Jetzt wird's eng Ob beim Impfen, am Arbeitsmarkt, bei drohenden Pleiten, im Schulsystem oder am Heizungs-Thermometer: Uns drohen Engpässe. Wie ...
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Herausgegeben von AK und ÖGB AUSGABE 2/2021, 75. Jahrgang € 2,50 www.arbeit-wirtschaft.at Jetzt wird’s eng Ob beim Impfen, am Arbeitsmarkt, bei drohenden Pleiten, im Schulsystem oder am Heizungs-Thermometer: Uns drohen Engpässe. Wie kommen wir da raus? Tröpfchenweise Zuversicht / 6 Wenn das Licht ausgeht / 12 Woran es am derzeitigen Müssen wir auch noch mit Corona-Impfplan hapert einem Blackout rechnen?
IMPRESSUM Arbeit&Wirtschaft 2/2021 Arbeit&Wirtschaft 2/2021 STANDPUNKT #2 MICHAEL MAZOHL CHEFREDAKTEUR Ausgewählte Mitwirkende dieser Ausgabe Irgendwie, irgendwo, ANJA MELZER CHEFIN VOM DIENST THOMAS JARMER ART DIRECTOR & LAYOUT MARKUS ZAHRADNIK FOTOS MIRIAM MONE ILLUSTRATIONEN irgendwann WOLFGANG DORNINGER LEKTORAT SONJA ADLER SEKRETARIAT Mitarbeiter*innen dieser Ausgabe Sonja Adler, Johann Bacher, Miriam Baghdady, Eva Baldrian-Wagner, Wolfgang Dorninger, Johannes Gress, Thomas Jarmer, Michael Mazohl, Anja Melzer, Magdalena Miedl, Miriam Mone, Sebastian Panny, Brigitte Pellar, Werner Reisinger, Alexandra Rotter, Korinna Schumann, Christian Domke Seidel, Irene Steindl, Leo Stempfl, ANJA MELZER Dennis Tamesberger, Christina Weichselbaumer, Steindl © Alexander Franz | Gress © Phillip Thiedmann | Reisinger © Markus Zahradnik Alexia Weiss, Markus Zahradnik IRENE STEINDL JOHANNES GRESS MICHAEL MAZOHL Redaktion Arbeit&Wirtschaft FREIE JOURNALISTIN FREIER JOURNALIST REDAKTION Johann-Böhm-Platz 1, 1020 Wien Treue Leser*innen wissen: Irene gehört Johannes ist studierter Politikwissen- Tel.: (01) 534 44-39263, Fax: (01) 534 44-100222 zu den erfahrensten Schreiber*innen, schafter aus Wien. Der 28-Jährige ist Z redaktion@arbeit-wirtschaft.at Redaktionskomitee mit denen wir in jedem Heft aufwarten. der zweite geborene Niederbayer in ugegeben: Für Laien wie uns ist es vielleicht nicht auf Anhieb auffindbar. Doch www.arbeit-wirtschaft.at/impressum Dieses Mal hat sie gleich mehrere unserem Team und feiert in dieser klickt man sich dann zum Beispiel tatsächlich auf der Homepage des deutschen (auf Herausgeber Geschichten beigesteuert – darunter Ausgabe mit der großartigen Reportage den hiesigen Seiten sucht man lange und vergeblich) Robert-Koch-Instituts, der © Markus Zahradnik Bundesarbeitskammer 1040 Wien, Prinz-Eugen-Straße 20–22 und das tolle Arbeitsmarkt-Interview ab Seite 42 seine Premiere bei maßgebenden deutschen Epidemiologie-Zentrale, herum, stößt man im Archiv auf diverse Österreichischer Gewerkschaftsbund ab Seite 36. Wer möchte, kann es Arbeit&Wirtschaft. Und es wird Publikationen aus den vergangenen Jahren. Sehr schnell wird beim Herumblättern eines 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1 Medieninhaber auch online nachsehen! nicht seine letzte gewesen sein. deutlich: Bereits Ende der neunziger Jahre war die Bedrohung durch eine auf dem ganzen Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes GmbH, 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1 Planeten wütende Pandemie quasi allen einschlägigen Institutionen von Rang und Namen Tel.: (01) 662 32 96-0, Fax: (01) 662 32 96-39793 bewusst. Und das ist noch gar nicht alles: Sogar die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeitschriften@oegbverlag.at www.oegbverlag.at entwickelte schon vor über zwanzig Jahren handfeste Musterpläne für derartige Infektions- szenarien – abgesegnet durch sämtliche Mitgliedsstaaten weltweit. Immer wieder hatten Hersteller Walstead Leykam Druck GmbH & CO KG Hinter den Kulissen Wissenschafter*innen vor dieser Situation, wie wir sie seit einem Jahr durchleben, gewarnt. 7201 Neudörfl, Bickfordstr. 21 Verlagsort Wien Nicht nur davor: Auch die Gefahr eines gigantischen Blackouts wird von Forscher*in- Herstellungsort Neudörfl nen seit Jahren immer wieder als realistisch eingeschätzt. Bis vor wenigen Monaten hätten Abonnementverwaltung und Adressänderung wir derartige Mahnungen möglicherweise noch belächelt, vielleicht sogar als heillos über- Johannes Bagga, Daniel Kern Johann-Böhm-Platz 1, 1020 Wien trieben abgestempelt. Doch seit Corona scheint plötzlich irgendwie alles möglich, und Tel.: (01) 662 32 96-0, aboservice@oegbverlag.at damit auch ein globaler Blackout. Was das konkret hieße? Kein Strom, kein Internet, keine Einzelnummer: € 2,50 (inkl. Mwst.) Jahresabonnement Inland € 20,– (inkl. Mwst.) Heizung, kein Wasser. Wie wahrscheinlich ein solches Szenario wirklich ist und wie man Ausland zuzüglich € 12,– Porto sich darauf vorbereiten kann, das steckt in einer der Geschichten in diesem Heft. für Lehrlinge, StudentInnen und PensionistInnen ermäßigtes Jahresabonnement € 10,– (inkl. Mwst.) Offenlegung gemäß Mediengesetz, § 25 www.arbeit-wirtschaft.at/offenlegung Engpässe und wer sie lenkt ZVR-Nr. 576439352 • DVR-Nr. 0046655 ISSN (Print) 0003-7656, ISSN (Online) 1605-6493, Was uns die Corona-Krise jedenfalls bis dato klar vor Augen führt: wie unglaublich viel an ISSN (Blog) 2519-5492 Die in der Zeitschrift „Arbeit&Wirtschaft“ wiederge- einem guten Verhältnis von Politik und Wissenschaft hängt. Und wie tiefgreifend dabei gebenen Artikel entsprechen nicht notwendigerweise auch politische Entscheidungen wissenschaftlich begründet sein können. Die Forschung, der Meinung von Redaktion und Herausgeber. Jeder/ jede AutorIn trägt die Verantwortung für seinen/ihren so viel steht fest, hat im öffentlichen Diskurs durch die Krise einen neuen Stellenwert be- Beitrag. Es ist nicht die Absicht der Redaktion, die kommen. Dass es aber politische Entscheidungen sind, die spürbare Engpässe erst entstehen vollständige Übereinstimmung aller MitarbeiterInnen zu erzielen. Sie sieht vielmehr in einer Vielfalt der Unser Autor Werner Reisinger live in Action im lassen, ist die andere Seite. Armut, das können wir jeden Tag beobachten – oder im schlech- Meinungen die Grundlage einer fruchtbaren geistigen Wallfahrtsort Mariazell: Zusammen mit unserem Fotografen testen Fall am eigenen Leib erfahren –, fußt auf politischem Willen – oder Unwillen. w Auseinandersetzung. Die Redaktion übernimmt kei- Markus Zahradnik hat er sich für den großen Tourismus- ne Gewähr für unverlangt eingesandte Manuskripte. Nachdrucke, auch auszugsweise, nur mit Zustimmung Report ab Seite 30 in der Steiermark umgehört. der Redaktion und mit Quellenangabe. 2 3
Arbeit&Wirtschaft 2/2021 Inhalt GEKOMMEN UM ZU BLEIBEN? P O D CA S T 26 Endlich: neue Homeoffice-Regelungen. Aber wie sieht Der Kampf um den besonderen Saft 6 mit Sara Hassan das eigentlich in der Praxis aus? Was gilt als Arbeitsun- Das lange Warten auf die Corona-Impfdosen fall? Welche Arbeitsmittel stehen mir zu? Und ab wann gilt über- Ist ein anderes Wirtschaftssystem möglich? 11 haupt das neue Gesetz? Wir haben den Überblick. Die „große Frage“ beantwortet von Miriam Baghdady Was, wenn der Blackout kommt? 12 Wenn wir plötzlich vom Strom genommen würden MARIAZELL UND SEIN BLAUES AUGE Jetzt ist der Ofen aus 16 30 Wenige Branchen hat es so hart getroffen wie den Tou- Energiearmut betrifft mehr Menschen als gedacht rismus. Wie soll es da heuer weitergehen? Unser Repor- Tag der Abrechnung 18 ter Werner Reisinger hat sich bei Betroffenen in der Steiermark Müssen wir mit einer Pleitewelle rechnen? umgehört – mit teils überraschenden Erkenntnissen. Wird’s besser? Wir wissen es nicht 22 Wenn Privatinsolvenz droht – und die Wege aus dem Tief Lockdown-Schock 24 MIT SCHIRM UND LAN Wie sich die Corona-Krise auf die Löhne ausgewirkt hat 42 Schließen die Schulen, herrscht Distance-Learning – und Wie geht’s Beschäftigten im Homeoffice? 29 © Michael Mazohl das läuft größtenteils digital ab. Was aber, wenn daheim Fünf Betriebsrät*innen berichten aus ihrem Berufsalltag kein Computer bereitsteht? Lokalaugenschein bei einem Wiener Auf der Suche nach Arbeit 36 … wählt nur die Hälfte der Wiener*innen? Verein, der dort einspringt, wo der Staat versagt. Arbeitsmarktexperte Gernot Mitter im Interview mit Demokratieforscherin Tamara Ehs Corona-Krise erhöht die Jugendarbeitslosigkeit deutlich 39 Ein Beitrag zur Jugend auf dem A&W-Blog … schließt unser Schulsystem so viele aus? Europa im Kampf gegen das Virus 40 mit Autorin Melisa Erkurt Wo Österreich im europäischen Krisen-Vergleich zurückliegt Als die Polio-Kinder nicht mehr kamen 45 … ist manche Arbeit bezahlt und andere unbezahlt? Erinnerungen an die historische Schluckimpfung mit Journalistin Jelena Gučanin Die stillen Heldinnen des Alltags 46 Das letzte Wort hat ÖGB-Vizepräsidentin Korinna Schumann ... bedeutet Recht nicht immer Gerechtigkeit? mit Richter Oliver Scheiber … ist Reichtum so ungerecht verteilt? mit Ökonom Matthias Schnetzer www.arbeit-wirtschaft.at/podcast /AundWMagazin www.arbeit-wirtschaft.at 4
C OVERSTO RY Arbeit&Wirtschaft 2/2021 Arbeit&Wirtschaft 2/2021 Der Kampf um den N ach einer langen Arbeitswoche spazierst du am Freitag- Tage die Woche auf Hochtouren gearbeitet“, erklärt Gallo-Daniel. abend noch auf einen kurzen Absacker in dein Lieblings- So habe auch Pfizer die Produktionskapazitäten erhöht und werde lokal. Während du dein Getränk genießt und dich mit statt der ursprünglich geplanten 1,3 Milliarden Dosen für 2021 bis Freund*innen unterhältst, bekommt neben dir jemand eine Imp- zu zwei Milliarden herstellen können. Doch die Herstellung aus- besonderen Saft fung verabreicht. Der Anblick erinnert dich an deine eigene, die zuweiten ist nicht so einfach. Die biotechnologischen Anlagen zur du schon vor einigen Wochen erhalten hast. Als du am nächsten Produktion von Impfstoffen sind hochkomplexe Produktionsstät- Morgen in ein Möbelhaus gehst, steht daneben ein mobiler Impf- ten. „Man kann diese Anlagen nicht innerhalb eines Monats hoch- stand. Doch die Schlange ist nicht lang. Die Leute haben schließ- ziehen und adaptieren. Das hat einerseits bautechnische Gründe, lich genug Möglichkeiten, sich impfen zu lassen. andererseits benötige ich auch die Bewilligung der Behörden – und Was wie ein Traum klingt, ist in Israel in ähnlicher Form bereits das dauert“, so Gallo-Daniel. Die Impfungen laufen in Österreich langsamer an, als von vielen erhofft wurde. Realität. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung wurde dort Ende Fe- Gleichzeitig spielen noch andere Faktoren bei der Herstellung mit. Auch wenn sich die Regierung mit den Impfplänen nicht mit Ruhm bekleckert hat: bruar zumindest mit einer Dosis geimpft. Es wurde eine Vielzahl Zulieferer müssen genügend Inhaltsstoffe liefern können, und außer- Schuld daran ist vor allem der weltweite Mangel an Impfstoffen. Diesem Engpass an Maßnahmen gesetzt, um ein möglichst niederschwelliges Impf- dem wird hochspezialisiertes Personal benötigt. Nicht zuletzt muss angebot zu schaffen. Neben Bars, Einkaufszentren oder Märkten man den Impfstoff auch in Behältern lagern. „Beim COVID-19- hätte die internationale Gemeinschaft früh entgegenwirken können – würden wurden temporäre Impfzentren aufgebaut, Arbeitgeber*innen or- Impfstoff sind das sogenannte Mehrdosen-Durchstichflaschen. nicht kurzfristige wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen. ganisierten Impfungen am Arbeitsplatz. Doch damit das möglich Dafür müssen wir aber auch die Abfüllanlagen umrüsten, da nor- ist, benötigt man erst mal eines: genügend Impfstoff. malerweise Einzeldosen abgefüllt werden“, sagt Gallo-Daniel. Und Und der ist momentan auf der ganzen Welt ein umkämpftes bei fast allen diesen Schritten müsse man die behördliche Freigabe TEXT SEBASTIAN PANNY Gut. Doch wie kann es sein, dass manche Länder wie Israel einen so abwarten. Das alles kostet viel Zeit. großen Vorsprung haben, während in anderen Engpässe herrschen? Warum schaffen es Pharmafirmen nicht, einfach mehr Impfstoff zu Freie Patente für alle produzieren? Und hätte Österreich etwas anders machen können? Quelle: Airfinity Doch was würde passieren, wenn man die Produktion auch ande- Unser bestes Weihnachtsgeschenk ren Herstellern ermöglichen würde, etwa indem man Patente frei- gibt? Ein Patente-Pool für Corona-Produkte existiert zwar – doch Im Dezember 2020 erfolgte weltweit ein kollektives Aufatmen. Tat- aktuell ist er leer. Dabei hat der öffentliche Sektor weltweit im letz- sächlich hatten Forscher*innen es geschafft, in Rekordzeit mehrere ten Jahr mindestens 93 Milliarden in Therapien und Impfungen Impfstoffe gegen das Corona-Virus zu entwickeln. Knapp ein Jahr gegen das Corona-Virus investiert. Pfizer selbst hat zwar beispiels- dauerte es von der Entschlüsselung des Virus-Erbguts bis zur erst- weise keine Investitionen erhalten – wohl aber BioNTech. Schon maligen Zulassung einer Impfung. Noch nie zuvor ist dieser Prozess nach der Gründung wurde das Unternehmen finanziell unterstützt, so schnell erfolgt. Die Hoffnung auf eine Rückkehr zur Normalität im Sommer erhielt man zusätzliche 375 Millionen Euro zur Ent- nach dem Seuchenjahr 2020 wurde den Menschen wie ein Weih- wicklung von Impfstoffen. „Ich verstehe die Diskussion, dass man nachtsgeschenk unter den Baum gelegt. Doch die Ernüchterung Anteil an Patenten haben möchte, wenn man die Entwicklung ließ nicht lange auf sich warten. „Es war klar, dass wir am 27. De- subventioniert. Patente zu halten bedeutet noch nicht, dass man zember nicht gleich zehn Millionen Dosen zur Verfügung haben werden, wenn die Zulassung am 21. Dezember erfolgt ist“, sagt Re- née Gallo-Daniel, Unternehmenssprecherin und Betriebsrätin bei Wer hat’s bezahlt? Pfizer Österreich sowie Präsidentin des Verbandes der österreichi- schen Impfstoffhersteller. Dass der Ertrag in der Impfstoffprodukti- AstraZeneca € 9,5 Mrd. on darüber hinaus geringer als erwartet ausfallen kann, wie es etwa bei AstraZeneca passiert ist, sei nichts Ungewöhnliches. Es könne immer passieren, dass Chargen ausfallen, die man dann eben nicht sofort nachproduzieren kann. Dass die Produktion des Impfstoffs Pfizer/BioNTech € 2,6 Mrd. nur langsam anlaufen würde, sei, meint sie, vorhersehbar gewesen. private Geldgeber Moderna € 1,9 Mrd. Wieso dauert es so lange? Regierungen Non-Profit-Organisationen Doch warum produziert man nicht einfach mehr davon? „Dort, wo man den Impfstoff produzieren kann, wird 24 Stunden und sieben 6 7
C OVERSTO RY Arbeit&Wirtschaft 2/2021 „Die öffentliche Hand gibt enorm hohe sung ihrer Produkte in ebendiesen Ländern – wohl wissend, dass mens Sanofi, von dem 300 Millionen Dosen geordert wurden, wird Summen für Grundlagenforschung aus, sieht sie dort natürlich auch mehr Geld dafür erhalten. Das COVAX- frühestens Ende 2021 auf den Markt kommen. Von AstraZeneca Programm kann dabei nicht mithalten. wurden 400 Millionen Dosen gekauft, der Hersteller hatte jedoch aber kaum einen Return on Investment.“ Lieferprobleme. Israel schlug einen gegenteiligen Weg ein und ver- Impfnationalismus einbarte einen exklusiven Vertrag mit Pfizer. Dafür liefert das Land Claudia Wild, Austrian Institute jedoch umfassende statistische Daten an den Konzern. for Health Technology Assessment Auch die Öffnung des Patent-Pools für Corona-Technologien wäre ein wichtiger Schritt. Denn selbst wenn es länger dauern würde, bis man Impfstoffe produzieren könnte: Auch andere Produkte, die in Impfstoffe gleich produzieren kann. Man muss auch die Produk- der Pandemie dringend benötigt werden, wie Medikamente oder Be- tionsstätten erst aufbauen, das kostet ebenfalls Zeit und Geld“, sagt atmungsgeräte, werden durch Patente geschützt. Doch ein Antrag auf Gallo-Daniel. Aussetzen der Patente, der von 100 Staaten bei der Welthandelsorga- Dem stimmt Claudia Wild, Geschäftsführerin des Austrian In- nisation eingebracht wurde, wird von reichen Staaten blockiert. Dazu stitute for Health Technology Assessment, zwar grundsätzlich zu. zählen etwa die EU, Australien, Japan und auch die USA – Länder Sie betont aber, dass dies schon viel früher passieren hätte müssen: und Regionen, in denen die großen Pharmafirmen beheimatet sind. „Man sollte von Beginn an in den Verträgen Konditionen festset- Dabei schadet der Impfnationalismus der gesamten Welt. Denn zen, dass Patente oder Lizenzen frei verfügbar sein müssen, wenn Dass die Produktion des Corona-Impfstoffs nur langsam anlaufen je länger das Virus aktiv ist, desto wahrscheinlicher kommt es zu öffentliche Forschungsgelder verwendet werden. Die öffentliche würde, sei vorhersehbar gewesen, meint Renée Gallo-Daniel, Mutationen. Und diese könnten wiederum gegen gängige Impfun- Hand gibt enorm hohe Summen für Grundlagenforschung aus, Betriebsrätin bei Pfizer. gen resistent sein und zu erneuten Ausbrüchen in bereits immuni- sieht aber kaum einen Return on Investment.“ sierten Regionen führen. Jedes dritte Medikament auf dem Markt Quelle: Our World in Data Es ginge noch besser ist ein Krebsmittel Die EU liegt beim Durchimpfen noch weit zurück Aktuell funktioniere das System häufig so: Firmen haben Pa- Das alles ist nicht nur während der Pandemie problematisch. Abseits Obwohl auch die EU beim Wettrennen um die Impfstoffe rege tent-Scouts in der Nähe von besonders produktiven Universi- von Corona stürzen sich Unternehmen vor allem auf Produkte, die mitgespielt hat, hinkt sie bei den Durchimpfungsraten hinterher. ÖGB-Gesundheitsexpertin Claudia Neumayer-Stickler: „Spätes- täten und beobachten deren Forschung. Sobald das Wissen dort besonders profitabel sind. So ist aktuell jedes dritte Medikament, Vier Prozent der Bevölkerung erhielten hier Ende Februar zumin- tens im Herbst hätte die Impfkampagne eigentlich gut geplant produktreif wird, werden die Scouts aktiv und kaufen es ab. Die das auf den Markt kommt, ein Krebsmedikament. Andere Gebiete, dest eine Impfdosis. Verglichen mit Ländern wie den USA (13,3 werden müssen.“ Innovation findet also nicht bei den Unternehmen statt, wie ger- wie etwa Infektionskrankheiten, werden vernachlässigt, weil sie nur Prozent), Großbritannien (26,4 Prozent) oder Israel (52,4 Prozent) ne argumentiert wird. „Wenn man genau hinsieht, wird man wenig lukrativ sind. Die Politik sei gefordert, hier gegenzusteuern: liegt man weit zurück. War die Strategie der EU falsch? „Man muss Am Impfstoffmangel ist die österreichische Regierung also nicht schnell sehen, dass es nicht nur die Industrie ist, die Innovation „Ich glaube, im letzten Jahr wurde die Bedeutung eines öffentlichen bedenken, dass die EU sehr früh Verträge mit Herstellern abge- schuld. Dennoch liegt man bei der Impfquote unter dem EU-wei- vorantreibt, sondern es ist ein Zusammenspiel mit der öffentlichen Sektors deutlich, der steuert, Geld in die Hand nimmt und auch schlossen hat. Zu diesem Zeitpunkt war noch kein Impfstoff zuge- ten Durchschnitt. Wurde hier etwas falsch gemacht? „Ich würde Hand. Und wenn man sich dessen bewusst ist, sollte man sich im sagt, was er will. Es war ein Mahnmal dafür, wie gut es ist, in einem lassen“, sagt Pfizer-Betriebsrätin Gallo-Daniel. Dass man auf meh- tatsächlich die Begriffe problematisch und verbesserungswürdig be- nächsten Schritt politische Maßnahmen überlegen“, so Wild. So solidarisch finanzierten System zu leben“, sagt Wild. rere Produkte setzte, sei eigentlich eine gute Idee gewesen. Doch vorzugen“, sagt Claudia Neumayer-Stickler, Leiterin des Referats könnte man etwa im Vorhinein Preise ausschreiben für die Ent- die Kehrseite hat sich bald gezeigt: Der Impfstoff des Unterneh- für Gesundheitspolitik beim ÖGB. Sie kritisiert vor allem, dass die wicklung, bei der das Patent jedoch am Ende in einen Patent-Pool Erstellung des Impfplans und die begleitende Infokampagne sehr Globale Kluft beim Impfdosen-Kauf übergehe und somit allen zur Verfügung stehe. „Die Firmen haben COVID-19-Impfungen spät erfolgt seien. Erst Ende Dezember habe man erste Informatio- dabei dennoch ihr Einkommen – nur eben nicht in dieser absurden Die Unterversorgung mit Corona-Impfstoff birgt noch einen wei- pro 100 Einwohner nen erhalten. „Man hat ja schon im Laufe des Novembers gewusst, Höhe, wie es jetzt der Fall ist.“ teren Aspekt, der jedoch nur selten beleuchtet wird. Im Kampf um Israel dass die ersten Impfstoffe kommen werden. Spätestens im Herbst Das ist bei den Verhandlungen um die Corona-Impfstoffe nicht Impfdosen werden ärmere Länder immer mehr ausgebootet. Bisher hätte die Impfkampagne eigentlich gut geplant werden müssen“, so 80 geschehen. Die Regierungen haben es verabsäumt, Druck auf die wurden drei Viertel aller Impfungen in nur zehn Ländern verab- Neumayer-Stickler. Pharmaunternehmen auszuüben. Einerseits geht es hier um Stand- reicht. Die WHO befürchtet, dass die globale Durchimpfung so Vereinigte Dass die Durchführung der Impfungen auf Bundeslandebe- 60 Arabische ortpolitik und um Arbeitsplätze, mit denen die Unternehmen ar- erst nach 2023 erreicht wird. Emirate ne erfolgt, sei grundsätzlich verständlich. „Aber dass man mit der gumentieren können. Andererseits haben Universitäten enormen Um das zu bekämpfen, wurde das sogenannte COVAX-Pro- Organisation auch die Planung den Bundesländern frei übergeben 40 Druck, Drittmittel für ihre Forschung aufzutreiben. Und diese gramm von der WHO, Frankreich und der Europäischen Kommis- hat, führte zu unterschiedlichen Priorisierungen“, sagt Neumay- Großbritannien kommen meist von Unternehmen: „Wenn Roche oder Novartis sion gegründet. Durch eine gemeinsame Finanzierung soll COVAX er-Stickler. So bekam man einige kritische Anfragen etwa von Ge- 20 USA Firmenstudien an den Universitäten machen und diese Mittel ein- Impfdosen ankaufen und ärmeren Ländern der Zugang zu Impf- Chile sundheitspersonal, warum Kolleg*innen aus anderen Bundeslän- bringen, sehen sie natürlich kaum ein, dass die öffentliche Hand stoffen ermöglicht werden. Doch einkommensstarke Länder sichern EU dern schon geimpft seien, man selbst aber noch darauf warte. 0 weltweit dann möglicherweise sagt: ,Eure Medikamente sind uns zu wenig sich mit Verträgen die Impfstoffe zu einem hohen Preis. Gleich- Das ist besonders in diesem Bereich schwierig zu argumentie- wertvoll, die zahlen wir nicht!“, sagt Wild. zeitig bemühen sich die Herstellerfirmen primär um eine Zulas- 1. Jänner 2021 28. Febuar 2021 ren, wenn man sich der Herausforderungen bewusst ist, vor denen 8 9
C OVERSTO RY Arbeit&Wirtschaft 2/2021 DIE GROSSE FRAGE VIER WICHTIGE das Gesundheitspersonal steht. „Vor allem die körperliche Belas- tung ist bei unseren Mitarbeitern enorm gestiegen“, sagt Wolfgang FORDERUNGEN Hofer, Vorsitzender der Personalvertretung im AKH Wien. Man müsse Schutzmaßnahmen minutiös einhalten, was auch gut gelun- Ist ein gen sei. Aber in der erforderlichen Ausrüstung, die einen Schutz- für eine gerechtere Verteilung von Impfstoffen anzug und teils mehrere Masken beinhaltet, lange Zeit körperlich 1 / Reiche Staaten müssen der zeitlich befristeten Auf- zu arbeiten und dann noch mit der Situation umzugehen, sei für hebung von Patenten und Lizenzen zustimmen: anderes Wirt- das klinische Personal sehr herausfordernd. Ein Antrag, der von 100 Ländern bei der Welt- handelsorganisation eingebracht wurde und den auch mehrere NGOs unterstützen, würde auf lange Sicht Pflegepersonal in Österreich auch die Produktion von Impfstoffen erleichtern und schaftssystem Die Impfwilligkeit sei dementsprechend hoch, etwa 90 Prozent ha- vor allem verbilligen. Reiche Staaten blockieren die- ben sich für eine Impfung angemeldet. Mittlerweile befinde man sen sogenannten „TRIPS Waiver“ jedoch aufgrund von sich in der letzten Woche der Erstimpfung. „Die Impfwilligkeit war Eigeninteressen. Damit wird auch die Entwicklung bil- für uns kein Problem. Aber der Impfstoff wurde nur sehr zöger- liger Generika verhindert. möglich? lich geliefert, jeden Montag bekamen wir die Impfdosen wie ein Überraschungspaket“, sagt Hofer. Es habe, wie in vielen anderen 2 / Die Finanzmittel für COVAX müssen erhöht werden: Bereichen momentan, keine Planungssicherheit gegeben. 1,7 Milliarden Impfdosen sollen ärmeren Ländern Diese sollte in den nächsten Wochen und Monaten ansteigen. durch COVAX zur Verfügung gestellt werden. Doch Denn der Engpass bei den Impfstoffen wird kleiner. Spätestens im das Programm kann mit den Preisen für die Impfdosen Sommer soll die gesamte Bevölkerung durchgeimpft werden. Und aktuell kaum mithalten. Eine Aufstockung der Förde- dann wird die Regierung in einem Bereich gefordert sein, in dem rung würde das zumindest kurzfristig erleichtern. Ös- © Hartlauer sie bisher nicht glänzen konnte. „Es wird eine gute Kommunika- terreich trägt aktuell 2,4 Millionen Euro zu dem Pro- tion brauchen. Vor allem, weil es jetzt schon eine große Skepsis gramm bei und liegt damit unter dem europäischen gegen die Impfung in einigen Teilen der Bevölkerung gibt“, sagt Durchschnitt. Neumayer-Stickler vom ÖGB. 3 / Die Produktionskapazitäten für Impfstoffe müssen weltweit besser genutzt werden: Vor knapp fünfzig Jahren wurde ein endloses ist und wir damit eine irreversible Zerstörung der Impfung im Kaffeehaus? Der größte Hersteller von Impfstoffen ist aktuell In- Wirtschaftswachstum erstmals von einem brei- Umwelt, wachsende Ungleichheit und Ausbeu- Natürlich wird nicht nur die Kommunikation entscheidend sein. dien – doch die dortigen Kapazitäten werden aktuell ten Expert*innengremium angezweifelt. Was da- tung von Menschen in Kauf nehmen. Ein neues Die Leute müssen auch niederschwellige Möglichkeiten zur Imp- kaum genutzt. Auch wenn die Umstellung der dortigen mals als Affront galt, gewinnt im Lichte der letz- Wirtschaftssystem ist deshalb nicht nur möglich, fung haben. Wären da solche Angebote wie in Israel sinnvoll? „Da Produktion Zeit brauchen würde, könnte man in Zu- ten Wirtschafts-, Klima- und Gesundheitskrisen sondern notwendig. Es braucht den Mut, sozia- bin ich skeptisch. Die Impfung erfordert schon medizinische Be- kunft eine bessere Versorgung der Länder des globa- vermehrt an Bedeutung. Umwelt- und soziale le Fragen in den Mittelpunkt zu stellen und neue ratung, Dokumentation und Beobachtung. Wir haben bereits len Südens garantieren. Aspekte des Wirtschaftens finden sich nun ver- Lösungen für wiederkehrende Probleme anzuwen- Teststraßen, die auch in kleinen Gemeinden oft gut funktionieren. mehrt im Mainstream politischer und ökonomi- den. Ein System, das ein gutes Leben für alle er- Diese könnte man einfach zu Impfstraßen umfunktionieren“, sagt 4 / Der Einsatz von öffentlichen Forschungsgeldern scher Debatten. Sie zeigen auf, dass unser Sys- möglicht, baut letztlich auf neuen Konzepten von Neumayer-Stickler. Auch die Impfung in Betrieben sei ein wichti- muss zu frei verfügbaren Patenten führen: tem, dessen Stabilität von endloser Stimulation Produktivität, Beschäftigung und Vermögensbe- ger Schritt. Die gesetzlichen Grundlagen wurden dafür schon ge- Die öffentliche Hand gibt viel Geld für Grund- der Konsument*innennachfrage abhängt, fragil sitz auf und berücksichtigt ökologische Grenzen. schaffen. „Das wäre ein wichtiger Zugang. Damit könnte man sehr lagenforschung aus. Allein für Corona-Therapien viele Menschen ansprechen, ohne öffentliche Institutionen zu be- sowie Impfstoffe geht man von insgesamt 93 Milliar- anspruchen“, betont auch Gallo-Daniel. den Euro aus. Doch auch abseits der Pandemie wird Die gute Nachricht ist, dass sich alle Österreicher*innen, sofern öffentliches Geld für die Entwicklung von Innovatio- sie das wollen, 2021 gegen Corona impfen lassen können. Und nen aufgebracht, die in weiterer Folge von privaten dann wird Schritt für Schritt der Weg in die Normalität möglich Unternehmen patentiert werden. Das sollte von der sein. Doch dieses Privileg wird weltweit nur wenigen Menschen Politik unterbunden werden, um offene Patent-Pools zuteilwerden. Dass uns dieser Aspekt selbst schaden könnte, sollte zu schaffen. genug Grund sein, um für eine gerechtere Verteilung des Impfstof- MIRIAM BAGHDADY fes und die Freigabe von Patenten zu kämpfen. Der andere lautet FACHEXPERTIN IN DER ABTEILUNG VOLKSWIRTSCHAFT BEIM ÖGB schlicht: Solidarität. w 10 11
Arbeit&Wirtschaft 2/2021 Arbeit&Wirtschaft 2/2021 Was, wenn der konnte der Vorfall schließlich rekonstruiert werden: Am 8. Jänner gehen außergewöhnlich viele Stromexporte aus Südosteuropa in Richtung Westen. Eine Kupplung im Umspannwerk Ernestinovo miteinander ständig im Austausch. Nur 42 Sekunden später war die exakte Frequenz von 50 Hertz wieder hergestellt, nach einer weiteren Stunde waren die sicherheitshalber getrennten Bereiche in Blackout kommt? (Kroatien) wird überlastet. Um 14.04 Uhr und exakt 25 Sekun- Europa wieder am Netz. den fliegt die erste Sicherung, andere Leitungen werden überlastet, Gefährlich ist es aber auch schon in Österreich geworden, und fliegen ebenso. Eine Kaskade. Fällt eine, fallen alle. Südosteuropa zwar mitten in Wien. Am 31. Juli 2018 waren weite Teile des sieb- musste kurzerhand vom Verbundnetz abgetrennt werden. ten Bezirks ohne Strom. Ein Kabeldefekt. „Addendum“ berichtete „Die meisten Kund*innen im Versorgungsgebiet der Wiener damals über Evi Pohl-Iser, die den Bereich „Hilfe und Pflege da- Netze haben diesen Vorfall kaum oder gar nicht bemerkt“, erzählt heim“ beim Wiener Hilfswerk leitete. Der Mobilfunk war sofort Minimale Abweichungen können das gesamte europäische Stromnetz zum Erliegen der Sprecher der Wiener Netze Christian Call, ein Experte für Ver- weg, elektronische Türöffner funktionierten nicht mehr. Besonders sorgungssicherheit, „kommt es zu Abweichungen bei der Frequenz heikel: „Die Pflegeanleitungen mit Medikamentendosierungen, die bringen. Expert*innen sind sich sicher: Es stellt sich nicht die Frage, ob es passieren oder der Spannung, wird Alarm ausgelöst, und es greifen sofort via Mobilfunk von der Zentrale auf die mobilen Tablets der Mit- wird – die Frage ist, wann. Aber wie kann man sich eigentlich darauf vorbereiten? automatische Systeme zur Netzstabilisierung des Energiesystems arbeiter*innen gespielt werden, waren nicht mehr abrufbar.“ ein – wenn notwendig, mit Unterstützung aus dem Kraftwerksbe- TEXT LEO STEMPFL reich.“ Über das Austrian Awareness System sind alle Bundesländer Wenn nichts mehr geht O b in Filmen, Büchern oder Videospielen, Dystopien eint „Man spricht von einem Blackout, wenn es zu einem plötzlichen, meist ein Merkmal: Es gibt keinen Strom. Doch von großräumigen und länger andauernden Stromausfall kommt“, er- Fiktion kann keine Rede sein. Also was passiert, wenn klärt Dominik Zeidler, stellvertretender Geschäftsführer des Wie- wirklich eines Tages das Licht ausgeht? Werden wir uns nach zwei ner Zivilschutzverbandes. Die „Helfer Wiens“ sind eine Präven- Wochen im Mittelalter wiederfinden, wie so oft in Warnungen zu tionseinrichtung. „Unser Auftrag ist es, die Bevölkerung auf solche lesen ist? Werden wir im Chaos versinken? Zeit für Panik? Situationen vorzubereiten.“ Denn im Ernstfall ist diese erst mal Im Gegensatz zu Hochwasser oder einer Pandemie kündigt sich auf sich allein gestellt. Das Netz einfach wieder hochfahren, und ein Blackout nicht an. Von einem Moment auf den anderen bleibt kurz darauf ist wieder Strom da? – „Das wird es im Ernstfall nicht alles stehen. Das Licht geht aus, die U-Bahn stoppt, die Gastherme spielen“, mahnt Zeidler. versagt den Dienst. Noch bevor man von der Erkundungstour zum Sicherungskasten zurück ist, folgt der Mobilfunk. Knappe drei Millionen Österreicher*innen würden nicht viel „Die einzige Informationsquelle länger als vier Tage mit ihren Vorräten über die Runden kommen, ist dann das batteriebetriebene Radio.“ wie eine Studie zur Ernährungsvorsorge herausfand. Hilfe könnte man in den ersten Tagen allerdings keine erwarten – die Feuerwehr Dominik Zeidler, Wiener Zivilschutzverband wäre eine komplette Woche allein damit beschäftigt, eingeschlosse- ne Menschen aus Aufzügen oder Gondeln zu befreien. Mitte Februar dieses Jahres reichten in Texas Temperaturen von „Im schlimmsten Fall dauert es 24 bis 48 Stunden, bis die kriti- minus 15 Grad, um Millionen von Menschen tagelang im Dunkeln sche Infrastruktur wieder am Netz hängt. Bis der einzelne Haus- sitzen zu lassen. Die Bauteile der Erdgaskraftwerke waren schlicht halt wieder Strom hat, kann es schon mehrere Tage dauern.“ Wenn nicht auf solche Kältewellen ausgelegt. Supermärkte mussten Wa- der Strom weg ist, weiß man erst mal nichts weiter, außer dass er ren entsorgen, aus der Leitung kam kein Wasser mehr. ausfällt. Nur: Wie lange? Minuten, Stunden, Tage, Wochen? „In- formation wird das wichtigste Gut sein“, so Zeidler, doch ohne Täglicher Balanceakt Strom, ohne Mobil- und ohne Festnetz würde sie gar nicht mehr ankommen. „Die einzige Informationsquelle ist dann das batterie- Solch technisches Versagen ist auch bei uns möglich, denn Energie betriebene Radio.“ ist bisher nicht im großen Stil speicherbar. Österreich muss jedes Jahr ganze 29 Terawattstunden importieren und 23 exportieren. So wird das Stromnetz zusätzlich belastet. Die Liberalisierung des Strommarkts im europäischen Verbundsystem führt zu einem dau- Wie sieht der Ernstfall aus? „Im schlimmsten Fall erhaften Engpassmanagement. Jeder Tag ist ein Balanceakt. dauert es 24 bis 48 Stunden, bis die kritische Überall war erst kürzlich in den Medien zu lesen: „Europa Infrastruktur wieder am Netz hängt“, sagt Dominik schrammte haarscharf am Blackout vorbei.“ Einige Wochen später Zeidler vom Wiener Zivilschutzverband. 12 13
Arbeit&Wirtschaft 2/2021 DREI FRAGEN Vorsorge statt Panik ZUM Panik entsteht grundsätzlich, wenn Menschen sich eingesperrt und THEMA hilflos fühlen sowie keine Kommunikation möglich ist. „Worauf Das Umspannwerk es ankommt, ist die Vorbereitung des Einzelnen, etwa durch eine Wien-Südost: gute Bevorratung“, rät die Krisenpsychologin Barbara Juen von 90 Minuten würde der Universität Innsbruck deswegen. „Besonders wichtig ist dabei an den AK-Energieexperten es im Normalfall die Bereitstellung von alternativen Kommunikationsmitteln. Wie Josef Thoman in Wien dauern, gut man in der Lage ist, Isolation auszuhalten, ist aber von Person bis alle Haushalte zu Person verschieden. Ein möglicher Denkansatz ist es, kreativ Wieso droht in der Netzsicherheit eigentlich wieder mit Strom zu werden und die Situation als Herausforderung zu sehen, aus eine Überbelastung? versorgt sind. der man etwas lernen kann. Das gilt auch für die lokale Gemein- Die Versorgungssicherheit wird zum überwiegenden Teil schaft und die Gesellschaft als Ganzes, die ebenso einen Notfall- von privaten Haushalten finanziert. Obwohl diese nur plan brauchen.“ ein Viertel des Stroms verbrauchen, kommen sie zu 44 „In Wien dauert es unter normalen Bedingungen im Schnitt 90 ser Gemeinde ist ein Sechser im Blackout-Jackpot. Während jene Mittlerweile gibt es bereits repräsentative Studien zu den Aus- Prozent für die Netzkosten auf. Ein Problem dabei ist die Minuten, bis alle Kund*innen wieder mit Strom versorgt sind“, be- EU-Richtlinie, die seit 2012 eine Notstromversorgung von Tank- wirkungen der aktuellen Ausnahmesituation auf das Bewusstsein fehlende Kostenwahrheit im europäischen Stromnetz. ruhigt Christian Call. „Sollte bei einem überregionalen Stromaus- stellen vorsehen sollte, in Österreich bis heute nicht umgesetzt wur- der Bevölkerung. Lisa Patek vom Umfrageinstitut Marketagent Denn für Stromhändler gibt es keinerlei Anreize, die fall ein Wiederherstellen der Versorgung über den Übertragungs- de, geht man hier einen eigenen Weg. Die Ortschaft machte sich fasst zusammen: „Die Corona-Pandemie hat bei gut vier von zehn Kapazitäten des Netzes zu berücksichtigen. Ein Händler netzbetreiber nicht möglich sein, werden die in Wien befindlichen „Blackout-sicher“. Österreicher*innen durchaus das Bewusstsein für drohende Krisen kann den Strom quasi gratis durch ganz Europa schi- Kraftwerke für den Aufbau einer stabilen regionalen Versorgungs- Selbst wer nicht die Mittel zur Vorsorge hat, wird hier Ge- geschärft. Mehr als ein Drittel der Befragten trifft seit COVID-19 cken. Wir haben jetzt seit mehreren Jahren die absurde insel genutzt.“ Diese Stromversorgung „von null weg“ kann schon wissheit haben, Hilfe zu erhalten. 13 „Kat-Leuchttürme“ unter- bessere Vorbereitungen für derartige Ausnahmesituationen, was für Situation, dass wir jede Menge Kraftwerkskapazitäten in einmal länger dauern. stützen den Wiederaufbau des Stromnetzes und übernehmen die den Fall eines Blackouts möglicherweise von Vorteil sein könnte.“ der sogenannten Netzreserve bereithalten müssen, um Verteilung von Hilfsgütern. Sie befinden sich im örtlichen Feuer- eine Überlastung der Netze zu vermeiden. Das ist teuer. wehrhaus, der Eisstockhalle, dem Gemeindegebäude. Dort gibt es Trinkwasser Soziale Dimensionen Müssen wir Angst vor einem Blackout haben? Trinkwasser in Hochbehältern und Treibstofftanks. Mit Notstrom Anders ist es beim Trinkwasser. „Da müssen wir dem Kaiser und werden sie rund um die Uhr betrieben, Bürger*innen können sich Auch Dominik Zeidler rät deswegen zur Vorsorge: „Während der Das aktuelle System ist keinesfalls perfekt. Die Frage seinem Team ewig dankbar sein“, sagt Zeidler. Denn dieser plante aufwärmen, notfalls dort schlafen und mitgebrachtes Essen an si- Pandemie hatte man immer die Chance, einkaufen zu gehen. Das müsste deswegen lauten, wie wir das System in Zukunft für das damals über zwei Millionen Einwohner*innen große Wien cheren Kochstellen zubereiten. geht bei einem Blackout nicht.“ Wer seinen Haushalt gut gestal- weiterentwickeln können, um diese Gefahr zu verrin- jene beiden Hochquellwasserleitungen, auf die wir bis heute zu- Per Fahrradkurier, Festnetzdirektleitung oder Funk ist jeder tet und den individuellen Bedürfnissen anpasst, kann solch eine gern. Auch die erneuerbaren Energien stellen dabei per rückgreifen. „In manchen höher gelegenen Stockwerken wäre es „Kat-Leuchtturm“ mit der Zentrale verbunden. Jede*r Feldbacher*in Ausnahmesituation ohne Weiteres überstehen. Wichtig ist dabei, se kein Problem für die Versorgungssicherheit dar. Sie allerdings empfehlenswert, sich mit den Nachbarn darunter gut weiß, wo der nächste Leuchtturm steht. 8.000 Broschüren wurden auch jene zu erreichen, die sich sonst nicht mit solchen Themen speisen ihre Energie meist volatiler, also unregelmäßig, zu stellen.“ Dort könnte es dann nämlich gelegentlich zu Proble- an Haushalte verteilt, eine Serie zum Thema Blackout stellte den beschäftigen. „Aber auch Gesellschaftsspiele und Bücher sind be- ein. Mit dem Erneuerbaren-Ausbaugesetz sollte sich die men mit dem Wasserdruck kommen. Feldbach im Südosten der Schwerpunkt in der Gemeindezeitung dar. Jedes Jahr am Tag des Zi- sonders wichtig“, so Zeidler, denn Unterhaltungsprogramm gibt Situation zumindest ein Stück weit bessern. Denn dann Steiermark, 13.000 Einwohner*innen. Ein Hauptwohnsitz in die- vilschutz-Probealarms gibt es Info-Veranstaltungen am Hauptplatz. es keines mehr. Das Schlimmste ist wohl, nicht zu wissen, wie es gibt es stärkere Anreize, Strom zu erzeugen, wenn auch der Familie und Freunden geht. „Schon jetzt leiden wir darunter, die Nachfrage da ist. dass wir keine – oder weniger – soziale Kontakte haben. Bei einem Kommt es wirklich Blackout ist das Problem, dass wir niemanden anrufen können.“ Wozu überhaupt Versorgungssicherheit? hart auf hart, hilft Man sollte sich deswegen innerhalb der Familie absprechen. Die Versorgungssicherheit mit elektrischer Energie ist als Informations- Wo und wann trifft man sich bei einem Blackout? Welcher Haus- einerseits wesentliche Grundlage für das Wirtschafts- quelle nur noch das halt ist innerhalb der Familie am besten geeignet? Gibt es einen Bal- system. Auch ein kurzzeitiger Ausfall wird insbesondere batteriebetriebene kon oder sogar ein Haus mit Garten? „Auch mit dem Arbeitgeber in der Industrie schnell teuer. Sie ist aber auch ein zen- Radio. Bis beispiels- sollte man klären: Muss ich beim Blackout in die Arbeit? Kann ich trales Element der Daseinsvorsorge. Ob Wärmepum- weise das Kraftwerk das überhaupt? Ist das sinnvoll? Das darf man nicht unterschätzen. pen oder Infrarotheizungen, wir heizen immer mehr mit Wien-Simmering Solche sozialen Unterschiede merkt man ja auch jetzt in der Pande- Strom, und auch die Versorgung mit anderen Energie- wieder läuft, könnte mie leider ganz stark“, sagt Zeidler. trägern ist häufig von der Stromversorgung abhängig. In es Tage dauern. Es ist nicht die Frage, ob – es ist die Frage, wann. – Darin sind vielen Haushalten kann ein Stromausfall also von einer sich alle Experten einig. Wichtig ist, nicht Panik zu verbreiten, son- Sekunde auf die andere Kälte bedeuten. dern zu sagen: „Okay, das ist ein mögliches Szenario – und daher ist eine Vorbereitung so wichtig!“ w 14 15
Arbeit&Wirtschaft 2/2021 Arbeit&Wirtschaft 2/2021 Derzeit müssen Konsument*innen selbst mit dem Energieanbieter verhandeln und sind letztlich von seinem guten Willen abhängig. – diese Daten, die von der E-Control er- verweisen Sandra Matzinger und Dorothea oder welchen neuen Heizkessel man an- hoben werden, gibt es schon aus den Mo- Herzele darauf, dass Energiearmut auch schaffen könnte.“ Die AK fordert daher, naten nach dem ersten Lockdown. So wur- dazu führt, dass Menschen nicht in Ener- dass von Energiearmut Betroffenen die den 2020 zwischen April und Juni 10.900 gieeffizienz investieren. Herzele: „Energie- Kosten etwa für einen Heizkesseltausch zu Jetzt ist der Ofen aus Stromabschaltungen nicht durchgeführt, effizienz durch bessere Geräte und ein ther- 100 Prozent erstattet werden. um von Energiearmut betroffenen Haus- misch gut saniertes Haus ist ein wesentlicher halten in der Krise zu helfen. Beim Gas Schlüssel, um Energiekosten nachhaltig Anlaufstelle wurden 3.500 Abschaltungen nicht durch- zu reduzieren.“ Es solle keine „Zwei-Klas- geführt. Im Strombereich wurden mehr als sen-Energie-Gesellschaft“ mehr geben. Die Eigenmittel könnten etwa durch den In der Pandemie können sich viele Menschen Heiz- und Stromkosten nicht mehr leisten 19.000 Stundungen gewährt, rund 7.000 Matzinger: „Es gibt Haushalte, die wohl Energie- und Klimahilfsfonds, den die Ratenzahlungsvereinbarungen abgeschlos- informiert darüber sind, wie sie ihren Ener- AK fordert, übernommen werden. Dieser und schon gar nicht energiesparende Geräte und thermische Sanierungen finanzieren. sen und 24.000 Haushalten die Teilzah- gieverbrauch senken können, und die auch Fonds sollte bei der Energiewende unter- Die AK fordert einen Energie- und Klimahilfsfonds, der Energiearmut systematisch lungsbeträge weiter reduziert. Doch Her- die finanziellen Mittel dafür haben. Aber es stützen und von Energiearmut betroffe- bekämpft und die Energie- und Klimawende voranbringt. zele und Matzinger schreiben dazu in ei- gibt eine große Gruppe, die sich da schwer- nen Personen und Familien nachhaltig nem Arbeit&Wirtschaft-Blogbeitrag: „Dies tut. Auf die müssen wir achtgeben, wenn wir helfen. So sollte er etwa bei thermischen waren grundsätzlich wichtige Maßnahmen, Klimaneutralität schaffen wollen.“ Sanierungen, Energieeffizienzmaßnahmen, um Haushalten rasch und unkompliziert Und das ist das erklärte Ziel der Kli- Heizungstausch und erneuerbaren Ener- TEXT ALEXANDRA ROTTER Hilfe zukommen zu lassen. Eine nachhalti- ma- und Energiewende: Österreich will gien unterstützen – sei es durch Beratung ge Strategie wurde jedoch nicht entwickelt. 2040 klimaneutral sein, die EU im Jahr oder finanzielle Förderung. Darüber hinaus W er seine Stromrechnung nicht reich nicht leisten, ihre Wohnung im Win- über die Runden und zahlt ihre Rechnungen Was passiert nach Auslaufen der Branchen- 2050. Dabei verwenden laut AK-Studie sollte er sich als Kompetenzzentrum durch mehr zahlen kann, Schulden ter warm zu halten. 372.000 konnten ihre pünktlich.“ Auch Menschen, die aufgrund vereinbarung, wenn Haushalte immer noch „So heizt Österreich“ noch knapp 44 Pro- Forschungsförderungen um die interdis- beim Energielieferanten an- Energierechnungen nicht pünktlich zahlen. von Energiearmut ihre Heizung nur auf 18 finanziell belastet sind?“ Sie fordern eine zent der Haushalte fossile Brennstoffe, um ziplinäre Erforschung von Energiearmut häuft oder aus Geldmangel die Heizung Und ungefähr jede*r elfte Österreicher*in Grad drehen, scheinen bisher in der Statis- gesetzliche Regelung, die Energielieferan- ihre Wohnräume zu heizen. Der Plan der kümmern und auch nationales und inter- kaum noch aufdreht, ist von Energiear- (mehr als 820.000) war mit Feuchtigkeit tik nicht auf, solange sie ihre Rechnungen ten dazu verpflichtet, Ratenzahlungen über Regierung sieht vor, dass diese rund 1,65 nationales Know-how bündeln. Zwei Bei- mut betroffen. Und die Lage dürfte sich oder Schimmel in den eigenen Wohnräu- zahlen. Matzinger: „Die verdeckte Energie- einen Zeitraum von 24 Monaten zu ermög- Millionen Haushalte stufenweise auf ande- spiele: Wenig weiß man zurzeit noch über durch die Corona-Krise weiter verschärft men konfrontiert – 158.000 davon Kinder armut ist ein massives Problem.“ Zwar weiß lichen. Derzeit müssen Konsument*innen re Heizsysteme umstellen. Spätestens 2035 das Stadt-Land-Gefälle und über die unter- haben. Dorothea Herzele und Sandra Mat- und Jugendliche unter 17 Jahren. Eine wei- man durch EU-SILC ein bisschen etwas zum selbst mit dem Energieanbieter verhandeln müssen etwa alle Heizöl- und Kohlekessel schiedliche Betroffenheit der Geschlechter. zinger, Referentinnen in der Abteilung tere Zahl ist hier interessant: Die AK erhob Thema Heizen, doch wirklich viel Datenma- und sind letztlich von seinem guten Willen ausgetauscht sein. Sandra Matzinger berichtet bereits Wirtschaftspolitik bei der AK Wien mit 2020 in ihrer Studie „So heizt Österreich“, terial gibt es über Energiearmut und Strom- abhängig. Zwar gibt es schon jetzt viele Förderun- von Interesse an dem Vorschlag seitens der Schwerpunkt Energiepolitik, haben von dass rund 16.500 Haushalte über kein fest nutzung auch nicht. Dabei wären Daten gen, wie zum Beispiel für den Heizkessel- EU-Kommission sowie eines großen For- Sozialorganisationen erfahren, dass das Pro- installiertes Heizungssystem verfügen. dazu besonders jetzt wichtig, denn gerade in tausch oder die Installation einer Photo- schungsprojekts: „Das bestätigt uns, dass Klimaneutralität blem der Energiearmut seit Herbst 2020 lau- Lockdown- und Homeschooling-Zeiten, wo voltaik-Anlage. Herzele: „Doch selbst wenn das eine gute Institution wäre, um effek- fend zunimmt – wenngleich es noch wenig Verdeckte Energiearmut oft die ganze Familie zu Hause ist, steigt der Energiearmut hat sowohl soziale als auch von Energiearmut Betroffene Förderungen tiv etwas zu verbessern.“ Laut Matzinger explizite Zahlen dazu gibt. Die Daten des private Strombedarf stark an. gesundheitliche Auswirkungen. Wer seine erhalten, hilft ihnen das nicht, weil sie die und Herzele könnte dieser Fonds für die EU-SILC, einer jährlichen Erhebung über Sandra Matzinger verweist zudem auf eine Immerhin ist die Anzahl der Haushal- Wohnung nicht oder kaum heizen kann, nötigen Eigenmittel nicht aufbringen kön- Bekämpfung der Energiearmut auch eine die Lebensbedingungen der Privathaushalte Dunkelziffer: „Eine alte verwitwete Frau bei- te bekannt, denen aufgrund unbezahlter verkühlt sich leichter und wird zudem nie- nen.“ Sandra Matzinger fügt hinzu: „Wenn treibende Kraft für eine klimagerechte Zu- in der EU, liegen für 2020 noch nicht vor. spielsweise, die Mindestpension bezieht und Rechnungen Strom oder Gas abgedreht manden einladen. Wer sein Smartphone man armutsbetroffen ist, hat man vor allem kunft werden. Und er könnte ein Best-Prac- 2019 konnten es sich der SILC-Befragung in ihrem Haus nur ein Zimmer beheizt, wird wurde oder die durch Stundungen bzw. nicht aufladen kann, kann nicht erreicht andere Sorgen und stellt sich weniger die tice-Beispiel sein, durch das Österreich eine zufolge knapp 160.000 Personen in Öster- niemandem auffallen, denn sie kommt ja Ratenzahlungen über die Runden kommen werden und niemanden anrufen. Außerdem Frage, ob man neue Fenster einbauen soll neue Vorreiterrolle einnimmt. w 16 17
Arbeit&Wirtschaft 2/2021 Arbeit&Wirtschaft 2/2021 Tag der F irmenpleiten funktionieren nicht wie im Film. Es gibt sel- Ein drittes Argument für die vorübergehende Aufhebung der Insol- ten einen dramatischen, alles entscheidenden Moment, der venzantragspflicht ist, dass von der Corona-Pandemie auch Unter- innerhalb von Sekunden über Untergang oder Fortbestand nehmen in den Abgrund gerissen werden, deren Geschäftsmodell entscheidet. Es sind auch nicht Banken oder Geschäftspartner*in- eigentlich tragfähig ist und die über Jahre hinweg Arbeitsplätze ga- Abrechnung nen, die Unternehmen zum Konkurs zwingen. Firmen gehen über rantieren würden. So gibt Leitsmüller zu bedenken: „Mit der Ver- einen langen Zeitraum pleite. Bis sie irgendwann ihre Steuern oder längerung kann man vermeiden, dass Unternehmen, die im Kern Sozialabgaben nicht mehr bezahlen können. Statistisch betrachtet gesund sind, insolvent werden. In der jetzigen Arbeitsplatzsitua- stellen in Österreich Finanzämter und die Gesundheitskassen rund tion muss alles getan werden, Arbeitsplätze, die man erhalten kann, die Hälfte der Insolvenzanträge. Theoretisch. auch zu erhalten – weil es viel schwieriger ist, neue Arbeitsplätze zu Trotz historischer Wirtschaftskrise durch eine globale Pandemie melden nur wenige Praktisch tun sie genau das aktuell nicht. Das hat mit den Staats- schaffen, als einen bestehenden zu erhalten.“ hilfen der Regierung in der Corona-Pandemie zu tun. Zum einen Firmen Konkurs an. Kein Wunder. Die Insolvenzantragspflicht ist ausgesetzt. können Finanzämter und Gesundheitskassen aktuell keine Insolvenz- Warnung Doch allerspätestens am Jahresende kommt sie zurück. Explodieren dann die anträge stellen, und zum anderen sind die entsprechenden Abgaben gestundet – nicht erlassen, wohlgemerkt. Wie lange dieser finanzielle Eine Forderung, die nicht neu ist und mit der die Arbeiterkammer Zahlen von Insolvenzen und Arbeitslosigkeit? Ja und nein. Eine Übersicht. Burgfrieden bestehen bleibt, ist aktuell unklar. Als wahrscheinlich nicht allein dasteht. Schon 2020 warnte Kristalina Georgieva, Che- gilt eine Verlängerung der Aufhebung der Insolvenzantragspflicht fin des Internationalen Währungsfonds (IWF), vor einer möglichen bis zum 30. Juni 2021, verrät Christa Schlager, Leiterin der wirt- Verdreifachung der Pleiten von Klein- und Mittelunternehmen. Sie TEXT CHRISTIAN DOMKE SEIDEL schaftspolitischen Abteilung der Arbeiterkammer, im Gespräch mit riet den Staatschefs, das Geld nicht mit der Gießkanne zu vertei- Arbeit&Wirtschaft. Auch eine Verlängerung bis Jahresende wäre im len. Es sollten nicht alle Unternehmen gefördert werden, sondern Rahmen der Vorgaben der Europäischen Union. nur die, deren wirtschaftliche Probleme auch auf das Corona-Virus Es gibt Expert*innen, die mit dem Auslaufen dieser Maßnahme zurückzuführen seien. Während des Europäischen Forums Alpbach eine Pleitewelle erwarten. Das hat seine Gründe. In einem normalen im August 2020 appellierte Georgieva: „Investieren Sie die Hilfs- Quartal 1 Quelle: Eurostat Jahr gebe es in Österreich rund 5.000 Unternehmenspleiten, erklärt gelder intelligent für die Wirtschaft von morgen und schützen Sie -3,3 % Atanas Pekanov, Ökonom am Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO). Quartal nicht die Wirtschaft 4 Quartal 1 von gestern.“ Im großen Krisenjahr 2020 waren es allerdings nur 3.100. „Diese Tat- Pekanov ist-7,8 % dass-3,3 der Ansicht, % die Forderungen nicht auf unbe- sache ergibt sich teilweise aus mehreren Quartal 4 Regierungsmaßnahmen Quartal 2 zur stimmte Zeit fortgeführt werden können. Schließlich gebe es Sek- Stabilisierung der Wirtschaft sowie zur Sicherung der Liquiditäts- toren, in denen Firmen so hart getroffen wurden, dass Insolvenzen überbrückung von Firmen. -7,8 % aber ist es wegen Vor allem -14,2 % der Ausset- unumgänglich seien. So etwa in der Tourismusbranche. Das sieht zung der Insolvenzantragspflicht dazu gekommen“, erläutert Pekanov. Quartal Leitsmüller zwar ähnlich, 3 mahnt Quartal 2 aber ein vorsichtiges Vorgehen der Quartal 3 -4,2 % an:-14,2 politischen Entscheider*innen % „Die Maßnahmen von einem Tag -4,2 Wie sich eine Pleitewelle auswirkt % auf den anderen auslaufen zu lassen wird schwierig. Es ist Aufgabe Eine Pleitewelle hätte eine ganze Reihe von Effekten, die in der öf- fentlichen Debatte oft untergehen. Zum einen unterhalten Unter- BIP-Entwicklung in Österreich 2020 nehmen Geschäftsbeziehungen und haben Verbindlichkeiten. Lie- feranten warten auf vielleicht überlebensnotwendiges Geld. Rettet man angeschlagene Unternehmen, vermeidet man, dass die nächs- ten Dominosteine – die Gläubiger –Quartal 1 ein Unterneh- fallen. „Wenn men insolvent wird, schadet das auch den Gläubigern. Wenn der -3,3 % Fortbestand von gesunden Unternehmen gewährleistet wird, ver- Q1 Q2 Q3 Q4 meidet man diesen Schaden, und die Gläubiger haben die Chance, ihr Geld zu bekommen“, Quartal 4 Leitsmüller, erklärt Heinz Quartal Leiter der2Be- -7,8 % -14,2 % triebswirtschaftsabteilung der Arbeiterkammer, die Situation. -3,3% -4,2% Der zweite Punkt ist, dass die rettenden Maßnahmen auch vor unerwünschten Investoren schützen. „Wichtig ist auch, dass -7,8% dadurch Notverkäufe nicht so schnell Quartal 3 sind. Manche notwendig Branchen sind sehr exponiert, und es -4,2 %viel billiges Geld. gibt sehr -14,2% So kann man kleine und mittlere Betriebe vor Übernahmen schüt- zen“, führt Christa Schlager das Ganze weiter aus. 18 19
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