Jeder ist ein Changemaker - Mit Social Entrepreneurship Systeme verändern

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Konstanze Frischen, Brigitte Winkler | Jeder ist ein Changemaker | Schwerpunkt   | Gespräch

Jeder ist ein Changemaker
Mit Social Entrepreneurship Systeme verändern

Im Gespräch mit Konstanze Frischen, Gründerin von Ashoka Deutschland und Vorstandsmitglied von Ashoka Inter-
national – einer der führenden Plattformen für soziale Innovationen –, eruiert unsere Redakteurin Dr. Brigitte Winkler,
wie Ashoka soziales Unternehmertum fördert und was wichtig ist, um mit sozialen Innovationen eine systemverän-
dernde Wirkung zu erreichen.

ZOE: Frau Frischen, Sie haben die Organisation Ashoka 2003           Zivilgesellschaft, Unternehmertum und Innovation von unten
in Deutschland mit dem Ziel gegründet, Social Entrepreneur-          zu setzen. So funktioniert ja auch letztendlich Innovation in
ship in West-Europa zu implementieren. Was war das Neue an           der Wirtschaft. Man muss nah am Markt sein und ein gutes
Ihrem Konzept?                                                       Gefühl für die Opportunitäten und Schwierigkeiten haben. In
                                                                     Sozialstaaten geht man häufig davon aus, dass bei den hohen
Frischen: Zur damaligen Zeit war «Social Entrepreuneurship»          Steuern, die man als Bürger bezahlt, der Staat schon Lösungen
bzw. das Profil eines «Sozialunternehmers» noch weitgehend           bereitstellen wird. Dagegen vertraut man mit dem Konzept
unbekannt. Etwas übertrieben skizziert gab es damals die Hal-        des «Social Entrepreneurship» auf den Unternehmergeist der
tung, entweder eine Organisation ist karitativ oder ein «rich­       Zivilgesellschaft, was wiederum eng verknüpft ist mit partizi-
tiges» Unternehmen. Letzteres bedeutete, wirtschaftlich im           pativen, demokratischen Herangehensweisen.
Busi­ness-Kontext zu agieren, etwas herzustellen, Gewinne zu
machen und Arbeitsplätze zu schaffen (das galt dann als so­          ZOE: Inzwischen wurde aus Ashoka ein führendes globales
zial) und karitativ hieß, man spendete Päckchen oder Teddy-          Netzwerk von Innovatoren in über 90 Ländern. Was waren aus
bären. Das Konzept des Sozialunternehmers war den Men-               Ihrer Sicht die Meilensteine und Erfolgsfaktoren, die den Auf-
schen neu – die Vorstellung also, dass man mit einer neuen           bau des Netzwerkes begünstigten?
Idee Systeme aufbauen oder bestehende umbauen kann, wo
der Markt noch nicht hinreicht, um gesellschaftliche Proble-         Frischen: Ashokas fundamentalste Leistung war es, den Be-
me zu lösen. Dabei hat es Sozialunternehmer immer schon              griff Sozialunternehmer zu erfinden und damit eine abstrakte
gegeben – denken Sie an Maria Montessori und die Montesso-           gedankliche Kategorie zu schaffen, die es überhaupt ermög-
ri-Pädagogik, die sich weltweit verbreitet hat, oder an Hans-        licht hat, solche Menschen systematisch zu erkennen. Erst
Wilhelm Raiffeisen und die Genossenschaftsbanken. Trotz-             wenn Sie wissen, wonach Sie suchen, merken Sie, dass hinter
dem gab es damals noch keine gedankliche Kategorie, die es           den eingangs erwähnten Beispielen Raiffeisen oder Montes­
uns als Gesellschaft ermöglicht hätte, den Urheber hinter sol-       sori oder dem Wikipedia-Erfinder Jimmy Wales ein ähnlicher
chen Ideen als einen Phänotypus, quasi eine Berufsgruppe,            Typus steht. Und dann können Sie diesen Begriff als Suchkate-
wahrzunehmen. Das änderte sich dann mit dem Begriff So­              gorie nutzen, um weitere Sozialunternehmer zu identifizieren.
zialunternehmer. Auch die Idee der Venture Philanthropy, also        Zweitens war Ashoka die erste Institution, die gesagt hat, diese
analog zum Konzept von Venture Capital auf eine Person und           Menschen müssen wir unterstützen. Mehr noch: Durch die
deren Idee im sozialen Bereich zu setzen, war ganz neu.              Unterstützung dieser Menschen lässt sich gesellschaftliche In-
   Mich begeisterten damals diese Konzepte: Ich hatte Ethno-         novation am besten und schnellsten vorantreiben – egal ob in
logie studiert, in anderen Ländern geforscht und gesehen, wie        Brasilien, in Bangladesch oder bei uns zu Hause. Ashoka hat
Entwicklungshilfe oft schief gehen kann, wenn Maßnahmen              sie in all diesen Ländern gefunden, sie unterstützt, von ihnen
gut gemeint sind, aber nicht das bewirken, was man sich er-          erzählt. Nachdem der Begriff des Sozialunternehmers durch
hofft hatte. Was mir an Ashoka so gefiel, war die Idee, auf die      uns populär gemacht wurde, haben wir immer mehr Unter-

OrganisationsEntwicklung Nr. 1 |2019 Langfassung — exklusiv für das Online-Archiv                                                 17
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nehmer und Stiftungen gefunden, die uns geholfen haben, die                    keiten, in deren Lebenslauf sich Entrepreneurship und Kreati-
Idee in neue Länder zu bringen. Das World Economic Forum                       vität widerspiegeln, Expertise in der Sache, und ein Track Re-
hat Sozialunternehmer nach Davos eingeladen. Die Oxford Uni­                   cord, also erste Erfolge – d. h. nicht jemanden, der «nur» eine
versität hat ein Institut gegründet. Dadurch entsteht auch eine                Idee auf dem Papier hat.
Nachfrage von philanthropischer und wissenschaftlicher Seite.
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ZOE: Einer Ihrer Schwerpunkte ist es, weltweit Social Entre-
preneurs, die tiefgreifende («system-changing») Ansätze für die                Frischen: Wir haben einen mehrstufigen Prozess. In der Re­gel
Lösung drängender gesellschaftlicher Probleme entwickelt ha­                   wird man nominiert, nominieren kann jeder. Jedes Land nimmt
ben, zu identifizieren, diese als Ashoka Fellows in das globale                eine Vorauswahl von Kandidaten und Kandidatinnen basie-
Netzwerk aufzunehmen und sie auf dem Weg zu begleiten, ih-                     rend auf Marktanalysen, vor-Ort-Besuchen und Interviews vor.
re angestrebte gesellschaftliche Wirkung zu erzielen. Wie ge-                  Dann gibt es so genannte «second opinion interviews», d. h.
hen Sie bei der Identifikation dieser Initiativen vor? Was quali-              Einzelinterviews mit einem Vertreter von Ashoka Internatio-
fiziert jemanden als Ashoka Fellow?                                            nal. Uns interessiert nicht nur der Business-Plan, sondern vor
                                                                               allem die Genese der Idee, wie sie Systeme verändert; außer-
Frischen: System-changing bedeutet für uns, dass unsere Fel-                   dem der Lebenslauf der Person, wie es weitergehen wird, wie
lows relevante Strukturen innerhalb oder an Systemen so ver-                   die Idee nachhaltig werden kann. Im nächsten Schritt wird in
ändern, dass sie anders funktionieren, Normen ändern, Ak-                      einem Panel, also einer Jury, bestehend aus externen Juroren,
teure anders miteinander umgehen, so dass gesellschaftliche                    über die Aufnahme entschieden. Danach muss unser globaler
Probleme gelöst werden und Menschen davon profitieren. Es                      Aufsichtsrat die Aufnahme noch bestätigen. Die meisten Kan-
geht also z. B. nicht darum, eine neue Schule zu bauen, son-                   didaten und Kandidatinnen sagen, dass dieser Prozess an sich
dern darum, Unterricht großflächig so zu verändern, dass er                    für sie wertvoll ist, weil sie durch unsere Fragen vertieft über
Kindern, Lehrern und Eltern mehr Spaß macht und die Kinder                     die Umsetzung ihrer Idee nachdenken müssen.
besser aufs Leben vorbereitet. System-changing bedeutet nicht,
ein neues Krankenhaus zu bauen, sondern die Infrastruktur                      ZOE: Wie unterstützt Ashoka soziale Entrepreneure?
medizinischer Versorgung zu verbessern. Eine innovative Idee,
die system-changing Potenzial hat, ist für uns das wichtigste                  Frischen: Wir unterstützen unsere Ashoka Fellows mit Stipen-
Kriterium, nach dem wir unsere Ashoka Fellows auswählen.                       dien, damit sie sich Vollzeit auf ihr Tun konzentrieren können
Des Weiteren wollen wir jemanden fördern, dessen Idee ska-                     sowie mit einem globalen Netzwerk aus Gleichgesinnten. Wir
lierbar ist und einen möglichst hohen sozialen Impact hat. Au-                 stellen Kontakte zu Unternehmen und Universitäten her. Viele
ßerdem suchen wir nach integren Unternehmerpersönlich-                         Fellows fühlen sich allein schon durch die Berufsbezeichnung
                                                                               «Sozialunternehmer» in ihrer Rolle gestärkt. Plötzlich gibt es
                                                                               einen Namen für das, was man ist. Die Netzwerktreffen bieten
                                                                               Gelegenheit andere Sozialunternehmer kennenzulernen, die
  Konstanze Frischen — Biografie                                               vor ähnlichen Herausforderungen stehen und sich gegenseitig
                                                                               zu inspirieren. Mit dem Lebenshaltungsstipendium kann sich
                                                                               der/die Ashoka Fellow drei Jahre lang ohne finanzielle Sorgen
  Konstanze Frischen ist zur Zeit CEO von Ashoka in Nordamerika und lebt       auf das Vorhaben konzentrieren. Und natürlich stellen wir
  seit 2015 in Washington DC. Zwölf Jahre zuvor gründete sie in Frankfurt am   Verbindungen zu unseren Partnern her, um zu helfen, die Idee
  Main Ashoka Deutschland, wählte die ersten deutschen Fellows aus, baute      voranzubringen.
  ein weitreichendes Netzwerk aus Unterstützern aus Wirtschaft und Wis-
  senschaft auf und führte das Konzept Social Entrepreneur in den hiesigen     ZOE: Wer wird denn Ihrer Erfahrung nach Social Entrepreneur?
  Sprachraum ein. Sie baute Ashoka Europa mit auf, war Leiterin von Ashoka     Was sind hervorstechende Fähigkeiten oder Eigenschaften?
  Europa und Mitgründerin von Globalizer, einer Initiative zur Skalierung
  gesellschaftlicher Ideen, sowie Aufsichtsrätin der GLS-Bank. Konstanze       Frischen: Meistens ergibt sich aus der eigenen Biografie her-
  Frischen hat in Heidelberg, an der SOAS und der London School of Econo-      aus der Wunsch, sich für eine Sache einzusetzen. Beispiels-
  mics studiert und ist Ethnologin. Sie arbeitete bei CNN International in     weise hat man als Kind ein Buch zum Thema Umweltschutz
  London, als Wirtschaftsredakteurin bei der FAZ und der FAZ Sonntagszei-      gelesen, das einen tief inspiriert hat. Dann gab es einen Ver-
  tung. Sie ist Mitglied von Generation CEO und Beirätin des CASE Center der   wandten oder Lehrer, der die Leidenschaft gestärkt hat, man
  Business School an der Duke University.                                      hat eine Umweltgruppe gegründet, in der Schule einen Recyc-
                                                                               ling Day gestartet, und dann kommt eines zum anderen, und

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man folgt wie besessen diesem Pfad, lernt, taucht tief ein,           Frischen: Ein zentrales Prinzip ist Empathiefähigkeit. Sich in
merkt, was nicht funktioniert, was anders laufen könnte. Es           andere einfühlen zu können und zu wollen ist Basis für den
gibt aber auch tiefgreifende Schlüsselerlebnisse, die einen da-       Erfolg jedes neuen Miteinanders. Es gibt z. B. unter unseren
zu bringen, gegen Missstände vorzugehen.                              Fellows Casey Woods, die mit ihrer Organisation Arms with
                                                                      Ethics Waffenlobbyisten und Waffengegner in Amerika erfolg-
ZOE: Ashoka wirbt mit dem Slogan: «Everyone a changema-               reich zusammenbringt, um gemeinsam in ihren Gemeinden
ker». Was verstehen Sie darunter?                                     konkrete Lösungsmechanismen gegen Waffengewalt zu erar-
                                                                      beiten und umzusetzen. Das ist ein komplett revolutionäres
Frischen: Everyone a changemaker heißt, dass jeder in be-             Vorhaben, wenn man sieht, wie verhärtet die Fronten in der
stimmten Situationen die Welt mitverändern kann. Wir sehen            öffentlichen Diskussion sind. Zu Lösungen zu kommen ist aus
dieses Muster bei unseren Fellows immer wieder, unabhängig            ihrer Sicht nur möglich, wenn man beiden Seiten durch struk-
von Land und Kontext: Sie alle behandeln ihre Stakeholder             turierte Verfahren ermöglicht, sich in die jeweils andere Pers-
nicht in erster Linie als arme Menschen, die schwach und ab-          pektive einzufühlen. Wenn man begreift, dass letztendlich Lie-
hängig sind und denen man helfen muss. Sozialunternehmer              be und Angst um die Familie auf beiden Seiten der entschei-
sehen ihre Stakeholder vielmehr als Menschen mit Ressour-             dende Faktor ist, kann man von dieser Gemeinsamkeit ausge-
cen, die zu wecken sind, als aktive Gestalter, die es einzubin-       hend Verbindungen schaffen und Lösungen entwickeln.
den gilt in die Erarbeitung der Lösung. Innovationen unserer
Fellows ermöglichen es Menschen aus allen Schichten, zu ei-
nem besseren System beizutragen. Sei es, dass Einheimische
                                                                     «Bei Systemveränderungen geht es darum,
und Zugezogene zusammenfinden, um die lokale Wirtschaft              Menschen Rollen zu eröffnen, in denen sie
anzukurbeln und gemeinsam Fremdenfeindlichkeit zu be-                aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft
kämpfen. Oder dass Lastwagenfahrer Teil eines Netzwerkes
von Hilfsorganisationen und Polizei werden, um Menschen-             mitwirken können.»
handel entlang von US-Highways zu bekämpfen. Bei System-
veränderungen geht es immer darum, Menschen Rollen zu                 Ein zweites Prinzip, dass wir bei unseren Fellows entdecken,
eröffnen, in denen sie aktiv an der Lösung eines Problems und         nennen wir Team of Teams, also die Fähigkeit, aus unterschied­
der Gestaltung der Gesellschaft mitwirken können.                     lichen Kontexten her auch außerhalb der eigenen Organisation
                                                                      produktive Mitglieder zu rekrutieren, die sich über gemeinsa-
ZOE: Beschreibt das die von Ashoka geforderte «neue Füh-              me Ziele definieren. Zum Beispiel incentiviert Ashoka Fellow
rungskultur», in der jeder bereit ist, sowohl die Initiative zu       Gregg Treinisch mit Adventure Scientists Personen, die sich in
übernehmen als auch sich führen zu lassen, um das gemein-             ihrer Freizeit viel in der Natur aufhalten (z. B. beim Wandern,
same Ziel zu erreichen?                                               Moun­tain-Biking, Wassersport etc.), bei der Datensammlung
                                                                      für Umweltprojekte mitzumachen. Die Outdoor-Liebhaber ent­
Frischen: Ja, absolut. Es bedeutet, dass man Menschen zu-
traut, Dinge anzustoßen und Führung zu übernehmen. Ein
gutes Beispiel dafür ist Buurtzorg. Das ist eine Organisation,
entstanden in den Niederlanden, bestehend aus tausenden                 Ashoka
Krankenschwestern und -pflegern, die sich gewissen Prinzipi-
en verpflichten, sich dann in Gruppen von zehn bis zwölf
selbst organisieren und das Empowerment und die Pflege des              Ashoka ist die weltweit größte Organisation zur Unterstützung von Sozial-
Patienten in den Mittelpunkt stellen. Buurtzorg hat die ehe-            unternehmern (Social Entrepreneurs), die mit innovativen Ansätzen nach-
mals hierarchische, auf engem Zeitmanagement beruhende                  haltig zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen. Seit 1980 hat
Organisation von Pflege auf den Kopf gestellt, die Lebensqua-           Ashoka in rund 90 Ländern mehr als 3.300 innovative Ansätze in Berei-
lität von Patienten und Pflegenden dramatisch verbessert, und           chen wie Bildung, Menschenrechte, Umweltschutz oder Gesundheitsvor-
zugleich die Pflegekosten um 40 Prozent reduziert, weil auf             sorge unterstützt und identifiziert Muster und Trends sozialer Entwick-
teuren Management-Overhead verzichtet werden kann.                      lung. Ashoka bietet Social Entrepreneurs Stipendien, eine Plattform für
                                                                        Austausch, Rückhalt und Kontakte sowie Einbindung in das weltweite Netz­
ZOE: Sie haben noch mehr übergreifende Prinzipien identi­               werk der «Ashoka Fellows». Ashoka finanziert die Stipendien durch die
fiziert, die soziale Entrepreneure darin unterstützen, ihre Pro-        Einwerbung von Spendengeldern. Seit 2003 ist Ashoka mit der Ashoka
jekte erfolgreich zu realisieren. Können Sie uns diese anhand           Deutschland gGmbH in Deutschland und Westeuropa aktiv.
von Beispielen erläutern?

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Gespräch | Schwerpunkt | Jeder ist ein Changemaker | Konstanze Frischen, Brigitte Winkler

nehmen dort, wo sie gerade sind, Wasserproben oder sammeln         ZOE: Was ist aus Ihrer Erfahrung wichtig, um soziale Innova­
Tierkot und senden die Proben an Universitäten, um die welt-       tionen «groß» werden und ihre Wirkung entfalten zu lassen?
weite Forschung zur Verschmutzung durch Mikroplastik oder
zu Antibiotikaresistenzen zu unterstützen. Keine Universität       Frischen: Aus der Sicht der Organisation natürlich Kapital und
der Welt hätte das Geld, überall dort Mitarbeiter hinzuschicken,   Ressourcen. Wenn man den Social Impact betrachtet, so gibt
wo Proben gesammelt werden. Aber Adventure Scientists lässt        es verschiedene Arten der Wirkung. Wir können die Idee di-
intrinsisch motivierte Menschen zu freiwilligen Mitarbeiten-       rekt skalieren und eine Organisation wachsen lassen. Die Idee
den werden.                                                        kann aber auch so gut sein, dass sie von anderen kopiert wird
                                                                   und unabhängig von der Urheber-Organisation wächst. Sie
ZOE: Sie hatten angesprochen, dass Sie in der Entwicklungs-        kann einen systemischen Wandel provozieren, Gesetze ändern
hilfe gesehen haben, dass gut gemeinte Maßnahmen nicht das         oder Standards. Oder sie kann eine Haltungsänderung hervor-
bewirken, was man sich erhofft hatte. Was ist nötig, damit Ini-    rufen, einen «Mindset Shift».
tiativen bei ihrem Vorgehen lokale Gegebenheiten angemes-             Ein Beispiel für einen «Mindset Shift» ist die allgemeine
sen verstehen und berücksichtigen, um keine unintendierten         Schul­pflicht. Diese war vor über hundert Jahren nicht die
negativen Effekte auszulösen?                                      Norm. Dazu hat sich die Einstellung völlig verändert. Auch an
                                                                   der Me-too-Bewegung zeigt sich, dass sich die Haltung gegen-
Frischen: Das ist unser zentraler Ansatz, wenn wir systemver-      über dem, was als sexuelle Belästigung zählt, in der Gesell-
ändernde Vorhaben auswählen. Wir befragen und eruieren,            schaft gerade verändert. Dieses Umdenken ist das, was die
ob sich für die verschiedenen Gruppen eine Win-Win-Situati-        höchste Skalierung ermöglicht.
on herstellen lässt oder welche nicht intendierten Konsequen-
zen das Vorhaben auslösen kann. In unserem Auswahlprozess          ZOE: … jedoch am schwierigsten zu erreichen ist. Gibt es be-
achten wir sehr stark darauf, dass wir bottom-up Ideen von         stimmte Maßnahmen, die dazu beitragen, dass ein Konzept
Changemakern fördern, die das System, in das sie ihre Idee im­     oder eine Idee sich gesellschaftlich breit verankert?
plementieren wollen, gut kennen. Wir wählen niemanden aus,
der ein Produkt vermarkten möchte oder von außen kommt             Frischen: Zunächst muss das Konzept oder die Idee eines So-
und meint, die Lösung aufstülpen zu können.                        cial Entrepreneurs mit Hilfe von Beispielen illustrieren, was das

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Problem ist und wie alternative Lösungsmöglichkeiten ausse-            lizieren ließen oder die Gesetzgebung beeinflusst haben. Im
hen können. Dann benötigen Sie Institutionen, die diese Lö-            Ergebnis engagieren sich nach fünf Jahren im Durchschnitt
sungsansätze propagieren und verbreiten, wie z. B. Universitä-         noch über 90 Prozent des Fellows für ihr Vorhaben, und nach
ten, die Presse, usw. Und im letzten Schritt erreicht die Idee die     zehn Jahren wurde das Vorhaben schon bei über 90 Prozent
populäre Kultur, die dann durch Meinungsmache z. B. in den             der Fellows von ihnen unabhängig repliziert. Aus diesen Um-
Sozialen Medien oder durch Artikel das Konzept über die Zeit           fragen wissen wir auch, dass 71 Prozent der Ashoka Fellows
weiter verbreiten, so dass es letztendlich gesellschaftlich ange-      innerhalb von zehn Jahren nach ihrer Aufnahme in das Netz-
nommen wird.                                                           werk Veränderungen auf nationaler Ebene erreichen.
                                                                       Hier bitte eine Zeile verlängern...
ZOE: Unterstützt Ashoka soziale Entrepreneure bei ihren Mar-
ketingaktivitäten?                                                     ZOE: Setzen Sie sich Ziele, die Sie als Organisation erreichen
                                                                       wollen?
Frischen: Ja auch, aber wichtig zu wissen ist, dass Mindset
Shifts um gewisse generelle Muster herum stattfinden. Ein gu-          Frischen: Im Moment wählen wir um die 120 Fellows pro Jahr
tes Beispiel ist das Konzept der Micro Credits. Hier fand durch        aus. Diese Zahl und unsere Wirkung wollen wir verdoppeln.
die Aktivitäten von Muhammed Yunus, der natürlich auch auf             Wir wollen mehr Fellows pro Land auswählen, aber auch erst-
den Schultern von Raiffeisen steht, ein Mindset-Shift statt, weg       malig Sozialunternehmer in Ländern wie China oder Russland
von der Annahme, dass arme Leute nicht kreditwürdig sind,              finden. Innovation entwickelt sich dynamisch, deshalb kön-
hin zu der Erkenntnis, dass sie besonders kreditwürdig sind.           nen wir nicht aufhören, Innovationen auszuwählen. Und je
Inzwischen gibt es eine ganze Branche von verschiedenen Mi­            professioneller der soziale Sektor wird, desto mehr Ideen und
cro-Credit-Initiativen mit unterschiedlichsten Kreditangebo-           neue Felder entstehen, wie Blockchain oder künstliche Intelli-
ten, die es ohne dieses Umdenken nie gegeben hätte. Insofern           genz. Damit wollen wir Schritt halten.
sind nicht die Marketing-Aktivitäten der einzelnen Organisa­
tionen ausschlaggebend, sondern mehr die Bekanntmachung                ZOE: Wie finanzieren Sie die Aktivitäten von Ashoka? Wie ist
dieses Prinzips, ein Movement, das dann viele Organisationen           dabei Ihr Vorgehen?
für sich nützen können. Es wäre interessant, wenn auch Geld-
geber umdenken würden und den Impact von Ideen über den                Frischen: Wir finanzieren uns durch Zuwendungen von Un-
von Organisationen stellen würden. Denn oft ist die Finanzie-          ternehmern, Unternehmen und Stiftungen und generieren
rung an Meilensteine geknüpft, die beinhalten, wie die Orga-           auch einen Teil unserer Einkünfte durch Mitgliedsbeiträge von
nisation gewachsen ist, wie viele Leute angestellt wurden, an-         so genannten Ashoka Supportern. Wir nehmen keine Regie-
statt die Ergebnisse zu betrachten.                                    rungsgelder an.

ZOE: Wikipedia und den dort zitierten Studien kann man ent-            ZOE: Zusammen mit McKinsey & Company hatten Sie das Zen­
nehmen, dass jeder Ashoka-Stipendiat durchschnittlich 174.000          trum für Social Entrepreneurship in Sao Paolo, Brasilien, gegrün­
Menschen hilft. Das ist eine unglaublich beeindruckende                det und auch sonst arbeiten Sie immer wieder mit Unterneh-
Zahl. Aber hier stellt sich natürlich die Frage: Wie erheben Sie       men zusammen. Welche Rolle spielen solche Kooperationen?
diesen Impact?
                                                                       Frischen: Unser erstes Büro in Deutschland hatte ich in den
Frischen: Wir haben weltweit über 3.500 Ashoka Fellows. Da-            Büroräumen von McKinsey, die auch pro bono das Coaching
von befragen wir ein Drittel per Zufallsauswahl nach den Per-          unserer Fellows übernahmen. Gerade erst haben Ashoka
sonen, die sie direkt und indirekt mit ihrem Angebot erreichen         Deutschland und McKinsey wieder eine gemeinsame Studie
bzw. die davon profitieren und errechnen dann daraus den               erstellt, diesmal über die Skilling Challenge, also die Frage,
Durchschnitt. Die meisten Ashoka Fellows verfassen Jahres­             welche Fähigkeiten Arbeitnehmer im Zeitalter von KI und Au-
berichte, die diese Informationen ebenfalls enthalten. Aber            tomatisierung brauchen, und welche Antworten man bei Sozi-
wir sind keine Organisation, die streng kontrolliert oder Er­geb­      alunternehmern finden kann. Für die Wirtschaft ist es natür-
nisse einfordert. Das obliegt dem Entrepreneur. In Deutsch-            lich generell interessant zu verstehen, wohin sich die Gesell-
land haben wir den Social Reporting Standard entwickelt, der           schaft entwickelt und wie sich Märkte im sozialen Bereich be-
dazu beiträgt, die Wirkungskette nachzuvollziehen. Weltweit            wegen. Ashoka Fellows sind dafür Seismographen. Die Lego
tracken wir alle zwei Jahre über eine Befragung der Ashoka             Foundation z. B. hat mit Ashoka erkundet, mit welchen Inno-
Fellows, wie viele Menschen nach fünf Jahren noch an ihrem             vationen Sozialunternehmer «Learning through Play» welt-
Projekt oder an ihrer Idee arbeiten, wie viele Projekte sich rep-      weit voranbringen. Das Pharmaunternehmen Boehringer In-

OrganisationsEntwicklung Nr. 1 |2019 Langfassung — exklusiv für das Online-Archiv                                                    21
Gespräch | Schwerpunkt | Jeder ist ein Changemaker | Konstanze Frischen, Brigitte Winkler

gelheim erkundet mit uns seit 2010 unter dem Titel «making
more health», wie Fellows mit neuen Lösungen Gesundheit
rund um die Welt fördern.
                                                                     Literatur
ZOE: Wie könnten wir – systemisch gedacht – noch mehr Men-
schen dafür interessieren, sich für Anliegen des Gemeinwohls         • Change Maker, Ashoka Magazin, 2016-2017.
einzusetzen?                                                           https://issuu.com/ashokade/docs/changermaker2016___2017_web

                                                                     • Leviner, N., Crutchfield, L.R. & Wells, D. (2006). Understanding
Frischen: Ich glaube, grundsätzlich hat die Zufriedenheit eines
                                                                       the Impact of Social Entrepreneurs: Ashoka’s Answer to the Challenge
Menschen damit zu tun, ob ich mich erfahre als jemand, der
                                                                       of Measuring Effectiveness, In Mosher-Williams, R.: Resarch on social
zu etwas Sinnstiftendem beitragen kann. Ob ich – um an oben
                                                                       entrepreneurship: understanding and contributing to an emerging
anzuknüpfen – ein Changemaker bin. Dieser Akt des Beitra-
                                                                       field, ARNOVA Occaional Paper Series Volume 1, Number 3, S. 89—103.
gens und des Sinnstiftens wird immer bedeutsamer in einer
Welt, in der Arbeit im wachsenden Maße von Maschinen über­
nommen werden kann. Mark Zuckerberg hat diese Frage inte-
ressanterweise auch aufgeworfen – wie können wir Menschen
mehr «sense of purpose» geben, wenn sie der Arbeit gewisser-
maßen enthoben werden.
   Beizutragen und mitzumachen, Teil einer Gemeinschaft zu
sein und Sinn zu finden, und auch in schwierigen Situationen
                                                                     Internet
nach einer Lösung suchen – eine solche Haltung kann man
üben, am besten von jungem Alter an. Wir wissen beispiels-
weise, dass die meisten unserer Fellows schon als Jugendliche        • https://www.ashoka.org/de
gelernt haben, Führung zu übernehmen und sich für etwas
                                                                     • https://www.ashoka.org
einzusetzen, und sie diese Erfahrung als essentiell einstufen.
Außerdem sehen wir, dass Ashoka Fellows rund um die Welt             • https://www.ashoka.org/en/program/ashoka-globalizer
Kindern Potenzial zutrauen und sie als Akteure von Verände-
rung sehen und einbeziehen.
   In vielen Ländern arbeiten wir mit unseren Fellows daher
daran, dass changemaking, also dieses Einbeziehen von Kin-                                          Konstanze Frischen
dern in gesellschaftliche Lösungen, und das Zutrauen in ihre                                        CEO von Ashoka Nordamerika
Fähigkeiten, Einzug ins Bildungssystem hält. Ja, Kinder müssen                                      Kontakt:
Lesen und Schreiben lernen, aber sie sollen auch lernen, zu                                         KFrischen@ashoka.org

gestalten, mitzumachen, Ideen zu entwickeln, zu scheitern, neu
anzufangen, Führung zu übernehmen oder Teil eines Teams
zu sein.

ZOE: Welche wesentlichen gesellschaftlichen Herausforde-
rungen sehen Sie, die wir angehen müssen?

Frischen: Da sehe ich den Berg nicht kleiner werden. Bildung,
Gesundheitsvorsorge, Partizipation, Umweltschutz, wirtschaft­li­
                                                                                                    Dr. Brigitte Winkler
                                                                                                    Redakteurin der Organisations­Entwick­lung,
che Entwicklung, Migration und Inklusion .... – die Notwendig-                                      Geschäftsführende Partnerin von A47
keit für soziale Innovationen wird es immer geben. Themen wie                                       Consulting, Beratung für Unter­nehmens­
                                                                                                    entwicklung und Managementdiagnostik
Artificial Intelligence, Robotik oder moderne Kriegsführung wer­­                                   in München
den uns vor ungeahnte Herausforderungen stellen, auch tief-
                                                                                                    Kontakt:
greifende neue ethische Fragen aufwerfen. Ich glaube nicht, dass                                    brigitte.winkler@a47-consulting.de
wir bei Ashoka Gefahr laufen, nicht mehr benötigt zu werden.

ZOE: Frau Frischen, vielen Dank für das Gespräch.

22                                                Langfassung — exklusiv für das Online-Archiv OrganisationsEntwicklung Nr. 1 |2019
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