Info 2 / 2021 - Engagiert über die Schule hinaus - Kantonsschule Hottingen
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Inhalt Editorial Redaktion In dieser Ausgabe Sandra Nussbaumer Barbara Ingold Engagiert Menschenrechte Menschenrechte Maturitätsaufsatz … über die Schule hinaus Engagiert Menschenrechts- Vom Fischer verletzungen und dem Liebe Leserin, in Ostturkestan Bürgermeister lieber Leser 6—9 10—11 14—15 von Sandra Nussbaumer E s ist beelendend. Wer Nachrichten liest, sieht oder hört, begegnet Menschenrechts- verletzungen allenthalben: niedergeschla- Ausserdem schreibt Daniel Aufschläger, Präsident der Schulkommission, vom Besuch von Sayragul Sauytbay an der Kantonsschule Hottingen im vergan- gene Proteste und Demonstrationen auf Kuba, genen Dezember. Sauytbay stammt aus der autono- prekäre Zustände im Flüchtlingscamp Moria auf men Region Xinjiang (bzw. Ostturkestan) im Nordwesten Lesbos, die systematische Unterdrückung und Folter Chinas und gehört als Kasachin der muslimischen der Uiguren in der autonomen Region Xinjiang, die Bevölkerungsgruppe an. Nach ihrer Flucht vor dem Machtübernahme der Taliban in Afghanistan. Gewalt chinesischen Regime veröffentlichte sie ein gleicher- und Ausbeutung hier, Unterdrückung und Diskri- massen aufklärendes wie verstörendes Buch über die minierung da. Aktuell macht die Spionagesoftware systematische Unterdrückung und Gewalt gegen die Pegasus von sich reden. Die Spyware, die offiziell muslimische Bevölkerung, mehrheitlich Uiguren, die Me- selbstverständlich nur im Kampf gegen Terrorismus thoden in den Umerziehungslagern sowie die Pläne Rund um die Schule Spass mit Zahlen Arbeitswoche eingesetzt werden darf, soll von autokratischen Chinas für die Übernahme der Weltmacht. Der Augen- Staaten und autoritären Regimen missbräuchlich ver- zeugenbericht der «Kronzeugin» sorgte weltweit zwar Wie durch Wille Das Jahr 0 «Konsumiere mit wendet worden sein, um weltweit Hunderte Oppo- für grosses Aufsehen, hatte politisch aber (noch) wenig Taten werden Verantwortung!» sitionelle, Regimekritiker, Journalisten oder Menschen- rechtsaktivisten auszuhorchen und sie letztlich aus- Konsequenzen. Sie haben Recht, wenn Sie das alles wenig er- zuschalten. Dies bedeutet einen nicht zu unterschät- baulich finden. Und bevor wir jetzt allzu sehr in Trübsal zenden Angriff auf Demokratie und Freiheit, aber verfallen, bringt Ihnen vielleicht das Engagement der 16—17 20—21 24 auch auf Grund‑ und Menschenrechte. Man kann das nicht weiter alarmierend finden und das Gefühl haben, das betreffe uns hier in der Schweiz nicht. Doch beiden Schülerinnen Mrittika Sadmin und Eya Takrouni den Glauben an das Gute zurück. Im Frühlingssemester 2020 haben sie das Freifach Entwicklungszusammen- das wäre ziemlich naiv. Oder man kann davor kapitu- arbeit besucht, daraufhin ihr erstes Projekt in Bangla- lieren. Das jedoch wäre defätistisch. Menschenrechte desch auf die Beine gestellt und sind nun dabei, ihre betreffen uns alle. Auch hier und auch heute noch. eigene Entwicklungshilfeorganisation zu gründen. Das Interview04 —05 Deshalb lohnt es sich, dafür zu kämpfen – persönlich gibt doch Anlass zu Hoffnung. Bildnerisches Gestalten 12 —13 und politisch. Maturitätsaufsatz18 —19 Im Frühjahr dieses Jahres hat die Kantonsschule Nach neun Jahren schreibt Christoph Meier seine letzte Öko-logisch! 21 Hottingen die Wanderausstellung «Speak Truth To Öko‑logisch‑Kolumne. An dieser Stelle möchten wir Kolumne22 Power» der Robert‑Kennedy‑Stiftung beherbergt. Die uns recht herzlich für die thematisch vielfältigen, inhalt- Wort des Rektors 23 Robert F. Kennedy Human Rights Foundation setzt lich interessanten und klugen Beiträge bedanken. Agenda24 sich für Menschenrechtsbildung ein und führt verschie- Wir haben in diesen Jahren so einiges gelernt und gehen dene Veranstaltungen an und mit Schulen durch. achtsamer durch die Welt. Danke, lieber Christoph! Die Foto‑Ausstellung zeigt neben international be- kannten Menschenrechtlern wie Desmond Tutu oder Elie Wiesel auch die Schweizer Hans Caprez oder Emilie Lieberherr. Geschichtslehrer und Mit‑Initiator Moritz Schenk berichtet in dieser Ausgabe von der Ausstellung, den Klassenbesuchen durch Menschen- rechtsaktivistinnen und ‑aktivisten und den Plenar- veranstaltungen. 2 h info #2 2021 h info #2 2021 3
Interview Mit dem gut bepackten IMS-Rucksack in die Welt hinaus Bekanntlich führen viele Wege nach Rom. Aber es gilt auch Damien Vouillamoz das Umgekehrte: Viele Wege führen Abschlussjahr 2006 von Rom in die Welt hinaus. Aktuelle Tätigkeit Gründer und Geschäftsführer der Digio AG von Sandra Nussbaumer Berufswunsch bei Eintritt in die IMS Software-Entwickler Nach Abschluss der Informatik- mittelschule (IMS) stehen den Werdegang nach der IMS Absolventinnen und Absolventen Nach der IMS habe ich ein Informatikstudium André Bürkler mit dem EFZ und der Berufs- maturität alle Türen offen. Unsere an der Hochschule für Technik in Rapperswil (heute OST) absolviert. Im Anschluss habe ich Diego Steiner Abschlussjahr 2007 fünf Beispiele zeigen, es ist alles als Software‑Engineer bei einem international Abschlussjahr 2007 möglich: Studium, Firmengrün- tätigen KMU in Zürich begonnen, mein Können Aktuelle Tätigkeit dung, radikaler Branchenwechsel, unter Beweis zu stellen. In acht Jahren habe Aktuelle Tätigkeit Leiter Fachstelle Jugendarbeit Region Baden Karriere im Private Banking. Iris Hunkeler ich diverse Positionen wie Development Team Lead, Projektleiter, Lead Projektleiter und zum ICT‑Coach beim Zürcher Lehrbetriebsverband ICT Berufswunsch bei Eintritt in die IMS Abschlussjahr 2009 Schluss COO (Chief Operation Officer) einge- Irgendetwas mit Computern … nommen. Im Jahre 2016 habe ich dann mein Berufswunsch bei Eintritt in die IMS Aktuelle Tätigkeit Nicole Andrade eigenes Unternehmen (Digio AG) gegründet, Applikationsentwickler Werdegang nach der IMS Lead Software Engineer bei ti & m AG Abschlussjahr 2005 das ich heute mit 9 Mitarbeitern und zahlrei- 2008: Web‑Entwickler chen Projekten führe. Werdegang nach der IMS 2010: Projektleiter Web‑Entwicklung Berufswunsch bei Eintritt in die IMS Aktuelle Tätigkeit Seit meinem Studium habe ich mich immer 2009: Informatik Teilzeitstudium an der HSR 2012: Branchenwechsel – Jugendarbeiter & Ich hatte keinen konkreten Berufswunsch. Private Banking bei der Credit Suisse wieder für die Aus‑ und Weiterbildung von jun- 2011: Gründung der Webagentur «Renuo Organisationsentwickler, Bachelor in Sozialer gen Fachkräften interessiert und eingesetzt. GmbH» mit Freund und Mit‑IMS ler Lukas Elmer Arbeit (berufsbegleitend) Werdegang nach der IMS Berufswunsch bei Eintritt in die IMS Nebst der Ausbildung zahlreicher IMS‑Prakti- 2014: Ausbildung der ersten IMS‑Praktikanten 2012 habe ich von der Informatik auf Soziale Ein Jahr nach Abschluss der IMS begann ich Da ich keinen konkreten Berufswunsch hat- kanten unterrichte ich beim Zürcher Lehrbe- in der Renuo GmbH Arbeit umgesattelt. Es sollte mehr der Mensch ein berufsbegleitendes Studium in Richtung te, habe ich auf Anraten meines Vaters Ernst triebsverband ICT (ZLI) Informatik‑Lernende 2017: Weiterbildung SVEB‑Zertifizierung und weniger die Technik und wirtschaftliche Wirtschaftsinformatik (4 Jahre bis zum Bache- Buschor, der als damaliger Bildungsdirektor und IMS‑Schüler und nehme als Prüfungs- 2018: Wechsel in die Ausbildung als ICT‑Coach Interessen im Vordergrund stehen. Meine lang- lor an der ZHAW, anschliessend nochmals 2.5 des Kantons Zürich die IMS mitinitiiert hatte, experte der Prüfungskommission PK19 des beim Zürcher Lehrbetriebsverband ICT. jährige Pfaditätigkeit sowie diverse Zivildienst- Jahre bis zum Master an der FHNW). Parallel diese Schule gewählt. Ich war im allerersten Kantons Zürich Abschlussarbeiten (IPA) von Meine aktuelle Tätigkeit ist vergleichbar mit einsätze im sozialen Bereich begünstigten den dazu arbeitete ich 80 % (nach Abschluss des Jahrgang dieses Ausbildungsganges. Informatik‑Lernenden und IMS‑Schülern ab. einem Lehrmeister eines Betriebs. Ich agiere Wechsel. Für mich war das, wie mir manch- Studiums 100 %) in verschiedenen IT‑Rollen: 2021 habe ich ein MAS im Bereich der Cyber als Instruktor und Betreuer, nicht als Lehr- mal gesagt wurde, nicht ein Schritt zurück auf Ich begann als Entwicklerin, aber arbeitete Werdegang nach der IMS Security an der Hochschule für Technik in person. Während meiner Zeit in der Pfadi habe Feld 1, sondern vielmehr eine Weiterentwick- auch als Requirements Engineer, Projektleite- Nach dem Praktikum im IT‑Service bei der Luzern begonnen. ich viele junge, angehende Leiter ausgebildet. lung meiner beruflichen Laufbahn. rin, Data Analyst, Scrum Master. Ich kehrte je- Swisscom habe ich direkt zur Bank gewechselt. Das wollte ich nicht nur in meiner Freizeit, son- 2014: Weiterbildung SVEB‑Zertifizierung doch immer wieder zur Entwicklung zurück, Damals hatte man ja mit dem IMS‑Abschluss Rückblick auf die IMS dern auch beruflich machen. Als ICT‑Coach 2016: Master in BA «Public and Nonprofit da mir dies bis heute am meisten Spass macht. auch gleich die kaufmännische Berufsmaturi- Die IMS hat mir nebst der Informatik ein breites beim Zürcher Lehrbetriebsverband ICT bilde Management» Heute arbeite ich bei ti & m AG in Zürich als tät. Ich kam als Allrounderin zur ZKB und bin und tiefes Wissen in den diversen Bereichen ich im Basislehrjahr Informatiklernende im 2018: CAS Praxisausbildner in Sozialer Arbeit Lead Software Engineer. Aktuell leite ich dort 10 Jahre lang geblieben. Berufsbegleitend wie Wirtschaft, Recht und Buchhaltung ver- 1. Lehrjahr aus. Dabei bin ich für eine Gruppe 2019: Leiter Fachstelle für Jugendarbeit ein Projekt, wo wir für einen Kunden einen habe ich Betriebsökonomie studiert. Eine schafft. Dieses fundierte Wissen konnte ich von Applikationsentwicklern zuständig und be- B2B‑Online‑Marktplatz für Gastronomiearti- Hochschulkarriere wollte ich allerdings nie ein- während meines Werdegangs und nicht zu- gleite sie während dem ersten Jahr im neuen Rückblick auf die IMS kel aufbauen. Ich arbeite da in der Software- schlagen, ich habe immer gerne gearbeitet. letzt auch als Gründer und Geschäftsführer Beruf: von den ersten Schritten beim Program- Die kaufmännische Berufsmaturität, die man entwicklung mit und unterstütze mein Team Danach habe ich zur Credit Suisse gewechselt, der Digio AG immer wieder gewinnbringend mieren, über die ersten Erfahrungen mit Web- zu meiner Zeit mit dem IMS‑Abschluss noch bei technischen und fachlichen Fragen. wo ich heute immer noch bin und im Private einsetzen. seiten und Datenbanken bis zum eigenständi- erlangte, und das dort angeeignete Wissen Banking arbeite. Die Mischung aus Informatikausbildung und gen Abschlussprojekt. waren die Basis für viele spätere Tätigkeiten Rückblick auf die IMS Schule fand ich optimal, da mir dies viel Frei- und Ausbildungen. Ganz allgemein konnte ich An der IMS mag ich die Kombination von Rückblick auf die IMS raum und Zeit verschaffte, mich mit privaten Rückblick auf die IMS mir durch die Kombination von KV und Infor- sehr breiter Allgemeinbildung (mit Fächern Die IMS bietet eine sehr gute Grundausbildung. Informatikprojekten zu verwirklichen. Obwohl ich während den Jahren an der KSH matik nützliche Kompetenzen und Fähigkei- wie Geschichte, Biologie, Chemie), wirtschaft- Der schulische Teil ist sehr wertvoll, aber ge- Ich schaue immer wieder gerne auf diese nicht besonders gut darin war, haben mir die ten aneignen: Strukturierte Herangehensweise licher Grundbildung (Wirtschaftsrecht, BWL, nauso ist es die Berufserfahrung. Rückblickend intensive, aber trotzdem unbeschwerte Zeit kaufmännischen Fächer das Rüstzeug mitge- an Probleme, Arbeitsorganisation, Affinität zu VWL) sowie den IT‑Modulen. Vieles aus den muss ich allerdings sagen, dass ich wohl auch zurück und komme immer wieder gerne für geben, um eine eigene Firma zu gründen und Zahlen und Buchhaltung, grundlegendes Ver- IT‑Fächern habe ich jedoch ehrlich gesagt erst hätte die HMS absolvieren können. Letztlich das IMS‑Kontaktseminar oder den Home- damit erfolgreich zu werden. ständnis für IT‑Themen, … nach Eintritt ins Berufsleben so richtig verstan- hat mich Informatik doch zu wenig interessiert, coming‑Day an die KSH. den. In guter Erinnerung blieben mir ausserdem als dass ich in dieser Branche hätte bleiben Ratschläge an aktuelle Schülerinnen Ratschläge an aktuelle Schülerinnen die intensiven und spannenden Projektwochen. wollen. Ratschläge an aktuelle Schülerinnen und Schüler und Schüler und Schüler Die Welt von uns Informatik‑Fachpersonen ist Sich mit knapp 16 Jahren für einen Beruf und Ratschläge an aktuelle Schülerinnen Ratschläge an aktuelle Schülerinnen Ich bin froh, habe ich diese Ausbildung ernst unendlich vielseitig und spannend. Probiert eine Ausbildung zu entscheiden, ist keine ein- und Schüler und Schüler genommen und somit meinen Rucksack für aus, was euch Spass macht, versucht zu ver- fache Sache. Vielleicht seid ihr danach das Ich bin der Meinung, dass die IMS einen guten Mit dem Abschluss an einer weiterführenden den späteren Werdegang gut mit Wissen be- stehen, wie etwas funktioniert. Mit der Freude Leben lang glücklich in der IT‑Branche – per- Einstieg in die IT‑Welt bietet. Nutzt diese Grund- Schule, insbesondere mit der Berufsmaturität, packt war. Es ist unmöglich zu sagen, wohin an der Sache lernt es sich wie von selbst. fekt. Falls nicht, habt den Mut, auch nach bildung und probiert verschiedene Tätigkeiten hat man alle Möglichkeiten. Auch wenn man es einen in der Berufswelt führen wird. Man Und wenn ihr später bei der Suche nach ei- der Erstausbildung einen Wechsel zu machen. FOTOS : Z VG aus! So könnt ihr am besten herausfinden, was sich einmal für etwas entscheidet, heisst das sollte sich darum immer so viele Optionen wie nem Praktikum zeigen könnt, dass ihr euch für Die Türen stehen offen und die in der IMS er- euch wirklich interessiert und was euch Spass nicht, dass man für immer dort bleiben muss. möglich offenhalten. Ein gut bepackter Ruck- die Informatik begeistert, werdet ihr euch vor worbenen Kompetenzen werden euch auch in macht. Wechsel sind jederzeit möglich. sack ist dabei das Wichtigste. Angeboten kaum noch retten können. anderen Branchen nützlich sein. 4 h info #2 2021 h info #2 2021 5
Menschenrechte Bei den Menschenrechten ist Neutralität keine Option Engagiert Während gut sechs Wochen des FS 2021 stand die Kantonsschule Hottingen im Zeichen der Menschenrechte. Die Schule beherbergte die Fotoausstellung «Speak Truth to Power» der Robert F. Kennedy Human Rights Foundation und zahlreiche Aktivistinnen und Aktivisten besuchten die Schule live und via Videochat. Schülerinnen wollen sich für Menschenrechte einsetzen Über den nachhaltigen Eindruck der Aktivis- tinnen und Aktivisten auf die Schülerinnen und Schüler zeigte sich Stephanie Eger, Direc- tor Human Rights Education, im Anschluss an die Besuche sehr erfreut: «Es war inspirie- rend zu sehen, wie sehr sich die Schüle- von Moritz Schenk rinnen und Schüler und Lehrpersonen der Kantonsschule Hottingen nicht nur für die Zugegeben, das zehnjährige Kind, das einst Menschenrechte interessierten, sondern vor das Weisse Haus bewohnt hat und das allem dafür, wie sie sich für sie engagieren mental noch nicht ausgezogen ist, war immer können.» Sie spielte damit auf mehrere Schü- gut für eine Schlagzeile. Auch zu den Men- lerinnen an, welche sich im Anschluss an schenrechten hat es manch Erstaunliches ge- die Besuche bei der Robert-Kennedy-Stiftung sagt. Desmond Tutu hat wohl den Kopf meldeten, um den so genannten Youth Am- darüber geschüttelt. «Wenn der Elefant den Menschen stehen für andere bassadors beizutreten, der Jugendorganisa- Fuss auf dem Schwanz der Maus hat, und Menschen ein tion der Stiftung unter der Co‑Leitung auch du sagst, du seist neutral, wird die Maus deine Besagte Aufmerksamkeit erregten vor allem einer ehemaligen KSH‑Schülerin (siehe Bei- Neutralität nicht schätzen», sagt Tutu. Und die Besuche der Menschenrechts‑Aktivis- trag von Luisa Lichtenberger). er fügt an: «Wenn du dich in Situationen von tinnen und ‑Aktivisten. Nach einer coronabe- Als gegen Mitte Juni die pandemiebe- Ungerechtigkeit als neutral bezeichnest, dingt abenteuerlichen Eröffnungsveran- dingten Schutzmassnahmen so weit ge- hast du die Position des Unterdrückers ge- staltung im Anschluss an die Frühlingsferien, lockert wurden, dass wieder kleinere Ver- wählt.» Tutu war der Mann, der in Südafrika welche dem Hausdienst, der Schulleitung anstaltungen möglich wurden, war klar, mit Nelson Mandela den staatlich verordneten und den Organisatoren einiges an Planungs- dass mit einem besonderen Gast auch noch Rassismus beseitigt hatte. Die Kantons- talent abverlangte, besuchten mehrere ein kleines Podium stattfinden konnte. Am FOTO S: SO R A P O P / ISTO CK PH OTO, S N A P CR ACK L E N P O P / ISTO CK PH OTO schule Hottingen hat im Frühjahrssemester Aktivistinnen und Aktivisten insgesamt 15 18. Juni besuchte der Holocaust‑Überlebende, Menschenrechtsaktivisten wie Desmond Klassen. Umweltschutz, Menschen- und emeritierte Germanistikprofessor Ladislaus Tutu zugehört anstelle der Stimme der Popu- Frauenrechte, aber auch Business Rights Löb die Kantonsschule Hottingen in der Aula. listen, die zwar meistens Lautstärke und Ge- kamen zur Sprache. Vincent Magne (G3c) Als 11‑Jähriger war er dem Konzentrations- hör, nicht aber das Menschenrecht auf ihrer erklärte im Anschluss an den Besuch des lager Bergen‑Belsen entronnen. Die Klassen Seite haben. Die Fachschaft Geschichte Menschenrechtsaktivisten Yann Lenggen- H2a und G2d, mehrere Schülerinnen aus organsierte mit der Robert F. Kennedy Human hager: «Mich interessieren aktuelle gesell- allen Klassenstufen und Lehrpersonen aus Rights Foundation die Ausstellung «Speak schaftliche Debatten. Mein Vortrag zu Flücht- dem Kollegium nahmen an der Veranstal- Truth to Power». Stiftungspräsident Christoph lingsrecht und der Besuch Herrn Lenggen- tung teil, die auch live gestreamt werden Karlo sagt: «Es freut mich sehr, dass die hagers, einem ehemaligen IKRK‑Delegierten, konnte. An seinem Schlusszitat, das der fast Robert‑Kennedy‑Stiftung bereits seit längerer ermöglichten mir die persönliche Auseinan- 90‑jährige Löb der Schule mitgab, hätte Zeit eine fruchtbare Zusammenarbeit mit dersetzung mit historischen und juristischen der eingangs erwähnte Desmond Tutu wohl der Kantonsschule Hottingen pflegt. Entstan- Fragen.» Laura Niklaus (G2c) erhielt mit seine Freude, denn für eine neutrale Posi- den aus der Initiative einzelner Personen, ihrer Klasse Einblick in die Schicksale der tion bei Unrecht lässt auch Löb damit keinen kann so eine grosse Anzahl von Schülerinnen Verdingkinder und erklärte anschliessend: Spielraum: «Seid kritisch gegenüber Vor- und Schüler auf aktuell wichtige Themen «Diese Lebensgeschichten haben mich er- urteilen. Hinterfragt. Und bleibt humorvoll.» aus dem Bereich der Menschenrechte auf- schüttert. Sie müssen weitergegeben Und nach einer kurzen Pause des Beden- merksam gemacht werden.» werden.» kens: «Ja, das ist es.» 6 h info #2 2021 h info #2 2021 7
Menschenrechte “Education is the most powerful weapon you can choose to change the world.” Das Titel‑Zitat von Nelson Mandela beschreibt den Beginn sowie die aktuelle Tätigkeit von Luisa Lichtenberger in der Robert F. Kennedy Human Rights Foundation. Desmond Tutu Elie Wiesel Wer etwas ändern will, muss es zuerst verstehen. Ein wichtiges Element der Menschenrechtsbildung der Foundation ist unsere Wanderausstellung, die im Mai und Juni bekanntlich auch im Foyer der Kantonsschule Hottingen ausgestellt wurde. Mich persönlich hat in der Ausstellung das Porträt von Kailash Satyarthi und sein Kampf gegen die Kinderarbeit beeindruckt. Denn Kinder- arbeit ist neben bewaffneten Konflikten einer der häu- figsten Gründe, wieso Kinder nicht zur Schule gehen und somit keine Bildung erhalten, mit der sie ihre eigene Zukunft formen könnten. Kailash macht dabei auf einen von Luisa Lichtenberger wichtigen Umstand aufmerksam: Menschen müssen da- hingehend sensibilisiert werden, dass Kinderarbeit ein Begonnen hat alles im Geschichtsunterricht an der Kan- Problem ist und beim Konsum darauf geachtet werden tonsschule Hottingen. In Gruppen hatten wir einzelne kann, ob in der Produktion der Güter Kinderarbeit invol- Normen der «Allgemeinen Erklärung der Menschenrech- viert ist. Erst wenn diese Sensibilisierung geschehen ist, te» erarbeitet und unserer Klasse präsentiert. Meine können auch Veränderungen stattfinden. Gruppe hatte sich dabei das «Recht auf Bildung» aus- gesucht und zum ersten Mal beschäftigte ich mich ge- Menschenrechte brauchen junge nauer damit, was dieses Recht garantiert und wie es Menschen, die sich für sie einsetzen. FOTOS : ED D IE A DA M S / RO BER T F. K EN N EDY HUM A N R IG H T S SWIT ZER L A N D Hans Caprez ausserhalb der Schweiz umgesetzt wird. Während Bil- Mit meinem Kollegen Max Kallenbach habe ich in der dung für uns im Alltag selbstverständlich erscheint und Robert‑Kennedy‑Stiftung die Aufgabe übernommen, zu- Eltern verpflichtet sind, darauf zu achten, dass ihre Kin- sätzlich zu den bestehenden Lernmaterialien und der der regelmässig die Schule besuchen, wird allein wegen Ausstellung eine Plattform für junge Menschen in der Luisa Lichtenberger ist 24 Jahre alt und bewaffneten Konflikten rund 28 Millionen Kindern das Schweiz aufzubauen, über welche sie sich über Men- besuchte während ihrer Gymnasialzeit Recht auf Bildung verwehrt. Was ich in diesen Schul- schenrechte informieren, austauschen und engagieren das FGZ und die KSH. Sie hat eben ihr stunden gelernt habe, hat meine Sicht auf die Bedeu- können. Im März 2020 wurden deshalb die Youth Am- Jurastudium an der Universität Zürich und Universität Amsterdam beendet und tung von Menschenrechten und die Wichtigkeit derer bassadors der Robert F. Kennedy Foundation ins Leben arbeitet an einem Lehrstuhl für Straf- Durchsetzung bis heute geprägt. In meinem Jurastudi- gerufen. Aufgrund der Pandemie waren auch diese recht an der Universität Zürich. Neben- um habe ich mich anschliessend immer wieder mit «JugendbotschafterInnen» im letzten Jahr hauptsächlich bei engagiert sie sich bei der Robert Menschenrechten beschäftigt, sei es im Rahmen von online unterwegs und haben bereits einen Filmwettbe- F. Kennedy Human Rights Foundation, FOTO : LUMINIS / ISTO CK PH OTO in der sie die Youth Ambassadors be- Vorlesungen über Grundrechte und Völkerrecht oder in werb und eine Konferenz über Kinderrechte organisiert. treut, sowie bei Legal Help, einem Verein, Summer Schools über «Globalization and Human Rights» Das kommende Jahr steht bei den Youth Ambassadors der kostenlose Rechtsauskunft und und «Business and Human Rights». In dieser Zeit bin ich unter dem Motto «Klimawandel und Menschenrechte» Vermittlung an Anwälte und Anwältinnen anbietet. Wer Luisa in ihrer Funktion durch einen Freund auf die Robert F. Kennedy Human und es werden wieder einen Filmwettbewerb sowie als Youth Ambassador für Menschen- Rights Foundation aufmerksam gemacht worden, die Podiumsdiskussionen rund um dieses Thema organisiert. recht kontaktieren möchte, tut dies junge Menschen mit Bildungsprogrammen für Menschen- Auch Schülerinnen und Schüler der Kantonsschule Hot- unter: luisa@rfkhumanrights.ch. rechte sensibilisieren will. tingen möchten wir mit diesem Projekt ansprechen. 8 h info #2 2021 h info #2 2021 9
Menschenrechte Weltweite Aufmerksamkeit für chinesische Menschenrechtsverletzungen in Ostturkestan «Es ist ein Stoff, Kampfansage Chinas mit seinem autoritären System aus dem Hollywood an die liberalen-freiheitlichen Gesellschaften ausgewertet. Auf dieser Basis konnte die Zahl von Sayragul entlarvt eine kolonialistische, men- rund einer Million Internierter in den Lagern, etwa einen packenden schenverachtende, auf die Bedürfnisse und den 10 Prozent der uigurischen Bevölkerung, geschätzt Polit-Thriller machen Machterhalt der herrschenden Kommunistischen werden. Das alles hat dazu geführt, dass die Parla- könnte.» Partei zentrierte Politik, die vom Bewusstsein einer mente in den Niederlanden, Kanada und Gross- weltweit geltenden Überlegenheit des Han‑Volkes britannien das Unrecht an den Uiguren schliesslich (Mehrheits‑Ethnie in China) durchdrungen ist. Ja, per Abstimmung als Genozid bezeichnet haben. es entsteht das Bild einer rassistischen, kolonialistischen und im- perialistischen Staatsführung. Das erinnert fatal an die von China Abhängigkeit der Welt zu Recht scharf kritisierte Politik der europäischen Kolonialmäch- Was die Machthaber den Menschen in Ostturkestan und te, die das chinesische Volk im 19. und beginnenden 20. Jahrhun- in Tibet sowie den Andersdenkenden in Festlandchina und in dert auf eine abstossende Art vielfach gedemütigt und geschädigt Hongkong antun, ist keine innere Angelegenheit Chinas, wie das hat. Die Strategie, wie das chinesische Regime nun seinerseits die Regime immer wieder festhält, sondern betrifft uns alle. Denn Welt dominieren will, beschreibt Sayragul so, wie es die Behörden- Menschenrechte sind global und unteilbar und werden von China vertreter ihr gegenüber im Lager offenbart haben. Wir tun gut da- auch bei uns im Westen angegriffen und geschwächt: China, im ran, ihr zu glauben, da die Dissidentin wider Willen eine von vielen Besonderen der Parteichef und Präsident Xi Jingping, hält sein Zeuginnen ist und die Taten und Worte der chinesischen Regie- System der kontrollierten und disziplinierten Gesellschaft, in der rungsvertreter unmissverständlich für sich sprechen. «Harmonie» gemäss der Schreckensvision von Aldous Huxleys «Schöner neuer Welt» herrschen soll, für dem westlichen, liberal‑frei- Was können wir tun? heitlichen System überlegen. Die chinesische Führung setzt ihr Adrian Zenz ist der Ansicht, dass nur massive wirtschaftliche Herrschaftssystem nach innen mit harter Hand durch und verficht und politische Kosten China zu einer Abschwächung seiner Re- es gleichzeitig aggressiv gegen aussen, wenn nötig mit Drohungen pression im Innern und seiner Aggression nach aussen, namentlich und Erpressungen. Begünstigt wird dies durch die starke globale die Ausdehnung seiner territorialen Grenzen (Brennpunkt ist die Machtstellung infolge des beispiellosen Aufstiegs zur bald domi- angestrebte Eroberung Taiwans) führen. Er nennt den Ausschluss nierenden Wirtschaftsmacht. So ist China z. B. der drittwichtigs- aus der UNO und anderen Gremien, also eine internationale Äch- te Handelspartner der Schweiz und gar der wichtigste Handels- tung, wozu auch ein Boykott der Olympischen Winterspiele 2022 partner Deutschlands. Ein grosser Teil der Gewinne nicht nur der in Peking gehören würde. Ferner sollte die Schweiz die EU‑Sank- deutschen Autoindustrie waren in den letzten Jahren nur dank dem tionen als Antwort auf die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang China‑Geschäft möglich. Die wirtschaftliche Abhängigkeit von unterstützen und das Schweizer Parlament die Verbrechen ge- China hat viele westliche Länder dazu gebracht, gen die Menschlichkeit in Ostturkestan offiziell als bei den Menschenrechtsverletzungen in Tibet, Xin- Genozid einstufen. Wir alle sollten uns näher mit jiang und anderen Teilen von China wegzuschauen. «Kaum ein Land China beschäftigen und unsere Naivität gegenüber Kaum ein Land kann es sich leisten, sich mit Peking anzulegen. Was passiert, wenn der Zorn Chinas kann es sich leisten, dem Land ablegen: Wenn es alternative Produkte zu «made in China» gibt, diese kaufen und Chinas entfacht ist, zeigt der Fall von Australien: So wur- sich mit Peking Auftritt in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und de beispielsweise im Mai 2020 Australiens Forde- anzulegen.» Kultur hinterfragen und mit Argumenten sowie von Daniel Aufschläger rung nach einer unabhängigen Untersuchung zum Zivilcourage den Einfluss abwehren. Ursprung des Corona-Virus mit massiven Wirt- Sayragul Sauytbay referiert am Morgen des 11. Dezembers in der sie später als Schuldirektorin in die Mühlen der staatlichen Um- schaftssanktionen beantwortet. China belegte 2020 australische coronakonform bestuhlten Aula vor Schülerinnen und Schülern erziehungskampagnen und wurde schliesslich als Lehrerin für Einfuhren von Wein über Holz und Kohle bis zu Hummer mit Ein- der Kantonsschule Hottingen eindringlich über das unermessliche einige Monate in einem Lager interniert. Heute kann sie aus dem fuhrrestriktionen. Das ist für Australien eine Herausforderung, denn Leid ihrer Landsleute in Xinjiang (deutsch: «neue Gebiete») – oder sicheren Asyl in Schweden, wo ihr und ihrer Familie nach ihrer 40 Prozent der australischen Exporte gehen nach China, und jeder in ihrer präferierten Wortwahl Ostturkestan. Die kleine Frau, die abenteuerlichen Flucht nach Kasachstan Aufnahme gewährt wur- 13. Arbeitsplatz hängt vom Geschäft mit China ab. grosse gesundheitliche Entbehrungen erlitt und ihre belastende de, über ihre schlimmen Erfahrungen berichten. Es ist ein Stoff, Einzig die USA stellen sich als liberaler Systemrivale gegen Geschichte bei jedem Vortrag wieder schmerzhaft durchlebt, wirkt aus dem Hollywood einen packenden Polit-Thriller machen könn- China, sind aber für eine wirkungsvolle Politik gegenüber China dabei alles andere als müde. Sie strahlt im persönlichen Gespräch te. Nur wird das nicht geschehen, denn dies würde den Zorn der zu schwach, zumal auch die USA wirtschaftlich in einem erhebli- keinen Hass aus, sondern viel menschliche Wärme und Anteilnah- Machthaber in China erregen. Das kann sich nicht einmal Holly- chen Ausmass von China abhängig ist. Nach der FOTOS : EN D ILI MEME T K ER IM, D ER PR ÄSID EN T D ER UIGUR EN IN D ER SCHWEIZ me. Zehn Jahre zuvor erlebten wir in der Aula den kraftvollen Auf- wood erlauben, denn die Filmbranche ist stark abhängig vom Zeit der Alleingänge von Donald Trump sucht die tritt der uigurischen Freiheitskämpferin Rebyia Kadeer, die einen China-Geschäft. Regierung Biden nun Verbündete in Europa und «Wir alle sollten ähnlichen Leidensweg hinter sich hat. Asien. Erste Erfolge geben einen Funken Hoffnung: uns näher mit Sie berichtet von ihrem Sohn, dem die Kindergärtnerin den Genozid in Ostturkestan So wurden die kürzlich gegen China verhängten, Mund zugeklebt hatte, damit er nicht in seiner Muttersprache Sayragul hat mit ihren Aussagen vor verschiedenen Par- recht bescheidenen Sanktionen der EU infolge der China beschäftigen redete. Sie spricht von ihren Erlebnissen in den Umerziehungs- laments‑ und UN‑Ausschüssen dazu beigetragen, dass Chinas Unterdrückung in Ostturkestan mit den USA ab- und unsere Naivi- lagern, die von China schönfärberisch «Berufsbildungszentren» Menschenrechtsverletzungen in Ostturkestan und in Tibet, aber gestimmt. Die Schweiz steht als «neutraler» Staat tät gegenüber dem genannt werden: Da wird eine Frau vor versammelten Insassinnen auch in anderen Teilen von China zu einem grossen Thema ge- daneben, muss sich aber bald entscheiden, zu Land ablegen.» und Insassen von Gefängnispersonal vergewaltigt und Folteropfer worden sind. Neben den Aussagen von Sayragul gibt es noch welcher Koalition sie gehört. China sieht den Schul- werden an einer Stange aufgehängt in verschmutztem Wasser bis andere Quellen. Die Beweise für die Menschenrechtsverletzungen terschluss nicht gerne, protestierte lauthals und unters Kinn … Die Unterbringung spricht einer menschlichen in Ostturkestan sind breit abgestützt. Es gibt verschiedene Einzel- verhängte seinerseits Sanktionen. Zudem kanzelte der chinesische Behandlung Hohn: Ungenügende Nahrung und Liegen auf einem zeugen sowie interne Behördenpapiere, die eine systematische Botschafter in Bern die Schweiz wegen der im April 2021 veröf- Betonboden in ungeheizten Zellen. Die noch nicht 50‑Jährige hat Gehirnwäsche von Hunderttausenden von Uiguren belegen. Auch fentlichten neuen China‑Strategie ab. Diese enthält zwar eine denn auch vor lauter Rheuma Mühe, Treppen zu steigen und ist die Forschungsarbeiten des in den USA arbeitenden Sozialwissen- nüchterne und treffende Analyse, sieht aber auf der Handlungs- auf einen Handlauf angewiesen. Die zur Volksgruppe der Kasachen schaftlers Adrian Zenz, der 2018 eine wegweisende Studie publi- ebene eher zahnlose Massnahmen vor. Die Stossrichtung ist klar: Daniel Aufschläger gehörige Sayragul Sauytbay schildert ihren Lebenslauf, der einen zierte, belegen die Existenz der Umerziehungslager für ethnische Wir schätzen zwar die Menschenrechtslage in China nicht, aber Präsident der Schulkommission der Kantonsschule Hottingen, Vorstandsmitglied im Verein Kulturzentrum Tibet Songtsen House, vielversprechenden Anfang nahm mit der Ausbildung zur Ärztin, Minderheiten in Ostturkestan. Adrian Zenz hat dazu in minutiö- das Geschäft ist uns dann doch wichtiger. Die offizielle Schweiz engagiert sich seit Jahren für die Menschenrechte in Tibet, der Heirat ihres Wunschpartners und später zwei Kindern. Wie in ser Kleinarbeit öffentliche chinesische Quellen wie Rechtstexte, fürchtet sich vor dem Zorn Chinas und einschneidenden Sanktio- Ostturkestan und China ihrem Buch «Die Kronzeugin» (Europa-Verlag) geschildert, geriet Bau- und Stellenausschreibungen, aber auch Satellitenaufnahmen nen, die Schweizer Unternehmen treffen könnten. 10 h info #2 2021 h info #2 2021 11
Bildnerisches Gestalten Ästhetik des Alltäglichen Eine Arbeit von Valentina Kotas (G4a) 12 h info #2 2021 h info #2 2021 13
Maturitätsaufsatz bedacht und legte ihm die Scheine in einem Während dieser Tage kämpfte der Fischer Umschlag vor den Frachter. Trotzdem tauchte wie einige Stadtbewohner um sein Leben. Die er eines Morgens auf: «Wir brauchen Medika- wenigen übrig gebliebenen Möhren hatte er mente, Fischer, Medikamente!» rief er. «Sie sind bereits verzehrt, von den rohen Kartoffeln be- der Einzige, der uns diese zu einem vernünf- kam er Bauchkrämpfe. Er wusste, dass sein tigen Preis besorgen kann. Kommen Sie ab Ende nahte. Er dachte an seine Frau und seinen jetzt dreimal die Woche! Ich zähle auf Sie, mein Sohn. Den Umschlag mit den Scheinen indes Lieber!» hatte er längst vergessen. Dass der Fischer nicht der einzige Waren- Es war in dieser Nacht, als erneut ein lieferant hätte sein müssen, verschwieg der Sturm aufkam. Der Fischer erwachte aus sei- Bürgermeister. Für ihn war er nämlich der mit nem Zustand, als ein Regentropfen jäh seine Abstand billigste Bote. So korrumpierte der Stirn nässte. Er wusste, er war noch nicht tot. Bürgermeister seine Frachtzufuhr und wälzte Der Wind brauste immer stärker, der Regen die Warenlieferungen einzig und allein auf den prasselte in Riesentropfen auf ihn nieder und Fischer um, der in des Bürgermeisters Augen es stürmte, wie es noch nie zuvor gestürmt so dumm war, jedes Mal für ein paar Scheine, hatte. Donner grollte und Blitze schlugen in ein Geschäft einzugehen. Doch störte das den Bäume ein. Sie machten die Nacht zum Tag. Bürgermeister nicht. Schliesslich verdiente er Und da waren sie wieder, die Worte des Windes. sich mit der Dummheit des Fischers, die eigent- Zuerst vernahm er nur unklare Laute und ur- Vom lich Gutgläubigkeit war, eine goldene Nase. plötzlich deutlich gesprochene Worte: «Fischer! Aber auch der Fischer war dem Geld längst Du wolltest mehr, als dir zusteht. Getrieben von verfallen. Seine Familie sah er immer seltener. der Gier vergassest du, wer du einmal warst. Auf die «Immergern» folgte die «Immermeer». Verstehe diese Warnung, Fischer! Du wirst wie- In einer der folgenden Nächte ging ein der leben und lieben können, befällt dich die Fischer starker Wind und vereinzelt waren bereits Trop- Gier jedoch ein zweites Mal, erwachst du nicht fen zu spüren. Der Kapitän der «Immergrün» mehr.» Der Fischer schreckte auf, die Warnung hätte sich nicht auf den Weg gemacht, aber ging ihm durch Mark und Bein. Die Regentrop- derjenige der «Immermeer» stach in See. Ihm fen wurden kleiner, dünnten sich aus, schliess- hätte mulmig zu Mute sein müssen, als er in lich liess der Regen nach. Der Fischer dachte und dem den schmalen Kanal einbog, der zur Bürger- an seine Frau, seinen Sohn und es war ihm, als meisterstadt führte, aber er sah bereits den sähe er seine Rettung am Horizont nahen. Umschlag mit den Scheinen vor sich und leg- Auch in der Stadt des Bürgermeisters te noch ein paar Knoten drauf. Was jetzt pas- wütete der Sturm erneut. Er lag frierend in sierte, kam nicht unverhofft. Der Wind, der seinem goldenen Bett. Der Wind drückte die Bürgermeister einem die Gischt um die Ohren blies, und der Fenster auf und füllte das Zimmer mit eisiger Regen, der auf die Fracht peitschte, brachten Luft. «Bürgermeister! Du wolltest mehr, als dir das Schiff zum Drehen, bis es im Kanal fest- zusteht. Dein unersättliches Verlangen nach steckte. Der Fischer konnte sich nur mit Müh Reichtum und Macht führte zum Tode deiner und Not auf dem Bug halten und verletzte sich, Bürger. Höre diese Warnung, Bürgermeister! als er seinen Kopf an einem Perlcontainer Du wirst leben und mit dir deine Stadt. Lässt stiess. Einige Container kippten, die Waren du dich allerdings ein zweites Mal in Versu- von Aurelio Haller fielen über Bord und der Fischer, von einem chung führen, so erlöse ich dich nicht von dem Schlag getroffen, fiel in Ohnmacht. In seinen Bösen und dein Ort wird mit dir und allen Be- W ie jede Woche löste der Fischer das Schiffstau vom Quai und tuckerte los, um seine Waren auszuliefern. Wie jede Stadt soll grösser und moderner werden, wir expandieren und unsere Tiere brauchen Futter. Treibstoff, Sie wissen schon, dass die Karren Edel auf Ihr Blech. Sie wissen ja, dass dabei auch etwas für Sie rausspringt.» Wieder hielt er ihm die Hand zum Einschlagen hin. Und Aufgabenstellung: Schreiben Sie – ausgehend von dieser Pressefotografie – Träumen formte der Wind Worte, die er nicht verstand, gerade so als lausche er einer Spra- che, die er nicht kannte. wohnern nicht den Tag auf die Nacht folgen sehen.» Der Bürgermeister jedoch wähnte sich in einem Fiebertraum und hatte die Windswor- Woche winkte er seiner Frau und seinem so richtig mit Dampf gezogen werden können. wieder tat der Fischer, wie von ihm erwartet. einen Essay oder eine Erzählung. Im Dorf des Bürgermeisters schlug es te am nächsten Morgen bereits wieder verges- Sohn zum Abschied. Und wie jede Woche freu- Das Futter aus Ihrem Ort sei das beste der Welt, So ging es die nächsten Wochen. Immer dreizehn, als der Fischer erwachte. Man hatte sen. te er sich auf seine Arbeit. Sein Weg führte ihn sagt man. Und ganz unter uns: Natürlich läge mehr und Grösseres verlangte der Bürgermeis- lange auf seine Ankunft gewartet, doch er kam Der Fischer kam nicht mehr. Einige Wo- über seichte Gewässer, über einen schmalen auch etwas für Sie drin.» Mit einem Augen- ter und der Fischer tat, wie geheissen. Legte nicht. Auch in der kleinen Stadt hatte es wäh- chen später indes machte sich ein neuer Kanal in eine kleine Stadt, die er belieferte. An zwinkern streckte der Bürgermeister ihm die er in der kleinen Stadt an, kamen Männer, die rend jener Nacht heftig gestürmt und noch im- Fischer daran, seine Waren am Hafen aus- Bord seines kleinen Schiffes, der «Immergrün», Hand hin. Der Fischer schlug ein. Er wusste ihm seine Waren abnahmen. Jetzt auch die mer ging ein starker Wind. Die Annahme, der zubreiten, als man einen Mann um die Ecke transportierte er, was die Dorfbewohner in ih- nicht, ob er anders gekonnt hätte. Der Bürger- Kartoffeln, Möhren, das Getreide und Mehl. Fischer sei verunglückt, kam also nicht von schlendern sah. rem Alltag so brauchten: Kartoffeln, Möhren, meister verabschiedete sich mit einem gönner- Den kleinen Marktstand gab es nicht mehr. Den Ungefähr. Man schickte Späher und bald dar- Getreide und Mehl. In der kleinen Stadt moch- haften Klaps auf die Schulter, ein Liedchen Fischer störte das kaum, dass er keinen Kon- auf Rettungsschiffe, die die Verankerung lösen te man den Fischer. Hatte er erst einmal an- falsch pfeifend. takt mehr zu seinen Kunden pflegte, da jedes und den Fischer aus der misslichen Lage be- gelegt und seine Ware an einem kleinen Markt- In der darauffolgenden Woche sah man Mal von Neuem der Bürgermeister daher fla- freien sollten. Die «Immermeer» konnte aber Das querliegende Containerschiff stand am Hafen ausgestellt, kamen die Leute, also den Fischer in seinem Hafen ablegen, mit niert kam, um ihm ein neues Angebot zu ma- im Suezkanal auch nach Tagen nicht auf Kurs gebracht wer- schauten, rochen, nahmen die Waren prüfend grösserer Ladung als üblich. Er winkte seiner chen. So kassierte der Fischer jede Woche Ende März 2021 ist das mit 13’800 den. Die lebenswichtigen Medikamente und in die Hand und unterhielten sich. So ging es Frau und seinem Sohn. In der kleinen Stadt grössere Scheine. Scheine, die unbewusst sei- Containern beladene Schiff «Evergreen» die Güter für den täglichen Bedarf blieben aus. im Suezkanal auf Grund gelaufen. den ganzen Tag, bis nichts mehr übrig war. angekommen, warteten überraschenderweise ne Sinne trübten. Nach dem siebten Angebot Mit mehreren Baggern an Land und zehn Erst da begriff der Bürgermeister die Fra- Auch an diesem Tag. zwei starke Männer, die ihn drängten, das Fut- des Bürgermeisters erwähnte der Fischer, dass Schleppern auf dem Wasser gelang gilität seines selbst errichteten Systems. Die Der Fischer, zufrieden mit dem Geschäft ter direkt abzugeben. Der Fischer tat wie be- ihm sein Boot zu klein werde. Die Waren hätten es der Kanalbehörde nach Tagen, das Versorgung der Stadt über diesen einen Kanal und erfreut über die Begegnungen, packte sei- fohlen und machte sich dann daran, die ande- keinen Platz mehr auf der kleinen Fläche. «Kein Frachtschiff zu befreien. Das Unglück sicherzustellen, füllte zwar seine Brieftasche, hat weltweit Lieferketten durcheinander- ne Sachen zusammen und wollte sich gerade ren Güter wie üblich auszulegen. Die Leute Problem, mein Herr, ich besorge Ihnen ein neu- gebracht. aber mit dem erwirtschafteten Geld konnte er zum Gehen wenden, als der Bürgermeister ihm kamen, schauten und kauften. Als die gesam- es, grösseres Schiff», versprach der Bürger- nicht für die toten Seelen seiner Stadt bezahlen. entgegen kam, ganz im Anschein, mit dem te Ware verkauft war, schlenderte wiederum meister. «Allerdings unter einer Bedingung: Ab Die Güter wurden rar und als die Bürger ihre Fischer etwas besprechen zu wollen. «Herr der Bürgermeister auf ihn zu, wiederholt ein jetzt kommen Sie zweimal die Woche. Der Fi- Misere begriffen, brach Panik aus. Man hams- FOTO : K E YSTO N E /A P/SUE Z CA N A L AU T H O R IT Y Fischer!», rief der Bürgermeister noch im Ge- schelmisches Grinsen in den Mundwinkeln und scher willigte ein und eine Woche später war terte, was er noch zu hamstern gab, und zog hen. «Geben Sie mir eine Sekunde!» Der Fi- Scheine in der Hand. «Sieh an, sieh an! Der er stolzer Besitzer der «Immergern», einem sich mit der Familie zurück. Geld war nichts FOTO : A N D R E A AST ES / ISTO CK PH OTO scher wartete. «Monsieur, was wäre die Stadt Treibstoffbote! Mit Ihrer Hilfe werden wir diese kleinen Frachtschiff mit dem doppelten Fracht- mehr wert, da man alles für einen Laib Brot ohne Sie? Sie, der die Waren so frisch und von Stadt wieder grossartig machen!» Und mit die- volumen der «Immergrün». gezahlt hätte, aber niemand verkaufen wollte. höchster Qualität ausliefert.» Man erkannte ein sen Worten drückte er dem Fischer die Schei- Etwa zu dieser Zeit war es, als in der klei- So blieb auch der Bürgermeister nicht vor der verkniffenes Lächeln im Gesicht des Bürger- ne in die Hand. «Ich hätte da noch eine kleine nen Stadt des Bürgermeisters eine Seuche Plage geschützt. Zwar hatte er mehr Waren im Aurelio Haller meisters und ein Blitzen in seinen Augen, der Bitte, wenn es Ihnen nichts ausmacht. In dieser ausbrach. Viele Menschen wurden krank, die Lager als seine Mitbürger, verfiel jedoch trotz- ehem. G4e Fischer wurde verlegen. «Ich will Ihnen ein Stadt fehlt es an Schmuck, sie soll glänzen. Ich Älteren starben. Der Fischer lieferte weiter fleis- dem in Panik, ging von Tür zu Tür, verlangte, Angebot machen. Da, wie ich sehe, Sie noch kenne jemanden in Ihrem Ort. Es heisst, er sei sig seine Waren aus, immer gierig auf die Schei- dass man ihm öffne und einen Fünftel des Vor- Platz auf Ihrem Kutter haben, möchte ich Sie der Beste, wenn es um Schmuck gehe … La- ne des Bürgermeisters wartend. In jenen Ta- rats abgebe, schliesslich sei er der Bürger- bitten, uns einen kleinen Gefallen zu tun. Die den Sie doch nächstes Mal noch ein bisschen gen war der Bürgermeister jedoch auf Abstand meister. Aber es öffnete niemand. 14 h info #2 2021 h info #2 2021 15
Rund um die Schule Wie durch Wille Taten werden Wir kamen, sahen und halfen. von Mrittika Sadmin und Eya Takrouni «Eya und Mrittika leben unsere «Eya und Mrittika haben von Anfang an KSH‑Werte vorbildlich: Menschlich- ein grosses Interesse an Fragen der 185 keit, Hilfsbereitschaft und die Entwicklungszusammenarbeit gezeigt. Diese Zahl steht für die Anzahl einzelnen Dörfer in Durgapur und sprach mit den Anwoh- wonnener Partner. Zusammen mit seinen Freiwilligen Übernahme von verantwortungs- Auch haben sie früh angedeutet, dass Familien, die wir dank unseres Pro- nern über ihre Lage während der Covid‑19‑Pandemie. hat er die von uns vorgegebenen Nahrungsmittel vollen Aufgaben in der Gesell- sie sehr gerne einmal selber ein Projekt jektes in Bangladesch durch eine Er machte Fotos und auch Videos, damit wir das Prob- und Hygieneartikel besorgt und sie in Taschen gefüllt. schaft. Das Projekt erfüllt zudem planen und umsetzen möchten. Das schwere Zeit gebracht haben. Unser lem dort besser einschätzen konnten. In diesen Auf- Ein von ihm organisierter Lastwagen übernahm den alle bildungspolitischen Schlag- ist eine grosse und komplexe Aufgabe, worte der Gegenwart: Interdiszipli- und es hat mich sehr gefreut, dass Ziel war es, bedürftigen Menschen in der Stadt Durga- nahmen sahen wir, wie schlecht es den Leuten wirklich Transport der Güter und der Freiwilligen. Ein Schulhaus narität, Handlungs‑ und trans- sie sich an ein eigenes Projekt wagen pur im Westen Bangladeschs während der weltweiten ging und wir erfuhren auch von verschiedenen Be- hatte sich dazu bereit erklärt, uns den Pausenhof versale Kompetenzorientierung wollten. Coronakrise zu helfen und ihnen in der schwierigen wohnern, dass sie kaum bis keine Hilfe vom Staat oder zur Verfügung zu stellen. Dort wurde die Verteilungs- sowie Digitalität und zeichnet Als wir uns nach dem Freifachkurs sich ferner durch interkulturelle einmal getroffen haben, haben wir ge- Situation, in der sich das Entwicklungsland Bangla- anderen Hilfsorganisationen bekamen. Sie waren aktion unter Corona‑Massnahmen durchgeführt. Kompetenz und gelungenes meinsam Ideen gewälzt, wie man in desch befand, unter die Arme zu greifen. Durch die komplett auf sich allein gestellt und vor allem die älteren Dadurch konnten wir 185 Familien unterstützen. Projektmanagement aus – vor Bangladesch oder Tunesien helfen könnte. aufgrund des landesweiten Lockdowns eingeschränk- Menschen, die nicht mehr arbeiten konnten und auch Das Gefühl, das wir hatten, als wir erfahren haben, allem aber sind Mrittika und Wir haben über Kleider, Nahrungsmittel ten Möglichkeiten hatte sich die Situation für die be- keine Pension hatten, waren mit der neuen Herausfor- dass es tatsächlich geklappt hat, war unbeschreib- Eya beste Botschafterinnen unser oder Bücher diskutiert. Es war sehr schön, Schule und Hoffnung für Men- ihren Enthusiasmus zu spüren. Ich stand reits schlecht gestellten Tagelöhner noch einmal dras- derung überfordert. Wir hatten also genau den Ort lich. All diese Video‑ und Fotoaufnahmen haben uns schen in nicht privilegierten Regio- den beiden gerne zur Verfügung, aber ei- tisch verschlimmert. Da kam unsere Idee, Essens- gefunden, den wir gesucht hatten. überglücklich gemacht. Denn auf den Gesichtern, nen der Welt. Macht weiter so gentlich haben sie alles selber geplant pakete zu verteilen, um die Menschen so einen Monat Obwohl das Freifach bereits beendet war, unter- auf denen einst Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung – vielen Dank!» und realisiert. Sie haben ein Gespür dafür, lang mit dem Nötigsten zu versorgen, genau richtig. stützte uns Pietro Tomasini mit Tipps und seiner gros- gelegen hatte, lag jetzt ein Lächeln. Das Wissen, was es braucht und wie man ein Projekt — Stephan Amstutz, Prorektor anpackt. Beim Fundraising konnte ich viel- Im Frühlingssemester 2020 hatten wir beide das sen Erfahrung. Nicht nur hat er sich Zeit für uns genom- dass diese Menschen sich für einen Monat nicht um leicht noch den einen oder anderen Tipp Freifach Entwicklungszusammenarbeit bei Pietro men und all unsere Fragen beantwortet, sondern uns die nächste Mahlzeit sorgen müssen, ist ein Erfolg geben. Tomasini besucht. Im Unterricht sprachen wir oft über auch bei Recherchen geholfen. für uns wie auch für die Spenderinnen und Spender. Das Projekt in Bangladesch war ein sehr gelungener Start, aber ich traue den das Ungleichgewicht und die Ungerechtigkeit auf Um unserem Ziel näher zu kommen und das Dies macht uns sehr stolz auf unser erstes kleines beiden noch viele weitere Projekte zu. der Welt. Dabei wurde uns immer mehr bewusst, wie Projekt ins Rollen zu bringen, mussten wir mit der Pla- gelungenes Projekt und motiviert uns weiterzumachen. Denn sie gehen die Projektarbeit umsich- gut es uns hier in der Schweiz geht. Meistens gingen nung anfangen und uns eine Strategie überlegen, um Im Sommer 2020 haben wir mit «Venire, Videre, tig an, planen vorsichtig und haben alle Schülerinnen und Schüler mit einem schlechten das benötigte Geld zu sammeln. Unser erster Gedanke Iuvare» (VVI) unsere eigene Entwicklungshilfeorganisa- grosse Freude an dem, was sie tun. Sie nehmen Ratschläge an und setzen die Gewissen nach Hause. Dieses schlechte Gewissen war ein Kuchenverkauf oder dergleichen. Aber da in tion gegründet und einen ersten Schritt in der Welt Tipps gut um. Das sind die besten Voraus- hat uns dazu bewogen, im Bereich der Entwicklungs- der Schweiz keine Versammlung von Leuten erlaubt war der Hilfsorganisationen gemacht. Wir haben schon setzungen. Ich wünsche den beiden, zusammenarbeit tätig zu werden. Wir wollten nicht und wir durch die BAG‑Massnahmen eingeschränkt mehrere Ideen gesammelt, die wir gerne umsetzen dass sie für ihre Projekte auch die nötige Unterstützung finden.» mehr nur zuschauen, sondern handeln und selber etwas waren, mussten wir uns eine Alternative ausdenken. Weil würden und blicken mit Zuversicht in die Zukunft von bewirken. Im Freifachunterricht wurde uns beige- Kirchen, Moscheen oder Synagogen in der Schweiz VVI. Auf unserer Website www.vviuvare.ch sind — Pietro Tomasini, Gymnasiallehrer bracht, wie man ein solches Projekt richtig plant und häufig Spenden für solche Projekte sammeln, kamen wir weitere Informationen zu unserer Organisation sowie und Geschäftsleiter von International worauf man achten muss. Dank dem Freifach erhiel- auf die Idee, dort unser Projekt vorzustellen. Eine an- zu unserem Projekt in Bangladesch zu finden. Wer Project Aid ten wir einen wichtigen Einblick in die Entwicklungs- dere Einnahmequelle waren Familien und Freunde, die uns bei unseren weiteren Projekten unterstützen möch- zusammenarbeit. uns mit ihrem Beitrag halfen, unser Projekt auf die Bei- te, findet dort die Möglichkeit, dies zu tun. Damit wir die Situation in Durgapur besser ver- ne zu stellen. Als im Sommer die Corona‑Massnahmen stehen und eine gute Lösung für das Problem finden gelockert wurden, bot uns ausserdem eine gute Freun- konnten, mussten wir uns zuerst einen Überblick über din aus der Schule an, uns mit Strassenmusik zu helfen, die Lage verschaffen. Um mehr Informationen zu weiteres Geld zu sammeln. bekommen, nahmen wir Kontakt mit einem lokalen Pro- Nachdem wir Ende Sommer genug Geld für das fessor der Universität Rajshahi auf, der ein Freund Projekt zusammen hatten, war es an der Zeit die Essens- Eya Takrouni der Familie war. Er machte uns auf das Dorf Durgapur pakete an die Bewohner Durgapurs zu organisieren. Wir Mrittika Sadmin G4d aufmerksam. Begeistert von unserer Idee, bot Na- erstellten eine Liste mit allen nötigen Dingen. Ursprüng- FOTOS : Z VG hidul Islam uns seine Hilfe an und erklärte sich dazu lich hatten wir geplant, 100 Familien zu unterstützen. bereit, uns vor Ort zu vertreten und bei unserem Nun merkten wir, dass unser Geld für mehr reichen wür- Vorhaben zu unterstützen. Daraufhin ging er in die de. Die Organisation vor Ort übernahm unser neu ge- 16 h info #2 2021 h info #2 2021 17
Maturitätsaufsatz Erwartungen an die Jugend Der bei Google 2019 am häufigsten gesuchte von Noah Niebergall Begriff lautet «mental health». Die Corona-Pandemie war und ist für uns alle eine schwierige Zeit. Und doch merken wir mit steigenden Impfzahlen und sinken- den Todesfällen, dass sie sich langsam dem Ende neigt. Dies gibt uns als Gesellschaft die Möglichkeit, auf die letzten eineinhalb Jahre zurückzublicken und unser Handeln zu reflektieren. Mir persönlich wurden verschiedene Und so gerne wir erschreckende gesellschaftliche Probleme vor Augen geführt: Die Jugendlichen auch unsere Probleme — Rechtsextremismus ist so verbreitet sind sowieso selber lösen würden, wie nie zuvor. noch viel zu jung, hier kommen wir — Der Grat zwischen Meinung und um so komplexe an unsere Grenzen. wissenschaftlichem Fakt verschwin- Themen wie Klima Wir sind auf die Hilfe det. Die eigenen Ansichten können und Wirtschaft der Erwachsenen als universelle Wahrheiten dargestellt werden. zu verstehen. angewiesen. — Die für mich jedoch wichtigste und gleichzeitig deprimierendste Erkenntnis ist, dass sowohl Erwachsene, also Eltern oder Lehrpersonen, als auch Ein weiteres Problem ist, dass die Erwach- Die für mich und einen Grossteil meiner Gene- Man kann viel darüber spekulieren, welche Politiker keine Ahnung haben, wie senen oftmals der Ansicht sind, sie wüssten ration jedoch mit Abstand verletzendste Faktoren dafür verantwortlich sind. Ein Grund es der Jugend geht. es besser als die Jugendlichen. Alter macht Erwartung und Ansicht der Erwachsenen ist, könnte Social Media sein und die dadurch Mit dieser letzten Erkenntnis bin ich nicht bekanntlich weise. Hier kommt das Stichwort dass es uns so gut geht wie noch nie und ausgelöste allgegenwärtige Angst davor, nicht allein. Der Kinder- und Jugendpsychiater Klimawandel ins Spiel. Das Klima verändert wir uns dessen nicht einmal bewusst, also schön, klug, schlank oder interessant genug Leonhard Funk kritisiert im Interview mit dem sich, das ist wissenschaftlich bewiesen. Glet- dafür auch nicht dankbar sind. Diese Mei- zu sein. Vielleicht sind wir aber auch einfach «Magazin» die rücksichtslose Politik der scher schmelzen, Waldbrände toben welt- nung ist der Höhepunkt der Ignoranz und durch unseren Wohlstand verweichlicht und Regierung, aber auch den Umgang der Er- weit, täglich sterben 10 Arten aus. Und obwohl der Verblendung der Erwachsenen. Ohne sind nicht mehr in der Lage, die Erwartungen wachsenen mit den Jugendlichen im Allge- Jugendliche aus aller Welt auf die Strassen Zweifel, wir sterben nicht mehr an einer ge- anderer zu erfüllen und selber Verantwortung meinen. Dies möchte ich im Folgenden an- gehen und demonstrieren, ist ein Grossteil der wöhnlichen Grippe, müssen weder in den zu übernehmen. Die Suche nach einer solchen hand verschiedener Beispiele verstärken. Erwachsenen der Ansicht, nichts tun zu Krieg ziehen noch bei unseren Eltern auf dem Ursache ändert jedoch nichts an der Tat- müssen. Wieso sollten sie auch? In fünfzig Acker arbeiten. Und doch ist die Jugend sache, dass es uns als Bevölkerungsgruppe Das akuteste Beispiel ist der Umgang mit der Jahren werden die meisten ohnehin nicht von heute eine traurige. schlecht geht. Was wir jedoch durchaus Corona-Pandemie. Um Risikogruppen zu mehr auf dieser Erde weilen. Und abgesehen Kinder- und Jugendpsychologen sowie ändern können, ist der Umgang mit solchen schützen, griff der Bundesrat zu drastischen davon sind die Jugendlichen sowieso noch Psychiater kommen an ihre Kapazitäts- Problemen. Und so gerne wir auch unsere Massnahmen, in der Hoffnung, alle würden viel zu jung, um so komplexe Themen wie Kli- grenzen. Der bei Google 2019 am häufigsten Probleme selber lösen würden, hier kommen sich diszipliniert an die verhängten Regeln ma und Wirtschaft zu verstehen. Auf eine gesuchte Begriff lautet «mental health». wir an unsere Grenzen. Wir sind auf die und Verordnungen halten. Die Schliessung gewisse Art und Weise ist der Klimawandel Suizid ist in Europa und den USA die zweit- Hilfe der Erwachsenen angewiesen. Anstatt der Schulen, Bars und Freizeiteinrichtungen der Corona-Pandemie erstaunlich ähnlich. häufigste Todesursache bei Jugendlichen Depressionen, Angststörungen und andere hatte jedoch massive Auswirkungen auf Der einzige Unterschied liegt darin, nicht die zwischen 15 und 24 Jahren. Psychische Er- Krankheiten totzuschweigen, gilt es, einen of- die mentale Gesundheit der Gesellschaft, Alten, sondern die Jungen zu schützen, krankungen wurden zu einer globalen fenen Diskurs zu halten und allem voran im Speziellen jedoch auf die der Kinder die die Auswirkungen des Klimawandels noch Pandemie. den Mitmenschen zuzuhören. und Jugendlichen. miterleben werden. Eine Umfrage der Universität Zürich Was wir von den Erwachsenen fordern Wir sind keine Maschinen, die ohne Weite- im Jahr 2018 zeigte, dass rund 8 % aller Stu- ist Solidarität und Rücksicht, so wie wir res und pausenlos funktionieren. Wir sind dierenden Symptome für eine Depression dies in der Corona-Pandemie auch ihnen ent- sensible Wesen, die unter der Last des Leis- aufwiesen. 2020 wurde erneut eine solche gegenbringen. Davon ist bis jetzt allerdings tungsdrucks und der uns auferlegten Er- Umfrage durchgeführt. Dieses Mal stieg wenig zu spüren. wartungen von anderen langsam, aber sicher der Wert auf entsprechende 28 %. Wie kann zu ersticken drohen. es sein, dass knapp ein Drittel aller junger Erwachsener so stark unter der Pandemie leidet und die Regierung trotzdem nichts tut, um dem entgegen zu wirken? Stattdessen unternimmt sie einen kläglichen Versuch, Unterricht und zwischenmenschlichen Kon- takt mit gelegentlichen Zoom‑Konferenzen zu substituieren, mit der Erwartung, die Quali- tät des Präsenzunterrichts beizubehalten. FOTO : I VA N101 / ISTO CK PH OTO Hauptsache, die Bildungsziele werden er- reicht. Koste es, was es wolle. Noah Niebergall ehem. G4e 18 h info #2 2021 h info #2 2021 19
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