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mmm.verdi.de E 2814 Jahrgang 70 MENSCHEN MACHEN 70 Jahre dju MEDIEN Angebot zur Mitgestaltung G+J und RTL Medienpolitisches ver.di-Magazin März 2021 Nr. 1 Im Fusionsfieber Diversität im Journalismus
INHALT IM FOKUS: DIVERSITÄT IM JOURNALISMUS MEINUNG INTERNATIONAL 4 BILDKRITIK 26 DIE STIMME ERHEBEN Livestream FÜR JULIAN ASSANGE am physischen Ort Initiative für die Freilassung des Wikileaks-Gründer 5 MEHR FRAGEN ALS ANTWORTEN 28 AUS FÜR FREELANCER IN PRESSE UND KULTUR Kuba: Kritische Künstler* MEDIENWIRTSCHAFT innen und Journalist*in- nen im Hausarrest Annika Möller, Journalistin in Berlin Foto: Gesellschaftsbilder/Andi Weiland 18 DAS IMPERIUM BRÖCKELT 29 AKTION FÜR SHERWAN Bertelsmann: Gruner+Jahr SHERWANI, NORDIRAK 6 VIELFÄLTIG, FAIR UND 13 GEBALLTE und RTL im Fusionsfieber CHANCENREICH ERFAHRUNGEN Von Bärbel Röben Ein Diversity Guide der NdM 20 NICHT AUF AUGENHÖHE TARIFE UND HONORARE für die tägliche Praxis Die Deutsche Welle soll 10 ELITÄRER nach außen repräsentieren, „STALLGERUCH“ 14 KINDER, KÜCHE, doch innen kriselt es 30 BESTEHEN AUF Gegen die Benachteili- KONFERENZ TARIFERHÖHUNGEN gung aufgrund sozialer In der Coronakrise Öffentlich-rechtlicher Herkunft wachsen bestehende GEWERSCHAFT Rundfunk weiter Ungleichheiten weiter unter Druck von Politik 11 DIVERSITY AUF REZEPT und Lobbyisten Strategie mit 15 SCHON ENTDECKT? 22 DIE DJU – EIN ANGEBOT Einzelbehandlungen QAMAR ZUR MITGESTALTUNG anstelle ganzheitlicher 70 Jahre Liebe zu gutem VER.DI UNTERWEGS nachhaltiger Therapie 16 ENTDECKE Journalismus und Stärke DIE MÖGLICHKEITEN! im Tarifkampf 12 DIVERS DENKEN Diversity – ein 31 TRAUER UM Fundamentale Gewerkschaftsthema? MANFRED HARTUNG Geschlechterungleichheit Fragen an Tina Groll, im professionellen Bundesvorsitzende der 31 MITBESTIMMUNG Fotojournalismus Deutschen Journalistin- Freie in die Personalräte nen- und Journalisten- Union (dju) in ver.di 31 IMPRESSUM Foto: Christian von Polentz PODCAST SPEZIAL ZUR RUNDFUNKPOLITIK EIN BLICK INS VER.DI-NETZ LOHNT: IM MÄRZ 2021: https://selbststaendige.verdi.de/ BLOCKADE GEBÜHRENERHÖHUNG https://dju.verdi.de Alle M-Podcast unter https://rundfunk.verdi.de https://mmm.verdi.de/podcast/ 2 M 1.2021
XXXXXXXXXXXXXXX XXXXXXXXXXXXXXX Karikatur: toonpool/Schwarwel Divers denken und arbeiten Der Hype um das Gendersternchen, auch als Sorge um die deutsche Sprache und die Kultur dekla- riert, hat in den letzten Wochen Fahrt aufgenommen. Im aktuellen Fokus von „M Menschen Machen Medien 1/2021“ zum für uns wichtigen Thema „Diversität im Journalismus“ spielt er keine Rolle. Bevor ich sage warum, dennoch ein kurzes Wort dazu. ver.di hat sich vor einiger Zeit für eine gendergerechte Sprache mit dem Sternchen entschieden. So findet es sich auch in M, mitunter ge- paart mit der Ausschreibung weiblicher und männlicher Formen. Auch M erhält dazu Post von rschelmann Foto: Kay He Leser*innen. Dabei geht es bis zur Weigerung, unsere Sternchen-Texte zu lesen. Nicht der Inhalt des Beitrages interessiert, sondern das missfallende Erscheinungsbild! Und damit bin ich schon beim „Warum“. Unser Magazin setzt andere Prioritäten, wenn wir Diversität und Gleichberechtigung im Journalismus – für eine demokratische Gesellschaft – in den Fokus stellen. Frauen und andere „Minderheiten“ bilden die Mehrheit in der deutschen Gesellschaft, aber nicht im Jour- nalismus, heißt es in M. Aber das Bewusstsein dessen wächst. Die Debatte nimmt zu, wozu durchaus der schwierige und notwendige Diskurs um eine bis dato allein männlich geprägte Sprache gehört. Verände- rungen sind sichtbar. Dennoch zeigen aktuelle Studien und unzählige Beispiele aus der Praxis (S. 6) auch, wie groß die Defizite sind. Viele Medien sind weit entfernt von gleich vielen Frauen in den Chefetagen, von mehr Menschen mit Einwanderungsgeschichte im Redaktionspersonal (S. 7). Und auch die Benach- teiligung etwa von Bewerber*innen aufgrund ihrer „sozialen Herkunft“ lohnt nähere Betrachtung (S. 10). Die Sensibilität gegenüber anders Denkenden und anders als nach der vermeintlichen Norm Lebenden ist in deutschen Redaktionen ausbaufähig. Diskriminierende Bilder, häufig mit Hilfe von Klischees etwa bei Menschen mit Handicap oder Falschdarstellungen über Transgender prägen viele Medienbeiträge (S. 9). Leider zeigt Corona einmal mehr, dass bestehende Unterschiede in Krisen wachsen. Sie treffen arme Men- schen mehr als reiche und Frauen weltweit mehr als Männer. Das gilt auch für die Frauen in Medien berufen hierzulande (S. 14). Für die dju gehört das Thema Diversität seit Gründung zum demokratischen Selbstverständnis, betont dju-Bundesvorstandsvorsitzende Tina Groll im M-Interview (S. 16/17) und plädiert für mehr Vielfalt in der Gewerkschaft und in den Redaktionen. Wenn die dju in wenigen Tagen ihren 70. Geburtstag feiert, ist sie nach wie vor „ein Angebot zur Mitgestaltung“, wenn es um guten Journalismus und um einen star- ken Tarifkampf geht (S. 22 – 25). Karin Wenk, verantwortliche Redakteurin 1.2021 M 3
MEINUNG Bildkritik Bildkritik ist die neue Kolumne von Menschen Machen Medien. Der Journalist und Kommunikations- wissenschaftler Felix Koltermann diskutiert dort in regelmäßigen Ab- ständen den Umgang publizistischer Medien mit fotografischen Bildern. Screenshot: Felix Koltermann Livestream mit physischem Ort E s gibt kaum einen gesellschaftlichen Bereich, der Stockmaterial handelt, sondern um Material zur redaktionellen Ver- nicht von der Pandemie betroffen wäre. Auch Bestat- wendung, das Der Spiegel hier für eine symbolische Illustration nutzt, tungen gehören dazu. Welche Schwierigkeiten es mit ohne dies kenntlich zu machen. der Bebilderung eines Artikels zu diesem Thema ge- ben kann, zeigt ein Beispiel aus dem „Spiegel“. Aufschlussreich ist auch die textliche Rahmung des Bildes. Passend zum Thema Livestreaming gibt es in den begleitenden Textteilen eine Für Spiegel Plus Abonnent*innen publizierte Der Spiegel am 21. Feb- ganze Reihe von Bezügen zum Thema Bild. Die Überschrift „Meine ruar 2021 einen Artikel über das Thema „Trauerfeier im Livestream“. Cousine blickte in die Kamera und sagte: ,Julia, das ist für Dich‘ “ etwa Aufhänger ist die Erfahrung einer Frau aus Neuseeland, Julia Heffter, ist ein Zitat der Protagonistin des Artikels. Und der Artikel selbst be- die aufgrund der Pandemie nicht zur Beerdigung ihres Vaters nach ginnt mit den Worten „Das Bild war gut. Nichts ruckelte, selbst über Hamburg reisen konnte. Zum Text wählte die Redaktion eine Foto- eine so große Distanz“, die ebenfalls den Schilderungen Heffters ent- grafie, die im unscharfen Hintergrund einen Diakon vor einer Kir- stammen. So wird versucht auf der narrativen Ebene etwas miteinan- chentür zeigt, während das auf einem Stativ montierte, scharf abge- der zu verweben, was real nichts miteinander zu tun hat. Und wäh- bildete Handy-Display die Szene inklusive eines Sargs noch einmal rend das Handybild auf der Fotografie tatsächlich gut ist, besteht zur aus weitwinkliger Perspektive zeigt. In der Bildunterzeile heißt es „Vor- Überschrift eine erhebliche Bild-Text-Schere: Denn nicht die Cousine bereitung für eine Live-Übertragung einer Bestattung“. Als Credit ist blickt in die Kamera, sondern ein Mann in Kirchentracht. „Thomas Kronsteiner / Getty Images“ angegeben. Fatal ist, dass es sich bei Bild und Text nicht um das gleiche Ereignis handelt. Welche Optionen hätte die Spiegel-Redaktion gehabt? Neben der Option, ein*e Fotograf*in zu den Protagonist*innen zu schicken oder Eine Recherche des Originalbildes bei Getty Images ergibt, dass die deren privates Bildmaterial zu verwenden, hätte vor allem die Kon- Szene im März 2020 in Wien aufgenommen wurde. Zu sehen sind der textualisierung der gewählten Fotografie anders aussehen müssen. Diakon Otmar Gindl und Mitarbeiter des Unternehmens Himmel- Auch wenn aus der Bildunterschrift zumindest ein gewisses Bemü- blau bei der Probe für eine Bestattung. Wir sehen also keine Szene aus hen herauszulesen ist, mit den Stichworten „Vorbereitung“ und „Live- Hamburg mit dem Bestatter Christopher Kleinert. Auch andere De- Übertragung“ einige Informationen des Originalbildes aufzugreifen, tails stimmen nicht: So ist die Fotografie vor einer Kirche entstanden, ist dies bei weitem nicht ausreichend. Mit dem Ort und den Namen nicht in einer Trauerhalle und es ist ein Sarg und keine Urne zu se- der Protagonisten werden entscheidende Informationen weggelassen. hen. Und in Wien kommt ein Smartphone, in Hamburg ein Tablet Und vor allem wird nicht klargestellt, dass die Redaktion das Bild als zum Einsatz. All dies zeigen die 22 Bilder, die der Fotograf Thomas symbolische Illustration nutzt. Eine kreativ formulierte Bildunter- Kronsteiner anfertigte und über die Agentur in der Rubrik „Editorial“ schrift hätte dies lösen können, oder wie so oft der einfache Zusatz verbreibt. Somit ist auch klar, dass es sich in diesem Fall nicht um „Symbolfoto“. Felix Koltermann ‹‹ 4 M 1.2021
MEINUNG Mehr Fragen als Antworten D ie Bundesbeauftragte für Kultur und ten Arthouse-Filme parallel zum Kino via Streaming- Medien Monika Grütters hat am Dienst starten – wie von den Hollywood-Studios für 4. März 2021 ein Eckpunkte-Papier einige Blockbuster bereits angekündigt. Wie lange sich zur Wiedereröffnung des Kulturbe- das mit der Pandemie eingeschlichene Streaming- triebs unter Pandemiebedingungen Virus in den Wohnzimmern hält, bleibt zudem frag- vorgelegt. Dies stößt beim Hauptverband deutscher lich. Das Publikum dürfte mittlerweile digital über Filmtheater (HDF) auf Unverständnis, denn bei 50 Pro- müdet sein. Es dürstet nach der großen Leinwand und zent Auslastung im Saal ist die Maskenpflicht ein tra- einem differenziert hörbaren Sound. Dies hat zuletzt gendes Element des Konzepts. Und dann kollidieren das rege Echo auf den Aktionstag „Kino leuchtet“ auch noch die neusten Beschlüsse der Bund-Länder- gezeigt: Am 28. Februar gingen bundesweit in den Konferenz mit dem Eckpunktepapier. Foyers von 300 Filmtheatern die Lichter an. Und nicht zu vergessen: Das Kino ist ein Kulturort, wo sich Men- Christine Berg, Vorstandsvorsitzende des HDF, grollt: schen begegnen und sich über das gemeinsam Gese- Eine Maskenpflicht am Platz sei nicht akzeptabel. Im hene austauschen können. nicht staatlich subventionierten Kinobetrieb sei der Verzehr von Speisen und Getränken während des Doch das Leuchtsignal der Kinobetreiber*innen mit Kinobesuchs eine zwingende Voraussetzung, um wirt- ihren Beschäftigten hat die Entscheidenden in der Po- schaftlich arbeiten zu können. Berg mag hierbei vor litik nicht unbedingt erhellt. Die in der Bund-Länder- allem an die Multiplex-Kinoketten denken, die pub- Konferenz jüngst beschlossenen Kriterien für die Wie- likumsträchtige Filme aus den großen Hollywood-Stu- dereröffnung der Kinos – alles unter Einhaltung der Andrea Wenzek dios zeigen. Seit Beginn der Blockbuster-Ära gilt in der Hygiene- und Lüftungsregeln – stiften Verwirrung: Man Freie Journalistin in Kinobranche ein globales Geschäftsmodell, das nun darf ohne Maske mit einem tagesaktuellen negativen Frankfurt/Main pandemiebeding droht, aus den Fugen zu geraten: Die Corvid19-Schnelltest zwar ins Kino, aber nur wenn ein Einnahmen durch den Verkauf der Kinotickets fließen Inzidenzwert zwischen 50 bis 100 vorliegt. In dem um die 50 Prozent an die Verleihunternehmen, die einen Bundesland gilt der Landesdurchschnitt, in dem vorab in den Einkauf der Filmrechte und seine Ver- anderen ist der Landkreis maßgeblich. Doch wie sol- marktung investiert haben. Die Multiplexe finanzieren len die Kinos die Testkontrollen überhaupt handha- sich hingegen vor allem aus dem Verkauf von Snacks ben? Gilt ohne eine Maskenpflicht weiterhin eine und Getränken, denn deren Fixkosten für den Unter- maximale Auslastung der Säle bis zu 25 Prozent und halt des Hauses gestalten sich wesentlich höher als die Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 Metern etwa für die Betreiber*innen kleinerer Kinosäle. zwischen den Besucher*innen? Und was ist mit dem Eckpunktepapier, das eine Maskenpflicht empfiehlt? Dazu gehören auch Programmkinos. Sie haben der- Mehr Fragen als Antworten – eine sinnvolle Strategie Foto: privat zeit kaum zu fürchten, dass ihre vorwiegend gezeig- sieht anders aus. Andrea Wenzek ‹‹ Anzeige Weil sich Krisen nicht im Kalender ankündigen. Als Vorsorgespezialist für die Medienbranche kennen wir uns mit Krisenzeiten und den Besonderheiten der Branche aus. Jetzt mit der passgenauen Altersvorsorge der Presse-Versorgung schon heute für die Absicherung im Alter planen. Mehr unter: presse-versorgung.de 1.2021 M 5
IM FOKUS Frauen und andere „Minderheiten“ bilden die Mehrheit in der deutschen Gesell- schaft, aber nicht im Journalismus. Das Bewusstsein für Unterscheidungen nach Geschlecht, Ethnie oder sexueller Orientierung wächst – auch auf Druck von zivilgesellschaftlichen Initiativen wie ProQuote, Neue deutsche Medienmacher *innen, Leidmedien oder Lesben- und Schwulen-Verband. Sie alle setzen sich dafür ein, Menschen gleichberechtigt zu behandeln. Vielfältig, fair und chancenreich Von Bärbel Röben I m Journalismus hapert es immer noch an Sensibilität sensiblen Sprachgebrauch gegenüber Sinti und Roma für Diversität. Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstal- als „lächerlich“ und es hagelte scharfe Kritik: Die Sen- ten sind durch ihren gesetzlichen Auftrag dazu ver- dung erwecke den Eindruck, sie wolle „mit Antiziga- pflichtet, private Sender und die Presse nicht. Doch nismus und dümmlichen Auftritten Quote machen“. wenn der ARD-Senderverbund sich zu Integration Hinter der plump-arroganten Abhandlung von Rassis- und Vielfalt bekennt, verweist er zumeist auf Bei- mus im WDR-Talk vermuten einige eine veränderte spiele aus dem WDR. Dort lieferte Ursula von Welser Publikumsorientierung: „Der WDR schmeißt sich seit 1976 erste empirische Daten zu Frauen im Sender, einigen Jahren so aufdringlich an das deutsche Wut- 1985 wurde Arzu Toker erste „Ausländervertreterin“ bürgertum heran, dass es mitunter bizarre Züge an- Raul Krauthausen, im WDR-Rundfunkrat, 2001 gab es mit Aysim Alpman nimmt“, kommentierte Matthias Schwarzer vom Re- Aktivist und Moderator die erste „Beauftragte für Kulturelle Vielfalt“ und 2007 daktionsnetzwerk Deutschland die Gesprächsrunde wurde erstmalig eine Rezeptionsstudie „Migranten und verwies auf die „Umweltsau“-Satire 2019, für die Julia-Niharika Sen ist seit und Medien“ erstellt. Intendant Tom Buhrow sich voreilig beim vermeint- Januar die „Neue“ lichen Publikum entschuldigte, als diese von einem bei den Tagesthemen Mehr Gespür für Rassismus … rechten Shitstorm attackiert wurde. Mit Blick auf die vielen „weißen Gesichter“ in Redaktionen meinte taz- Kamerafrau im ZDF-Morgen- Aber auch der WDR muss beim Umgang mit Diversi- Medienredakteurin Anne Fromm, dass mehr Diversi- magazin (Archiv 2017) tät noch einiges dazu lernen, wie die Talkrunde „In tät helfen könne, rassistische Denkmuster wie in der letzter Instanz“ am 29. Januar zeigte. Thomas Gott- „Letzten Instanz“ zu vermeiden. Aber eine Kollegin Foto schalk und drei andere weiße Promis werteten dort mit Migrationsgeschichte allein könne nicht „die Ras- : Ann a Sp inde lndr eier Foto: NDR/Morris Mac Matzen Foto: Murat Tueremis 6 M 1.2021
DIVERSITÄT Foto: Christian v. Polentz Foto: SWR Foto : Herm ann Hau bric h sismus-Warnampel für die gesamte Redaktion“ sein. Zeitungskrise auf Digitalisierung setzen: „Vielfalt ist Eva Brillke und Menschen mit Einwanderungsgeschichte müssen stär- der Kern der digitalen Transformation.“ Redaktionen Annemarie Görne zum ker im Redaktionspersonal vertreten sein, damit sie sollten sich auf „ihre eigene Stärke besinnen“ und „die Journalistentag 2009 Einfluss nehmen können auf die Ansprache eines di- vielfältigen Publika“ vor Ort besser ansprechen. versen Publikums, das vielfältigere Medienbilder und Blick ins Pressecenter mehr Gespür für Rassismus erwartet. Diversen Stimmen Raum geben der Telekom Hauptstadt repräsentanz (Archiv) Aber auch die Sensibilität für Sexismus, Homophobie Ein vielfältiges Publikum kann man mit Themen an- oder Islamophobie, Antisemitismus oder Antiziganis- sprechen, die es betreffen, muss aber auch Identifika- Kostas Dennis Weiß, mus ist in deutschen Redaktionen noch ausbaufähig, tionsmöglichkeiten bieten, wie es etwa der WDR in einer der Hosts bei damit Menschen unterschiedlicher Identitäten durch einer Werbekampagne für die „Lokalzeit“ macht. So „Losgefragt“ vom SWR inklusiven Journalismus gesellschaftlich als zugehö- ist auf dem Plakat für die Duisburger Ausgabe die Re- rig markiert werden. Wenn sie etwa nach Ethnie, Ge- porterin Chadia Hamadé zu sehen. Die Vielfalt der Be- schlecht, Alter, Schichtzugehörigkeit, Religion oder völkerung solle sich in den Redaktionen widerspie- körperlicher Konstitution in einzelne Schubladen sor- geln, forderte taz-Kolumnistin Ronya Othmann im tiert werden, fördert das Klischees von der kopftuch- April 2019 mit Nachdruck: „Wenn nicht jetzt diver- tragenden Muslima, dem faulen Arbeitslosen, der tap- sen Stimmen Raum gegeben wird – wann denn dann? feren Rollstuhlfahrerin oder dem türkischen Gemüse- Jetzt, da die antidemokratischen rechtsnationalen händler. Werden diese unterschiedlichen Zuschreibun- Kräfte in unserem Land erstarken, so wie überall in gen dann noch hierarchisch sortiert, dann bedeutet Europa. Jetzt, da es wieder salonfähig geworden ist, das eine strukturelle Diskriminierung in den Medien ,deutsch‘ mit einer völkischen Idee von genetischer und in der Lebenswelt – mit realen Folgen, etwa bei Abstammung zu verbinden. Jetzt, da wir täglich mit Wohnungs- oder Jobsuche. Beim Zusammenwirken der Frage konfrontiert sind, wie dieses Land sein soll von Diskriminierungsformen dominiert meist eine – – und was Deutschsein bedeutet.“ Morgenmoderator*innen wie etwa im Fall der muslimischen Migrantin, die trotz Antonia Kaloff und telefonischer Zusage den Praktikumsplatz in der Redak- Und was Menschsein in seiner Vielfalt bedeutet, lässt Stephan Michme vom MDR tion nicht erhielt, weil sie ein Kopftuch trug. ein Blick auf die immer noch recht homogen mit weißen Akademikern besetzten Redaktionen Foto : MDR Um Diskriminierungen wie diese zu verhindern, gibt nur erahnen. Bereits in den 1970er Jahren star- /Ma ndy Sta ppe es seit 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz teten Journalistinnen ihren langen Marsch nbe ck AGG. Aber auch hier liegt die – wenn auch erleichterte für Gleichberechtigung und erstritten Frau- – Beweislast bei den Benachteiligten und nicht bei de- enbeauftragte und Gleichstellungspläne. nen, die sich unfair verhalten. Erfolgversprechender Bei der tageszeitung gab es bereits 1980 als das Einfordern von Menschenrechten erscheint der eine Frauenquote, die 1993 im Redak Ansatz, den ökonomischen Nutzen von Diversität her- tionsstatut verankert wurde. vorzuheben. „Ethische Argumente ziehen weniger, als wenn man sagt: Euch läuft das Publikum weg“, meint Der Verein „ProQuote Medien“ er- etwa Konstantina Vassiliou-Enz, Geschäftsfüherin der hebt seit 2012 den „Frauenmacht- Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM). Auf anteil“ und untersucht regelmä- dem jüngsten Bundeskongress des Vereins betonte ßig, wieviele Frauen in den Chef- Journalismusprofessorin Alexandra Borchardt denn etagen der Print-Leitmedien und auch mit Blick auf Verlage, die zur Bewältigung der ihren Online-Ausgaben sitzen. 1.2021 M 7
IM FOKUS Beim jüngsten Ranking im Januar 2021 überholte die 2008 gegründete Verein Neue deutsche Medienma- taz, die erstmalig dabei ist, denn auch mit einem Frau- cher*innen eine Quote von 30 Prozent Journalistin- enmachtanteil von 56 Prozent den bisherigen Gipfel- nen aus Einwanderungsfamilien vor, die bis 2030 er- stürmer Stern, bei dem Führungspositionen zu 51 Pro- reicht werden soll. Im Mai 2020 veröffentlichten die zent mit Frauen besetzt sind. Der Focus bildete mit 17 NdM eine Studie zur Diversität in den reichweiten- Prozent wiederum das Schlusslicht. Die 50-Prozent- stärksten Medien. Im Fokus standen die Chefredak- Marke überschritten bisher nur die Deutsche Welle teur*innen, da sie durch Personalentscheidungen die mit 52 Prozent und der Rundfunk Berlin-Brandenburg Vielfalt in ihren Redaktionen beeinflussen. In 122 mit 51 Prozent. Das geht aus einer Rundfunkstudie Medienhäusern von Aachener Nachrichten bis ZDF von „ProQuote“ hervor, die 2018 für alle öffentlich- haben nur sechs Prozent, d. h. acht von 126 Chef rechtlichen Anstalten einen Durchschnittswert von redakteur*innen eine Migrationsgeschichte, wobei es 38 Prozent Frauenmacht-Anteil feststellte, während sich um sechs Männer und zwei Frauen handelt. Sie die privaten Sender sich „nicht in die Karten schauen“ alle wünschen sich Vielfalt in der Redaktion, verwei- ließen. Als 2019 die Regionalzeitungen unter die Lupe gern sich aber einer gezielten Diversity-Strategie auf genommen wurden, gab es ein erschreckendes Ergeb- einer belastbaren Zahlenbasis. nis: Frauen in den Redaktionsspitzen kommen dort nur auf einen Anteil von 7,4 Prozent! Verbindliche Zielmarken fehlen Mit dem Slogan „Wir sind die Hälfte und wir wollen Nach einer vergleichenden Studie der ARD-Medien- die Hälfte der Macht“ fordert „ProQuote Medien“ 50 forschung zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der Prozent weibliches Führungspersonal in Redaktionen qua Auftrag zu Vielfalt verpflichtet ist, liegt Deutsch- und Medienhäusern. Inszwischen machen sich auch land bei der Umsetzung von Diversity weit hinter an- Frauen in anderen Medien- und Kulturbranchen für gelsächsischen Ländern. Während BBC & Co den Nut- eine Frauenquote von 50 Prozent stark. „Pro Quote zen von Vielfalt in Programm, Personal und Publikum Film“ setzt sich für die Gleichstellung von filmschaf- erkennen und durch gezieltes Diversity Management fenden Frauen ein – etwa Regisseurinnen, Kamera- eine gesetzlich verpflichtende Unternehmensstrategie frauen oder Schauspielerinnen und „Pro Quote Bühne“ umsetzen, beruht in Deutschland vieles auf Freiwillig- für Frauen in allen künstlerischen Theater-Ressorts. keit und erschöpft sich in Einzelmaßnahmen zur Be- seitigung von Benachteiligungen und Diskriminierun- Menschen mit Migrationsgeschichte machen in gen. Verbindliche Zielmarken gibt es hierzulande nur Deutschland mehr als ein Viertel der Bevölkerung aus für Frauen (in Förderplänen) und Menschen mit Be- – mit steigender Tendenz, besonders in der jüngeren hinderungen (gesetzliche Regelung). In den angelsäch- Generation. Doch in den Redaktionen kommen sie sischen Rundfunkanstalten sind dagegen auch ver- auf nur fünf bis zehn Prozent. Deshalb schlägt der pflichtende Quoten für zwei weitere Gruppen festge- Eine animierte Infografik auf pro-quote.de Beginnend mit Februar 2012 zählt und vergleicht ProQuote Medien die Frauenanteile in journalistischen Führungs positionen. Die Zählungen erfolgen auf Grundlage der Print- und Online-Impressen, wobei nach Hierarchie-Ebe- nen gewichtet wird: Je höher die Position, desto größer die Machtfülle. ProQuote Medien fordert, die Hälfte der journalistischen Spitzenpositionen weiblich zu besetzen. (Screenshot: proquote.de) 8 M 1.2021
DIVERSITÄT Auch im Fernsehbereich legt: die BBC gab für ethnische Minderheiten 15 Pro- „Jedes Coming out ist gut!“ Es helfe den Betroffenen Information ist das Verhält- zent bis 2020 vor und für lesbische, schwule, im heteronormierten Arbeitsumfeld unbefangener zu nis zwischen Männern und bisexuelle, transsexuelle, transgeschlechtliche und in- leben, biete der LSBTI-Community Role Models und Frauen als Hauptakteur*in- tergeschlechtliche, kurz: LSBTI-Menschen eine Ziel- führe bei anderen zu Irritationen und zumeist zu mehr nen extrem unausgeglichen marke von 8 Prozent, die bereits 2018 mit etwa 11 Pro- Offenheit. Beim breiten Medienpublikum könne so Quelle: MaLisa Stiftung zent überschritten wurde. mehr Verständnis, Wissen und gesellschaftliche Ak- zeptanz befördert werden. Wer sich nicht outet, hat Für Menschen mit Handicap gibt es in Deutschland auch kaum Einfluss auf die Berichterstattung. Viele schon lange Regelungen nach dem Schwerbehinder- schlagen aus „Angst, sich verdächtig zu machen, keine tengesetz. Danach müssen Unternehmen fünf Prozent LSBTI-Themen vor“. Und so schreiben andere – etwa ihrer mehr als 20 Arbeitsplätze mit Menschen beset- über einen angeblichen „Transgender-Hype“. Danach Journalistinnen zen, die eine Behinderung haben – oder eine Aus- kommen „Kinder aus Langeweile auf die Idee, trans 36% gleichsabgabe zahlen. „Die meisten kaufen sich frei“, zu sein“, erklärt Markus Ulrich den Tenor der reißeri- Journalisten sagt Judyta Smykowski, Chefredakteurin des Online- schen Artikel, die Transgeschlechtlichkeit als Mode- 64% Magazins „Die Neue Norm“ und Projektleiterin bei trend darstellen – „extrem abwertend, unsensibel und „Leidmedien“. Das Projekt des Vereins „Sozialheld*in- mit vielen Falschdarstellungen“. Da heißt es z. B. je- nen“ will Redaktionen für eine Berichterstattung auf mand werde „plötzlich zur Frau oder zum Mann um- Augenhöhe, jenseits von Klischees der „an den Roll- gewandelt“, obwohl Trans-Menschen den Prozess eher stuhl Gefesselten“ oder „trotz ihrer Behinderung Er- als „Angleichung an ihre vielleicht lange Zeit verheim- folgreichen“ sensibilisieren. Angesichts solcher Schlag- lichte Geschlechtsidentität“ erlebten. Sprecherinnen zeilen kämen bei Arbeitgeber*innen nämlich Zweifel 28% auf, ob die behinderte Bewerberin für den Job wirk- Eine Quote für LSBTI-Menschen fordert die Queer Sprecher lich geeignet ist, meint die „Leidmedien“-Aktivistin. Media Society (QMS), ein 2018 gegründetes Netzwerk 72% queerer Medienschaffender. Da sich mehr als 7,4 Pro- Außer diskriminierenden Medienbildern gebe es viele zent der Menschen in Deutschland als lesbisch, strukturelle Hürden auf dem Weg in den Journalismus. schwul, bisexuell oder trans verstehen, sie aber in den „Unbezahlte Praktika und Studium muss man sich Medien nur 0,2 Prozent der Charaktere ausmachen, schon leisten können“, so Smykowski. Da sei es hilf- verlangt die QMS, „dass 7 Prozent des turnusmäßigen reich, die Einstellungskriterien zu ändern – etwa nicht Outputs aller Medien-Produktionen“ mit entsprechen- mehr ein Hochschulstudium zu fordern, sondern da- den Inhalten und -Akteur*innen belegt werden“. Expertinnen rauf zu schauen, Menschen mit unterschiedlichen Le- 21% bensgeschichten und Perspektiven einzustellen. So Das Bewusstsein für mehr Diversität wächst in deut- Experten verlangen etwa NDR, WDR und HR für ein Volonta- schen Medienhäusern. So haben z.B. Springer, Bertels- 79% riat inzwischen kein Studium, sondern nur noch Abi mann, RTL, SAT1ProSieben, Deutsche Welle, ZDF und tur. Im HR liegt der Anteil der Beschäftigten mit einer alle ARD-Anstalten die „Charta der Vielfalt“ unter- Behinderung mit 9 Prozent weit über der geforderten zeichnet, mit der „Unternehmen ihre Produktivität Quote. Das Funkhaus wurde mit barrierefreien Arbeits- und Innovationskraft durch ein wertschätzendes Ar- plätzen ausgestattet. So bekommt eine behinderte beitsumfeld“ erhöhen wollen. In allen ARD-Anstalten Journalistin z. B. einen umgerüsteten Dienstwagen, gibt es inzwischen Diversity-Beauftragte. Doch die mit dem sie zum Termin fahren kann. Selbstverpflichtungen zu mehr Diversity im Journalis- mus reichen nicht und die meisten zivilgesellschaftli- Falschdarstellungen über Transgender chen Initiativen verstärken ihren Druck, indem sie nicht nur Unterstützung bei Diversity-Maßnahmen Im Vergleich zu den meisten anderen marginalisier- wie Checklisten für die Berichterstattung oder Sensi- ten Gruppen sind LSBTI-Menschen nicht sichtbar – es bilisierungsworkshops anbieten, sondern zum Teil sei denn, sie outen sich. Bisher taten das nur einzelne auch konkrete Zielvorgaben wie eine Quote einfor- wie Journalistin Dunja Hayali oder Kabarettistin Ma- dern. Gleichzeitig treiben sie die Kooperation unter- ren Kroymann. Nun startete eine Gruppe von 185 einander voran und vernetzen sich – etwa im „Round Schauspieler*innen die Kampagne #actout. Am 5. Fe- Table Diversität in den Medien“, der im September bruar erschien im SZ-Magazin ihr Manifest, in dem sie 2020 ins Leben gerufen wurde. Die Initiative dafür mehr Anerkennung für Menschen unterschiedlicher ging von den NdM und der MaLisa-Stiftung aus, die Geschlechteridentität und sexueller Orientierung in 2017 bekannt wurde durch die von ihr geförderte Stu- Theater, Film und Fernsehen fordern – weg von homo- die zur „Audiovisuellen Diversität“. In diesem Jahr soll phoben Stereotypen. „Tatort“-Kommissarin Ulrike Fol- eine zweite folgen. Nach Auskunft von NdM-Ge- kerts wurde zum Beispiel für eine Mutterrolle gecas- schäftsführerin Konstantina Vassiliou-Enz planen die tet, „aber als die Regisseurin erfuhr, dass ich lesbisch Gruppen des Runden Tisches einen gemeinsamen bin, hat sie mir abgesagt.“ Deshalb rieten die eigenen Webauftritt, der von der Google News Initiative finan- Agent*innen, sich lieber nicht öffentlich zu outen. ziell unterstützt werden soll. Bisher gehören außer NdM und MaLisa auch ProQuoteMedien, ProQuote- Markus Ulrich, Sprecher des Lesben- und Schwulen- Film, Leidmedien, LSVD und Queer Media Society zum verbands in Deutschland (LSVD) dagegen ermuntert: „Round Table Diversität in den Medien“.‹‹ 1.2021 M 9
IM FOKUS Elitärer „Stallgeruch“ Gegen die Benachteiligung aufgrund sozialer Herkunft M uss zu uns passen!“ Das ist für Perso- nen Sprachcode der Eltern, die außerdem kompeten- nalverantwortliche in Medienhäusern ter bei den Hausaufgaben helfen können, die Nach- ein wichtiges Kriterium bei der Aus- hilfe und Bücher und Tablets bezahlen können, die wahl von Bewerber*innen. Da in den ein stabileres, weil finanziell abgesichertes Umfeld bie- Redaktionen überwiegend weiße ten“, schrieb der Journalist Houssam Hamade. Diese akademisch gebildete Männer sitzen, haben es die mit Benachteiligung wegen der sozialen Herkunft sei in einem anderen „Stallgeruch“ schwer – Frauen, Men- Diversity Strategien lange Zeit „ein riesiger blinder schen mit Migrationsgeschichte oder Behinderung. Fleck“ gewesen. Die Diskriminierung wegen der Besonders benachteiligt werden diejenigen, die aus Schicht- oder Klassenzugehörigkeit fasst er als „Klassis- einer anderen Gesellschaftsschicht stammen. Diver- mus“, dessen Hauptursache Armut und Ungleichheit sity Strategien nehmen deshalb nun auch die Vielfalts- sind, „nicht falsche Einstellungen einzelner Men- dimension „soziale Herkunft“ in den Blick. schen“. „Menschen nach ihrer sozialen Herkunft zu beurtei- Eine Quote für Arbeiterkinder len ist ein schwerer Fehler, und zwar menschlich und wirtschaftlich gleichermaßen“, meint Ana-Cristina Die Chefs der großen Medienunternehmen sind vor Grohnert, Vorstandsvorsitzende der „Charta der Viel- allem Männer aus „gutem Hause“, sagte Elitenforscher falt e.V.“. Deutsche Unternehmen gründeten den Ver- Michael Hartmann. Die Medienelite stamme zu zwei ein 2006, um ihre Produktivität und Innovationskraft Dritteln aus den oberen vier Prozent der Bevölkerung. durch eine vielfältige Belegschaft zu erhöhen. In sei- Da ihre soziale Herkunft die Berichterstattung präge, ner jüngsten Studie „Diversity Trends 2020“ wurden sei es wichtig, mehr journalistischen Nachwuchs aus erstmals Daten zur sozialen Herkunft der Beschäftig- anderen Gesellschaftsschichten zu gewinnen. Erleich- ten erhoben. Von 580 befragten Führungskräften tert werde das durch bezahlte Praktika oder Änderung bestätigte etwa die Hälfte, sie hätten schon einmal der bildungsbürgerlichen Anforderungen. „Das effek- beobachtet, dass Mitarbeiter*innen aufgrund ihrer tivste Mittel wäre sicherlich eine Quote für Arbeiter- sozialen Herkunft benachteiligt werden – vor allem kinder, analog zu der für Frauen“, so Hartmann. durch Ausgrenzung in der Kommunikation, aber auch unfaire Bewerbungsverfahren oder Geringschätzung Einiges davon wird bei den öffentlich-rechtlichen ihrer Leistung. Rundfunkanstalten, die alle die Charta der Vielfalt un- terschrieben haben, umgesetzt. „Um Praktika nicht Hauptursache Armut von privaten finanziellen Rahmenbedingungen der Bewerber*innen abhängig zu machen, werden seit In der Studie wird unter „Soziale Herkunft“ familiärer 2018 Praktika mit einer Dauer von länger als 12 Wo- Hintergrund, Jugendsozialisation, Bildung und ethni- chen vergütet“, wirbt das ZDF. Eine M-Nachfrage zeigt, sche Herkunft verstanden. Alles zusammen führe zu dass ARD-Anstalten wie HR, WDR und NDR bei Vo- einer Diskriminierung, wenn die „versteckten Codes lontär*innen auf einen Studienabschluss verzichten. der Eliten“ nicht beachtet werden – sei es bei Klei- dungsstil, Hobbys oder Redeweise. Zwei Beispiele: US- So verlangt der NDR lediglich „Abi und journalistische Forscher*innen schickten fiktive und bis auf die Hob- bzw. berufliche Vorerfahrungen“, erläutert Diana bys identische Lebensläufe an renommierte Kanzleien Dlugosch, Leiterin der Abteilung „Personal und Füh- und stellten fest, dass Kandidat*innen mit elitären rungskräfte“. Denn bei der Rekrutierung von Nach- Hobbys wie Segeln, Polo oder klassischer Musik 16mal wuchs mit vielfältiger Biografie achte der NDR auch häufiger zu Bewerbungsgesprächen eingeladen wur- darauf, Menschen unterschiedlicher „soziokultureller den als andere. Natalya Nepomnyashcha, PR-Berate- und regionaler Herkunft“ zu gewinnen. Allerdings sei rin und Gründerin von Netzwerk Chancen berichtete: es schwierig, das Kriterium „soziale Herkunft“ abzu- „Mir ist einmal das Wort ‚geil‘ beim Vorstellungs fragen ohne zu stigmatisieren und lasse sich nur aus gespräch rausgerutscht. Der Personaler hat mir im dem Lebenslauf erschließen. So schreibe der NDR für Das Streben nach Nachhinein gesagt, dass er nur noch aus Höflichkeit seine Landesfunkhäuser gerade vier Volontariate mit „Höherem“ mit Chancen weiter mit mir geredet habe.“ In seinem gutbürger Schwerpunkt regionale Berichterstattung aus. Man für jedermann. lichen Wortschatz sei „geil“ ein ungewohnter Begriff, hoffe auf Bewerber*innen mit weniger urban gepräg- Skulptur am Geneva erklärte sie. Das zeige ihm: „Die redet nicht wie ich, ten Lebensläufen, die in der Region aufgewachsen und See-Damm in Montreux die ist irgendwie anders.“ Den Menschen ohne bür- verwurzelt sind, vielleicht aus anderen sozialen Mi (Schweiz) gerliche Sozialisation fehlen Beziehungen und Bil- lieus bzw. Haushalten mit geringem Einkommen stam- Foto: 123rf/Roman Babakin dungschancen, denn sie lernen nicht den „gehobe- men. 10 M 1.2021
DIVERSITÄT Beim HR wurde außer den Einstellungskriterien auch ler Herkunft sei da, „die Zahlen, um das messen zu das Auswahlgremien für Volontär*innen geändert, be- können, werden gerade entwickelt.“ Der WDR habe richtet Gleichstellungsbeauftragte Sinaida Thiel: „Wo bereits vor einigen Jahren „Soziale Vielfalt“ zu einem vorher die Direktor*innen die Auswahl getroffen ha- seiner Diversity-Schwerpunkte gemacht, erklärt Pres- ben, ist jetzt eine divers zusammengesetzte Gruppe – sesprecherin Kristina Bausch. Der Kontakt mit „ande- im Hinblick auf Mediengattung, Gender, Alter, ethni- ren Lebens- und Arbeitswelten“ stehe etwa im Fokus sche und soziale Herkunft – aus dem Haus damit be- des Projekts „WDR Gastspiel“. Beschäftigte des Sen- auftragt.“ Sie sei zuvor durch Unconscious Bias-Trai- ders hospitieren für einen Tag bei Unternehmen oder nings für unbewusste Vorurteile sensibilisiert worden. Verbänden, deren Mitarbeiter*innen lernen dann bei Das Bewusstsein für Benachteiligungen wegen sozia- einem Besuch die Arbeit im Funkhaus kennen. Bärbel Röben ‹‹ Diversity auf Rezept Strategie mit Einzelbehandlungen anstelle ganzheitlicher nachhaltiger Therapie E ine erste gemeinsame Gesamtstrategie ment“, das seit 2016 von den NdM koordiniert wird legt die Bundesregierung nun endlich und dem Verbundprojekt NO HATE, das Tools gegen mit dem Nationalen Aktionsplan In- Hassrede entwickelt. Per Rezept gibt es auch Fortbil- tegration (NAP-I) vor! Der enthält dungen für „die differenzierte und sachbezogene Be- auch für die Medien viele interes- richterstattung über Migration und Integration“. In- sante Angebote, aber es scheint wie „Diversity auf Re- formationen zum Thema bietet der Mediendienst In- zept“. Rezepte muss man nicht einlösen, wenn man tegration bereits seit 2012. Nun entwickelt er zusam- Angst vor den Nebenwirkungen hat. Das ist die Krux. men mit dem Dortmunder Erich-Brost-Institut eine E-Learning-Plattform als Aus-und Weiterbildungsan- Gegen die Diversitäts-Armut gibt es insgesamt sechs gebot, auf die alle Journalist*innen in Deutschland zu- Doch um „Verordnungen“, die das Themenforum „Medien“ in greifen können. von der Diversitäts- einem zweiseitigen Papier als „Kernvorhaben“ auf- führt. Zumeist handelt es sich dabei um therapeuti- Gut, dass es so viele engagierte zivilgesellschaftliche Armut in den Medien sche Maßnahmen, da die Probleme – zu wenig Viel- Initiativen gibt, die Therapiemaßnahmen überneh- nachhaltig falt in Personal, Programm und Publikum – spätestens men! So kann eine lange Liste von durchaus sinnvol- zu genesen, müssen seit dem ersten Nationalen Integrationsplan 2007 hin- len Verordnungen angeboten werden. Doch um von länglich bekannt sind. Für das Kernvorhaben zu „In- der Diversitäts-Armut in den Medien nachhaltig zu die Medienhäuser terkulturalität und Diversität in Film und Fernsehen“ genesen, müssen die Medienhäuser mitziehen und be- mitziehen und bereit wird aber zunächst noch eine Diagnose verordnet. reit sein zu strukturellen Veränderungen. Das würde sein zu strukturellen Durch eine erste umfassende Befragung „Vielfalt im zum Beispiel bedeuten, dass weiße Männer und Frauen Film“ sollen Diversität und Diskriminierungen vor auch Positionen und damit Macht aufgeben. Zudem Veränderungen. und hinter der Kamera sichtbar gemacht werden. sollten Mitarbeitende auf allen Ebenen für mehr Viel- falt sensibilisiert werden – auch die alten Hasen, in Wie hier sind zumeist zivilgesellschaftliche Organisa- den Chefsesseln oder teuer eingekaufte Promis, die in tionen Projektträgerinnen. Die Neuen deutschen Me- die Rassismusfalle tappen. dienmacher*innen (NdM) bieten gleich mehrere Heil- behandlungen an. Die „Stärkung von Diversity-Kom- Aber eine so radikale Therapie wollten sie offenbar petenz im Journalismus“ zielt auf ein bewussteres Per- nicht, die Vertreter*innen aus öffentlich-rechtlichen sonalmanagement und für Neuzugewanderte bauen und privaten Rundfunksendern, aus Medienhäusern sie die Community-Plattform „Together in Germany“ und -verbänden. Sie machen fast die Hälfte der 42 Mit- auf. Flankierend dazu will die Bundesregierung die Ar- glieder des Themenforums „Medien“ aus, in dem man beit des „netzwerk medien.vielfalt!“ fördern, dass im sich schließlich auf die sechs Projekte einigte – aller- Sommer 2020 von Medienmacher*innen mit Flucht- dings ohne irgendeine Verpflichtung! Deshalb wun- oder Migrationserfahrung gegründet wurde. Als „soziale dert es auch nicht, dass über eine Evaluation bzw. ein Medien“ auf ihren Umgang mit Diversität durchleuch- Nachhalten dieser Kernvorhaben angesichts der en- tet wurden, entdeckte man auch gefährliche Hass- und denden Legislaturperiode nichts entschieden worden Hetze-Tumore, die gesellschaftliche Spaltung anhei- ist. Es scheint somit noch ein weiter Weg bis zur Er- zen. Deshalb besteht ein weiteres Kernvorhaben aus kenntnis, dass nur eine ganzheitliche Therapie helfen Trainings und Angeboten des „No Hate Speech Move- kann. Bärbel Röben ‹‹ 1.2021 M 11
IM FOKUS Divers denken Fundamentale Geschlechterungleichheit im professionellen Fotojournalismus nalistische Bildkommunikation ein Bild von der Welt machen. Der englischsprachige Begriff „gaze“, was so viel heißt wie Blick, bringt das sehr plastisch auf den Punkt. So ist in westlichen Gesellschaften bis heute ein „male gaze“ und ein „white gaze“ dominierend, wodurch andere Perspektiven marginalisiert werden. Damit ist nicht gemeint, dass etwa weiße, männliche CIS-Fotografen ausschließlich Männer fotografieren. Aber aufgrund ihrer persönlichen Sozialisation kommt möglicherweise ein vielfältigerer Blick nicht zum Zuge. Recht gutes Zahlenmaterial gibt es zu Gender und Fo- tografie. Der Bericht „The State of News Photography“ attestierte dem professionellen Fotojournalismus schon 2016 eine fundamentale Geschlechterungleich- heit. Der Anteil von Frauen an den Einreichungen zum World Press Photo Award lag in den letzten Jahren nur leicht über 15 Prozent. Eine Studie von Prof. Lars Bau- Foto: Andi Weiland ernschmitt von der Hochschule Hannover förderte zu Hamburg: Hinter den Tage, dass der mittlere Jahresumsatz von Fotografin- Kulissen beim Fotoshooting. nen 2019 nur etwa halb so groß wie der ihrer männ- S Anna Spindelndreier elbst kurze Textmeldungen haben lichen Kollegen war. An den Ausbildungsstätten für (im Foto links) arbeitete 2017 hunderte Zeichen zur Verfügung, um Fotografie in Deutschland ist das Verhältnis von Män- in einem freien Fotoprojekt Informationen zu vermitteln. Die ner und Frauen dagegen meist ausgeglichen. zum Thema „kleinwüchsige journalistische Bildkommunikation Frauen im Beruf“. hingegen basiert meist auf einem In den Blick zu nehmen ist auch die Fototechnik. Die Einzelbild. Dies stellt extreme Anforderungen an Bil- amerikanische Publizistin Sarah Lewis ging 2016 in ei- der. Neben der Aufmerksamkeitslenkung und der In- nem in der New York Times publizierten Artikel der Frage formationsvermittlung gehört dazu auch, gesellschaft- nach, ob der Fotografie ein „Racial-Bias“ eingeschrie- liche Vielfalt abzubilden. Mit dem Bildinhalt ist in Be- ben ist. Sie stellt die These auf, dass mit der Festlegung zug auf Diversität in der journalistischen Bildkommu- heller Haut als Norm und anderer Hauttöne als den- nikation bereits ein wichtiger Faktor benannt, zu dem jenigen, die einer Korrektur bedürfen, die Fotografie die Fotograf*innen, die Bildsprache und der Kontext einen wesentlichen Einfluss darauf hat, wie Menschen hinzukommen. Für alle Bereiche ist zu fragen, wie ge- miteinander agieren. War es in analogen Zeiten die sellschaftlicher Vielfalt Rechnung getragen werden Kalibrierung von Filmen, sind es in der digitalen Foto kann. grafie die Algorithmen in Form von Farbprofilen, die definieren, was wie dargestellt wird. Und diese sind Die Fotografin Anna Spindelndreier kennt das Thema menschengemacht und eben kein Naturprodukt. Diversität nur zu gut, und zwar aus verschiedenen Per- spektiven. Als freie Bildredakteur*in war sie selbst mit Ressourcen und Anleitungen zum Thema Diversität der Herausforderung konfrontiert, abstrakte Themen in der Praxis, richten sich vor allem an Bildredak- zu visualisieren und Themenabwägung mit Diversität teur*innen und Fotograf*innen. Plattformen, die an- in Einklang zu bringen. Als freie Fotograf*in hat sie dere Bilder von Menschen mit Behinderung zur Ver- sich auf Menschen mit Behinderung fokussiert. Ihren fügung stellen, sind Gesellschaftsbilder und Inkfoto. Kleinwuchs hat sie quasi zum Markenzeichen ge- Bezogen auf nicht-binäre Genderthemen hat VICE macht. „Mir erschien dies der Weg des geringsten Wi- eine auf Stockmaterial fußende Datenbank generiert. derstands“ sagt sie. Vor dem Berufseinstieg fehlten ihr Eine Liste mit Fotografinnen stellt der deutsche Fe- Vorbilder um ihren Traum, Fotografin zu werden, um- male Photo Club zur Verfügung. Fotojournalist*innen zusetzen. Dies teilt sie mit anderen Kolleg*innen, die aus nicht-westlichen Ländern finden sich in der Afri- von der Gesellschaft marginalisierten Gruppen ange- can Photojournalism Database der World Press Photo hören. Foundation. Möglichkeiten zum Selbst-Assessment, also der Überprüfung der eigenen Arbeit und der Die Bedeutung von Fotografie und Diversität liegt da- Reflektion von Privilegien bietet ein englischsprachi- rin begründet, dass die Menschen sich über die jour- ges Manual des amerikanischen Authority Collective. 12 M 1.2021
DIVERSITÄT Das Thema Haltung und persönlichen Zugang an graf*innen anfangen, divers zu denken und damit oberste Stelle zu setzen, das wünscht sich auch Anna ihren Blick auf die Welt verändern. Aber auch eine Spindelndreier. „Es reicht nicht, nur vom Endprodukt Quote etwa bezogen auf das Geschlechterverhältnis Foto auszugehen, da vorher schon zu viele Weichen findet sie wichtig, um neue Vorbilder zu generieren. gestellt sind“, meint sie. Dabei geht es ihr nicht da- Denn eins ist für sie klar: „Je undiverser die Fotogra- rum, eine Checkliste einzelner Diversitätsaspekte ab- fie, desto undiverser die Bildsprache“. zuarbeiten. Stattdessen wünscht sie sich, dass Foto- Felix Koltermann ‹‹ Geballte Erfahrungen Ein Diversity Guide der NdM für die tägliche Praxis K önnt ihr uns eine islamische weise und Praxistipps. Journalist*innen erfah- lien. Diese sollte 30 Prozent betragen, weil die Expertin zum Thema Kopftuch ren etwa, wie sie sensibler über Hassverbre- „Erfahrungen bei der Gleichstellung von vermitteln?“ Korrekt heißt es: chen berichten oder wie Redaktionen die Frauen gezeigt haben, dass weniger nicht aus- muslimische Expertin! Anfra- eigene Berichterstattung per Software – Story reicht, um Veränderungen anzustoßen.“ Das gen wie diese erhalten die Tracker, Janet Bot, Gender Equality Tracker – gilt auch für Journalist*innen mit Migrations- Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM) analysieren können, um unterrepräsentierte geschichte, wie Bernd Ulrich, Stellvertreten- tagtäglich, denn sie entwickelten sich mit ih- gesellschaftliche Gruppen stärker zu berück- der Zeit-Chefredakteur und Ressortleiter Po- rem Engagement zur ersten Adresse, wenn es sichtigen. Checklisten für Themen, Perspekti- litik, betont: „Ich habe vor allem nach guten um Vielfalt in den Medien geht. Ihre langjäh- venvielfalt und diverse Stimmen, für journa- und qualifizierten Leuten geschaut, die auch rige Geschäftsführerin Konstantina Vassiliou- listische Sprache und diskriminierungsarme eine originelle, interessante oder abwei- Enz hat nun einen Diversity Guide konzipiert Bilder runden das Kapitel „Berichten für die chende Biografie hatten. Dabei habe ich aber und die geballten Erfahrungen des Vereins in- ganze Gesellschaft“ ab. festgestellt: Wenn nur einer oder eine mit ei- haltlich aufbereitet: informativ, wissenschaft- ner abweichenden Biografie da ist, dann muss lich fundiert, praxisnah und konstruktiv. Unter “Diversität im Medienhaus“ nimmt Kon- sie die ganzen Fremdheitsreibungen alleine stantina Vassiliou-Enz dann die Vielfalt im Per- auffangen. Man könnte auch sagen: Je mehr Das 144 Seiten starke Handbuch erscheint sonal unter die Lupe und plädiert für eine Da- Verschiedene da sind, desto schöner ist Ver- Mitte März. Es ist lesefreundlich mit vielen tenerhebung, denn: „Wer nicht gezählt wird, schiedenheit.“ Grafiken und Zitaten gestaltet und locker im zählt nicht.“ Nach einer „ehrlichen Bestands- Ton geschrieben. Mit persönlicher Ansprache aufnahme, wie es um Vielfalt und Diskriminie- Im vierten und letzten Kapitel gibt es dann ei- werden die Leser*innen abgeholt und hinein- rung im Unternehmen steht“, müsse Diversi- nen Ausblick auf den weiteren Weg hin zu gezogen in die Praxis der medialen Diversität tät zur Chef*innensache werden – wie etwa mehr Diversität im Journalismus. Miranda und wie man sie umsetzt. bei der Deutschen Welle, wo es seit 2020 eine Wayland, Leiterin der Abteilung „Creative Di- sechsköpfige Chefredaktion mit vielfältigen versity“ der BBC berichtet, wie Großbritanni- Zuerst leistet Vassiliou-Enz noch Überzeu- Wurzeln gibt. Eine proaktive Nachwuchssuche ens öffentlich-rechtlicher Rundfunk seine Di- gungsarbeit und nennt sieben Gründe, „wa- hat zum Beispiel der HR erfolgreich praktiziert, versity-Ziele erreicht. Da Zielsetzungen aber rum Medien mehr Vielfalt zum Überleben als er Volontariate gezielt mit modifizierten nur nützen, wenn sie überprüft werden, be- brauchen“. Das fängt damit an, Menschen aus Anforderungen für „Journalist*innen der Zu- darf es eines Evaluationstools. Christine Horz, Einwanderungsfamilien als neue Zielgruppen kunft“ ausschrieb und so viele Bewerber*in- Professorin für Transkulturelle Medienkom- zu gewinnen und reicht bis zum demokrati- nen mit Einwanderungsgeschichte rekrutieren munikation an der TH Köln, hat eines für „Di- schen Auftrag, alle Bevölkerungsgruppen zu konnte. Um die gewonnenen Talente zu hal- versity und Chancengleichheit in den Medien“ repräsentieren – in Medienbildern und beim ten, sei wiederum eine Redaktionskultur wich- (DICUM) entwickelt. Medienpersonal. „Nur vielfältige Redaktionen tig, die „vielfältige Identitäten und Erfahrun- können die Wirklichkeit richtig abbilden“, be- gen wertschätzt“. Dazu gehört auch der Schutz Last not least werden in Gastbeiträgen die He- tont auch dju-Vorsitzende Tina Groll in ihrem vor Hasskommentaren, von denen Menschen rausforderungen thematisiert, denen andere Gastbeitrag, dem acht weitere Artikel folgen – mit Migrationshintergrund besonders häufig benachteiligte Gruppen – Frauen, LSBTQI+, von Medienpraktiker*innen mit und ohne Mi- betroffen sind. Menschen mit Behinderung und ohne bil- grationsgeschichte. dungsbürgerlichen Hintergrund – im Journa- Da nur „eine verbindliche Zielmarke effektiv lismus gegenüberstehen. Fachwissen über In den insgesamt vier Kapiteln des Diversity Veränderungen bewirkt und diese messbar diese Diversity-Aspekte soll in eine intersekt- Guides gibt es viele Best-Practice-Beispiele, und transparent macht“, fordern die NdM eine ionale Neuauflage des Handbuchs einfließen. vor allem aus der britischen BBC, Literaturhin- Quote für Menschen aus Einwanderungsfami- Bärbel Röben ‹‹ 1.2021 M 13
IM FOKUS Kinder, Küche, Konferenz In der Coronakrise wachsen bestehende Ungleichheiten weiter D ie Coronakrise stellt eine enorme Be- mentan runterfahren, fallen Aufträge weg. Für die lastung für das Gesundheitswesen, die freien Kolleginnen bedeutet das natürlich einen gro- Volkswirtschaft, den Sozialstaat – und ßen Verlust. Wie erheblich der ist, hängt aber auch für die Gleichberechtigung zwischen stark von den Verlagen ab.“ Frauen und Männern dar. Bestehende Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern nehmen Dass die Belastung durch Lohnarbeit, Haushalt und momentan zu. Das gilt beruflich wie privat. Doch aus Kinderbetreuung ungleich verteilt ist, beschreiben die der Pandemie könnten auch einige Lehren gezogen meisten Befragten. Wenn Eltern in Zeiten geschlosse- werden. Das zeigt eine neue Interviewstudie von Pro- ner Kitas und Schulen einspringen müssen, tragen die Quote Medien. Mütter die Hauptlast. Das Wirtschafts- und Sozialwis- senschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stif- Trotz vieler Besonderheiten hat die Coronakrise eines tung kommt zu dem Schluss, dass es durch die Pan- Symbolfoto: 123rf / rh2010 mit anderen sozialen Krisensituationen gemein: Be- demie zumindest teilweise zu einer Retraditionalisie- stehende Ungleichheiten wachsen. Sie treffen arme rung der Geschlechterverhältnisse kommt. Sie stellen Menschen mehr als reiche und Frauen weltweit här- in einer aktuellen Studie fest: „Frauen reduzieren häu- ter als Männer. Gerade in den Wochen, in denen alle figer ihre Arbeitszeit, ihr Anteil an der Sorgearbeit Schulen und Kitas geschlossen blieben, wurde die nimmt noch weiter zu.“ Auch die Befunde der On- familiäre Mehrbelastung hauptsächlich durch eine line-Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Flexibilisierung kompensiert, meistenteils auf Kosten Berufsforschung (IAB) zeigen, dass Frauen wäh- von Gesundheit, Geldbeutel und Nerven der Frauen. rend der Pandemie den größeren Teil der Kin- derbetreuung und der Hausarbeit leisten. Aller- Für die Gleichstellung von Frauen und Männern in dings sei der Anteil der Männer, die sich an Medienberufen bedeutet diese Entwicklung ebenfalls der Kinderbetreuung beteiligen, in dieser einen Rückschlag. Der Verein ProQuote Medien sam- Zeit ebenfalls gestiegen. melte dazu in einer nicht-repräsentativen Umfrage unter Journalistinnen Stimmen. 137 Frauen nahmen Dennoch gewinnen viele befragte daran teil. Über die Hälfte der Frauen gab an, dass sie Frauen in Redaktionen der Verände- Aufträge verloren habe und Einkommensverluste hatte. rung auch etwas Positives ab. „Ins- Ein Fünftel verdient nur noch halb so viel wie vor der besondere die Möglichkeit flexib- Pandemie. Ein Drittel kann nicht mehr oder nur noch ler zu arbeiten und eben nicht „mit Mühe“ von seinen Einnahmen leben. Elf Frauen bis zum Redaktionsschluss im verdienen nach eigenen Angaben gar nichts mehr. Büro bleiben zu müssen, empfinden viele Kollegin- Besonders schwer haben es auch bei den Journalistin- nen als Erleichterung“, nen die Mütter. Es sei „das reine Chaos“ gewesen, sagt Heitkämper. Wech- „homeschooling und homekita“ neben der Arbeit zu selnde Schichtdienste organisieren, schrieb eine Teilnehmerin. Die meisten bis in die Abendstunden, Frauen gaben an, „heillos überlastet“ gewesen zu sein, ein später Redaktions- einige fühlten sich nun „psychisch und physisch am schluss und die Abhängigkeit Ende“. Auch weil sie in den Redaktionen ins Hinter- von aktuellen Ereignissen machen den Beruf oft be- treffen gerieten: Sie sei von „interessanten Projekten“ sonders familienunfreundlich. Gerade in den Regio- abgezogen worden, schildert eine Journalistin, weil nalzeitungen ist diese Präsenzkultur weit verbreitet. sie ihrem Arbeitgeber „nicht flexibel“ genug gewesen Dort hat ProQuote Medien nachgefragt. Das Arbei- sei. Eine andere musste Aufträge absagen, weil sie ne- ten von zu Hause habe auch Vorteile, gaben einige ben der Kinderbetreuung ihre Arbeit nicht mehr Frauen an: „Durch Corona, muss ich gestehen, ist schaffte. Nur fünf der 137 befragten Frauen gaben an, es echt viel besser geworden, weil wir tatsächlich dass ihr Mann sich vor allem um die Kinder kümmerte alle mit Dienstlaptops ausgestattet wurden und – und ihnen so den Rücken frei hielt. von Zuhause aus arbeiten können. Plötzlich war auch der Zugriff auf alle Laufwerke in der Arbeit mög- Edith Heitkämper ist Journalistin und im Vorstand lich“, sagte eine Journalistin in der aktuellen Studie von ProQuote Medien. Sie macht auch die Unter- von ProQuote Medien. Allerdings betont sie auch schiede zwischen den Frauen deutlich: „Freie Journa- Nachteile: „Die Strukturen sind einerseits besser ge- listinnen sind ganz besonders betroffen, viel mehr worden, aber die Arbeitsverdichtung macht den Job noch als festangestellte. Denn dort, wo Verlage mo- nicht gerade familienfreundlicher. Da lügen wir uns 14 M 1.2021
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