Care, Gender und Green Economy Forschungsperspektiven und Chancen gerechtigkeit nachhaltigen Wirtschaftens - Forschungsperspektiven und ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Forschungsperspektiven und Chancengerechtigkeit nachhaltigen Wirtschaftens Ulrike Röhr, Dörte Segebart, Daniela Gottschlich (Hg.) Care, Gender und Green Economy Forschungsperspektiven und Chancengerechtigkeit nachhaltigen Wirtschaftens CaGE Texte Nr. 3 / 2014 1
Projektmitarbeiterinnen in alphabetischer Reihenfolge Nanna Birk (Juni 2014 – Dezember 2014) Dr. Daniela Gottschlich Dr. Sarah Hackfort (Juni 2014—November 2014] Prof. Dr. Sabine Hofmeister Claudia König (November 2013 – Mai 2014) Ulrike Röhr Stephanie Roth Julika Schmitz (November 2013 – Mai 2014) Prof. Dr. Dörte Segebart Wissenschaftlicher Beirat Dr. Christine Ax Prof. em. Dr. Adelheid Biesecker Dr. Friederike Habermann Prof. em. Dr. Brigitte Young Studentische Mitarbeiterinnen Lisa Göldner Annika Härtel Uta Kotzur Wiebke Ott Die Broschüre CaGE-Texte 3 / 2014 ist ein Produkt des Verbund vorhabens von LIFE e.V. in Zusammenarbeit mit der Leuphana Universität Lüneburg sowie der Freien Universität Berlin. ISBN 978-3-944675-26-8 Berlin / Lüneburg, Dezember 2014 Zitierweise: Röhr, Ulrike; Segebart, Dörte; Gottschlich, Daniela (Hg.): Care, Gender und Green Economy. Forschungs perspektiven und Chancengerechtigkeit nachhaltigen Wirtschaftens. CaGE-Texte 3 / 2014. Berlin / Lüneburg 2014 Das Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter den Förderkennzeichen 01FP1311 und 01FP1312 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt liegt bei den Herausgeberinnen. Informationen zu unseren weiteren Veröffentlichungen und deren Bestellmöglichkeiten unter: www.cage-online.de Layout: Vivien Akkermann Grafische Protokolle: Daniel Freymüller und Jonas Möhrung, 123comics.net Druck: dieUmweltDruckerei GmbH klimaneutral natureOffice.com | DE-275-213509 Klimaneutral gedruckt auf 100% Recyclingpapier, gedruckt ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen Blauer Engel.
INHALT Einleitung 3 Adelheid Biesecker Nachhaltigkeit, Vorsorge und Gender – eine notwendige Beziehung für Nachhaltigkeit 4 Die Trennungsstruktur moderner Ökonomien 5 Nachhaltige Entwicklung 6 Das Handlungsprinzip Vorsorge 7 Gender 9 Sarah Hackfort, Dörte Segebart, Ulrike Röhr, Stephanie Roth, Daniela Gottschlich, Nanna Birk Strategien und Empfehlungen für eine integrative Betrachtung und Praxis von Nachhaltigkeit im Spannungsfeld von Gender, Care und Green Economy 10 A Wissensproduktion 12 B Forschungs- und Innovationsp olitik 16 C Wissenschaftliche Einrichtungen 22 Nachhaltige Arbeits- und Beschäftigungsb edingungen 22 Förderung akademischer Ausgründungen 26 D Unternehmenspraxis 28 Meike Spitzner Systematische Wissensproduktion: Datenbedarf 34 Schlussreflexionen 38 Wie geht es weiter 39 Literatur 40 CaGE Texte Nr. 3 / 2014
Angesicht der gravierenden sozial-ökologischen Impulse für wissenschaftliche und gesellschaft liche Krisenphänomene wie Klimawandel, Zusammenbruch Veränderungen gegeben. Teilprojekt 1 wurde von LIFE der Finanzmärkte, Armut oder Ressourcenkonflikte Bildung, Umwelt, Chancengleichheit e.V. mit Unterstüt- wurde das Konzept der Green Economy zum zentralen zung der Leuphana Universität Lüneburg durchgeführt. Instrument einer nachhaltigen Entwicklung erklärt. Das Teilprojekt 2 untersuchte die Rolle wissenschaft- Entsprechende Diskussionen prägten die Konferenz licher Einrichtungen – und hier vor allem die Rolle der Vereinten Nationen zu nachhaltiger Entwicklung von Universitäten – für die Integration von Care- und Rio+20 im Juni 2012 in Rio de Janeiro und die diversen Gender-Perspektiven in die Green Economy. Es wurde Vorbereitungstreffen der Regierungen, der Zivilgesell- von der Freien Universität Berlin durchgeführt. schaft wie auch der Wissenschaft. Dabei zeigen sich große Defizite bei der für eine nachhaltige Entwicklung Ziel der vom Verbundprojekt entwickelten Empfeh- notwendigen Verbindung zwischen ökonomischen, lungen für eine innovative Wissenschaftspolitik und ökologischen und sozialen Aspekten in Forschung, zukunftsfähige wissenschaftliche Einrichtungen ist es, Politik und Wirtschaft sowie der Einbeziehung der deren Rolle bei der Umsetzung notwendiger gesell- Care- und Gender-Perspektive. schaftlicher Transformationsprozesse aufzuzeigen und zu stärken. Auf einer Abschlusskonferenz wurden die Vor diesem Hintergrund wurde das Verbundvorhaben Projektergebnisse vorgestellt und mit Akteuren aus Care, Gender und Green Economy. Forschungs Wissenschaft und Praxis diskutiert. Diskussionspunkte perspektiven und Chancengerechtigkeit nachhalti und Ergebnisse dieser Konferenz, des Expertinnen- gen Wirtschaftens (CaGE) durchgeführt, um das workshops sowie der Wissenschafts-Praxis-Dialoge Innovationsp otenzial der Gender- und Care-Forschung sind in die hier vorliegenden Empfehlungen eingeflossen. in den Wirtschafts-, Umwelt- und Naturwissenschaften Wir bedanken uns auf diesem Wege nochmals bei zu stärken. Innovative Ansätze an den Schnittstellen allen Teilnehmer_innen und Referent_innen für ihre wurden identifiziert und durch verschiedene Instru- Anregungen und Kommentare. mente wie einer Wissens- und Kommunikationsplatt- form, Vernetzung oder Wissenschaft-Praxis-Dialoge Im Zentrum der hier vorliegenden Broschüre stehen die kommuniziert. im Verbundprojekt entwickelten Empfehlungen für eine integrative Betrachtung und Praxis von Nachhaltig Das vom Bundesministerium für Forschung und Bildung keit im Spannungsfeld von Gender, Care und Green geförderte Projekt wurde in zwei Teilvorhaben durch- Economy. Sie werden ergänzt durch den Vortrag von geführt. In Teilprojekt 1 wurden die Schnittstellen von Prof. Adelheid Biesecker bei der Abschlusskonferenz, Care, Gender und Green Economy aufgezeigt, Akteure in dem sie die Notwendigkeit der Verbindung zwi- vernetzt sowie integrierende Ansätze in der Forschung schen Nachhaltigkeit, Vorsorge und Gender darlegt, zu Gender, Care und Green Economy identifiziert, um sowie durch einen Beitrag von Meike Spitzner vom CaGE Texte Nr. 3 / 2014 daraus Strategien und Empfehlungen zur Integration Wuppertal Institut, die den Datenbedarf für eine sys- der Genderdimensionen in die Forschung und Praxis tematische Wissensproduktion umreißt. Dieses Thema nachhaltigen Wirtschaftens sowie zur Chancenge- wurde beim Expertinnenworkshop als essentiell für die rechtigkeit und Gleichstellung in diesen Forschungs- Transformation zu einem nachhaltigen Wirtschaften bereichen zu entwickeln. Ein Expertinnen-Workshop diskutiert. Bei beiden bedanken wir uns für die Bereit diente zur Vernetzung von Wissenschaftlerinnen und stellung der Texte. zur Identifizierung von Forschungsbedarf. Bei einem Wissenschafts-Praxis-Dialog, bei welchem Akteure aus Berlin, im Dezember 2014 Wissenschaft, Praxis und Forschungsförderung zusam- menkamen, wurden erste Ergebnisse diskutiert und Ulrike Röhr, Dörte Segebart und Daniela Gottschlich 3
Adelheid Biesecker NACHHALTIGKEIT, VORSORGE UND GENDER – EINE NOTWENDIGE BEZIEHUNG FÜR NACHHALTIGKEIT
Ich habe meinen Vortrag bewusst so genannt: „Nach- einer Marktökonomie, die nicht einfach nur Markt ist, haltigkeit, Vorsorge und Gender – eine notwendige sondern kapitalistischer Markt. Es geht um Profit und Beziehung für Nachhaltigkeit“. Die Betonung der Not- nicht um Bedürfnisbefriedigung. wendigkeit ist mir wichtig. Gender ist nicht nur ein Anhängsel, sondern es geht nicht ohne. Warum nicht? Wir haben also hier den Markt, dort die beiden abgegrenzten Produktivitäten – diese Struktur ist Meine zentrale These lautet, dass unsere moderne geschlechtshierarchisch. Sie ist einerseits hierarchisch, kapitalistische Ökonomie nicht zukunftsfähig ist. Sie weil das, was am Markt passiert, ganz oben steht, ist nicht nachhaltig, sie ist unfähig zur Vorsorge und sie sichtbar ist, produktiv, öffentlich. Das andere steht da ist nicht geschlechtergerecht. Das sind die drei zentra- drunter, bleibt unsichtbar, un- oder reproduktiv, privat. len Punkte. Nicht nachhaltig ist diese Ökonomie, weil Und gleichzeitig beinhaltet diese hierarchische Struk- sie nicht auf ihre sozialen und ökologischen Grund- tur eine geschlechtliche Dimension, da die wesent- lagen achtet. Unfähig zur Vorsorge ist sie, da es kein lichen Tätigkeiten, die ausgegrenzt sind, Tätigkeiten Prinzip gibt, das dafür sorgt, dass das, was vernutzt von Frauen sind, unbezahlte Sorgearbeiten. Selbst die wird, auch wieder hergestellt, erneuert wird. Damit gibt bezahlte Sorgearbeit ist nach wie vor zu 90% Frauen- es keine Zukunftsverantwortung. Und diese Ökonomie arbeit und daher schlecht bezahlt. ist nicht geschlechtergerecht, weil sie die gesamten unbezahlten Arbeiten aus dem Ökonomischen aus- Diese Trennungsstruktur hat einen mehrfach herr- grenzt und vor allem die Sorgearbeiten den Frauen schaftlichen Charakter: Zunächst steckt dieser in der zuweist. Das heißt: ohne die Analyse- und Strukturka- Warenform der Produkte. Häufig wird gesagt, der tegorie Gender geht es nicht. Die Geschlechterverhält- Markt sei das Problem. Nein, der Markt ist nicht das nisse sind nicht nur ein Anhängsel: Nein, nur mit Hilfe Problem. Die kapitalistische Form des Marktes ist das der Gender-Perspektive lässt sich unsere Ökonomie Problem, der Charakter der Produkte als Waren für wirklich kritisieren, aber eben auch umgestalten! Eine den Austausch am Markt. Der Markt scheint Gleich- zukunftsfähige Ökonomie braucht genau diese Drei- heit der Tauschenden zu spiegeln, aber darunter, im heit: sie braucht Nachhaltigkeit, sie braucht Vorsorge Produktionsprozess, steckt sehr viel Ungleichheit und und sie braucht Genderbewusstheit, die zu Gender- Ausbeutung. Das kennen wir heute besonders aus gerechtigkeit führt. Anders ist Zukunftsfähigkeit nicht den Textilfabriken in Asien. Aber es gilt allgemein. zu haben. Diese Dreiheit ist entscheidend. Warum? Hinzu kommt, dass am Markt nur teilnehmen kann, Das werde ich in diesem Vortrag deutlich machen. wer etwas hat, wer Eigentum hat, und diejenigen, Zunächst gehe ich kurz auf die ökonomische Struktur die nichts weiter haben als ihre Arbeitskraft, müssen ein, dann auf die drei Kategorien, um abschließend die eben sehen, dass sie sie als Ware am Arbeitsmarkt Zukunftsperspektive zu skizzieren. verkaufen. Eine zweite herrschaftliche Form besteht zwischen den beiden Seiten der Trennungsstruktur, Die Trennungsstruktur moderner Ökonomien zwischen dem Markt und den ausgegrenzten Produk- Moderne kapitalistische Ökonomien sind durch eine tivitäten: Diese Trennlinie ist nicht fest. Kapitalismus Trennungsstruktur gekennzeichnet. Auf der einen Seite heißt immer auch, dass aus diesem Markt heraus haben wir das, was als ökonomisch gilt, die Märkte, versucht wird, die abgegrenzten Produktivitäten zu und auf der andern Seite haben wir das, was nicht vereinnahmen. Und wir wissen aus der Geschichte als ökonomisch gilt. Das eine ist produktiv, das ande- und der Gegenwart des modernen Kapitalismus, dass re ist un-, bestenfalls reproduktiv. Wir haben also auf gerade, was die Rohstoffe angeht, hier sehr viel poli- der einen Seite den Markt, auf der anderen die bei- tische und ökonomische Gewalt angewendet wird. den Basis-Produktivitäten: die unbezahlte Arbeit, im Und die dritte herrschaftliche Form ist, dass das, was Wesentlichen die Sorgearbeit, und die ökologische abgegrenzt ist, vermarktlicht, in Warenform verwan- Produktivität, die Produktivität der Natur. Beide gelten delt werden soll. Karl Polanyi, der ja heute gerade in als Nicht-Ökonomie, als wertlos, sie werden aber all- der Debatte um die große Transformation immer wie- CaGE Texte Nr. 3 / 2014 täglich in der ökonomischen Praxis gebraucht. Es kann der zitiert wird, warnt davor. Er macht deutlich, dass nicht produziert werden, ohne dass die Natur schon die Warenfiktion für die Natur und für die sorgenden produziert hat, es kann nicht für den Markt gearbeitet Tätigkeiten nicht passt, denn sie ignoriert „die Tat- werden, ohne dass schon Sorgearbeiten geleistet wur- sache, dass die Auslieferung des Schicksals der Erde den. Polit-ökonomisch kann man sagen, diese beiden und der Menschen an den Markt mit deren Vernich- abgespaltenen Tätigkeiten (oder Ressourcen in der tung gleichbedeutend wäre“ (Polanyi 1978: 183). Das ökonomischen Begrifflichkeit) dienen der alltäglichen ist ein starkes Wort, aber Polanyi ist eben nicht nur Kapitalverwertung, aber sie werden nicht bewertet. derjenige, der den Begriff der großen Transformation Sie gehen in das ganze Wertesystem nicht ein und das geschaffen hat. Er ist gerade auch der Kritiker dieser heißt, sie werden maßlos und sorglos ausgenutzt – von Ökonomie. 5
Warum ist das wichtig? Der Kern ist, dass wir in die Ergebnisse wir nicht genau wissen. Es ist ein offener heutige sozial-ökologische Krise genau durch diese Prozess. Die Qualität dieses Prozesses bedeutet in Struktur der Ökonomie geraten sind. Im Kern sind alle Bezug auf Nachhaltigkeit: Indem du heute Rohstoffe ökologischen und sozialen Krisen Ausdruck der zent- und sorgende Tätigkeiten nutzt, um deine Bedürfnisse ralen Krise: der Krise des sogenannten Reproduktiven. zu befriedigen und um die dafür notwendigen Waren Im Kern geht es immer darum, dass die Natur und die zu produzieren, achte darauf, dass diese „natürlichen ausgegrenzten Tätigkeiten die Last dessen tragen müs- und sozialen Voraussetzungen“ erhalten und immer sen, was in dieser Marktökonomie nicht funktioniert. wieder neu hergestellt werden. Das ist das Zentrale: Das heißt, diese Ökonomie ist systemisch nicht nach- Erhalte und erneuere diese Basisproduktivitäten und haltig. Nicht aus Versehen, nicht krisenhaft, sondern auch die Produktivität der bezahlten Arbeit. Erhalten systemisch. Und deswegen ist sie nicht zukunftsfähig. im Gestalten, darum geht es. Das ist eine ganz zentrale Herausforderung. Und das bedeutet, dass wir aufge- Nachhaltige Entwicklung fordert sind, neue Kategorien zu entwickeln, die diese Nun komme ich zu meinen drei Kategorien, zunächst Zusammenhänge erfassen können und die Trennungs- zur Nachhaltigkeit. Ich denke, ich muss hier nicht struktur überwinden. erläutern, wie die Brundtland-Kommission Nachhaltige Entwicklung definiert. Nachhaltigkeit in der Perspek- Denn das Bild der Trennung – hier der Markt und da tive, die ich jetzt entwickeln möchte, ist zum einen die beiden Produktivitäten – spiegelt sich auch in den eine Gerechtigkeitsvorstellung. Nachhaltigkeit ist ein ökonomischen Kategorien wieder. Es sind Trennungs- normatives Konzept. Ich betone das deswegen, weil kategorien: Arbeit ist Erwerbsarbeit beispielsweise, in meiner Disziplin die Kollegen das Normative fürch- gehört also nur in den einen Bereich, den Bereich ten wie der Teufel das Weihwasser. Es wird behauptet, des Marktes. Produktivität und Reproduktivität werden Ökonomie sei nicht normativ. Das stimmt überhaupt getrennt. Männlich und weiblich werden getrennt, nicht, der homo oeconomicus ist so normativ wir nur auch Natur und Kultur. Was wir brauchen, sind jedoch irgendwas. Es geht also um eine Entscheidung darüber, Vermittlungskategorien, die diese Trennung aufheben. welche Normen gelten sollen – es geht um eine Meine Kollegin Sabine Hofmeister von der Leuphana Wertentscheidung. Ja, wir Anhängerinnen und Anhän- Universität Lüneburg und ich haben dafür eine ger der Nachhaltigkeit wollen, dass auch zukünftige Kategorie entwickelt, die wir (Re)Produktivität nennen Generationen gute Lebensmöglichkeiten haben. Ja, (s. Kasten). wir wollen, dass heute lebende Generation mindestens ihre Grundbedürfnisse gut befriedigen können. (Re) Produktivität bezeichnet die „ … prozessuale, nicht durch Abwertungen Nachhaltige Entwicklung bezeichnet getrennte Einheit aller produktiven „einen offenen, dynamischen und Prozesse in Natur und Gesellschaft, immer wieder zu gestaltenden bei gleichzeitiger Unterschiedenheit.“ Prozess; sie beschreibt … die Qualität Biesecker und Hofmeister 2006: 19 eines Entwicklungsprozesses, der seine eigenen natürlichen und Es geht darum, für ein zukunftsfähiges Wirtschaften sozialen Voraussetzungen einen Produktivitätsbegriff zu entwickeln, in dem alle aufrechte rhält und ständig erneuert.“ Produktivitäten, die natürlichen und die menschlichen, Becker / Jahn 2006: 238 miteinander vermittelt, kombiniert werden. Es gibt keinen Unterschied zwischen produktiv und reproduktiv. Wir nutzen immer dieses schöne Beispiel: Sie kochen CaGE Texte Nr. 3 / 2014 Zum zweiten enthält Nachhaltigkeit ein Integrations- zu Hause eine Mahlzeit, das ist reproduktiv, und Sie gebot: Ökonomie, Ökologie, Soziales gehören zusam- kochen sie in der Küche eines Restaurants, dann ist es men. Es gibt nicht nur die ökologische Nachhaltigkeit, produktiv. Daran sieht man, dass diese Trennung ganz es gibt nicht nur die ökonomische, es gibt nicht nur die künstlich ist und die Prozesse überhaupt nicht wider- soziale. Es gibt nur Nachhaltigkeit als diese Dreiheit spiegelt. Und die Klammer – dieses (Re) – nutzen wir zusammen. Mir ist die Definition von den Kollegen des nur, weil im Augenblick eben noch getrennt wird Instituts für sozial-ökologische Forschung (ISOE) in zwischen produktiv und reproduktiv. Im Prozess der Frankfurt a.M. wichtig (s. Kasten), die deutlich macht: Entwicklung zur Nachhaltigkeit werden wir irgendwann Wenn wir über nachhaltige Entwicklung sprechen, diese Klammer aufheben können und sagen, es ist sprechen wir erstens über einen Prozess, dessen alles produktiv. 6
Damit ist (Re)Produktivität – und ich kann das hier nur einer vorsorgenden Wirtschaftsweise zu formulieren andeuten, weil ich keinen Vortrag über (Re)Produktivi- und haben dabei unseren Begriff von Vorsorge ent- tät halte – eine solche Vermittlungskategorie, wie ich wickelt (s. Kasten) Danach bedeutet vorsorgendes sie eben eingefordert habe. Produktion bedeutet jetzt Handeln, im heutigen Tun vorausschauend die Hand- Vermittlung zwischen Natur und den menschlichen lungsfolgen mit einzubeziehen. Es bedeutet, mich in Fähigkeiten. Und das heißt viel, nämlich dass räum- Beziehung zu denken, sowohl zu Menschen als auch lich, zeitlich, quantitativ und qualitativ natürliche und zur Natur. Und es fordert auf, in dieses Handeln immer menschliche Produktivitäten zusammen passen müs- das Wissen einzubeziehen, dass ich aus der Geschichte sen. Schon zu Beginn eines Prozesses, beispielsweise komme, dass die Geschichte weiter geht in die Zukunft der Produktion eines Windrades, geht es jetzt darum und dass ich alles tue, damit diese Zukunft eine lebens- zu gucken: Welche Rohstoffe werden gebraucht, welche werte Gegenwart für zukünftige Generationen wird. Arbeitskräfte werden gebraucht und wie kann die Pro- duktion so gestaltet werden, dass durch den ganzen Prozess hindurch möglichst kein Abfall entsteht. Und „Über das Handlungsprinzip Vorsorge wenn doch, dann so, dass die Natur ihn wieder in neue verortet sich der vorsorgend Produktivität verwandeln kann. Der Abfall von heute handelnde Mensch vorausschauend birgt die Produktivität von morgen. im Bewusstsein seiner eigenen räumlichen, zeitlichen, natürlichen und Betonen möchte ich auch die neue Rationalität, der (re) produktives Wirtschaften folgt. Das alte, herkömmliche, sozialen Beziehungen und Grenzen. uns leider bis heute beherrschende Konzept sagt, dass Er verortet sich im Leben und in der es rational ist, wenn du deinen Nutzen oder deinen Gesellschaft, indem er Zeit, Raum, die Gewinn maximierst. Eigennütziges Maximierungsstre- Mitmenschen und die natürliche ben nennt man Rationalität. Aber diese Rationalität hat Mitwelt, die ebenfalls in Zeiten und ja gerade dazu geführt, dass eben nicht gesorgt wird für die Wiederherstellung dessen, was vernutzt wurde. Räumen leben, in sein Blickfeld nimmt Diese Rationalität ist die eines isolierten Menschen und in seine Handlungen einbezieht.“ – des homo oeconomicus, der allein ist mit sich und Theoriegruppe Vorsorgendes Wirtschaften 2000: 50 seiner Güterwelt. Er hat unendliche Bedürfnisse und Mittel, die immer knapp sind. Und er hat keine sozia- len Beziehungen und keine Beziehung zur Natur. Daher Es geht also um Vorausschau und damit auch um Vor- handelt er sorglos – mit zerstörerischer Wirkung. sicht bezüglich der Handlungsfolgen. Wenn ich etwas nicht übersehe, dann lasse ich lieber die Finger davon. Eine neue Ökonomie handelt, wenn sie zukunftsfähig Häufig wird gesagt: Wir haben so viel technischen sein soll, gemäß einer anderen Rationalität. Es ist Fortschritt, zukünftige Generationen werden schon eine gemeinschaftliche Rationalität. Produktion heißt mit dem Atommüll fertig werden. Wir haben so viel immer Kooperation, zwischen Mensch und Natur, aber technisch entwickelt, die werden das schon schaffen. auch zwischen Menschen. Erhalte/Erneuere, indem du Das ist nicht Vorsorge, das ist nicht Verantwortung für gestaltest – das ist der Kern der neuen Rationalität. Handlungsfolgen. Und es geht um die Verbindung von Darin enthalten ist eine zeitliche Dimension. Wir kom- sozialen und natürlichen Prozessen. Jede Produkti- men ja aus der Zeit und wir gehen in die Zeit. Wenn on ist Verbindung von Sozialem und Natürlichem. Das ich sage, wir müssen so produzieren, dass wir erneuern cartesianische Weltbild – hier sind wir als Menschen indem wir gestalten, dann heißt das auch, dass wir und da ist die Natur – stimmt für keinen Produktionspro- Bewusstheit haben über die Geschichte, aus der wir zess! Indem wir Natur mit Menschen verbinden, ver- kommen und hineinblicken in die Zukunft, in die wir binden wir unterschiedliche Raum- und Zeit-Skalen. gehen. „Gegenwärtiges Gestalten bedeutet Erhalten Welche Zeiten braucht die Natur, welche hält sie aus CaGE Texte Nr. 3 / 2014 und Erneuern des Gewordenen für die Zukunft – (Re) und welche nicht? Welche Zeiten halten wir Menschen produktion gestaltet das Zeitkontinuum. In dieser Per- aus? Welche Zeiten brauchen wir für unsere eigene spektive lässt sich die Rationalität einer (re)produkti- Reproduktion? Und welche benötigen die kommenden ven Ökonomie benennen – als Vorsorgerationalität“ Generationen in der Zukunft? In unserem Netzwerk (Biesecker/ Hofmeister 2013: 247). ist die Kollegin Barbara Adam aus England, in meinen Augen die Zeitforscherin (Adam 2013). Sie macht deut- Das Handlungsprinzip Vorsorge lich, dass wenn gesagt wird, Vorsorge ist auf Zukunft Was genau heißt Vorsorge? Ich hatte schon erwähnt, gerichtet, Zukunft als Gegenwart zukünftiger Gene- dass ich aus dem Netzwerk Vorsorgendes Wirtschaften rationen gemeint ist. Stellen Sie sich vor, wir leben komme. Wir sind seit 20 Jahren dabei die Prinzipien alle in 300 Jahren und wir blicken auf heute zurück. 7
Wir müssen dann mit den Folgen dessen leben, was to interweave in a complex, life-sustaining web“ (Tronto heute getan wurde. Das sich klar zu machen heißt, und Fisher 1990, zit. n. Tronto 2013: 19) heute zu überlegen: Was sind die Folgen unseres Tuns? Welche Folgen können wir verantworten und Darin ist im Grunde alles gesagt. Sorgen ist alles was welche nicht, und wo lassen wir lieber die Finger wir tun, um unsere Welt aufrecht zu erhalten, sie auf davon? Es gibt heute, gerade auch in der ganzen Dauer zu erhalten und das, was wir kaputt machen, Debatte um da s Anthropozän, wieder die Vorstellung, auch wieder zu reparieren. Und das bezieht uns mit dass wir nur immer weiter forschen müssen und dann unserem Körper, unseren sozialen Beziehungen und irgendwann alles wissen werden. Das stimmt aber nicht. unseren Beziehungen zur Natur ein. Joan Tronto hat Wir werden nie alles wissen. Wenn wir das anerkennen, kürzlich ein neues Buch geschrieben. Es heißt ‚Caring so heißt das, dass wir auf Dauer in Unsicherheit und in Democracy‘ (Tronto 2013). Darin macht sie deutlich: gewisser Unkenntnis leben. Dann können wir nur das Wenn wir über Sorgen sprechen, können wir gar nicht tun, dessen Folgen wir übersehen. Verantwortung für anders als über Geschlechterverhältnisse zu sprechen. die eigenen Handlungsfolgen kann dann auch bedeu- Denn dann reden wir über eine geschlechtliche Prä- ten, etwas nicht zu tun, etwas sein zu lassen. gung, die sich über Jahrhunderte entwickelt hat. Care ist ohne Gender nicht zu denken, nicht zu analysieren Im Vorsorgen steckt Sorgen, im Vorsorgeprinzip steckt und nicht zu verändern. Care gilt als women’s work, das Sorgeprinzip. Dessen berühmteste Definition, auf und Mann spricht nicht darüber. Tronto zeigt, dass die die sich viele in der Care-Debatte beziehen, stammt Grundlage dessen die Konstruktion von Weiblichkeit von Berenice Fisher und Joan Tronto: „On the most und Männlichkeit ist. Sie spricht von hegemonialer general level, we suggest that caring be viewed as a Männlichkeit (hegemonic masculinity) (ebd.: 68). Män- species activity that includes everything we do to main- ner seien nicht per se unfähig zum Sorgen. Aber die tain, continue, and repair our `world` so that we can live Konstruktion von Männlichkeit und Weiblichkeit befreie in it as well as possible. That world includes our bodies, sie, so Tronto, von der Verantwortung zum Sorgen. our selves, and our environment, all of which we seek Dafür seien sie für andere Dinge da: für protection and CaGE Texte Nr. 3 / 2014 8
production, also z. B. für Polizei und bezahlte Arbeit. denkbar, anders können wir nicht leben. Und Plum- Beide Bereiche sind öffentlich. Die Anerkennung als wood bezieht dies auch auf das Verhältnis zwischen Bürger, so Tronto weiter, beruhe auf bezahlter Arbeit. Menschen und der Natur. Unser Verhältnis zur Natur Die unbezahlt sorgenden Frauen sind davon ausge- entspricht also nicht dem cartesianischen Weltbild: schlossen. Und Freiheit heiße, keine Verpflichtung zum Hier sind wir Menschen, und getrennt davon gibt es Sorgen zu haben (ebd.: 92). die Natur. Nein, wir können nur in Beziehung zur Natur leben, und diese Beziehung ist uns nicht äußerlich, sondern ist Teil unseres eigenen Wesens. Respekt vor anderen, auch vor der Natur, ist somit Ausdruck GENDER unseres eigenen Wesens. Aus dieser Perspektive Und damit bin ich bei meiner dritten zentralen Kate- bedeutet Nachhaltigkeit Respekt vor der Natur. Erhal- gorie: Gender. Gender ist zunächst eine Struktur tender Umgang mit der Natur folgt dann nicht aus einer kategorie, die auf ein Problem verweist – auf Unfreiheit, Vorstellung von Naturschutz, sondern ist Bestandteil Ungleichheit und Ungerechtigkeit. In diesem Sinne und Ausdruck menschlichen Lebens. „Sustainability is prägt Gender die Rollen in der Gesellschaft sowie alle not possible without respect for others and considera- Prozesse in der Ökonomie. Ja, auch die ganze Ökono- tion for their own sake…“ (Plumwood 1991: 5). mie ist geschlechtlich strukturiert. Aber es wird nicht drüber geredet. Wenn wir diese Ökonomie verändern 3. In Geschlechtergerechtigkeit. Care ist somit wollen, dann müssen wir jedoch über Gender reden. zentral für menschliches Leben. Daher besteht für Und dann wird auch deutlich: Gender birgt auch Chan- Joan Tronto die Hauptaufgabe demokratischer Gesell- cen. Wenn ich die Gender-Perspektive einnehme, schaften in der Organisation des Sorgens. Sorgen komme ich zu ganz anderen Möglichkeiten des Neu- wird zur öffentlichen Angelegenheit. Die Qualität einer gestaltens. Gesellschaft hängt dann davon ab, wie sie das Sor- gen für sich und andere organisiert, und zwar gemäß Diese Chancen bestehen im Folgenden: Kriterien von „justice, equality, and freedom for all“ (Tronto 2013: 23). Auf der Basis der bestehenden 1. Im Perspektivenwechsel. Geblickt wird aus der geschlechtlichen Prägung von Care heißt das vor Perspektive des Ausgegrenzten, der Natur und der allem: Geschlechtergerechtigkeit. Diese ist nicht nur unbezahlten Arbeiten. Sichtbar wird, dass Ökono- eine moralische Forderung, sondern aufgrund der langen mie viel mehr ist als der Markt und Arbeit viel mehr Erfahrung von Frauen im Sorgen auch ökonomische als Erwerbsarbeit. Dessen weiblicher Zwilling ist die Notwendigkeit. Care-Ökonomie. Die ganze Marktökonomie wird getra- gen von einer Care-Ökonomie. Märkte könnten gar Trontos Vision ist eine caring democracy, die ein nicht funktionieren ohne diese und auch nicht ohne die gutes Leben für alle ermöglicht. Dieses gute Leben Natur. Es entsteht also ein neuer Blick auf das Ganze ist ein Leben, in dem für jede und jeden durch andere der Ökonomie und das Ganze der Arbeit, und ich kann gesorgt wird und in dem jede und jeder Raum hat, um neue Fragen stellen, z.B.: Wie können wir Märkte so für sich und andere zu sorgen. „A truly free society gestalten, dass sie den Lebenszwecken von Mensch makes people free to care. A truly equal society gives und Natur gut tun? people equal chances to be well cared for, and to enga- ge in caring relationships. A truly just society does 2. In einem neuen Menschenbild und einem neuen not use the market to hide current and past injustice” Mensch-Natur-Verhältnis. Die herkömmliche Ökono- (Tronto 2013: 170). Eine solche sorgende Demokratie mie hat das Menschenbild des homo oeconomicus, ist, so die Hoffnung von Tronto, auch eine stabile und das hatte ich schon gesagt. Er ist allein in seiner Güter- von allen getragene Demokratie – denn wenn sich die welt und kennt keine sozialen Beziehungen. Aus der Menschen umsorgt fühlen, sorgen sie sich auch um Gender-Perspektive jedoch leben Menschen in Bezie- ihre Gesellschaft und deren demokratische Qualität. CaGE Texte Nr. 3 / 2014 hungen. „… from the standpoint of a feminist ethic of care individuals are conceived of as being in relation Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit – derart neu inter- ship” (Tronto 2013: 30). Tronto und viele andere bezie- pretiert sind sie tragende Elemente einer caring hen sich hier insbesondere auf die Naturphilosophin democracy. Nachhaltigkeit, Vorsorge, Zukunftsverant- Val Plumwood, die leider vor einigen Jahren gestorben wortung – so habe ich die Fundamente einer vorsor- ist. Sie spricht vom ‚relational account‘ (vgl. z.B. Plum- genden Wirtschaftsweise charakterisiert. Miteinander wood 1991) und macht deutlich, dass wir Menschen verwoben, zeichnet sich für mich als zukunftsfähige nicht Individuen sind, die auch Beziehungen haben, Perspektive ab: ein vorsorgende Demokratie. sondern dass Beziehungen existentiell zu uns gehören. Wir sind Individuen in Beziehung, anders sind wir nicht 9
Sarah Hackfort, Dörte Segebart, Ulrike Röhr, Stephanie Roth, Daniela Gottschlich, Nanna Birk STRATEGIEN UND EMPFEHLUNGEN FÜR EINE INTEGRATIVE BETRACHTUNG UND PRAXIS VON NACHHALTIGKEIT IM SPANNUNGSFELD VON GENDER, CARE UND GREEN ECONOMY
Das Ziel unseres Verbundvorhabens war es, die Inte- gration von Gender- und Care-Perspektiven in die „Die Mainstream-Debatte, die aktuell Natur-, Technik- und Wirtschaftswissenschaften und in großen Teilen auf Konzepte einer in die Debatten über Green Economy voranzubringen, Green Economy fokussiert ist, bleibt im um damit zu gesellschaftlichen und sozial-ökologi- Großen und Ganzen den wachstums- schen Veränderungen und Transformationsprozessen beizutragen. Der Diskurs über eine Green Economy dominierten Nachhaltigkeitsk onzepten weist unserer Ansicht nach jedoch zentrale Leerstel- der 1990er Jahre verhaftet. (…) Grund- len auf. Viele gängige Konzepte sehen sie als Wachs- legende Ungleichheits-, Macht- und tumsmotor und betonen vornehmlich die Bedeutung Ausbeutungsverhältnisse auf nationaler technologischer Innovationen für die Steigerung von sowie internationaler Ebene bleiben Effizienz sowie Ziele der Wettbewerbsfähigkeit und Standortsicherung (BMU und BDI 2012: 4). Im Zent- dabei unberührt.“ rum stehen dabei der Ausbau umweltorientierter Wirt- Bauriedl und Wichterich 2014: 2 schaftszweige bspw. im Bereich der erneuerbaren Energien und der Elektromobilität und die Schaffung ‚grüner‘ Arbeitsplätze (green jobs) (ebd.; Fücks 2013). Um eine nachhaltige Entwicklung voran zu bringen, sind neben der Entwicklung von Technologien vor allem Zwar werden in einigen Konzepten einer Green Econo- tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungsprozesse my auch Aspekte wie Armutsbekämpfung und soziale notwendig. Unser Anliegen ist vor allem eine verstärkte Gerechtigkeit benannt und die Ungleichverteilung von gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung der Macht und Ressourcen thematisiert (BMBF und BMU bezahlten und unbezahlten Sorgearbeiten (Care-Arbei- 2012). Dabei werden durchaus auch Veränderungen ten) und der Erhalt der Reproduktionsfähigkeit von der Konsummuster und Produktionsweisen als ein Teil Natur. Obwohl Care-Arbeiten und Naturproduktivität möglicher Veränderungen diskutiert (genanet 2011: 2). die Basis jeglichen Wirtschaftens bilden, bleiben sie Diese sozialen Aspekte prägen aber kaum die allge- nach wie vor fast gänzlich unbeachtet und unbewertet, meine Debatte zu Green Economy oder nachhaltigem werden jedoch gleichzeitig als vermeintlich unendliche Wirtschaften. Insgesamt wird in den meisten Kon- Ressourcen für das ökonomische System ausgenutzt zepten zu Green Economy das westliche kapitalisti- und verwertet. Produktive Care-Leistungen, die immer sche Produktions- und Konsummodell weitestgehend noch maßgeblich von Frauen erbracht werden, sowie unhinterfragt vorausgesetzt und am ökonomischen die ökologische Produktivität werden also einerseits Wachstumsziel festgehalten (genanet 2011: 1). Und als vermeintlich reproduktiv aus der Marktökonomie dies obwohl die Entkoppelung des Wachstums vom abgespalten und externalisiert, gleichzeitig jedoch ver- Ressourcenverbrauch bislang kaum gelungen ist, und einnahmt und ausgeschöpft (u.a. Biesecker und Hof- Maßnahmen, die Energieeffizienz zu steigern, sich u.a. meister 2006; 2010: 70; genanet 2011: 6f; Bauhardt aufgrund möglicher Rebound Effekte 1 nicht immer als 2013: 11). Diese Diskussionen sind in unserem ersten adäquate nachhaltige Strategien erweisen (ebd.: 3; Arbeitspapier CaGE-Texte Nr. 1 (Gottschlich et al. vgl. hierzu u.a. Paech 2011; Santarius 2012). Zudem 2014) näher dargestellt. bedeuten neue und ‚grünere‘ Technologien zwar mit- unter effizientere Produktionsabläufe, jedoch bergen Davon ausgehend beinhaltet unser Verständnis von sie die Gefahr unerwünschter Effekte oder sogar bis- Green Economy einen umfassenden sozial-ökologi- her unerkannter Risiken. 2 Neue Technologien und schen Transformationsprozess hin zu einer an Suffi- Innovationen werden nur unzulänglich hinsichtlich zienz und Gerechtigkeit orientierten Entwicklung von ihrer komplexen sozialen, ökonomischen und ökolo- Ökonomie und Gesellschaft, die explizit die Vorsorge gischen Aspekte geprüft. Hierfür bedarf es verstärkt und die Sicherung der sozialen und natürlichen Res- partizipatorischer und demokratischer Prozesse und sourcen in den Mittelpunkt jeden Wirtschaftens stellt CaGE Texte Nr. 3 / 2014 Aushandlungsräume, welche eine wirkliche Mitgestal- (Gottschlich et al. 2014). Solch ein gesellschaftlicher tung der unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteure und sozial-ökologischer Wandel erfordert eine Abkehr ermöglichen. von der bisherigen ökonomischen Wachstumslogik hin zu einem Wirtschaftsmodell, welches die mensch- lichen Bedürfnisse in das gesellschaftliche und öko- nomische Zentrum rückt (Biesecker et al. 2012). 1 Der Rebound Effekt (rebound = engl. für Rückprall) meint, dass gesteigerte Effizienz in der Produktion durch erhöhten Konsum und Er erfordert ein Wirtschaftsmodell, in welchem es damit steigende Produktion wieder relativiert wird (Santarius 2012). darum geht, für andere, für die Natur und für zukünfti- 2 Etwa wenn die Nutzung von Agrartreibstoffen in Europa durch den monokulturellen Anbau von Ölpalmen zu der Enteignung von Kleinbauern ge Generationen zu sorgen, um ein „gutes Leben für und Kleinbäuerinnen in Indonesien führt (Brand 2012: 4). Alle“ zu ermöglichen (genanet 2011: 2; Wichterich 11
2012). Dies bedeutet sowohl die Produktivität der politischen Rahmenbedingungen in wissenschaftlichen vermeintlich reproduktiven Leistungen menschlicher Einrichtungen und in Unternehmen sehen wir zentrale und gesellschaftlicher Tätigkeiten als auch die ökologi- Stellschrauben für Transformationsprozesse hin zu sche Produktivität als Grundlage und Teil des Wirtschaf- einer nachhaltigen und vorsorgenden Entwicklung. tens anzuerkennen. Auf dieser Grundlage muss das Ökonomische neu definiert werden. Ein ganzheitliches Das Ziel der Empfehlungen ist es, Ansatzpunkte aufzu- Ökonomieverständnis erfordert eine neue Definition zeigen, wie Care, Gender und Green Economy verstärkt von Arbeit, die die unterschiedlichen Arbeitsformen als zusammengedacht werden können. Zudem identifi- Bestandteil der Ökonomie anerkennt. Um gesellschaft- zieren wir bestehende Potenziale und Möglichkeiten lich notwendige Arbeit inter- und intragenerationell wissenschaftlicher Einrichtungen und Unternehmen in gerecht zu verteilen und individuelle Entscheidungs- der Weiterentwicklung und Umsetzung einer nachhal- möglichkeiten unabhängig von Geschlecht, Herkunft, tigen Ökonomie als wesentliche Impulsgeberinnen und Klasse etc. zu eröffnen, bedarf es einer grundsätzlichen Treiberinnen eines gesellschaftlichen Wandels. Dabei Umgestaltung der bestehenden Herrschaftsverhältnis- richten sich unsere Empfehlungen und Strategien an se ebenso wie einer grundlegenden Umverteilung von verschiedene relevante Akteure aus dem Bereich der Arbeit und Ressourcen. Wissenschaft, der Forschungs- und Innovationspolitik sowie der Unternehmenspraxis. In diesem Prozess des Neu- und Andersdenkens von Ökonomie kommt der Wissenschaft eine zent- rale Aufgabe zu: Sie kann durch eine entsprechende Wissensproduktion die notwendigen gesellschaftli- A WISSENSPRODUKTION chen Transformationsprozesse mit anstoßen und als Wissenschaftliche Institutionen agieren als Wissens- Impulsgeberin agieren. Um über derartige zukünftige produzentinnen und als Innovationsentwicklerinnen. Sie Entwicklungen zu entscheiden, ist technokratisches gestalten Themen, Inhalte, Werte und Diskurse zu Green Expert_innenwissen allein kaum ausreichend. Insge- Economy, Care, Gender und gesellschaftlichen Inno- samt muss es darum gehen, eine Wissensproduktion vations- und Transformationsprozessen mit. Wissen- zu stärken und zu fördern, die die Ursachen aktueller schaftliche Ergebnisse und Erkenntnisse beeinflussen sozial-ökologischer Krisen analysiert, verschiedene die gesellschaftliche Sichtweise auf spezifische Themen Akteure und ihr Wissen einbezieht und somit Grund- und sind damit an der Konstruktion von Realitäten betei- lagen für die Entwicklung einer sozial-ökologischen ligt. Verschiedene wissenschaftskritische und feminis- gesellschaftlichen Transformation schafft. tische Ansätze haben gezeigt, dass wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn nicht im neutralen Raum geschieht, Wir sehen darüber hinaus durchaus auch Ansatzpunkte sondern beeinflusst ist von dem jeweiligen Subjekt, in der privatwirtschaftlichen Unternehmenspraxis und von den jeweiligen Erfahrungen, der disziplinären Aus- geben auch hier einige Anregungen, wie Gender und bildung und der jeweiligen spezifischen Perspektive auf Care-Aspekte in die Praxis der Green Economy inte- Themen (vgl. bspw. Knorr Cetina 1981). Welche Themen griert werden können und identifizieren dafür schon wie bearbeitet oder nicht bearbeitet werden, welche Fra- vorhandene innovative Ansätze. Da die Praxis privatwirt- gen gestellt werden oder nicht und welche Erkenntnisse schaftlicher Unternehmen nicht dezidierter Teil des For- dabei gewonnen oder nicht gewonnen werden, ist von schungsauftrags war, behandeln wir sie hier allerdings diesen Faktoren entscheidend beeinflusst. Feministi- eher am Rande. Stattdessen rücken wir insbesondere sche Wissenschaftstheoretiker_innen betrachten alles das in unserem zweiten Arbeitspapier CaGE-Texte 2 Wissen aus diesem Grund als situiertes Wissen (Haraway (Segebart et al. 2014) aufgezeigte Wirkungsfeld wissen- 1988). Sie betonen damit die Kontextgebundenheit wis- schaftlicher Einrichtungen, und hier vor allem der Uni- senschaftlicher Arbeit und des durch sie produzierten versitäten, in den Fokus. Dieses Feld ist charakterisiert Wissens. Das feministische Paradigma des situierten durch das Zusammenwirken verschiedener Prozesse Wissens thematisiert insbesondere die Bedeutung von CaGE Texte Nr. 3 / 2014 und Institutionen der gesellschaftlichen Wissenspro- Machtverhältnissen unter den Wissensproduzent_innen duktion, der institutionalisierten Forschungs- und Inno- für die Wissenschaften. „Das betrifft die Bedingungen vationspolitik sowie – als zwei zentrale Handlungsfelder der Möglichkeit, überhaupt WissenschaftlerIn werden wissenschaftlicher Einrichtungen – dem Wissens- und zu können, bis hin zur Frage, warum etwas als wissen- Technologietransfer durch wissenschaftliche Einrich- schaftlich anerkannt wird oder nicht. Das betrifft die tungen nach außen und der Ausgestaltung von Beschäf- Auswahl dessen, was als erklärungsbedürftig angesehen tigungsverhältnissen innerhalb der Einrichtungen. In der wird, das heißt die Wahl der Forschungsfragen … sowie Ausrichtung und Akzentsetzung der bundesdeutschen jene Prozesse, die einer wissenschaftlichen Erkenntnis Forschungs- und Innovationspolitik, der Förderung aka- zu ihrer Durchsetzung verhelfen …“ (Singer 2010: 293). demischer Ausgründungen und der beschäftigungs Feministische Wissenschaftskritiker_innen haben in diesem 12
Zusammenhang auch die Geschlechterblindheit des EMPFEHLUNG I dominanten wissenschaftlichen Wissens kritisiert (vgl. Kritische Wissensproduktion fördern auch Gottschlich et al. 2014). Damit positionieren wir uns im Sinne einer herr- schaftskritischen und selbstreflexiven, transformativen Für Forschung, Lehre und Wissensproduktion zu Green Wissenschaft (Gottschlich 2013; Jahn 2013). Hierbei Economy hat das entscheidende Bedeutung: Denn auch geht es u.a. darum, die Geschlechterblindheit vorherr- das Wissen, welches zum Themenfeld Green Economy schender Forschung und Debatten zu Green Economy und den damit in Verbindung stehenden Innovations- aufzuzeigen und weitere Ungleichheitskategorien wie und Veränderungsprozessen produziert wird, ist weder Ethnizität, Klasse, Alter etc. zu berücksichtigen. Dar- objektiv noch geschlechtsneutral. Es ist vielmehr beein- über hinaus fehlt es an differenzierten Analysen und flusst von den jeweiligen Wissensproduzent_innen, schärfender, vertiefter Begriffsarbeit im Zusammen- ihrem historischen, sozialen und kulturellen Kontext, denken von Care, Gender und Green Economy. Hierbei ihrem Geschlecht und vor allem von den herrschenden muss das Rad nicht neu erfunden werden, sondern es Machtverhältnissen in Wissenschaft und Gesellschaft. kann auf zahlreiche und unterschiedliche Analysen aus Diese beeinflussen die Auswahl der Themen und Frage- der feministischen Ökonomik und anderen kritischen stellungen, die in wissenschaftlichen Untersuchungen Theorien und Strömungen zurückgegriffen werden zu Green Economy bearbeitet werden, und die Durch- (Haidinger und Knittler 2014; Gottschlich et al. 2014). und Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse. Es geht also darum, die Weiterentwicklung der femi- nistischen Forschung und insbesondere der feminis- In einer Studie zur Integration von Gender in Verwal- tischen Ökonomik der letzten Jahrzehnte samt ihrer tungshandeln wird dieses Phänomen auch als selektive Verschiebungen (von der Hausarbeitsdebatte bis hin Perzeption bezeichnet: Es werden nur die fach- und zur Politisierung von Care-Arbeit) zu stärken. Die For- ressortspezifischen Aufgaben behandelt, die in den derung, Arbeit müsse neu bewertet und gedacht werden, jeweiligen Zuständigkeitsbereich fallen, wodurch Gender ist keine neue, und gleichzeitig ist sie angesichts der als Querschnittsthema, „als randständig, nicht zum Auf- Verschärfung der Arbeitsbedingungen im Bereich der gabengebiet gehörig angesehen und deswegen vernach- Pflege, Bildung, Gesundheitsversorgung vor dem lässigt bzw. ignoriert“ wird (Veit 2010, zitiert nach Sauer Hintergrund gesellschaftlicher und demografischer 2014: 36). Hinzu kommt, dass feministische Forschung Veränderungen aktueller denn je. und Gender-Perspektiven gesellschaftlich wenig Aner- kennung erfahren und somit die Marginalisierung auch in wissenschaftlichen Kontexten verstärkt wird (Geppert „Die Frage, wie eine Gesellschaft die und Lewalter 2012, zitiert nach Sauer 2014: 36). Betreuung, Begleitung und Versorgung von Kindern, Kranken und Älteren Gerade wenn von der Wissenschaft Antworten auf kom- organisiert– das also, was im Kern plexe Probleme erwartet werden – und Nachhaltigkeits- die sogenannte Care-Ökonomie oder forschung versteht sich explizit als System-, Ziel- und Transformationswissen generierend –, dann muss es Sorgeökonomie ausmacht – wird darum gehen, eine Wissensproduktion zu stärken und zu mehr und mehr zur Schlüsselfrage fördern, die die Ursachen aktueller sozial-ökologischer der ökonomischen, sozialen und Krisen analysiert, verschiedene Wissensformen einbe- ökologischen Entwicklung.“ zieht und somit Grundlagen für die Entwicklung einer Baumann 2013: 6 sozial-ökologischen gesellschaftlichen Transformation schafft. Dabei kann die Einbeziehung der Care-Pers- pektive und der Kategorie Geschlecht als eye-opener Im Zentrum der frühen feministischen Debatten stand für verschiedene, sich verschränkende soziale Ungleich- schon immer die Kritik an der Trennung von Arbeit in heitsverhältnisse fungieren und die Berücksichtigung bezahlte Erwerbsarbeit und nicht bezahlte Reproduk- CaGE Texte Nr. 3 / 2014 feministischer Theorie und intersektionaler Debatten zum tionsarbeit und deren Sichtbarmachung als Teil der Sichtbarmachen von Verzerrungen und blinden Flecken Ökonomik (Biesecker und Gottschlich 2013: 178; Bau- in vielen herkömmlichen Analysen produktiv beitragen hardt und Çağlar 2010: 7). Ausgehend von dieser Kritik (Gottschlich und Katz 2013; Schultz und Wendorf 2006).3 der Abspaltung und Abwertung reproduktiver Tätig- keiten fordern feministische Ökonom_innen bereits 3 Intersektionalitätsforschung bedeutet, den Blick auf die seit vielen Jahren die Sichtbarmachung des „Ganzen Verschränkungen von Ungleichheiten und gesellschaftlichen Differenzierungen zu richten und die Wechselwirkungen verschiedener der Ökonomie“ und des „Ganzen der Arbeit“ (Biesecker Kategorien wie bspw. Klasse, Geschlecht, Herkunft, Alter, sexueller und Gottschlich 2013: 178). Hierzu bedarf es diffe- Orientierungen, Nicht-/Behinderung sowie deren gegenseitige Abschwächung und Verstärkung zu analysieren und sichtbar zu machen renzierter Analysen zu der Frage, wie Care-Ökonomie (vgl. z. B. Aulenbacher und Riegraf 2012). gesellschaftlich anerkannt und bewertet werden kann, 13
ohne Care-Arbeiten zu kommodifizieren und diese in muss und nicht über eine Steuerfinanzierung gedeckt das bisherige ökonomische System einzuhegen und wird, die alle Kapitalerträge einbeziehen könnte. Nach- damit der gängigen Profitlogik zu unterwerfen. Parallel haltiges Wirtschaften ist auf ein solidarisches Miteinan- hierzu geht es ebenso darum, die Diskussionen über der der Generationen angewiesen, wozu auch gehört, eine Monetarisierung von Natur und der fortschreiten- Verantwortung und Lasten gerecht zu verteilen und den Ausbeutung natürlicher Ressourcen und damit ver- Kosten nicht auf zukünftige Generationen abzuwälzen. bundene Ambivalenzen in die Analysen einzubeziehen. Dies setzt voraus, dass Trennungsstrukturen offenge- Des Weiteren bedarf es der Verknüpfung eben die- legt und Zusammenhänge neu gedacht werden. Dabei ser Zusammenhänge von Care, Gender und Green rücken u.a. längst diskutierte Fragen nach der Unter- Economy mit aktuellen Debatten zu Postwachstum, scheidung von Öffentlichem und Privatem, der indivi- commons, share economy etc. Obgleich vereinzelt Wis- duellen und strukturellen Ebene, von Oberfläche und senschaftler_innen und Akteure feministische und wei- Tiefenstruktur ins Zentrum. Alle diese Fragen sind von tere herrschaftskritische Perspektiven in die Debatten Relevanz bei der Gestaltung und Konkretisierung einer einbringen, mangelt es an Ansätzen, Care-Ökonomie sozial-ökologischen Ökonomie. und damit verbundene ungleiche Geschlechterverhält- nisse bspw. in der Debatte um Grundeinkommen Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf die jewei- mitzudenken. Zudem fehlen sowohl die grundle- ligen Widersprüche und Ambivalenzen gelegt werden. gende Einbeziehung intersektionaler Sichtweisen als In dem Zusammendenken von Care, Gender und Green auch Analysen zur Verknüpfung und Verschiebung von Economy ist es wichtig, die vielfältigen und sich über- Ungleichheitskategorien. schneidenden intersektionalen Ungleichheiten sichtbar zu machen, um neue Ein- und Ausschlüsse zu vermei- Alternativen und neue Wege, die bisherige Verhält- den. Damit bspw. Frauen in Westeuropa erwerbstätig nisse in Frage stellen, können gleichzeitig Ängste vor sein können, verschiebt sich zunehmend die Zustän- individuellen Veränderungen und Nachteilen hervorru- digkeit für die Versorgungsökonomie hin zu Migrant_ fen wie auch Unsicherheiten in Bezug auf grundlegen- innen, die diese in prekären Arbeitsverhältnissen und de gesellschaftliche Umbrüche. Diese Ängste sind vor häufig illegalisiert leisten. Ebenso geht es darum, For- allem auch vor dem Hintergrund des gegenwärtigen schungsperspektiven auf globale Betreuungsketten Auflebens rechtspopulistischer und rechtsextremer Par- (care-chains) zu differenzieren und die komplexen Ver- teien und nationalistischer Diskurse in Europa ernst zu zweigungen innerhalb der Versorgungsverhältnisse zu nehmen und in die Überlegungen einzubeziehen. Es gilt berücksichtigen (Lutz und Palenga-Möllenbeck 2011). daher auch mentale Strukturen und Gefühlsebenen zu untersuchen. Gleichzeitig sind es längst nicht mehr ausschließlich Frauen, welche durch die alltäglichen Anforderungen Nicht zuletzt fehlt es an genderrelevanten Daten wie und die Koordinierung von unbezahlter und bezahlter Meike Spitzner in ihrem Beitrag ab Seite 34 darlegt. Arbeit einen Balanceakt leisten müssen und häufig über- Differenzierte Erhebungen und die Entwicklung der ent- belastet sind. D.h. es geht um eine differenzierte Analy- sprechenden Methodologien, die die geleistete unbe- se, die einerseits sorgende Männer und die Veränderung zahlte und bezahlte Arbeit jährlich und EU-weit abbilden tradierter Geschlechterarrangements im Care-Bereich und gegenüberstellen, können die erwerbsökonomische in den Blick nimmt, andererseits Unterschiede innerhalb und die versorgungsökonomische Verteilung von Arbeit der keineswegs homogenen Gruppe der Frauen und verdeutlichen. Zudem bedarf es weiterer Anstrengun- damit verbundene Hierarchisierungen betrachtet. Durch gen zur Implementierung der Kategorie Gender sowohl die Zunahme von Teilzeitbeschäftigungen und Minijobs, in der Wissensproduktion als auch in der Forschungs- befristete Verträge und die Flexibilisierungs- und Ent- förderung (siehe dazu folgendes Kapitel B). grenzungsprozesse verändern sich die Arbeitsbedin- gungen nicht nur im Wissenschaftsbereich, sondern für EMPFEHLUNG II CaGE Texte Nr. 3 / 2014 alle Menschen – vor allem auch auf globaler Ebene. Hier Vorhandene Bündnisse stärken und bedarf es verstärkt kritischer Analysen zu veränderten neue Allianzen bilden gesellschaftlichen Arbeits- und Lebensbedingungen Die Forderung, bestehende Bündnisse und Netzwerke und damit verbundenen veränderten Geschlechterar- zu stärken und neue Allianzen zu bilden, ist an dieser rangements und neuen Problemlagen. Darüber hinaus Stelle vorrangig an die scientific community gerichtet, gilt es, die staatliche Reformpolitik zu reflektieren und unter der wir universitäre und außeruniversitäre wis- zu prüfen, inwiefern durch politische Regulierungen senschaftliche Akteure verstehen. Um die vorhande- Probleme zweiter Ordnung entstehen, wenn bspw. die nen Arbeiten und Ansätze einzubeziehen und auch auf Hauptlast der Kosten für eine (notwendige) Pflegere- bereits Bestehendes aufbauen zu können, sind Koope- form von den Beitragszahler_innen geschultert werden rationen und Netzwerke über diese Zusammenhänge 14
hinaus wichtig. Diese sollten daher vorangetrieben Netzwerk aus acht bundesdeutschen ökologischen und finanziell unterstützt werden. Oftmals verlaufen Forschungseinrichtungen.5 Die hier versammelten zunächst euphorische Vernetzungsprozesse aufgrund Institute gründeten sich „aus den konkreten Heraus- von Zeit- und Ressourcenmangel im Sande, und inter- forderungen der ökologischen und nachhaltigkeits- disziplinäre und größere Forschungskonstellationen orientierten Wende“ und dem Anspruch und Bedarf stehen häufig vor beträchtlichen institutionellen und nach wissenschaftlichen Einrichtungen, die diese not- disziplinären Hürden. Deshalb ist die Innovations- und wendigen Transformationsprozesse wissenschaftlich Forschungsförderung gefragt, eben diese Prozesse begleiten und voran treiben können. Ihr erklärtes Ziel zu ermöglichen und ggf. auch mittel- und langfristig ist „die Förderung transdisziplinärer Nachhaltigkeits- strukturell zu unterstützen (siehe dazu folgendes Kapi- wissenschaft im deutschen Wissenschaftssystem – tel B). Voraussetzung für Allianzen ist eine Offenheit sowohl in Hochschulen als auch in außeruniversitären dafür, das Eigene mit anderen theoretischen Arbeiten Forschungseinrichtungen.“6 und methodischen Ansätzen zu verbinden, von ande- ren Disziplinen zu lernen und gemeinsam Begriffe (neu) Allerdings spielen auch in diesen Initiativen und Alli- zu definieren. In interdisziplinären Kooperationen, anzen für eine transformative und nachhaltigkeitsori- vor allem jedoch in der Zusammenarbeit verschiede- entierte Wissenschaft und Forschungspolitik bisher ner Institutionen geht es darum, Übersetzungsarbeit Geschlechtergerechtigkeit und Care-Aspekte eine nur zu leisten, um die Relevanz von Gender, Care und untergeordnete bis gar keine Rolle. Für eine Wissen- nachhaltigem Wirtschaften zu verdeutlichen. Hier- sproduktion, die einen signifikanten Beitrag zu einer bei geht es nicht ausschließlich um die Übersetzung nachhaltigen Ökonomie und Gesellschaft leisten will, wissenschaftlicher Erkenntnisse in praxistaugliche ist die Berücksichtigung von Gender und Care als die Maßnahmen. Vielmehr geht es um eine gemeinsame (re)produktive Basis jeder Gesellschaft jedoch Grund- Wissensproduktion und die Übertragung gesellschaftli- voraussetzung. cher Problemstellungen in konkrete Forschungsfragen. Die gemeinsame Sprache muss dabei nicht nur zwi- Darüber hinaus gilt es, von anderen Konzepten zu ler- schen Disziplinen gefunden werden, sondern ebenso nen und Perspektiven aus anderen Regionen einzu- zwischen verschiedenen Kooperationspartner_innen beziehen – wie bspw. buen vivir, feminismo popular wie Unternehmen, Kommunen, Wissenschaft, Bürger_ oder environmental justice. Diese sollten jedoch nicht innen, sozialen Bewegungen. Diese Übersetzungsar- unreflektiert angeeignet und als Containerbegriffe beit lässt sich damit als Integrationsleistung verstehen, verwendet werden, sondern vielmehr dazu anregen, denn sie geht über das Finden gemeinsamer Begriffe vorherrschende eurozentrische Konzepte und deren und Verständnisse hinaus und erfordert ebenfalls die Maßstab für bspw. Gerechtigkeit zu hinterfragen, d.h. gleichrangige Einbeziehung unterschiedlicher Wis- ihre Entstehungsgeschichte und ihren Einfluss auf das sensformen zur Lösung lebensweltlicher Probleme. Verständnis von universalen Konzepten wie Gerechtig- Dabei gilt es zu vergegenwärtigen, dass Wissen auch keit zu berücksichtigen. immer an Werte geknüpft ist, die es offenzulegen und zu reflektieren gilt. Diese Forderung nach Reflexion Unsere Forderungen sind nicht zuletzt auch ein Plä- schließt damit auch anwendungsorientiertes Wissen, doyer für das Bilden von Allianzen zwischen femi- das zur Gestaltung sozial-ökologischer Transformati- nistischer Nachhaltigkeitsforschung, politischer onsprozesse unter Beteiligung möglichst vieler gesell- Care-Bewegung und sozialen Bewegungen zu alter- schaftlicher Akteure erarbeitet wird, ein – vor allem nativen Ökonomiekonzepten und Alltagspraktiken, wie auch hinsichtlich unbekannter zukünftiger Entwicklun- z.B. die Bewegungen zu Postwachstum, Commons gen und im Umgang mit Nichtwissen (Jahn et al. 2012). und Share Economy, die momentan an Zulauf und Kraft gewinnen. Diesen Grundsätzen sehen sich beispielsweise auch die wissenschaftlichen Einrichtungen verpflichtet, die sich in CaGE Texte Nr. 3 / 2014 der ‚NaWis-Runde Verbund für nachhaltige Wissenschaft‘ vereint haben. Ihr erklärtes Ziel ist „die Förderung trans- disziplinärer Nachhaltigkeitswissenschaft im deutschen 5 Zum „Ecological Research Network“ (Ecornet), dem Wissenschaftssystem – sowohl in Hochschulen als Netzwerk der außeruniversitären, gemeinnützigen Umwelt- und auch in außeruniversitären Forschungseinrichtungen.“4 Nachhaltigkeitsforschungsinstitute in Deutschland, gehören die folgenden Institutionen: Ecologic Institut, ifeu – Institut für Einen vergleichbaren Ansatz hat das ECORNET, ein Energie- und Umweltforschung Heidelberg, Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), ISOE – Institut für sozial-ökologische 4 Dazu gehören die Universität Kassel, die Leuphana Universität Forschung, IZT – Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung, Lüneburg, das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH und Öko-Institut e. V., Unabhängiges Institut für Umweltfragen (UfU) , das Institute for Advanced Sustainability Studies in Potsdam. Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. http://www.nawis-runde.de/nawis-home.html (letzter Zugriff 01.09.2014). 6 http://www.ecornet.eu/profil.html (letzter Zugriff 01.09.2014). 15
Sie können auch lesen