Stadt        Treibstoffbote! Mit Ihrer Hilfe werden wir diese   kleinen Frachtschiff mit dem doppelten Fracht-                                                                                                                                                          mehr wert, da man alles für einen Laib Brot
     ohne Sie? Sie, der die Waren so frisch und von      Stadt wieder grossartig machen!» Und mit die-      volumen der «Immergrün».                                                                                                                                                                                gezahlt hätte, aber niemand verkaufen wollte.
     höchster Qualität ausliefert.» Man erkannte ein     sen Worten drückte er dem Fischer die Schei-              Etwa zu dieser Zeit war es, als in der klei-                                                                                                                                                     So blieb auch der Bürgermeister nicht vor der
     verkniffenes Lächeln im Gesicht des Bürger-         ne in die Hand. «Ich hätte da noch eine kleine     nen Stadt des Bürgermeisters eine Seuche                                                                                                                                                                Plage geschützt. Zwar hatte er mehr Waren im                                   Aurelio Haller
     meisters und ein Blitzen in seinen Augen, der       Bitte, wenn es Ihnen nichts ausmacht. In dieser    ausbrach. Viele Menschen wurden krank, die                                                                                                                                                              Lager als seine Mitbürger, verfiel jedoch trotz-                               ehem. G4e

     Fischer wurde verlegen. «Ich will Ihnen ein         Stadt fehlt es an Schmuck, sie soll glänzen. Ich   Älteren starben. Der Fischer lieferte weiter fleis-                                                                                                                                                     dem in Panik, ging von Tür zu Tür, verlangte,
     Angebot machen. Da, wie ich sehe, Sie noch          kenne jemanden in Ihrem Ort. Es heisst, er sei     sig seine Waren aus, immer gierig auf die Schei-                                                                                                                                                        dass man ihm öffne und einen Fünftel des Vor-
     Platz auf Ihrem Kutter haben, möchte ich Sie        der Beste, wenn es um Schmuck gehe … La-           ne des Bürgermeisters wartend. In jenen Ta-                                                                                                                                                             rats abgebe, schliesslich sei er der Bürger-
     bitten, uns einen kleinen Gefallen zu tun. Die      den Sie doch nächstes Mal noch ein bisschen        gen war der Bürgermeister jedoch auf Abstand                                                                                                                                                            meister. Aber es öffnete niemand.

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Info 2 / 2021 - Engagiert über die Schule hinaus - Kantonsschule Hottingen
Rund um die Schule

Wie durch Wille
Taten werden
Wir kamen, sahen und halfen.

             von Mrittika Sadmin und Eya Takrouni                                                                                                                                                                           «Eya und Mrittika leben unsere          «Eya und Mrittika haben von Anfang an
                                                                                                                                                                                                                             KSH‑Werte vorbildlich: Menschlich-     ein grosses Interesse an Fragen der

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                                                                                                                                                                                                                             keit, Hilfsbereitschaft und die        Entwicklungszusammenarbeit gezeigt.
                                 Diese Zahl steht für die Anzahl       einzelnen Dörfer in Durgapur und sprach mit den Anwoh-                       wonnener Partner. Zusammen mit seinen Freiwilligen
                                                                                                                                                                                                                             Übernahme von verantwortungs-          Auch haben sie früh angedeutet, dass
                                 Familien, die wir dank unseres Pro-   nern über ihre Lage während der Covid‑19‑Pandemie.                           hat er die von uns vorgegebenen Nahrungsmittel                           vollen Aufgaben in der Gesell-         sie sehr gerne einmal selber ein Projekt
                                 jektes in Bangladesch durch eine      Er machte Fotos und auch Videos, damit wir das Prob-                         und Hygieneartikel besorgt und sie in Taschen gefüllt.                   schaft. Das Projekt erfüllt zudem      planen und umsetzen möchten. Das
                                 schwere Zeit gebracht haben. Unser    lem dort besser einschätzen konnten. In diesen Auf-                          Ein von ihm organisierter Lastwagen übernahm den                         alle bildungspolitischen Schlag-       ist eine grosse und komplexe Aufgabe,
                                                                                                                                                                                                                             worte der Gegenwart: Interdiszipli-    und es hat mich sehr gefreut, dass
             Ziel war es, bedürftigen Menschen in der Stadt Durga-     nahmen sahen wir, wie schlecht es den Leuten wirklich                        Transport der Güter und der Freiwilligen. Ein Schulhaus                  narität, Handlungs‑ und trans-         sie sich an ein eigenes Projekt wagen
             pur im Westen Bangladeschs während der weltweiten         ging und wir erfuhren auch von verschiedenen Be-                             hatte sich dazu bereit erklärt, uns den Pausenhof                        versale Kompetenzorientierung          wollten.
             Coronakrise zu helfen und ihnen in der schwierigen        wohnern, dass sie kaum bis keine Hilfe vom Staat oder                        zur Verfügung zu stellen. Dort wurde die Verteilungs-                    sowie Digitalität und zeichnet            Als wir uns nach dem Freifachkurs
                                                                                                                                                                                                                             sich ferner durch interkulturelle      einmal getroffen haben, haben wir ge-
             Situation, in der sich das Entwicklungsland Bangla-       anderen Hilfsorganisationen bekamen. Sie waren                               aktion unter Corona‑Massnahmen durchgeführt.
                                                                                                                                                                                                                             Kompetenz und gelungenes               meinsam Ideen gewälzt, wie man in
             desch befand, unter die Arme zu greifen. Durch die        komplett auf sich allein gestellt und vor allem die älteren                  Dadurch konnten wir 185 Familien unterstützen.                           Projektmanagement aus – vor            Bangladesch oder Tunesien helfen könnte.
             aufgrund des landesweiten Lockdowns eingeschränk-         Menschen, die nicht mehr arbeiten konnten und auch                                  Das Gefühl, das wir hatten, als wir erfahren haben,               allem aber sind Mrittika und           Wir haben über Kleider, Nahrungsmittel
             ten Möglichkeiten hatte sich die Situation für die be-    keine Pension hatten, waren mit der neuen Herausfor-                         dass es tatsächlich geklappt hat, war unbeschreib-                       Eya beste Botschafterinnen unser       oder Bücher diskutiert. Es war sehr schön,
                                                                                                                                                                                                                             Schule und Hoffnung für Men-           ihren Enthusiasmus zu spüren. Ich stand
             reits schlecht gestellten Tagelöhner noch einmal dras-    derung überfordert. Wir hatten also genau den Ort                            lich. All diese Video‑ und Fotoaufnahmen haben uns                       schen in nicht privilegierten Regio-   den beiden gerne zur Verfügung, aber ei-
             tisch verschlimmert. Da kam unsere Idee, Essens-          gefunden, den wir gesucht hatten.                                            überglücklich gemacht. Denn auf den Gesichtern,                          nen der Welt. Macht weiter so          gentlich haben sie alles selber geplant
             pakete zu verteilen, um die Menschen so einen Monat             Obwohl das Freifach bereits beendet war, unter-                        auf denen einst Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung                     – vielen Dank!»                         und realisiert. Sie haben ein Gespür dafür,
             lang mit dem Nötigsten zu versorgen, genau richtig.       stützte uns Pietro Tomasini mit Tipps und seiner gros-                       gelegen hatte, lag jetzt ein Lächeln. Das Wissen,                                                               was es braucht und wie man ein Projekt
                                                                                                                                                                                                                           — Stephan Amstutz, Prorektor             anpackt. Beim Fundraising konnte ich viel-
                    Im Frühlingssemester 2020 hatten wir beide das     sen Erfahrung. Nicht nur hat er sich Zeit für uns genom-                     dass diese Menschen sich für einen Monat nicht um                                                               leicht noch den einen oder anderen Tipp
             Freifach Entwicklungszusammenarbeit bei Pietro            men und all unsere Fragen beantwortet, sondern uns                           die nächste Mahlzeit sorgen müssen, ist ein Erfolg                                                              geben.
             Tomasini besucht. Im Unterricht sprachen wir oft über     auch bei Recherchen geholfen.                                                für uns wie auch für die Spenderinnen und Spender.                                                                 Das Projekt in Bangladesch war ein
                                                                                                                                                                                                                                                                    sehr gelungener Start, aber ich traue den
             das Ungleichgewicht und die Ungerechtigkeit auf                 Um unserem Ziel näher zu kommen und das                                Dies macht uns sehr stolz auf unser erstes kleines
                                                                                                                                                                                                                                                                    beiden noch viele weitere Projekte zu.
             der Welt. Dabei wurde uns immer mehr bewusst, wie         Projekt ins Rollen zu bringen, mussten wir mit der Pla-                      gelungenes Projekt und motiviert uns weiterzumachen.                                                            Denn sie gehen die Projektarbeit umsich-
             gut es uns hier in der Schweiz geht. Meistens gingen      nung anfangen und uns eine Strategie überlegen, um                                  Im Sommer 2020 haben wir mit «Venire, Videre,                                                            tig an, planen vorsichtig und haben
             alle Schülerinnen und Schüler mit einem schlechten        das benötigte Geld zu sammeln. Unser erster Gedanke                          Iuvare» (VVI) unsere eigene Entwicklungshilfeorganisa-                                                          grosse Freude an dem, was sie tun. Sie
                                                                                                                                                                                                                                                                    nehmen Ratschläge an und setzen die
             Gewissen nach Hause. Dieses schlechte Gewissen            war ein Kuchenverkauf oder dergleichen. Aber da in                           tion gegründet und einen ersten Schritt in der Welt                                                             Tipps gut um. Das sind die besten Voraus-
             hat uns dazu bewogen, im Bereich der Entwicklungs-        der Schweiz keine Versammlung von Leuten erlaubt war                         der Hilfsorganisationen gemacht. Wir haben schon                                                                setzungen. Ich wünsche den beiden,
             zusammenarbeit tätig zu werden. Wir wollten nicht         und wir durch die BAG‑Massnahmen eingeschränkt                               mehrere Ideen gesammelt, die wir gerne umsetzen                                                                 dass sie für ihre Projekte auch die nötige
                                                                                                                                                                                                                                                                    Unterstützung finden.»
             mehr nur zuschauen, sondern handeln und selber etwas      waren, mussten wir uns eine Alternative ausdenken. Weil                      würden und blicken mit Zuversicht in die Zukunft von
             bewirken. Im Freifachunterricht wurde uns beige-          Kirchen, Moscheen oder Synagogen in der Schweiz                              VVI. Auf unserer Website www.vviuvare.ch sind                                                                   — Pietro Tomasini, Gymnasiallehrer
             bracht, wie man ein solches Projekt richtig plant und     häufig Spenden für solche Projekte sammeln, kamen wir                        weitere Informationen zu unserer Organisation sowie                                                             und Geschäftsleiter von International
             worauf man achten muss. Dank dem Freifach erhiel-         auf die Idee, dort unser Projekt vorzustellen. Eine an-                      zu unserem Projekt in Bangladesch zu finden. Wer                                                                 Project Aid
             ten wir einen wichtigen Einblick in die Entwicklungs-     dere Einnahmequelle waren Familien und Freunde, die                          uns bei unseren weiteren Projekten unterstützen möch-
             zusammenarbeit.                                           uns mit ihrem Beitrag halfen, unser Projekt auf die Bei-                     te, findet dort die Möglichkeit, dies zu tun.
                    Damit wir die Situation in Durgapur besser ver-    ne zu stellen. Als im Sommer die Corona‑Massnahmen
             stehen und eine gute Lösung für das Problem finden        gelockert wurden, bot uns ausserdem eine gute Freun-
             konnten, mussten wir uns zuerst einen Überblick über      din aus der Schule an, uns mit Strassenmusik zu helfen,
             die Lage verschaffen. Um mehr Informationen zu            weiteres Geld zu sammeln.
             bekommen, nahmen wir Kontakt mit einem lokalen Pro-             Nachdem wir Ende Sommer genug Geld für das
             fessor der Universität Rajshahi auf, der ein Freund       Projekt zusammen hatten, war es an der Zeit die Essens-                                                                                                                                                         Eya Takrouni
             der Familie war. Er machte uns auf das Dorf Durgapur      pakete an die Bewohner Durgapurs zu organisieren. Wir                                                                                                                                                           Mrittika Sadmin
                                                                                                                                                                                                                                                                                       G4d
             aufmerksam. Begeistert von unserer Idee, bot Na-          erstellten eine Liste mit allen nötigen Dingen. Ursprüng-
                                                                                                                                     FOTOS : Z VG

             hidul Islam uns seine Hilfe an und erklärte sich dazu     lich hatten wir geplant, 100 Familien zu unterstützen.
             bereit, uns vor Ort zu vertreten und bei unserem          Nun merkten wir, dass unser Geld für mehr reichen wür-
             Vorhaben zu unterstützen. Daraufhin ging er in die        de. Die Organisation vor Ort übernahm unser neu ge-

16                                                             h info #2 2021                                                                                                                                    h info #2 2021                                                                             17
Info 2 / 2021 - Engagiert über die Schule hinaus - Kantonsschule Hottingen
Maturitätsaufsatz

Erwartungen
an die Jugend                                                                                                                                                                                  Der bei Google 2019
                                                                                                                                                                                               am häufigsten gesuchte
von Noah Niebergall                                                                                                                                                                            Begriff lautet «mental
                                                                                                                                                                                               health».
Die Corona-Pandemie war und ist für uns
alle eine schwierige Zeit. Und doch merken
wir mit steigenden Impfzahlen und sinken-
den Todesfällen, dass sie sich langsam dem
Ende neigt. Dies gibt uns als Gesellschaft
die Möglichkeit, auf die letzten eineinhalb
Jahre zurückzublicken und unser Handeln
zu reflektieren.
       Mir persönlich wurden verschiedene                                                                                                                                                                                            Und so gerne wir
erschreckende gesellschaftliche Probleme
vor Augen geführt:
                                                                                        Die Jugendlichen                                                                                                                             auch unsere Probleme
   —	Rechtsextremismus ist so verbreitet                                               sind sowieso                                                                                                                                 selber lösen würden,
       wie nie zuvor.                                                                   noch viel zu jung,                                                                                                                           hier kommen wir
   —	Der Grat zwischen Meinung und                                                     um so komplexe                                                                                                                               an unsere Grenzen.
       wissenschaftlichem Fakt verschwin-                                               Themen wie Klima                                                                                                                             Wir sind auf die Hilfe
       det. Die eigenen Ansichten können                                                und Wirtschaft                                                                                                                               der Erwachsenen
       als universelle Wahrheiten dargestellt
       werden.
                                                                                        zu verstehen.                                                                                                                                angewiesen.
   —	Die für mich jedoch wichtigste und
       gleichzeitig deprimierendste Erkenntnis
       ist, dass sowohl Erwachsene, also
       Eltern oder Lehrpersonen, als auch         Ein weiteres Problem ist, dass die Erwach-       Die für mich und einen Grossteil meiner Gene-                                                                                          Man kann viel darüber spekulieren, welche
       Politiker keine Ahnung haben, wie          senen oftmals der Ansicht sind, sie wüssten      ration jedoch mit Abstand verletzendste                                                                                                Faktoren dafür verantwortlich sind. Ein Grund
       es der Jugend geht.                        es besser als die Jugendlichen. Alter macht      Erwartung und Ansicht der Erwachsenen ist,                                                                                             könnte Social Media sein und die dadurch
Mit dieser letzten Erkenntnis bin ich nicht       bekanntlich weise. Hier kommt das Stichwort      dass es uns so gut geht wie noch nie und                                                                                               ausgelöste allgegenwärtige Angst davor, nicht
allein. Der Kinder- und Jugendpsychiater          Klimawandel ins Spiel. Das Klima verändert       wir uns dessen nicht einmal bewusst, also                                                                                              schön, klug, schlank oder interessant genug
Leonhard Funk kritisiert im Interview mit dem     sich, das ist wissenschaftlich bewiesen. Glet-   dafür auch nicht dankbar sind. Diese Mei-                                                                                              zu sein. Vielleicht sind wir aber auch einfach
«Magazin» die rücksichtslose Politik der          scher schmelzen, Waldbrände toben welt-          nung ist der Höhepunkt der Ignoranz und                                                                                                durch unseren Wohlstand verweichlicht und
Regierung, aber auch den Umgang der Er-           weit, täglich sterben 10 Arten aus. Und obwohl   der Verblendung der Erwachsenen. Ohne                                                                                                  sind nicht mehr in der Lage, die Erwartungen
wachsenen mit den Jugendlichen im Allge-          Jugendliche aus aller Welt auf die Strassen      Zweifel, wir sterben nicht mehr an einer ge-                                                                                           anderer zu erfüllen und selber Verantwortung
meinen. Dies möchte ich im Folgenden an-          gehen und demonstrieren, ist ein Grossteil der   wöhnlichen Grippe, müssen weder in den                                                                                                 zu übernehmen. Die Suche nach einer solchen
hand verschiedener Beispiele verstärken.          Erwachsenen der Ansicht, nichts tun zu           Krieg ziehen noch bei unseren Eltern auf dem                                                                                           Ursache ändert jedoch nichts an der Tat-
                                                  müssen. Wieso sollten sie auch? In fünfzig       Acker arbeiten. Und doch ist die Jugend                                                                                                sache, dass es uns als Bevölkerungsgruppe
Das akuteste Beispiel ist der Umgang mit der      Jahren werden die meisten ohnehin nicht          von heute eine traurige.                                                                                                               schlecht geht. Was wir jedoch durchaus
Corona-Pandemie. Um Risikogruppen zu              mehr auf dieser Erde weilen. Und abgesehen             Kinder- und Jugendpsychologen sowie                                                                                              ändern können, ist der Umgang mit solchen
schützen, griff der Bundesrat zu drastischen      davon sind die Jugendlichen sowieso noch         Psychiater kommen an ihre Kapazitäts-                                                                                                  Problemen. Und so gerne wir auch unsere
Massnahmen, in der Hoffnung, alle würden          viel zu jung, um so komplexe Themen wie Kli-     grenzen. Der bei Google 2019 am häufigsten                                                                                             Probleme selber lösen würden, hier kommen
sich diszipliniert an die verhängten Regeln       ma und Wirtschaft zu verstehen. Auf eine         gesuchte Begriff lautet «mental health».                                                                                               wir an unsere Grenzen. Wir sind auf die
und Verordnungen halten. Die Schliessung          gewisse Art und Weise ist der Klimawandel        Suizid ist in Europa und den USA die zweit-                                                                                            Hilfe der Erwachsenen angewiesen. Anstatt
der Schulen, Bars und Freizeiteinrichtungen       der Corona-Pandemie erstaunlich ähnlich.         häufigste Todesursache bei Jugendlichen                                                                                                Depressionen, Angststörungen und andere
hatte jedoch massive Auswirkungen auf             Der einzige Unterschied liegt darin, nicht die   zwischen 15 und 24 Jahren. Psychische Er-                                                                                              Krankheiten totzuschweigen, gilt es, einen of-
die mentale Gesundheit der Gesellschaft,          Alten, sondern die Jungen zu schützen,           krankungen wurden zu einer globalen                                                                                                    fenen Diskurs zu halten und allem voran
im Speziellen jedoch auf die der Kinder           die die Auswirkungen des Klimawandels noch       Pandemie.                                                                                                                              den Mitmenschen zuzuhören.
und Jugendlichen.                                 miterleben werden.
      Eine Umfrage der Universität Zürich                Was wir von den Erwachsenen fordern                                                                                                                                              Wir sind keine Maschinen, die ohne Weite-
im Jahr 2018 zeigte, dass rund 8 % aller Stu-     ist Solidarität und Rücksicht, so wie wir                                                                                                                                               res und pausenlos funktionieren. Wir sind
dierenden Symptome für eine Depression            dies in der Corona-Pandemie auch ihnen ent-                                                                                                                                             sensible Wesen, die unter der Last des Leis-
aufwiesen. 2020 wurde erneut eine solche          gegenbringen. Davon ist bis jetzt allerdings                                                                                                                                            tungsdrucks und der uns auferlegten Er-
Umfrage durchgeführt. Dieses Mal stieg            wenig zu spüren.                                                                                                                                                                        wartungen von anderen langsam, aber sicher
der Wert auf entsprechende 28 %. Wie kann                                                                                                                                                                                                 zu ersticken drohen.
es sein, dass knapp ein Drittel aller junger
Erwachsener so stark unter der Pandemie
leidet und die Regierung trotzdem nichts
tut, um dem entgegen zu wirken? Stattdessen
unternimmt sie einen kläglichen Versuch,
Unterricht und zwischenmenschlichen Kon-
takt mit gelegentlichen Zoom‑Konferenzen
zu substituieren, mit der Erwartung, die Quali-
tät des Präsenzunterrichts beizubehalten.
                                                                                                                                                           FOTO : I VA N101 / ISTO CK PH OTO

Hauptsache, die Bildungsziele werden er-
reicht. Koste es, was es wolle.                                                                                                          Noah Niebergall
                                                                                                                                         ehem. G4e

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