Inklusion und Elite: Bildung im Umbruch - KALEI bereitet Lehrer besser auf die Praxis vor Forschergruppe untersucht exklusive Schulen - Campus ...

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Inklusion und Elite: Bildung im Umbruch - KALEI bereitet Lehrer besser auf die Praxis vor Forschergruppe untersucht exklusive Schulen - Campus ...
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    2017

    Inklusion und Elite:
    Bildung im Umbruch
                                                                              w w w . m a ga z i n . u n i - h a l l e . d e
     KALEI bereitet Lehrer besser auf die Praxis vor
     Forschergruppe untersucht exklusive Schulen

    D A S   M A G A Z I N   D E R   M A R T I N - L U T H E R - U N I V E R S I T Ä T    H A L L E - W I T T E N B E R G
Inklusion und Elite: Bildung im Umbruch - KALEI bereitet Lehrer besser auf die Praxis vor Forschergruppe untersucht exklusive Schulen - Campus ...
sc ient ia hal ensis 2 / 2017 editor ial                                 3

                             Liebe Leserinnen,
                             liebe Leser,

               nd mehr
                             wir sind alle einmal zur Schule gegangen. Im Rück-                        Es gibt jedoch auch einen entgegengesetzten

             u
                             blick erinnern wir uns heute meist gern an die                            Trend in der Bildung, hin zu exklusiven Schulen –

           s
                             Lehrerinnen und Lehrer, die uns für ihr Fach be-                          Schulen, in denen man gern unter sich bleibt. Das

       s
                                                                                                                                                                                  Manuela Bank-Zillmann,
                             geistert und individuell gefördert haben. Gute Leh-                       Ausmaß dieser der Inklusion entgegengesetzten                              Leiterin der Pressestelle
                             rerinnen und Lehrer können die Biografien ihrer                           Entwicklung hat die von der Deutschen For-                                 (Foto: Markus Scholz)

 e
             Basic-
                             Schülerinnen und Schüler entscheidend prägen.                             schungsgemeinschaft geförderte Forschergruppe

Fitn
                             Chancengerechte und inklusive Bildung – das Ziel                          1612 „Mechanismen der Elitebildung“ an der Uni-

       Mitgliedschaft ab
                             der globalen Bildungsagenda der Vereinten Nati-                           versität Halle sechs Jahre lang intensiv untersucht.
                             onen – heißt deshalb auch: Jeder soll die gleichen                        Im Magazin fassen die beiden Sprecher einige der

   19,90€
                             Chancen auf gute Lehrerinnen und Lehrer haben.                            mitunter besorgniserregenden Befunde im Inter-

                         *   Für diese bedeutet ein inklusives Schulsystem, dass
                             die Bedürfnisse aller Schülerinnen und Schüler be-
                                                                                                       view mit Tom Leonhardt zusammen.
                                                                                                       Diese und alle anderen Texte der „scientia halensis“
                             rücksichtigt werden. Mit der Berücksichtigung von                         sowie englische Fassungen und weitere Beiträge
                             Defiziten hat das nichts zu tun, sondern vielmehr                         finden Sie wie gewohnt auch im Onlinemagazin
                             damit, die Vielfalt im Klassenzimmer als wesent-                          der Universität. Dieses jedoch sieht jetzt nicht

            /Monat!          lichen Bestandteil der eigenen Arbeit zu sehen.
                             Wie Lehramtsstudierende an der Universität Halle
                                                                                                       nur neu und modern aus, sondern hat nun auch
                                                                                                       einen eigenen Namen: „campus halensis“. Unter
                             auf diese Unterrichtspraxis vorbereitet werden,                           der Adresse www.campus-halensis.de finden Sie
                                                                                                                                                                                  Neu gestaltet: Mit diesem
                             beschreibt Friederike Stecklum in ihrem Text über                         alles, was auf dem Campus passiert: von studen-
                                                                                                                                                                                  Zeichen sind im Heft
                             das Projekt „Kasuistische Lehrerbildung für den                           tischen Themen bis hin zur Wissenschaft – meist                            Verweise auf Texte im
                             inklusiven Unterricht“, kurz: KALEI. Dort lernen                          tagesaktuell. Auch hier im Heft haben wir mit dem                          Online-Magazin „campus
                             die Studierenden, mit den ganz unterschiedlichen                          neuen Icon gekennzeichnet, wo es online weiter-                            halensis“ gekennzeichnet.
                             Voraussetzungen ihrer Schüler umzugehen und auf                           geht. Wir hoffen, dass Ihnen „campus halensis“
                             jeden individuell einzugehen. Die Wissenschaftler                         und „scientia halensis“ gefallen und sind gespannt
                             im Projekt helfen den angehenden Lehrerinnen                              auf Ihr Feedback. Melden Sie sich. Wir freuen uns.                         Kontakt:
                             und Lehrern auch dabei, einen eigenen Standpunkt                                                                                                     magazin@uni-halle.de
                             zum Thema Inklusion zu entwickeln.                                        Manuela Bank-Zillmann, Leiterin der Pressestelle                           Telefon: +49 345 55-21004

                             IMPRESSUM

                             scientia halensis                       Redaktion:                         Kontakt:                                 Mediadaten:                      Für scientia halensis liegen Copyright
                             Magazin der Martin-Luther-Universität   Manuela Bank-Zillmann (mab),       Martin-Luther-Universität                www.pr.uni-halle.de/mediadaten   und alle weiteren Rechte bei der Mar-
                             Halle-Wittenberg (MLU)                  verantwortlich                     Halle-Wittenberg                                                          tin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
                                                                     Corinna Bertz (cb),                Stabsstelle des Rektors / Pressestelle   Druck:                           (MLU). Weiterverbreitung, auch in Aus-
                             Ausgabe 2/2017, 25. Jahrgang            Koordinierung                      Universitätsplatz 9, 06108 Halle (S.)    Löhnert-Druck                    zügen, für pädagogische, wissenschaft-
                             Auflage 6.000 Exemplare                 Sarah Huke (sh)                    Telefon: +49 345 55-21004                04420 Markranstädt               liche oder private Zwecke ist unter An-
                             ISSN 0945-9529                          Tom Leonhardt (tol)                E-Mail: magazin@uni-halle.de                                              gabe der Quelle gestattet (sofern nicht
                                                                     Friederike Stecklum (fs)                                                    Original-Design:                 anders an der entsprechenden Stelle
                             erscheint halbjährlich                                                     Anzeigen / Satz / Gesamtherstellung:     Sisters of Design                ausdrücklich angegeben). Eine Verwen-
                             sowie im Internet:                      Weitere Autoren dieser Ausgabe:    wpunktw                                  www.sistersofdesign.de           dung im gewerblichen Bereich bedarf
                             www.campus-halensis.de                  Ines Godazgar (igo)                kommunikation + werbung gmbh                                              der Genehmigung durch die MLU.
                                                                     Benjamin Haerdle (hbj)             Roßplatz 8a, 04103 Leipzig
                             Herausgeber:                            Jens Müller (jm)                   Telefon: +49 341 226707-0                                                 Titelgrafik:
                             Rektor der Martin-Luther-Universität    Katharina Ziegler (kaz)            kontakt@wpunktw.com                                                       RichVintage/iStock
                             Halle-Wittenberg                                                           www.wpunktw.com
Inklusion und Elite: Bildung im Umbruch - KALEI bereitet Lehrer besser auf die Praxis vor Forschergruppe untersucht exklusive Schulen - Campus ...
4    inhalt sv er z eic hnis sc ient ia hal ensis 2 / 2017                                                                                                                                     sc ient ia hal ensis 2 / 2017 inhalt sv er z eic hnis      5

                                                                                                                inhalt
                                                                                                                Titelthema                                            24    Kontext: Positive Psychologie
                                                                                                                                                                            Der Psychologe PD Dr. René Proyer
                                                                                                                6    Besser vorbereitet in die Schule                       über die Hintergründe der Positi-
                                                                                                                     KALEI bereitet Studierende auf die                     ven Psychologie
                                                                                                                     inklusive Unterrichtspraxis vor                  26    Praktisch und nachhaltig: Die
                                                                                                                9    Zehn Jahre Zentrum für Lehrer­                         Milchkapseln aus Halle
                                                                                                                     bildung                                                Doktorandin Martha Wellner hat
                                                                                                                10   Zwischen „Bonzenschule“ und                            selbstauflösende Kapseln entwickelt
                                                                                                                     „Gymnasium für Arme“                             28    Forschung oder Familie?
    Uni-Archiv mittendrin {32}                                                                                       Interview über die Ergebnisse der                      „Ich möchte beides haben“                IPBES: Mittel­deutsche Forscher
                                                                                                                     DFG-Forschergruppe „Mechanis-                          Constanze Pinske ist Mikrobiologin
                                                                                                                                                                                                                     mischen mit {20}
    Freundliche Atmosphäre, viel Platz                                                                               men der Elitebildung“                                  und Mutter zweier kleiner Kinder
    und optimale Bedingungen – so                                                                                                                                     30    Neu erschienen                           Wissenschaftler aus aller Welt
    präsentiert sich das Universitätsar-                                                                                                                                                                             arbeiten im Weltbiodiversitätsrat
    chiv am neuen Standort. Der Um-                                                                             Studieren,                                                                                           IPBES an einer globalen Bestands­
    zug in die Dachritzstraße förderte                                                                          lehren, leben                                       Varia                                            aufnahme zur Artenvielfalt. Auch
    zudem Unentdecktes zu Tage.                                                                                                                                                                                      die Uni Halle ist in dem inter-
                                              Inklusion und Elite:
                                                                                                                13   Ein Schrittmacher für die Allge-                 32    Uni-Archiv mittendrin
    (Foto: Maike Glöckner)                                                                                                                                                                                           nationalen Gremium prominent
                                                                                                                     meinmedizin                                            Seit Juni präsentiert sich das Uni-
                                                                                                                     Die ersten Teilnehmer der „Klasse                      versitätsarchiv in der Dachritzstraße    vertreten.
                                              Bildung im Umbruch {6}                                                 Allgemeinmedizin“ schließen 2017
                                                                                                                     ihr Studium ab
                                                                                                                                                                      34
                                                                                                                                                                      35
                                                                                                                                                                            Meldungen
                                                                                                                                                                            200 Jahre Halle und Wittenberg:
                                                                                                                                                                                                                     (Foto: Chinnapong/Fotolia)

                                                                                                                16   Spitzenplatz für hallesche Juristen-                   Akademische Tradition mit Zepter
                                                                                                                     Ausbildung                                             und Talaren
                                              Jeder soll in Deutschland die gleichen Chancen auf Bildung             Warum der Juristische Bereich beim
                                              haben. Für Lehrerinnen und Lehrer heißt das, dass ganz ver-            CHE-Ranking so gut abschneidet

                                              schiedene Bedürfnisse im Klassenzimmer zu berücksichtigen         17   Akademisches Orchester: Festival               Personalia
                                                                                                                     zum 60-Jährigen
                                              sind. Jedes Kind bringt unterschiedliche Lernvoraussetzungen      18   Eine Verbindung mit Geschichte                   36    „Ich bin selbst noch nicht fertig“
                                              mit. Um Lehramtsstudierende besser auf eine inklusive Un-              Hochschulpartnerschaft mit der                         Die Hochschul- und Studierenden-
                                                                                                                     größten Universität Armeniens                          pfarrerin Christiane Thiel im Porträt
                                              terrichtspraxis vorzubereiten, gibt es an der Universität Halle        verlängert                                       38    20 Fragen an Conny Hödt
                                              das Projekt „Kasuistische Lehrerbildung für den inklusiven                                                              40    Neuberufen
                                                                                                                                                                      46    Meldungen
                                              Unterricht“, kurz KALEI (S. 6).                                   Forschen und
    „Ich bin selbst noch                      Bildungsungleichheit kann heute aber schon im Kindergarten        publizieren                                                                                          Ein Schrittmacher für die
                                              anfangen: Denn Eltern wollen stets die beste Bildung für ihre                                                         Schlussstück
    nicht fertig“ {36}                                                                                          20   Weltbiodiversitätsrat: Mitteldeut-                                                              Allgemeinmedizin {13}
    Christiane Thiel kam 2016 als
                                              Kinder und suchen deshalb nach exklusiven Angeboten. Das               sche Forscher mischen mit                        50    Neu aufgeschlagen: Die Zukunft
                                                                                                                                                                                                                     Johannes Thon ist einer der ersten
    Hochschul- und Studierendenpfar-          Ausmaß dieser Entwicklungen hat die von der Deutschen                  Wissenschaftler aus aller Welt arbei-
                                                                                                                                                                                                                     Teilnehmer der „Klasse Allgemein-
                                                                                                                     ten an einer globalen Bestandsauf-
    rerin der Evangelischen Studieren-        Forschungsgemeinschaft geförderte Forschergruppe 1612 „Me-                                                                                                             medizin“, die 2017 ihr Studium
                                                                                                                     nahme zur Artenvielfalt
    dengemeinde nach Halle. Seitdem                                                                                                                                                                                  abschließen. Mit dem Projekt wol-
    arbeitet sie daran, ihre Gemeinde an      chanismen der Elitebildung“ an der Uni Halle untersucht. Im       23   Meldungen
                                                                                                                                                                                                                     len Mediziner Studierende für den
    der Uni und in der Stadt sichtbarer       Interview ab Seite 10 fassen die Sprecher der Gruppe ausge-                                                                                                            Beruf des Hausarztes begeistern.
    zu machen.                                wählte Ergebnisse zusammen. (Foto: RichVintage/iStock)                                                                                                                 (Foto: Maike Glöckner)
    (Foto: Markus Scholz)                                                                                            Some stories are also available in English: www.campus-halensis.de/en
Inklusion und Elite: Bildung im Umbruch - KALEI bereitet Lehrer besser auf die Praxis vor Forschergruppe untersucht exklusive Schulen - Campus ...
6    t it elt hema sc ient ia hal ensis 2 / 2017                                                                                                                                                                                  sc ient ia hal ensis 2 / 2017 t it elt hema   7

                                                                                                                                               Lernvoraussetzungen eine Klasse besuchen, ist         den Lehrer in die Praxis. Denn je nach Universität
                                                                                                                                               nicht selbstverständlich. Dabei fordert das Über-     und Bundesland sammeln Lehramtsstudierende
                                                                                                                                               einkommen der Vereinten Nationen über die             häufig erst spät Unterrichtserfahrungen, manch-
                                                                                                                                               Rechte von Menschen mit Behinderungen bereits         mal sogar erst während ihres Referendariats.
                                                                                                                                               seit 2008, dass das Schulsystem inklusiv angelegt     An der Uni Halle ist das nicht der Fall. Statt langen
                                                                                                                                               sein soll und allen Menschen offensteht. Inklusion    Blockpraktika oder einem Praxissemester gibt es
                                                                                                                                               in den Schulalltag und das bestehende System zu       mehrere kürzere Praxisphasen. Das weiß Studen-
                                                                                                                                               integrieren erweist sich jedoch als Aufgabe, die      tin Nora Haser zu schätzen: „Ich habe vorher an
                                                                                                                                               viele Ressourcen und Reformen bedarf. „Welche         der Uni Stuttgart studiert. Da dauerten die Prakti-
                                                                                                                                               Schulform ein Kind besucht, hängt in Deutschland      ka neun Wochen. Ich finde die kürzeren Intervalle
                                                                                                                                               leider oft noch von Leistung und sozialer Herkunft    in Halle besser, weil sie mehr Gelegenheit geben,
                                                                                                                                               ab. Dass ein Kind mit Förderbedarf beispielswei-      die Erfahrungen danach zu reflektieren und dar-
                                                                                                                                               se ein Gymnasium besucht, ist immer noch eher         aus zu lernen.“
                                                                                                                                               selten“, sagt Susanne Schütz vom Zentrum für
                                                                                                                                               Lehrerbildung (ZLB) der Uni Halle. Sie koordiniert
                                                                                                                                               das Projekt KALEI.                                     „Wir sollten uns von der Vor­
                                                                                                                                               Zukünftig stehen angehende Lehrkräfte vor der           stellung verabschieden, dass
                                                                                                                                               Aufgabe, inklusiven Unterricht anzubieten. Bisher
                                                                                                                                               spielte dieser Aspekt in ihrer Ausbildung kaum         Inklusion nur mit Def iziten
                                                                                                                                               eine Rolle. Inklusion bedeutet dabei aber nicht                 zu tun hat.“
                                                                                                                                               nur, Kindern mit Behinderung gerecht zu werden.
                                                                                                                                                                                                                  Susanne Sc h ütz
                                                                                                                                               „Wir sollten uns von der Vorstellung verabschie-

    t i t el: bi l d ung i m u m bruc h                                                                                                        den, dass Inklusion nur mit Defiziten zu tun hat.
                                                                                                                                               Vielmehr geht es darum, die unterschiedlichen         Die praktischen Erfahrungen sollen im Zuge von
                                                                                                                                               Lernvoraussetzungen und sozialen und kulturel-        KALEI noch stärker in das Lehramtsstudium ein-
                                                                                                                                               len Unterschiede, die jeder Mensch mitbringt, zu      gebunden werden. „Wir wollen die Praktika neu
                                                                                                                                               berücksichtigen“, sagt Susanne Schütz. Deshalb        ausrichten und dafür sorgen, dass die Studieren-

    Besser vorbereitet in die Schule
                                                                                                                                               ist ein Ziel von KALEI, angehende Lehrerinnen         den sich früh und oft genug an authentischen und
                                                                                                                                               und Lehrer im Studium auf inklusiven Unterricht       konkreten Fällen ausprobieren können“, sagt Su-
                                                                                                                                               vorzubereiten und für die verschiedenen Be-           sanne Schütz. Denn im Studium bekommen sie das
                                                                                                                                               dürfnisse der Kinder und Jugendlichen zu sen-         methodische und didaktische Wissen vermittelt
                                                                                                                                               sibilisieren.                                         – wichtiger ist aber, die Theorie in die Praxis umzu-
                                                                                                                                                                                                     setzen und darüber zu reflektieren. Schließlich ist
                                                                                                                                                                                                     ein Schwerpunkt des Projekts die Intensivierung
    Jede Schülerin und jeder Schüler ist anders. In der Ausbildung von Lehramtsstudierenden wurde das bisher                                   Arbeit an konkreten Fällen                            der kasuistischen Studienanteile. Kasuistik bedeu-
                                                                                                                                                                                                     tet hier, dass sich die Studierenden an möglichst
    zu wenig berücksichtigt. Das Projekt „Kasuistische Lehrerbildung für den inklusiven Unterricht“ (KALEI)
                                                                                                                                               Das Projekt wird im Rahmen der „Qualitätsof-          vielen Fällen ausprobieren, um daraus zu lernen.
    soll das mit einem verstärkten Fokus auf die Unterrichtspraxis ändern.                                                                     fensive Lehrerbildung“ gefördert, die 2013 in der     Dazu dienen beispielsweise die schulpraktischen
                                                                                                                                               gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund           Übungen, in denen sie in Kleingruppen zunächst
                                                                                                                                               und Ländern ins Leben gerufen wurde. „Es ist ein      im Schulunterricht hospitieren und dann selber
                                                                                                                                               wichtiges Signal, dass Bund und Länder die Lehrer-    Stunden übernehmen. „Ich fand es sehr hilfreich,
                                    Eine Studentin, die bereits von den Projekter-      Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen         bildung zur gemeinsamen Aufgabe erklärt und die       dass jeder mal dran war und wir uns gegenseitig
                                    gebnissen profitiert, ist Nora Haser. Sie hat ein   Lernvoraussetzungen, darunter auch Kinder mit          Initiative gestartet haben“, sagt Prof. Dr. Thomas    beobachtet haben. Da ist der Druck nicht ganz so
    Jedes Kind bringt andere        Praktikum an der Integrierten Gesamtschule          sonderpädagogischem Förderbedarf. „Darauf war          Bremer, Direktor des ZLB. Denn obwohl Schulen         groß und man übt in einem geschützten Rahmen“,
    Lernvoraussetzungen mit.        Halle (IGS Halle) gemacht und berichtet am Te-      ich vorher sehr gespannt, wie flexibel ich die Stun-   Ländersache sind, haben Bund und Länder in der        berichtet Nora Haser von ihren Erfahrungen.
    An der Uni Halle wer-           lefon von ihren Eindrücken am ersten Tag: „Ein      den planen kann und ob ich viele alternative Auf-      Förderinitiative bis zu 500 Millionen Euro in den     Die Fallarbeit dient der doppelten Professionali-
    den Lehramtsstudierende
                                    wenig aufgeregt war ich schon, bevor ich in die     gaben vorbereiten muss“, sagt Nora Haser, die im       kommenden Jahren bereitgestellt. KALEI erhält         sierung der Studierenden. „Zum einen lernen sie
    darauf vorbereitet, auf deren
    unterschiedlichen Bedürfnisse
                                    Klasse ging. Ich habe eine Doppelstunde Deutsch     neunten Semester Deutsch und Kunst auf Gymna-          davon seit 2016 rund zwei Millionen Euro für vier     bereits in der Ausbildung, Unterricht ohne den
    einzugehen. (Foto: RichVin-     gehalten und mich drei Tage darauf vorbereitet.“    siallehramt an der Universität Halle studiert. Dass    Jahre. Ein Anliegen der „Qualitätsoffensive Lehrer-   Druck der Praxis zu diskutieren. Zum anderen
    tage/iStock)                    In den Klassen, die sie unterrichtet hat, sitzen    Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen           bildung“ ist der schnellere Einstieg der angehen-     können sie an eigenen und fremden Fällen, aus-
Inklusion und Elite: Bildung im Umbruch - KALEI bereitet Lehrer besser auf die Praxis vor Forschergruppe untersucht exklusive Schulen - Campus ...
8    t it elt hema sc ient ia hal ensis 2 / 2017                                                                                                                                                                                    sc ient ia hal ensis 2 / 2017 t it elt hema              9

    Nora Haser – hier im                                                                                                                         Seminare, zum anderen tragen die beruflichen          nität der Schülerinnen und Schüler werden“, sagt
    Kunstraum der IGS Halle –                                                                                                                    Hintergründe der Dozentinnen und Dozenten             Wittek. Dafür nutzt sie mit ihrem Team Online-
    studiert Deutsch und Kunst
                                                                                                                                                 dazu bei. Denn die Profilseminare haben je nach       Fragebögen und führt qualitative Befragungen mit
    auf Gymnasiallehramt an
    der Uni Halle.                                                                                                                               Seminarleiter eine sozial-, schul- oder förderpäda­   ausgewählten Studierenden durch.
    (Foto: Maike Glöckner)                                                                                                                       gogische Ausrichtung.                                 Ein weiterer Forschungsaspekt ist die Frage, wie
                                                                                                                                                                                                       sich der Lehrerhabitus entwickelt. „Also denken
                                                                                                                                                                                                       angehende Lehrer zuerst: Ich bin Historiker oder
                                                                                                                                                 Geht das Konzept auf?                                 ich bin Lehrer für Geschichte?“, sagt Susanne
                                                                                                                                                                                                       Schütz. Welcher Aspekt davon ist vorrangig: das
                                                                                                                                                 Die Diskussionen im Seminar haben Nora Haser          Fach oder der Gedanke, Lehrer zu sein? Was da-
                                                                                                                                                 zum Nachdenken angeregt: „Ich hatte mir vor-          von ist zielführend? Und wie verändert sich diese
                                                                                                                                                 her über das Thema Inklusion tatsächlich kaum         Wahrnehmung in der Berufsbiografie? Der Pro-
                                                                                                                                                 Gedanken gemacht.“ Besonders hilfreich fand sie       jektkoordinatorin liegt innerhalb von KALEI vor
                                                                                                                                                 auch die unterschiedlichen Methoden, die sie im       allem eines am Herzen: „Wir wollen die verschie-
                                                                                                                                                 Seminar an die Hand bekam und später im Unter-        denen Lehrerbildungsbereiche innerhalb der Uni-
                                                                                                                                                 richt ausprobieren kann. Ob es anderen Studie-        versität besser untereinander vernetzen und An-
                                                                                                                                                 renden ähnlich geht, ist zugleich eine Forschungs-    lässe zum Austausch bieten.“ Friederike Stecklum
                                                                                                                                                 frage des Projekts. Denn Angebote zu entwickeln
                                                                                                                                                 und durchzuführen ist die eine Seite, die andere
                                                                                                                                                 zu überprüfen, ob und wie sie wirken und zu opti-     Kontakt: Susanne Schütz
                                                                                                                                                 mieren. Diesen Part übernimmt Juniorprofessorin
                                 probieren, welche Reaktionsmöglichkeiten sie            zu sammeln. Die Situation an der IGS Halle war          Dr. Doris Wittek, die KALEI wissenschaftlich evalu-   Koordinatorin KALEI
                                 in den Situationen hätten“, erzählt die Projekt-        dennoch ganz besonders für sie. Denn mit den            iert. „Wir untersuchen unter anderem, inwiefern       Telefon: +49 345 55-23563
                                 koordinatorin. Zukünftig wird es dafür auch ein         unterschiedlichen Förderbedarfen der Kinder hat-        KALEI-Teilnehmende sensibler für die Heteroge-        E-Mail: susanne.schuetz@zlb.uni-halle.de
                                 elektronisches Fallarchiv geben. In der Datenbank       te sie bisher vor allem in der Theorie zu tun. „Ich
                                 werden authentische Fälle gesammelt, die für die        war davon ausgegangen, dass ich quasi für jeden
                                 Forschung und Lehre genutzt werden können.              Schüler eigenes Arbeitsmaterial haben muss. Zum
                                                                                         Glück ist es dann doch nicht so speziell. Kinder, die   Zehn Jahre Zentrum für Lehrerbildung
                                                                                         beispielsweise eine Leserechtschreibschwäche
                                 Perspektivwechsel und Denkanstöße                       haben, bekommen andere Arbeitsblätter oder              Es ist die Anlaufstelle für alle Lehramtsstudie-      alle wichtigen Institutionen unter einem Dach: das
                                                                                         dürfen mit dem Tablet schreiben“, berichtet sie.        renden: das Zentrum für Lehrerbildung (ZLB) der       Prüfungsamt für Lehrämter, das Praktikumsbüro,
                                 Eine weitere Aufgabe, vor der angehende Lehr-           Zudem gebe es Förderangebote, die den Schülern          Universität Halle. Seine Gründung war eng mit         die Alumni-Stelle und die Studienberatung sowie
                                 kräfte stehen, ist, auf die sprachliche und kulturel-   etwa nachmittags besondere Unterstützung an-            der Modularisierung der Lehramtsstudiengänge          verschiedene Projekte – darunter auch KALEI. Da-
                                 le Vielfalt im Unterricht einzugehen. Bisher finden     bieten. Das Basisseminar „Grundlagen inklusiver         während der Bologna-Reform verknüpft. Denn            rüber hinaus gibt es ein Studienbegleitprogramm,
                                 sich diese Aspekte kaum im Lehramtsstudium              Pädagogik“, das im Rahmen von KALEI angeboten           damals existierte keine zentrale Einrichtung an der   wie etwa einen Stimmcheck für Lehramtsstudie-
                                 wieder. Deshalb fördert KALEI die Internationa-         wird, hat sie für das Thema im Vorhinein sensibi-       Uni Halle, die Lehramtsstudierenden bei Fragen        rende oder Ringvorlesungen. „Ein besonderer
                                 lisierung des Lehramts und den interkulturellen         lisiert. Es wurde im Profilmodul Inklusion entwi-       weiterhelfen konnte. „Damals stand zur Debatte,       Meilenstein war die Förderung durch die Qua-
                                 Austausch der Studierenden etwa durch Aus-              ckelt und ist seit dem Wintersemester 2016/17 für       ob man eine School of Education gründet, bei der      litätsoffensive Lehrerbildung vor zwei Jahren“,
                                 landspraktika. Zudem gibt es das Ergänzungsfach         die Lehramtsstudierenden verpflichtend.                 man alle Didaktiken und Erziehungswissenschaf-        resümiert Marie-Theres Müller. Auch der Direktor
                                 Deutsch als Zweitsprache, das unter anderem Mo-         Ziel des Basisseminars und der darauf aufbau-           ten in einer gesonderten Fakultät vereint. Diese      ist zufrieden mit der bisherigen Arbeit: „Wir waren
                                 dule zu Interkulturalität, Migration und Integrati-     enden Profilseminare ist nicht, die Studierenden        Pläne wurden aber schnell ad acta gelegt“, sagt       immer in der Lage, auf politische Vorgaben und
                                 on beinhaltet. Haser hat bereits vor dem Studium        von einer Meinung zur Inklusion zu überzeugen.          der Direktor des ZLB Prof. Dr. Thomas Bremer.         aktuelle Entwicklungen einzugehen. Aus unserer
                                 einen Auslandsaufenthalt absolviert. „Ich habe          „Vielmehr wollen wir sie dazu ermutigen, einen ei-      Stattdessen etablierte sich das Modell eines Zen-     Sicht darf es gerne so positiv weitergehen.“
                                 nach dem Abitur im Ausland in einem Kindergar-          genen Standpunkt dazu zu entwickeln. Wir geben          trums für Lehrerbildung. Dieses Jahr feiert das ZLB   Am 15. November findet die Jahrestagung des
                                 ten mit Ganztagsschule ein Praktikum gemacht.           ihnen wissenschaftliche Argumente an die Hand           bereits seinen zehnten Geburtstag. „Wir haben         ZLB statt. Sie steht unter dem Thema „Bildung                    Beitrag im
                                 Die Arbeit mit Menschen hat mich interessiert und       und regen sie zur Reflexion an“, betont Susanne         unsere Arbeit aufgenommen, als sich die ersten        für nachhaltige Entwicklung im Lehramtsstudium“                  Onlinemagazin
                                                                                                                                                                                                                                                                        „campus halensis“:
                                 mir derart Spaß gemacht, dass ich mich schließlich      Schütz. Die verschiedenen Blickwinkel auf Inklusi-      Studierenden für die modularisierten Lehramts-        und beginnt um 9.30 Uhr in der Aula des Löwenge-
                                                                                                                                                                                                                                                              Thomas Bremer und Marie-
                                 für ein Lehramtsstudium entschieden habe.“              on und Heterogenität werden durch zwei Aspek-           studiengänge mit Staatsexamen eingeschrieben          bäudes am Universitätsring 11. Bildungsminister        Theres Müller im Interview
                                 Inzwischen hatte sie bereits neun Semester Gele-        te verstärkt: Zum einen besuchen Studierende            haben“, erzählt Geschäftsführerin Dr. Marie-          des Landes Sachsen-Anhalt Marco Tullner wird die       über zehn Jahre ZLB
                                 genheit, erste Unterrichtserfahrungen als Lehrerin      der unterschiedlichen Lehramtsstudiengänge die          Theres Müller. Die zukünftigen Lehrer finden nun      Gäste mit einer Festrede begrüßen.               fs   http://bit.ly/10JahreZLB
Inklusion und Elite: Bildung im Umbruch - KALEI bereitet Lehrer besser auf die Praxis vor Forschergruppe untersucht exklusive Schulen - Campus ...
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     Zwischen „Bonzenschule“
      und „Gymnasium für Arme“
     Gute Bildung ist der Schlüssel zum Erfolg. Deshalb suchen Eltern nach den besten Schulen für ihre Kinder
     und Schulleiter bemühen sich um einen exzellenten Ruf ihrer Einrichtung. Das Ausmaß dieser Entwick-
     lungen und die Bedeutung für die Gesellschaft untersucht seit 2011 die von der Deutschen Forschungsgemein-
     schaft geförderte Forschergruppe 1612 „Mechanismen der Elitebildung“ an der Uni Halle. Im Interview fas-
     sen die Sprecher der Gruppe Prof. Dr. Werner Helsper und Prof. Dr. Heinz-Hermann Krüger ausgewählte
     Ergebnisse zusammen.

                              Gibt es in Deutschland viele Eliteschulen?             Helsper: Weil wir die Entwicklungen im Bereich
                              Werner Helsper: Das kommt darauf an, was man           exklusiver Bildungsinstitutionen im ganzen Bil-
                              unter Elite versteht. Gerade im Bildungssystem         dungssystem und auch die Unterschiede zwi-
                              ist der Begriff aber sehr heikel. Eine Hierarchie      schen den Teilbereichen in den Blick nehmen
                              zwischen Bildungsinstitutionen ist historisch          wollen. Der Kindergarten ist als entscheidender
                              keineswegs neu. Aber in den letzten beiden             Bildungsraum in den letzten Jahren „entdeckt“
                              Jahrzehnten zeichnen sich etwa im Bereich der          worden. Eltern fragen eher danach, welche Bil-
                              Internationalisierung neue Entwicklungen ab.           dungsangebote die Kindergärten unterbreiten.
                              Ebenso in der Gründung von Hochbegabtenin-             Das ist für hochpreisige kommerzielle Kinder-
                              ternaten. Und der Trend zur privaten Schulen           gärten selbstverständlich, bei denen finanziell      Welche Rolle spielen diese privaten Schulen?          Ein Gymnasium in einer ländlichen Lage hat keine      Werner Helsper (links) und
                              nimmt deutlich zu.                                     besser gestellte, hochmobile Eltern als „Kunden“     Helsper: Mit jeder neuen privaten Schule – ausge-     Konkurrenz, weil das nächste Gymnasium weit           Heinz-Hermann Krüger
                                                                                                                                                                                                                                                      ­leiten die DFG-Forscher-
                                                                                     auftreten und gewisse Privilegien einfordern kön-    nommen die Neugründung von privaten Grund-            entfernt ist. Internationale Schulen brauchen da-
                                                                                                                                                                                                                                                       gruppe. (Foto: Maike
                              Wieso ist der Elitebegriff so heikel?                  nen. Generell ist der Druck auf die Eltern bei der   schulen, die als Folge der Schließung öffentlicher    gegen immer eine Anbindung an eine Metropole,          Glöckner)
                              Heinz-Hermann Krüger: Der Elitebegriff ist im          Wahl des Kindergartens aber noch nicht so groß.      Schulen entstehen – entsteht für bildungsinte-        in der ein international mobiles Management
                              Bildungswesen prekär, weil er nahelegt, dass                                                                ressierte Eltern eine neue Möglichkeit, ihr Kind      ansässig ist. Davon gibt es im Osten Deutschlands
                              Schulen nicht über Leistung, sondern über soziale      Bei den Grundschulen ist das aber anders …           über die Schulwahl zu platzieren. Für einen Teil      nicht so viele Städte.
                              Privilegien funktionieren. So gibt es etwa Schu-       Krüger: Wenn Sie am Bahnhof in eine Buchhand-        der Eltern ist das durchaus ein Problem: Einer-
                              len, die nicht als „Bonzengymnasien“ etikettiert       lung gehen, finden Sie heute sehr viele Ratgeber     seits wollen sie das Beste für ihr Kind. Sie wissen   Können Sie uns eine städtische Region be-
                              werden wollen. Zu denen fanden wir keinen For-         zum Thema: Auf welche Grundschule soll ich           aber auch, dass sie eine soziale Entmischung be-      schreiben, die Sie untersucht haben?
                              schungszugang, weil vermutet wurde, dass wir           mein Kind schicken? Das zeigt, dass der Druck        fördern, wenn sie ihr Kind auf eine privilegierte     Helsper: Unsere Großstadt in den alten Bun-
                              genau in diese Kerbe schlagen wollten. Anders          hier schon größer wird, die beste Schule für das     Schule und nicht auf die Grundschule nebenan          desländern hat mit circa 20 Gymnasien, einer
                              ist es zum Beispiel bei Sportschulen, weil sich Eli-   eigene Kind auszuwählen. In vielen Bundeslän-        schicken.                                             internationalen Schule, einigen Gesamtschulen
                              te hier auf sportliche Höchstleistungen bezieht.       dern gibt es aber das Schulsprengelprinzip – Kin-                                                          und einer Waldorfschule eine ausdifferenzierte
                              Elite im Sinne von Exzellenz ist unproblematisch.      der müssen die Schule ihres Bezirks besuchen.        Wie sieht es mit dem Übergang nach der                höhere Schullandschaft. Interessant ist die Sicht
                              Sobald der Begriff aber auf soziale Privilegien ab-    Bekannt ist die Strategie von Eltern fiktive Um-     Grundschule in Gymnasien aus?                         der Schulleiter: Sie differenzieren ihre Schüler-
                              zielt, haben die Schulen ein Problem damit.            züge zu inszenieren, damit das Kind eine andere      Krüger: Ein generelles Ergebnis der Bildungsfor-      schaft entlang einer S-Bahnlinie, die die Stadt in
                                                                                     Einrichtung mit besserem Ruf besuchen kann.          schung ist die nach wie vor bestehende deutli-        eher privilegierte und unterprivilegierte Stadttei-
                              Ihre Studien analysieren aber nicht nur Gymna-         Andererseits nimmt die Zahlen von Grundschulen       che Bildungsungleichheit beim Übergang auf das        le trennt. Auf der einen Seite werden die Schüler
                              sien oder Hochschulen. Sie fangen bereits beim         in privater Trägerschaft deutlich zu. Deren Wahl     Gymnasium. Es gibt auch große Unterschiede            als wenig gymnasialtauglich wahrgenommen.
                              Kindergarten an. Wieso?                                ist nicht an den Schulbezirk gebunden.               zwischen städtischen und ländlichen Regionen.         Auf der anderen Seite scheinen sie alles mitzu-
Inklusion und Elite: Bildung im Umbruch - KALEI bereitet Lehrer besser auf die Praxis vor Forschergruppe untersucht exklusive Schulen - Campus ...
12   t it elt hema sc ient ia hal ensis 2 / 2017                                                                                                                                                  sc ient ia hal ensis 2 / 2017 studier en, l ehr en, l eben            13

                              bringen, wovon Schulleiter und Lehrer träumen.      pädagogische Herausforderungen bezüglich ihrer
                              Das „Schülermaterial“ ist also ihrer Meinung nach   Schülerschaft bewältigen müssen.
                              ungleich verteilt.
                                                                                  Über eine Gruppe haben wir bisher noch nicht
                              Ist das in den neuen Bundesländern auch so?         gesprochen …
                              Helsper: Die Situation ist eine andere: Aufgrund    Krüger: Die Schüler.
                              der Schulschließungen und -fusionierungen muss
                              kein Gymnasium um seine Existenz bangen. Dafür      … zeigen sich die Unterschiede zwischen Schu-
                              erscheint der Konkurrenzkampf um die Schüler        len auch bei den Schülern?
                              noch stärker. Spezial- und private Gymnasien ha-    Krüger: Durchaus. Sehr deutlich an den exklusi-
                              ben Auswahlverfahren, bei denen es darum geht,      ven Gymnasien. Die Schüler dort verwenden ihre
                              die Besten für diese anspruchsvollen Schulen zu     Schule, um sich nach außen abzugrenzen und
                              bekommen. Andere Schulen nehmen das im Ext-         aufzuwerten, selbst wenn sie nicht zur Leistungs-
                              remfall so wahr, als seien sie eine Art „Restgym-   spitze gehören. In internationalen Schulen gibt es
                              nasium“ oder „Gymnasium für Arme“. Das zeigt,       auch eine nach innen gerichtete Unterscheidung:
                              wie stark – auch ohne offizielle Schulrankings –    Zum Beispiel zwischen denen, die die internatio-
                              Hierarchien zwischen den Gymnasien entworfen        nal mobile Klientel darstellen und zwischen den
                              werden. Dabei sind alle Gymnasien doch privile-     Kindern mit reichen, deutschen Eltern, die ihren
                              gierte Bildungsinstitutionen.                       Kindern mit hohem Finanzaufwand eine bessere

                              Wie gehen die Schulen mit dieser Situation
                                                                                  Chance auf einen internationalen Abschluss und
                                                                                  ein Studium an einer internationalen Elitehoch-                                                          studi e r e n, l e h r en, l eben
                              um?                                                 schule geben wollen.
                              Krüger: Für das ganze Bildungssystem gilt: Inter-
                              nationalisierung wird ein neuer Qualitätsstan-      Worin zeigen sich diese Entwicklungen bei-

                                                                                                                                       Ein Schrittmacher für die
                              dard, in den Hochschulen wohl am stärksten. Für     spielsweise noch?
                              alle höheren Schulen wächst der Druck, sich um      Helsper: Es gibt eine Tendenz zur Versäulung:
                              Austauschprogramme, Schulpartnerschaften mit        Bereits im Grundschulbereich gibt es Schulen mit
                              interessanten Orten, spezielle Bildungszweige       internationaler, konfessioneller oder zum Beispiel

                                                                                                                                       					Allgemeinmedizin
                              und Sprachunterricht mit Muttersprachlern zu        reformpädagogischer Ausrichtung. Darauf satteln
                              bemühen. In der Literatur wird das als doppelte     dann die dazugehörigen Gymnasien oder auch
                              Internationalisierung beschrieben. Die eine Seite   neu gegründete Gemeinschaftsschulen auf, die
                              kann als privilegierte Internationalisierung be-    ihre Schüler vor allem aus diesen Schulen und den
                              zeichnet werden. Die andere ist eine vermeintlich   sie anwählenden Milieus rekrutieren.
                              zu vermeidende Internationalisierung, etwa Schu-
                              len mit einem hohen Migrantenanteil. In Berlin      Wie wird sich das Bildungssystem weiter ent-
                                                                                                                                       „Nur“ ein Hausarzt werden? – Von wegen! Mit dem bundesweit einzigartigen Projekt „Klasse Allgemein-
                              gibt es für Grundschulen und auch Gymnasien         wickeln?
                              eine Statistik zum prozentualen Anteil von Schü-    Helsper: Damit verlasse ich jetzt das Terrain wis-   medizin“ haben es Mediziner und praktizierende Ärzte an der Medizinischen Fakultät geschafft, bereits
                              lern mit Migrationshintergrund.                     senschaftlicher Erkenntnis: Es gibt eine deutliche   mehr als 100 Medizinstudierende für den Beruf des Hausarztes zu begeistern. Im Herbst schließen die ersten
                                                                                  Tendenz zu einem zweisäuligen Bildungssystem.
                                                                                                                                       Teilnehmer der Klasse ihr Studium ab. Zu ihnen gehört auch Johannes Thon.
                              Welche Folgen hat das für den Gedanken der          Die Hauptschule wird es, auch wo es sie jetzt noch
                              Inklusion?                                          gibt, demnächst nicht mehr geben. Und auch die
                              Helsper: Die Debatte um die Stärkung von Bil-       zweite Säule neben dem Gymnasium kann zum
                              dungsgleichheit, wozu Inklusion gehört, ist sehr    Abitur führen. Das bietet Chancen für mehr Bil-
                              bedeutsam. Die Schulen, die wir untersuchen, ha-    dungsgleichheit. Das kann aber auch, wie wir in      In der Arztpraxis seiner Mentorin wird Johannes    Klinkhart in Eckartsberga. Ab morgens um sieben
                              ben in diesem Sinne aber wenig damit zu tun. Sie    unseren Forschungen sehen, zu einer größeren         Thon oft schon als „Herr Doktor“ angesprochen.     empfängt er die Patienten der Akutsprechstunde
                              exkludieren ja gerade und es sind – etwa in den     Differenzierung in den höheren Bildungsberei-        Für viele seiner Patienten macht es keinen Un-     in einem eigenen Sprechzimmer. Er hört ihnen
                                                                                                                                                                                                                                            Johannes Thon in der
                              christlichen Gymnasien – dann höchstens Schüler     chen führen, so dass sich parallel dazu neue Bil-    terschied, ob der Medizinstudent seine letzte      aufmerksam zu, fragt nach ihren Vorerkrankun-
                                                                                                                                                                                                                                            Übungspraxis am Dorothea-
                              mit körperlichen Beeinträchtigungen, die auch       dungshierarchien entwickeln.                         Prüfung schon abgelegt hat oder nicht. Thon        gen, eingenommenen Medikamenten, dem Le-          Erxleben-Lernzentrum der
                              aufgenommen werden. Inklusion wird eher von                                                              absolviert das letzte Drittel seines Praktischen   bensstil und führt – je nach Beschwerden – eine   Medizinischen Fakultät
                              jenen Schulen getragen, die bisher schon viele                            Interview: Tom Leonhardt      Jahrs bei der Allgemeinmedizinerin Dr. Caterina    Untersuchung durch, um sich so ein Bild vom Ge-   (Foto: Maike Glöckner)
Inklusion und Elite: Bildung im Umbruch - KALEI bereitet Lehrer besser auf die Praxis vor Forschergruppe untersucht exklusive Schulen - Campus ...
14   studi er en, l ehr en, l eben sc ient ia hal ensis 2 / 2017                                                                                                                                                       sc ient ia hal ensis 2 / 2017 studier en, l ehr en, l eben            15

                                      sundheitszustand seines Gegenübers zu verschaf-           in das Leben seiner Patienten und entwickelt auch       praxis mit drei Behandlungszimmern zur Verfü-         Projekten dieser Art.“ Mittlerweile haben andere
                                      fen. Anschließend kommt die Hausärztin hinzu              eine intensivere Bindung zu ihnen als ein Arzt im       gung. Sie ist mit Untersuchungsgeräten und der        Hochschulen eine Reihe von ähnlichen Angeboten
                                      und hört sich seine Behandlungsempfehlung an.             Krankenhaus“, so der Student. Prof. Dr. Thomas          Software einer Hausarztpraxis ausgestattet. „Wir      geschaffen.
                                                                                                Frese, Direktor des neugegründeten Instituts für        wollen mit Hilfe von Schauspielern anhand von
                                                                                                Allgemeinmedizin, bestätigt das: „Patienten, die        Beispielen vermitteln, was in einer Hausarztpraxis
                                      Der Hausarzt als Lotse und Vertrauter                     ich einst im jugendlichen Alter kennengelernt           vor sich geht“, so Frese. Mit Kameras werden die            „Allgemeinmediziner
                                                                                                habe, bringen später ihre Kinder in die Praxis mit.     simulierten Patientengespräche aufgezeichnet und           durchlaufen mehr Fach­
                                      Von Anfang an steht den Studierenden der „Klasse          Man wird gemeinsam älter und damit ist häufig           anschließend mit den Dozenten ausgewertet.
                                      Allgemeinmedizin“ ein Hausarzt als persönlicher           auch eine ausgeprägte Wertschätzung verbun-             Die Bewährungsprobe folgt dann in der Praxis der         gebiete als Kollegen anderer
                                      Mentor zur Seite. Jedes Semester verbringen die           den.“ Hausärzte sind enge Vertraute und Lotsen          Mentoren. Hier hat auch Johannes Thon seine                    Fachrichtungen“
                                      Mentees zwei Tage bei ihren Mentoren in der Pra-          zugleich. Die langjährige Patientenbindung ist für      ersten Patientengespräche und -untersuchun-
                                      xis. Thon wurde Caterina Klinkhart zugelost, deren        ihre Arbeit von entscheidender Bedeutung. Denn          gen durchgeführt. „Im Umgang mit den Patien-
                                                                                                                                                                                                                      Pr of Dr. Thomas Fr e se                      Thomas Frese
                                                                                                                                                                                                                                                                    (Foto: Maike Glöckner)
                                      Praxis in Eckartsberga im Süden Sachsen-Anhalts           je besser der Arzt seine Patienten mitsamt ihrer        ten werden die Studierenden mit der Zeit dann
                                      liegt. „Ein absoluter Glücksgriff“, sagt der Student,     Vorgeschichte kennt, desto besser lassen sich auch      immer sicherer und selbstständiger“, berichtet        Im März 2017 haben Bund und Länder im „Mas-
                                      der inzwischen in das nahegelegene Weimar gezo-           gefährliche Krankheitsverläufe frühzeitig erken-        Klinkhart, die mittlerweile drei Studierende der      terplan Medizinstudium 2020“ die Aufwertung
                                      gen ist. In Thüringen will er 2018 seine Facharzt­        nen. „Als Allgemeinarzt hat man das Gesamtbild          Klasse betreut. Gemeinsam mit Johannes Thon           der Allgemeinmedizin im Studium bundesweit zur
                                      ausbildung zum Allgemeinmediziner beginnen.               des Patienten vor sich: Die physische, psychische       macht sie nach den Sprechstunden am Morgen            Aufgabe der Hochschulen erklärt. Am UKH sind mit
                                      Ursprünglich hatte sich der ausgebildete Rettungs­        und die soziale Komponente. Von diesem individu-        auch Hausbesuche. „Wir diskutieren dann – ohne        der „Klasse Allgemeinmedizin“ und der Überfüh-
                                      assistent für das Fachgebiet Innere Medizin inter-        ellen Bild hängt ab, welche Behandlungsempfeh-          Patienten – schonmal länger über ein Krankheits-      rung der Sektion Allgemeinmedizin in ein eigenes
                                      essiert. Aber dann habe ein Professor in einer Vor-       lung ich abgebe“, erklärt Johannes Thon.                bild. Die Studenten bringen oft auch ihre eigenen     Institut die ersten Schritte bereits getan worden.
                                      lesung so engagiert von der Klasse Allgemeinmedi-         Wie ein Arzt seinen Patienten gegenüber stets den       guten Ideen ein“, erzählt die Mentorin, die den       „Im Grunde ist es eine Gleichstellung gegenüber
                                      zin gesprochen – „das hat mich überzeugt“, erzählt        passenden Ton trifft und die richtigen Fragen stellt,   Austausch mit den angehenden Ärzten schätzt.          den anderen Fachgebieten“, sagt Institutsdirektor
                                      der 30-Jährige. Als einer von 20 Teilnehmern star-        das haben er und seine Kommilitonen in den Semi-        „Das Schönste, was eine Studentin einmal zu mir       Frese. „Unsere Mitarbeiter können sich jetzt voll
                                      tete er 2011 in dem bundesweit einzigartigen Pro-         naren der Klasse Allgemeinmedizin gelernt. „Jeder       gesagt hat, war: Ich wusste gar nicht, dass die Ar-   und ganz auf Lehre und Forschung konzentrieren,
                                      gramm. Sechs Jahre später gehört Johannes Thon            Patient ist anders – und mit jedem muss der Arzt        beit als Hausarzt so spannend ist.“                   wir haben ein regulär besetztes Sekretariat. Das
                                      zu den ersten Studierenden der Klasse, die ihr Stu-       eine gemeinsame Sprache finden. Deshalb ist es                                                                hat unsere Arbeitsfähigkeit enorm verbessert.“
                                      dium der Humanmedizin abschließen können. Be-             ganz wichtig, dass die Studierenden lernen, sich                                                              In einem nächsten Schritt wurde am Universitäts-
                                      reut hat er seine Entscheidung nie – im Gegenteil:        schnell in ihre Patienten hineinzuversetzen“, sagt      Neues Kompetenzzentrum eröffnet                       klinikum im September zudem das Kompetenz-
                                      „Unseren Dozenten hat man die Begeisterung für            Caterina Klinkhart. Neben den vorklinischen und                                                               zentrum für Allgemeinmedizin eröffnet. „Dieses
                                      ihren Beruf wirklich angemerkt. Man sieht, dass           klinischen Ausbildungsinhalten, die allen Medi-         Nicht jeder hat ein positives Bild vom Hausarzt.      Zentrum wird sich der Weiterbildung approbierter
                                      sie mit ihrer Arbeit als Hausarzt sehr zufrieden sind     zinstudierenden vermittelt werden, besuchen die         „Es gab lange den Glauben: Wer keine Speziali-        Ärzte widmen und sie dabei stärker unterstützen.
                                      und sie haben uns auch vermittelt, warum – also           Teilnehmer der Klasse deshalb zusätzliche Kommu-        sierung schafft, wird eben Allgemeinmediziner“,       Allgemeinmediziner durchlaufen weit mehr Fach-
                                      was das Besondere daran ist.“ Das Besondere sei           nikations- und Fertigkeitentrainings. Seit Oktober      sagt Thomas Frese. „Ich glaube aber, dass wir es      gebiete als ihre Kollegen anderer Fachrichtungen
                                      vor allem die auf Dauer angelegte Arzt-Patienten-         2017 steht ihnen dafür im Dorothea-Erxleben-            weiter schaffen werden, dieses Bild zu korrigie-      und sind dabei oft auf sich allein gestellt gewe-
                                      Beziehung: „Man erhält eine ganz andere Einsicht          Lernzentrum Halle eine neu eingerichtete Übungs-        ren. Die Allgemeinmedizin ist ein sehr komplexes,     sen“, sagt der Professor.
                                                                                                                                                        spannendes Fachgebiet und erfordert ein unge-         Das Zentrum ist direkt an das Institut angebunden
                                                                                                                                                        mein breites Fachwissen, dass Sie – ebenso wie        und wird bis zum Jahr 2022 vollständig durch die
                                                                                                                                                        in anderen Fachgebieten – in fünfjähriger Weiter-     AOK Sachsen-Anhalt finanziert. „Es soll die Wei-
                                                       FROHE ZUKUNFT Wohnungsgenossenschaft eG
                                                                                                                                                        bildung nach dem Studium erlernen.“ Gemeinsam         terbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin
                                                                                                                                                        mit engagierten Allgemeinärzten aus der Region        qualitativ und strukturell verbessern. Es ist qua-
                                                                                                                                                        will die Medizinische Fakultät mit ihrem speziel-     si die Fortsetzung der Klasse Allgemeinmedizin

       Genossenschaftlich wohnen                                                                                                                        len Ausbildungskonzept ein praxisnahes Bild von
                                                                                                                                                        Allgemeinmedizin vermitteln und damit auch dem
                                                                                                                                                                                                              nach dem Studienabschluss“, so Thomas Frese.
                                                                                                                                                                                                                                                   Corinna Bertz

       & Studentenvorteile nutzen
                                                                                                                                                        akuten Hausarztmangel in der Region gezielt ent-
                                                                                                                                                        gegenwirken. „Der Ansatz ist, mit der Klasse das
                                                                                                                                                        Thema Allgemeinmedizin kontinuierlich und dank        Kontakt: Prof. Dr. Thomas Frese
                                                                                                                                                        unserer Lehrärzte auch sehr praxisbezogen in das
       Bis zu 50 % als MIETLÄUFER sparen oder als WG-BEWOHNER/IN mit Einbauküche, WLAN u.v.m. wohnen!                                                   Studium einzubringen“, sagt Thomas Frese. Die         Institut für Allgemeinmedizin
                                                                                                                                                        Klasse sei seit 2011 „ein Schrittmacherprojekt“,      Telefon: +49 345 557-5338
       www.frohe-zukunft.de
                                                                                                                                                        wie Frese es nennt. „Sie gehört zu den frühesten      E-Mail: thomas.frese@uk-halle.de
Inklusion und Elite: Bildung im Umbruch - KALEI bereitet Lehrer besser auf die Praxis vor Forschergruppe untersucht exklusive Schulen - Campus ...
16    studi er en, l ehr en, l eben sc ient ia hal ensis 2 / 2017                                                                                                                                                sc ient ia hal ensis 2 / 2017 studier en, l ehr en, l eben               17

                                  Spitzenplatz für Juristen-Ausbildung                                                                         Akademisches Orchester: Festival zum 60-Jährigen
                                  Inzwischen hat man sich fast an die positive Nach-    herumgesprochen. Rund die Hälfte der Bewerber          Mit einem Festival feiert das Akademische Orches-
                                  richt gewöhnt: Halles Rechtswissenschaftler sind      kommt nicht aus der Region, sondern hat sich           ter der Universität Halle im Januar sein 60-jähriges
                                  2017 erneut in der Spitzengruppe des renom-           ganz bewusst und aufgrund der positiven Bewer-         Bestehen. Vier Tage in Folge werden die Musiker
                                  mierten CHE-Hochschulrankings gelistet. Bereits       tungen für den Juristischen Bereich der Uni Halle      ab dem 25. Januar 2018 aufspielen. Geplant sind
                                  bei den letzten Erhebungen 2011 und 2014 be-          entschieden.                                           zwei Auftritte in der Aula im Löwengebäude sowie
                                  scheinigte das Centrum für Hochschulentwicklung       Und da ist noch etwas: „Wir profitieren auch von       ein Sinfoniekonzert in der Händel-Halle und ein
                                  (CHE) dem Studiengang an der Universität Halle        den baulichen Voraussetzungen auf dem Campus“,         Kammerkonzert im Wilhelm-Friedemann-Bach-
                                  sehr gute Studienbedingungen. Doch woran liegt        sagt Madaus mit Blick auf das moderne Juridicum.       Haus. Aufgeführt werden unter anderem Stücke
                                  das eigentlich? Einerseits am „großen Einsatz aller   Natürlich spiele die Personalpolitik an der Fakultät   von Händel, Mendelssohn sowie ein moderner                                                                   Das Akademische Orchester
                                  Lehrenden“, wie Prof. Dr. Claudia Becker, Dekanin     ebenfalls eine Rolle. „Wir haben bei Neuberufun-       Winterblues.                                                                                                 beim Großen Universitäts-
                                                                                                                                                                                                                                                            konzert in der Händel-Halle
                                  der Juristischen und Wirtschaftswissenschaftli-       gen bewusst darauf geachtet, junge Lehrkräfte zu       Unter dem Motto „AO 60 – der Hauch der Moder-
                                                                                                                                                                                                                                                            2017 (Foto: Maike Glöckner)
                                  chen Fakultät, betont. Aber da ist noch mehr. „Die    gewinnen, die mit Begeisterung dabei sind und die      ne“ lädt das Orchester im Januar zudem zu zwei
                                  Bewertungen sind Folge einer bewussten Ausrich-       ihre Vorlesungen so halten, dass die Studierenden      weiteren Konzerten in Quedlinburg und Witten-            bildet das Orchester das Collegium Musicum der
                                  tung“, sagt Prodekan Prof. Dr. Stephan Madaus         auch wirklich hingehen wollen.“ Generell werde         berg ein. Das Akademische Orchester besteht aus          Universität. Die Geschichte des Akademischen
                                  und ergänzt: „Wir wollen es den Studierenden          versucht, die Lehrveranstaltungen möglichst in         insgesamt 60 Studierenden, Hochschullehrern              Orchesters, dessen Wiederaufbau 1957 vom da-
                                  leicht machen, bei uns anzukommen“.                   die Kernzeiten zu legen, damit sie auch unter zeit-    und Alumni. Gemeinsam spielen sie nicht nur              maligen Rektor angeregt wurde, reicht bis ins 18.
                                  Damit das funktioniert, wird nichts dem Zufall        lichem Aspekt studierendenfreundlich sind.             klassische Musik. Auch mit Bands wie den ungari-         Jahrhundert zurück. Das Akademische Orchester
                                  überlassen. Gleich zu Semesterbeginn gibt es          All das führt zu einer überaus positiven Grund-        schen Rockern von Omega waren sie bereits auf            informiert unter www.coll.music.uni-halle.de/ao
                                  eine Begrüßungswoche für alle Erstsemester.           stimmung bei allen Akteuren. Inzwischen ist            Tour. Zusammen mit dem Universitätschor Halle            über aktuelle Veranstaltungen.                cb
                                  Die Neuankömmlinge werden in kleine Gruppen           dadurch offenbar auch die Leistung der Studie-
                                  eingeteilt, die das gesamte Semester über be-         renden gestiegen. „Wir können unseren akade-
                                  stehen bleiben und von Tutoren betreut werden.        mischen Nachwuchs zunehmend aus eigenen
                                  Zusätzlich nimmt jeweils ein Professor immer drei     Absolventen generieren“, so Madaus. Er ist davon
                                  dieser Gruppen unter seine Fittiche. Er fungiert      überzeugt: „Es ist das Gesamtpaket, das bei uns
                                  als persönlicher Ansprechpartner und lernt die        stimmt.“                             Ines Godazgar
                                  Gruppe dabei auch bewusst informell kennen,
                                  beim Besuch des Gerichts etwa oder in der Oper.
                                  „Das erleichtert die Kommunikation und damit das      Kontakt: Prof. Dr. Stephan Madaus
                                  Sich-Willkommen-Fühlen enorm“, sagt Madaus,                                                                               „Dirigieren fordert auch meine Augen:
                                  der wie seine Kollegen Wert auf diese persönliche     Juristischer Bereich                                                   der schnelle Blickwechsel von der
                                                                                                                                                                Partitur in das Orchester und zu
                                  Form der Ansprache legt. Inzwischen hat sich das      Telefon: +49 345 55-23190
                                                                                                                                                             den Sängern auf der Bühne, von nah
                                  bei den Interessenten für das Fach bundesweit         E-Mail: stephan.madaus@jura.uni-halle.de                           zu fern, und das bei wenig Licht, erlaubt
                                                                                                                                                            daher keine Experimente in der Optik.“

                                                                                                                                                                           Kay Stromberg
                                                                                                                                                              Studienleiter und Kapellmeister an Oper
                                                                                                                                                                      und Staatskapelle Halle

     Durch seine moderne
     Ausstattung trägt auch das
     Juridicum zu den guten
                                                                                                                                                                  TROTHE OPTIK.
     Studienbedingungen am
                                                                                                                                                                  FÜR ANSICHTSVOLLE.                                                                                   trothe.de
     Juristischen Bereich bei.
     (Foto: Markus Scholz)
Inklusion und Elite: Bildung im Umbruch - KALEI bereitet Lehrer besser auf die Praxis vor Forschergruppe untersucht exklusive Schulen - Campus ...
18    studi er en, l ehr en, l eben sc ient ia hal ensis 2 / 2017                                                                                                                                                sc ient ia hal ensis 2 / 2017 studier en, l ehr en, l eben   19

     Eine Verbindung mit Geschichte                                                                                                              le Forscher aus Halle und Eriwan waren bereits
                                                                                                                                                 zu Konferenzen und Forschungsaufenthalten an
                                                                                                                                                 der jeweiligen Partneruniversität zu Gast. Eine
                                                                                                                                                                                                        Identität und Kultur Armeniens stets sehr wichtig
                                                                                                                                                                                                        und die Kirche war der Ort, an dem diese Tradition
                                                                                                                                                                                                        gepflegt wurde. Deshalb spielt die Theologie in
                                                                                                                                                 gemeinsame internationale Sommerschule, ei-            der armenischen Kultur bis heute eine sehr große
                                                                                                                                                 ne deutsch-armenische Konferenz sowie eine             Rolle“, erklärt Illert, der im April an der Theologi-
                                                                                                                                                 akademische Gedenkstunde für die Opfer des             schen Fakultät der YSU zu Gast war.
     Bereits seit zehn Jahren besteht die Partnerschaft zwischen der Universität Halle und der Staatlichen Uni-                                  Völkermords an den Armeniern im Osmanischen
     versität Eriwan (YSU). Im Juni haben die beiden Hochschulen ihren Kooperationsvertrag verlängert. Jetzt                                     Reich zählen zu den prägenden Ereignissen der
                                                                                                                                                 zehnjährigen Kooperation.                              Interkultureller Crashkurs in der Theologie
     sollen auch Studierende und Doktoranden noch stärker in den wissenschaftlichen Austausch mit Armenien
                                                                                                                                                 „In Zukunft wollen wir insbesondere den Aus-
     einbezogen werden – zum Beispiel an der Theologischen Fakultät.                                                                             tausch von Doktoranden und Studierenden noch           Ein Ergebnis seines Besuchs ist ein neues Stipen-
                                                                                                                                                 stärker fördern“, kündigte Simonyan in Halle an.       dienprogramm, das Theologie-Studierenden aus
                                                                                                                                                 Halle könnte noch stärker von Eriwan profitieren:      Eriwan ab 2018 einen Studienaufenthalt in Halle
                                                                                                                                                 „Wir pflegen sehr gute Beziehungen und Kontakte        ermöglichen soll. Langfristig möchte der Theologe
                                      Zu dritt waren sie zur Jubiläumswoche anlässlich     zur Martin-Luther-Universität, denn sie haben in      zu den Hochschulen unserer Nachbarländer, etwa         auch halleschen Studierenden Exkursionen oder
                                      des 200. Jahrestags der Vereinigung der Univer-      Halle studiert“, erklärt er. Auch eine Alumna der     in den Iran. Die könnten auch den halleschen Ori-      Blockseminare in dem 2.800 Kilometer entfernten
                                      sitäten Halle und Wittenberg aus dem Kaukasus        YSU lehrt und forscht seit Jahrzehnten in Halle:      entwissenschaftlern von Nutzen sein.“                  Land anbieten. „Armenien ist für uns ein wichtiges
                                      nach Halle gereist: der Rektor Prof. Dr. Aram Sim-   Prof. Dr. Armenuhi Drost-Abgarjan hat an der YSU                                                             Brückenland, weil es uns mit Regionen verbindet,
                                      onyan mit seinem Büroleiter und dem Dekan der        studiert, kam 1985 an die Universität Halle, wo sie                                                          die uns sonst sehr fern sind. Die Theologie braucht
                                      Theologischen Fakultät. Gemeinsam mit weiteren       heute die MESROP-Arbeitsstelle leitet, an der Wis-    Kleines Land mit großer Tradition                      diese Art der Begegnung“, sagt er. Und ergänzt:
                                      Universitätspartnern aus den USA, China und          senschaftler beider Länder Kultur und Geschichte                                                             „Der Austausch ist auch ein interkultureller Crash-
                                      Russland überbrachten sie im Juni ihre Glückwün-     Armeniens erforschen.                                 17 Professorinnen und Professoren aus drei ver-        kurs, denn mit den Unterschieden umzugehen,
                                      sche. Nicht nur eine handgeschnitzte traditionelle   Drei Millionen Menschen leben in Armenien,            schiedenen Fakultäten der Universität Halle sind       erfordert interkulturelle Kompetenz.“
                                      Holzvase hatten die Armenier als Gastgeschenk        20.000 von ihnen studieren an der YSU. „Wir           bislang in die Partnerschaft eingebunden. Vor al-      Die Unterschiede zwischen den beiden Fakultäten
                                      im Gepäck: „Wir haben mehr als 40 Bücher für         sind ein kleines Land, in dem unsere Universität      lem Theologen, Germanisten, Archäologen, Kunst-        sind beträchtlich: Die Theologische Fakultät in
                                      die MESROP-Arbeitsstelle für Armenische Studien      die größte und älteste ist“, so Rektor Simonyan.      historiker und Orientwissenschaftler erforschen        Eriwan ist der Armenischen Apostolischen Kirche
                                      mitgebracht“, sagte Rektor Simonyan nach dem         Im Rahmen der Festveranstaltung vereinbarten          die reiche Geschichte und Kultur des kleinen           unterstellt, fast alle Studierenden sind orthodoxe
                                      Jubiläums-Festakt. „Viele unserer Wissenschaftler    er und Rektor Udo Sträter, die intensive Zusam-       Landes. Sie haben vor Ort etwa prähistorische          Christen. „An unserer Partner-Fakultät gibt es ein
                                      haben eine sehr enge und persönliche Verbindung      menarbeit weitere zehn Jahre fortzusetzen. Vie-       Steinformationen und Goldfunde untersucht oder         viel stärkeres Bewusstsein dafür, ein Teil der Kir-
                                                                                                                                                 die Transformation des politischen Systems nach        che zu sein. Für sie ist das Theologische nicht vom
                                                                                                                                                 dem Ende der Sowjetunion analysiert.                   Kirchlichen zu trennen“, erklärt Illert. Aus genau
                                                                                                                                                 Auch ein gemeinsames deutsch-armenisches               diesem Grund sei der Austausch für beide Seiten
                                                                                                                                                 Handbuch der Theologie gehört zu den aktuellen         so bereichernd. „Bei uns können die armenischen
                                                                                                                                                 Kooperationsprojekten. Alle Vertreter der theolo-      Theologen einen aus den gottesdienstlich kirchli-
                                                                                                                                                 gischen Fachgebiete beschreiben darin in beiden        chen Zusammenhängen gelösten Zugang und da-
                                                                                                                                                 Sprachen kurz ihre Bereiche. Was sich zunächst         mit eine gewisse Selbstdistanz wahrnehmen. Wir
                                                                                                                                                 unspektakulär anhört, ist unverzichtbar für den        können wiederum nachvollziehen, was eine got-
                                                                                                                                                 Austausch, sagt der hallesche Ostkirchenkundler        tesdienstlich geprägte Frömmigkeit für die direkte
                                                                                                                                                 PD Dr. Martin Illert: „Diese Selbstbeschreibung ist    theologische Auseinandersetzung bedeutet.“
                                                                                                                                                 der erste Schritt eines Dialogs, bevor man dann        Im Austausch komme es deshalb auf die Zwischen-
                                                                                                                                                 mit der eigenen Deutung an den Partner heran-          töne an: „Wir können ein Referat über die Kirche
                                                                                                                                                 treten kann.“                                          im 4. Jahrhundert halten und an diesem Beispiel
                                                                                                                                                 Für Theologen ist das Land im Kaukasus von be-         zugleich über die unterschiedlichen Vorstellungen
                                                                                                                                                 sonderer Bedeutung: Armenien ist die älteste           und Methoden diskutieren, die da aufeinander-
                                                                                                                                                 christliche Nation der Welt. Bereits im vierten        prallen“, erklärt der Dozent. Es gehe darum, nicht
     Bei seinem Besuch im Juni                                                                                                                   Jahrhundert erklärte der armenische König Trdat        einfach nur die eigenen Standards an die Partner
     überreichte Rektor Aram
                                                                                                                                                 III. das Christentum zur Staatsreligion. Kurz darauf   heranzutragen, sondern einen konfessionsüber-
     Simonyan (links) Rektor
     Udo Sträter eine traditionelle
                                                                                                                                                 – zu Beginn des 5. Jahrhunderts – entwickelte der      greifenden Diskurs zu führen. „Ein solcher Diskurs
     armenische Holzvase. (Foto:                                                                                                                 Mönch Mesrop Maschtoz die armenische Schrift-          kann beide Fakultäten prägen und verändern“,
     Michael Deutsch)                                                                                                                            sprache. „Die Sprache war für die Bewahrung der        davon ist Illert überzeugt.          Corinna Bertz
20    f orsc hen und publ iz ier en sc ient ia hal ensis 2 / 2017                                                                                                                                          sc ient ia hal ensis 2 / 2017 f orsc hen und publ iz ier en                     21

                                                                                                                                            ten Forscherinnen und Forscher aktuell an einer                                                                Josef Settele leitet mit zwei
                                                                                                                                            globalen Bestandsaufnahme der Artenvielfalt von                                                                weiteren Forschern das
                                                                                                                                                                                                                                                           erste globale Assessment von
                                                                                                                                            Tieren und Pflanzen sowie Ökosystemleistungen,
                                                                                                                                                                                                                                                           IPBES. (Foto: UFZ / Seba-
                                                                                                                                            zum Beispiel CO2-Speicherung oder Klimaregu-                                                                   stian Wiedling)
                                                                                                                                            lierung.
                                                                                                                                            Die meisten wissenschaftlichen Studien sind auf
                                                                                                                                            einen bestimmten Ort und einen bestimmten
                                                                                                                                            Zeitraum beschränkt. Daraus lassen sich aber
                                                                                                                                            keine allgemeinen Aussagen ableiten. Das soll
                                                                                                                                            der erste große IPBES-Bericht, das so genannte
                                                                                                                                            „Global Assessment“, ändern: „Darin soll der ak-
                                                                                                                                            tuelle Stand des weltweit verfügbaren Wissens
                                                                                                                                            auf eine fachlich korrekte und verständliche Form      ganisiert etwa der portugiesische Biologe Prof.
                                                                                                                                            kondensiert werden“, sagt Prof. Dr. Josef Settele      Dr. Henrique Pereira von der Uni Halle regelmäßig
                                                                                                                                            vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung              Arbeitstreffen für IPBES. In den letzten Jahren hat
                                                                                                                                            (UFZ). Settele leitet am UFZ die Arbeitsgruppe         sich die Region zu einem Hotspot der Biodiversi-
                                                                                                                                            Tierökologie und sozial-ökologische Systeme im         tätsforschung entwickelt. „Ich bekomme in letzter
                                                                                                                                            Department Biozönoseforschung in Halle und ist         Zeit immer mehr Anfragen für Promotionsarbei-
     f orsc hen und publ i z i e r e n                                                                                                      außerdem Professor an der Uni Halle.
                                                                                                                                            Mit zwei Wissenschaftlern aus Südamerika hat er
                                                                                                                                                                                                   ten zu diesen Themen aus dem Ausland“, berichtet
                                                                                                                                                                                                   Prof. Dr. Christine Fürst von der Uni Halle. Die Pro-
                                                                                                                                            den Vorsitz für dieses erste globale Assessment        fessorin für Nachhaltige Landschaftsentwicklung
                                                                                                                                            inne. Ihre Aufgabe ist es, das Team aus über 150       engagiert sich ebenfalls bei IPBES – speziell in der
                                                                                                                                            Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus          Region Europa und Zentralasien in den Kapiteln

     Weltbiodiversitätsrat: Mittel-
                                                                                                                                            aller Welt zu koordinieren. Bis 2019 soll das IPBES-   „Integrierte Analyse der Interaktionen zwischen
                                                                                                                                            Team seinen ersten großen Bericht ausarbeiten.         Natur und Mensch“ sowie „Governance- und Ent-
                                                                                                                                            Außerdem entwickelt IPBES auf Grundlage der            scheidungsoptionen“.

     deutsche Forscher mischen mit
                                                                                                                                            Erkenntnisse auch Empfehlungen für die Politik,
                                                                                                                                            um künftig gegen den Verlust von Artenvielfalt
                                                                                                                                            vorzugehen. Aktuell sind 127 Staaten Mitglied bei      Recherche, Recherche, Recherche
                                                                                                                                            IPBES. Jedes Land kann seine eigenen Experten
                                                                                                                                            und Vertreter benennen.                                Die Hauptarbeit der Autoren bei IPBES ist keine
                                                                                                                                                                                                   klassische Forschungsarbeit im Labor oder im Feld.
                                                                                                                                                                                                   Stattdessen entstehen am Ende extrem umfangrei-
     Jährlich sterben weltweit zahlreiche Tier- und Pflanzenarten aus. Über das genaue Ausmaß, die Gründe                                   Das Who’s who der Biodiversitätsforschung              che Übersichtsartikel, die nach speziellen Regeln
     und Folgen für die Ökosysteme, den Menschen und die Welt ist noch nicht viel bekannt. Wissenschaftler aus                                                                                     angefertigt werden. Die Idee ist, alle relevanten
                                                                                                                                            Ein Blick auf die Liste der Personen, die sich bei     Quellen, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt
     aller Welt arbeiten im Weltbiodiversitätsrat IPBES an einer ersten globalen Bestandsaufnahme und suchen                                IPBES engagieren, verrät: Settele und Paxton sind      veröffentlicht wurden, in die Berichte einfließen
     nach Auswegen für den Verlust der Artenvielfalt. Auch die Uni Halle ist in dem internationalen Gremium                                 bei weitem nicht die einzigen Forscher aus Mittel-     zu lassen. Dazu gehören auch Erkenntnisse und
                                                                                                                                            deutschland. Universitäten wie außeruniversitäre       Daten, die vorher nicht in wissenschaftlichen Jour-
     prominent vertreten.
                                                                                                                                            Forschungseinrichtungen aus Halle, Jena und Leip-      nalen publiziert worden sind; etwa Berichte von
                                                                                                                                            zig – um nur die näheren Orte zu nennen – liefern      Ministerien, aber auch Daten von lokalen Gruppen,
                                                                                                                                            gefragte Expertinnen und Experten aus den Natur-       Behörden und Verbänden. Um diese sehr unter-
                                  Sich für den Artenschutz zu engagieren ist für        Experte für den Weltbiodiversitätsrat IPBES no-     und Sozialwissenschaften für IPBES.                    schiedlichen Quellen zu sichten, zu bewerten und
                                  Prof. Dr. Robert Paxton von der Uni Halle selbst-     miniert wurde. Von 2014 bis 2016 engagierte sich    Ein wichtiger Player ist darüber hinaus das Deut-      zusammenzufassen, braucht es viele Menschen,
                                  verständlich: „Ich liebe Tiere und Pflanzen. Mir      Paxton neben seiner regulären wissenschaftlichen    sche Zentrum für integrative Biodiversitätsfor-        die sehr gut im Thema stehen. Hier kommen die
                                  gefällt nicht, dass sie verschwinden.“ Der Biologe    Arbeit als Leitautor in dem Gremium und steuerte    schung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig. Es wurde 2012 als    einzelnen Wissenschaftler ins Spiel, die den ge-
     Der Weltbiodiversitätsrat
                                  erforscht seit vielen Jahren die Gründe und Folgen    seine Expertise für den Themenbereich Bestäuber,    Forschungszentrum der Deutschen Forschungs-            meinsamen Arbeitsplan entwickeln und verfeinern.
     erarbeitet eine erste glo-
     bale Bestandsaufnahme
                                  des Bienensterbens für den Menschen und für die       Bestäubung und Nahrungsmittelproduktion bei.        gemeinschaft gegründet und wird seitdem von            Jedes Kapitel wird intern wie extern mehrfach
     zur Artenvielfalt. (Foto:    Natur. Deshalb sei es für ihn eine große Ehre gewe-   IPBES ist vergleichbar mit dem Weltklimarat IPCC.   den Universitäten Halle, Jena und Leipzig sowie        begutachtet, diskutiert und überarbeitet. Jeder
     Chinnapong/Fotolia)          sen, als er von der deutschen Bundesregierung als     In einem internationalen Expertengremium arbei-     in Kooperation mit dem UFZ betrieben. Hier or-         Zwischenschritt akribisch dokumentiert. In dieser
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