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2 2017 Inklusion und Elite: Bildung im Umbruch w w w . m a ga z i n . u n i - h a l l e . d e KALEI bereitet Lehrer besser auf die Praxis vor Forschergruppe untersucht exklusive Schulen D A S M A G A Z I N D E R M A R T I N - L U T H E R - U N I V E R S I T Ä T H A L L E - W I T T E N B E R G
sc ient ia hal ensis 2 / 2017 editor ial 3 Liebe Leserinnen, liebe Leser, nd mehr wir sind alle einmal zur Schule gegangen. Im Rück- Es gibt jedoch auch einen entgegengesetzten u blick erinnern wir uns heute meist gern an die Trend in der Bildung, hin zu exklusiven Schulen – s Lehrerinnen und Lehrer, die uns für ihr Fach be- Schulen, in denen man gern unter sich bleibt. Das s Manuela Bank-Zillmann, geistert und individuell gefördert haben. Gute Leh- Ausmaß dieser der Inklusion entgegengesetzten Leiterin der Pressestelle rerinnen und Lehrer können die Biografien ihrer Entwicklung hat die von der Deutschen For- (Foto: Markus Scholz) e Basic- Schülerinnen und Schüler entscheidend prägen. schungsgemeinschaft geförderte Forschergruppe Fitn Chancengerechte und inklusive Bildung – das Ziel 1612 „Mechanismen der Elitebildung“ an der Uni- Mitgliedschaft ab der globalen Bildungsagenda der Vereinten Nati- versität Halle sechs Jahre lang intensiv untersucht. onen – heißt deshalb auch: Jeder soll die gleichen Im Magazin fassen die beiden Sprecher einige der 19,90€ Chancen auf gute Lehrerinnen und Lehrer haben. mitunter besorgniserregenden Befunde im Inter- * Für diese bedeutet ein inklusives Schulsystem, dass die Bedürfnisse aller Schülerinnen und Schüler be- view mit Tom Leonhardt zusammen. Diese und alle anderen Texte der „scientia halensis“ rücksichtigt werden. Mit der Berücksichtigung von sowie englische Fassungen und weitere Beiträge Defiziten hat das nichts zu tun, sondern vielmehr finden Sie wie gewohnt auch im Onlinemagazin damit, die Vielfalt im Klassenzimmer als wesent- der Universität. Dieses jedoch sieht jetzt nicht /Monat! lichen Bestandteil der eigenen Arbeit zu sehen. Wie Lehramtsstudierende an der Universität Halle nur neu und modern aus, sondern hat nun auch einen eigenen Namen: „campus halensis“. Unter auf diese Unterrichtspraxis vorbereitet werden, der Adresse www.campus-halensis.de finden Sie Neu gestaltet: Mit diesem beschreibt Friederike Stecklum in ihrem Text über alles, was auf dem Campus passiert: von studen- Zeichen sind im Heft das Projekt „Kasuistische Lehrerbildung für den tischen Themen bis hin zur Wissenschaft – meist Verweise auf Texte im inklusiven Unterricht“, kurz: KALEI. Dort lernen tagesaktuell. Auch hier im Heft haben wir mit dem Online-Magazin „campus die Studierenden, mit den ganz unterschiedlichen neuen Icon gekennzeichnet, wo es online weiter- halensis“ gekennzeichnet. Voraussetzungen ihrer Schüler umzugehen und auf geht. Wir hoffen, dass Ihnen „campus halensis“ jeden individuell einzugehen. Die Wissenschaftler und „scientia halensis“ gefallen und sind gespannt im Projekt helfen den angehenden Lehrerinnen auf Ihr Feedback. Melden Sie sich. Wir freuen uns. Kontakt: und Lehrern auch dabei, einen eigenen Standpunkt magazin@uni-halle.de zum Thema Inklusion zu entwickeln. Manuela Bank-Zillmann, Leiterin der Pressestelle Telefon: +49 345 55-21004 IMPRESSUM scientia halensis Redaktion: Kontakt: Mediadaten: Für scientia halensis liegen Copyright Magazin der Martin-Luther-Universität Manuela Bank-Zillmann (mab), Martin-Luther-Universität www.pr.uni-halle.de/mediadaten und alle weiteren Rechte bei der Mar- Halle-Wittenberg (MLU) verantwortlich Halle-Wittenberg tin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Corinna Bertz (cb), Stabsstelle des Rektors / Pressestelle Druck: (MLU). Weiterverbreitung, auch in Aus- Ausgabe 2/2017, 25. Jahrgang Koordinierung Universitätsplatz 9, 06108 Halle (S.) Löhnert-Druck zügen, für pädagogische, wissenschaft- Auflage 6.000 Exemplare Sarah Huke (sh) Telefon: +49 345 55-21004 04420 Markranstädt liche oder private Zwecke ist unter An- ISSN 0945-9529 Tom Leonhardt (tol) E-Mail: magazin@uni-halle.de gabe der Quelle gestattet (sofern nicht Friederike Stecklum (fs) Original-Design: anders an der entsprechenden Stelle erscheint halbjährlich Anzeigen / Satz / Gesamtherstellung: Sisters of Design ausdrücklich angegeben). Eine Verwen- sowie im Internet: Weitere Autoren dieser Ausgabe: wpunktw www.sistersofdesign.de dung im gewerblichen Bereich bedarf www.campus-halensis.de Ines Godazgar (igo) kommunikation + werbung gmbh der Genehmigung durch die MLU. Benjamin Haerdle (hbj) Roßplatz 8a, 04103 Leipzig Herausgeber: Jens Müller (jm) Telefon: +49 341 226707-0 Titelgrafik: Rektor der Martin-Luther-Universität Katharina Ziegler (kaz) kontakt@wpunktw.com RichVintage/iStock Halle-Wittenberg www.wpunktw.com
4 inhalt sv er z eic hnis sc ient ia hal ensis 2 / 2017 sc ient ia hal ensis 2 / 2017 inhalt sv er z eic hnis 5 inhalt Titelthema 24 Kontext: Positive Psychologie Der Psychologe PD Dr. René Proyer 6 Besser vorbereitet in die Schule über die Hintergründe der Positi- KALEI bereitet Studierende auf die ven Psychologie inklusive Unterrichtspraxis vor 26 Praktisch und nachhaltig: Die 9 Zehn Jahre Zentrum für Lehrer Milchkapseln aus Halle bildung Doktorandin Martha Wellner hat 10 Zwischen „Bonzenschule“ und selbstauflösende Kapseln entwickelt „Gymnasium für Arme“ 28 Forschung oder Familie? Uni-Archiv mittendrin {32} Interview über die Ergebnisse der „Ich möchte beides haben“ IPBES: Mitteldeutsche Forscher DFG-Forschergruppe „Mechanis- Constanze Pinske ist Mikrobiologin mischen mit {20} Freundliche Atmosphäre, viel Platz men der Elitebildung“ und Mutter zweier kleiner Kinder und optimale Bedingungen – so 30 Neu erschienen Wissenschaftler aus aller Welt präsentiert sich das Universitätsar- arbeiten im Weltbiodiversitätsrat chiv am neuen Standort. Der Um- Studieren, IPBES an einer globalen Bestands zug in die Dachritzstraße förderte lehren, leben Varia aufnahme zur Artenvielfalt. Auch zudem Unentdecktes zu Tage. die Uni Halle ist in dem inter- Inklusion und Elite: 13 Ein Schrittmacher für die Allge- 32 Uni-Archiv mittendrin (Foto: Maike Glöckner) nationalen Gremium prominent meinmedizin Seit Juni präsentiert sich das Uni- Die ersten Teilnehmer der „Klasse versitätsarchiv in der Dachritzstraße vertreten. Bildung im Umbruch {6} Allgemeinmedizin“ schließen 2017 ihr Studium ab 34 35 Meldungen 200 Jahre Halle und Wittenberg: (Foto: Chinnapong/Fotolia) 16 Spitzenplatz für hallesche Juristen- Akademische Tradition mit Zepter Ausbildung und Talaren Jeder soll in Deutschland die gleichen Chancen auf Bildung Warum der Juristische Bereich beim haben. Für Lehrerinnen und Lehrer heißt das, dass ganz ver- CHE-Ranking so gut abschneidet schiedene Bedürfnisse im Klassenzimmer zu berücksichtigen 17 Akademisches Orchester: Festival Personalia zum 60-Jährigen sind. Jedes Kind bringt unterschiedliche Lernvoraussetzungen 18 Eine Verbindung mit Geschichte 36 „Ich bin selbst noch nicht fertig“ mit. Um Lehramtsstudierende besser auf eine inklusive Un- Hochschulpartnerschaft mit der Die Hochschul- und Studierenden- größten Universität Armeniens pfarrerin Christiane Thiel im Porträt terrichtspraxis vorzubereiten, gibt es an der Universität Halle verlängert 38 20 Fragen an Conny Hödt das Projekt „Kasuistische Lehrerbildung für den inklusiven 40 Neuberufen 46 Meldungen Unterricht“, kurz KALEI (S. 6). Forschen und „Ich bin selbst noch Bildungsungleichheit kann heute aber schon im Kindergarten publizieren Ein Schrittmacher für die anfangen: Denn Eltern wollen stets die beste Bildung für ihre Schlussstück nicht fertig“ {36} 20 Weltbiodiversitätsrat: Mitteldeut- Allgemeinmedizin {13} Christiane Thiel kam 2016 als Kinder und suchen deshalb nach exklusiven Angeboten. Das sche Forscher mischen mit 50 Neu aufgeschlagen: Die Zukunft Johannes Thon ist einer der ersten Hochschul- und Studierendenpfar- Ausmaß dieser Entwicklungen hat die von der Deutschen Wissenschaftler aus aller Welt arbei- Teilnehmer der „Klasse Allgemein- ten an einer globalen Bestandsauf- rerin der Evangelischen Studieren- Forschungsgemeinschaft geförderte Forschergruppe 1612 „Me- medizin“, die 2017 ihr Studium nahme zur Artenvielfalt dengemeinde nach Halle. Seitdem abschließen. Mit dem Projekt wol- arbeitet sie daran, ihre Gemeinde an chanismen der Elitebildung“ an der Uni Halle untersucht. Im 23 Meldungen len Mediziner Studierende für den der Uni und in der Stadt sichtbarer Interview ab Seite 10 fassen die Sprecher der Gruppe ausge- Beruf des Hausarztes begeistern. zu machen. wählte Ergebnisse zusammen. (Foto: RichVintage/iStock) (Foto: Maike Glöckner) (Foto: Markus Scholz) Some stories are also available in English: www.campus-halensis.de/en
6 t it elt hema sc ient ia hal ensis 2 / 2017 sc ient ia hal ensis 2 / 2017 t it elt hema 7 Lernvoraussetzungen eine Klasse besuchen, ist den Lehrer in die Praxis. Denn je nach Universität nicht selbstverständlich. Dabei fordert das Über- und Bundesland sammeln Lehramtsstudierende einkommen der Vereinten Nationen über die häufig erst spät Unterrichtserfahrungen, manch- Rechte von Menschen mit Behinderungen bereits mal sogar erst während ihres Referendariats. seit 2008, dass das Schulsystem inklusiv angelegt An der Uni Halle ist das nicht der Fall. Statt langen sein soll und allen Menschen offensteht. Inklusion Blockpraktika oder einem Praxissemester gibt es in den Schulalltag und das bestehende System zu mehrere kürzere Praxisphasen. Das weiß Studen- integrieren erweist sich jedoch als Aufgabe, die tin Nora Haser zu schätzen: „Ich habe vorher an viele Ressourcen und Reformen bedarf. „Welche der Uni Stuttgart studiert. Da dauerten die Prakti- Schulform ein Kind besucht, hängt in Deutschland ka neun Wochen. Ich finde die kürzeren Intervalle leider oft noch von Leistung und sozialer Herkunft in Halle besser, weil sie mehr Gelegenheit geben, ab. Dass ein Kind mit Förderbedarf beispielswei- die Erfahrungen danach zu reflektieren und dar- se ein Gymnasium besucht, ist immer noch eher aus zu lernen.“ selten“, sagt Susanne Schütz vom Zentrum für Lehrerbildung (ZLB) der Uni Halle. Sie koordiniert das Projekt KALEI. „Wir sollten uns von der Vor Zukünftig stehen angehende Lehrkräfte vor der stellung verabschieden, dass Aufgabe, inklusiven Unterricht anzubieten. Bisher spielte dieser Aspekt in ihrer Ausbildung kaum Inklusion nur mit Def iziten eine Rolle. Inklusion bedeutet dabei aber nicht zu tun hat.“ nur, Kindern mit Behinderung gerecht zu werden. Susanne Sc h ütz „Wir sollten uns von der Vorstellung verabschie- t i t el: bi l d ung i m u m bruc h den, dass Inklusion nur mit Defiziten zu tun hat. Vielmehr geht es darum, die unterschiedlichen Die praktischen Erfahrungen sollen im Zuge von Lernvoraussetzungen und sozialen und kulturel- KALEI noch stärker in das Lehramtsstudium ein- len Unterschiede, die jeder Mensch mitbringt, zu gebunden werden. „Wir wollen die Praktika neu berücksichtigen“, sagt Susanne Schütz. Deshalb ausrichten und dafür sorgen, dass die Studieren- Besser vorbereitet in die Schule ist ein Ziel von KALEI, angehende Lehrerinnen den sich früh und oft genug an authentischen und und Lehrer im Studium auf inklusiven Unterricht konkreten Fällen ausprobieren können“, sagt Su- vorzubereiten und für die verschiedenen Be- sanne Schütz. Denn im Studium bekommen sie das dürfnisse der Kinder und Jugendlichen zu sen- methodische und didaktische Wissen vermittelt sibilisieren. – wichtiger ist aber, die Theorie in die Praxis umzu- setzen und darüber zu reflektieren. Schließlich ist ein Schwerpunkt des Projekts die Intensivierung Jede Schülerin und jeder Schüler ist anders. In der Ausbildung von Lehramtsstudierenden wurde das bisher Arbeit an konkreten Fällen der kasuistischen Studienanteile. Kasuistik bedeu- tet hier, dass sich die Studierenden an möglichst zu wenig berücksichtigt. Das Projekt „Kasuistische Lehrerbildung für den inklusiven Unterricht“ (KALEI) Das Projekt wird im Rahmen der „Qualitätsof- vielen Fällen ausprobieren, um daraus zu lernen. soll das mit einem verstärkten Fokus auf die Unterrichtspraxis ändern. fensive Lehrerbildung“ gefördert, die 2013 in der Dazu dienen beispielsweise die schulpraktischen gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund Übungen, in denen sie in Kleingruppen zunächst und Ländern ins Leben gerufen wurde. „Es ist ein im Schulunterricht hospitieren und dann selber wichtiges Signal, dass Bund und Länder die Lehrer- Stunden übernehmen. „Ich fand es sehr hilfreich, Eine Studentin, die bereits von den Projekter- Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen bildung zur gemeinsamen Aufgabe erklärt und die dass jeder mal dran war und wir uns gegenseitig gebnissen profitiert, ist Nora Haser. Sie hat ein Lernvoraussetzungen, darunter auch Kinder mit Initiative gestartet haben“, sagt Prof. Dr. Thomas beobachtet haben. Da ist der Druck nicht ganz so Jedes Kind bringt andere Praktikum an der Integrierten Gesamtschule sonderpädagogischem Förderbedarf. „Darauf war Bremer, Direktor des ZLB. Denn obwohl Schulen groß und man übt in einem geschützten Rahmen“, Lernvoraussetzungen mit. Halle (IGS Halle) gemacht und berichtet am Te- ich vorher sehr gespannt, wie flexibel ich die Stun- Ländersache sind, haben Bund und Länder in der berichtet Nora Haser von ihren Erfahrungen. An der Uni Halle wer- lefon von ihren Eindrücken am ersten Tag: „Ein den planen kann und ob ich viele alternative Auf- Förderinitiative bis zu 500 Millionen Euro in den Die Fallarbeit dient der doppelten Professionali- den Lehramtsstudierende wenig aufgeregt war ich schon, bevor ich in die gaben vorbereiten muss“, sagt Nora Haser, die im kommenden Jahren bereitgestellt. KALEI erhält sierung der Studierenden. „Zum einen lernen sie darauf vorbereitet, auf deren unterschiedlichen Bedürfnisse Klasse ging. Ich habe eine Doppelstunde Deutsch neunten Semester Deutsch und Kunst auf Gymna- davon seit 2016 rund zwei Millionen Euro für vier bereits in der Ausbildung, Unterricht ohne den einzugehen. (Foto: RichVin- gehalten und mich drei Tage darauf vorbereitet.“ siallehramt an der Universität Halle studiert. Dass Jahre. Ein Anliegen der „Qualitätsoffensive Lehrer- Druck der Praxis zu diskutieren. Zum anderen tage/iStock) In den Klassen, die sie unterrichtet hat, sitzen Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen bildung“ ist der schnellere Einstieg der angehen- können sie an eigenen und fremden Fällen, aus-
8 t it elt hema sc ient ia hal ensis 2 / 2017 sc ient ia hal ensis 2 / 2017 t it elt hema 9 Nora Haser – hier im Seminare, zum anderen tragen die beruflichen nität der Schülerinnen und Schüler werden“, sagt Kunstraum der IGS Halle – Hintergründe der Dozentinnen und Dozenten Wittek. Dafür nutzt sie mit ihrem Team Online- studiert Deutsch und Kunst dazu bei. Denn die Profilseminare haben je nach Fragebögen und führt qualitative Befragungen mit auf Gymnasiallehramt an der Uni Halle. Seminarleiter eine sozial-, schul- oder förderpäda ausgewählten Studierenden durch. (Foto: Maike Glöckner) gogische Ausrichtung. Ein weiterer Forschungsaspekt ist die Frage, wie sich der Lehrerhabitus entwickelt. „Also denken angehende Lehrer zuerst: Ich bin Historiker oder Geht das Konzept auf? ich bin Lehrer für Geschichte?“, sagt Susanne Schütz. Welcher Aspekt davon ist vorrangig: das Die Diskussionen im Seminar haben Nora Haser Fach oder der Gedanke, Lehrer zu sein? Was da- zum Nachdenken angeregt: „Ich hatte mir vor- von ist zielführend? Und wie verändert sich diese her über das Thema Inklusion tatsächlich kaum Wahrnehmung in der Berufsbiografie? Der Pro- Gedanken gemacht.“ Besonders hilfreich fand sie jektkoordinatorin liegt innerhalb von KALEI vor auch die unterschiedlichen Methoden, die sie im allem eines am Herzen: „Wir wollen die verschie- Seminar an die Hand bekam und später im Unter- denen Lehrerbildungsbereiche innerhalb der Uni- richt ausprobieren kann. Ob es anderen Studie- versität besser untereinander vernetzen und An- renden ähnlich geht, ist zugleich eine Forschungs- lässe zum Austausch bieten.“ Friederike Stecklum frage des Projekts. Denn Angebote zu entwickeln und durchzuführen ist die eine Seite, die andere zu überprüfen, ob und wie sie wirken und zu opti- Kontakt: Susanne Schütz mieren. Diesen Part übernimmt Juniorprofessorin probieren, welche Reaktionsmöglichkeiten sie zu sammeln. Die Situation an der IGS Halle war Dr. Doris Wittek, die KALEI wissenschaftlich evalu- Koordinatorin KALEI in den Situationen hätten“, erzählt die Projekt- dennoch ganz besonders für sie. Denn mit den iert. „Wir untersuchen unter anderem, inwiefern Telefon: +49 345 55-23563 koordinatorin. Zukünftig wird es dafür auch ein unterschiedlichen Förderbedarfen der Kinder hat- KALEI-Teilnehmende sensibler für die Heteroge- E-Mail: susanne.schuetz@zlb.uni-halle.de elektronisches Fallarchiv geben. In der Datenbank te sie bisher vor allem in der Theorie zu tun. „Ich werden authentische Fälle gesammelt, die für die war davon ausgegangen, dass ich quasi für jeden Forschung und Lehre genutzt werden können. Schüler eigenes Arbeitsmaterial haben muss. Zum Glück ist es dann doch nicht so speziell. Kinder, die Zehn Jahre Zentrum für Lehrerbildung beispielsweise eine Leserechtschreibschwäche Perspektivwechsel und Denkanstöße haben, bekommen andere Arbeitsblätter oder Es ist die Anlaufstelle für alle Lehramtsstudie- alle wichtigen Institutionen unter einem Dach: das dürfen mit dem Tablet schreiben“, berichtet sie. renden: das Zentrum für Lehrerbildung (ZLB) der Prüfungsamt für Lehrämter, das Praktikumsbüro, Eine weitere Aufgabe, vor der angehende Lehr- Zudem gebe es Förderangebote, die den Schülern Universität Halle. Seine Gründung war eng mit die Alumni-Stelle und die Studienberatung sowie kräfte stehen, ist, auf die sprachliche und kulturel- etwa nachmittags besondere Unterstützung an- der Modularisierung der Lehramtsstudiengänge verschiedene Projekte – darunter auch KALEI. Da- le Vielfalt im Unterricht einzugehen. Bisher finden bieten. Das Basisseminar „Grundlagen inklusiver während der Bologna-Reform verknüpft. Denn rüber hinaus gibt es ein Studienbegleitprogramm, sich diese Aspekte kaum im Lehramtsstudium Pädagogik“, das im Rahmen von KALEI angeboten damals existierte keine zentrale Einrichtung an der wie etwa einen Stimmcheck für Lehramtsstudie- wieder. Deshalb fördert KALEI die Internationa- wird, hat sie für das Thema im Vorhinein sensibi- Uni Halle, die Lehramtsstudierenden bei Fragen rende oder Ringvorlesungen. „Ein besonderer lisierung des Lehramts und den interkulturellen lisiert. Es wurde im Profilmodul Inklusion entwi- weiterhelfen konnte. „Damals stand zur Debatte, Meilenstein war die Förderung durch die Qua- Austausch der Studierenden etwa durch Aus- ckelt und ist seit dem Wintersemester 2016/17 für ob man eine School of Education gründet, bei der litätsoffensive Lehrerbildung vor zwei Jahren“, landspraktika. Zudem gibt es das Ergänzungsfach die Lehramtsstudierenden verpflichtend. man alle Didaktiken und Erziehungswissenschaf- resümiert Marie-Theres Müller. Auch der Direktor Deutsch als Zweitsprache, das unter anderem Mo- Ziel des Basisseminars und der darauf aufbau- ten in einer gesonderten Fakultät vereint. Diese ist zufrieden mit der bisherigen Arbeit: „Wir waren dule zu Interkulturalität, Migration und Integrati- enden Profilseminare ist nicht, die Studierenden Pläne wurden aber schnell ad acta gelegt“, sagt immer in der Lage, auf politische Vorgaben und on beinhaltet. Haser hat bereits vor dem Studium von einer Meinung zur Inklusion zu überzeugen. der Direktor des ZLB Prof. Dr. Thomas Bremer. aktuelle Entwicklungen einzugehen. Aus unserer einen Auslandsaufenthalt absolviert. „Ich habe „Vielmehr wollen wir sie dazu ermutigen, einen ei- Stattdessen etablierte sich das Modell eines Zen- Sicht darf es gerne so positiv weitergehen.“ nach dem Abitur im Ausland in einem Kindergar- genen Standpunkt dazu zu entwickeln. Wir geben trums für Lehrerbildung. Dieses Jahr feiert das ZLB Am 15. November findet die Jahrestagung des ten mit Ganztagsschule ein Praktikum gemacht. ihnen wissenschaftliche Argumente an die Hand bereits seinen zehnten Geburtstag. „Wir haben ZLB statt. Sie steht unter dem Thema „Bildung Beitrag im Die Arbeit mit Menschen hat mich interessiert und und regen sie zur Reflexion an“, betont Susanne unsere Arbeit aufgenommen, als sich die ersten für nachhaltige Entwicklung im Lehramtsstudium“ Onlinemagazin „campus halensis“: mir derart Spaß gemacht, dass ich mich schließlich Schütz. Die verschiedenen Blickwinkel auf Inklusi- Studierenden für die modularisierten Lehramts- und beginnt um 9.30 Uhr in der Aula des Löwenge- Thomas Bremer und Marie- für ein Lehramtsstudium entschieden habe.“ on und Heterogenität werden durch zwei Aspek- studiengänge mit Staatsexamen eingeschrieben bäudes am Universitätsring 11. Bildungsminister Theres Müller im Interview Inzwischen hatte sie bereits neun Semester Gele- te verstärkt: Zum einen besuchen Studierende haben“, erzählt Geschäftsführerin Dr. Marie- des Landes Sachsen-Anhalt Marco Tullner wird die über zehn Jahre ZLB genheit, erste Unterrichtserfahrungen als Lehrerin der unterschiedlichen Lehramtsstudiengänge die Theres Müller. Die zukünftigen Lehrer finden nun Gäste mit einer Festrede begrüßen. fs http://bit.ly/10JahreZLB
10 t it elt hema sc ient ia hal ensis 2 / 2017 sc ient ia hal ensis 2 / 2017 t it elt hema 11 Zwischen „Bonzenschule“ und „Gymnasium für Arme“ Gute Bildung ist der Schlüssel zum Erfolg. Deshalb suchen Eltern nach den besten Schulen für ihre Kinder und Schulleiter bemühen sich um einen exzellenten Ruf ihrer Einrichtung. Das Ausmaß dieser Entwick- lungen und die Bedeutung für die Gesellschaft untersucht seit 2011 die von der Deutschen Forschungsgemein- schaft geförderte Forschergruppe 1612 „Mechanismen der Elitebildung“ an der Uni Halle. Im Interview fas- sen die Sprecher der Gruppe Prof. Dr. Werner Helsper und Prof. Dr. Heinz-Hermann Krüger ausgewählte Ergebnisse zusammen. Gibt es in Deutschland viele Eliteschulen? Helsper: Weil wir die Entwicklungen im Bereich Werner Helsper: Das kommt darauf an, was man exklusiver Bildungsinstitutionen im ganzen Bil- unter Elite versteht. Gerade im Bildungssystem dungssystem und auch die Unterschiede zwi- ist der Begriff aber sehr heikel. Eine Hierarchie schen den Teilbereichen in den Blick nehmen zwischen Bildungsinstitutionen ist historisch wollen. Der Kindergarten ist als entscheidender keineswegs neu. Aber in den letzten beiden Bildungsraum in den letzten Jahren „entdeckt“ Jahrzehnten zeichnen sich etwa im Bereich der worden. Eltern fragen eher danach, welche Bil- Internationalisierung neue Entwicklungen ab. dungsangebote die Kindergärten unterbreiten. Ebenso in der Gründung von Hochbegabtenin- Das ist für hochpreisige kommerzielle Kinder- ternaten. Und der Trend zur privaten Schulen gärten selbstverständlich, bei denen finanziell Welche Rolle spielen diese privaten Schulen? Ein Gymnasium in einer ländlichen Lage hat keine Werner Helsper (links) und nimmt deutlich zu. besser gestellte, hochmobile Eltern als „Kunden“ Helsper: Mit jeder neuen privaten Schule – ausge- Konkurrenz, weil das nächste Gymnasium weit Heinz-Hermann Krüger leiten die DFG-Forscher- auftreten und gewisse Privilegien einfordern kön- nommen die Neugründung von privaten Grund- entfernt ist. Internationale Schulen brauchen da- gruppe. (Foto: Maike Wieso ist der Elitebegriff so heikel? nen. Generell ist der Druck auf die Eltern bei der schulen, die als Folge der Schließung öffentlicher gegen immer eine Anbindung an eine Metropole, Glöckner) Heinz-Hermann Krüger: Der Elitebegriff ist im Wahl des Kindergartens aber noch nicht so groß. Schulen entstehen – entsteht für bildungsinte- in der ein international mobiles Management Bildungswesen prekär, weil er nahelegt, dass ressierte Eltern eine neue Möglichkeit, ihr Kind ansässig ist. Davon gibt es im Osten Deutschlands Schulen nicht über Leistung, sondern über soziale Bei den Grundschulen ist das aber anders … über die Schulwahl zu platzieren. Für einen Teil nicht so viele Städte. Privilegien funktionieren. So gibt es etwa Schu- Krüger: Wenn Sie am Bahnhof in eine Buchhand- der Eltern ist das durchaus ein Problem: Einer- len, die nicht als „Bonzengymnasien“ etikettiert lung gehen, finden Sie heute sehr viele Ratgeber seits wollen sie das Beste für ihr Kind. Sie wissen Können Sie uns eine städtische Region be- werden wollen. Zu denen fanden wir keinen For- zum Thema: Auf welche Grundschule soll ich aber auch, dass sie eine soziale Entmischung be- schreiben, die Sie untersucht haben? schungszugang, weil vermutet wurde, dass wir mein Kind schicken? Das zeigt, dass der Druck fördern, wenn sie ihr Kind auf eine privilegierte Helsper: Unsere Großstadt in den alten Bun- genau in diese Kerbe schlagen wollten. Anders hier schon größer wird, die beste Schule für das Schule und nicht auf die Grundschule nebenan desländern hat mit circa 20 Gymnasien, einer ist es zum Beispiel bei Sportschulen, weil sich Eli- eigene Kind auszuwählen. In vielen Bundeslän- schicken. internationalen Schule, einigen Gesamtschulen te hier auf sportliche Höchstleistungen bezieht. dern gibt es aber das Schulsprengelprinzip – Kin- und einer Waldorfschule eine ausdifferenzierte Elite im Sinne von Exzellenz ist unproblematisch. der müssen die Schule ihres Bezirks besuchen. Wie sieht es mit dem Übergang nach der höhere Schullandschaft. Interessant ist die Sicht Sobald der Begriff aber auf soziale Privilegien ab- Bekannt ist die Strategie von Eltern fiktive Um- Grundschule in Gymnasien aus? der Schulleiter: Sie differenzieren ihre Schüler- zielt, haben die Schulen ein Problem damit. züge zu inszenieren, damit das Kind eine andere Krüger: Ein generelles Ergebnis der Bildungsfor- schaft entlang einer S-Bahnlinie, die die Stadt in Einrichtung mit besserem Ruf besuchen kann. schung ist die nach wie vor bestehende deutli- eher privilegierte und unterprivilegierte Stadttei- Ihre Studien analysieren aber nicht nur Gymna- Andererseits nimmt die Zahlen von Grundschulen che Bildungsungleichheit beim Übergang auf das le trennt. Auf der einen Seite werden die Schüler sien oder Hochschulen. Sie fangen bereits beim in privater Trägerschaft deutlich zu. Deren Wahl Gymnasium. Es gibt auch große Unterschiede als wenig gymnasialtauglich wahrgenommen. Kindergarten an. Wieso? ist nicht an den Schulbezirk gebunden. zwischen städtischen und ländlichen Regionen. Auf der anderen Seite scheinen sie alles mitzu-
12 t it elt hema sc ient ia hal ensis 2 / 2017 sc ient ia hal ensis 2 / 2017 studier en, l ehr en, l eben 13 bringen, wovon Schulleiter und Lehrer träumen. pädagogische Herausforderungen bezüglich ihrer Das „Schülermaterial“ ist also ihrer Meinung nach Schülerschaft bewältigen müssen. ungleich verteilt. Über eine Gruppe haben wir bisher noch nicht Ist das in den neuen Bundesländern auch so? gesprochen … Helsper: Die Situation ist eine andere: Aufgrund Krüger: Die Schüler. der Schulschließungen und -fusionierungen muss kein Gymnasium um seine Existenz bangen. Dafür … zeigen sich die Unterschiede zwischen Schu- erscheint der Konkurrenzkampf um die Schüler len auch bei den Schülern? noch stärker. Spezial- und private Gymnasien ha- Krüger: Durchaus. Sehr deutlich an den exklusi- ben Auswahlverfahren, bei denen es darum geht, ven Gymnasien. Die Schüler dort verwenden ihre die Besten für diese anspruchsvollen Schulen zu Schule, um sich nach außen abzugrenzen und bekommen. Andere Schulen nehmen das im Ext- aufzuwerten, selbst wenn sie nicht zur Leistungs- remfall so wahr, als seien sie eine Art „Restgym- spitze gehören. In internationalen Schulen gibt es nasium“ oder „Gymnasium für Arme“. Das zeigt, auch eine nach innen gerichtete Unterscheidung: wie stark – auch ohne offizielle Schulrankings – Zum Beispiel zwischen denen, die die internatio- Hierarchien zwischen den Gymnasien entworfen nal mobile Klientel darstellen und zwischen den werden. Dabei sind alle Gymnasien doch privile- Kindern mit reichen, deutschen Eltern, die ihren gierte Bildungsinstitutionen. Kindern mit hohem Finanzaufwand eine bessere Wie gehen die Schulen mit dieser Situation Chance auf einen internationalen Abschluss und ein Studium an einer internationalen Elitehoch- studi e r e n, l e h r en, l eben um? schule geben wollen. Krüger: Für das ganze Bildungssystem gilt: Inter- nationalisierung wird ein neuer Qualitätsstan- Worin zeigen sich diese Entwicklungen bei- Ein Schrittmacher für die dard, in den Hochschulen wohl am stärksten. Für spielsweise noch? alle höheren Schulen wächst der Druck, sich um Helsper: Es gibt eine Tendenz zur Versäulung: Austauschprogramme, Schulpartnerschaften mit Bereits im Grundschulbereich gibt es Schulen mit interessanten Orten, spezielle Bildungszweige internationaler, konfessioneller oder zum Beispiel Allgemeinmedizin und Sprachunterricht mit Muttersprachlern zu reformpädagogischer Ausrichtung. Darauf satteln bemühen. In der Literatur wird das als doppelte dann die dazugehörigen Gymnasien oder auch Internationalisierung beschrieben. Die eine Seite neu gegründete Gemeinschaftsschulen auf, die kann als privilegierte Internationalisierung be- ihre Schüler vor allem aus diesen Schulen und den zeichnet werden. Die andere ist eine vermeintlich sie anwählenden Milieus rekrutieren. zu vermeidende Internationalisierung, etwa Schu- len mit einem hohen Migrantenanteil. In Berlin Wie wird sich das Bildungssystem weiter ent- „Nur“ ein Hausarzt werden? – Von wegen! Mit dem bundesweit einzigartigen Projekt „Klasse Allgemein- gibt es für Grundschulen und auch Gymnasien wickeln? eine Statistik zum prozentualen Anteil von Schü- Helsper: Damit verlasse ich jetzt das Terrain wis- medizin“ haben es Mediziner und praktizierende Ärzte an der Medizinischen Fakultät geschafft, bereits lern mit Migrationshintergrund. senschaftlicher Erkenntnis: Es gibt eine deutliche mehr als 100 Medizinstudierende für den Beruf des Hausarztes zu begeistern. Im Herbst schließen die ersten Tendenz zu einem zweisäuligen Bildungssystem. Teilnehmer der Klasse ihr Studium ab. Zu ihnen gehört auch Johannes Thon. Welche Folgen hat das für den Gedanken der Die Hauptschule wird es, auch wo es sie jetzt noch Inklusion? gibt, demnächst nicht mehr geben. Und auch die Helsper: Die Debatte um die Stärkung von Bil- zweite Säule neben dem Gymnasium kann zum dungsgleichheit, wozu Inklusion gehört, ist sehr Abitur führen. Das bietet Chancen für mehr Bil- bedeutsam. Die Schulen, die wir untersuchen, ha- dungsgleichheit. Das kann aber auch, wie wir in In der Arztpraxis seiner Mentorin wird Johannes Klinkhart in Eckartsberga. Ab morgens um sieben ben in diesem Sinne aber wenig damit zu tun. Sie unseren Forschungen sehen, zu einer größeren Thon oft schon als „Herr Doktor“ angesprochen. empfängt er die Patienten der Akutsprechstunde exkludieren ja gerade und es sind – etwa in den Differenzierung in den höheren Bildungsberei- Für viele seiner Patienten macht es keinen Un- in einem eigenen Sprechzimmer. Er hört ihnen Johannes Thon in der christlichen Gymnasien – dann höchstens Schüler chen führen, so dass sich parallel dazu neue Bil- terschied, ob der Medizinstudent seine letzte aufmerksam zu, fragt nach ihren Vorerkrankun- Übungspraxis am Dorothea- mit körperlichen Beeinträchtigungen, die auch dungshierarchien entwickeln. Prüfung schon abgelegt hat oder nicht. Thon gen, eingenommenen Medikamenten, dem Le- Erxleben-Lernzentrum der aufgenommen werden. Inklusion wird eher von absolviert das letzte Drittel seines Praktischen bensstil und führt – je nach Beschwerden – eine Medizinischen Fakultät jenen Schulen getragen, die bisher schon viele Interview: Tom Leonhardt Jahrs bei der Allgemeinmedizinerin Dr. Caterina Untersuchung durch, um sich so ein Bild vom Ge- (Foto: Maike Glöckner)
14 studi er en, l ehr en, l eben sc ient ia hal ensis 2 / 2017 sc ient ia hal ensis 2 / 2017 studier en, l ehr en, l eben 15 sundheitszustand seines Gegenübers zu verschaf- in das Leben seiner Patienten und entwickelt auch praxis mit drei Behandlungszimmern zur Verfü- Projekten dieser Art.“ Mittlerweile haben andere fen. Anschließend kommt die Hausärztin hinzu eine intensivere Bindung zu ihnen als ein Arzt im gung. Sie ist mit Untersuchungsgeräten und der Hochschulen eine Reihe von ähnlichen Angeboten und hört sich seine Behandlungsempfehlung an. Krankenhaus“, so der Student. Prof. Dr. Thomas Software einer Hausarztpraxis ausgestattet. „Wir geschaffen. Frese, Direktor des neugegründeten Instituts für wollen mit Hilfe von Schauspielern anhand von Allgemeinmedizin, bestätigt das: „Patienten, die Beispielen vermitteln, was in einer Hausarztpraxis Der Hausarzt als Lotse und Vertrauter ich einst im jugendlichen Alter kennengelernt vor sich geht“, so Frese. Mit Kameras werden die „Allgemeinmediziner habe, bringen später ihre Kinder in die Praxis mit. simulierten Patientengespräche aufgezeichnet und durchlaufen mehr Fach Von Anfang an steht den Studierenden der „Klasse Man wird gemeinsam älter und damit ist häufig anschließend mit den Dozenten ausgewertet. Allgemeinmedizin“ ein Hausarzt als persönlicher auch eine ausgeprägte Wertschätzung verbun- Die Bewährungsprobe folgt dann in der Praxis der gebiete als Kollegen anderer Mentor zur Seite. Jedes Semester verbringen die den.“ Hausärzte sind enge Vertraute und Lotsen Mentoren. Hier hat auch Johannes Thon seine Fachrichtungen“ Mentees zwei Tage bei ihren Mentoren in der Pra- zugleich. Die langjährige Patientenbindung ist für ersten Patientengespräche und -untersuchun- xis. Thon wurde Caterina Klinkhart zugelost, deren ihre Arbeit von entscheidender Bedeutung. Denn gen durchgeführt. „Im Umgang mit den Patien- Pr of Dr. Thomas Fr e se Thomas Frese (Foto: Maike Glöckner) Praxis in Eckartsberga im Süden Sachsen-Anhalts je besser der Arzt seine Patienten mitsamt ihrer ten werden die Studierenden mit der Zeit dann liegt. „Ein absoluter Glücksgriff“, sagt der Student, Vorgeschichte kennt, desto besser lassen sich auch immer sicherer und selbstständiger“, berichtet Im März 2017 haben Bund und Länder im „Mas- der inzwischen in das nahegelegene Weimar gezo- gefährliche Krankheitsverläufe frühzeitig erken- Klinkhart, die mittlerweile drei Studierende der terplan Medizinstudium 2020“ die Aufwertung gen ist. In Thüringen will er 2018 seine Facharzt nen. „Als Allgemeinarzt hat man das Gesamtbild Klasse betreut. Gemeinsam mit Johannes Thon der Allgemeinmedizin im Studium bundesweit zur ausbildung zum Allgemeinmediziner beginnen. des Patienten vor sich: Die physische, psychische macht sie nach den Sprechstunden am Morgen Aufgabe der Hochschulen erklärt. Am UKH sind mit Ursprünglich hatte sich der ausgebildete Rettungs und die soziale Komponente. Von diesem individu- auch Hausbesuche. „Wir diskutieren dann – ohne der „Klasse Allgemeinmedizin“ und der Überfüh- assistent für das Fachgebiet Innere Medizin inter- ellen Bild hängt ab, welche Behandlungsempfeh- Patienten – schonmal länger über ein Krankheits- rung der Sektion Allgemeinmedizin in ein eigenes essiert. Aber dann habe ein Professor in einer Vor- lung ich abgebe“, erklärt Johannes Thon. bild. Die Studenten bringen oft auch ihre eigenen Institut die ersten Schritte bereits getan worden. lesung so engagiert von der Klasse Allgemeinmedi- Wie ein Arzt seinen Patienten gegenüber stets den guten Ideen ein“, erzählt die Mentorin, die den „Im Grunde ist es eine Gleichstellung gegenüber zin gesprochen – „das hat mich überzeugt“, erzählt passenden Ton trifft und die richtigen Fragen stellt, Austausch mit den angehenden Ärzten schätzt. den anderen Fachgebieten“, sagt Institutsdirektor der 30-Jährige. Als einer von 20 Teilnehmern star- das haben er und seine Kommilitonen in den Semi- „Das Schönste, was eine Studentin einmal zu mir Frese. „Unsere Mitarbeiter können sich jetzt voll tete er 2011 in dem bundesweit einzigartigen Pro- naren der Klasse Allgemeinmedizin gelernt. „Jeder gesagt hat, war: Ich wusste gar nicht, dass die Ar- und ganz auf Lehre und Forschung konzentrieren, gramm. Sechs Jahre später gehört Johannes Thon Patient ist anders – und mit jedem muss der Arzt beit als Hausarzt so spannend ist.“ wir haben ein regulär besetztes Sekretariat. Das zu den ersten Studierenden der Klasse, die ihr Stu- eine gemeinsame Sprache finden. Deshalb ist es hat unsere Arbeitsfähigkeit enorm verbessert.“ dium der Humanmedizin abschließen können. Be- ganz wichtig, dass die Studierenden lernen, sich In einem nächsten Schritt wurde am Universitäts- reut hat er seine Entscheidung nie – im Gegenteil: schnell in ihre Patienten hineinzuversetzen“, sagt Neues Kompetenzzentrum eröffnet klinikum im September zudem das Kompetenz- „Unseren Dozenten hat man die Begeisterung für Caterina Klinkhart. Neben den vorklinischen und zentrum für Allgemeinmedizin eröffnet. „Dieses ihren Beruf wirklich angemerkt. Man sieht, dass klinischen Ausbildungsinhalten, die allen Medi- Nicht jeder hat ein positives Bild vom Hausarzt. Zentrum wird sich der Weiterbildung approbierter sie mit ihrer Arbeit als Hausarzt sehr zufrieden sind zinstudierenden vermittelt werden, besuchen die „Es gab lange den Glauben: Wer keine Speziali- Ärzte widmen und sie dabei stärker unterstützen. und sie haben uns auch vermittelt, warum – also Teilnehmer der Klasse deshalb zusätzliche Kommu- sierung schafft, wird eben Allgemeinmediziner“, Allgemeinmediziner durchlaufen weit mehr Fach- was das Besondere daran ist.“ Das Besondere sei nikations- und Fertigkeitentrainings. Seit Oktober sagt Thomas Frese. „Ich glaube aber, dass wir es gebiete als ihre Kollegen anderer Fachrichtungen vor allem die auf Dauer angelegte Arzt-Patienten- 2017 steht ihnen dafür im Dorothea-Erxleben- weiter schaffen werden, dieses Bild zu korrigie- und sind dabei oft auf sich allein gestellt gewe- Beziehung: „Man erhält eine ganz andere Einsicht Lernzentrum Halle eine neu eingerichtete Übungs- ren. Die Allgemeinmedizin ist ein sehr komplexes, sen“, sagt der Professor. spannendes Fachgebiet und erfordert ein unge- Das Zentrum ist direkt an das Institut angebunden mein breites Fachwissen, dass Sie – ebenso wie und wird bis zum Jahr 2022 vollständig durch die in anderen Fachgebieten – in fünfjähriger Weiter- AOK Sachsen-Anhalt finanziert. „Es soll die Wei- FROHE ZUKUNFT Wohnungsgenossenschaft eG bildung nach dem Studium erlernen.“ Gemeinsam terbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin mit engagierten Allgemeinärzten aus der Region qualitativ und strukturell verbessern. Es ist qua- will die Medizinische Fakultät mit ihrem speziel- si die Fortsetzung der Klasse Allgemeinmedizin Genossenschaftlich wohnen len Ausbildungskonzept ein praxisnahes Bild von Allgemeinmedizin vermitteln und damit auch dem nach dem Studienabschluss“, so Thomas Frese. Corinna Bertz & Studentenvorteile nutzen akuten Hausarztmangel in der Region gezielt ent- gegenwirken. „Der Ansatz ist, mit der Klasse das Thema Allgemeinmedizin kontinuierlich und dank Kontakt: Prof. Dr. Thomas Frese unserer Lehrärzte auch sehr praxisbezogen in das Bis zu 50 % als MIETLÄUFER sparen oder als WG-BEWOHNER/IN mit Einbauküche, WLAN u.v.m. wohnen! Studium einzubringen“, sagt Thomas Frese. Die Institut für Allgemeinmedizin Klasse sei seit 2011 „ein Schrittmacherprojekt“, Telefon: +49 345 557-5338 www.frohe-zukunft.de wie Frese es nennt. „Sie gehört zu den frühesten E-Mail: thomas.frese@uk-halle.de
16 studi er en, l ehr en, l eben sc ient ia hal ensis 2 / 2017 sc ient ia hal ensis 2 / 2017 studier en, l ehr en, l eben 17 Spitzenplatz für Juristen-Ausbildung Akademisches Orchester: Festival zum 60-Jährigen Inzwischen hat man sich fast an die positive Nach- herumgesprochen. Rund die Hälfte der Bewerber Mit einem Festival feiert das Akademische Orches- richt gewöhnt: Halles Rechtswissenschaftler sind kommt nicht aus der Region, sondern hat sich ter der Universität Halle im Januar sein 60-jähriges 2017 erneut in der Spitzengruppe des renom- ganz bewusst und aufgrund der positiven Bewer- Bestehen. Vier Tage in Folge werden die Musiker mierten CHE-Hochschulrankings gelistet. Bereits tungen für den Juristischen Bereich der Uni Halle ab dem 25. Januar 2018 aufspielen. Geplant sind bei den letzten Erhebungen 2011 und 2014 be- entschieden. zwei Auftritte in der Aula im Löwengebäude sowie scheinigte das Centrum für Hochschulentwicklung Und da ist noch etwas: „Wir profitieren auch von ein Sinfoniekonzert in der Händel-Halle und ein (CHE) dem Studiengang an der Universität Halle den baulichen Voraussetzungen auf dem Campus“, Kammerkonzert im Wilhelm-Friedemann-Bach- sehr gute Studienbedingungen. Doch woran liegt sagt Madaus mit Blick auf das moderne Juridicum. Haus. Aufgeführt werden unter anderem Stücke das eigentlich? Einerseits am „großen Einsatz aller Natürlich spiele die Personalpolitik an der Fakultät von Händel, Mendelssohn sowie ein moderner Das Akademische Orchester Lehrenden“, wie Prof. Dr. Claudia Becker, Dekanin ebenfalls eine Rolle. „Wir haben bei Neuberufun- Winterblues. beim Großen Universitäts- konzert in der Händel-Halle der Juristischen und Wirtschaftswissenschaftli- gen bewusst darauf geachtet, junge Lehrkräfte zu Unter dem Motto „AO 60 – der Hauch der Moder- 2017 (Foto: Maike Glöckner) chen Fakultät, betont. Aber da ist noch mehr. „Die gewinnen, die mit Begeisterung dabei sind und die ne“ lädt das Orchester im Januar zudem zu zwei Bewertungen sind Folge einer bewussten Ausrich- ihre Vorlesungen so halten, dass die Studierenden weiteren Konzerten in Quedlinburg und Witten- bildet das Orchester das Collegium Musicum der tung“, sagt Prodekan Prof. Dr. Stephan Madaus auch wirklich hingehen wollen.“ Generell werde berg ein. Das Akademische Orchester besteht aus Universität. Die Geschichte des Akademischen und ergänzt: „Wir wollen es den Studierenden versucht, die Lehrveranstaltungen möglichst in insgesamt 60 Studierenden, Hochschullehrern Orchesters, dessen Wiederaufbau 1957 vom da- leicht machen, bei uns anzukommen“. die Kernzeiten zu legen, damit sie auch unter zeit- und Alumni. Gemeinsam spielen sie nicht nur maligen Rektor angeregt wurde, reicht bis ins 18. Damit das funktioniert, wird nichts dem Zufall lichem Aspekt studierendenfreundlich sind. klassische Musik. Auch mit Bands wie den ungari- Jahrhundert zurück. Das Akademische Orchester überlassen. Gleich zu Semesterbeginn gibt es All das führt zu einer überaus positiven Grund- schen Rockern von Omega waren sie bereits auf informiert unter www.coll.music.uni-halle.de/ao eine Begrüßungswoche für alle Erstsemester. stimmung bei allen Akteuren. Inzwischen ist Tour. Zusammen mit dem Universitätschor Halle über aktuelle Veranstaltungen. cb Die Neuankömmlinge werden in kleine Gruppen dadurch offenbar auch die Leistung der Studie- eingeteilt, die das gesamte Semester über be- renden gestiegen. „Wir können unseren akade- stehen bleiben und von Tutoren betreut werden. mischen Nachwuchs zunehmend aus eigenen Zusätzlich nimmt jeweils ein Professor immer drei Absolventen generieren“, so Madaus. Er ist davon dieser Gruppen unter seine Fittiche. Er fungiert überzeugt: „Es ist das Gesamtpaket, das bei uns als persönlicher Ansprechpartner und lernt die stimmt.“ Ines Godazgar Gruppe dabei auch bewusst informell kennen, beim Besuch des Gerichts etwa oder in der Oper. „Das erleichtert die Kommunikation und damit das Kontakt: Prof. Dr. Stephan Madaus Sich-Willkommen-Fühlen enorm“, sagt Madaus, „Dirigieren fordert auch meine Augen: der wie seine Kollegen Wert auf diese persönliche Juristischer Bereich der schnelle Blickwechsel von der Partitur in das Orchester und zu Form der Ansprache legt. Inzwischen hat sich das Telefon: +49 345 55-23190 den Sängern auf der Bühne, von nah bei den Interessenten für das Fach bundesweit E-Mail: stephan.madaus@jura.uni-halle.de zu fern, und das bei wenig Licht, erlaubt daher keine Experimente in der Optik.“ Kay Stromberg Studienleiter und Kapellmeister an Oper und Staatskapelle Halle Durch seine moderne Ausstattung trägt auch das Juridicum zu den guten TROTHE OPTIK. Studienbedingungen am FÜR ANSICHTSVOLLE. trothe.de Juristischen Bereich bei. (Foto: Markus Scholz)
18 studi er en, l ehr en, l eben sc ient ia hal ensis 2 / 2017 sc ient ia hal ensis 2 / 2017 studier en, l ehr en, l eben 19 Eine Verbindung mit Geschichte le Forscher aus Halle und Eriwan waren bereits zu Konferenzen und Forschungsaufenthalten an der jeweiligen Partneruniversität zu Gast. Eine Identität und Kultur Armeniens stets sehr wichtig und die Kirche war der Ort, an dem diese Tradition gepflegt wurde. Deshalb spielt die Theologie in gemeinsame internationale Sommerschule, ei- der armenischen Kultur bis heute eine sehr große ne deutsch-armenische Konferenz sowie eine Rolle“, erklärt Illert, der im April an der Theologi- akademische Gedenkstunde für die Opfer des schen Fakultät der YSU zu Gast war. Bereits seit zehn Jahren besteht die Partnerschaft zwischen der Universität Halle und der Staatlichen Uni- Völkermords an den Armeniern im Osmanischen versität Eriwan (YSU). Im Juni haben die beiden Hochschulen ihren Kooperationsvertrag verlängert. Jetzt Reich zählen zu den prägenden Ereignissen der zehnjährigen Kooperation. Interkultureller Crashkurs in der Theologie sollen auch Studierende und Doktoranden noch stärker in den wissenschaftlichen Austausch mit Armenien „In Zukunft wollen wir insbesondere den Aus- einbezogen werden – zum Beispiel an der Theologischen Fakultät. tausch von Doktoranden und Studierenden noch Ein Ergebnis seines Besuchs ist ein neues Stipen- stärker fördern“, kündigte Simonyan in Halle an. dienprogramm, das Theologie-Studierenden aus Halle könnte noch stärker von Eriwan profitieren: Eriwan ab 2018 einen Studienaufenthalt in Halle „Wir pflegen sehr gute Beziehungen und Kontakte ermöglichen soll. Langfristig möchte der Theologe Zu dritt waren sie zur Jubiläumswoche anlässlich zur Martin-Luther-Universität, denn sie haben in zu den Hochschulen unserer Nachbarländer, etwa auch halleschen Studierenden Exkursionen oder des 200. Jahrestags der Vereinigung der Univer- Halle studiert“, erklärt er. Auch eine Alumna der in den Iran. Die könnten auch den halleschen Ori- Blockseminare in dem 2.800 Kilometer entfernten sitäten Halle und Wittenberg aus dem Kaukasus YSU lehrt und forscht seit Jahrzehnten in Halle: entwissenschaftlern von Nutzen sein.“ Land anbieten. „Armenien ist für uns ein wichtiges nach Halle gereist: der Rektor Prof. Dr. Aram Sim- Prof. Dr. Armenuhi Drost-Abgarjan hat an der YSU Brückenland, weil es uns mit Regionen verbindet, onyan mit seinem Büroleiter und dem Dekan der studiert, kam 1985 an die Universität Halle, wo sie die uns sonst sehr fern sind. Die Theologie braucht Theologischen Fakultät. Gemeinsam mit weiteren heute die MESROP-Arbeitsstelle leitet, an der Wis- Kleines Land mit großer Tradition diese Art der Begegnung“, sagt er. Und ergänzt: Universitätspartnern aus den USA, China und senschaftler beider Länder Kultur und Geschichte „Der Austausch ist auch ein interkultureller Crash- Russland überbrachten sie im Juni ihre Glückwün- Armeniens erforschen. 17 Professorinnen und Professoren aus drei ver- kurs, denn mit den Unterschieden umzugehen, sche. Nicht nur eine handgeschnitzte traditionelle Drei Millionen Menschen leben in Armenien, schiedenen Fakultäten der Universität Halle sind erfordert interkulturelle Kompetenz.“ Holzvase hatten die Armenier als Gastgeschenk 20.000 von ihnen studieren an der YSU. „Wir bislang in die Partnerschaft eingebunden. Vor al- Die Unterschiede zwischen den beiden Fakultäten im Gepäck: „Wir haben mehr als 40 Bücher für sind ein kleines Land, in dem unsere Universität lem Theologen, Germanisten, Archäologen, Kunst- sind beträchtlich: Die Theologische Fakultät in die MESROP-Arbeitsstelle für Armenische Studien die größte und älteste ist“, so Rektor Simonyan. historiker und Orientwissenschaftler erforschen Eriwan ist der Armenischen Apostolischen Kirche mitgebracht“, sagte Rektor Simonyan nach dem Im Rahmen der Festveranstaltung vereinbarten die reiche Geschichte und Kultur des kleinen unterstellt, fast alle Studierenden sind orthodoxe Jubiläums-Festakt. „Viele unserer Wissenschaftler er und Rektor Udo Sträter, die intensive Zusam- Landes. Sie haben vor Ort etwa prähistorische Christen. „An unserer Partner-Fakultät gibt es ein haben eine sehr enge und persönliche Verbindung menarbeit weitere zehn Jahre fortzusetzen. Vie- Steinformationen und Goldfunde untersucht oder viel stärkeres Bewusstsein dafür, ein Teil der Kir- die Transformation des politischen Systems nach che zu sein. Für sie ist das Theologische nicht vom dem Ende der Sowjetunion analysiert. Kirchlichen zu trennen“, erklärt Illert. Aus genau Auch ein gemeinsames deutsch-armenisches diesem Grund sei der Austausch für beide Seiten Handbuch der Theologie gehört zu den aktuellen so bereichernd. „Bei uns können die armenischen Kooperationsprojekten. Alle Vertreter der theolo- Theologen einen aus den gottesdienstlich kirchli- gischen Fachgebiete beschreiben darin in beiden chen Zusammenhängen gelösten Zugang und da- Sprachen kurz ihre Bereiche. Was sich zunächst mit eine gewisse Selbstdistanz wahrnehmen. Wir unspektakulär anhört, ist unverzichtbar für den können wiederum nachvollziehen, was eine got- Austausch, sagt der hallesche Ostkirchenkundler tesdienstlich geprägte Frömmigkeit für die direkte PD Dr. Martin Illert: „Diese Selbstbeschreibung ist theologische Auseinandersetzung bedeutet.“ der erste Schritt eines Dialogs, bevor man dann Im Austausch komme es deshalb auf die Zwischen- mit der eigenen Deutung an den Partner heran- töne an: „Wir können ein Referat über die Kirche treten kann.“ im 4. Jahrhundert halten und an diesem Beispiel Für Theologen ist das Land im Kaukasus von be- zugleich über die unterschiedlichen Vorstellungen sonderer Bedeutung: Armenien ist die älteste und Methoden diskutieren, die da aufeinander- christliche Nation der Welt. Bereits im vierten prallen“, erklärt der Dozent. Es gehe darum, nicht Bei seinem Besuch im Juni Jahrhundert erklärte der armenische König Trdat einfach nur die eigenen Standards an die Partner überreichte Rektor Aram III. das Christentum zur Staatsreligion. Kurz darauf heranzutragen, sondern einen konfessionsüber- Simonyan (links) Rektor Udo Sträter eine traditionelle – zu Beginn des 5. Jahrhunderts – entwickelte der greifenden Diskurs zu führen. „Ein solcher Diskurs armenische Holzvase. (Foto: Mönch Mesrop Maschtoz die armenische Schrift- kann beide Fakultäten prägen und verändern“, Michael Deutsch) sprache. „Die Sprache war für die Bewahrung der davon ist Illert überzeugt. Corinna Bertz
20 f orsc hen und publ iz ier en sc ient ia hal ensis 2 / 2017 sc ient ia hal ensis 2 / 2017 f orsc hen und publ iz ier en 21 ten Forscherinnen und Forscher aktuell an einer Josef Settele leitet mit zwei globalen Bestandsaufnahme der Artenvielfalt von weiteren Forschern das erste globale Assessment von Tieren und Pflanzen sowie Ökosystemleistungen, IPBES. (Foto: UFZ / Seba- zum Beispiel CO2-Speicherung oder Klimaregu- stian Wiedling) lierung. Die meisten wissenschaftlichen Studien sind auf einen bestimmten Ort und einen bestimmten Zeitraum beschränkt. Daraus lassen sich aber keine allgemeinen Aussagen ableiten. Das soll der erste große IPBES-Bericht, das so genannte „Global Assessment“, ändern: „Darin soll der ak- tuelle Stand des weltweit verfügbaren Wissens auf eine fachlich korrekte und verständliche Form ganisiert etwa der portugiesische Biologe Prof. kondensiert werden“, sagt Prof. Dr. Josef Settele Dr. Henrique Pereira von der Uni Halle regelmäßig vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Arbeitstreffen für IPBES. In den letzten Jahren hat (UFZ). Settele leitet am UFZ die Arbeitsgruppe sich die Region zu einem Hotspot der Biodiversi- Tierökologie und sozial-ökologische Systeme im tätsforschung entwickelt. „Ich bekomme in letzter Department Biozönoseforschung in Halle und ist Zeit immer mehr Anfragen für Promotionsarbei- f orsc hen und publ i z i e r e n außerdem Professor an der Uni Halle. Mit zwei Wissenschaftlern aus Südamerika hat er ten zu diesen Themen aus dem Ausland“, berichtet Prof. Dr. Christine Fürst von der Uni Halle. Die Pro- den Vorsitz für dieses erste globale Assessment fessorin für Nachhaltige Landschaftsentwicklung inne. Ihre Aufgabe ist es, das Team aus über 150 engagiert sich ebenfalls bei IPBES – speziell in der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Region Europa und Zentralasien in den Kapiteln Weltbiodiversitätsrat: Mittel- aller Welt zu koordinieren. Bis 2019 soll das IPBES- „Integrierte Analyse der Interaktionen zwischen Team seinen ersten großen Bericht ausarbeiten. Natur und Mensch“ sowie „Governance- und Ent- Außerdem entwickelt IPBES auf Grundlage der scheidungsoptionen“. deutsche Forscher mischen mit Erkenntnisse auch Empfehlungen für die Politik, um künftig gegen den Verlust von Artenvielfalt vorzugehen. Aktuell sind 127 Staaten Mitglied bei Recherche, Recherche, Recherche IPBES. Jedes Land kann seine eigenen Experten und Vertreter benennen. Die Hauptarbeit der Autoren bei IPBES ist keine klassische Forschungsarbeit im Labor oder im Feld. Stattdessen entstehen am Ende extrem umfangrei- Jährlich sterben weltweit zahlreiche Tier- und Pflanzenarten aus. Über das genaue Ausmaß, die Gründe Das Who’s who der Biodiversitätsforschung che Übersichtsartikel, die nach speziellen Regeln und Folgen für die Ökosysteme, den Menschen und die Welt ist noch nicht viel bekannt. Wissenschaftler aus angefertigt werden. Die Idee ist, alle relevanten Ein Blick auf die Liste der Personen, die sich bei Quellen, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt aller Welt arbeiten im Weltbiodiversitätsrat IPBES an einer ersten globalen Bestandsaufnahme und suchen IPBES engagieren, verrät: Settele und Paxton sind veröffentlicht wurden, in die Berichte einfließen nach Auswegen für den Verlust der Artenvielfalt. Auch die Uni Halle ist in dem internationalen Gremium bei weitem nicht die einzigen Forscher aus Mittel- zu lassen. Dazu gehören auch Erkenntnisse und deutschland. Universitäten wie außeruniversitäre Daten, die vorher nicht in wissenschaftlichen Jour- prominent vertreten. Forschungseinrichtungen aus Halle, Jena und Leip- nalen publiziert worden sind; etwa Berichte von zig – um nur die näheren Orte zu nennen – liefern Ministerien, aber auch Daten von lokalen Gruppen, gefragte Expertinnen und Experten aus den Natur- Behörden und Verbänden. Um diese sehr unter- Sich für den Artenschutz zu engagieren ist für Experte für den Weltbiodiversitätsrat IPBES no- und Sozialwissenschaften für IPBES. schiedlichen Quellen zu sichten, zu bewerten und Prof. Dr. Robert Paxton von der Uni Halle selbst- miniert wurde. Von 2014 bis 2016 engagierte sich Ein wichtiger Player ist darüber hinaus das Deut- zusammenzufassen, braucht es viele Menschen, verständlich: „Ich liebe Tiere und Pflanzen. Mir Paxton neben seiner regulären wissenschaftlichen sche Zentrum für integrative Biodiversitätsfor- die sehr gut im Thema stehen. Hier kommen die gefällt nicht, dass sie verschwinden.“ Der Biologe Arbeit als Leitautor in dem Gremium und steuerte schung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig. Es wurde 2012 als einzelnen Wissenschaftler ins Spiel, die den ge- Der Weltbiodiversitätsrat erforscht seit vielen Jahren die Gründe und Folgen seine Expertise für den Themenbereich Bestäuber, Forschungszentrum der Deutschen Forschungs- meinsamen Arbeitsplan entwickeln und verfeinern. erarbeitet eine erste glo- bale Bestandsaufnahme des Bienensterbens für den Menschen und für die Bestäubung und Nahrungsmittelproduktion bei. gemeinschaft gegründet und wird seitdem von Jedes Kapitel wird intern wie extern mehrfach zur Artenvielfalt. (Foto: Natur. Deshalb sei es für ihn eine große Ehre gewe- IPBES ist vergleichbar mit dem Weltklimarat IPCC. den Universitäten Halle, Jena und Leipzig sowie begutachtet, diskutiert und überarbeitet. Jeder Chinnapong/Fotolia) sen, als er von der deutschen Bundesregierung als In einem internationalen Expertengremium arbei- in Kooperation mit dem UFZ betrieben. Hier or- Zwischenschritt akribisch dokumentiert. In dieser
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