Künstliche Intelligenz zur Umsetzung von Industrie 4.0 im Mittelstand - Expertise des Forschungsbeirats der Plattform Industrie 4.0
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FORSCHUNGSBEIRAT Expertise des Forschungsbeirats der Plattform Industrie 4.0 Künstliche Intelligenz zur Umsetzung von Industrie 4.0 im Mittelstand
Impressum Herausgeber Forschungsbeirat der Plattform Industrie 4.0 / acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften Projektbüro acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften Geschäftsstelle Karolinenplatz 4 80333 München Autorinnen und Autoren Institut für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW) an der Technischen Universität Darmstadt: Prof. Dr.-Ing. Joachim Metternich, Tobias Biegel, Beatriz Bretones Cassoli, Felix Hoffmann, Nicolas Jourdan, Jannik Rosemeyer, Patrick Stanula, Amina Ziegenbein Koordination Dr. Anna Frey, acatech Plattform Industrie 4.0 acatech – Deutsche Akademie Lisa Hubrecht, acatech der Technikwissenschaften Simon Litsche, acatech Redaktion und Lektorat Karola Klatt, Berlin Gestaltung und Produktion PRpetuum GmbH, München Bildnachweis Adobe Stock/ Blue Planet Studio (Titel) Abbildungen: PTW der TU Darmstadt, Laserline GmbH, Eifelbrennholz e. K., Polierscheibenfabrik Spaeth e. K., Arno Arnold GmbH, Sensitec GmbH, b_digital UG, OmegaLambdaTec GmbH, WZL RWTH Aachen Stand August 2021
Der Forschungsbeirat der Plattform Industrie 4.0 berät als strategisches und unabhängiges Gremium die Plattform Industrie 4.0, ihre Arbeitsgruppen und die beteiligten Bundesminis terien, insbesondere das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Als Sensor von Entwicklungsströmungen beobachtet und bewertet der Forschungsbeirat die Leistungsprofilentwicklung von Industrie 4.0 und versteht sich als Impulsgeber für künftige Forschungsthemen und Begleiter beziehungsweise Berater zur Umsetzung von Industrie 4.0. Dabei konzentriert sich der Forschungsbeirat inhaltlich auf folgende Themenfelder im Kontext von Industrie 4.0: • Wertschöpfungsnetzwerke • Technologische Wegbereiter • Neue Methoden und Werkzeuge • Arbeit und Gesellschaft Hier setzen die Expertisen des Forschungsbeirats an. Vor dem Hintergrund der Themenfelder werden klar umrissene Problemstellungen aufgezeigt, Forschungs- und Entwicklungsbedarfe definiert und Handlungsoptionen für eine erfolgreiche Gestaltung von Industrie 4.0 abgeleitet. Die Expertisen liegen in der inhaltlichen Verantwortung der jeweiligen Autorinnen und Autoren. Alle bisher erschienenen Publikationen des Forschungsbeirats stehen unter www.acatech.de/projekt/forschungsbeirat-industrie-4-0/ zur Verfügung.
2 Inhalt Kurzfassung.............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. 3 1 Einleitung....................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................... 5 2 Ausgangslage und Zielsetzung....................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................... 6 3 Vorgehensweise und Methodik.................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. 8 4 Einsatzschwerpunkte und Handlungsbedarfe von KI-Anwendungen im produzierenden Mittelstand......................... 11 Aktuelle und geplante Einsatzschwerpunkte von Künstlicher Intelligenz.........................................................................................................................................................................................11 Handlungsbedarfe für die Anwendung von KI..............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................13 5 Chancenpotenzial aktuell verfügbarer KI-Technologien für den produzierenden Mittelstand................................................................. 18 Stellenwert von KI im Unternehmen............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................18 Entwicklung und Betrieb von KI-Anwendungen..................................................................................................................................................................................................................................................................................................................20 Charakter existierender KI-Anwendungen................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................21 Potenzial von KI-Technologien.........................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................23 Best Practice-Beispiele..................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................26 6 Identifikation von Potenzialen für zukünftige Förderinitiativen............................................................................................................................................................................................................. 34 Aktueller Fokus der Forschungslandschaft in Bezug auf KI................................................................................................................................................................................................................................................................34 Einordnung der befragten Unternehmen hinsichtlich ihrer KI-Tätigkeiten.................................................................................................................................................................................38 Potenziale für die Verbesserung der Rahmenbedingungen zukünftiger Förderinitiativen...........................................................................................................39 Beurteilung der Wirksamkeit von Fördermaßnahmen......................................................................................................................................................................................................................................................................................40 Potenziale für die inhaltliche Ausrichtung zukünftiger Förderinitiativen...........................................................................................................................................................................................41 7 Handlungsoptionen zum erfolgreichen Einsatz von KI-Technologien.................................................................................................................................................................................... 44 SWOT-Analyse........................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................44 Leitfaden.....................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................45 8 Diskussion und Ausblick ......................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................... 56 Anhang.............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. 57 Literatur........................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................ 62 Autorinnen und Autoren.......................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................... 65 Befragte Expertinnen und Experten..................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................... 65 Mitglieder des Forschungsbeirats................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. 66
3 Kurzfassung Künstliche Intelligenz (KI) bietet vielseitige Potenziale für relevante Daten überwiegend gar nicht oder lediglich den Einsatz in der Produktion und kann einen wichtigen manuell. Sofern sie KI-Lösungen einsetzen, geschieht dies Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit produzierender Unterneh- im Zusammenhang mit ihren Produkten und Dienstleis- men leisten. In den letzten Jahren wurden bereits zahlreiche tungen. Ein Einsatz zur Verbesserung interner Prozesse und Vorhaben zur Anwendung von KI-Lösungen in der Produk Abläufe – beispielsweise im Rahmen der Instandhaltung tion umgesetzt. Spätestens seit der Verabschiedung der von Maschinen und Anlagen – findet nur selten statt. Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung1 im Wesentliche Hemmnisse für den Einsatz von KI sehen so November 2018 ist das Thema auch in den Fokus der Pro- wohl KMU als auch GU vor allem in fehlendem Know-how, duktionsforschung und vieler Unternehmen gerückt. Trotz einer zu geringen Datenbasis und mangelnder Standardi- der vorhandenen Potenziale und Initiativen zeigen Erhe- sierung. Weiterhin wird beleuchtet, welches Chancenpo- bungen aus den vergangenen Jahren, dass KI-Lösungen bis- tenzial aktuell verfügbare Technologien dem produzieren- her nur von wenigen Unternehmen und in Randbereichen den Mittelstand bieten. Dabei zeigt sich, dass die wenigen genutzt werden.2 Unternehmen mit operativen KI-Anwendungen den Ein- satz dieser Technologien in den meisten Fällen als profita- Die vorliegende Expertise wurde von Mitarbeiterinnen bel ansehen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass und Mitarbeitern des Instituts für Produktionsmanage- KMU das Thema KI zwar als bedeutsam wahrnehmen, es ment, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW) der jedoch nur wenige von ihnen auf ihre strategische Agenda Technischen Universität Darmstadt erstellt. Sie beleuchtet genommen und Maßnahmen für einen nachhaltigen Kom- auf Basis von Befragungsergebnissen den Einsatz und die petenzaufbau ergriffen haben. unternehmerischen Potenziale von KI-Lösungen, liefert Anwendungsbeispiele aus der industriellen Praxis und Da bisher nur eine kleine Anzahl der befragten KMU von zeigt grundlegende Vorgehensweisen bei der Durchfüh- den umfangreichen Fördermöglichkeiten im Umfeld von rung von KI-Vorhaben auf. Zudem werden aktuelle und KI Gebrauch gemacht hat, besteht die Notwendigkeit, den zukünftige Förderprogramme hinsichtlich ihrer inhaltli- Nutzen der KI-Anwendungen in den Vordergrund zu stel- chen Schwerpunkte und Wirksamkeit untersucht. Diese len. Dies kann umso glaubwürdiger durch praxisnahe Bei- Expertise liefert damit auch einen Beitrag zur Diskussion, spiele gelingen, die auf die eigene Problemsituation bezie- welche Potenziale für künftige Förderinitiativen zur Ver- hungsweise Herausforderung übertragbar sind. Daher breitung von KI in kleinen und mittelgroßen Unternehmen zeigen Beispiele aus der Industrie auf, welche Anwendun- (KMU) bestehen. Ein Leitfaden zeigt Unternehmen auf, wie gen aus dem Produktionskontext bereits erfolgreich reali- sie KI-Technologien bei der Umsetzung von Industrie 4.0 siert werden konnten – aber auch, welche Schwierigkeiten miteinbeziehen können. Die Expertise konzentriert sich auf dabei zu meistern waren. Diese Praxisbeispiele können hel- produzierende KMU und vergleicht ihre Situation mit der fen, einen Anstoß für eine eigene erfolgreiche KI-Anwen- von großen Unternehmen (GU). Die quantitativen Ergeb- dung zu finden und dabei von den Erkenntnissen anderer nisse aus der Online-Befragung von 117 Vertreterinnen zu profitieren. und Vertretern produzierender Unternehmen werden durch leitfadengestützte Interviews mit 20 Expertinnen und Darüber hinaus bietet die Expertise einen strukturierten Experten ergänzt. Zusätzlich werden konkrete Projektver- Überblick hinsichtlich des Umfangs und thematischen läufe von Unternehmen herausgearbeitet und vor allem Schwerpunkts aktueller Förderprogramme im Kontext des hinsichtlich aufgetretener Herausforderungen und Erfolgs- Einsatzes von KI-Lösungen im produzierenden Mittelstand. faktoren beleuchtet. Zudem wird aufgezeigt, wie die Teilnehmenden gegenwär- tige Antragsverfahren bewerten. Hierbei zeigt sich, dass Zunächst werden die Einsatzschwerpunkte von KI-Lösun- Verbesserungspotenziale vor allem in einer vereinfachten gen in KMU identifiziert und mögliche Handlungsbedarfe Antragsstellung und schnelleren Bewilligungsentscheidun- aufgedeckt. Es zeigt sich, dass KMU bei der Digitalisierung gen gesehen werden. Zur Steigerung des Einsatzes von KI als Voraussetzung des Einsatzes von KI-Anwendungen im im produzierenden Mittelstand bedarf es in zukünftigen Hintertreffen sind. Sie weisen verglichen mit GU einen sig- Fördervorhaben insbesondere einer stärkeren Ausrichtung nifikant niedrigeren Digitalisierungsgrad auf und erfassen an den praktischen Problemstellungen der Unternehmen. 1 Vgl. Bundesregierung 2018. 2 Vgl. PwC 2019, PAiCE 2018, Bauer et al. 2019.
4 K Ü N S T L I C H E I N T E L L I G E N Z Z U R U M S E T Z U N G V O N I N D U S T R I E 4 . 0 I M M I T T E L S TA N D Unterstützung durch sogenannte KI-Trainerinnen und KI von vielen Befragten als wichtiges Thema für das ‑Trainer stellt hier eine Lösungsmöglichkeit dar. Vorhaben, Geschäftsmodell erkannt wird, führt diese Erkenntnis in die die Produkte und Dienstleistungen der Unternehmen der überwiegenden Zahl der mittelständischen Unterneh- tangieren, sollten bevorzugt entwickelt werden. men nicht dazu, dieses Know-how – entweder durch Quali- fizierung oder durch Neueinstellung von Fachkräften – Auf der Basis dieser Erkenntnisse werden abschließend im aufzubauen. Jedoch ist genau dies beim aktuellen Stand der Rahmen einer SWOT-Analyse die erkannten Stärken, Technik notwendig: Bevor ein Unternehmen KI nachhaltig, Schwächen, Chancen und Risiken des Einsatzes von KI-An- differenzierend und gewinnbringend im Wettbewerb ein- wendungen in KMU zusammengefasst, um systematisch setzen kann, muss es sich das Thema KI durch Kompeten- Handlungsoptionen für eine erfolgreiche strategische Ant- zaufbau zu eigen machen. Dies liegt darin begründet, dass wort abzuleiten. Ein Leitfaden soll KMU, insbesondere des die erfolgreiche Anwendung der derzeit auf dem Markt Maschinen- und Anlagenbaus, eine Richtschnur bieten, an verfügbaren KI-Lösungen immer noch ein tiefgehendes der sie sich zur Lösung einer Problemstellung aus dem Pro- Verständnis der zugrundeliegenden Algorithmen und Prin- duktionskontext mithilfe einer KI-Anwendung orientieren zipien erfordert. Klar ist: Wer sich diesen thematischen können. Zugang früher verschafft und mit den passenden KI-Lö- sungen schon jetzt an den Start geht, wird sich einen Die Auswertung der Daten zeigt, dass nur ein Bruchteil mit Marktvorteil verschaffen. Das zeigen unter anderem die telständischer Unternehmen tatsächlich schon Erfahrun- Beispielunternehmen, die im Rahmen dieser Expertise mit gen mit KI gesammelt hat und KMU damit signifikant hin- ihren KI-Anwendungen vorgestellt werden. Allerdings wird ter GU liegen. Ein Grund ist die immer noch unzureichende KI erst dann in der Breite des Mittelstands Einzug halten, digitale Infrastruktur, die eine mangelnde Datenqualität wenn individuelle Aufgabenstellungen durch eine anwen- zur Folge hat. Ein anderer ist fehlendes Know-how, um dungsfreundliche KI von Nicht-Expertinnen und Experten das fachübergreifende Zusammenspiel aus Sensorik, Date- „aus dem Baukasten“ gelöst werden können. Hierfür ist nerfassung und ‑aufbereitung sowie Anwendung von jedoch noch einiges an Forschungs- und Entwicklungsar- KI-Algorithmen zu planen und umzusetzen. Und obwohl beit zu leisten.
K Ü N S T L I C H E I N T E L L I G E N Z Z U R U M S E T Z U N G V O N I N D U S T R I E 4 . 0 I M M I T T E L S TA N D 5 1 Einleitung Die fortschreitende Digitalisierung und Vernetzung von werden. Dies hat auch die Bundesregierung erkannt und Maschinen und Anlagen sorgt in vielen Bereichen der unter dem Motto Artificial Intelligence (AI) Made in Ger- industriellen Produktion und Auftragsabwicklung dafür, many ein milliardenschweres Förderprogramm initiiert mit dass Daten in großen Mengen zur Verfügung stehen. Es dem Ziel, Deutschland und Europa zu einem führenden bietet sich an, diese Daten zur Verbesserung von Prozessen Standort für KI zu machen.4 zu nutzen, beispielsweise um Ausschuss zu reduzieren oder die Maschinenverfügbarkeit zu steigern. Darüber hinaus Während viele große Unternehmen (GU) die Einsatzmög- ermöglichen kommunikationsfähige Produkte, dass ihre lichkeiten von KI – meist auf der Basis von Leuchtturmpro- Herstellerfirmen Daten aus der Produktnutzungsphase jekten – bereits testen und erste Anwendungen umgesetzt erhalten. Dies bietet die Chance, Dienstleistungen rund haben, stehen kleine und mittelständische Unternehmen um die Produktnutzung anzubieten, sodass der Wert des (KMU) hier vor großen Herausforderungen. Sie haben oft- Produkts für die Anwenderinnen und Anwender steigt. mals keine Fachabteilungen oder Stabsstellen, die sich eines Bei diesen Dienstleistungen kann es sich beispielsweise um neuen Themas annehmen, oder es mangelt an personellen rechtzeitige Instandhaltungsmaßnahmen oder das Opti- und finanziellen Ressourcen, um KI-Projekte mit ihrem mieren von Bearbeitungsparametern handeln. häufig schwer quantifizierbaren Nutzen anzustoßen.5 Werden Systeme komplexer, ist es häufig nicht mehr mög- Angesichts der hohen Bedeutung des Mittelstands für die lich, auf der Basis von Daten und mithilfe physikalischer deutsche Wirtschaft und seines gleichzeitig zögerlichen Formeln das Systemverhalten abzubilden, um zum Beispiel Umgangs mit dem Thema KI stellt sich für Politik, Verbände, zwischen dem Normalzustand oder einer Abweichung zu Fördermittelgeber und schließlich die Unternehmen selbst unterscheiden. Spätestens hier kommt Künstliche Intelli- die Frage, wie „Mittelständler“ für einen angemessenen genz (KI) mit ihrem breiten Instrumentarium ins Spiel. Ins- Einsatz von KI zu begeistern, qualifizieren und unterstüt- besondere die Methoden des maschinellen Lernens (ML) zen sind. Die vorliegende Expertise hat zum Ziel, den ermöglichen es, Zustände komplexer Systeme zu klassifi- Stand des Einsatzes von KI im produzierenden Mittelstand zieren oder Zusammenhänge zwischen Prozessdaten und zu beleuchten, Hindernisse und Chancen herauszuarbeiten -ergebnissen zu erkennen, um gegebenenfalls sogar Aussa- und damit zur Beantwortung dieser Fragen beizutragen. Sie gen über das künftige Systemverhalten zu machen. Die wurde angefertigt von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Möglichkeiten, die sich für Industrieunternehmen aus der des PTW der TU Darmstadt. Basierend auf den Erfahrun- Verbindung großer Datenmengen und ML für eigene Pro- gen, die sich das PTW bereits im Rahmen des Kompetenz- zessverbesserungen oder neue Dienstleistungen und Pro- zentrums Mittelstand 4.0 Darmstadt sowie durch eigene dukte ergeben, sind weit gefächert. Von der Qualitätsprä- KI-bezogene Forschung aufgebaut hat, wurden Verantwort- diktion bis hin zur Vorhersage der Restlebensdauer einer liche aus produzierenden Unternehmen befragt und Inter- Komponente – vieles ist denkbar und einiges davon ist views mit Expertinnen und Experten geführt. Die Zielset- schon heute möglich.3 Wettbewerbsfähigkeit, Marktchan- zungen dieser Expertise und ihre Operationalisierung cen und damit Arbeitsplätze und Wohlstand hängen davon durch verschiedene Untersuchungsschritte wird in den ab, ob und wie intensiv diese Möglichkeiten ausgeschöpft nächsten Abschnitten genauer vorgestellt. 3 Vgl. PAiCE et al. 2018, S. 14. 4 Vgl. Bundesregierung 2018, Bundesregierung 2020. 5 Vgl. Pfohl et al. 2021, S. 158-159.
6 2 Ausgangslage und Zielsetzung Mehr als 65 Jahre nachdem die Bezeichnung Künstliche Anwendungen in einer Vielzahl von Forschungsprojekten Intelligenz erstmalig verwendet wurde6, zeigt sich vor allem bereits nachgewiesen ist und erste marktfähige Produkte in den letzten Jahren ein starker Anstieg der Anwendung erhältlich sind, legt die Unternehmenspraxis ihren Fokus von KI-Lösungen in Forschung und Unternehmenspraxis.7 auf die Auswertung von Daten mit dem Ziel, ihre Produkte Dieser ist unter anderem bedingt durch schnellere Hard- aufzuwerten, den Kundenservice zu verbessern und das waresysteme und die gesteigerte Verfügbarkeit von Daten.8 Marketing zielgerichteter und aufwandsärmer zu gestal- Es ist zu erwarten, dass die Kombination von Daten, Algo- ten.11 rithmen und Rechenleistung bestehende Wertketten effizi- enter gestaltet und traditionelle Abläufe durch neue ersetzt. Wenngleich die Erwartungen an KI-Anwendungen groß Dies ist insbesondere in den produktionsunterstützenden sind, entspricht die wirtschaftliche Nutzung bei Weitem Bereichen (Qualitätsmanagement, Instandhaltung und nicht dieser Erwartungshaltung. Nach einer globalen Studie Arbeitsvorbereitung) zu erwarten. Darüber hinaus erlauben der Boston Consulting Group (BCG) aus dem Jahr 2017 ver- KI-Technologien neue Anwendungen und Dienstleistungen sprechen sich zwar 85 Prozent der befragten Expertinnen und weisen damit ein hohes Disruptionspotenzial auf. So und Experten Potenziale durch KI-Anwendungen, doch erlauben KI-Technologien Erweiterungen des Produktleis- lediglich rund 5 Prozent der Unternehmen haben entspre- tungsspektrums und ermöglichen neue Geschäftsmodelle. chende Anwendungen bereits im Einsatz.12 Ein ähnliches Werden diese Möglichkeiten zielgerichtet genutzt, dann Bild ermittelt Bitkom Research in einer Umfrage von 2020 versprechen KI-Anwendungen große Potenziale für Unter- für den deutschen Markt.13 Bitkom hebt unter anderem nehmen und ganze Wirtschaftsstandorte. Für das deutsche hervor, dass die Einstellung gegenüber KI auch von der Bruttoinlandsprodukt prognostiziert die Unternehmensbe- Unternehmensgröße abhängig sei: Je kleiner die Unterneh- ratung PricewaterhouseCoopers GmbH (PwC) beispielsweise men wären, desto kritischer ständen sie KI-Technologien eine Steigerung von 11,3 Prozent oder 430 Milliarden Euro gegenüber. bis 2030 durch den Einsatz von KI.9 Wie nicht zuletzt die Unternehmensbeispiele in dieser Expertise zeigen, können KI-Anwendungen auch für KMU Prof. Dr.-Ing. Thomas Bauernhansl: effizienzsteigernd wirken oder neue Leistungen ermögli- „Wenn Sie KI unterteilen in Perzeption, Kognition und chen und damit eine Schlüsseltechnologie sein, um Wett- Aktion, dann ist die strukturierte Datenaufnahme mit bewerbsvorteile zu erlangen.14 Als Katalysator dient die in Kameras oder anderen Sensoren und das Auswerten in den letzten Jahren zunehmende Verbreitung cyber-physi- Bezug auf ‚In Ordnung/nicht in Ordnung‘ oder einer scher Systeme im Rahmen von Industrie 4.0. Immerhin, so Anomalieerkennung und ähnlichem, weit fortgeschrit- zeigt eine Publikation des Forschungsbeirats der Plattform ten.“ Industrie 4.0, ist das Thema Industrie 4.0 in KMU Gegen- stand vieler aktueller Projekte.15 Im Kontrast zu GU weist die Wertschöpfungsstruktur von KMU jedoch einige Beson- KI-Systeme sind heutzutage bereits in einer Vielzahl von derheiten auf. Kleinere Stückzahlen und eine höhere Pro- Anwendungen im praktischen Einsatz – ob sichtbar oder duktindividualität erschweren Lern- und Skaleneffekte. unsichtbar. Für produzierende Unternehmen bietet sich Gleichzeitig stehen weniger Ressourcen – ob finanzieller der Einsatz KI-basierter Anwendungen beispielsweise in oder personeller Art – zur Verfügung, sodass Unternehmens- Form einer selbststeuernden Lagerüberwachung, einer leitungen von KMU insbesondere bei risikobehafteten Pro- selbstlernenden Qualitätsüberwachung, eines automatisier- jekten vor der Fragestellung stehen, ob sich durch diese ein ten Erstellens von Prozessmodellen und des Durchführens unmittelbarer Mehrwert für den Kunden oder für das von Ursachenanalysen an.10 Obwohl die Machbarkeit dieser eigene Geschäft bietet.16 6 Vgl. McCarthy et al. 2006. 7 Vgl. Web of Science 2021. 12 Vgl. MIT Sloan Management Review and BCG 2017. 8 Vgl. Russell et al. 2016, S. 27. 13 Vgl. Bitkom 2020. 9 Vgl. PwC 2018. 14 Vgl. Lundborg/Märkel 2019. 10 Vgl. Hatiboglu et al. 2019. 15 Vgl. Forschungsbeirat/acatech 2019a. 11 Vgl. Bauer et al. 2019, S. 31. 16 Vgl. Pfohl et al. 2021, S. 158-159.
W E RT S C H Ö P F U N G S N E T Z W E R K E I N Z E I T E N V O N I N F E K T I O N S K R I S E N 7 2025 für Maßnahmen zur Förderung von KI in Deutsch- Dr. Rene Fassbender (OLT): land und Europa bereit.19 „Die Unternehmen, die in Zukunft keinerlei KI-Lösun- gen einsetzen, werden ab einem bestimmten Zeitpunkt Ausgezeichnete Forschung und vielversprechende KI-Lö- X nicht mehr wettbewerbsfähig sein können.“ sungen reichen jedoch nicht aus, wenn sie nicht bei der Zielgruppe der KMU ankommen. Eine Reihe von Studien untersuchte in den vergangenen Jahren die Verbreitung KMU machen bekanntermaßen 99 Prozent aller deutschen und Einsatzmöglichkeiten von KI-Lösungen für KMU aller Unternehmen aus und stellen 58 Prozent der Beschäftigten.17 Branchen und Sektoren.20 In diesen Studien sahen die Aufgrund dieser hohen Bedeutung gelten KMU als Motor befragten Anwenderinnen und Anwender ein hohes Poten- der deutschen Wirtschaft.18 Um diesen Motor leistungs- und zial von KI-Technologien für Veränderungen von Unter- wettbewerbsfähig zu erhalten, gilt es, bei neuen Technolo- nehmensprozessen, beispielsweise im Marketing, in der gien den Anschluss zu halten und sich in den entscheiden- Logistik oder der Automatisierung. Doch umfassen die den sich differenzierenden Bereichen an die internationale genannten Studien sowohl KMU aus dem sekundären als Spitze zu setzen. Die Digitalisierung von Prozessen und Pro- auch dem tertiären Sektor ohne eine Fokussierung auf den dukten bildet die Grundlage der Verfügbarkeit und kom- produzierenden Mittelstand vorzunehmen. Darüber hinaus merziellen Nutzung der entstehenden Daten durch KI und konnte die Vielzahl neu aufgelegter Förderinitiativen nicht stellt eine erste Hürde für KMU dar. in ausreichendem Maße berücksichtigt werden. Im Bewusstsein dieser Herausforderung richtete das Bun- Für politische Entscheidungsträgerinnen und -träger stellt desministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) bereits sich die Frage, welche Maßnahmen zu ergreifen sind und im Jahr 2015 die ersten Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren wie Förderung zu gestalten ist, damit produzierende KMU in unterschiedlichen Regionen Deutschlands ein. Diese von der Förderung profitieren. Außerdem steht das Kompetenzzentren haben den Auftrag, KMU kostenfrei bei Management mittelständischer Unternehmen vor der der Implementierung digitaler Lösungen und Industrie 4.0- Frage, wie KI-Projekte angegangen werden müssen, sodass Technologien zu unterstützen. Dies umfasst unter anderem KI-Technologien zielgerichtet in ihren jeweiligen Unter- KI-Anwendungen, wobei neben Sensibilisierungsmaßnah- nehmen eingesetzt werden können. Die Beantwortung die- men auch sogenannte KI-Trainerinnen und -Trainer zur ser Fragen im Rahmen dieser Expertise soll helfen, KI-Tech- Verfügung stehen, die bei der Umsetzung von KI-Projekten nologien passgenau für KMU verfügbar zu machen und im Unternehmen unterstützen. Darüber hinaus stellt die diese bei der Einführung zu unterstützen, um damit die Bundesregierung im Rahmen der Fortschreibung ihrer Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Wirtschaftsstandorts Strategie Künstliche Intelligenz fünf Milliarden Euro bis Deutschland zu stärken. 17 Vgl. BMWi 2019. 20 Vgl. BVMW/Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrum Berlin 2020, 18 Vgl. BMWi 2019. Lundborg/Märkel 2019, Wangermann 2020, Mittelstand 4.0 Kom- petenzzentrum Dortmund 2020. 19 Vgl. Bundesregierung 2018, 2020.
8 3 Vorgehensweise und Methodik In Summe besteht also der Bedarf nach einer Expertise, die Das Vorgehen der Expertise lässt sich in vier Abschnitte un folgende Fragen beleuchtet: tergliedern. Zunächst wird auf der Basis der oben formulier- ten Fragen ein Online-Fragebogen erstellt. Mithilfe dieses • Was sind die aktuellen Einsatzschwerpunkte von KI-An- Fragebogens wird eine statistisch auswertbare Datenbasis wendungen im produzierenden Mittelstand und wo geschaffen, die im zweiten Schritt durch Einzelinterviews bestehen noch Handlungsbedarfe für eine erfolgreiche ergänzt und vertieft wird. Themen dieser Interviews sind Anwendung und Umsetzung? vor allem die aktuellen Einsatzschwerpunkte sowie die Chancenpotenziale von KI-Technologien in KMU aus Exper • In welchem Umfang liegen KI-Anwendungen im produ- tinnen- und Experten- sowie Anwenderinnen- und Anwen- zierenden Mittelstand bereits vor und welches Chancen- dersicht. Schließlich wird im dritten Schritt die deutsche potenzial bietet die Nutzung aktuell verfügbarer KI-Tech Forschungslandschaft im Bereich KI näher beleuchtet und nologien für die Unternehmen? im vierten Schritt ein Leitfaden zur Einführung von KI-An- wendungen in KMU präsentiert. Das Vorgehen in den ein- • Welche Rahmenbedingungen müssen geschaffen wer- zelnen Abschnitten wird im Folgenden detaillierter vorge- den, damit bestehende Hürden für eine Umsetzung von stellt. KI-Projekten und eine breitflächige Anwendung von KI-Technologien abgebaut werden können? Der Online-Fragebogen setzt sich inhaltlich aus zwei Teilen zusammen. Im ersten Teil des Fragebogens werden allge- Grundlage der vorliegenden Expertise bilden die folgenden meine Fragen zum Charakter des befragten Unternehmens Definitionen der Begriffe „KI“ (Künstliche Intelligenz), und zum aktuellen Status der Anwendung von KI-Techno- „KMU“ (kleine und mittlere Unternehmen) und „GU“ (große logien im Unternehmen gestellt, die unter anderem die Unternehmen): Erwartungen an die Technologie, das Erfahrungsniveau sowie den Durchdringungsgrad betreffen. Die Fragen im In Anlehnung an die oben aufgeführte Strategie der Bun- zweiten Teil dienen dem Ziel, Zusammenhänge zwischen desregierung bezeichnet die „Anwendung von Künstlicher Voraussetzungen, eigenen Aktivitäten und Erfolgen zu er Intelligenz“ im Kontext dieser Expertise die Lösung kon- kennen. Mithilfe der Antworten sollen Faktoren identifiziert kreter Anwendungsprobleme auf Basis der Methoden aus werden, die zum Erfolg beziehungsweise Scheitern von der Mathematik und Informatik. Die hierbei zum Einsatz KI-Projekten führen. Der Online-Fragebogen wird auf der kommenden Systeme sind zur Modellbildung und -opti- Plattform LimeSurvey zur Verfügung gestellt und über Mul- mierung fähig, ohne explizit dafür programmiert worden tiplikatoren sowie unmittelbar bestehende Unternehmens- zu sein. Dazu werden auch Aspekte menschlicher Intelli- kontakte verbreitet. Insgesamt kann eine Rückläuferzahl von genz nachgebildet und formal beschrieben, beziehungs- 160 Antwortenden verzeichnet werden. Die Antwortenden weise Systeme zur Simulation und Unterstützung mensch- arbeiten zu 3 Prozent in Forschungsinstitutionen, zu 5 Pro- lichen Denkens konstruiert.21 In der Literatur liegen zudem zent in Unternehmensberatungen, 13 Prozent sind für IT-Ent- weitere Definitionen des Begriffs „Künstliche Intelligenz“ wicklungsdienstleister tätig, 73 Prozent für produzierende vor. Diese werden in anderen vergleichbaren KI-Studien Unternehmen und 6 Prozent für sonstige Unternehmen. Eine näher thematisiert22 und sollen hier nicht weiter behandelt detailliertere Aufteilung der teilnehmenden produzieren- werden. den Unternehmen nach Art und Umsatz zeigt Abbildung 1. Hinsichtlich der Begriffsabgrenzung von KMU und GU gel- Neben der Größe wird im Fragebogen auch die Branche 24 ten im Rahmen dieser Expertise Unternehmen mit einem der teilnehmenden Unternehmen erfragt, wobei hier Mehr- jährlichen Umsatz von bis zu 125 Millionen Euro als KMU. fachantworten möglich sind (siehe Anhang). Die Ergebnisse Hingegen zählen Unternehmen mit einem Umsatz von zeigen, dass die antwortenden Unternehmen überwiegend mehr als 125 Millionen Euro als GU.23 den Branchen Maschinenbau, Herstellung von elektrischen und elektronischen Komponenten beziehungsweise Produkten, Herstellung von Metallerzeugnissen, Metallerzeugung und 21 Vgl. Bundesregierung 2018. 23 Vgl. BMWi 2017. 22 Vgl. Hatiboglu et al. 2019, Bauer et al. 2019, acatech 2020. 24 Vgl. Destatis 2008.
K Ü N S T L I C H E I N T E L L I G E N Z Z U R U M S E T Z U N G V O N I N D U S T R I E 4 . 0 I M M I T T E L S TA N D 9 Abbildung 1: Aufteilung der an der Online-Befragung teilnehmenden Unternehmen in GU und KMU (links) und nach Umsatz (rechts) Anzahl der GU und KMU Anzahl der Unternehmen nach Umsatz 8 1 26 > 125 Mio. Euro 56 GU 61 KMU 56 50–125 Mio. Euro 10–50 Mio. Euro 26 2–10 Mio. Euro < 2 Mio. Euro Quelle: eigene Darstellung -bearbeitung sowie Reparatur und Installation von Maschinen In Ergänzung zur Online-Befragung werden für eine ver- und Ausrüstungen zuzuordnen sind. Diese Verteilung weicht tiefende Analyse 20 leitfadengestützte Interviews mit von der Branchenverteilung in Deutschland ab.25 So ist in 14 Führungskräften aus Unternehmen und sechs Wissen- der Expertise insbesondere der Maschinenbau überrepräsen- schaftlerinnen und Wissenschaftlern auf dem Gebiet der tiert, während Unternehmen aus dem Bereich Herstellung Produktionstechnik und KI durchgeführt. Mit den Füh- von Nahrungs- und Futtermitteln unterrepräsentiert sind. rungskräften werden die Ergebnisse der Online-Befragung Weiterhin können die antwortenden Personen gemäß ihrer von Unternehmen näher diskutiert. Hierbei soll ermittelt Position im Unternehmen eingeteilt werden: 22 Prozent werden, aus welchen Gründen die jeweiligen Antworten sind in der Geschäftsführung tätig, 56 Prozent haben eine abgegeben wurden. Insbesondere werden auffällige Antwor- Funktion als Team-/Abteilungs-/Bereichsleitung, 14 Prozent ten thematisiert. Weiterhin werden konkrete Projektverläufe fungieren als Projektleitung, 5 Prozent sind Mitarbeitende in den entsprechenden Unternehmen herausgearbeitet und und 3 Prozent haben eine sonstige Position inne. dabei insbesondere aufgetretene Herausforderungen und Erfolgsfaktoren beleuchtet. Mit den Forschenden hingegen Da sich diese Expertise auf produzierende Unternehmen werden oben aufgeführte Forschungsfragen genauer erör- fokussiert, bleiben die Rückläufe aus Forschungsinstitutio- tert. In den Interviews werden somit Chancen und Risiken nen, Unternehmensberatungen und von Dienstleistern in sowie Potenziale für eine verstärkte Verbreitung von KI-Tech der Datenauswertung unberücksichtigt und die folgenden nologien im produzierenden Mittelstand thematisiert. Ergebnisse referenzieren entsprechend auf eine Gesamtheit Durch die Interviews wird ein vertieftes Verständnis von von n = 117 Unternehmen. Für ein besseres Verständnis der Situation und Einsatz von KI-Anwendungen in produzie- Expertise ist von Bedeutung, dass der Fragebogen hierar- renden KMU gewonnen. Prägnante Aussagen in Form von chisch aufgebaut ist, das heißt, dass der weitere Fragenver- Zitaten spezifizieren die Erkenntnisse aus der Online-Um- lauf von vorherigen Antworten abhängt. Folglich unter- frage an geeigneten Stellen. Praktische Beispiele von KI-Pro- scheiden sich die Zahlen der Antwortenden bei einigen jekten aus Industrievorhaben der Autorinnen und Autoren, Auswertungen. Sofern möglich, werden statistische Tests der sogenannten KI-Trainerinnen und -Trainer im Rahmen durchgeführt, um die Antworten der Teilnehmenden aus der Mittelstand-Digital-Initiative sowie aus den Expertenin- KMU von denen aus GU abzugrenzen und Unterschiede terviews mit Industrievertretern ergänzen die zuvor aufge- auf Signifikanz zu überprüfen.26 Statistisch signifikante zeigten Erkenntnisse abschließend um ein realitätsnahes Aussagen sind in den Abbildungen mit einem Asterisk (*) Bild. gekennzeichnet. 25 Vgl. Destatis 2020. 26 Zweiseitiger Zweistichproben-t-Test und exakter Fisher-Test. Bei weniger als 30 Antworten wird auf die Anwendung des Zweistichproben-t-Tests verzichtet.
10 K Ü N S T L I C H E I N T E L L I G E N Z Z U R U M S E T Z U N G V O N I N D U S T R I E 4 . 0 I M M I T T E L S TA N D Des Weiteren erfolgt eine Recherche und Zusammenstel- Weiterhin wird ein Leitfaden präsentiert, der mittelständi- lung von ausgeschriebenen sowie abgeschlossenen Förder- schen Unternehmen die grundlegenden Schritte zur Ein- programmen und -vorhaben mit Schwerpunkt KI im pro- führung und Umsetzung von KI-Technologien aufzeigt. Der duzierenden Mittelstand. Mittels dieser Zuordnung kann Leitfaden soll Orientierung bei der erfolgreichen Einführung eine Analyse bestehender Förderinitiativen erfolgen und von KI-Anwendungen im produzierenden Mittelstand dabei aufgezeigt werden, welche Bereiche aktuell in der geben. Zu Beginn des Leitfadens wird eine SWOT-Analyse Förderung fokussiert werden. Aufbauend darauf werden durchgeführt, die die verschiedenen relevanten Aspekte von die herausgearbeiteten thematischen Schwerpunkte aktu- KI-Technologien aus Sicht des produzierenden Mittelstands eller KI-Förderinitiativen mit dem in der Untersuchung systematisch aufarbeitet. Anschließend beleuchtet der Leit- identifizierten Bedarf des produzierenden Mittelstands ver- faden sowohl geschäftsmodellrelevante, organisatorische glichen. Dabei wird analysiert, welche Wissens- und Tech- als auch technische Aspekte bei der Einführung von KI-Tech- nologielücken derzeit bei Unternehmen bestehen. Aus den nologien, bevor im letzten Kapitel die wesentlichen Erkennt Erkenntnissen werden letztlich Potenziale für die Verbesse- nisse der Untersuchung vor allem in Bezug auf die vorab rung bestehender Förderinitiativen ermittelt. formulierten Fragestellungen zusammengefasst werden.
11 4 Einsatzschwerpunkte und Handlungsbedarfe von KI-Anwendungen im produzierenden Mittelstand Der folgende Teil der Expertise widmet sich der ersten For- schungsfrage, welche Einsatzschwerpunkte von KI-Anwen- Dr. Rene Fassbender (OLT): dungen im produzierenden Mittelstand vorherrschen und „Anwendungen von Künstlicher Intelligenz oder Data welche Handlungsbedarfe für eine erfolgreiche Anwendung Analytics verlaufen allgemein von groß nach klein. und Umsetzung von KI-Lösungen in der Zukunft beste- Die allergrößten Unternehmen haben den Anfang hen. Zur Beantwortung werden die Daten der Online-Be gemacht und jetzt geht es mit der Zeit zu den immer fragung analysiert und die Ergebnisse an geeigneten Stellen kleineren Mittelständlern hinunter.“ um klärende Zitate aus den Expertenbefragungen ergänzt. Im signifikanten Kontrast stehen hierzu die KMU. Weniger Aktuelle und geplante Einsatzschwerpunkte als die Hälfte (41 Prozent) haben bereits konkrete Erfahrun- von Künstlicher Intelligenz gen mit dem Einsatz von KI-Anwendungen gesammelt oder erwägen ihren Einsatz. Unter diesen liegt der Anteil Wie die Online-Befragung zeigt, befasst sich eine überwie- derjenigen KMU, die KI-Anwendungen tatsächlich einset- gende Mehrzahl der GU bereits mit Einsatz und Planung zen, bei 44 Prozent. Auch circa 52 Prozent der KMU planen von KI-Anwendungen (siehe Abbildung 2). den konkreten Einsatz einer KI-Anwendung in ihrem Unternehmen. Lediglich ein einzelnes KMU (4 Prozent) gibt Insgesamt geben 82 Prozent der GU an, bereits Erfahrun- an, eine KI-Anwendung abgeschafft zu haben, die bereits gen im Umgang mit KI gesammelt zu haben oder den Ein- im Einsatz war. satz von KI-Anwendungen konkret zu planen. Hiervon ver- wenden bereits circa 65 Prozent der GU KI-Anwendungen Abbildung 3 zeigt die aktuellen Einsatzbereiche von KI in aktuell in ihrem Unternehmen. Etwas mehr als die Hälfte KMU und GU aufgeteilt nach Unternehmensbereichen und (52 Prozent) der GU planen den konkreten Einsatz von Anwendungsgebieten. Es zeigt sich, dass KMU und GU den KI-Anwendungen im Unternehmen. Lediglich 7 Prozent Einsatz von KI-Anwendungen derzeit in den Bereichen geben an, eine KI-Anwendung im Einsatz gehabt zu haben, Produkte und Dienstleistungen sowie in der Automatisie- die wieder abgeschafft wurde. rungstechnik fokussieren. Unterschiede zwischen KMU und GU zeigen sich vor allem in den Bereichen Logistik, Pro- duktentwicklung und Qualitätsmanagement. Abbildung 2: Einsatz von KI, aufgeteilt nach GU und KMU GU (n=56) KMU (n=61) 18 % 41 % 59 % KI-Anwendungen sind im Einsatz 82 % oder konkret geplant Kein Einsatz bzw. keine konkrete Planung von KI-Anwendungen Quelle: eigene Darstellung
112 2 K Ü N S T L I C H E I N T E L L I G E N Z Z U R U M S E T Z U N G V O N I N D U S T R I E 4 . 0 I M M I T T E L S TA N D Abbildung 3: Aktueller Einsatz von KI anhand verschiedener Anwendungsbereiche Wozu werden aktuell KI-Anwendungen in Ihrem Unternehmen verwendet? Produkte und Dienstleistungen 73 % 80 % Automatisierungstechnik 55 % (Robotik, Steuerungstechnik, Regelungstechnik, ...) 77 % Produktionssteuerung 45 % 63 % Digitale Assistenzsysteme (Chatbot, Werkerassistenz, ...) 45 % 63 % 45 % Instandhaltung 63 % Ressourcenplanung (Produktionsplanung, 36 % Nachfrageprognose, Auftragsplanung, …) 60 % 36 % Produktentwicklung (Konstruktion, Engineering, ...) 73 % Qualitätsmanagement und Qualitätskontrolle 36 % 70 % Logistik (*) 18 % 57 % 0% 50 % 100 % * statistisch signifikant KMU (n=11) GU (n=30) Quelle: eigene Darstellung Hier setzen GU deutlich häufiger KI ein als KMU. Selbst das Ebenso zeigt sich, dass viele GU zukünftig den Einsatz von durchschnittlich deutlich niedrigere Niveau der KI-Anwen- KI-Anwendungen in den Bereichen Ressourcenplanung, dung in KMU wird in diesen Anwendungsgebieten noch- Automatisierungstechnik, Produktentwicklung, Produktions- mals unterschritten. Eine Erklärung kann darin liegen, dass steuerung sowie Qualitätsmanagement und Qualitätskont- viele KI-Anwendungen große Datenmengen benötigen, die rolle vorantreiben wollen. Mindestens 58 Prozent der GU erst durch die vergleichsweise höheren Stückzahlen in GU wählten in ihren Antworten diese zukünftigen Einsatzbe- zur Verfügung stehen. Darüber hinaus können GU die fixen reiche aus, was darauf hindeutet, dass GU neben Produkten Kosten der Einrichtung und des Betriebs von KI-Lösungen und Dienstleistungen in diesen Bereichen besonders hohe auf eine größere Anzahl von Produkten umlegen und die Potenziale sehen. Lösungen amortisieren sich schneller. Bei den KMU ergibt sich ein zurückhaltenderes Bild. Inter- essanterweise liegen KMU in den Bereichen Produkte und Dr.-Ing. Alexander Arndt (Laserline): Dienstleistungen (85 Prozent) und Automatisierungstechnik „Bisher liegt der Schwerpunkt auf den Produkten: Der (54 Prozent) mit GU noch fast gleichauf und planen einen klassische Use Case ist Condition Based Maintenance, konkreten Einsatz. In allen anderen hier aufgeführten also die Wartungsintervalle mit Machine Learning- Bereichen plant die deutliche Mehrheit der KMU keinen Algorithmen vorherzusagen.“ konkreten Einsatz von KI. Offenbar konzentrieren sich KMU bei Einsatz und Planung Abbildung 4 illustriert die geplanten Einsatzbereiche von von KI vor allem auf die marktseitig angebotenen Produkte KI-Anwendungen. Es lässt sich feststellen, dass die Mehr- und Dienstleistungen. Dies ist insofern ein positives Zeichen, heit der GU in allen der aufgeführten Kategorien zukünftig als Marktchancen offenbar klar gesehen und auch häufig den konkreten Einsatz plant. Allen voran steht hierbei die ergriffen werden. Mit Blick auf die künftigen Planungen Kategorie Produkte und Dienstleistungen: 88 Prozent der ist jedoch davon auszugehen, dass KMU an dem vergleichs- GU geben an, in diesem Bereich einen Einsatz zu planen. weise schwachen Einsatz von KI in ihren internen
K Ü N S T L I C H E I N T E L L I G E N Z Z U R U M S E T Z U N G V O N I N D U S T R I E 4 . 0 I M M I T T E L S TA N D 13 Abbildung 4: Geplanter Einsatz von KI anhand verschiedener Anwendungsbereiche Wozu sollen geplante KI-Anwendungen in Ihrem Unternehmen verwendet werden? Produkte und Dienstleistungen 85 % 88 % Automatisierungstechnik 54 % (Robotik, Steuerungstechnik, Regelungstechnik, ...) 58 % Ressourcenplanung (Produktionsplanung, 38 % 62 % Nachfrageprognose, Auftragsplanung, …) Produktionssteuerung 38 % 58 % Instandhaltung 38 % 50 % Qualitätsmanagement und Qualitätskontrolle 31 % 58 % 23 % Produktentwicklung (Konstruktion, Engineering, ...) 58 % Logistik 23 % 50 % Digitale Assistenzsysteme (Chatbot, Werkerassistenz, ...) 15 % 50 % 0% 50 % 100 % KMU (n=13) GU (n=24) Quelle: eigene Darstellung Wertschöpfungsprozessen auch mittelfristig wenig ändern zung beider Gruppen das Hemmnis einer mangelnden werden. Inwieweit hier ungenutzte Produktivitätspotenziale Datenbasis/Datenqualität. Während GU Bedenken zur erschlossen werden können, hängt nach Ansicht vieler Datensicherheit und zur existierenden Rechtslage äußern interviewter Expertinnen und Experten auch von der Flexi- und die Verfügbarkeit von Expertinnen und Experten am bilität und „Kleinserientauglichkeit“ von KI-Lösungen ab, Arbeitsmarkt kritisch sehen, spielen diese Punkte für KMU sowohl aus Sicht ihrer technischen Machbarkeit als auch eine signifikant weniger wichtige Rolle. Stattdessen führen ihrer Wirtschaftlichkeit. sie eine unzureichende digitale Infrastruktur sowie eine mangelnde Standardisierung und Normung als starkes Hemmnis an. Ebenso zeigt sich, dass KMU und GU sowohl Handlungsbedarfe für die Anwendung von KI ihre begrenzten finanziellen Ressourcen als auch die fehlende Marktreife von KI-Anwendungen als Hemmnisse für die Ver- Auf Grundlage der vorangegangenen Ergebnisse stellt sich ankerung von KI im Unternehmen erachten. Stärker als GU die Frage, warum der Anteil von KMU, die sich noch nicht betonen KMU einen Mangel an individuellen Lösungen be mit dem Einsatz von KI-Anwendungen befasst haben, rela- ziehungsweise eine fehlende Anwendbarkeit von Standard tiv hoch und der Einsatz von KI zur Verbesserung interner lösungen sowie fehlende Geschäftsmodelle und Anwendungs- Abläufe vergleichsweise gering ist. Ein Blick auf die Ein- möglichkeiten für den Einsatz von KI. schätzung der Hemmnisse beim Einsatz von KI schafft hier mehr Klarheit. In Abbildung 5 sind die Mittelwerte der Ant- Festzuhalten bleibt bei allen Gemeinsamkeiten: KMU haben worten der jeweiligen Unternehmensarten zur Stärke von in Bezug auf den KI-Einsatz eine signifikant weniger kriti- potenziellen Hemmnissen dargestellt. sche Haltung zur Datensicherheit sowie hinsichtlich einer gegebenenfalls problematischen Rechtslage. Vermuten lässt Der Vergleich von KMU und GU in der Einschätzung der sich eine weniger intensive Beschäftigung von KMU mit wichtigsten Hemmnisse zeigt nur wenige Unterschiede. diesem Themenfeld, während GU – bedingt durch den Sowohl GU als auch KMU sehen das fehlende Know-how bereits verstärkten Einsatz von KI – hier deutlich mehr beziehungsweise fehlende Fachkräfte im Unternehmen als Erfahrungen gesammelt haben dürften. Für diese Interpre- großes Hemmnis an. Fast gleichauf liegt in der Einschät- tation spricht, dass viele Antworten der KMU zur Stärke
14 K Ü N S T L I C H E I N T E L L I G E N Z Z U R U M S E T Z U N G V O N I N D U S T R I E 4 . 0 I M M I T T E L S TA N D Abbildung 5: Hemmnisse für den Einsatz von KI in KMU und GU Wie schätzen Sie die folgenden Hemmnisse bezüglich der Nutzung von KI in Ihrem Unternehmen ein? Fehlendes Know-how/fehlende Fachleute im Unternehmen 3,8 3,8 Mangelnde Datenbasis/Datenqualität 3,7 3,8 Unzureichende digitale Infrastruktur 3,6 3,5 Mangelnde Standardisierung und Normung 3,5 3,4 Fehlende Marktreife von KI-Lösungen 3,4 3,2 Begrenzte finanzielle Ressourcen 3,4 3,4 Fehlende individuelle Lösungen/ 3,3 Standardlösungen sind nicht anwendbar 3,1 Fehlende Geschäftsmodelle 3,3 2,9 Verfügbarkeit von KI-Fachleuten am 3,2 Arbeits- oder Dienstleistungsmarkt (*) 3,7 Mangelnde Akzeptanz von KI-Anwendungen durch Beschäftigte 3,1 3,0 Datensicherheitsbedenken (*) 3,0 3,6 Fehlende Einbringungsmöglichkeiten/Kommunikationskanäle für 2,9 Beschäftigte bei der Auswahl von Anwendungsfeldern 2,7 Fehlende Anwendungsmöglichkeiten (*) 2,8 2,3 Mangelnder Support durch das Top-Management des Unternehmens 2,7 2,7 Existierende Rechtslage (*) 2,7 3,2 Mangelnde Akzeptanz der Kundschaft 2,5 2,3 1 2 3 4 5 Sehr schwaches Hemmnis Sehr starkes Hemmnis * statistisch signifikant KMU (n=61) GU (n=56) Quelle: eigene Darstellung dieser Hemmnisse sehr dicht an dem mittleren Wert der verwendeten Likert-Skala liegen. Dies deutet darauf hin, Dr.-Ing. Vitali Dejkun (Coherent): dass vielen der befragten KMU zu den betreffenden Fragen „Schöne Bilder kann ich immer machen, aber die aus- die Beurteilungskraft fehlt. zuwerten, um dann zu sehen, ob das Sinn ergibt, da braucht man Know-how dahinter. Dafür braucht man Fachleute.“ Dr.-Ing. Werner Kraus (Fraunhofer IPA): „Wenn ich jetzt in die ISO-Normen reinschaue, auch für funktionale Sicherheit, dann ist sie eher Jahre hin- Ähnliches gilt für die signifikant weniger kritische Ein- ten dran und kann mit dem aktuellen, schnellen tech- schätzung einer mangelnden Verfügbarkeit von KI-Expertin- nologischen Fortschritt gar nicht mithalten.“ nen und Experten am Arbeitsmarkt durch KMU. Diese Aus- sage ist im Zusammenhang mit der sehr verhaltenen Suche
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