Care, Gender und Green Economy Forschungsperspektiven und Chancen gerechtigkeit nachhaltigen Wirtschaftens - Forschungsperspektiven und ...

Die Seite wird erstellt Sören Wendt
 
WEITER LESEN
Care, Gender und Green Economy Forschungsperspektiven und Chancen gerechtigkeit nachhaltigen Wirtschaftens - Forschungsperspektiven und ...
Forschungsperspektiven und Chancengerechtigkeit
nachhaltigen Wirtschaftens

Ulrike Röhr, Dörte Segebart, Daniela Gottschlich (Hg.)

Care, Gender und Green Economy
Forschungsperspektiven und
Chancen­gerechtigkeit nachhaltigen
Wirtschaftens

                                                         CaGE Texte Nr. 3 / 2014

                                             1
Care, Gender und Green Economy Forschungsperspektiven und Chancen gerechtigkeit nachhaltigen Wirtschaftens - Forschungsperspektiven und ...
Projektmitarbeiterinnen in
alphabetischer Reihenfolge
Nanna Birk (Juni 2014 – Dezember 2014)
Dr. Daniela Gottschlich
Dr. Sarah Hackfort (Juni 2014—November 2014]
Prof. Dr. Sabine Hofmeister
Claudia König (November 2013 – Mai 2014)
Ulrike Röhr
Stephanie Roth
Julika Schmitz (November 2013 – Mai 2014)
Prof. Dr. Dörte Segebart

Wissenschaftlicher Beirat
Dr. Christine Ax
Prof. em. Dr. Adelheid Biesecker
Dr. Friederike Habermann
Prof. em. Dr. Brigitte Young

Studentische Mitarbeiterinnen
Lisa Göldner
Annika Härtel
Uta Kotzur
Wiebke Ott

Die Broschüre CaGE-Texte 3 / 2014 ist ein Produkt des Verbund­
vorhabens von LIFE e.V. in Zusammen­arbeit mit der Leuphana
Universität Lüneburg sowie der Freien Universität Berlin.

ISBN 978-3-944675-26-8

Berlin / Lüneburg, Dezember 2014

Zitierweise: Röhr, Ulrike; Segebart, Dörte; Gottschlich,
Daniela (Hg.): Care, Gender und Green Economy. Forschungs­
perspektiven und Chancengerechtigkeit nachhaltigen
Wirtschaftens. CaGE-Texte 3 / 2014. Berlin / Lüneburg 2014

Das Vorhaben wurde mit Mitteln des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter
den Förderkennzeichen 01FP1311 und 01FP1312
gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt liegt bei den
Herausgeberinnen. Informationen zu unseren weiteren
Veröffentlichungen und deren Bestellmöglichkeiten unter:
www.cage-online.de

Layout: Vivien Akkermann
Grafische Protokolle: Daniel Freymüller und
Jonas Möhrung, 123comics.net
Druck: dieUmweltDruckerei GmbH
                                                                 klimaneutral
                                                                 natureOffice.com | DE-275-213509
Klimaneutral gedruckt auf 100% Recyclingpapier,                  gedruckt
ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen Blauer Engel.
Care, Gender und Green Economy Forschungsperspektiven und Chancen gerechtigkeit nachhaltigen Wirtschaftens - Forschungsperspektiven und ...
INHALT

Einleitung                                                     3

Adelheid Biesecker
Nachhaltigkeit, Vorsorge und Gender – eine notwendige
Beziehung für Nachhaltigkeit                                   4
   Die Trennungsstruktur moderner Ökonomien                    5
   Nachhaltige Entwicklung                                     6
   Das Handlungsprinzip Vorsorge                               7
   Gender                                                      9

Sarah Hackfort, Dörte Segebart, Ulrike Röhr, Stephanie Roth,
Daniela Gottschlich, Nanna Birk
Strategien und Empfehlungen für eine integrative Betrachtung
und Praxis von Nachhaltigkeit im Spannungsfeld von
Gender, Care und Green Economy                                10
    A Wissensproduktion                                       12
    B Forschungs- und Innovations­p olitik                    16
    C Wissenschaftliche Einrichtungen                         22
			 Nachhaltige Arbeits- und Beschäftigungs­b edingungen      22
			 Förderung akademischer Ausgründungen                      26
    D Unternehmenspraxis                                      28

Meike Spitzner
Systematische Wissensproduktion: Datenbedarf                  34

Schlussreflexionen                                            38
   Wie geht es weiter                                         39

Literatur                                                     40
                                                                    CaGE Texte Nr. 3 / 2014 
Care, Gender und Green Economy Forschungsperspektiven und Chancen gerechtigkeit nachhaltigen Wirtschaftens - Forschungsperspektiven und ...
EINLEITUNG
Angesicht der gravierenden sozial-ökologischen                Impulse für wissenschaftliche und gesellschaft­  liche
Krisen­­phänomene wie Klimawandel, Zusammenbruch              Veränderungen gegeben. Teilprojekt 1 wurde von LIFE
der Finanzmärkte, Armut oder Ressourcenkonflikte              Bildung, Umwelt, Chancengleichheit e.V. mit Unterstüt-
wurde das Konzept der Green Economy zum zentralen             zung der Leuphana Universität Lüneburg durchgeführt.
Instrument einer nachhaltigen Entwicklung erklärt.            Das Teilprojekt 2 untersuchte die Rolle wissenschaft-
Entsprechende Diskussionen prägten die Konferenz              licher Einrichtungen – und hier vor allem die Rolle
der Vereinten Nationen zu nachhaltiger Entwicklung            von Universitäten – für die Integration von Care- und
Rio+20 im Juni 2012 in Rio de Janeiro und die diversen        Gender-Perspektiven in die Green Economy. Es wurde
Vorbereitungstreffen der Regierungen, der Zivilgesell-        von der Freien Universität Berlin durchgeführt.
schaft wie auch der Wissenschaft. Dabei zeigen sich
große Defizite bei der für eine nachhaltige Entwicklung       Ziel der vom Verbundprojekt entwickelten Empfeh-
notwendigen Verbindung zwischen ökonomischen,                 lungen für eine innovative Wissenschaftspolitik und
ökologischen und sozialen Aspekten in Forschung,              zukunftsfähige wissenschaftliche Einrichtungen ist es,
Politik und Wirtschaft sowie der Einbeziehung der             deren Rolle bei der Umsetzung notwendiger gesell-
Care- und Gender-Perspektive.                                 schaftlicher Transformationsprozesse aufzuzeigen und
                                                              zu stärken. Auf einer Abschlusskonferenz wurden die
Vor diesem Hintergrund wurde das Verbundvor­haben             Projektergebnisse vorgestellt und mit Akteuren aus
Care, Gender und Green Economy. Forschungs­                   Wissenschaft und Praxis diskutiert. Diskussionspunkte
perspektiven und Chancengerechtigkeit nachhalti­              und Ergebnisse dieser Konferenz, des Expertinnen-
gen Wirtschaftens (CaGE) durchgeführt, um das                 workshops sowie der Wissenschafts-Praxis-Dialoge
Innovations­p otenzial der Gender- und Care-Forschung         sind in die hier vorliegenden Empfehlungen eingeflossen.
in den Wirtschafts-, Umwelt- und Naturwissenschaften          Wir bedanken uns auf diesem Wege nochmals bei
zu stärken. Innovative Ansätze an den Schnittstellen          allen Teilnehmer_innen und Referent_innen für ihre
wurden identifiziert und durch verschiedene Instru-           Anregungen und Kommentare.
mente wie einer Wissens- und Kommunikationsplatt-
form, Vernetzung oder Wissenschaft-Praxis-Dialoge             Im Zentrum der hier vorliegenden Broschüre stehen die
kommuniziert.                                                 im Verbundprojekt entwickelten Empfehlungen für eine
                                                              integrative Betrachtung und Praxis von Nachhaltig­
Das vom Bundesministerium für Forschung und Bildung           keit im Spannungsfeld von Gender, Care und Green
geförderte Projekt wurde in zwei Teilvorhaben durch-          Economy. Sie werden ergänzt durch den Vortrag von
geführt. In Teilprojekt 1 wurden die Schnittstellen von       Prof. Adelheid Biesecker bei der Abschlusskonferenz,
Care, Gender und Green Economy aufgezeigt, Akteure            in dem sie die Notwendigkeit der Verbindung zwi-
vernetzt sowie integrierende Ansätze in der Forschung         schen Nachhaltigkeit, Vorsorge und Gender darlegt,
zu Gender, Care und Green Economy identifiziert, um           sowie durch einen Beitrag von Meike Spitzner vom
                                                                                                                         CaGE Texte Nr. 3 / 2014 

daraus Strategien und Empfehlungen zur Integration            Wuppertal Institut, die den Datenbedarf für eine sys-
der Genderdimensionen in die Forschung und Praxis             tematische Wissensproduktion umreißt. Dieses Thema
nachhaltigen Wirtschaftens sowie zur Chancenge-               wurde beim Expertinnenworkshop als essentiell für die
rechtigkeit und Gleichstellung in diesen Forschungs-          Trans­formation zu einem nachhaltigen Wirtschaften
bereichen zu entwickeln. Ein Expertinnen-Workshop             diskutiert. Bei beiden bedanken wir uns für die Bereit­
diente zur Vernetzung von Wissenschaftlerinnen und            stellung der Texte.
zur Identifizierung von Forschungsbedarf. Bei einem
Wissenschafts-Praxis-Dialog, bei welchem Akteure aus          Berlin, im Dezember 2014
Wissenschaft, Praxis und Forschungsförderung zusam-
menkamen, wurden erste Ergebnisse diskutiert und              Ulrike Röhr, Dörte Segebart und Daniela Gottschlich

                                                          3
Adelheid Biesecker

NACHHALTIGKEIT,
VORSORGE UND GENDER –
EINE NOTWENDIGE BEZIEHUNG
FÜR NACHHALTIGKEIT
Ich habe meinen Vortrag bewusst so genannt: „Nach-               einer Marktökonomie, die nicht einfach nur Markt ist,
haltigkeit, Vorsorge und Gender – eine notwendige                sondern kapitalistischer Markt. Es geht um Profit und
Beziehung für Nachhaltigkeit“. Die Betonung der Not-             nicht um Bedürfnisbefriedigung.
wendigkeit ist mir wichtig. Gender ist nicht nur ein
Anhängsel, sondern es geht nicht ohne. Warum nicht?              Wir haben also hier den Markt, dort die beiden
                                                                 abgegrenzten Produktivitäten – diese Struktur ist
Meine zentrale These lautet, dass unsere moderne                 geschlechtshierarchisch. Sie ist einerseits hierarchisch,
kapitalistische Ökonomie nicht zukunftsfähig ist. Sie            weil das, was am Markt passiert, ganz oben steht,
ist nicht nachhaltig, sie ist unfähig zur Vorsorge und sie       sichtbar ist, produktiv, öffentlich. Das andere steht da
ist nicht geschlechtergerecht. Das sind die drei zentra-         drunter, bleibt unsichtbar, un- oder reproduktiv, privat.
len Punkte. Nicht nachhaltig ist diese Ökonomie, weil            Und gleichzeitig beinhaltet diese hierarchische Struk-
sie nicht auf ihre sozialen und ökologischen Grund-              tur eine geschlechtliche Dimension, da die wesent-
lagen achtet. Unfähig zur Vorsorge ist sie, da es kein           lichen Tätigkeiten, die ausgegrenzt sind, Tätigkeiten
Prinzip gibt, das dafür sorgt, dass das, was vernutzt            von Frauen sind, unbezahlte Sorgearbeiten. Selbst die
wird, auch wieder hergestellt, erneuert wird. Damit gibt         bezahlte Sorgearbeit ist nach wie vor zu 90% Frauen-
es keine Zukunftsverantwortung. Und diese Ökonomie               arbeit und daher schlecht bezahlt.
ist nicht geschlechtergerecht, weil sie die gesamten
unbezahlten Arbeiten aus dem Ökonomischen aus-                   Diese Trennungsstruktur hat einen mehrfach herr-
grenzt und vor allem die Sorgearbeiten den Frauen                schaftlichen Charakter: Zunächst steckt dieser in der
zuweist. Das heißt: ohne die Analyse- und Strukturka-            Warenform der Produkte. Häufig wird gesagt, der
tegorie Gender geht es nicht. Die Geschlechterverhält-           Markt sei das Problem. Nein, der Markt ist nicht das
nisse sind nicht nur ein Anhängsel: Nein, nur mit Hilfe          Problem. Die kapitalistische Form des Marktes ist das
der Gender-Perspektive lässt sich unsere Ökonomie                Problem, der Charakter der Produkte als Waren für
wirklich kritisieren, aber eben auch umgestalten! Eine           den Austausch am Markt. Der Markt scheint Gleich-
zukunftsfähige Ökonomie braucht genau diese Drei-                heit der Tauschenden zu spiegeln, aber darunter, im
heit: sie braucht Nachhaltigkeit, sie braucht Vorsorge           Produktionsprozess, steckt sehr viel Ungleichheit und
und sie braucht Genderbewusstheit, die zu Gender-                Ausbeutung. Das kennen wir heute besonders aus
gerechtigkeit führt. Anders ist Zukunftsfähigkeit nicht          den Textilfabriken in Asien. Aber es gilt allgemein.
zu haben. Diese Dreiheit ist entscheidend. Warum?                Hinzu kommt, dass am Markt nur teilnehmen kann,
Das werde ich in diesem Vortrag deutlich machen.                 wer etwas hat, wer Eigentum hat, und diejenigen,
Zunächst gehe ich kurz auf die ökonomische Struktur              die nichts weiter haben als ihre Arbeitskraft, müssen
ein, dann auf die drei Kategorien, um abschließend die           eben sehen, dass sie sie als Ware am Arbeitsmarkt
Zukunftsperspektive zu skizzieren.                               verkaufen. Eine zweite herrschaftliche Form besteht
                                                                 zwischen den beiden Seiten der Trennungsstruktur,
Die Trennungsstruktur moderner Ökonomien                         zwischen dem Markt und den ausgegrenzten Produk-
Moderne kapitalistische Ökonomien sind durch eine                tivitäten: Diese Trennlinie ist nicht fest. Kapitalismus
Trennungsstruktur gekennzeichnet. Auf der einen Seite            heißt immer auch, dass aus diesem Markt heraus
haben wir das, was als ökonomisch gilt, die Märkte,              versucht wird, die abgegrenzten Produktivitäten zu
und auf der andern Seite haben wir das, was nicht                vereinnahmen. Und wir wissen aus der Geschichte
als ökonomisch gilt. Das eine ist produktiv, das ande-           und der Gegenwart des modernen Kapitalismus, dass
re ist un-, bestenfalls reproduktiv. Wir haben also auf          gerade, was die Rohstoffe angeht, hier sehr viel poli-
der einen Seite den Markt, auf der anderen die bei-              tische und ökonomische Gewalt angewendet wird.
den Basis-Produktivitäten: die unbezahlte Arbeit, im             Und die dritte herrschaftliche Form ist, dass das, was
Wesentlichen die Sorgearbeit, und die ökologische                abgegrenzt ist, vermarktlicht, in Warenform verwan-
Produktivität, die Produktivität der Natur. Beide gelten         delt werden soll. Karl Polanyi, der ja heute gerade in
als Nicht-Ökonomie, als wertlos, sie werden aber all-            der Debatte um die große Transformation immer wie-
                                                                                                                             CaGE Texte Nr. 3 / 2014 

täglich in der ökonomischen Praxis gebraucht. Es kann            der zitiert wird, warnt davor. Er macht deutlich, dass
nicht produziert werden, ohne dass die Natur schon               die Warenfiktion für die Natur und für die sorgenden
produziert hat, es kann nicht für den Markt gearbeitet           Tätigkeiten nicht passt, denn sie ignoriert „die Tat-
werden, ohne dass schon Sorgearbeiten geleistet wur-             sache, dass die Auslieferung des Schicksals der Erde
den. Polit-ökonomisch kann man sagen, diese beiden               und der Menschen an den Markt mit deren Vernich-
abgespaltenen Tätigkeiten (oder Ressourcen in der                tung gleichbedeutend wäre“ (Polanyi 1978: 183). Das
ökonomischen Begrifflichkeit) dienen der alltäglichen            ist ein starkes Wort, aber Polanyi ist eben nicht nur
Kapitalverwertung, aber sie werden nicht bewertet.               derjenige, der den Begriff der großen Transformation
Sie gehen in das ganze Wertesystem nicht ein und das             geschaffen hat. Er ist gerade auch der Kritiker dieser
heißt, sie werden maßlos und sorglos ausgenutzt – von            Ökonomie.

                                                             5
Warum ist das wichtig? Der Kern ist, dass wir in die           Ergebnisse wir nicht genau wissen. Es ist ein offener
heutige sozial-ökologische Krise genau durch diese             Prozess. Die Qualität dieses Prozesses bedeutet in
Struktur der Ökonomie geraten sind. Im Kern sind alle          Bezug auf Nachhaltigkeit: Indem du heute Rohstoffe
ökologischen und sozialen Krisen Ausdruck der zent-            und sorgende Tätigkeiten nutzt, um deine Bedürfnisse
ralen Krise: der Krise des sogenannten Reproduktiven.          zu befriedigen und um die dafür notwendigen Waren
Im Kern geht es immer darum, dass die Natur und die            zu produzieren, achte darauf, dass diese „natürlichen
ausgegrenzten Tätigkeiten die Last dessen tragen müs-          und sozialen Voraussetzungen“ erhalten und immer
sen, was in dieser Marktökonomie nicht funktioniert.           wieder neu hergestellt werden. Das ist das Zentrale:
Das heißt, diese Ökonomie ist systemisch nicht nach-           Erhalte und erneuere diese Basisproduktivitäten und
haltig. Nicht aus Versehen, nicht krisenhaft, sondern          auch die Produktivität der bezahlten Arbeit. Erhalten
systemisch. Und deswegen ist sie nicht zukunftsfähig.          im Gestalten, darum geht es. Das ist eine ganz zentrale
                                                               Herausforderung. Und das bedeutet, dass wir aufge-
Nachhaltige Entwicklung                                        fordert sind, neue Kategorien zu entwickeln, die diese
Nun komme ich zu meinen drei Kategorien, zunächst              Zusammenhänge erfassen können und die Trennungs-
zur Nachhaltigkeit. Ich denke, ich muss hier nicht             struktur überwinden.
erläutern, wie die Brundtland-Kommission Nachhaltige
Entwicklung definiert. Nachhaltigkeit in der Perspek-          Denn das Bild der Trennung – hier der Markt und da
tive, die ich jetzt entwickeln möchte, ist zum einen           die beiden Produktivitäten – spiegelt sich auch in den
eine Gerechtigkeitsvorstellung. Nachhaltigkeit ist ein         ökonomischen Kategorien wieder. Es sind Trennungs-
normatives Konzept. Ich betone das deswegen, weil              kategorien: Arbeit ist Erwerbsarbeit beispielsweise,
in meiner Disziplin die Kollegen das Normative fürch-          gehört also nur in den einen Bereich, den Bereich
ten wie der Teufel das Weihwasser. Es wird behauptet,          des Marktes. Produktivität und Reproduktivität werden
Ökonomie sei nicht normativ. Das stimmt überhaupt              getrennt. Männlich und weiblich werden getrennt,
nicht, der homo oeconomicus ist so normativ wir nur            auch Natur und Kultur. Was wir brauchen, sind jedoch
irgendwas. Es geht also um eine Entscheidung darüber,          Vermittlungskategorien, die diese Trennung aufheben.
welche Normen gelten sollen – es geht um eine                  Meine Kollegin Sabine Hofmeister von der Leuphana
Wertentscheidung. Ja, wir Anhängerinnen und Anhän-             Universität Lüneburg und ich haben dafür eine
ger der Nachhaltigkeit wollen, dass auch zukünftige            Kategorie entwickelt, die wir (Re)Produktivität nennen
Generationen gute Lebensmöglichkeiten haben. Ja,               (s. Kasten).
wir wollen, dass heute lebende Generation mindestens
ihre Grundbedürfnisse gut befriedigen können.
                                                                  (Re) Produktivität bezeichnet die „ …
                                                                  prozessuale, nicht durch Abwertungen
   Nachhaltige Entwicklung bezeichnet                             getrennte Einheit aller produktiven
  „einen offenen, dynamischen und                                 Prozesse in Natur und Gesellschaft,
   immer wieder zu gestaltenden                                   bei gleichzeitiger Unterschiedenheit.“
   Prozess; sie beschreibt … die Qualität                         Biesecker und Hofmeister 2006: 19

   eines Entwicklungsprozesses,
   der seine eigenen natürlichen und
                                                               Es geht darum, für ein zukunftsfähiges Wirtschaften
   sozialen Voraussetzungen
                                                               einen Produktivitätsbegriff zu entwickeln, in dem alle
   aufrecht­e rhält und ständig erneuert.“                     Produktivitäten, die natürlichen und die menschlichen,
   Becker / Jahn 2006: 238                                     miteinander vermittelt, kombiniert werden. Es gibt
                                                               keinen Unterschied zwischen produktiv und reproduktiv.
                                                               Wir nutzen immer dieses schöne Beispiel: Sie kochen
                                                                                                                         CaGE Texte Nr. 3 / 2014 

Zum zweiten enthält Nachhaltigkeit ein Integrations-           zu Hause eine Mahlzeit, das ist reproduktiv, und Sie
gebot: Ökonomie, Ökologie, Soziales gehören zusam-             kochen sie in der Küche eines Restaurants, dann ist es
men. Es gibt nicht nur die ökologische Nachhaltigkeit,         produktiv. Daran sieht man, dass diese Trennung ganz
es gibt nicht nur die ökonomische, es gibt nicht nur die       künstlich ist und die Prozesse überhaupt nicht wider-
soziale. Es gibt nur Nachhaltigkeit als diese Dreiheit         spiegelt. Und die Klammer – dieses (Re) – nutzen wir
zusammen. Mir ist die Definition von den Kollegen des          nur, weil im Augenblick eben noch getrennt wird
Instituts für sozial-ökologische Forschung (ISOE) in           zwischen produktiv und reproduktiv. Im Prozess der
Frankfurt a.M. wichtig (s. Kasten), die deutlich macht:        Entwicklung zur Nachhaltigkeit werden wir irgendwann
Wenn wir über nachhaltige Entwicklung sprechen,                diese Klammer aufheben können und sagen, es ist
sprechen wir erstens über einen Prozess, dessen                alles produktiv.

                                                           6
Damit ist (Re)Produktivität – und ich kann das hier nur         einer vorsorgenden Wirtschaftsweise zu formulieren
andeuten, weil ich keinen Vortrag über (Re)Produktivi-          und haben dabei unseren Begriff von Vorsorge ent-
tät halte – eine solche Vermittlungskategorie, wie ich          wickelt (s. Kasten) Danach bedeutet vorsorgendes
sie eben eingefordert habe. Produktion bedeutet jetzt           Handeln, im heutigen Tun vorausschauend die Hand-
Vermittlung zwischen Natur und den menschlichen                 lungsfolgen mit einzubeziehen. Es bedeutet, mich in
Fähigkeiten. Und das heißt viel, nämlich dass räum-             Beziehung zu denken, sowohl zu Menschen als auch
lich, zeitlich, quantitativ und qualitativ natürliche und       zur Natur. Und es fordert auf, in dieses Handeln immer
menschliche Produktivitäten zusammen passen müs-                das Wissen einzubeziehen, dass ich aus der Geschichte
sen. Schon zu Beginn eines Prozesses, beispielsweise            komme, dass die Geschichte weiter geht in die Zukunft
der Produktion eines Windrades, geht es jetzt darum             und dass ich alles tue, damit diese Zukunft eine lebens-
zu gucken: Welche Rohstoffe werden gebraucht, welche            werte Gegenwart für zukünftige Generationen wird.
Arbeitskräfte werden gebraucht und wie kann die Pro-
duktion so gestaltet werden, dass durch den ganzen
Prozess hindurch möglichst kein Abfall entsteht. Und              „Über das Handlungsprinzip Vorsorge
wenn doch, dann so, dass die Natur ihn wieder in neue              verortet sich der vorsorgend
Produktivität verwandeln kann. Der Abfall von heute                handelnde Mensch vorausschauend
birgt die Produktivität von morgen.                                im Bewusstsein seiner eigenen
                                                                   räumlichen, zeitlichen, natürlichen und
Betonen möchte ich auch die neue Rationalität, der (re)
produktives Wirtschaften folgt. Das alte, herkömmliche,            sozialen Beziehungen und Grenzen.
uns leider bis heute beherrschende Konzept sagt, dass              Er verortet sich im Leben und in der
es rational ist, wenn du deinen Nutzen oder deinen                 Gesellschaft, indem er Zeit, Raum, die
Gewinn maximierst. Eigennütziges Maximierungsstre-                 Mitmenschen und die natürliche
ben nennt man Rationalität. Aber diese Rationalität hat
                                                                   Mitwelt, die ebenfalls in Zeiten und
ja gerade dazu geführt, dass eben nicht gesorgt wird
für die Wiederherstellung dessen, was vernutzt wurde.              Räumen leben, in sein Blickfeld nimmt
Diese Rationalität ist die eines isolierten Menschen               und in seine Handlungen einbezieht.“
– des homo oeconomicus, der allein ist mit sich und                Theoriegruppe Vorsorgendes Wirtschaften 2000: 50
seiner Güterwelt. Er hat unendliche Bedürfnisse und
Mittel, die immer knapp sind. Und er hat keine sozia-
len Beziehungen und keine Beziehung zur Natur. Daher            Es geht also um Vorausschau und damit auch um Vor-
handelt er sorglos – mit zerstörerischer Wirkung.               sicht bezüglich der Handlungsfolgen. Wenn ich etwas
                                                                nicht übersehe, dann lasse ich lieber die Finger davon.
Eine neue Ökonomie handelt, wenn sie zukunftsfähig              Häufig wird gesagt: Wir haben so viel technischen
sein soll, gemäß einer anderen Rationalität. Es ist             Fortschritt, zukünftige Generationen werden schon
eine gemeinschaftliche Rationalität. Produktion heißt           mit dem Atommüll fertig werden. Wir haben so viel
immer Kooperation, zwischen Mensch und Natur, aber              technisch entwickelt, die werden das schon schaffen.
auch zwischen Menschen. Erhalte/Erneuere, indem du              Das ist nicht Vorsorge, das ist nicht Verantwortung für
gestaltest – das ist der Kern der neuen Rationalität.           Handlungsfolgen. Und es geht um die Verbindung von
Darin enthalten ist eine zeitliche Dimension. Wir kom-          sozialen und natürlichen Prozessen. Jede Produkti-
men ja aus der Zeit und wir gehen in die Zeit. Wenn             on ist Verbindung von Sozialem und Natürlichem. Das
ich sage, wir müssen so produzieren, dass wir erneuern          cartesianische Weltbild – hier sind wir als Menschen
indem wir gestalten, dann heißt das auch, dass wir              und da ist die Natur – stimmt für keinen Produktionspro-
Bewusstheit haben über die Geschichte, aus der wir              zess! Indem wir Natur mit Menschen verbinden, ver-
kommen und hineinblicken in die Zukunft, in die wir             binden wir unterschiedliche Raum- und Zeit-Skalen.
gehen. „Gegenwärtiges Gestalten bedeutet Erhalten               Welche Zeiten braucht die Natur, welche hält sie aus
                                                                                                                           CaGE Texte Nr. 3 / 2014 

und Erneuern des Gewordenen für die Zukunft – (Re)              und welche nicht? Welche Zeiten halten wir Menschen
produktion gestaltet das Zeitkontinuum. In dieser Per-          aus? Welche Zeiten brauchen wir für unsere eigene
spektive lässt sich die Rationalität einer (re)produkti-        Reproduktion? Und welche benötigen die kommenden
ven Ökonomie benennen – als Vorsorgerationalität“               Generationen in der Zukunft? In unserem Netzwerk
(Biesecker/ Hofmeister 2013: 247).                              ist die Kollegin Barbara Adam aus England, in meinen
                                                                Augen die Zeitforscherin (Adam 2013). Sie macht deut-
Das Handlungsprinzip Vorsorge                                   lich, dass wenn gesagt wird, Vorsorge ist auf Zukunft
Was genau heißt Vorsorge? Ich hatte schon erwähnt,              gerichtet, Zukunft als Gegenwart zukünftiger Gene-
dass ich aus dem Netzwerk Vorsorgendes Wirtschaften             rationen gemeint ist. Stellen Sie sich vor, wir leben
komme. Wir sind seit 20 Jahren dabei die Prinzipien             alle in 300 Jahren und wir blicken auf heute zurück.

                                                            7
Wir müssen dann mit den Folgen dessen leben, was                 to interweave in a complex, life-sustaining web“ (Tronto
heute getan wurde. Das sich klar zu machen heißt,                und Fisher 1990, zit. n. Tronto 2013: 19)
heute zu überlegen: Was sind die Folgen unseres
Tuns? Welche Folgen können wir verantworten und                  Darin ist im Grunde alles gesagt. Sorgen ist alles was
welche nicht, und wo lassen wir lieber die Finger                wir tun, um unsere Welt aufrecht zu erhalten, sie auf
davon? Es gibt heute, gerade auch in der ganzen                  Dauer zu erhalten und das, was wir kaputt machen,
Debatte um da s Anthropozän, wieder die Vorstellung,             auch wieder zu reparieren. Und das bezieht uns mit
dass wir nur immer weiter forschen müssen und dann               unserem Körper, unseren sozialen Beziehungen und
irgendwann alles wissen werden. Das stimmt aber nicht.           unseren Beziehungen zur Natur ein. Joan Tronto hat
Wir werden nie alles wissen. Wenn wir das anerkennen,            kürzlich ein neues Buch geschrieben. Es heißt ‚Caring
so heißt das, dass wir auf Dauer in Unsicherheit und in          Democracy‘ (Tronto 2013). Darin macht sie deutlich:
gewisser Unkenntnis leben. Dann können wir nur das               Wenn wir über Sorgen sprechen, können wir gar nicht
tun, dessen Folgen wir übersehen. Verantwortung für              anders als über Geschlechterverhältnisse zu sprechen.
die eigenen Handlungsfolgen kann dann auch bedeu-                Denn dann reden wir über eine geschlechtliche Prä-
ten, etwas nicht zu tun, etwas sein zu lassen.                   gung, die sich über Jahrhunderte entwickelt hat. Care
                                                                 ist ohne Gender nicht zu denken, nicht zu analysieren
Im Vorsorgen steckt Sorgen, im Vorsorgeprinzip steckt            und nicht zu verändern. Care gilt als women’s work,
das Sorgeprinzip. Dessen berühmteste Definition, auf             und Mann spricht nicht darüber. Tronto zeigt, dass die
die sich viele in der Care-Debatte beziehen, stammt              Grundlage dessen die Konstruktion von Weiblichkeit
von Berenice Fisher und Joan Tronto: „On the most                und Männlichkeit ist. Sie spricht von hegemonialer
general level, we suggest that caring be viewed as a             Männlichkeit (hegemonic masculinity) (ebd.: 68). Män-
species activity that includes everything we do to main-         ner seien nicht per se unfähig zum Sorgen. Aber die
tain, continue, and repair our `world` so that we can live       Konstruktion von Männlichkeit und Weiblichkeit befreie
in it as well as possible. That world includes our bodies,       sie, so Tronto, von der Verantwortung zum Sorgen.
our selves, and our environment, all of which we seek            Dafür seien sie für andere Dinge da: für protection and

                                                                                                                            CaGE Texte Nr. 3 / 2014 

                                                             8
production, also z. B. für Polizei und bezahlte Arbeit.          denkbar, anders können wir nicht leben. Und Plum-
Beide Bereiche sind öffentlich. Die Anerkennung als              wood bezieht dies auch auf das Verhältnis zwischen
Bürger, so Tronto weiter, beruhe auf bezahlter Arbeit.           Menschen und der Natur. Unser Verhältnis zur Natur
Die unbezahlt sorgenden Frauen sind davon ausge-                 entspricht also nicht dem cartesianischen Weltbild:
schlossen. Und Freiheit heiße, keine Verpflichtung zum           Hier sind wir Menschen, und getrennt davon gibt es
Sorgen zu haben (ebd.: 92).                                      die Natur. Nein, wir können nur in Beziehung zur Natur
                                                                 leben, und diese Beziehung ist uns nicht äußerlich,
                                                                 sondern ist Teil unseres eigenen Wesens. Respekt
                                                                 vor anderen, auch vor der Natur, ist somit Ausdruck
GENDER                                                           unseres eigenen Wesens. Aus dieser Perspektive
Und damit bin ich bei meiner dritten zentralen Kate-             bedeutet Nachhaltigkeit Respekt vor der Natur. Erhal-
gorie: Gender. Gender ist zunächst eine Struktur­                tender Umgang mit der Natur folgt dann nicht aus einer
kategorie, die auf ein Problem verweist – auf Unfreiheit,        Vorstellung von Naturschutz, sondern ist Bestandteil
Ungleichheit und Ungerechtigkeit. In diesem Sinne                und Ausdruck menschlichen Lebens. „Sustainability is
prägt Gender die Rollen in der Gesellschaft sowie alle           not possible without respect for others and considera-
Prozesse in der Ökonomie. Ja, auch die ganze Ökono-              tion for their own sake…“ (Plumwood 1991: 5).
mie ist geschlechtlich strukturiert. Aber es wird nicht
drüber geredet. Wenn wir diese Ökonomie verändern                    3. In Geschlechtergerechtigkeit. Care ist somit
wollen, dann müssen wir jedoch über Gender reden.                zentral für menschliches Leben. Daher besteht für
Und dann wird auch deutlich: Gender birgt auch Chan-             Joan Tronto die Hauptaufgabe demokratischer Gesell-
cen. Wenn ich die Gender-Perspektive einnehme,                   schaften in der Organisation des Sorgens. Sorgen
komme ich zu ganz anderen Möglichkeiten des Neu-                 wird zur öffentlichen Angelegenheit. Die Qualität einer
gestaltens.                                                      Gesellschaft hängt dann davon ab, wie sie das Sor-
                                                                 gen für sich und andere organisiert, und zwar gemäß
Diese Chancen bestehen im Folgenden:                             Kriterien von „justice, equality, and freedom for all“
                                                                 (Tronto 2013: 23). Auf der Basis der bestehenden
    1. Im Perspektivenwechsel. Geblickt wird aus der             geschlechtlichen Prägung von Care heißt das vor
Perspektive des Ausgegrenzten, der Natur und der                 allem: Geschlechtergerechtigkeit. Diese ist nicht nur
unbezahlten Arbeiten. Sichtbar wird, dass Ökono-                 eine moralische Forderung, sondern aufgrund der langen
mie viel mehr ist als der Markt und Arbeit viel mehr             Erfahrung von Frauen im Sorgen auch ökonomische
als Erwerbsarbeit. Dessen weiblicher Zwilling ist die            Notwendigkeit.
Care-Ökonomie. Die ganze Marktökonomie wird getra-
gen von einer Care-Ökonomie. Märkte könnten gar                  Trontos Vision ist eine caring democracy, die ein
nicht funktionieren ohne diese und auch nicht ohne die           gutes Leben für alle ermöglicht. Dieses gute Leben
Natur. Es entsteht also ein neuer Blick auf das Ganze            ist ein Leben, in dem für jede und jeden durch andere
der Ökonomie und das Ganze der Arbeit, und ich kann              gesorgt wird und in dem jede und jeder Raum hat, um
neue Fragen stellen, z.B.: Wie können wir Märkte so              für sich und andere zu sorgen. „A truly free society
gestalten, dass sie den Lebenszwecken von Mensch                 makes people free to care. A truly equal society gives
und Natur gut tun?                                               people equal chances to be well cared for, and to enga-
                                                                 ge in caring relationships. A truly just society does
     2. In einem neuen Menschenbild und einem neuen              not use the market to hide current and past injustice”
Mensch-Natur-Verhältnis. Die herkömmliche Ökono-                 (Tronto 2013: 170). Eine solche sorgende Demokratie
mie hat das Menschenbild des homo oeconomicus,                   ist, so die Hoffnung von Tronto, auch eine stabile und
das hatte ich schon gesagt. Er ist allein in seiner Güter-       von allen getragene Demokratie – denn wenn sich die
welt und kennt keine sozialen Beziehungen. Aus der               Menschen umsorgt fühlen, sorgen sie sich auch um
Gender-Perspektive jedoch leben Menschen in Bezie-               ihre Gesellschaft und deren demokratische Qualität.
                                                                                                                           CaGE Texte Nr. 3 / 2014 

hungen. „… from the standpoint of a feminist ethic of
care individuals are conceived of as being in relation­          Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit – derart neu inter-
ship” (Tronto 2013: 30). Tronto und viele andere bezie-          pretiert sind sie tragende Elemente einer caring
hen sich hier insbesondere auf die Naturphilosophin              democracy. Nachhaltigkeit, Vorsorge, Zukunftsverant-
Val Plumwood, die leider vor einigen Jahren gestorben            wortung – so habe ich die Fundamente einer vorsor-
ist. Sie spricht vom ‚relational account‘ (vgl. z.B. Plum-       genden Wirtschaftsweise charakterisiert. Miteinander
wood 1991) und macht deutlich, dass wir Menschen                 verwoben, zeichnet sich für mich als zukunftsfähige
nicht Individuen sind, die auch Beziehungen haben,               Perspektive ab: ein vorsorgende Demokratie.
sondern dass Beziehungen existentiell zu uns gehören.
Wir sind Individuen in Beziehung, anders sind wir nicht

                                                             9
Sarah Hackfort, Dörte Segebart, Ulrike Röhr,
Stephanie Roth, Daniela Gottschlich, Nanna Birk

STRATEGIEN UND
EMPFEHLUNGEN FÜR
EINE INTEGRATIVE
BETRACHTUNG UND PRAXIS
VON NACHHALTIGKEIT
IM SPANNUNGSFELD VON
GENDER, CARE UND
GREEN ECONOMY
Das Ziel unseres Verbundvorhabens war es, die Inte-
gration von Gender- und Care-Perspektiven in die                              „Die Mainstream-Debatte, die aktuell
Natur-, Technik- und Wirtschaftswissenschaften und                             in großen Teilen auf Konzepte einer
in die Debatten über Green Economy voranzubringen,
                                                                               Green Economy fokussiert ist, bleibt im
um damit zu gesellschaftlichen und sozial-ökologi-
                                                                               Großen und Ganzen den wachstums-
schen Veränderungen und Transformationsprozessen
beizutragen. Der Diskurs über eine Green Economy                               dominierten Nachhaltigkeits­k onzepten
weist unserer Ansicht nach jedoch zentrale Leerstel-                           der 1990er Jahre verhaftet. (…) Grund-
len auf. Viele gängige Konzepte sehen sie als Wachs-                           legende Ungleichheits-, Macht- und
tumsmotor und betonen vornehmlich die Bedeutung
                                                                               Ausbeutungsverhältnisse auf nationaler
technologischer Innovationen für die Steigerung von
                                                                               sowie internationaler Ebene bleiben
Effizienz sowie Ziele der Wettbewerbsfähigkeit und
Standortsicherung (BMU und BDI 2012: 4). Im Zent-                              dabei unberührt.“
rum stehen dabei der Ausbau umweltorientierter Wirt-                           Bauriedl und Wichterich 2014: 2
schaftszweige bspw. im Bereich der erneuerbaren
Energien und der Elektromobilität und die Schaffung
‚grüner‘ Arbeitsplätze (green jobs) (ebd.; Fücks 2013).                     Um eine nachhaltige Entwicklung voran zu bringen,
                                                                            sind neben der Entwicklung von Technologien vor allem
Zwar werden in einigen Konzepten einer Green Econo-                         tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungsprozesse
my auch Aspekte wie Armutsbekämpfung und soziale                            notwendig. Unser Anliegen ist vor allem eine verstärkte
Gerechtigkeit benannt und die Ungleichverteilung von                        gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung der
Macht und Ressourcen thematisiert (BMBF und BMU                             bezahlten und unbezahlten Sorgearbeiten (Care-Arbei-
2012). Dabei werden durchaus auch Veränderungen                             ten) und der Erhalt der Reproduktionsfähigkeit von
der Konsummuster und Produktionsweisen als ein Teil                         Natur. Obwohl Care-Arbeiten und Naturproduktivität
möglicher Veränderungen diskutiert (genanet 2011: 2).                       die Basis jeglichen Wirtschaftens bilden, bleiben sie
Diese sozialen Aspekte prägen aber kaum die allge-                          nach wie vor fast gänzlich unbeachtet und unbewertet,
meine Debatte zu Green Economy oder nachhaltigem                            werden jedoch gleichzeitig als vermeintlich unendliche
Wirtschaften. Insgesamt wird in den meisten Kon-                            Ressourcen für das ökonomische System ausgenutzt
zepten zu Green Economy das westliche kapitalisti-                          und verwertet. Produktive Care-Leistungen, die immer
sche Produktions- und Konsummodell weitestgehend                            noch maßgeblich von Frauen erbracht werden, sowie
unhinterfragt vorausgesetzt und am ökonomischen                             die ökologische Produktivität werden also einerseits
Wachstumsziel festgehalten (genanet 2011: 1). Und                           als vermeintlich reproduktiv aus der Marktökonomie
dies obwohl die Entkoppelung des Wachstums vom                              abgespalten und externalisiert, gleichzeitig jedoch ver-
Ressourcenverbrauch bislang kaum gelungen ist, und                          einnahmt und ausgeschöpft (u.a. Biesecker und Hof-
Maßnahmen, die Energieeffizienz zu steigern, sich u.a.                      meister 2006; 2010: 70; genanet 2011: 6f; Bauhardt
aufgrund möglicher Rebound Effekte 1 nicht immer als                        2013: 11). Diese Diskussionen sind in unserem ersten
adäquate nachhaltige Strategien erweisen (ebd.: 3;                          Arbeitspapier CaGE-Texte Nr. 1 (Gottschlich et al.
vgl. hierzu u.a. Paech 2011; Santarius 2012). Zudem                         2014) näher dargestellt.
bedeuten neue und ‚grünere‘ Technologien zwar mit-
unter effizientere Produktionsabläufe, jedoch bergen                        Davon ausgehend beinhaltet unser Verständnis von
sie die Gefahr unerwünschter Effekte oder sogar bis-                        Green Economy einen umfassenden sozial-ökologi-
her unerkannter Risiken. 2 Neue Technologien und                            schen Transformationsprozess hin zu einer an Suffi-
Innovationen werden nur unzulänglich hinsichtlich                           zienz und Gerechtigkeit orientierten Entwicklung von
ihrer komplexen sozialen, ökonomischen und ökolo-                           Ökonomie und Gesellschaft, die explizit die Vorsorge
gischen Aspekte geprüft. Hierfür bedarf es verstärkt                        und die Sicherung der sozialen und natürlichen Res-
partizipatorischer und demokratischer Prozesse und                          sourcen in den Mittelpunkt jeden Wirtschaftens stellt
                                                                                                                                       CaGE Texte Nr. 3 / 2014 

Aushandlungsräume, welche eine wirkliche Mitgestal-                         (Gottschlich et al. 2014). Solch ein gesellschaftlicher
tung der unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteure                       und sozial-ökologischer Wandel erfordert eine Abkehr
ermöglichen.                                                                von der bisherigen ökonomischen Wachstumslogik
                                                                            hin zu einem Wirtschaftsmodell, welches die mensch-
                                                                            lichen Bedürfnisse in das gesellschaftliche und öko-
                                                                            nomische Zentrum rückt (Biesecker et al. 2012).
1    Der Rebound Effekt (rebound = engl. für Rückprall) meint, dass
gesteigerte Effizienz in der Produktion durch erhöhten Konsum und           Er erfordert ein Wirtschaftsmodell, in welchem es
damit steigende Produktion wieder relativiert wird (Santarius 2012).
                                                                            darum geht, für andere, für die Natur und für zukünfti-
2    Etwa wenn die Nutzung von Agrartreibstoffen in Europa durch den
monokulturellen Anbau von Ölpalmen zu der Enteignung von Kleinbauern
                                                                            ge Generationen zu sorgen, um ein „gutes Leben für
und Kleinbäuerinnen in Indonesien führt (Brand 2012: 4).                    Alle“ zu ermöglichen (genanet 2011: 2; Wichterich

                                                                       11
2012). Dies bedeutet sowohl die Produktivität der                politischen Rahmenbedingungen in wissenschaftlichen
vermeintlich reproduktiven Leistungen menschlicher               Einrichtungen und in Unternehmen sehen wir zentrale
und gesellschaftlicher Tätigkeiten als auch die ökologi-         Stellschrauben für Transformationsprozesse hin zu
sche Produktivität als Grundlage und Teil des Wirtschaf-         einer nachhaltigen und vorsorgenden Entwicklung.
tens anzuerkennen. Auf dieser Grundlage muss das
Ökonomische neu definiert werden. Ein ganzheitliches             Das Ziel der Empfehlungen ist es, Ansatzpunkte aufzu-
Ökonomieverständnis erfordert eine neue Definition               zeigen, wie Care, Gender und Green Economy verstärkt
von Arbeit, die die unterschiedlichen Arbeitsformen als          zusammengedacht werden können. Zudem identifi-
Bestandteil der Ökonomie anerkennt. Um gesellschaft-             zieren wir bestehende Potenziale und Möglichkeiten
lich notwendige Arbeit inter- und intragenerationell             wissenschaftlicher Einrichtungen und Unternehmen in
gerecht zu verteilen und individuelle Entscheidungs-             der Weiterentwicklung und Umsetzung einer nachhal-
möglichkeiten unabhängig von Geschlecht, Herkunft,               tigen Ökonomie als wesentliche Impulsgeberinnen und
Klasse etc. zu eröffnen, bedarf es einer grundsätzlichen         Treiberinnen eines gesellschaftlichen Wandels. Dabei
Umgestaltung der bestehenden Herrschaftsverhältnis-              richten sich unsere Empfehlungen und Strategien an
se ebenso wie einer grundlegenden Umverteilung von               verschiedene relevante Akteure aus dem Bereich der
Arbeit und Ressourcen.                                           Wissenschaft, der Forschungs- und Innovationspolitik
                                                                 sowie der Unternehmenspraxis.
In diesem Prozess des Neu- und Andersdenkens
von Ökonomie kommt der Wissenschaft eine zent-
rale Aufgabe zu: Sie kann durch eine entsprechende
Wissensproduktion die notwendigen gesellschaftli-                A WISSENSPRODUKTION
chen Transformationsprozesse mit anstoßen und als                Wissenschaftliche Institutionen agieren als Wissens-
Impulsgeberin agieren. Um über derartige zukünftige              produzentinnen und als Innovationsentwicklerinnen. Sie
Entwicklungen zu entscheiden, ist technokratisches               gestalten Themen, Inhalte, Werte und Diskurse zu Green
Expert_innenwissen allein kaum ausreichend. Insge-               Economy, Care, Gender und gesellschaftlichen Inno-
samt muss es darum gehen, eine Wissensproduktion                 vations- und Transformationsprozessen mit. Wissen-
zu stärken und zu fördern, die die Ursachen aktueller            schaftliche Ergebnisse und Erkenntnisse beeinflussen
sozial-ökologischer Krisen analysiert, verschiedene              die gesellschaftliche Sichtweise auf spezifische Themen
Akteure und ihr Wissen einbezieht und somit Grund-               und sind damit an der Konstruktion von Realitäten betei-
lagen für die Entwicklung einer sozial-ökologischen              ligt. Verschiedene wissenschaftskritische und feminis-
gesellschaftlichen Transformation schafft.                       tische Ansätze haben gezeigt, dass wissenschaftlicher
                                                                 Erkenntnisgewinn nicht im neutralen Raum geschieht,
Wir sehen darüber hinaus durchaus auch Ansatzpunkte              sondern beeinflusst ist von dem jeweiligen Subjekt,
in der privatwirtschaftlichen Unternehmenspraxis und             von den jeweiligen Erfahrungen, der disziplinären Aus-
geben auch hier einige Anregungen, wie Gender und                bildung und der jeweiligen spezifischen Perspektive auf
Care-Aspekte in die Praxis der Green Economy inte-               Themen (vgl. bspw. Knorr Cetina 1981). Welche Themen
griert werden können und identifizieren dafür schon              wie bearbeitet oder nicht bearbeitet werden, welche Fra-
vorhandene innovative Ansätze. Da die Praxis privatwirt-         gen gestellt werden oder nicht und welche Erkenntnisse
schaftlicher Unternehmen nicht dezidierter Teil des For-         dabei gewonnen oder nicht gewonnen werden, ist von
schungsauftrags war, behandeln wir sie hier allerdings           diesen Faktoren entscheidend beeinflusst. Feministi-
eher am Rande. Stattdessen rücken wir insbesondere               sche Wissenschaftstheoretiker_innen betrachten alles
das in unserem zweiten Arbeitspapier CaGE-Texte 2                Wissen aus diesem Grund als situiertes Wissen (Haraway
(Segebart et al. 2014) aufgezeigte Wirkungsfeld wissen-          1988). Sie betonen damit die Kontextgebundenheit wis-
schaftlicher Einrichtungen, und hier vor allem der Uni-          senschaftlicher Arbeit und des durch sie produzierten
versitäten, in den Fokus. Dieses Feld ist charakterisiert        Wissens. Das feministische Paradigma des situierten
durch das Zusammenwirken verschiedener Prozesse                  Wissens thematisiert insbesondere die Bedeutung von
                                                                                                                             CaGE Texte Nr. 3 / 2014 

und Institutionen der gesellschaftlichen Wissenspro-             Machtverhältnissen unter den Wissensproduzent_innen
duktion, der institutionalisierten Forschungs- und Inno-         für die Wissenschaften. „Das betrifft die Bedingungen
vationspolitik sowie – als zwei zentrale Handlungsfelder         der Möglichkeit, überhaupt WissenschaftlerIn werden
wissenschaftlicher Einrichtungen – dem Wissens- und              zu können, bis hin zur Frage, warum etwas als wissen-
Technologietransfer durch wissenschaftliche Einrich-             schaftlich anerkannt wird oder nicht. Das betrifft die
tungen nach außen und der Ausgestaltung von Beschäf-             Auswahl dessen, was als erklärungsbedürftig angesehen
tigungsverhältnissen innerhalb der Einrichtungen. In der         wird, das heißt die Wahl der Forschungsfragen … sowie
Ausrichtung und Akzentsetzung der bundesdeutschen                jene Prozesse, die einer wissenschaftlichen Erkenntnis
Forschungs- und Innovationspolitik, der Förderung aka-           zu ihrer Durchsetzung verhelfen …“ (Singer 2010: 293).
demischer Ausgründungen und der beschäftigungs­                  Feministische Wissenschaftskritiker_innen haben in diesem

                                                            12
Zusammenhang auch die Geschlechterblindheit des                            EMPFEHLUNG I
dominanten wissenschaftlichen Wissens kritisiert (vgl.                     Kritische Wissensproduktion fördern
auch Gottschlich et al. 2014).                                             Damit positionieren wir uns im Sinne einer herr-
                                                                           schaftskritischen und selbstreflexiven, transformativen
Für Forschung, Lehre und Wissensproduktion zu Green                        Wissen­schaft (Gottschlich 2013; Jahn 2013). Hierbei
Economy hat das entscheidende Bedeutung: Denn auch                         geht es u.a. darum, die Geschlechterblindheit vorherr-
das Wissen, welches zum Themenfeld Green Economy                           schender Forschung und Debatten zu Green Economy
und den damit in Verbindung stehenden Innovations-                         aufzuzeigen und weitere Ungleichheitskategorien wie
und Veränderungsprozessen produziert wird, ist weder                       Ethnizität, Klasse, Alter etc. zu berücksichtigen. Dar-
objektiv noch geschlechtsneutral. Es ist vielmehr beein-                   über hinaus fehlt es an differenzierten Analysen und
flusst von den jeweiligen Wissensproduzent_innen,                          schärfender, vertiefter Begriffsarbeit im Zusammen-
ihrem historischen, sozialen und kulturellen Kontext,                      denken von Care, Gender und Green Economy. Hierbei
ihrem Geschlecht und vor allem von den herrschenden                        muss das Rad nicht neu erfunden werden, sondern es
Machtverhältnissen in Wissenschaft und Gesellschaft.                       kann auf zahlreiche und unterschiedliche Analysen aus
Diese beeinflussen die Auswahl der Themen und Frage-                       der feministischen Ökonomik und anderen kritischen
stellungen, die in wissenschaftlichen Untersuchungen                       Theorien und Strömungen zurückgegriffen werden
zu Green Economy bearbeitet werden, und die Durch-                         (Haidinger und Knittler 2014; Gottschlich et al. 2014).
und Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse.                                 Es geht also darum, die Weiterentwicklung der femi-
                                                                           nistischen Forschung und insbesondere der feminis-
In einer Studie zur Integration von Gender in Verwal-                      tischen Ökonomik der letzten Jahrzehnte samt ihrer
tungshandeln wird dieses Phänomen auch als selektive                       Verschiebungen (von der Hausarbeitsdebatte bis hin
Perzeption bezeichnet: Es werden nur die fach- und                         zur Politisierung von Care-Arbeit) zu stärken. Die For-
ressortspezifischen Aufgaben behandelt, die in den                         derung, Arbeit müsse neu bewertet und gedacht werden,
jeweiligen Zuständigkeitsbereich fallen, wodurch Gender                    ist keine neue, und gleichzeitig ist sie angesichts der
als Querschnittsthema, „als randständig, nicht zum Auf-                    Verschärfung der Arbeitsbedingungen im Bereich der
gabengebiet gehörig angesehen und deswegen vernach-                        Pflege, Bildung, Gesundheitsversorgung vor dem
lässigt bzw. ignoriert“ wird (Veit 2010, zitiert nach Sauer                Hintergrund gesellschaftlicher und demografischer
2014: 36). Hinzu kommt, dass feministische Forschung                       Veränderungen aktueller denn je.
und Gender-Perspektiven gesellschaftlich wenig Aner-
kennung erfahren und somit die Marginalisierung auch
in wissenschaftlichen Kontexten verstärkt wird (Geppert
                                                                             „Die Frage, wie eine Gesellschaft die
und Lewalter 2012, zitiert nach Sauer 2014: 36).                              Betreuung, Begleitung und Versorgung
                                                                              von Kindern, Kranken und Älteren
Gerade wenn von der Wissenschaft Antworten auf kom-                           organisiert– das also, was im Kern
plexe Probleme erwartet werden – und Nachhaltigkeits-
                                                                              die sogenannte Care-Ökonomie oder
forschung versteht sich explizit als System-, Ziel- und
Transformationswissen generierend –, dann muss es
                                                                              Sorgeökonomie ausmacht – wird
darum gehen, eine Wissensproduktion zu stärken und zu                         mehr und mehr zur Schlüsselfrage
fördern, die die Ursachen aktueller sozial-ökologischer                       der ökonomischen, sozialen und
Krisen analysiert, verschiedene Wissensformen einbe-                          ökologischen Entwicklung.“
zieht und somit Grundlagen für die Entwicklung einer
                                                                              Baumann 2013: 6
sozial-ökologischen gesellschaftlichen Transformation
schafft. Dabei kann die Einbeziehung der Care-Pers-
pektive und der Kategorie Geschlecht als eye-opener                        Im Zentrum der frühen feministischen Debatten stand
für verschiedene, sich verschränkende soziale Ungleich-                    schon immer die Kritik an der Trennung von Arbeit in
heitsverhältnisse fungieren und die Berücksichtigung                       bezahlte Erwerbsarbeit und nicht bezahlte Reproduk-
                                                                                                                                     CaGE Texte Nr. 3 / 2014 

feministischer Theorie und intersektionaler Debatten zum                   tionsarbeit und deren Sichtbarmachung als Teil der
Sichtbarmachen von Verzerrungen und blinden Flecken                        Ökonomik (Biesecker und Gottschlich 2013: 178; Bau-
in vielen herkömmlichen Analysen produktiv beitragen                       hardt und Çağlar 2010: 7). Ausgehend von dieser Kritik
(Gottschlich und Katz 2013; Schultz und Wendorf 2006).3                    der Abspaltung und Abwertung reproduktiver Tätig-
                                                                           keiten fordern feministische Ökonom_innen bereits
3      Intersektionalitätsforschung bedeutet, den Blick auf die            seit vielen Jahren die Sichtbarmachung des „Ganzen
Verschränkungen von Ungleichheiten und gesellschaftlichen
Differenzierungen zu richten und die Wechselwirkungen verschiedener
                                                                           der Ökonomie“ und des „Ganzen der Arbeit“ (Biesecker
Kategorien wie bspw. Klasse, Geschlecht, Herkunft, Alter, sexueller        und Gottschlich 2013: 178). Hierzu bedarf es diffe-
Orientierungen, Nicht-/Behinderung sowie deren gegenseitige
Abschwächung und Verstärkung zu analysieren und sichtbar zu machen
                                                                           renzierter Analysen zu der Frage, wie Care-Ökonomie
(vgl. z. B. Aulenbacher und Riegraf 2012).                                 gesellschaftlich anerkannt und bewertet werden kann,

                                                                      13
ohne Care-Arbeiten zu kommodifizieren und diese in               muss und nicht über eine Steuerfinanzierung gedeckt
das bisherige ökonomische System einzuhegen und                  wird, die alle Kapitalerträge einbeziehen könnte. Nach-
damit der gängigen Profitlogik zu unterwerfen. Parallel          haltiges Wirtschaften ist auf ein solidarisches Miteinan-
hierzu geht es ebenso darum, die Diskussionen über               der der Generationen angewiesen, wozu auch gehört,
eine Monetarisierung von Natur und der fortschreiten-            Verantwortung und Lasten gerecht zu verteilen und
den Ausbeutung natürlicher Ressourcen und damit ver-             Kosten nicht auf zukünftige Generationen abzuwälzen.
bundene Ambivalenzen in die Analysen einzubeziehen.
Dies setzt voraus, dass Trennungsstrukturen offenge-             Des Weiteren bedarf es der Verknüpfung eben die-
legt und Zusammenhänge neu gedacht werden. Dabei                 ser Zusammenhänge von Care, Gender und Green
rücken u.a. längst diskutierte Fragen nach der Unter-            Economy mit aktuellen Debatten zu Postwachstum,
scheidung von Öffentlichem und Privatem, der indivi-             commons, share economy etc. Obgleich vereinzelt Wis-
duellen und strukturellen Ebene, von Oberfläche und              senschaftler_innen und Akteure feministische und wei-
Tiefenstruktur ins Zentrum. Alle diese Fragen sind von           tere herrschaftskritische Perspektiven in die Debatten
Relevanz bei der Gestaltung und Konkretisierung einer            einbringen, mangelt es an Ansätzen, Care-Ökonomie
sozial-ökologischen Ökonomie.                                    und damit verbundene ungleiche Geschlechterverhält-
                                                                 nisse bspw. in der Debatte um Grundeinkommen
Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf die jewei-             mitzudenken. Zudem fehlen sowohl die grundle-
ligen Widersprüche und Ambivalenzen gelegt werden.               gende Einbeziehung intersektionaler Sichtweisen als
In dem Zusammendenken von Care, Gender und Green                 auch Analysen zur Verknüpfung und Verschiebung von
Economy ist es wichtig, die vielfältigen und sich über-          Ungleichheitskategorien.
schneidenden intersektionalen Ungleichheiten sichtbar
zu machen, um neue Ein- und Ausschlüsse zu vermei-               Alternativen und neue Wege, die bisherige Verhält-
den. Damit bspw. Frauen in Westeuropa erwerbstätig               nisse in Frage stellen, können gleichzeitig Ängste vor
sein können, verschiebt sich zunehmend die Zustän-               individuellen Veränderungen und Nachteilen hervorru-
digkeit für die Versorgungsökonomie hin zu Migrant_              fen wie auch Unsicherheiten in Bezug auf grundlegen-
innen, die diese in prekären Arbeitsverhältnissen und            de gesellschaftliche Umbrüche. Diese Ängste sind vor
häufig illegalisiert leisten. Ebenso geht es darum, For-         allem auch vor dem Hintergrund des gegenwärtigen
schungsperspektiven auf globale Betreuungsketten                 Auflebens rechtspopulistischer und rechtsextremer Par-
(care-chains) zu differenzieren und die komplexen Ver-           teien und nationalistischer Diskurse in Europa ernst zu
zweigungen innerhalb der Versorgungsverhältnisse zu              nehmen und in die Überlegungen einzubeziehen. Es gilt
berücksichtigen (Lutz und Palenga-Möllenbeck 2011).              daher auch mentale Strukturen und Gefühlsebenen zu
                                                                 untersuchen.
Gleichzeitig sind es längst nicht mehr ausschließlich
Frauen, welche durch die alltäglichen Anforderungen              Nicht zuletzt fehlt es an genderrelevanten Daten wie
und die Koordinierung von unbezahlter und bezahlter              Meike Spitzner in ihrem Beitrag ab Seite 34 darlegt.
Arbeit einen Balanceakt leisten müssen und häufig über-          Differenzierte Erhebungen und die Entwicklung der ent-
belastet sind. D.h. es geht um eine differenzierte Analy-        sprechenden Methodologien, die die geleistete unbe-
se, die einerseits sorgende Männer und die Veränderung           zahlte und bezahlte Arbeit jährlich und EU-weit abbilden
tradierter Geschlechterarrangements im Care-Bereich              und gegenüberstellen, können die erwerbsökonomische
in den Blick nimmt, andererseits Unterschiede innerhalb          und die versorgungsökonomische Verteilung von Arbeit
der keineswegs homogenen Gruppe der Frauen und                   verdeutlichen. Zudem bedarf es weiterer Anstrengun-
damit verbundene Hierarchisierungen betrachtet. Durch            gen zur Implementierung der Kategorie Gender sowohl
die Zunahme von Teilzeitbeschäftigungen und Minijobs,            in der Wissensproduktion als auch in der Forschungs-
befristete Verträge und die Flexibilisierungs- und Ent-          förderung (siehe dazu folgendes Kapitel B).
grenzungsprozesse verändern sich die Arbeitsbedin-
gungen nicht nur im Wissenschaftsbereich, sondern für            EMPFEHLUNG II
                                                                                                                             CaGE Texte Nr. 3 / 2014 

alle Menschen – vor allem auch auf globaler Ebene. Hier          Vorhandene Bündnisse stärken und
bedarf es verstärkt kritischer Analysen zu veränderten           neue Allianzen bilden
gesellschaftlichen Arbeits- und Lebensbedingungen                Die Forderung, bestehende Bündnisse und Netzwerke
und damit verbundenen veränderten Geschlechterar-                zu stärken und neue Allianzen zu bilden, ist an dieser
rangements und neuen Problemlagen. Darüber hinaus                Stelle vorrangig an die scientific community gerichtet,
gilt es, die staatliche Reformpolitik zu reflektieren und        unter der wir universitäre und außeruniversitäre wis-
zu prüfen, inwiefern durch politische Regulierungen              senschaftliche Akteure verstehen. Um die vorhande-
Probleme zweiter Ordnung entstehen, wenn bspw. die               nen Arbeiten und Ansätze einzubeziehen und auch auf
Hauptlast der Kosten für eine (notwendige) Pflegere-             bereits Bestehendes aufbauen zu können, sind Koope-
form von den Beitragszahler_innen geschultert werden             rationen und Netzwerke über diese Zusammenhänge

                                                            14
hinaus wichtig. Diese sollten daher vorangetrieben                             Netzwerk aus acht bundesdeutschen ökologischen
und finanziell unterstützt werden. Oftmals verlaufen                           Forschungseinrichtungen.5 Die hier versammelten
zunächst euphorische Vernetzungsprozesse aufgrund                              Institute gründeten sich „aus den konkreten Heraus-
von Zeit- und Ressourcenmangel im Sande, und inter-                            forderungen der ökologischen und nachhaltigkeits-
disziplinäre und größere Forschungskonstellationen                             orientierten Wende“ und dem Anspruch und Bedarf
stehen häufig vor beträchtlichen institutionellen und                          nach wissenschaftlichen Einrichtungen, die diese not-
disziplinären Hürden. Deshalb ist die Innovations- und                         wendigen Transformationsprozesse wissenschaftlich
Forschungsförderung gefragt, eben diese Prozesse                               begleiten und voran treiben können. Ihr erklärtes Ziel
zu ermöglichen und ggf. auch mittel- und langfristig                           ist „die Förderung transdisziplinärer Nachhaltigkeits-
strukturell zu unterstützen (siehe dazu folgendes Kapi-                        wissenschaft im deutschen Wissenschaftssystem –
tel B). Voraussetzung für Allianzen ist eine Offenheit                         sowohl in Hochschulen als auch in außeruniversitären
dafür, das Eigene mit anderen theoretischen Arbeiten                           Forschungs­einrichtungen.“6
und methodischen Ansätzen zu verbinden, von ande-
ren Disziplinen zu lernen und gemeinsam Begriffe (neu)                         Allerdings spielen auch in diesen Initiativen und Alli-
zu definieren. In interdisziplinären Kooperationen,                            anzen für eine transformative und nachhaltigkeitsori-
vor allem jedoch in der Zusammenarbeit verschiede-                             entierte Wissenschaft und Forschungspolitik bisher
ner Institutionen geht es darum, Übersetzungsarbeit                            Geschlechtergerechtigkeit und Care-Aspekte eine nur
zu leisten, um die Relevanz von Gender, Care und                               untergeordnete bis gar keine Rolle. Für eine Wissen-
nachhaltigem Wirtschaften zu verdeutlichen. Hier-                              sproduktion, die einen signifikanten Beitrag zu einer
bei geht es nicht ausschließlich um die Übersetzung                            nachhaltigen Ökonomie und Gesellschaft leisten will,
wissenschaftlicher Erkenntnisse in praxistaugliche                             ist die Berücksichtigung von Gender und Care als die
Maßnahmen. Vielmehr geht es um eine gemeinsame                                 (re)produktive Basis jeder Gesellschaft jedoch Grund-
Wissensproduktion und die Übertragung gesellschaftli-                          voraussetzung.
cher Problemstellungen in konkrete Forschungsfragen.
Die gemeinsame Sprache muss dabei nicht nur zwi-                               Darüber hinaus gilt es, von anderen Konzepten zu ler-
schen Disziplinen gefunden werden, sondern ebenso                              nen und Perspektiven aus anderen Regionen einzu-
zwischen verschiedenen Kooperationspartner_innen                               beziehen – wie bspw. buen vivir, feminismo popular
wie Unternehmen, Kommunen, Wissenschaft, Bürger_                               oder environmental justice. Diese sollten jedoch nicht
innen, sozialen Bewegungen. Diese Übersetzungsar-                              unreflektiert angeeignet und als Containerbegriffe
beit lässt sich damit als Integrationsleistung verstehen,                      verwendet werden, sondern vielmehr dazu anregen,
denn sie geht über das Finden gemeinsamer Begriffe                             vorherrschende eurozentrische Konzepte und deren
und Verständnisse hinaus und erfordert ebenfalls die                           Maßstab für bspw. Gerechtigkeit zu hinterfragen, d.h.
gleichrangige Einbeziehung unterschiedlicher Wis-                              ihre Entstehungsgeschichte und ihren Einfluss auf das
sensformen zur Lösung lebensweltlicher Probleme.                               Verständnis von universalen Konzepten wie Gerechtig-
Dabei gilt es zu vergegenwärtigen, dass Wissen auch                            keit zu berücksichtigen.
immer an Werte geknüpft ist, die es offenzulegen und
zu reflektieren gilt. Diese Forderung nach Reflexion                           Unsere Forderungen sind nicht zuletzt auch ein Plä-
schließt damit auch anwendungsorientiertes Wissen,                             doyer für das Bilden von Allianzen zwischen femi-
das zur Gestaltung sozial-ökologischer Transformati-                           nistischer   Nachhaltigkeitsforschung,   politischer
onsprozesse unter Beteiligung möglichst vieler gesell-                         Care-Bewegung und sozialen Bewegungen zu alter-
schaftlicher Akteure erarbeitet wird, ein – vor allem                          nativen Ökonomiekonzepten und Alltagspraktiken, wie
auch hinsichtlich unbekannter zukünftiger Entwicklun-                          z.B. die Bewegungen zu Postwachstum, Commons
gen und im Umgang mit Nichtwissen (Jahn et al. 2012).                          und Share Economy, die momentan an Zulauf und
                                                                               Kraft gewinnen.
Diesen Grundsätzen sehen sich beispielsweise auch die
wissenschaftlichen Einrichtungen verpflichtet, die sich in
                                                                                                                                                         CaGE Texte Nr. 3 / 2014 

der ‚NaWis-Runde Verbund für nachhaltige Wissenschaft‘
vereint haben. Ihr erklärtes Ziel ist „die Förderung trans-
disziplinärer Nachhaltigkeitswissenschaft im deutschen
                                                                               5     Zum „Ecological Research Network“ (Ecornet), dem
Wissenschaftssystem – sowohl in Hochschulen als                                Netzwerk der außeruniversitären, gemeinnützigen Umwelt- und
auch in außeruniversitären Forschungseinrichtungen.“4                          Nachhaltigkeitsforschungsinstitute in Deutschland, gehören
                                                                               die folgenden Institutionen: Ecologic Institut, ifeu – Institut für
Einen vergleichbaren Ansatz hat das ECORNET, ein
                                                                               Energie- und Umweltforschung Heidelberg, Institut für ökologische
                                                                               Wirtschaftsforschung (IÖW), ISOE – Institut für sozial-ökologische
4     Dazu gehören die Universität Kassel, die Leuphana Universität            Forschung, IZT – Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung,
Lüneburg, das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH und           Öko-Institut e. V., Unabhängiges Institut für Umweltfragen (UfU) ,
das Institute for Advanced Sustainability Studies in Potsdam.                  Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.
http://www.nawis-runde.de/nawis-home.html (letzter Zugriff 01.09.2014).        6    http://www.ecornet.eu/profil.html (letzter Zugriff 01.09.2014).

                                                                          15
Sie können auch lesen