Inklusion und Teilhabe in Corona-Zeiten - Aktuelle Herausforderungen und Zukunftsperspektiven - Bundesverband Deutscher ...
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3/2020 Chancen und Perspektiven der Beruflichen Rehabilitation SONDERTHEMA CORONA-PANDEMIE Inklusion und Teilhabe in Corona-Zeiten Aktuelle Herausforderungen und Zukunftsperspektiven Wie nachhaltig wird sich die Corona-Pandemie auf Wirtschaft und Gesellschaft auswirken? Auch wenn sich der Arbeitsmarkt dank Kurzarbeit bislang als durchaus stabil erwiesen hat, werden der Lockdown und die globale Reichweite der Pandemie gravierende Konsequenzen haben. Das trifft auch die Beschäftigungssituation unterschiedlicher Gruppen am Arbeitsmarkt. REHAVISION beschäftigt sich in dieser Ausgabe mit der Frage, wie sich die Arbeitsmarktsituation von Menschen mit Behinderungen durch die Corona-Pandemie verändert und welche Rolle Inklusion aktuell für Unternehmen spielt. Seite 3 Die REHAVISION wird herausgegeben vom
VORWORT Liebe Leserin, Leserin, lieber Leser Leser,, die Situation ist weiter sehr dynamisch: Als wir vor Sonderausgabe konnten Sie bereits mehr dazu er- gut zwei Monaten diese zweite Sonderausgabe der fahren. In dieser Ausgabe möchten wir die Situation REHAVISION beraten haben, waren die täglichen von Menschen mit Behinderungen und Unter- Infektionszahlen verhältnismäßig niedrig. Einen mögli- nehmen stärker in den Blick nehmen. Wir gehen chen neuen Lockdown konnten oder wollten sich viele der Frage nach, wie sich die Corona-Pandemie nicht vorstellen. Doch nur wenige Wochen später sind perspektivisch auf die Inklusion von Menschen mit wir alle erneut angehalten, unsere Kontakte zu redu- Behinderungen auswirken könnte. Ich bedanke mich zieren und bald endet ein für alle Menschen beruflich bei allen, die mit ihren Einschätzungen zu dieser wie privat sehr herausforderndes Jahr. Es ist nur Ausgabe beigetragen haben. verständlich und menschlich, wenn wir mit gemisch- ten Gefühlen auf die kommende Zeit blicken. Zwar Damit die Erfolge der letzten Jahre auf dem Weg häufen sich die positiven Meldungen, die auf ein zu einer inklusiven Gesellschaft nicht verloren gehen perspektivisches Ende der Pandemie hoffen lassen, und Menschen mit Behinderungen zu den großen dennoch müssen wir akzeptieren, dass die Rückkehr Verlierern der Krise werden, ist hier auch in Zukunft zur Normalität noch eine Weile dauern wird. unser aller Einsatz gefragt. Doch vorher wünsche ich Ihnen zunächst frohe Feiertage, etwas Ruhe und Wie uns allen, so hat 2020 auch den Berufsförde- bleiben Sie zuversichtlich für das kommende Jahr. rungswerken viel abverlangt. Dennoch haben sie eindrücklich gezeigt, dass sie flexibel und krisenfest Ihr sind. Mit viel Engagement und der Unterstützung der Rehabilitationsträger ist es den BFW gelungen, ihre Angebote fast nahtlos fortzusetzen. Diesen Niels Reith Einsatz für Teilhabe und Inklusion werden sie auch Geschäftsführer des Bundesverbandes in den kommenden Monaten zeigen. In der letzten Deutscher Berufsförderungswerke Inhaltsverzeichnis Sonderthema Inklusion und Teilhabe in der Corona-Pandemie . . . . . . . . . . . . 3 Warum Unternehmen in der Pandemie Inklusion und Teilhabe in Corona-Zeiten . . . . . 3 zurückhaltend sind. . . . . . . . . . . . . . . . 9 Integration in Corona-Zeiten . . . . . . . . . . 6 Namen und Nachrichten . . . . . . . . . . . . 10 Beschäftigungspflicht auch in der Kurz notiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Krise durchsetzen . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Personalia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Parcourslauf in Arbeit . . . . . . . . . . . . . . 8 Veranstaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Impressum Redaktion: Gestaltung: Dr. Susanne Gebauer, Frank Gottwald, zeichensetzen kommunikation GmbH Hans-Dieter Herter, Kerstin Kölzner, GDA Kommunikation − Gesellschaft für Marketing Ellen Krüger, Frank Memmler, Niels Reith, und Service der Deutschen Arbeitgeber mbH Astrid Hadem (V. i. S. d. P.) Leserservice: Fotonachweise (Seite): Kontakt: Ellen Krüger iStockphoto (1,11); BV BFW/Kruppa (2, 6); Aktion Knobelsdorffstraße 92, 14059 Berlin Mensch (3); SimonsVoss (4); BDA (6); Silvia Béres Tel.: 030 3002-1253, Fax: 030 3002-1256 (7); AMEOS Klinikum (8); Fishing Tackle Max (9); E-Mail: rehavision@bv-bfw.de BFW Berlin-Brandenburg, BFW Köln, BFW Düren, BFW Dresden, BFW Halle (10); BV BFW, BMAS, Herausgeber: BFW Oberhausen, DRV Rheinland-Pfalz (11) Bundesverband Deutscher Berufsförderungswerke e. V. Aktuelle Ausgaben der REHAVISION finden Druck: Sie als Download unter: www.bv-bfw.de Königsdruck – Printmedien und digitale Dienste GmbH 2 REHAVISION 3/2020 SONDERTHEMA CORONA
INKLUSION UND TEILHABE IN DER CORONA-PANDEMIE Inklusion und Teilhabe in Corona-Zeiten Aktuelle Herausforderungen und Zukunftsperspektiven Wie nachhaltig wird sich die Corona-Pandemie auf Wirtschaft und Gesellschaft auswirken? Auch wenn sich der Arbeitsmarkt dank Kurzarbeit bislang als durchaus stabil erwiesen hat, werden der Lockdown und die globale Reichweite der Pandemie gravierende Konsequenzen haben. Das trifft auch die Beschäftigungssituation unterschiedlicher Gruppen am Arbeitsmarkt. REHAVISION beschäftigt sich in dieser Ausgabe mit der Frage, wie sich die Arbeitsmarktsituation von Menschen mit Behinderungen durch die Corona-Pandemie verändert und welche Rolle Inklusion aktuell für Unternehmen spielt. D er pandemiebedingte Einbruch der Wirtschaft hat deutliche Spuren hinterlassen. „Der Arbeits- markt ist durch die Corona-Kri- se massiv unter Druck geraten“, so die Prognose 2020/2021 des Instituts für Arbeitsmarkt- und Be- rufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) aus dem Oktober 2020. „Dennoch bleiben die Entlas- sungszahlen bislang vergleichsweise begrenzt“, stellt Enzo Weber, Leiter des Forschungsbereichs „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“ fest. Grund dafür seien die Stabili- sierungsmaßnahmen wie Kurzarbeit und Liquiditätshilfen. Aktuell liegt die Arbeitslosenzahl bei 2,876 Mio., um 556.000 höher als vor einem Jahr, die Arbeitslosenquote beträgt 6 % (Stand Okt. 2020). Die Auswirkungen des wirtschaftlichen Schocks chen positive Effekte für Inklusion gegeben – etwa auf Beschäftigung und Neueinstellungen variieren da- in Branchen wie dem Fahrradhandel oder in Bau- bei von Branche zu Branche. Starke Einbrüche haben märkten, die von der Corona-Pandemie profitierten. insbesondere die Wirtschaftszweige zu verzeichnen, in denen kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse, Einfach- Inklusion: Abhängig von wirtschaftlicher Lage arbeitsplätze und Minijobs besonders ausgeprägt sind wie Gastronomie, Tourismus, das Veranstaltungsge- Ein Blick in die Unternehmenslandschaft zeigt, wie werbe oder die Zeitarbeit. Allesamt Beschäftigungsfor- eng gekoppelt das Thema Inklusion mit der jeweiligen men, die nicht von der Kurzarbeitsregelung profitieren wirtschaftlichen Lage ist. „Die Situation im Luftfahrt- können. Im produzierenden Gewerbe beschleunigte geschäft ist aktuell äußerst angespannt“, sagt Willy die Corona-Pandemie zudem den Stellenabbau, der Graßl, Inklusionsbeauftragter beim Flughafen Mün- im Zuge des Strukturwandels etwa in der Automobil- chen. Seit Beginn des Jahres gab es einen Rückgang branche ohnehin schon im Gange war. von rund 75 Prozent bei den Passagierzahlen. „Inklu- sion in Bezug auf die Einstellung von Menschen mit Be- Mehr Menschen mit Behinderungen arbeitslos hinderungen ist aufgrund der aktuellen Gegebenhei- ten kein Thema bei uns. Aber die Weiterbeschäftigung Besonders betroffen von der Corona-Pandemie von Mitarbeitern, die im Laufe ihrer Beschäftigung sind Menschen mit Behinderungen, erklärt Christina eine gesundheitliche Einschränkung oder eine chroni- Marx, Leiterin des Ressorts Aufklärung bei der Ak- sche Erkrankung erleiden, ist ein relevantes Thema.“ tion Mensch e.V. „Es gibt 20.000 mehr Menschen Beim Flughafen setze man daher gerade das Betrieb- mit Behinderungen, die 2020 arbeitslos sind als im liche Eingliederungsmanagement ganz neu auf. Auch Vorjahr“, sagt sie. Das sei ein Warnsignal, weil Men- bestehende Kooperationen, beispielsweise mit Werk- schen mit Behinderungen – einmal arbeitslos gewor- stätten oder Einrichtungen der Lebenshilfe, werden den – eher in Langzeitarbeitslosigkeit fallen. „Wenn weiter fortgesetzt. Nicht nur beim Flughafenbetreiber, die Konjunktur wieder anzieht, dann wird sich das sondern auch in anderen Branchen wie der Automo- für Menschen mit Behinderungen später bemerkbar bilindustrie, führe der coronabedingte Strukturwandel machen.“ Dennoch habe es in bestimmten Berei- zu neuen Herausforderungen. ➝ Fortsetzung REHAVISION 3/2020 SONDERTHEMA CORONA 3
INKLUSION UND TEILHABE IN DER CORONA-PANDEMIE Diesen Strukturwandel gelte es nun zu gestalten, sagt Aber dank des Kundenstammes aus Krankenhäusern, Graßl, denn bei dem anstehenden Restrukturierungs- Schulen und Universitäten lief der Betrieb und konn- prozess müssen Führungskräfte und Mitarbeitende te sogar neue Mitarbeiter einstellen. Ein wichtiger „mitgenommen“ werden. „Krisen verstärken psychische Partner ist dabei das BFW Thüringen. „Wir haben Belastungen. Instabilität und Verunsicherung prägen anspruchsvolle Arbeitsplätze und benötigen dafür nachhaltig. Hier braucht es entsprechende Weiter- Fachpersonal“, sagt Heimbürge. „Die Zusammen- bildung, die Stärkung persönlicher Ressourcen sowie arbeit mit dem BFW ist deshalb so interessant für uns, eine Förderung der Resilienz.“ Denn Inklusion bedeute weil wir die potenziellen Mitarbeiter während mehre- in dieser Zeit, Menschen mit und ohne Behinderungen rer Praktika kennenlernen können.“ Gleichzeitig seien arbeitsfähig zu halten. Für Unternehmen und Beschäf- die BFW-Absolventen in der Regel bereits in ihrem tigte gleichermaßen seien daher Partner gefragt, wie erlernten Beruf erfolgreich gewesen, den sie auf- die Berufsförderungswerke, die diese notwendigen grund einer Erkrankung aufgeben mussten. „Sie wis- Maßnahmen erbringen können. „Für die Schaffung sen, welche Bedeutung ein sicherer Arbeitsplatz hat“, entsprechender Rahmenbedingungen und die Wahr- so Heimbürges Erfahrung. Vier Fachkräfte habe man nehmung der finanziellen Verantwortung braucht es auf diesem Wege bereits gefunden. Auch aktuell sei Unterstützung durch die Politik“, wünscht sich Graßl. ein BFW-Teilnehmer im Praktikum. Für 2021 zeigt sich Dann könne Inklusion auch in Krisenzeiten gelingen. der Betriebsleiter optimistisch. „Natürlich werden wir weiter mit dem BFW Thüringen zusammenarbeiten. Einstellungen sind geplant, sofern sich die derzeitige Lage bei uns wirtschaftlich nicht verändert.“ Zudem plant das Unternehmen die Ausweitung der Zusam- menarbeit mit dem BFW Thüringen über die BFW- Akademie, um Mitarbeitern eine zusätzliche theoreti- sche Qualifizierung mit Zertifikat zu ermöglichen. BFW: Herausforderungen bei Praktikumssuche Die unterschiedliche und branchenspezifische wirt- SimonsVoss Technologies: schaftliche Situation der Unternehmen spiegelt sich Einstellungen geplant auch in den Berufsförderungswerken wider, sowohl bei der Suche nach Praktikumsplätzen als auch nach Für viele Mittelständler sieht die Situation dagegen Arbeitsplätzen im Anschluss an die Rehabilitation im etwas entspannter aus. Bei SimonsVoss Technolo- BFW. „Insgesamt sind die Erfahrungswerte unter- gies beispielsweise, einem Technologieanbieter für schiedlich“, sagt Frank Gottwald, Geschäftsführer digitale Schließanlagen und Zutrittskontrollsysteme im BFW Köln. „Während in den abschlussbezoge- mit Sitz in München sowie im sachsen-anhaltischen nen Qualifizierungen von größeren Schwierigkeiten Osterfeld, gab es selbst im Lockdown für die rund bei der Praktikumssuche und Arbeitsplatzvermitt- 400 Beschäftigten keine Kurzarbeit. „Natürlich kam lung berichtet wird, schildern die Integrationsan- das Geschäft ins Stocken“, berichtet Peter Heim- gebote weiterhin gute Vermittlungswerte.“ Zum Ver- bürge, Betriebsleiter bei SimonsVoss Technologies. gleich: Vor Corona lagen die Integrationsquoten im Arbeitslosenzahl der Menschen mit Schwerbehinderung in Deutschland 2019 2020 180.000 170.000 160.000 150.000 140.000 Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober Quelle: Bundesagentur für Arbeit 4 REHAVISION 3/2020 SONDERTHEMA CORONA
INKLUSION UND TEILHABE IN DER CORONA-PANDEMIE BFW Köln bereits zum Prüfungszeitpunkt bei über Vorteil Digitalisierungsschub 50 % und stiegen dann in den folgenden drei Mo- naten stark an, bei den Abschlussprüfungen im Som- Der pandemiebedingte Digitalisierungsschub in den mer lagen sie bei 40 % und verzeichnen seitdem kei- Berufsförderungen könne zudem ganz grundsätzlich nen starken Anstieg mehr. die Integration von Menschen mit Behinderungen in Ausbildung und Beschäftigung verbessern. „Schon in Nicht nur die Kurzarbeit in den Betrieben sei ein 2019 ergab eine repräsentative Befragung von Perso- Hemmnis für die Integration und Praktikumssuche, nalverantwortlichen durch das Institut der Deutschen sondern auch die Auflagen zu den Abstandsrege- Wirtschaft (IW), dass fast ein Drittel der Unternehmen lungen, die gerade in Kleinbetrieben nicht immer in Deutschland glaubt, dass die Digitalisierung die eingehalten werden könnten. Zudem sei das mobile Jobchancen für Menschen mit Behinderungen verbes- Arbeiten im Homeoffice insbesondere in Unterneh- sert“, so Dr. Anna Robra. Hier lägen Chancen für mehr mensverwaltungen weit verbreitet, so dass auch dort Einstellungen von Menschen mit Behinderungen. Praktikumsplätze entfallen. „Generell berichten die Mitarbeitenden in der Ausbildung und Vermittlung, dass sie große Anstrengungen durch persönliche „Wir werben dafür, bei der Kontaktierung von Ansprechpartnern in Betrieben unternehmen müssen, um Praktikumsplätze zu akqui- Betreuung von Mitarbeitenden mit rieren“, so sein Fazit für das BFW Köln. gesundheitlichen Beeinträchtigungen auch auf die besondere Expertise Prognose 2021 unsicher der Berufsförderungswerke zurückzugreifen.“ Wie sich die weitere Entwicklung auf dem Arbeits- markt gestaltet und damit die Perspektiven für Men- Dr. Anna Robra, Leiterin der Abteilung schen mit Behinderungen und gesundheitlichen Be- Arbeitsmarkt bei der Bundesvereinigung einträchtigungen, ist derzeit schwer einzuschätzen. der Deutschen Arbeitgeberverbände Noch im Oktober rechnete das IAB für das Jahr 2021 mit einem Anstieg der Erwerbstätigkeit um 130.000 und einem Rückgang der Arbeitslosigkeit um 100.000 Personen. Die Prognose basierte aller- Dass die mit Corona verbundenen Digitalisierungs- dings auf der Annahme, dass es nicht zu einem grö- prozesse zu positiven Effekten bei Menschen mit Behin- ßeren oder kompletten Lockdown kommt. Doch die derungen geführt haben, bestätigt Christina Marx von Prognoseunsicherheit ist hoch. Der Verlauf der Pan- der Aktion Mensch: „Menschen mit Sinnesbehinderun- demie ist schwer zu kalkulieren, die wirtschaftlichen gen und Mobilitätseinschränkungen haben in der aktu- Folgen weltweit ebenso. Zudem werde entscheidend ellen Situation profitiert“, sagt sie. „Ihnen haben sich mit sein, wie sich die Zahl der Unternehmensinsolvenzen Homeoffice, Remote und virtueller Kollaboration neue 2021 gestalte, so die Experten. Möglichkeiten zur Teilhabe am Arbeitsleben eröffnet.“ Grenzen seien allerdings dort gegeben, wo Techniken BDA: Unterstützungsangebote für nicht barrierearm oder -frei sind. So erweisen sich bei- Unternehmen spielsweise digitale Präsentationen bei Videokonferen- zen für Menschen mit Sehbehinderungen oft als hinder- Angesichts der Corona-Pandemie und der damit lich, da Screenreader diese nicht lesen können. Kaum verbundenen Unsicherheiten sind Unternehmen bei von den digitalen Möglichkeiten profitieren konnten Neueinstellungen aktuell und voraussichtlich auch in dagegen Menschen mit kognitiven Einschränkungen, 2021 zurückhaltender. Dies hat auch Auswirkungen die nur über eingeschränkten Zugang zu Technologien auf die Einstellung von Menschen mit Behinderungen. oder eine geringe Medienkompetenz verfügen. Sie sei- „Wir haben die schwerste Wirtschaftskrise seit dem en gleich doppelte Verlierer, da die Digitalisierung den 2. Weltkrieg“, sagt Dr. Anna Robra, Leiterin der Ab- Wegfall von Einfacharbeitsplätzen beschleunige. teilung Arbeitsmarkt bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). „Gleichwohl Wie entscheidend digitale Kompeten- gibt es immer noch viele offene Stellen.“ Wichtig sei, zen für eine erfolgreiche Inklusion sind, hat Mehr zum Thema dass Unternehmen bei der Einstellung von Menschen eine Trendstudie der Aktion Mensch zur Inklusion in mit Behinderungen bei Bedarf auf Beratung und digitalen Teilhabe von Menschen mit Be- Unternehmen Unterstützungsangebote von Experten zurückgreifen hinderungen gezeigt, die bereits kurz vor bei der virtuellen könnten. Dr. Anna Robra: „Wir werben dafür, bei der Beginn des Lockdowns erstellt wurde. Das Veranstaltung Betreuung von Mitarbeitenden mit gesundheitlichen Fazit der Studie hat sich inzwischen bestä- des BV BFW. Beeinträchtigungen auch auf die besondere Experti- tigt: Digitale Teilhabe ist entscheidend für ➝ bit.ly/2UWOYP0 se der Berufsförderungswerke zurückzugreifen.“ Dort die soziale Teilhabe. Hier sei noch ein gro- habe man mit einer „schnellen Anpassungsfähig- ßer Bedarf für Weiterbildungen gegeben, keit auf die mit der Corona-Pandemie verbundenen da sind sich Arbeitsmarktexperten und So- Herausforderungen reagiert, z. B. durch Umstellung zialorganisationen einig. Denn genau hier auf digitale Lern- und Betreuungsformate.“ liegen Zukunftsperspektiven. REHAVISION 3/2020 SONDERTHEMA CORONA 5
INKLUSION UND TEILHABE IN DER CORONA-PANDEMIE Integration in Corona-Zeiten Interview mit Dr. Susanne Gebauer, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Berufsförderungswerke, über aktuelle Erfahrungen aus den Berufsförderungswerken Corona verändert viel. Das gilt auch für die berufliche Rehabilitation in den Berufsförderungswerken (BFW). Wie sich aktuell die Suche nach Praktikums- und Arbeitsplätzen verhält und welche Rolle der Digitalisierungsschub für die erfolgreiche Integra- tion spielt, erklärt die Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Berufsförderungswerke und Geschäftsführerin des BFW Nürnberg Dr. Susanne Gebauer im Interview. In der Pandemie hat ein Digitalisierungsschub statt- gefunden. Was bedeutet das für die Integration? Der Digitalisierungsschub ist auch in der beruflichen Rehabilitation deutlich zu spüren. Jeder hat sich mit den Themen Breitband, Hard- und Software, Video- Konferenz, Teilnehmerintranet bzw. digitale Lern- plattform intensiv beschäftigt und im Lockdown täg- lich damit gearbeitet. Diese Kompetenzen nehmen die Teilnehmenden auch für ihre zukünftigen Arbeits- REHAVISION: Wie entwickelt sich aktuell die plätze mit. In puncto flexibles, eigenverantwortliches Integration? und agiles Arbeiten spielt die gestärkte Medienkom- petenz eine sehr wichtige Rolle für die Integration. Dr. Susanne Gebauer: Momentan finden die Hier haben die BFW-Teilnehmenden unverzichtbare BFW-Absolventen Stellen. Gerade Absolventen mit Erfahrungen gesammelt. Dass immer mehr Prozesse guten Abschlüssen kommen noch relativ gut unter. digital ablaufen, hilft unseren BFW-Teilnehmenden. Es wird allerdings schwieriger, da der Arbeitsmarkt Sie nutzen die Websites von Unternehmen und die nicht mehr so aufnahmefähig ist. Unsere Beobach- Jobbörse der Arbeitsagenturen intensiv für ihre Job- tung: Im Onlinehandel und in Logistikunternehmen suche. Es wird aber weiterhin Berufszweige wie im gibt es gute Chancen. Auch in der öffentlichen Ver- Bereich Metall und Gärtnerei geben, in denen Betrie- waltung und in Steuerkanzleien sind die Chancen be den Digitalisierungsschub zumindest derzeit nicht gut. Nach wie vor gefragt sind auch die IT- und mitmachen. Bei aller positiven Entwicklung: Durch Elektro-Berufe. Deutlich zu beobachten ist jedoch, Corona kommen Projekt- und Gruppenarbeit zu dass Anfragen von Unternehmen direkt in den kurz. Das „Social Distancing“ verändert gruppendy- BFW-Integrationsservices weniger, dafür aber qua- namische Prozesse. Das wirkt sich auf die Förderung lifizierter geworden sind. Die für die BFW wichtigen der sozialen Kompetenzen aus. Personaldienstleister erhalten derzeit im großen Stil Personal zurück. Das lässt den Schluss zu, dass die Wie gestalten die BFW die nächsten Monate? Absolventen ihre Bewerbungsaktivitäten vervielfa- chen müssen. Statt bislang im Schnitt 40-60 Bewer- Angesichts der anhaltenden Corona-Pandemie gilt für bungen werden es deutlich mehr werden müssen. die BFW weiterhin eine flexible Leistungsgestaltung Das gilt gerade für strukturschwache Regionen. unter maximalen Hygienestandards. Flexible Leistungs- gestaltung bedeutet, dass wir schnelle Wechselmög- Und wie verläuft die Praktikumssuche? lichkeit zwischen Präsenz- und Onlinephasen schaffen bzw. hybride Modelle mit digitaler Unterstützung nut- Bei der Suche nach Praktikumsplätzen für BFW-Teilneh- zen – auch für individuelle Quarantänesituationen. Die mende macht sich bemerkbar, dass die Automobilzu- Hygienekonzepte werden laufend überprüft und unter lieferer, Messebauer, das Hotel- und Gaststättenwesen Berücksichtigung des regionalen Infektionsgeschehens sowie die Reisebranche in der Krise sind und dort wei- angepasst. Neben Maßnahmen wie Abstandsregeln, tenteils Kurzarbeit herrscht. Hier sind schwer Prakti- Tragen des Mund-Nasen-Schutzes und Lüften gehört kumsplätze zu finden. Es gibt aber auch Branchen, in dazu die Organisation sämtlicher Abläufe im Reha- denen die Vermittlung gut läuft – etwa im Handwerk Betrieb unter Nachvollziehbarkeit von Kontakten. und Lebensmitteleinzelhandel sowie in den Bereichen Auch die bestehenden Pandemiepläne werden weiter- Bau, Pharma, Chemie und Logistik. Die Nachfrage geführt, um das Risiko bei plötzlichen Infektionsfällen ist aktuell vor allem bei kleinen und mittleren Firmen zu minimieren. Mehrere BFW sind zudem in Abstim- vorhanden, große Unternehmen sind deutlich zurück- mung mit der Landesregierung bzw. den zuständigen haltender. Insgesamt sind die in der Integrationsunter- Gesundheitsbehörden seit September 2020 in Rei- stützung tätigen BFW-Mitarbeitenden gefragter denn hentestungen einbezogen – ein weiterer Baustein zur je. Aktuell empfiehlt unser Integrationsservice, sich ver- möglichst frühzeitigen Erkennung von Infektionsfällen stärkt bei kleinen Unternehmen zu bewerben. und Reduzierung der Ausbreitungsgefahr. 6 REHAVISION 3/2020 SONDERTHEMA CORONA
INKLUSION UND TEILHABE IN DER CORONA-PANDEMIE Beschäftigungspflicht auch in der Krise durchsetzen Interview mit Verena Bentele, Vorsitzende des Sprecherrates des Deutschen Behindertenrates Ob Beschäftigung oder Antragsverfahren: Auf Menschen mit Behinderungen wirkt sich die Corona-Pandemie an vielen Stellen zunehmend nachteilig aus. Darauf verweist Verena Bentele im Interview mit REHAVISION. Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK und Vorsitzende des Sprecherrates des Deutschen Behindertenrates (DBR) spricht über steigende Arbeitslosenzahlen sowie sinkende Ausgleichsabgaben und benennt dringende Handlungsempfehlungen. REHAVISION: Wie gestaltet sich der Arbeitsmarkt derzeit für Menschen mit Behinderungen? Verena Bentele: Infolge der Corona-Pandemie ist die Zahl der schwerbehinderten arbeitslosen Men- schen stetig gestiegen: Im Februar 2020 lag sie bei rund 159.000, im April 2020 waren es dann bereits fast 168.000 Betroffene und im Oktober 2020 rund 173.700. Wenn jetzt die Infektionszahlen nicht wieder sinken und weitere Maßnahmen notwendig werden, ist zu befürchten, dass zeitversetzt auch die Zahl der ar- beitslosen schwerbehinderten Menschen wieder steigt. Große Sorge machen dem Deutschen Behinder- tenrat vorübergehende Einnahmeverluste bei der „Die Integrationsämter prognostizieren bereits ein deutliches Ausgleichsabgabe durch die verlängerte Frist zur Absinken der Einnahmen aus der Ausgleichsabgabe. Damit Meldung der Arbeitsplätze und die Stundung der Zahlung der Ausgleichsabgabe. Mittel- und langfris- stünden mittelfristig deutlich weniger Gelder zur Verfügung, die tig ist zu befürchten, dass Unternehmen Arbeitsplätze Menschen mit Behinderung zur Deckung ihres arbeitsrechtlichen abbauen oder schließen. Die Integrationsämter pro- Bedarfs beanspruchen könnten.“ gnostizieren bereits ein deutliches Absinken der Ein- nahmen aus der Ausgleichsabgabe. Damit stünden Verena Bentele, Vorsitzende des Sprecherrates des Deutschen Behindertenrates mittelfristig deutlich weniger Gelder zur Verfügung, die Menschen mit Behinderung zur Deckung ihres ar- beitsrechtlichen Bedarfs beanspruchen könnten. Das betrifft zum Beispiel die Arbeitsplatzassistenz oder mit einer Vorerkrankung einem tätigkeitsbedingt hö- technische Arbeitshilfen. Ein Umstand, der die Gefahr heren Infektionsrisiko ausgesetzt ist, dem bleibt theo- weiterer Entlassungen nach sich ziehen würde. retisch nur eine unbezahlte Freistellung. In der Realität droht vielen Betroffenen dann die arbeitgeberseitige Hinzu kommt: Aus vielen Bereichen der Arbeits- Kündigung. Das macht uns große Sorgen. Für diese agenturen ist Personal abgezogen und zur Bearbei- Menschen sollte es eine Lohnersatzleistung geben. tung von Anträgen auf Kurzarbeitergeld eingesetzt worden, so dass viele Betroffene keinen Ansprech- Was gilt es jetzt im Hinblick partner hatten oder ihre Anträge nicht oder nur auf Teilhabe zu tun? schleppend bearbeitet wurden. Anträge auf Teilhabeleistungen Im Deutschen Behindertenrat Was gilt es aus Sicht des DBR angesichts der aktu- für Arbeitnehmer*innen mit Be- haben sich alle wichtigen Or- ellen Entwicklungen zu tun? hinderung wie etwa Hilfsmittel, ganisationen behinderter und die sie am Arbeitsplatz, aber chronisch kranker Menschen Mit dem Konjunkturpaket ist viel Geld in die Unter- auch im Homeoffice benötigen, zu einem Aktionsbündnis zu- nehmen geflossen. Der Deutsche Behindertenrat müssen nun zügig bewilligt wer- sammengeschlossen. Der DBR fordert daher, dass der Druck, schwerbehinderte den, um drohenden Arbeits- versteht sich als eine Plattform Menschen einzustellen, erhalten bleiben muss. Die platzverlust zu verhindern. gemeinsamen Handelns und Beschäftigungspflicht muss auch in Krisenzeiten Bund und Länder sind aufgefor- des Erfahrungsaustauschs und nachdrücklich durchgesetzt werden. Es muss eine dert, jetzt Programme zur Qua- repräsentiert mehr als 2,5 höhere Ausgleichsabgabe für Betriebe eingeführt lifizierung, Weiterbildung und Millionen Betroffene. werden, die überhaupt keine schwerbehinderten Vermittlung von Menschen mit ➝ deutscher-behindertenrat.de Menschen beschäftigen. Behinderung aufzulegen, um einer ohnehin durchschnittlich Viele Beschäftigte mit chronischen Erkrankungen immer höheren Arbeitslosigkeit können ihre Tätigkeit nicht im Homeoffice ausüben dieser Personengruppe recht- oder es wird ihnen vom Arbeitgeber verweigert. Wer zeitig entgegenzuwirken. REHAVISION 3/2020 SONDERTHEMA CORONA 7
INKLUSION UND TEILHABE IN DER CORONA-PANDEMIE Parcourslauf in Arbeit Wie Integration in der Pandemie gelingt: Zwei Berichte aus der Praxis Corona lässt auch die berufliche Rehabilitation nicht unbeeinflusst. Angesichts der Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt gestaltet sich der Arbeitseinstieg der BFW-Absolventen und BFW-Absolventinnen derzeit oft mit Hindernissen. Dennoch gehen nicht weni- ge Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen auch in dieser Krisenzeit erfolgreich ihren Weg zurück in das Berufsleben. Zum Beispiel Eileen Jentsch und Tim Ilsebeck. Beide fanden im Berufsförderungswerk Sachsen-Anhalt nicht nur ihren Traumjob, sondern auch ihr Sprungbrett zurück in Arbeit. für sie prinzipiell wieder möglich. Da Eileen Jentsch jedoch aufgrund ihrer rheumatischen Vorerkrankung zu den sogenannten Risikogruppen gehört, galt es zu entscheiden, ob sie ihre Aus- bildung in Präsenz fortsetzen könnte. In enger Abstimmung mit ihrer Reha- und Integrationsmanagerin entschied sie sich dafür. Zeitgleich versuchte sie, Kontakt zum AMEOS Klinikum aufzu- nehmen, um zu erfragen, wie es mit ihrer geplanten Einstellung weitergin- ge. „Ich glaube, dass ich meine Vorge- setzte mit meinen ständigen Anrufen ziemlich genervt habe“, sagt Eileen Jentsch. Doch für die stellvertretende Teamleiterin des Personalmanage- ments Sabrina Frank spiegelten ihre E Coronabedingt musste igentlich hatte die 37-jährige Eileen Jentsch ihren Anrufe vor allem die hohe Motivation wider. Den- Eileen Jentsch bis zur Arbeitsvertrag bereits mehrere Monate vor dem noch konnte sie Eileen Jentsch vorerst kein positives erfolgreichen Ein- geplanten Ende der Ausbildung schon so gut wie Signal geben. Die Entscheider arbeiteten zum Teil stellung im AMEOS- in der Tasche. Im März 2020, kurz vor dem Lock- selbst im Homeoffice und wollten wichtige Personal- Klinikum einige Hürden down, stand sie knapp vor dem Abschluss ihrer be- entscheidungen nicht am Telefon treffen. überwinden. trieblichen Qualifizierung beim AMEOS Klinikum in Aschersleben. Als angehende Kauffrau für Büroma- Hürde um Hürde nagement hatte sie damals bereits einen Arbeits- platz in der Personalsachbearbeitung in Aussicht. So blieb Eileen Jentsch nichts anderes, als sich auch Doch statt des Gesprächs mit der Personalleiterin anderweitig nach potenziellen Arbeitgebern um- folgte Mitte März der Wechsel vieler Mitarbeiter zusehen. Schnell bekam sie ein alternatives Joban- des Verwaltungsbereiches ins Homeoffice und für gebot in einer Reha-Klinik. Zwar entsprach es nicht Eileen Jentsch eine Zeit der Unsicherheit. Mit plötz- ihrer Wunschvorstellung, „aber ich wollte das in die- lich sehr vagen Übernahmeoptionen absolvierte sie ser schwierigen Zeit auch nicht einfach so ablehnen“, die letzten Tage ihres bisher so vielversprechenden sagt sie. Fast gleichzeitig beschlossen die Entschei- Praktikums im Homeoffice. der im AMEOS Klinikum die Einstellung von Eileen Jentsch zum 1. Juli dann doch noch. Es schien sich Keine Zeit für Personalentscheidungen alles zum Guten zu wenden – bis sich herausstellte, dass die Prüfungen bundesweit verschoben wurden Niemand im Unternehmen konnte sich mehr mit der und Eileen Jentsch ihren Abschluss nicht bis zum eventuellen Einstellung einer Praktikantin befassen. 1. Juli in der Tasche haben würde. Doch der erfolg- Auch im Bfw Sachsen-Anhalt war plötzlich alles an- reiche Abschluss war ein zwingendes Einstellungskri- ders. Statt wie geplant zur Prüfungsvorbereitung ins terium. Was tun? „Ich habe dann einfach noch ein Berufsförderungswerk zurückzukehren, musste die kurzzeitiges Integrationspraktikum bis zum 31. Juli in 37-Jährige zunächst im Homeoffice bleiben. Neben meinem zukünftigen Arbeitsbereich absolviert“, lacht den Vorbereitungen für ihre schriftlichen Prüfungen sie. Und dann war es soweit. Sobald die Prüfungser- begleitete sie parallel ihre 7- und 11-jährigen Kin- gebnisse bekanntgegeben wurden und nach Mona- der in der Heimlernphase. „Das war eine stressige ten der Unsicherheiten konnte die frischgebackene Phase“, sagt sie, „aber wann immer es möglich war, Kauffrau für Büromangement am 1. August ihre Stel- bereitete ich mich auf meine Prüfungen vor.“ Mit- le als Mitarbeiterin in der Personalsachbearbeitung te Mai war eine Rückkehr ins Bfw Sachsen-Anhalt im AMEOS Klinikum in Aschersleben antreten. 8 REHAVISION 3/2020 SONDERTHEMA CORONA
INKLUSION UND TEILHABE IN DER CORONA-PANDEMIE Tim Ilsebeck: Rechtzeitig in Arbeit Mehr Glück dagegen hatte Tim Ilsebeck aus Klein Wanzleben. Der 34-jährige, der von Geburt an ge- hörlos und taubstumm ist, hatte noch im Februar seinen unbefristeten Arbeitsvertrag als Fachkraft für Logistik bei der Oscherslebener Firma Fishing Tackle Max unterschrieben. Der ausgebildete Garten- und Landschaftsbauer, der lange Jahre zwischen befristeten Jobs und Arbeits- losigkeit wechselte, hatte 2018 seine Umschulung begonnen und dabei seinen Wunschberuf gefunden. „Das Bfw Sachsen-Anhalt mit dem Reha-Vorberei- tungslehrgang und zwei Jahren Ausbildung war ge- nau das Richtige für mich“, sagt er rückblickend. die Grundzüge der Gebärdensprache zu erlernen. Tim Ilsebeck hatte Praktikum führte zur Anstellung Heute funktioniert die Kommunikation gut und Tim Glück: Kurz vor dem Ilsebecks Arbeitgeber ist sehr zufrieden mit ihm: „Er Lockdown fand er eine Seinen neuen Arbeitgeber fand Tim Ilsebeck in ist eine Bereicherung für uns.“ Festanstellung und seiner letzten Praktikumsphase. Drei Monate lang musste nur kurze Zeit konnte er bei Fishing Tackle Max, einem Groß- Kurz in die Kurzarbeit in Kurzarbeit gehen. handel für Angelbedarf und Herstellung von Fut- termitteln für Angler, seine fachpraktischen Kennt- Dennoch gab es auch während des Lockdowns nisse austesten. Am Anfang war das Unternehmen Herausforderungen: Der Futtermittelhersteller musste etwas skeptisch, gibt Johannes Böhm, Leiter der Kurzarbeit anmelden nachdem der Einzelhandel ge- Futtermittelproduktion, zu. Denn bis dato hatte schlossen wurde. Auch Tim Ilsebeck gehörte nach nur der Betrieb noch keinen gehörlosen Mitarbeiter einem Monat Festanstellung zu den Kurzarbeitern. In- beschäftigt. „Wir mussten den Umgang mit Herrn zwischen ist er wie alle Beschäftigten längst zurückge- Ilsebeck erst lernen“, erklärt er. „Wo im Normalfall kehrt: Die Bestellungen sind exponentiell nach oben ein Rufen ausreicht, muss nun ein Suchen erfolgen.“ gegangen. Offenkundig sind mit Corona auch die Zur besseren Verständigung begann Böhm selbst, Angler besonders aktiv geworden. Warum Unternehmen in der Pandemie zurückhaltend sind Weniger Betreuung möglich und unsichere wirtschaftliche Lage Die Suche nach Praktikumsplätzen und die erfolgreiche Integration der BFW-Teilnehmenden in den Arbeitsmarkt hat sich seit Beginn der Corona-Pandemie verändert. Das bestätigte eine Kurzumfrage unter den Berufsförderungswerken aus dem Oktober 2020. Die Gründe für Zurückhaltung der Unternehmen bei Praktikumsangeboten und Einstellungen im Überblick: Gründe für die erschwerte Praktikumssuche Gründe für die erschwerte Integration Kurzarbeit Zurückhaltung der Betriebe bei Neueinstellungen Zeitweise Firmenschließungen z. T. Einstellungsstopp im Öffentlichen Dienst Mitarbeitende der Praktikumsfirmen sind im Ausschreibungen / Einstellungen werden verschoben Homeoffice, die Praktikanten können nicht Angespannte Situation durch Auftragseinbrüche betreut werden Unsichere wirtschaftliche Perspektiven Kein Zutritt für Betriebsfremde Kurzarbeit Veränderte Arbeitsabläufe zum Infektionsschutz Zeitweise Firmenschließungen Zu kleine Räume für Einhaltung des Mindesabstands Weniger aktive Stellenanfragen an das BFW Vermeidung häufiger Personalwechsel Integration gestaltet sich sehr branchenabhängig REHAVISION 3/2020 SONDERTHEMA CORONA 9
NAMEN UND NACHRICHTEN Kurz notiert 50 Jahre BFW Berlin-Brandenburg 50 Jahre BFW Köln Auf 50 Jahre erfolgreiche berufliche Rehabilitation kann das 2020 stand im BFW Köln unter dem Motto „50 Jahre BFW Köln – BFW Berlin-Brandenburg zurückblicken. Doch statt verschiede- Mit Menschen Perspektiven schaffen“. Das galt trotz Corona: „Unser ner Jubiläumsveranstaltungen, wie einer offiziellen Feier in Ver- Jubiläumsjahr ist ein ganz besonderes Jahr. Die Pandemie hat An- bindung mit der Einweihung des neuen BTZ-Standortes Berlin- fang des Jahres von einem Tag auf den anderen fast jede Normali- Prenzlauer Berg, stand 2020 die Pandemie im Mittelpunkt der tät auch im Betriebsalltag auf den Kopf gestellt“, erklärt Geschäfts- Aktivitäten. „Es ist uns gelungen, Reha-Auftrag und Hygiene führer Frank Gottwald. „Umso stolzer bin ich darauf, wie schnell wir unter einen Hut zu bringen“, freut man sich im BFW Berlin-Bran- auf diese Herausforderung reagieren konnten!“ Die Mitarbeiten- denburg. Das ist in diesem Jahr wichtiger als zu feiern. den und Rehabilitanden hätten diesen Schwenk sehr gut bewältigt. 60 Jahre BFW Düren Auf sechs Jahrzehnte erfolgreiche berufliche Rehabilitation von Menschen mit Sehbehinderungen kann in diesem Jahr das BFW Düren zurückblicken. 1960 als „Rheinische Umschulungsstätte für Späterblindete“ in Düren gegründet, war sie die erste ihrer Art in Westdeutschland. Die Feierlichkeiten dafür wurden pan- demiebedingt auf 2025 verschoben, dann wird das 65-jährige Jubiläum groß gefeiert. Dennoch hat das BFW Düren seine Ver- Dr. Inge Jansen. So heißt es beispielsweise für 1970: „Das berufli- gangenheit in besonderer Form Revue passieren lassen: „Wir che Bildungsangebot umfasst blindentechnische Grundausbildung, berichten regelmäßig auf unserer Webseite und über Face- Telefonist, Phono/Stenotypist, Industriearbeiter, Masseurvorschu- book über die Historie des BFW Düren“, sagt Geschäftsführerin lung. Bis 1970 wurden ca. 500 Absolventen in Arbeit vermittelt.“ 30 Jahre BFW Dresden 30 Jahre BFW Halle Das 30-jährige Jubiläum feierte das BFW Dresden – wenn auch Mit einer virtuellen Festwoche beging das BFW Halle sein 30-jäh- anders als geplant. Hier wurde mit Sekt angestoßen, allerdings riges Jubiläum. Vom 24.-30. September veröffentlichte das BFW coronabedingt an getrennten Orten und zu unterschiedlichen Halle Videobotschaften, in denen das Kompetenzzentrum rund Zeiten. Doch das Jubiläumsfest ist nur „aufgeschoben und nicht um das Sehen Arbeitsbereiche und Professionen vorstellte. Ge- aufgehoben“, so BFW-Geschäftsführer Henry Köhler. Im nächs- schäftsführerin Kerstin Kölzner zieht ein zufriedenes Fazit: „Die vir- ten Jahr will man in Dresden stattdessen das 31-jährige Jubiläum tuelle Festwoche zum 30-jährigen Jubiläum im BFW war eine tolle feiern. Schon jetzt bedankte sich Köhler bei allen Mitarbeiten- Gemeinschaftsarbeit der MitarbeiterInnen und RehabilitandInnen, den, denn „ohne das hohe Engagement würde es uns heute so in der neben sachlichen Informationen, Kreativität und Spaß ihren nicht geben“, würdigt er die Leistung des gesamten BFW-Teams. Platz hatten.“ Die Videos sind online weiterhin abrufbar. 10 REHAVISION 3/2020 SONDERTHEMA CORONA
NAMEN UND NACHRICHTEN Personalia BV BFW: Neuer Vorstand unter bewährtem Vorsitz Mitte November wählten die Mitglieder des BV BFW virtuell einen neuen Vorstand. Als Vorsitzende wurde Dr. Susanne Gebauer (BFW Nürnberg) einstimmig in ihrem Amt bestätigt. Zu ihrer Stellvertreterin wurde Kerstin Kölzner (BFW Halle) gewählt, die auf Frank Gottwald (BFW Köln) folgt. Gottwald verlässt den Vorstand gemeinsam mit Hans-Dieter Herter (ESB BFW Birkenfeld) nach langjähriger Mitarbeit. Dem Vor- stand gehören zudem Gerhard Witthöft (Deutsche Ren- tenversicherung Bayern Süd) an, der wiedergewählt wurde, sowie die neuen Vorstandsmitglieder Christian Vogel (BFW Dortmund), Frank Memmler (BFW Sachsen-Anhalt) und Heinz Werner Meurer (CJD BFW Koblenz). BMAS: Neuer Unterabteilungsleiter Neue Leitung im BFW Oberhausen Bereits seit Februar 2020 gibt es im Bun- Zum Ende des Jahres erfolgt ein Wech- desministerium für Arbeit und Soziales sel an der Spitze des BFW Oberhausen. (BMAS) mit Marc Nellen einen neuen Rolf Limbeck, bislang Geschäftsführer Unterabteilungsleiter in der Abteilung des Berufstrainingszentrums Rhein-Ruhr, Va, die zuständig ist für die Politik für löst den bisherigen BFW-Direktor Herbert Menschen mit Behinderungen, Soziale Schmidt ab, der in den Ruhestand wech- Entschädigung und Rehabilitation. Der 50-Jährige, der Volks- selt. Dem Diplom-Psychologen Limbeck ist in seiner neuen Auf- wirtschaftslehre und Politikwissenschaft an der Universität zu gabe vor allem wichtig, „das Potenzial und die Motivation, die Köln studiert hat, war zuvor in seiner Funktion als Leiter der sich bei der Bewältigung der Corona-Pandemie bei den Mitar- Gruppe Soziale Entschädigung verantwortlich für das 2019 beitenden im BFW gezeigt haben, aufzugreifen, um gemeinsam verabschiedete Gesetz zur Regelung des Sozialen Entschä- an der Zukunft des Berufsförderwerkes zu arbeiten.“ digungsrechts. Nellen ist Experte für alle Themenbereiche im Bereich SGB II – XII und hat in seiner Zeit als Referent in der Abteilung Arbeitsmarktpolitik u.a. an den so genannten Hartz-IV-Gesetzen mitgewirkt zum Umbau der Bundesagen- DRV Rheinland-Pfalz: Neue Spitze tur für Arbeit, der Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe für Erwerbsfähige. Zuletzt war er als Leiter Matthias Förster ist künftiger Geschäfts- des Referates Vb3 verantwortlich für das im Jahr 2016 ver- führer der Deutschen Rentenversicherung abschiedete Bundesteilhabegesetz. (DRV) Rheinland-Pfalz. Der Jurist und bis- herige stellvertretende Geschäftsführer hat sein neues Amt bereits zum 1. No- vember angetreten. Er folgt damit Saskia Neue Jobplattform für Menschen Wollny, die in die Geschäftsführung der DRV Baden-Würt- mit Behinderungen temberg gewechselt ist. Matthias Förster ist seit 1990 bei der DRV Rheinland-Pfalz. Bevor er am 1. Juni 2015 in die DRV- Bessere Jobchancen für Menschen mit Be- Geschäftsleitung eintrat, verantwortete er als Leiter der Verwal- hinderungen in Deutschland will das neue tungsabteilung die Bereiche Personal, Finanzen und Bau. Job-Portal www.myability.jobs schaffen. Dazu hat das auf Inklusion spezialisierte österreichische Sozial-Unternehmen den deutschen Marktführer Capjob übernom- men. Die Ziele sind ambitioniert: myAbility.jobs soll ein verläss- Veranstaltungshinweis licher Joblieferant für Menschen mit Behinderungen werden und 30. Rehawissenschaftliches Kolloquium ihnen die Möglichkeit bieten, mehr über Karrieremöglichkeiten „Teilhabe und Arbeitswelt in besonderen Zeiten“ vieler Unternehmen in ganz Deutschland zu erfahren. 22. – 24. März 2021 | Hybrid- & Online-Veranstaltung ➝ www.myability.jobs REHAVISION 3/2020 SONDERTHEMA CORONA 11
Fit für die Zukunft Menschen. Unternehmen. Berufsförderungswerke. 6,0 % Arbeitslosenquote im ca. 20.000 mehr Menschen mit Behinderungen Oktober 2020 als im Vorjahr arbeitslos Zahlen und Fakten Inklusion und Teilhabe in der Corona-Pandemie 30 / 50 / 60 Fünf BFW können auf mehrere 800 Online-Aufrufe für die beiden Jahrzehnte berufliche Rehabilitation Digital-Veranstaltungen des BV zurückblicken BFW während der Pandemie Gut informiert Ausgabe verpasst? Aktuelles aus dem Bundesverband Archiv & Leserservice Anmeldung für die BV BFW Infomail: Die Ausgaben der REHAVISION als Download: www.bv-bfw.de/infomail www.bv-bfw.de/rehavision
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