Moos und los! - 3|16 - Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V - Bundesvereinigung ...

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PRINZIPIEN
                                     PRAXIS
                                     PERSPEKTIVEN

    3 |16

Moos und los!
            Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V.
Moos und los! - 3|16 - Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V - Bundesvereinigung ...
© Frank Eidel

                                                                   Eckart von Hirschhausen
                                                                          Kleinkunst ist große Kunst. Hätte ich nicht sehr früh im Le-
                                                                          ben die Chance gehabt, meine Leidenschaft für Zauberei und
                                                                          Kabarett auf kleinen Bühnen wie dem Scheinbar-Varieté, dem
                                                                          Zebrano-Theater oder in der Theater-AG der Schule auszu-
                                                                          probieren, wäre mein Leben sehr anders verlaufen. Deshalb
                                                                          DANKE an alle, die ehrenamtlich oder für kleines Geld die
                                                                          Künstler von morgen schon heute fördern. Es ist noch kein
                                                                          Meister vom Himmel gefallen, aber alle schon mal auf die
                                                                          Schnauze. Der große Wert von Bühnenkunst ist heute wich-
                                                                          tiger als je zuvor: sich einem Künstler, einer Idee, einem The-
                                                                          ma zu öffnen und hinzugeben. Analog. Auf dem eigenen Hin-
                                                                          tern, mit Herz und Kopf, verbunden mit anderen. Wenn dieses
                                                                          Wunder gelingt, entstehen positive Gemeinschaftserlebnis-
                                                                          se, die Künstler und Publikum verändern, manchmal für ein
                                                                          Leben lang. Das ist einer der Schätze unserer Kultur, die wir
                                                                          fördern und fordern müssen, für Jung und Alt, für Komik und
                                                                          Tragik, für laut und leise.      www.hirschhausen.com
                Aus: Über uns. Imagebroschüre der Bundes-
                vereinigung Soziokultureller Zentren e.V., S. 20
Moos und los! - 3|16 - Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V - Bundesvereinigung ...
SOZIOkultur 3 |2016                     | E DI TOR I A L |                                                 1

                      Für Geld gibt es viele Synonyme: Knete, Asche, Heu, Pinke, Kies, Zaster, Moneten,
                      Kröten, Mäuse, Knöpfe, Mammon, Kohle und mehr.
                        Um diese Ausgabe zu überschreiben haben wir uns für Moos entschieden.
                      Es ist das einzige der sinnverwandten Worte, das für uns wichtige strukturelle
                      Eigenschaften impliziert. Moos breitet sich meist am Boden aus. Es wächst nicht
                      in den Himmel. Erst unzählige Blättchen, Stämmchen und Würzelchen bilden
                      einen sichtbaren Teppich. Damit trifft es die Situation der Soziokultur gut. Ihre
                      Leistungen werden von Abertausenden Engagierten erbracht. Sie unterbreitet
                      niedrigschwellige Angebote und geht zur Sicherung des eigenen Betriebs mit
                      vergleichsweise bescheidenen Beträgen um. Aber auch kleine Beträge müssen
                      erst einmal da sein, bevor es ernsthaft „losgehen“ kann.
                        In diesem Heft liegt der Schwerpunkt nicht auf Fördermitteln als Finanzierungs-
                      quelle, sondern auf den Strukturen, die die Zentren schaffen, um Mittel einzu-
                      nehmen beziehungsweise zu erwirtschaften. Und: mit diesen Mitteln transparent,
                      demokratisch und rechtsgemäß umzugehen.
                        Sowohl im Blick auf ihre Größe und ihr inhaltliches Angebot, als auch auf die
                      verfügbaren Fördermittel füllen die soziokulturellen Zentren ein breites Spektrum.
                      Entsprechend vielfältig sind die Formen, in denen sie ihre Arbeits- und Finanzie-
                      rungsstrukturen ordnen beziehungsweise über die sie nachdenken. Genossen-
                      schaften, GmbHs, Stiftungen und Fördervereine sind hier Stichworte.
                        Zunehmend spielen digitale Möglichkeiten wie Crowdfunding eine Rolle. Vom
                      Erbe-Werden über Spenden bis Merchandising reichen die Überlegungen, neue
                      Quellen für ein Mindestmaß an verlässlicher Sockelfinanzierung zu erschließen.
                        Andererseits ist womöglich manches soziokulturelle Werk zu vollbringen, ohne
                      dass überhaupt Geld fließen muss. Immer wieder befinden sich deshalb neue
                      Wege des Teilens und Tauschens in der Debatte.
                        Das Thema wird ein Dauerbrenner bleiben. Hier geben wir einen aktuellen
                      Einblick. Vielleicht finden Sie die eine oder andere Anregung.

                      Ellen Ahbe, Geschäftsführerin der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V.
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SOZIOkultur 3 |2016                                                      | I NH A LT |                                                                                 3

                  THEM A                                                                        KONT I NE NT K U LT U R

               Moos und los!                                                                 Tauschen und Teilen
               Alternative Arbeits- und Finanzierungsstrukturen                             Erstes Kultursymposium des Goethe-Instituts in Weimar
                                                                                             JENNY ENDRO                                                             18
               Patchwork in Bewegung
               Arbeits- und Finanzierungsstrukturen in der Soziokultur                          BU NDE S K U LT U R P OLI T I K
               SI E GFRI E D DIT T L ER                                                 5   Welche Rolle spielen Frauen im Kulturbereich?
                                                                                             Zur Studie des Deutschen Kulturrates „Frauen in Kultur und Medien”
               Unterstützenswert                                                             G A B R I E L E SC H U LZ                                               20
               Mit der Crowd zur Umsetzung der eigenen Projektidee
               MARKUS S EIT Z                                                           7      P R OJ E K T „ J U GE ND I NS Z E NT RU M ! ”
                                                                                             WORD UP!
               Geld regiert die Welt. Wer regiert das Geld?
                                                                                             „U 18 Poetry Slam Festival” und Workshops in Speyer
               Der Verein Monetative e.V. setzt sich für eine gemeinnützige
                                                                                             DA N I E LA G E I S / J O N A S TR E I B E L                            22
               Geldreform ein
               THOMAS G. B ET Z                                                         8      V E R BA ND A K T U E LL

               Geld zerstört Beziehungen – Zeit ermöglicht sie!                              KSK / Position / Projekt „START” / Statistik                            24
               Interview mit Gabriele Donati, Gründer von TIMEREPUBLIK                          AU S DE N LÄ NDE R N
               KRI STI NE S C HÜ T T                                                    9
                                                                                             KULTURENTWICKLUNGSPLANUNG: H A M BU R G
               Genossenschaften – ein wirtschaftliches Erfolgsmodell
               für viele Zwecke                                                              Die Elbphilharmonie reicht nicht aus
               EDDA RYD ZY                                                         10
                                                                                             Stadtteilkultur zwischen Wertschätzung und Existenzbedrohung
                                                                                             CORINNE EICHNER                                                         26
               Das Modell Stiftung Pfefferwerk
               Eine denkmalgeschützte Immobilie wird zum Stiftungskapital                    HAMBURG
               MARGI TTA HAERT EL                                                  12       Ausgezeichnet
                                                                                             Stadtteilkulturpreis 2016 an Zinnschmelze für Projekt
               Baue Utopiastadt!                                                             „Welcome Music Session”27
               CHRI STI AN HAM PE                                                  14
               Die Initiative Mein Grundeinkommen                                            NI E DE R S AC H S E N
               KRI STI NE S C HÜ T T                                               14       Die Orgel ist nicht mehr da!
               Nachhaltige Werbemittel                                                       Die Agentur für kreative ZwischenRaumNutzung in Hannover
               MARI E CZAR N IKO W                                                 14       I N G R I D W AG E M A N N                                              28

               Einer der Größten                                                             RHEINLAND-PFALZ
               Der Förderverein für das Kulturhaus Osterfeld e.V. in Pforzheim               Kulturarbeit auf Augenhöhe
               SI E GFRI E D DIT T L ER                                            15       Symposium „REFUGIUM. Räume für Kultur(en) – Kulturarbeit
                                                                                             mit, für und von Geflüchtete(n)”
               PORTRÄT: BERNDT URBAN UND DAS E-WERK ERLANGEN
                                                                                             I N G M A R F LAC H / M A R G R E T STA A L                             29
               Kraft und Energie – und gewusst wie
               Berndt Urban am Werk oder: Die Wege des E-Werks Erlangen zu                     TIPPS                                                                30
               einer tragfähigen Finanzierungsstruktur                                         IMPRESSUM                                                            32
               EDDA RYD ZY                                                         16
                                                                                               ADRESSEN DER LANDESVERBÄNDE                                          32

                                                                                             Redakteur/-innen des Thementeils:
                                                                                             S I E G F R IE D D I T T L E R , Geschäftsführer der Waschhaus Potsdam gGmbH
                                                                                             E D DA RY DZ Y, freie Autorin mit Vortrags- und Lehrtätigkeit

                                                                                             Titel: Tauschen und Teilen. Erstes Kultursymposium des Goethe-Instituts
                                                                                             in Weimar © Goethe-Institut/Jörg Gläscher. Siehe Beitrag S. 18.

                                                                                             Themenschwerpunkt der nächsten Ausgabe: Kreativer Widerstand
Moos und los! - 3|16 - Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V - Bundesvereinigung ...
4       T H EM A                                 SOZIOkultur 3|2016
     MOOS UND LOS!

                     Soziokultur stellt sich wichtigen gesell-
                     schaftlichen Aufgaben. Trotz öffentlicher
                     Förderung ist die Situation oft prekär.
                     Alternative Arbeits- und Finanzierungs-
                     strukturen eröffnen neue Handlungs-
                     spielräume.

Moos und los!
Moos und los! - 3|16 - Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V - Bundesvereinigung ...
SOZIOkultur 3 |2016                                                          T H EM A                                                                     5
                                                                          MOOS UND LOS!

                                                     Patchwork in Bewegung
                                                     Arbeits- und Finanzierungsstrukturen in der Soziokultur

                                                     S I E G FRI E D D I T T LE R                        dann ist es nicht unbedingt einfach, die nöti-
                                                                                                         gen geringen Finanzen aufzutreiben. Doch der
                                                                                                         Umgang damit ist nicht schwer. Die Beteiligten
                                                     Dynamische Vielfalt                                 können die paar Zahlen im Kopf behalten. Die
                                                     Die Diversität der soziokulturellen Zentren legt    Buchhaltung bereitet wenige Schwierigkeiten
                                                     Gedanken an Patchwork nahe. Unterschiedlich         und Planungen erstrecken sich über kurze Zeit-
                                                     wie ihre Größe oder inhaltliche Schwerpunkt-        räume.
                                                     setzung zeigen sich auch die Strukturen und
                                                     Rechtsformen, mit deren Hilfe sie ihre Ziele ver-   Das ändert sich, sobald die Anzahl der Mitstrei-
                                                     folgen. Ebenso die Quellen, aus denen sich ihre     ter/-innen wächst, Mitarbeiter/-innen eingestellt
                                                     Einnahmen zusammensetzen.                           werden, größere Immobilien und ein dichterer
                                                                                                         Veranstaltungskalender eine Rolle spielen. Es
                                                     Unter den mehr als 500 soziokulturellen Zent-       entwickelt sich eine ganze Komplexität von
                                                     ren gibt es solche, die vollständig ehrenamtlich    Vorgängen, Aufgaben und Strukturen. Die wahr-
                                                     arbeiten und andere mit 60 und mehr angestell-      zunehmende Verantwortung reicht dann in die
                                                     ten Mitarbeiter/-innen. Manche der Einrichtun-      mittlere und fernere Zukunft. Nicht nur Mitar-
                                                     gen arbeiten ohne feste Räume. Nicht wenige         beiter/-innen, Vereinsmitglieder, Nutzer/-innen,
                                                     verfügen über ganze Häuser und lassen andere        Besucher/-innen, Spender/-innen und Förderer
                                                     Nutzer/-innen in ihre Räume. Einige Länder und      verlangen zu Recht Rechenschaft darüber, wie
                                                     der Bund messen der Soziokultur einen hohen         mit dieser Verantwortung umgegangen wird.
                                                     beziehungsweise wachsenden Stellenwert zu,          Auch die Finanzämter tun das. Hinter allen
                                                     andere einen geringen. Entsprechend sieht die       Strukturentscheidungen stehen die Fragen nach
                                                     Förderbereitschaft aus. Im Durchschnitt erwirt-     Demokratie, nach Transparenz und nach wirt-
                                                     schaften die Zentren mit mehr als 82 Millionen      schaftlicher Solidität.
                                                     Euro knapp die Hälfte ihrer Einnahmen selbst.
                                                     Dieser Durchschnitt steht für eine Spannbrei-
                                                                                                         Die Wahl haben
                                                     te von sehr wenig bis zu über 80 Prozent. Die
                                                     selbst erwirtschafteten Einnahmen stammen           Es gibt sie nicht, die eine optimale Lösung für
                                                     etwa zur Hälfte aus Eintrittsgeldern, darüber       alle und alles. Das beginnt schon bei der Be-
                                                     hinaus aus Kursgebühren, Gastronomie-Erlösen,       wirtung. Kleine Zentren fahren oft gut damit,
                                                     Vermietungen, Mitgliedsbeiträgen, Spenden           ihre Veranstaltungen in den Räumen aufge-
                                                     und anderem mehr.1                                  schlossener Gastwirte durchzuführen. Größere
                                                                                                         und große müssen je nach ihren Bedingungen
                                                     Unabhängig von ihrer Größe gilt für die Zentren:    entscheiden, ob sie die Gastronomie selbst be-
                                                     Sie sind lebendig. Damit ändern sich auch ihre      treiben oder sie verpachten oder mit externen
                                                     finanziellen Bedingungen dynamisch. Zeit zum        Caterern arbeiten.
                                                     Ausruhen gibt es nicht. Auch jenseits der be-
                                                     reitgestellten oder zu erlangenden Fördermittel     Ähnlich verhält es sich mit den Rechtsformen, die
                                                     bleibt die Geldfrage ein permanentes Thema.         die Zentren für sich wählen. Für viele ist der ein-
                                                                                                         getragene gemeinnützige Verein die effektivste
                                                                                                         Variante. Andere haben sich dafür entschieden,
                                                     Erfolg verpflichtet
Aufbau der Ausstellung                                                                                   GmbHs oder Genossenschaften zu gründen. In
                  AlarmTheater Bielefeld
von Stella Hamberg„Herzrasen
                    im        – Zeit der Wunde(r)”   Viele Aktive der Soziokultur haben klein ange-      den seltensten Fällen war der beste Weg von An-
Kunstraum Potsdam,© 2016
                     Cornelia Lembke                 fangen oder tun es jetzt, in diesen Tagen. Wenn     fang an da. Es gab in den Jahrzehnten Entwick-
                    Siehe S. 16                      eine Gruppe Engagierter sich für eine soziokul-     lungen mit Fortschritten, Rückschlägen, Krisen
                                                     turelle Idee begeistert und diese neben dem         und Konflikten, bevor die Entscheidung für die
                                                     Job oder Studium zu verwirklichen beginnt,          eine oder andere Form erstritten war.
Moos und los! - 3|16 - Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V - Bundesvereinigung ...
6                                                                     T H EM A                                                              SOZIOkultur 3|2016
                                                                   MOOS UND LOS!

                                                   entsteht. Außerdem kann aus der Vernetzung           mit Fundraising befassen, um künftig zielgerich-
                                                   der neuen Strukturen und Werkzeuge ein Mehr-         tet aus diesen Ressourcen zu schöpfen. Bei der
                                                   fachnutzen entstehen. Ohne zu verschweigen,          Erschließung neuer Quellen geht es um Unab-
                                                   dass diese neuen zusätzlichen Finanzquellen ei-      hängigkeit und auch darum, am Puls der Zeit zu
                                                   nen enormen Aufwand an Qualifikation, Evalua-        bleiben. Aber keineswegs darum, die öffentliche
                                                   tion und Debatte erfordern: Auch hier gilt, dass     Hand aus der Verantwortung zu entlassen.
                                                   sich nach schwierigeren Entwicklungszeiten op-
                                                   timale Wege auftun können.                           Soziokultur arbeitet an gesellschaftlichen Auf-
                                                                                                        gaben. Sie behandelt mit großer Flexibilität
                                                                                                        aktuelle Inhalte und Fragestellungen. Was sich
                                                   Erben als Idee
                                                                                                        bundesweit in den Zentren an zeitgenössischer
                                                   Neben den oben skizzierten Möglichkeiten und         Kunst und Kultur abspielt ist wegweisend. Das
                                                   den in der aktuellen Ausgabe angesprochenen          sind mehr als hinreichende Gründe für öffentli-
    S IEGFRI E D DI TTLER                          Formaten geht es ständig darum, das Spektrum         che Förderung.
                                                   der Zugänge auszudehnen. Stellvertretend seien
Wenn die für das jeweilige Zentrum richtige        hier fünf Ideen genannt, die ebenfalls Alternati-
                                                                                                        Von Holland lernen
Struktur gefunden wurde, bleibt eine tägliche      ven zu den bisher begangenen Wegen darstel-
große Aufgabe: Geld einnehmen.                     len können:                                          Generell gilt es festzuhalten, dass die in Deutsch-
                                                   1. Manche privaten Geldgeber/-innen investie-       land bestehenden Fördermodelle auch im inter-
                                                       ren in „start ups“. Der eine oder andere von     nationalen Vergleich standhalten können.
Geld einnehmen
                                                       ihnen lässt sich vielleicht überzeugen, auch
Die Zentren strengen sich an, den Anteil der Ei-       in soziokulturelle Projekte zu investieren, um   Die Kommunen stellen in der Regel den Lö-
geneinnahmen zu erhöhen. Dabei tasten sie sich         so eine gesellschaftliche Rendite zu erhalten.   wenanteil der öffentlichen Gelder und ermögli-
zunehmend auf neue Wege vor.                       2. In den nächsten zehn Jahren werden so            chen so eine Sockelfinanzierung. Diese versetzt
                                                       viele Gelder vererbt wie nie zuvor. Was          etliche Zentren und Initiativen in die Lage, über-
Die Mitarbeiter/-innen der Zentren beschäftigen        spricht dagegen, dass soziokulturelle Zentren    haupt agieren zu können. Unverzichtbar auch
sich zum Beispiel mit Crowdfunding. Darüber            darum werben, in Testamenten berücksich-         die Aufstockungen durch die Länder, den Bund
sind einzelne Projekte finanzierbar. Auch mit          tigt zu werden?                                  und öffentlich-rechtliche Stiftungen. Leider ist
Crowdsourcing, worüber Schwarmkunst entste-        3. Mehr internationale Vernetzung bei der           damit belastender bürokratischer Aufwand ver-
hen kann. Die sogenannte share economy wird            Durchführung von Projekten erschließt eine       bunden. In diesem Zusammenhang wären hol-
diskutiert. Sie sieht im Teilen das neue Haben.        breitere Nutzung der europäischen Förder-        ländische Verhältnisse ein Gewinn. In unserem
Social payment-Anbieter wie FLUTTR ermögli-            gelder.                                          Nachbarland brauchen nämlich über Projektför-
chen Mikrospenden. Durch die Herausgabe von        4. Eigenproduktionen können intensiver ver-         derungen bis 20.000 Euro keine Einzelnachwei-
Anteilsscheinen können Genossenschaften ge-            marktet werden.                                  se geführt zu werden.
gründet oder in etlichen anderen Formen breite-    5. Gemeinsame Plattformen für den Ticketver-
re Unterstützerkreise erschlossen werden.              kauf erschließen neue Publikumsgruppen.          Soziokulturelle Zentren verdienen politische
                                                                                                        Wertschätzung. Diese sollte sich darin ausdrü-
Bei nahezu allen dieser mehr oder weniger neu-                                                          cken, dass die Gesamtfördersumme wächst und
                                                   Souverän und innovativ
en Ansätze geht es letztlich darum, eine noch                                                           dass der Anteil an institutioneller beziehungs-
breitere ökonomische Basis für die Zentren zu      Das ist die Hauptherausforderung: sich einen         weise langfristiger Förderung gegenüber der
schaffen beziehungsweise mehr Mittel zu gene-      Überblick über die neuen Möglichkeiten von Fi-       Projektförderung zunimmt. Außerdem verdie-
rieren. Bereits jetzt braucht die Mittelbeschaf-   nanzierungsmodellen zu verschaffen, ihn zu be-       nen die Zentren Vertrauen, also auch eine spür-
fung großen Aufwand. Allein die regelmäßigen       halten und den richtigen Mix für das jeweilige       bare Erleichterung der Förderverfahren statt
Förderanträge fressen Unmengen Zeit. Macht es      Zentrum zusammenzustellen.                           ausufernder bürokratischer Prozesse.
Sinn, noch mehr davon zu investieren?
                                                   Letztlich muss ja jedes Zentrum und jede Ini­        1
                                                                                                             as zählt? Soziokulturelle Zentren in Zahlen.
                                                                                                            W
Unbedingt. Allen Zeitnöten und gelegentlichen      tiative einen eigenen Weg finden, um alterna-            Statistischer Bericht der Bundesvereinigung
Unkenrufen zum Trotz zeigen sich die soziokul-     tive Finanzierungsstrategien oder neue Struk-            Soziokultureller Zentren e.V., Berlin 2015
turellen Zentren in der Lage dazu. Die diesbe-     turmodelle zu entwickeln. Was passt zu uns, zu
züglichen neuesten Trends werden von ihnen         unserem Umfeld, zur Stadt, zu den Besucher/-in-
mitgeprägt.                                        nen, zum Programm?

Ebenso spricht dafür, dass eine größere Unab-      Es gilt, noch mutiger zu sein, wenn es darum         S I E G F R I E D D I T T L E R ist Geschäftsführer
hängigkeit von den einzelnen Geldgeber/-innen      geht, Stellen zu schaffen, die sich professionell    der Waschhaus Potsdam gGmbH.
Moos und los! - 3|16 - Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V - Bundesvereinigung ...
SOZIOkultur 3 |2016                                                      T H EM A                                                                              7
                                                                      MOOS UND LOS!

Unterstützenswert
Mit der Crowd zur Umsetzung der eigenen Projektidee
Unter den alternativen Finanzie­rungs­modellen hat sich in den letzten Jahren Crowdfunding als Instrument etab­lie­­ren können,
das ohne die Hilfe von Banken die Umsetzung vieler Ideen er­möglicht.

MA RK US SEITZ                                                                                                   nanzieren. Bereits im Oktober 2015 wurde
                                                                                                                 der erste Solarcontainer in Mali in Betrieb

G
           rundgedanke des Crowdfun-                                                                             genommen. Er versorgt das Dorf Mourdi-
           ding ist die Finanzierung, das                                                                        ah mit sauberer Energie, was vorher durch
           Funding, für ein Projekt unter                                                                        Dieselgeneratoren geschah. Die mobilen
           Einbeziehung vieler Teilha-                                                                           Systeme könnten in Zukunft viele entle-
ber/-innen, der Crowd. Als Gegenleis-                                                                            gene Gebiete in Afrika mit Energie versor-
tung für die Geldgeber/-innen steht beim                                                                         gen, bereits drei Container wurden durch
klassischen reward-based Crowdfunding                                                                            Crowdinvesting finanziert. Die Crowd er-
kein Zinsertrag, sondern ein mit der Idee                                                                        hielt hierbei neun Prozent Zinsen pro Jahr
verbundenes Produkt oder ein Danke-                                                                              für ihr Investment. Bei diesem Modell ha-
schön, das auch immateriell sein kann.                                                                           ben sowohl die Gründer/-innen als auch
Ein Beispiel, das im letzten Jahr große                                                                          die Crowd profitiert und nebenbei zur Ver-
Resonanz erfuhr, ist das Hotel „magdas“                                                                          besserung der Umweltsituation und des
in Wien, das sich dem Selbstverständ-                                                                            Lebensstandards vieler beigetragen.
nis nach als Social Business versteht.
In ihm finden Flüchtlinge Arbeit, die ansonsten     men beziehungsweise Kapital zugänglich. Als          Ein Gelingen der eigenen Projektidee ist durch
kaum eine Chance auf geregelte Beschäftigung        Investor/-in erhält man entweder einen festen        die Finanzierung über die Crowd noch nicht gesi-
und gesellschaftliche Integration hätten. Durch     Zins auf das investierte Kapital, das nach einer     chert. Vorab sollten sich Gründer/-innen bewusst
Crowdfunding wurden für das Projekt rund            bestimmten Zeitspanne zurückgezahlt wird,            sein, dass Crowdinvesting ein arbeitsintensiver
85.000 Euro gesammelt. Als Gegenleistung er-        oder man partizipiert anteilsmäßig an der Wert­      Prozess ist, der nicht zwangsläufig zur Generie-
hielt man für 100 Euro Unterstützung eine Nacht     entwicklung des Projekts. Die erfolgsabhängige       rung des erforderlichen Kapitals führt. Die Vor-
im Doppelzimmer oder für 45 Euro ein T-Shirt.       Rendite findet vor allem bei Crowdinvesting für      teile liegen in der Auseinandersetzung mit der
Doch auch an die ganz großen Spender/-innen         Startups Anwendung. Der Hauptunterschied             Crowd. Diese kann hilfreiche Tipps geben, die so
wurde gedacht. Wer 5.000 Euro zu dem Projekt        zum Crowdlending liegt darin, dass Crowd­            gar nicht zur eigenen Idee zu passen scheinen.
beitrug, wird im Foyer namentlich genannt.          investments meist über nachrangige Darlehen          So ist Crowdinvesting nicht nur wegen seines
                                                    laufen. Diese Anlageform ist mit besonderen          finanziellen Nutzens als sinnvolle Finanzierungs-
Das Hotel „magdas“ ist ein klassisches Crowd-       Risiken verbunden und kann zum kompletten            methode anzusehen, sondern auch die inkludier-
funding Projekt, bei dem die Geldgeber/-innen       Verlust des eingesetzten Kapitals führen. Unter-     te Berater/-innentätigkeit durch die Crowd kann
handfeste non-monetäre Gegenleistungen er-          nehmer/-innen haben durch die nachrangigen           zum Gelingen eines Vorhabens beitragen.
halten. Daneben gibt es noch weitere Crowd-         Darlehen die Möglichkeit, eigenkapitalähnliches
funding-Modelle. Zum einen das spenden-ba-          Kapital unabhängig von Banken zu generieren.
                                                                                                         M A R K U S S E I T Z ist Redakteur bei crowdfunding.de.
sierte Crowdfunding (donation-based), bei dem       Sollte das Projekt realisiert werden, hat man
die Crowd keine Gegenleistung für ihr Geld          durch die Vielzahl von Investor/-innen bereits
bekommt. Das Prinzip findet oft bei gemeinnüt-      eine gute Grundlage für die Vermarktung des
zigen Projekten Anwendung. Beim Crowdlen-           Produktes. Die Bindung der Crowd an das Vorha-
ding (lending-based Crowdfunding) verleiht die      ben ist gegenüber der klassischen Finanzierung       crowdfunding.de – Das Crowdfunding Infor­ma­
Crowd ihr Geld als Kredit zu einem vorab ver-       vorteilhaft, da man quasi Beratungsleistungen        tionsportal | Was ist Crowdfunding? Wie findet
einbarten Zinssatz. Beim Crowdinvesting, auch       durch die Crowd mitgeliefert bekommt. Generell       man das passende Modell? Welche aktuellen Pro­
equity-based Crowdfunding genannt, wird die         ist Crowdfunding beziehungsweise Crowdinves-         jekte gibt es? Und welche Plattformen kann man
Crowd am finanziellen Erfolg des Projekts betei-    ting ein guter Indikator, ob das Produkt bezie-      selbst nutzen? Zu diesen und vielen weiteren Fragen
ligt. Dies findet vor allem bei der Gründung von    hungsweise die Idee später funktionieren wird.       informiert crowdfunding.de seit 2011. Ziel des
Unternehmen, in der Immobilien-Branche oder         Sollte die erforderliche Summe nicht generiert       Informationsportals ist es, Interessierten Orientierung
im Bereich der erneuerbaren Energien Anwen-         werden können, ist das Vertrauen der potenziel-      zu geben und einen transparenten Marktüberblick
                                                                                                         zu schaffen – unabhängig, neutral und umfassend.
dung. Die Investition der Crowd ist vor allem       len Anleger/-innen nicht hoch genug, und das
                                                                                                         Das Informationsportal wurde von 2011 bis 2015
durch die finanzielle Rendite motiviert.            Projekt sollte noch einmal überdacht werden.         aus Eigenmitteln aufgebaut und wird nichtkommer-
                                                                                                         ziell betrieben. Um die Seite weiterhin qualitativ
Da man bereits mit relativ kleinen Beiträgen in     Ein Beispiel für ein Crowd­investing ist das Vor-    hochwertig betreiben zu können, wurde 2016 ein
die Projekte investieren kann, ist Crowdinvesting   haben der Africa GreenTec, mobile Solarcontainer     Finanzierungskonzept entwickelt, das auf der Website
auch für Anleger/-innen mit geringem Einkom-        zur dezentralen Energieversorgung in Afrika zu fi-   transparent dargelegt wird. | www.crowdfunding.de
Moos und los! - 3|16 - Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V - Bundesvereinigung ...
8                                                                    T H EM A                                                      SOZIOkultur 3|2016
                                                                  MOOS UND LOS!

Geld regiert die Welt. Wer regiert das Geld?
Der Verein Monetative e.V. setzt sich für eine gemeinnützige Geldreform ein
Soziokultur unterliegt wie jede/-r einzelne Bürger/-in den Bedingungen des allgemeinen Geldsystems – ohne Einfluss auf
seine (Un-) Ordnung zu haben. Führen niedrige Zinsen zum Schwund von Bankeinlagen, so ist auch die Soziokultur davon
betroffen. Müssen für desolate Banken Steuergelder eingesetzt werden, so stehen diese nicht als Fördermittel zur Verfügung.
Gute Gründe, sich darüber Gedanken zu machen.

T H OM AS G. BETZ                                  litisch unvertretbar und mit Demokratie und        Bereits unmittelbar nach der ersten großen
                                                   sozialer Marktwirtschaft unvereinbar.              Weltwirtschaftskrise der frühen 1930er Jahre

D
          ie wenigsten Menschen wissen, dass           Um das zu ändern, wurde 2012 in Berlin der     hatte der berühmte US-Ökonom Irving F­isher
          nur der geringste Teil unserer Zah-      gemeinnützige Verein Monetative e.V. gegrün-       diese Probleme erkannt. Er formulierte einen
          lungsmittel, nämlich Münzen und          det als gemeinnützige Geldreformbewegung für       entsprechenden Reformvorschlag. Das „100%-
          Banknoten, von der Zentralbank,          ein stabiles, gerechtes und nachhaltiges Geld-     money“ wurde damals bereits intensiv disku-
also einer Institution der öffentlichen Hand,      system. Mittlerweile gibt es in fast 20 Ländern    tiert, ging dann allerdings in den Wirren des
geschöpft und in Umlauf gebracht wird; hinge-      der Welt entsprechende Schwesterorganisatio-       Zweiten Weltkrieges zunächst verloren. Um die
gen rund 90 Prozent der modernsten Geldform,       nen, die sich zu einem globalen Dachverband        Jahrtausendwende wurde der Gedanke vom
nichtstoffgebundenes Giralgeld, von privaten,      zusammengeschlossen haben: „International          deutschen Ökonomen Joseph Huber wieder auf-
gewinn­orientierten und nicht dem Gemeinwohl       Movement for Monetary Reform“                      gegriffen und zum „Vollgeld“ weiterentwickelt.
verpflichteten Unternehmen, den Geschäfts-
banken. Geld, das diese Banken als Kredit
                                                   Keine Verstaatlichung der Banken,                  Öffentliche Kontrolle der Geld-
ausreichen oder mit dem sie selbst Vermögens-
werte ankaufen, entstammt also nicht etwa          aber Verstaatlichung des Geldes!                   schöpfung
einer Ersparnis oder Refinanzierung, sondern
wird durch einen einfachen Buchungsvorgang         Ziel ist eine sogenannte Vollgeldreform: Die       Eine Vollgeldreform hat bedeutende Vorteile:
aus dem Nichts geschaffen. Dies verschafft den     gesamte Geldschöpfung soll einer öffentlichen      Das Geldsystem wird einfacher und transparen-
Banken nicht nur einen durch nichts zu recht-      Instanz zugeführt werden, eben der Monetative,     ter. Das Vollgeld ist sicher, da die laufenden Kon-
fertigenden Wettbewerbsvorteil gegenüber           neben Legislative, Exekutive und Judikative die    ten außerhalb der Bankbilanzen geführt werden.
anderen Wirtschaftsteilnehmer/-innen, sondern      nunmehr vierte staatliche Gewalt. Sie ist in ih-   Der Zahlungsverkehr ist deshalb bei Bankpleiten
ist auch die tiefere Ursache von Konjunktur-       rem Handeln ähnlich unabhängig und nur dem         nicht mehr gefährdet. Durch eine stetige und
ausschlägen und Finanzkrisen, Ungleichheit         Gesetz verpflichtet wie die Gerichte, aber auch    angemessene Entwicklung der Geldmenge wer-
und Überschuldung, Inflation und Deflation,        rechenschaftspflichtig gegenüber Parlament         den Konjunktur- und Börsenzyklen moderater
Spekulationsblasen und Bankenzusammenbrü-          und Öffentlichkeit. Ihr genauer Status wird in     verlaufen. Weil die Geldmenge sich im Einklang
chen. Denn der größte Teil der privaten Giral-     einem Gesetz definiert. Damit soll das marode      mit der Realwirtschaft verändert, ist Geldwert­
geldschöpfung dient heute rein spekulativen        Fundament unserer Geldordnung repariert wer-       stabilität gewährleistet. Neu geschöpftes Geld
Finanzgeschäften, die der Realwirtschaft nicht     den. Die Vision ist ein Geld- und Finanzsystem     kommt zins- und tilgungsfrei in Umlauf, da es
nutzen, sondern schaden.                           im Dienste der Gesellschaft. Wahre Demokratie      ohne Verschuldung entsteht. Das mindert den
                                                   kann erst dann verwirklicht werden, wenn die       Zwang zum Wirtschaftswachstum. Die Gewin-
Private Gewinne – gesellschaft-                    Bürger/-innen auch die Macht über die Geld-        ne aus der Geldschöpfung (sogenannte Seig-
                                                   schöpfung in den Händen halten.                    niorage) und die Vorteile der Erstverwendung
liche Verluste
                                                                                                      neuen Geldes kommen der öffentlichen Hand
Wenn Banken durch spekulative Finanzgeschäf-                                                          und damit allen zugute. Und schließlich: Durch
te oder übermäßige Kreditrisiken in Schieflage                                                        die einmaligen Umstellungsgewinne bietet sich
geraten, sind Giralgeld-Guthaben der Kunden                                                           die Chance, die Staatsschulden ohne Einschnitte
gefährdet. Aber wenn sich der Staat für die be-                                                       ganz erheblich abzubauen, in Deutschland um
drohten Guthaben und die zugehörigen Banken                                                           60 bis 70 Prozent!
verbürgt, werden letztlich die Verluste der pri-             Jahrestagung 2016                           Im Prinzip ist die Vollgeldreform nur eine Wie-
vaten Banken auf die Allgemeinheit abgewälzt.                                                         derholung: Denn schon einmal hat technischer
Die Gewinne und Privilegien aus der Giralgeld-        Das Geld der Zukunft                            Fortschritt im Geldwesen den Staaten vorüber-
schöpfung hingegen fließen weiterhin den priva-                                                       gehend das Geldschöpfungsmonopol entwun-
ten Banken zu. Die für das Marktgeschehen und
                                                     Bargeld, Digital, Cash, Fintechs?                den: Anstelle und in Ergänzung der staatlichen
die Gesellschaft so folgenreiche Geldschöpfung                                                        Münzen gaben private Banken private „Bank-
privaten Geschäftsbanken zu überlassen, welche      12. November 2016 | Frankfurt/M.                  noten“ (daher der Name) aus, was zu ganz
keinen gesamtwirtschaftlichen und gesellschaft-                www.monetative.de                      ähnlichen Entwicklungen und schließlich Pro-
lichen Zielen verpflichtet sind, ist ordnungspo-                                                      blemen wie heute geführt hat. Nach und nach
SOZIOkultur 3 |2016                                                     T H EM A                                                                           9
                                                                     MOOS UND LOS!

wurde das Problem erkannt und schließlich den      Zunehmender Schwung                                  Initiative hat Ende 2015 mehr als 100.000 Un-
privaten Banken das Drucken privaten Geldes        Inzwischen findet die Idee immer weitere Ver-        terschriften bei der Regierung eingereicht und
verboten. Das alleinige Recht des Staates auf      breitung: Radio, TV, Tageszeitungen und Wirt-        damit eine Volksabstimmung über das Vollgeld
Erschaffung des öffentlichen Gutes Geld wurde      schaftsmagazine berichten; eine IWF-Studie           initiiert, die 2018 durchgeführt werden wird.
wieder auf ihn zurückgeführt, auf die staatli-     simuliert das Modell im Computer mit positiven       www.monetative.de
chen „Notenbanken“. Vor circa 100 Jahren war       Resultaten und würdigt es entsprechend; an
dieser Prozess in den meisten Ländern abge-        Universitäten und auf Konferenzen, aber auch
schlossen. Aber jetzt brauchen wir die (Voll-)     in den Parlamenten Islands, Hollands und Eng-        T H O M A S G. B E T Z ist Gründungs- und
Geldreform 2.0!                                    lands wird darüber diskutiert. Die Schweizer         Vorstandsmitglied der Monetative e.V.

Geld zerstört Beziehungen – Zeit ermöglicht sie!
Interview mit Gabriele Donati, einem der Gründer von TIMEREPUBLIK
                                                   mich an, weil er in den Lokalnachrichten einen       Zukunftsmodell. Die Gemeinde ruft ihre Bürger
                                                   Bericht über eine Zeitbank in unserer Heimat-        über das Portal zur Mitarbeit bei kommunalen
                                                   stadt Lugano gesehen hatte. Dort tauschten alle      Aufgaben auf: bei der Reinigung des Stadtparks
                                                   Kunden im Wesentlichen Gefallen aus und jeder        zum Beispiel, beim Aufbauen des Weihnachts-
                                                   Austausch wurde in einem Buch dokumentiert.          baums oder bei der Organisation von Festen.
                                                   Da kamen wir auf die Idee, eine globale digitale     Für die verdiente Zeit können die Bürger dann
                                                   Zeitbank zu erschaffen. Das war 2012.                Räume nutzen, als Büros, gemeinsame Werk-
                                                                                                        stätten oder für Feste. Wir experimentieren auch
                                                   Was war deine ursprüngliche Motivation?              mit Wohnraum und Steuern, die mit Zeit oder
                                                   Die Erkenntnis, dass etwas an der Art unseres        Mithilfe statt mit Geld bezahlt werden.
                                                   Umgangs miteinander grundlegend falsch war,
                                                   und der Wunsch, das zu ändern!                       In der soziokulturellen Arbeit werden viele
                                                      Geld ist ein wunderbares Werkzeug und sehr        Aufgaben von Freiwilligen und Ehrenamt-
                                                   effizient, aber leider kann es nicht bewerten, was   lichen erledigt, was im Übermaß zu Frust-
                                                  wirklich zählt und uns glücklich macht. Wir er-      rationen führen kann. Glaubst du, dass die
GA BRIELE DONATI                                   kannten, dass wir in einer Welt der Transak­tionen   Bezahlung mit Zeit hier zu mehr Anerken-
                                                   leben und Zeitbanking das perfekte Werkzeug          nung und Befriedigung führen kann?
Das Internetportal TIMEREPUBLIK.com bie-           sein könnte, um viele dieser Transaktionen in Be-    Unbedingt. Wir wollten uns von der Freiwilli-
tet Mitgliedern die Möglichkeit, kostenlos         ziehungen zu verwandeln. Wir wollen lieber den       gen-Kultur absetzen. Die wird einfach oft nicht
Talente und Tätigkeiten anzubieten oder            Aufbau von Vertrauen ermöglichen als Geld zu         ernstgenommen, weil die Leute kein direktes
                                                   zählen. Das letztendliche Ziel ist doch Vertrauen,   Return of Investment sehen. Ein weiteres Pro-
anzufragen. Wenn Personen miteinander              das – wie wir alle wissen – sehr viel mehr wert      blem sind Hierarchien, die im Ehrenamt oft
einen Austausch vereinbaren, wird die für          ist als Geld und viele Türen öffnen kann.            entstehen und nicht besonders hilfreich sind,
die Tätigkeit aufgewendete Zeit der aus-                                                                wenn man Mitgefühl, Würde und Vertrauen ent-
führenden Person gutgeschrieben. Sie kann          Ist es möglich, mit TIMEREPUBLIK soziokul-           wickeln will. Wir denken, Zeit ist das perfekte
                                                   turelle Projekte zu verwirklichen? Gibt es           Mittel, menschliche Tätigkeit zu bewerten und
diese Zeit dann für benötigte Dienste ver-
                                                   dafür Beispiele?                                     zu bezahlen. Zeit schafft gerechten Ausgleich.
wenden. Mit Gabriele Donati, TIMEREPUB-            Ja, es gibt sehr viele Möglichkeiten. Wir unter-     Zeit ist die Ressource, die wir alle gleicherma-
LIK-Mitbgründer, Komponist und Jazz-Bas-           stützen zum Beispiel in New York mit Connect         ßen zur Verfügung haben. Es ist schon verrückt,
sist, sprach Kristine Schütt.                      Hunts Point eine der ärmsten Gemeinden in der        dass sich bei allen Unterschieden in Religion,
                                                   südlichen Bronx, dazu haben wir eine Websei-         Geschlecht oder Kultur alle in einer Sache einig
                                                   te eingerichtet, die als Teil der globalen TIM-      sind: Eine Stunde ist eine Stunde. Schon allein
Wie hast du mit TIMEREPUBLIK angefangen?           EREPUBLIK-Gemeinschaft funktioniert. In der          dies sollte zeigen, dass Zeitbanking der einzige
Mein alter Schulfreund und Mitgründer von TIM-     ersten Phase versuchen wir, die Talente und          Ausweg aus der Misere ist.
EREPUBLIK Karim Vanini und ich waren immer         Fähigkeiten der Anwohner/-innen zu erfassen
                                                                                                        Zur Person Gabriele Donati: https://timerepublik.
daran interessiert, Empathie, Würde und Vertrau-   und sie für Kunstprojekte mit namhaften Künst-       com/gab, zu den Projekten: https://timerepublik.com/
en zwischen Menschen als Wert erfassbar zu ma-     ler/-innen zur Mitarbeit zu gewinnen. Diese          connecthuntspoin
chen. Wir haben endlose Nächte mit der Ideensu-    Projekte helfen, die Lebensqualität im Quartier
che für die praktische Umsetzung verbracht. Das    zu verbessern.
war vor 2005, vor der Revolution der sozialen         In Italien hat uns der Bürgermeister der          K R I S TI N E S C H Ü T T ist Musikerin und Musik-
Medien, die von Facebook ausging. Viele Jahre      kleinen Gemeinde von Sarre um Rat und Hilfe          pädagogin und im RAW-tempel in Berlin tätig.
war alles bloße Theorie. Eines Tages rief Karim    gebeten. Gemeinsam erarbeiten wir nun ein            Seit 2014 ist sie aktives Mitglied bei TIMEREPUBLIK.
10                                                                T H EM A                                                   SOZIOkultur 3|2016
                                                               MOOS UND LOS!

               Genossenschaften – ein wirtschaftliches
                  Erfolgsmodell für viele Zwecke
                                                                      KulturGenossenschaft Neue Kammerspiele eG
EDDA RYDZY
                                                                      Die erste Kulturgenossenschaft in
                   FAKTEN UND ZAHLEN                                  Brandenburg

                                                                      D
Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung stellen                 ie Kammerspiele Kleinmachnow sind das größte Kulturzentrum im
                                                                              Gemeindeverband Teltow-Kleinmachnow-Stahnsdorf. Sie bieten
laut Gesetz die wichtigsten Merkmale von Genossenschaften dar.
                                                                              ihren Gästen viele Möglichkeiten der Unterhaltung und Eigenakti-
Zu ihnen zählt weiterhin das Identitätsprinzip. Es besagt, dass die   vität. Im Angebot befinden sich Kino, Konzerte, Lesungen und Kinderpro-
Miteigentümer/-innen beziehungsweise Träger/-innen zugleich           gramme an, dazu Theaterschulkurse, Musical-, Gesangs- und Instrumen-
Geschäftspartner/-innen, unbedingt aber Eigenkapitalgeber/-           tal-Unterricht und Räume, um zu feiern oder sich zu treffen. Das Schröders
                                                                      hilft gegen Hunger und Durst.
innen sind. Eine Mitgliedschaft muss über ökonomische An-
                                                                         Nicht immer waren die Kammerspiele Kleinmachnow ein so breit auf-
teile – zum Beispiel Grund und Boden, Maschinen, Geräte oder          gestelltes soziokulturelles Zentrum. Die längste Zeit ihrer fast 80-jährigen
finanzielle Geschäftseinlagen – erworben werden. Im Fall von          Existenz hießen sie aus gutem Grund Lichtspieltheater. Sie waren auch als
Misserfolgen haften die Mitglieder nur bis zur Höhe ihrer Anteile.    solches ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt in der Gemeinde Kleinmach-
 Das Prinzip der Genossenschaften entwickelte sich bereits vor        now. Nachdem zahlreiche Spielstätten dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer
                                                                      gefallen waren, fanden hier viele Schauspieler/-innen ohne Engagement
dem 15. Jahrhundert. Überlieferte Bezeichnungen für diese frühen
                                                                      zusammen. Das Lichtspieltheater mauserte sich zusätzlich zur beliebten
Formen sind Einungen, Gilden oder Knappschaften. Von Anfang an        Theaterbühne. Es gibt also eine lange Bühnentradition und Erfahrungen
waren die Zwecke der Gründungen sehr unterschiedliche. Man tat        darin, das „Handwerk“ der darstellenden Künstler/-innen und Musi-
sich zusammen, um gemeinsam Alpen zu bewirtschaften, Berg-            ker/-innen weiterzugeben. Ein umfassender Umbau und eine Modernisie-
                                                                      rung des Gebäudes zu Beginn der 1970er Jahre verbesserten die Arbeits-
bau zu betreiben, Deiche zu erhalten oder sich gegenseitig ein
                                                                      und Programmbedingungen erheblich.
würdiges Begräbnis zu ermöglichen. Um die gemeinsamen Ziele              Vor der Wende stellte die Finanzierung kein Problem dar. Sie war staatlich
verlässlich verfolgen zu können, wurde in der Regel die Veräu-        gesichert. Doch knapp 20 Jahre nach der Wende drohte das Aus. Die Klein-
ßerung des Gemeineigentums beschränkt.                                machnower suchten mit Herzblut nach neuen Betreiber/-innen. Schließlich
                                                                      erhielten Carolin Huder und Michael Martens den Zuschlag für ihre Kon-
  Das modernere Genossenschaftswesen geht auf die An-
                                                                      zepte zur Weiternutzung. Für das Management der finanziellen Grund­
fänge der Industrialisierung zurück. In dieser Zeit litten viele      lagen hatten sie die Gründung der ersten Kulturgenossenschaft in Bran-
Wirtschaftsbereiche Not. Man suchte nach Möglichkeiten, die           denburg vorgeschlagen. Das war eine anspruchsvolle Aufgabe. Sie hatten
Arbeiten und Geschäfte erfolgreicher zu organisieren. Als Be-         ein und ein halbes Jahr Zeit, um 200 Genossenschaftsanteile à 250 Euro zu
                                                                      veräußern. Das war die Voraussetzung, um die volle Förderung durch die
gründer dieser Bewegung gilt Robert Owen. Er besaß im Norden
                                                                      Gemeinde zu erhalten. Heute bilden mehr als 170 Mitglieder – „KulturGe-
Englands eine Baumwollspinnerei und wollte dort gleichzeitig          nossen“ – die Genossenschaft. Laut Satzung darf jedes Mitglied maximal
die Arbeits- und Lebensbedingungen sowie das Betriebsergebnis         20 Anteile erwerben. Weitere „KulturGenossen“ sind herzlich willkommen.
verbessern. Das Genossenschaftsprinzip erwies sich dabei als so       www.neuekammerspiele.de
erfolgreich, dass viele seinem Beispiel folgten. 2004 verzeichnete
die Europäische Union mehr als 300.000 Genossenschaften mit
140 Millionen Mitgliedern.
  Wie sich auch in Deutschland zeigt, hält dieser Erfolg bis heute
an. Unter allen Eigentumsformen wiesen Genossenschaften im
Jahr 2012 mit 0,6 Prozent die niedrigste Insolvenzrate aus. Seit
2004 stieg ihre Anzahl von rund 5.700 um fast 40 Prozent auf
7.600. Sie umfassen jetzt insgesamt 20 Millionen Mitglieder.
Banken und Wohnungsbaugenossenschaften bilden die größten
Bereiche. In Handwerk und Produktion, Landwirtschaft, Einkauf
und Vertrieb sind sie stark vertreten. Neugründungen in jüngerer
Zeit fanden vor allem im innovativen und alternativen Bereich
statt. Sie verfolgen zunehmend soziale und kulturelle Zwecke.
SOZIOkultur 3 |2016                                                       T H EM A                                                                   11
                                                                       MOOS UND LOS!

Kulturgenossenschaft Lich eG                                                   Gewerbehof Saarbrücker Straße eG

Stabilisierung und Sicherung durch                                             Eine Genossenschaft zum gegen-
die Kulturgenossenschaft                                                       seitigen Vorteil

D                                                                              D
        en Beginn setzte das Kino Traumstern in Lich bei Gießen. Es wurde              er Gewerbehof in der alten KönigStadt fußt auf einer langen und
        1983 mit der Absicht gegründet, ein soziokulturelles Zentrum der               wechselvollen Geschichte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun-
        Region zu werden. Auf der Bühne im Kinosaal fanden von Anfang                  derts konnte sich hier die Brauerei Königstadt erfolgreich entwi-
an Theateraufführungen und Konzerte statt. Regionale Gruppen trafen sich       ckeln. Nach wenigen Jahrzehnten bildete sie mit zahlreichen Erweite-
in der angeschlossenen Kneipe Statt Gießen. Die Kinomacher/-innen ko-          rungsbauten sowie mit Kegelbahn, Karussell und Einkaufszonen für die
operierten von Anfang an mit vielen Vereinen, Institutionen und Gruppen        Anwohner/-innen ein eindrucksvolles Ensemble. Nach den wirtschaftlichen
in der Region. Um das umfangreiche Angebot aufrecht erhalten zu können,        Folgen des Ersten Weltkrieges wurde die große Ausschankhalle zum Urauf-
gründete sich im Umfeld des Kinos Traumstern 2003 der Kulturförderver-         führungskino der UFA. In den ehemaligen Brauereikomplex zogen Hand-
ein künstLich e.V. Dieser neue Verein übernahm ab sofort alle Liveveran-       werks-, Produktions-, Lager- und Fuhrbetriebe ein. Diese kleinteilige Nut-
staltungen im Kino, auf der 2002 neu eröffneten Kleinkunstbühne in der         zung setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg und über die Wende hinaus
Gaststätte Statt Gießen und ab 2006 auch regelmäßige Veranstaltungen           fort. Es gesellten sich Künstler/-innen und Medienunternehmen hinzu. In
im Kulturzentrum Bezalel Synagoge. Der Verein künstLich engagiert sich         den ersten Jahren bewirtschaftete der Stadtbezirk das Gelände. Nach lan-
im Bereich der Kinder- und Jugendbildung und unterstützte 2006 die Grün-       gen, intensiven Entwicklungsprozessen unter Einbeziehung der ansässigen
dung des Jugendtheaterprojektes „Theater Traumstern“. 2007 wurde unter         Be­triebe konnte die Genossenschaft Gewerbehof Saarbrücker Straße eG
dem Dach von künstLich der Kinderzirkus Allez Hopp gegründet.                  den Gewerbehof im Jahr 2003 kaufen.
   Wie überall in der Soziokultur gaben die Finanzen ständig Grund zum            Ihr Ziel besteht in der langfristigen Sicherung und Entwicklung des
Nachdenken. Obwohl mit der Unterzeichnung eines neuen Pachtvertrages           Standorts bei günstigen Mieten. Bei ihren 53 Mitgliedern handelt es sich
zwischen der Kino Traumstern GbR und der Bitburger Baugruppe im Früh-          um auf dem Gewerbehof ansässige Firmen. Sie sind Miteigentümer/-in-
sommer eine Phase von Stabilisierung erreicht war, entschlossen sich die       nen und bestimmen die Entwicklung mit. Für alle Flächen gilt das Kosten-­
Aktiven zur Gründung der Kulturgenossenschaft Lich, die 2014 eingetragen       Mieten-Prinzip. Die Miete bleibt langfristig stabil. Es gibt viel Raum zum
wurde. So ließen sich mehrere wichtige Ziele erreichen. Die Pachtverhältnis-   Probieren und Expandieren. Die Genossenschaft nutzt und fördert die re-
se konnten durch den Erwerb der Liegenschaft langfristig gesichert werden.     gionalen Wirtschaftskreisläufe und hat in der Anfangsphase auch Beschäf-
Durch die Einlagen der Genossenschaftsmitglieder stabilisierte sich die Fi-    tigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen integriert. Sie ist eine Plattform
nanzlage des Zentrums. Die involvierten Kulturbereiche – Kino Traumstern,      für innovative Projekte und Existenzgründer/-innen.
Theater Traumstern, Kinderzirkus Allez Hopp, künstLich e.V. – konnten nicht       Von Ateliers und Architekt/-innen über Spielzeug- und Geigenbauer/-in-
nur langfristig gesichert, sondern auch ausgebaut werden. Zielgerichtete       nen, Filmproduktion und Markenentwicklung, Tischlerei und Bauträgerge-
Maßnahmen der Instandhaltung, Modernisierung und Erweiterung der Ge-           sellschaft bis zum Steuerberater hat sich eine bunte Firmenpalette nieder-
bäude Kinosaal und Foyer, Gastraum und Küche, Biergarten mit Grünflächen       gelassen – zum gegenseitigen Vorteil.
und Hinterhaus wurden real möglich. Durch Zusammenführung der beste-           Foto: © GIDAK | www.gidak.de
henden mit neuen kulturellen Aktivitäten unter einem Dach entstanden Sy-
nergien für den Aufbau neuer Projekte. 
www.kulturgenossenschaft-lich.de                                               E D DA RY DZ Y ist freie Autorin mit Vortrags- und Lehrtätigkeit.
12                                                                      T H EM A                                                      SOZIOkultur 3|2016
                                                                     MOOS UND LOS!

                                                                                                           P R OJ E K T

Das Modell Stiftung Pfefferwerk
Eine denkmalgeschützte Immobilie wird zum Stiftungskapital

MA RGITTA HAERTEL                                    • berufliche Bildung und Volksbildung                oder besondere Kompetenzen und Kenntnisse
                                                     • generationsübergreifende Gemeinwesenar-           erwerben. Ebenso fördert sie niedrigschwellige
Ein Kulturstandort als Finanzierungsquelle              beit (darunter Kinder- und Jugendhilfe, Alten-    Bildungs- und Beratungsangebote für Zugewan-
                                                        hilfe, Wohlfahrtspflege, mildtätige Zwecke)       derte und Geflüchtete und Angebote zur Unter-
für soziokulturelle Projekte – was wie eine
                                                     • Kultur                                             stützung leistungsschwächerer Schüler/-innen
Frage anmuten könnte, ist seit einiger Zeit          • Völkerverständigung                                aus sozial benachteiligten Familien.
bei uns gelebte Praxis. Die Stiftung Pfeffer-
werk ist Eigentümerin eines vor allem für            Den geförderten Projekten gemeinsam ist, dass           Anfangs dachte niemand an
                                                     sie – in vielfältigen Formaten und mit verschiede-
kulturelle und soziale Zwecke genutzten                                                                      eine Perspektive des Pfeffer-
                                                     nen Konzepten oder Methoden – dazu beitragen,
ehemaligen Brauereigeländes in Berlin und            Benachteiligten den Zugang zum Arbeitsmarkt             bergs als Stiftungskapital.
kann dank ihrer Erbpachteinnahmen Zu-                zu erleichtern, oder dass neue Arbeitsplätze im
wendungen ausreichen.                                gemeinnützigen Sektor entstehen. Meist zielen        Projekte im Jugendhilfe- und Jugendfreizeit­
                                                     die Projekte darauf ab, Eigeninitiative und das      bereich, Neugründungen sowie Kapazitätser-

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     n diesem Jahr beläuft sich der Gesamt­betrag    Gemeinwesen in benachteiligten Quartieren zu         weiterungen von Einrichtungen der Kindertages­
     der Zuschüsse bisher auf rund 160.000 Euro,     stärken, und sie helfen mit, Vielfalt in der Stadt   betreuung mit besonderen konzeptionellen
     bewilligt für 45 Projekte stadtweit. Die Sta-   zu befördern. Alle Details können unter www.         Schwerpunkten und Angebote für benachteiligte
     tistik 2015 weist Projektförderungen von        stpw.org in den Fördergrundsätzen und -richt­        Menschen wie Alleinerziehende, Wohnungslose
über 200.000 Euro für 67 Einzelvorhaben aus.         linien nachgelesen werden.                           oder erwachsene Analphabeten sind weitere
Nicht zufällig sind die Zuwendungsempfänger,            Das Spektrum der förderfähigen und der            zentrale Themen für die Förderpraxis. Die Auf-
die recht unbürokratisch und flexibel finanzielle    schon unterstützten Aktivitäten umfasst eine         zählung lässt sich noch fortsetzen, beispielswei-
Mittel bekommen, vor allem kleine freie Träger.      breite Palette. Einen Schwerpunkt setzt die Stif-    se um Projekte, wo benachteiligte Menschen
Sie können Personalkosten (auch Honorare),           tung Pfefferwerk bei Beratungs- und Praxispro-       (Jugendliche, Geflüchtete, Langzeitarbeitslose)
Sachmittel einschließlich Mieten und auch In-        jekten zur beruflichen Orientierung vor allem        in ihrem Umfeld gemeinsam gärtnern, oder um
vestitionszuschüsse erhalten, meist als Fehlbe-      für benachteiligte Jugendliche, die freie Träger     Zuwendungen, die Künstler/-innengruppen un-
darfsfinanzierung. Der Maximalbetrag liegt bei       an beziehungsweise in Kooperation mit Schulen        terstützen, im Arbeitsmarkt Kultur anzukommen.
6.000 Euro pro Projekt und Jahr, Misch- oder         oder im Freizeitbereich durchführen. Im Förder-         Das Stiftungsmodell wurde Ende der 1990er
Kofinanzierung durch andere Zuwendungsgeber          programm „Mit Deiner Idee geht mehr!“ stellt         Jahre mit der für Arbeit zuständigen Senatsver-
sind möglich. Neben der Gemeinnützigkeit des         sie Sachmittel speziell für die Umsetzung von        waltung des Landes Berlin entwickelt. Es bein-
Antragstellers zählt zu den Grundvoraussetzun-       Ideen zur Verfügung, mit denen Pankower Ju-          haltete, mit der denkmalgeschützten Immobilie
gen, dass die Aktivitäten in Berlin stattfinden,     gendliche ihr Lern- und Lebensumfeld mitgestal-      Pfefferberg als Stiftungskapital eine Stiftung zu
und natürlich, dass sie einem der sechs nachste-     ten wollen. Sie gewährt auch Zuschüsse für Kon-      gründen, die die Immobilie langfristig an einen
hend genannten Zwecke zuzuordnen sind:               zepte und Projekte, bei denen es darum geht,         professionellen Projektentwickler verpachtet.
• Umweltschutz                                       dass Menschen mit Migrationshintergrund,             Dieser hätte zunächst auf eigene Kosten die Flä-
• Denkmalschutz                                      insbesondere Frauen, einen formalen Abschluss        chen zu sanieren und könnte sie danach einem
SOZIOkultur 3 |2016                                                    T H EM A                                                                         13
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festgeschriebenen Nutzungskonzept gemäß             die Grenzen Berlins bekannt wurde. Die gGmbH     erwartet. Selbst nachdem eine Konzeptanpas-
vermieten. Die Stiftung würde monatlich einen       etablierte Angebote auch an anderen Standor-     sung Ende 2002 die Handlungsspielräume deut-
Erbbauzins erhalten und mit diesen Einnahmen        ten, erschloss nach und nach weitere Finanzie-   lich erweiterte, ging es nur schrittweise voran.
arbeitsmarktorientierte Projekte in Berlin för-     rungsquellen und konnte so viele Einrichtungen   Jahrelang gab es nur wenige Nutzer auf dem
dern. – Das wurde mit Leben erfüllt und mag         übernehmen und dauerhaft betreiben.              Areal, meist Pfefferwerk-Organisationen.
aus heutiger Sicht recht simpel klingen. Doch                                                           Seither ist viel passiert. Der Pfefferberg hat ein
vor und nach der Übertragung der Immobilie an                                                        neues Gesicht – aus sanierter historischer Bau-
die Pfefferwerker/-innen hatten die beteiligten                                                      substanz und auch aus Neubauten, mit einem
Akteure noch einen langen Weg zu gehen.                                                              spannenden und sehr internationalen Nutzer/-in-
   Die Gründungsgeschich te der Stiftung Pfeffer­                                                    nen- und Nutzungsmix. Vor allem junge Besu-
werk ist eng verbunden mit zivilgesellschaft-                                                        cher/-innen und kulturinteressierte Gäste aus
lichem Engagement. Sie geht zurück in die                                                            aller Welt zieht es an diesen Ort, der wesentlich
1980er Jahre. Am Anfang stand eine Idee, die                                                         geprägt ist durch die Präsentation und Produk­
bald für viele zu einer Vision wurde: Aus dem                                                        tion von Kunst und Kultur – Architektur, bildende
von langjähriger industrieller Nutzung gepräg-                                                       Kunst, Konzerte, Theater, Tanz … Auf dem Gelän-
ten Gelände der einstigen Brauerei Pfefferberg                                                       de wird auch geforscht, getagt, aus- und weiter-
sollte künftig und dauerhaft ein Ort der Sozio-                                                      gebildet. Man kann preiswert übernachten, lecker
kultur werden. Dafür taten sich engagierte Ak-                                                       essen und hauseigenes Bier verkosten. Soziale
teure aus dem Umfeld zusammen und gingen                                                             Belange wie die Integration von Menschen mit
ans Werk. Getragen von der Aufbruchstimmung                                                          Beeinträchtigungen in den Arbeitsmarkt oder die
der Wendezeit schien ihnen (fast) alles möglich.                                                     Ausbildung benachteiligter Jugendlicher haben
Aber höchstwahrscheinlich dachte damals noch                                                         einen gleichberechtigten Platz gefunden.
niemand an eine Perspektive des Pfefferbergs                                                            Mit dem Pfefferberg ist Berlin um einen auch
als Stiftungskapital. Zunächst wurde 1990 ein                                                        international renommierten Standort reicher
Verein gegründet, Pfefferwerk e.V. Verein zur                                                        geworden, und die Stiftung Pfefferwerk verfügt
Förderung von Stadtkultur. Wenig später folgte      Erst Ende 1999 gelang es, den Pfefferberg zu     über eine sehr solide Finanzbasis. Und nicht zu
die Gründung einer gGmbH. Die heutige Pfeffer­      erwerben; die Realisierung einer Kombination     vergessen – die Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH,
werk Stadtkultur gGmbH sollte anfangs „le-          aus Stiftungsidee, Erbpachtmodell und Stand-     seit 2002 durch Zustiftung der Gesellschafteran-
diglich“ Träger arbeitsmarktfinanzierter Maß-       ortentwicklung schien möglich. Die Pfefferwerk   teile Tochtergesellschaft der Stiftung Pfefferwerk,
nahmen auf dem Pfefferberg sein, so bei der         Stadtkultur gGmbH war diejenige Institution,     zählt mit mehr als 800 Beschäftigten heute zu
anstehenden Bautätigkeit. Trotz des enormen         die nach langwierigen Verhandlungen vom          den großen sozialen Trägern in Berlin.
Engagements der Protagonist/-innen zeich-           Land Berlin die Zuwendung für den Ankauf des
                                                                                                     Fotos: Ansichten © Rolf Matthes (S. 12 l., r.),
nete sich bald ab, dass es wohl länger dauern       Pfefferberg-Geländes erhielt – nach unserer      Margitta Haertel (S. 12 M.) | Im Kunst- und Atelier-
würde als erhofft. Viele Hürden taten sich auf,     Kenntnis ein bis heute einmaliger Vorgang. Sie   haus Meinblau © Bernhard Draz (o. l.) | Internatio­nale
zu den wichtigsten zählte die Eigentumsfrage.       wurde damit zur Gründungsstifterin der Stif-     Klänge in Haus 13 © Thomas Ernst (o. r.) | Pfeffer-
Die Pfefferwerker/-innen reagierten. Der Verein     tung Pfeffer­werk. Diese schloss einen Erbbau-   berg 1990 © Klaus Michalek (M.) | www.stpw.org
organisierte als Mieter auf dem Pfefferberg-­       rechtsvertrag mit der eigens dafür gegründeten
Areal einen im Laufe des Nachwendejahrzehnts        Pfefferberg Entwicklungs GmbH & Co. KG ab.
stetig wachsenden Veranstaltungsbetrieb und         Allerdings gestalteten sich Sanierung und Im-    M A R G I T TA H A E RT E L ist Vorsitzende des
sorgte so dafür, dass der Kulturstandort über       mobilienentwicklung erheblich schwieriger als    Vorstands der Stiftung Pfefferwerk.
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Baue Utopiastadt!
Den Bahnhof Wuppertal-Mirke als Labor für städtische, kulturelle und
gesellschaftliche Entwicklung zu sanieren und auszubauen ist Ziel der
utopiastadt GmbH. Alle Wuppertaler/-innen sind eingeladen, den Erhalt
des denkmalgeschützten Gebäudes an der Nordbahntrasse tat- und fi-
nanzkräftig zu unterstützen: zum Beispiel mit der Baustein-Spende oder
der 1-m²-Spende für den Ankauf weiterer Flächen. Finanziert wurden auf
diese Weise schon 300 Quadratmeter. Über Online-Einkäufe bei circa 100
Händler/-innen werden Spenden generiert. Das kostenlos nutzbare Lasten-       Auf ähnlichem Prinzip basieren die Only-Hut-Konzerte: Auch hier soll das
fahrrad „Fienchen“ macht den Sinn einer Spende im wahrsten Wortsin-           Bewusstsein für die künstlerische Leistung geschärft werden, bevor dafür
ne er-fahr-bar. „Einfach melden!“ können sich alle, die sich anderweitig      Geld in selbst gewählter Höhe fließt. „Die Bezahlung ist das eine, wahre
einbringen und HERO werden möchten. Auf www.clownfisch.eu wird be-            Begeisterung für etwas jedoch das Ausschlaggebende im Dialog der Ma-
schrieben, was wofür gebraucht wird. Interessant ist das Supporter-­Ticket,   cher auf der einen und Nutzer auf der anderen Seite“, erklärt Geschäfts-
das für eine bestimmte Veranstaltung erworben werden kann. Hierbei            führer Christian Hampe. Denn Utopiastadt versteht sich als „andauernder
handelt es sich nicht um Eintritt, sondern um die Wertschätzung für eine      Kultur- und Gesellschaftskongress mit Ambitionen und Wirkung.“
Aktion oder ein Ereignis, theoretisch unabhängig vom Erlebnis.                www.clownfisch.eu                                               Ellen Ahbe

Die Initiative Mein Grundeinkommen
Der Verein Mein Grundeinkommen entstand als Initiative von Michael
Bohmeyer aus Berlin. Er will den Diskurs über das bedingungslose Grund-
einkommen durch beispielhafte Verwirklichung voranbringen: Wie fühlt
es sich an, es zu bekommen? Hörst du dann auf, zu arbeiten? Was für
Veränderungen löst es in deiner Lebensgestaltung aus? Er begann 2014
mit einer Crowdfunding-Aktion und einer Internetplattform: Mein Grund-
einkommen e.V. ist eine Gemeinschaft, in der Menschen mitteilen, was sie
tun würden, wenn für ihr Einkommen gesorgt wäre. Viele der Mitglieder
posten in ihrem Profil auf diese Frage, sie würden sich mehr für soziale      Freiräumen, so Gewinnerin Katrin: „Für mich stellt das Grundeinkommen
Projekte engagieren. Etwas Künstlerisches wagen. Und mehr Zeit mit ihrer      die Frage: Was würdest du tun, wenn du keine Angst hättest?“
Familie oder mit Freunden verbringen.                                            Bisher zeigt die Aktion deutlich, dass Menschen anderen ein Grund-
   Seit Geld gesammelt wird, sind schon über 50 Grundeinkommen für            einkommen gönnen, ganz ohne Gegenleistung! Und dass Menschen vor
jeweils ein Jahr generiert worden. Immer, wenn 12.000 Euro zusammen-          allem soziale Wesen sind und nicht nur wegen des Geldes arbeiten! Laut
gekommen sind, werden sie an die Bewerber/-innen verlost. Diese Verlo-        einer Meinungsumfrage befürworten 73 Prozent der Deutschen prinzipiell
sungen finden öffentlich mit Livestream statt, oft drehen Gewinner/-innen     ein bedingungsloses Grundeinkommen!1
dabei das Glücksrad für die nächsten. Sie erzählen auch von gewonnenen        1
                                                                                  www.mein-grundeinkommen.de/blog/1368                     Kristine Schütt

Merchandising nachhaltig produziert
Mehr als 10.000 Menschen haben 2016 die Workshops und Veranstaltun-
gen des „Yiddish Summer Weimar” besucht. Viele verbringen seit Jahren
mehrere Tage oder gar Wochen bei dem Festival. Häufig äußerten Besu-
cher/-innen den Wunsch, auch etwas „Materielles“ mitzunehmen. Die
Veranstalter/-innen wollten jedoch keine Merchan­disingprodukte anbie-
ten, deren Leben begrenzt und deren Herstellung fragwürdig ist. Die Wer-
bemittel sollten vielmehr auch eine Funktion haben, im Alltag verwendet
werden können und nachhaltig produziert worden sein.
   Daher werden seit diesem Sommer unter anderem Trinkschalen und             meisters Stefan Wolf, der das Festival seit vielen Jahren unterstützt. Eine
Fächer verkauft. Das Design stammt von Sayumi Yoshi­da. Die bildende          ähnliche Funktion wie die Trinkschalen haben die Fächer, mit denen nun
Künstlerin Nina Naußed bedruckte 33 der Trinkschalen mithilfe einer kera-     die Konzerte im stets heißen Kulturzentrum mon ami gut gekühlt erlebt
mischen Umdrucktechnik – jede ist daher ein Unikat. Auf ihnen wird das        werden können. Neu sind ebenfalls Beutel aus Biobaumwolle, in denen
Lied „Zumer Weimar“ des jiddischen Chansonniers und Liedermachers             Workshopinformationen für Teilnehmer/-innen verpackt werden und de-
Arkady Gendler zitiert, das er bei seinem Festivalbesuch 2009 komponiert      ren freie Flächen zur Gestaltung einladen.
hat und das das in Weimar neu entstehende jiddische Leben feiert. Der ge-     www.othermusicacademy.eu, http://yiddishsummer.eu/de/service/ysw-goods.html
samte Liedtext befindet sich übrigens im Büro des Weimarer Oberbürger-        Fotos: © Yulia Kabakova                                     Marie Czarnikow
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