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Gute Nachrichten:
Unserer Science-Community
gehen die Ideen nicht aus

Neue Realität:              Visuelle Überraschungen:            Frikadelle aus dem Bioreaktor:
Ungewohnte Wege in der PR   Werbespots von Angry Hamster-Film   Pilzbasierter Fleischersatz
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Journal                      MAI | JUNI 2021

                                                                                       18

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INHALT                                                                        AUS DER REDAKTION

  3 ESSAY                                                                     Mehr Mut zum Dialog
   „Ach, dafür haben Sie Zeit?“: Warum Forschende, die Wissen-
		 schaft transparent machen, belohnt werden sollten                          Die Zeiten von Forschung im Elfenbeinturm sind lange vorbei. Ob
                                                                              Klimakrise, Gendebatte oder aktuell die Coronapandemie – es
  4 IM GESPRÄCH MIT                                                           gibt ein gesteigertes Interesse der Gesellschaft an Wissenschaft.
      Peter Strunk und Cindy Böhme, die bekannte und die neue                 Das zeigen nicht zuletzt Millionen Aufrufe der Podcast-Reihe vom
      Stimme Adlershofs                                                       Norddeutschen Rundfunk mit dem Virologen Christian Drosten
                                                                              oder des YouTube-Kanals „MaiLab“ von der Wissenschaftsjourna-
  6 TITELTHEMA                                                                listin Mai Thi Nguyen-Kim. Auf der anderen Seite werden wissen-
      Wie in der Krise kommunizieren? Ein Erfahrungsbericht des               schaftsskeptische Stimmen lauter. Aufgabe der Wissenschafts-
      WISTA-Kommunikationsteams nach einem Jahr Coronapandemie
                                                                              kommunikation ist daher nicht nur, Forschung verständlich zu
                                                                              machen. Bei der Informationsflut wird es auch wichtiger, aufzuklä-
  9 MENSCHEN
                                                                              ren, einzuordnen und somit immer wieder Glaubwürdigkeit und
		 Der Atomefänger: Markus Krutzik erforscht Grundlagen und
   Anwendungen hochpräziser Messgeräte                                        Vertrauen für die Arbeit der Forschenden zu festigen.
                                                                              Wie Wissenschaftskommunikation heute funktioniert, erzählen
 10 NACHGEFRAGT                                                               Anja Wirsing und Oliver Perzborn (S. 14 f.). Über Chancen und Risi-
      Sehen und verstehen: „Lange Nacht der Wissenschaften“                   ken von Public Relations in der Krise berichtet das Kommunikati-
      am 5. Juni 2021 coronabedingt abgesagt, Sondersendung
      bei „radioeins“
                                                                              onsteam der WISTA Management GmbH (S. 6 ff.). Dessen Chef und
                                                                              Pressesprecher des Technologieparks Adlershof ist Peter Strunk.
 12 CAMPUS                                                                    Er schreibt seit über 20 Jahren am Drehbuch der Erfolgsgeschich-
      Für Bürgerbeteiligung übers Wasser gehen: Zum 1. Juli startet           te Adlershofs. Jetzt hat Cindy Böhme die Sprecherfunktion über-
      das Experimentallabor „AnthropoScenes”                                  nommen. Was beide antreibt, verraten sie im Interview (S. 4 f.).
                                                                              Den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu inten-
 14 FORSCHUNG                                                                 sivieren und zu verstetigen soll auch mit neuen Formaten wie
      Die neue Realität: Digital und hybrid statt analog – ungewohnte
      Wege in der Öffentlichkeitsarbeit
                                                                              dem Experimentallabor „AnthropoScenes“, das im Juli die Arbeit
                                                                              aufnimmt, gelingen (S. 12  f.). Das Experimentallabor verbindet
 16 UNTERNEHMEN                                                               Theater und Wissenschaften miteinander und thematisiert den
      Frikadelle aus dem Bioreaktor: Mushlabs GmbH nutzt Pilzzellen           Umgang der Menschen mit ihren Ressourcen am Beispiel von
      für die Produktion eines veganen Fleischersatzes                        Wasser.
                                                                              Unmittelbar vor dem Druck dieses Heftes erreichte die Redaktion
 18 MEDIEN                                                                    die Absage der diesjährigen „Langen Nacht der Wissenschaften“.
      Zwei Cineasten und ein Hamster machen Werbung: Erklärfilme
      sind mehr als eine filmische Gebrauchsanweisung
                                                                              Kleiner Trost für Wissenschaftsfans: Es gibt Digitalangebote und
                                                                              eine Sondersendung auf „radioeins“ am 5. Juni 2021 um 19 Uhr.
 20 GRÜNDER                                                                   Unterschätzt werde auch das Medium Film bei der Wissenschafts-
		 Voll im Bilde: Grafische Lösungen für geisteswissenschaftliche 		          kommunikation, zumindest was das Thema Erklärfilme angeht.
   Inhalte
                                                                              Neu in Adlershof ist die Full-Service-Agentur Angry Hamster
 22 KURZNACHRICHTEN | IMPRESSUM                                               UG die nicht nur Bildungsangebote zu einem cineastischen
                                                                              Genuss werden lässt. (S. 18 f.)

                                                                              Ihre
               Ausführliche Texte und Adlershofer Termine finden Sie unter:   Sylvia Nitschke
                    www.adlershof.de/journal                                  Chefredakteurin
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ESSAY

„Ach, dafür haben
 Sie Zeit?“
   Ganz genau, und ich sage
   Ihnen jetzt auch, warum

Das mit Corona ist schwierig. Womöglich steckt Bill Gates               Wissenschaftskommunikation zu betreiben. Da reichen keine
dahinter, der ohnehin die Weltgesundheitsorganisation kontrol-          Talkshows und kein cooler YouTube Channel über Wissenschaft.
liert, um überall auf der Welt Menschen zwangsimpfen zu lassen.         Da hilft keine charismatische Wissenschaftlerin, egal ob Nobel-
Er will uns allen Microchips implantieren. Es könnte auch sein,         preis-gekürt oder nicht, die all den Humbug öffentlich verurteilt.
dass „die Chinesen“ mit Viren experimentiert haben und SARS-            Da hilft keine Skeptiker-Bewegung. Das ist alles zu spät, weil die
CoV-2 aus einem Labor in Wuhan freigesetzt wurde. Auf jeden Fall        Weltbilder längst verfestigt sind.
aber nutzt die Bundesregierung die Pandemie, um die Demokratie
                                                                        Schule hilft. So wie in den Schulen mehr und mehr „Media
auszuhebeln. Sie schreckt dabei nicht davor zurück, eine Masken-
                                                                        Literacy“ (Medienkompetenz/Anm. d. Red.) gelehrt wird, sollte
pflicht bei einer an sich harmlosen Erkrankung einzuführen, ob-
                                                                        auch „Scientific Literacy“ ins Curriculum. Das heißt konkret: Lehr-
wohl doch schon Kinder durch das Masketragen gestorben sind.
                                                                        kräfte aus- und weiterbilden und ihnen zeigen, wie Wissenschaft
All das sind Behauptungen, die im Internet kursieren, zum Teil von      heute geht. Wissenschaftler/-innen in Kindergärten und Schu-
namhaften Forschenden unterstützt, und millionenfach geteilt            len schicken und den Kindern die wissenschaftliche Methode
werden. Immer wieder berufen sich Demonstrierende gegen die             nahebringen. Und zugleich darauf achten, sich nicht über
Coronamaßnahmen auf die ein oder andere Aussage.                        Wunderglauben – sei er nun katholisch, anthroposophisch oder
                                                                        verschwörungsmythisch – lustig zu machen.
Soll man sich jetzt darüber lustig machen? Oder sich die Mühen
machen, alle oben aufgeführten Behauptungen als das zu entlar-          Nur hilft uns das jetzt nicht weiter, wenn Corona grassiert. Wenn
ven, was sie sind: Fake News, Falschaussagen, Verschwörungser-          Gurus und Querdenker auftreten und gegen „die Wissenschaft“
zählungen? Das „Debunking“, wie die Entlarvung auf Englisch so          hetzen. Wenn Forschende bedroht werden, weil sie aufklären, und
schön heißt, ist wichtig und notwendig. Damit ist es jedoch nicht       so zermürbt werden, dass sie mit ihrer öffentlichen Kommunika-
getan. Es gibt solche verqueren Weltbilder ja nicht erst seit Corona.   tion aufhören.
„Chemtrails“ heißen die Kondensstreifen von Flugzeugen in be-
                                                                        Fazit: Klassische Aufklärung hilft nur bedingt, weil die Weltbilder
stimmten Kreisen. Sie enthalten angeblich Stoffe, die uns gefügig
                                                                        zu verfestigt sind. Viel wichtiger ist es, die Menschen ernst zu
machen sollen. Zu abgedreht? Was ist mit Chlorbleiche (MMS)
                                                                        nehmen. Auch wenn sie einem närrisch vorkommen. Das heißt,
gegen Autismus? In Frankfurt an der Oder gab es an der Euro-
                                                                        immer wieder diskutieren, immer wieder Wissenschaft mitsamt
pa-Universität Viadrina ein „Institut für transkulturelle Gesund-
                                                                        dem Prozess des Forschens, Zweifelns und Validierens transparent
heitswissenschaften“, das mit hanebüchenen Masterarbeiten
                                                                        machen – und zwar durch die Forschenden selbst. Dafür müssen
(unter anderem zu einem „Kozyrev-Spiegel“, der Hellsehen und
                                                                        sie belohnt und nicht von der eigenen Leitung bestraft werden:
Kontakt zu Toten ermögliche) Schlagzeilen machte.
                                                                        „Ach, dafür haben Sie Zeit?“ Genau! Die Antwort lautet: „Ja, dafür
Wer das als „Alle bekloppt“ abtut, verkennt, dass es oft höher          brauche ich Zeit!“
Gebildete sind, die an Verschwörungsmythen glauben. Für
mich ist jeder einzelne dieser Menschen auch eine Mahnung               Josef Zens leitet die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit am Deutschen
an Forschende und deren Institutionen, verantwortungsvolle              GeoForschungsZentrum GFZ, Helmholtz-Zentrum Potsdam.

                                                                                                         Adlershof Journal | Mai_Juni 2021     3
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INTERVIEW                                        Name: Peter Strunk
                                                 Beruf: Historiker
                                                 Jahrgang: 1955
                                                 Wohnort: Berlin-Schöneweide

Bei ihm dreht sich fast alles um Ge-           diesen Ort in seiner Vielseitigkeit, aber
schichte(n). Peter Strunk ist bekannt          auch in seiner Widersprüchlichkeit lieben
als die Stimme des Technologieparks            gelernt. Hier in Adlershof bauen wir eine
Adlershof. Seit über 20 Jahren sorgt er        wissensbasierte Industrie neu auf. Das ist
dafür, dass Deutschlands größter High-         eine großartige Geschichte, die weiterer-
techstandort in den Medien präsent             zählt werden muss.
ist. Nicht nur lokal, sondern überregi-
onal und international. Zweimal wurde          Ihr Tipp an Ihre Nachfolgerin?
der quirlige Kommunikationschef der            Die WISTA ist nicht mehr nur in Adlershof
WISTA Management GmbH als „For-                unterwegs. Es kommen neue Themen hin-
schungssprecher des Jahres“ ausge-             zu. Die Medienlandschaft ist im Umbruch,
zeichnet. Nach Studium und Promotion           neue Kommunikationskanäle gilt es zu
in Geschichte an der Freien Universität        nutzen. Das ist eine günstige Gelegenheit,
Berlin entschied sich der in Frankfurt         neue Akzente zu setzen, eine eigene Spra-
(Main) Geborene für die PR, arbeitete          che, den eigenen Stil zu finden. Was noch?
zunächst für den Elektrokonzern AEG
                                               Interesse zeigen und versuchen, auch mal
und die IHK Cottbus, bevor er 1999 zur
                                               größere Themen zu (be)setzen.
WISTA kam. Sein Erfolgsgeheimnis:
Storytelling. Nun hat der 65-Jährige die       Welches Vorurteil haben Sie als Geistes-
Unternehmenssprecherrolle an seine             wissenschaftler gegenüber Naturwis-
Nachfolgerin Cindy Böhme abgegeben.            senschaftler/-innen abgebaut?
An Ruhestand denkt Peter Strunk aber           Als Historiker habe ich mich immer schon
noch nicht. Als Berater, Autor, Mode-
                                               mit Technik und Naturwissenschaften be-
rator stehen schon jede Menge neue
                                               fasst. Ich denke nicht in Schubladen. Viel-
Projekte auf seiner To-do-Liste.
                                               mehr möchte ich wissen, was uns Men-

                                                                                             Im Gespräch mit
                                               schen im Innersten antreibt. Da habe ich
Adlershof Journal: Was war 1999 Ihr            in Adlershof viel gelernt. Viele der großen
erster Eindruck von Adlershof?                 Herausforderungen, derer wir uns anneh-
Peter Strunk: Bei meinem Vorstellungs-
gespräch beeindruckte ich den Personal-
berater mit einer drastischen Schilderung:
                                               men müssen, lassen sich nur interdiszipli-
                                               när lösen.                                    Peter Strunk &
                                               Was wollten Sie als Kind werden?
große Ankündigungen, große Bilder, große                                                     Ein weiteres Steckenpferd von Ihnen
                                               Schon mit acht Jahren wollte ich Geschich-
Baustelle, viele Zuständigkeiten, alles sehr                                                 sind Bücher.
                                               te studieren. Ich erinnere mich an einen
komplex, unendlich kompliziert. Mein Ein-                                                    Ja, in meiner Heimbibliothek stehen an
                                               Schulausflug an den Limes. Der Grenzwall
druck täuschte mich nicht. Ich war in den                                                    die 2.000 Bände, darunter alle wichtigen
                                               der Römer faszinierte mich. Wenn mein Va-
falschen Film geraten! Aber dieser Film hat                                                  Publikationen zur deutschen Nachkriegs-
                                               ter „vom Krieg“ erzählte, wollte ich genau
eine sehr spannende Handlung.                                                                geschichte. Ich lese nicht nur, sondern
                                               wissen, was passiert war. Wenn ich meine
Wie gelang Ihnen der Mediendurch-              Großeltern in der DDR besuchte, fragte ich    ich schreibe auch. Ich habe nicht nur ein
bruch?                                         mich, warum mitten durch Deutschland          Buch zur Geschichte der AEG, sondern
Als ich anfing, am Drehbuch mitzuschrei-       eine Grenze verläuft.                         auch zahlreiche Aufsätze veröffentlicht.
ben. Das war 2003. Alles, was ich bisher                                                     Zwei Buchprojekte habe ich im Kopf: Eines
                                               Wie verbringen Sie Ihre Freizeit?             befasst sich mit der Geschichte der Auto-
über Pressearbeit gelernt hatte, funktio-
                                               Ich bin ein Fan der großen und der klei-      bahnen und eines mit der wirtschaftlichen
nierte hier nicht. Wir mussten alles anders
                                               nen Eisenbahn. In meinem Arbeitszimmer        Entwicklung des Technologieparks Adlers-
machen: keine Pressemitteilungen, statt-
                                               fährt eine H0-Modellbahn mit funktions-       hof. Da bin ich ja Zeitzeuge.
dessen Redaktionsbesuche. Ich wollte wis-
                                               tüchtiger Oberleitung, an der es immer et-
sen, was die Journalisten interessiert und                                                   Was ist Ihr Wunsch?
                                               was zu basteln gibt. Ich verreise gern mit
welche Themen wir ihnen anbieten konn-                                                       Berlin war mal größte deutsche Indus-
                                               dem Zug. 2019 sind meine Frau und ich mit
ten. So entstand ein neues Kommunikati-                                                      triestadt. Was hat Berlin groß gemacht?
                                               dem „Canadian“ (transkontinentaler Reise-
onskonzept. Schönstes Ergebnis: Nach drei                                                    Nicht die Kohle unter der Erde, sondern ex-
                                               zug/Anm. d. R.) von Toronto nach Vancou-
Jahren waren wir mit einer großen Repor-                                                     zellente Universitäten, eine gut ausgebau-
                                               ver gefahren. Das war unglaublich schön.
tage im „Spiegel“.                                                                           te Infrastruktur und vor allem der Zuzug
                                               Ich bin auch begeisterter Radfahrer. Meine
Der Technologiepark Adlershof ist jetzt        weiteste Radtour mit Freunden ging bis an     junger Talente. So konnte die „Elektropolis“
30 Jahre alt. Wie sehen Sie die Medien-        die russische Grenze, nach Frauenburg in      entstehen. Warum versuchen wir nicht
arbeit von Adlershof heute?                    Polen. Ich möchte gern von München nach       eine „Elektropolis 2.0“? Mit einer neuen,
Auch wenn ich als Sprecher oft Vorturner       Verona radeln. Dafür muss ich allerdings      sauberen Industrie, die mit der Wissen-
bin: Gute Öffentlichkeitsarbeit funktio-       noch mächtig trainieren. Bewegung an          schaft zusammenarbeitet. Adlershof ist
niert nur mit einem guten Team. Adlers-        der frischen Luft bekomme ich auch beim       dafür der Prototyp: pulsierend und weit
hof ist keine Angelegenheit, die man           Gemüseanbau auf unserem Brandenbur-           in die Zukunft reichend. Ich bin überzeugt,
nach Schema F bearbeiten kann. Ich habe        ger Ackerbeet.                                dass das gelingen kann.

4      Adlershof Journal | Mai_Juni 2021
Journal Adlershof - Adlershof.de
Name: Cindy Böhme
                                                Beruf: Germanistin/
                                                Kommunikationsmanagerin
                                                Jahrgang: 1990
                                                Wohnort: Berlin-Köpenick

                                             Adlershof Journal: Mitten in der             vernetzen, erleichtert vieles. Als Kommu-
                                             Pandemie im November 2020 haben              nikatorin geht es nicht als Einzelkämpfe-
                                             Sie bei der WISTA angefangen.                rin, man braucht Mitstreitende. Die Er-
                                             Ihr erster Eindruck von Adlershof?           fahrungen meines Vorgängers helfen mir
                                             Cindy Böhme: Tatsächlich kenne ich die       auch, manche Fallstricke rechtzeitig zu
                                             Wissenschaftsstadt schon aus der Ein-        erkennen und mich nicht darin zu verhed-
                                             wohnerperspektive von der anderen            dern.
                                             Seite des Adlergestells. Eineinhalb Jahre
                                                                                          Was wollten Sie als Kind werden?
                                             hatte ich dort gewohnt. Da fand ich es
                                                                                          Ich habe mich orientiert an den Berufs-
                                             im Technologiepark recht ruhig. Seitdem
                                                                                          bildern, die ich aus meinem Umfeld – von
                                             ich selbst hier arbeite, sehe ich eifrigen
                                                                                          meinen Eltern und Verwandten – kannte:
                                             Betrieb. Und das sogar, obwohl die Stu-
                                                                                          Physiotherapeutin oder Kellnerin.
                                             dierenden wegen der Online-Vorlesun-
                                             gen fehlen und viele Beschäftigte im         Wann haben Sie zuletzt etwas Neues
                                             Homeoffice sind. Ich habe direkt das Ge-     gemacht und was war das?
                                             fühl gehabt, dass alle miteinander in Kon-   Ich habe letztes Jahr angefangen zu gärt-
                                             takt stehen, sich kennen. Der Hochtech-      nern. Auf dem Balkon. Erst waren es nur
                                             nologiestandort Adlershof ist nicht nur      ein paar Töpfe mit Tomaten, Snackgurken,
                                             Arbeitsort, sondern wird mehr und mehr       Kräutern und Blumen. Das hat mir so gro-
                                             zum Lebensmittelpunkt.                       ßen Spaß gemacht, dass ich inzwischen
                                                                                          Mitglied in einem interkulturellen Garten-
                                             Sie treten in große Fußstapfen eines er-
                                                                                          projekt in Köpenick geworden bin. Mein
                                             fahrenen Medienprofis. Ist Ihnen bange
                                                                                          Freund und ich teilen uns ein 40 Quadrat-
                                             davor?
                                                                                          meter großes Beet mit einer Rentnerin. So
                                             Nein, der Übergang ist fließend. Ich hatte
                                                                                          habe ich einen Ausgleich zur Arbeit mit
                                             eine intensive Einarbeitungszeit, konnte
                                                                                          dem schönen Nebeneffekt, frisches Ge-
                                             sowohl die diesjährige Adlershofer Jahres-

& Cindy Böhme
                                                                                          müse zu bekommen.
                                             pressekonferenz gemeinsam mit Peter
                                             Strunk bestreiten als auch die aktuelle      Wie verbringen Sie Ihre Freizeit?
                                             PR in der Coronazeit mitgestalten. Ich       Ich bin leidenschaftliche Kinogängerin,
                                             habe großen Respekt vor seiner Arbeit.       habe als Studentin Filmkritiken geschrie-
   Sie ist die neue Unternehmensspre-
                                             Seine Erfahrung lässt ihn entspannter an     ben und als Schülerin im Kino gearbeitet.
   cherin der WISTA Management GmbH.
   Mit frischem Blick von außen schreibt     Themen herangehen. Aber der schnelle         Zu meinen Lieblingsfilmen gehören „Toni
   die gebürtige Mecklenburgerin Cin-        Wandel in der Medienlandschaft und im        Erdmann“, „Moonrise Kingdom“, „La La
   dy Böhme die Erfolgsgeschichte des        Informations- und Medienverhalten zwin-      Land“, „Finding Vivian Maier“ und „Lady
   Technologieparks Adlershof medial fort.   gen uns, auch immer wieder zu schauen,       Bird“. Mein Kinotipp: das Adlershofer Kino
   Doch das ist noch nicht alles. Stärker    welche weiteren Kanäle neben Artikeln        „Casablanca“. Als Germanistin habe ich
   kommunikativ begleiten wird sie           in prestigeträchtigen Zeitungen für eine     eine Affinität zu neuer deutscher Litera-
   WISTA-Projekte wie die Gründungszen-      effektive und effiziente Kommunikation       tur. Außerdem verbringe ich gern Zeit am
   tren CHIC und FUBIC, den CleanTech        bedeutsam sind.                              Wasser, mag es, alte Möbel aufzuarbeiten
   Business Park Marzahn und die neuen                                                    und über Flohmärkte zu streifen, im Café
   Berliner Gewerbehöfe 2.0. Die 30-Jäh-     Welche neuen Akzente wollen Sie bei
                                                                                          zu sitzen und das Treiben um mich herum
   rige hat Germanistik und Kommuni-         der Medienarbeit setzen?
                                                                                          zu beobachten.
   kationsmanagement studiert sowie          Adlershof ist kommunikativ gut aufge-
   Berufserfahrungen bei der Deutschen       stellt. Es läuft unheimlich viel und das     Was steht alles auf Ihrer Wunschliste?
   Telekom und der globalen PR-Agentur       ziemlich gut. Potenzial sehe ich bei den     Ich habe viele Urlaubsreiseziele angesam-
   Edelman gesammelt. Bereits in ihrer       digitalen Kanälen in puncto Bewegtbild.      melt – angefangen von New York über
   Studienzeit bewies die begeisterte        Wichtig ist mir daneben, über Adlershof      Südengland bis Gotland. Ein Wochen-
   Cineastin eine spitze Feder als Film-     hinaus zu kommunizieren. Stärker die         endhäuschen in Wassernähe wäre auch
   kritikerin. Als Ausgleich zum kommu-
                                             neueren WISTA-Projekte von Dahlem bis        großartig. Ansonsten hätte ich gern wie-
   nikativen Job hat sie inzwischen das
                                             Marzahn zu bespielen, deren verbinden-       der einen Hund. Als Kind hatte ich einen
   Gärtnern für sich entdeckt. Wachstum,
   egal ob bei beruflichen Aufgaben oder     de Elemente zu finden und rauszustellen,     Dackel. sn
   beim Gemüseanbau, treibt Cindy            steht auf meiner Agenda.
   Böhme an.                                 Was nehmen Sie von Ihrem Vorgänger
                                             mit?
                                             Besonders wertvoll sind die vielen Kon-
                                             takte, die Peter Strunk in den letzten 20
                                             Jahren aufgebaut hat. Mich darüber zu

                                                                                                  Adlershof Journal | Mai_Juni 2021   5
Journal Adlershof - Adlershof.de
TITELTHEMA

                                                                      WIE IN DER KRISE

Wie reagiert der Mensch auf Gefahr? Mit Angriff, Flucht
oder Totstellen. Welche Wahl hat das Kommunikations-
team der Betreibergesellschaft des Technologieparks
Adlershof getroffen, als plötzlich, am 14. März 2020,
Deutschland dichtgemacht wurde? Ein Erfahrungsbe-
richt nach einem Jahr Coronapandemie.

L ockdown! Was jetzt? Was wird aus der Erfolgsgeschichte Adlers-
hof, fragten wir – Kommunikator/-innen der WISTA Management
GmbH – uns, als wir uns plötzlich im Homeoffice wiederfanden?
Uns hatte kein Krieg, kein pyroklastischer Sturm, kein Tsunami
heimgesucht, sondern ein hochansteckendes Virus. Wir hatten            Aber, im März 2020 herrschte zunächst beklemmende Ruhe.
keine Medikamente, keine Impfstoffe und daher ein mulmiges             Unser gut eingespieltes Onlineteam – wesentlicher Kanal der
Gefühl. Das Virus zwang uns, das berufliche Leben in kürzester         WISTA-Außenkommunikation – ergriff die Initiative. Es stellte
Zeit gänzlich neu zu organisieren. Homeoffice und Videokonfe-          eine Sonderseite mit Informationen zur Coronasituation be-
renzen – das Präsenzland Deutschland stellte eilig um, all das war     reit. Außerdem wurde eine B2B-Selbsthilfe-Kooperationsplatt-
kein No-Go mehr. Wie schnell wir in der Lage waren, uns neu zu         form entwickelt. Berliner Firmen, die sich mit Arbeitskräften,
organisieren, vieles lernen zu müssen, ist eine der positiven Erfah-   Geräten, Materialien oder Know-how aushelfen möchten, sind
rungen, auf die wir nach einem Jahr zurückblicken können.              die Adressaten.

    SANDRA CHABRIER & VALERIA FRIBUS                                      CINDY BÖHME

    Mit schicken Plakaten und flotten                                     Leute schauen wieder Nachrichten
    Sprüchen gegen das Virus? Unmöglich!                                  Es wird viel über die Rolle von Medien in dieser Pandemie disku-
    Wir mussten unsere klassischen Marketingaufgaben erstmal              tiert. Das reicht von der Verantwortung der Medien für die schlech-
    zur Seite legen und unterstützten bei der Standortrecherche           te Stimmung unter den Leuten bis zum Vertrauen in Medien. Ich
    und Presseansprache. Wir wollten von den Adlershofer Unter-           habe aber auch das Gefühl, dass Medien das kollektive Erleben
    nehmen wissen, wie es ihnen in der aktuellen Coronasituation          aufrechterhalten, weil es zurzeit keine Großveranstaltungen, Kon-
    geht und wie sie sich gegen die Pandemie engagieren. Die Ergeb-       zerte und Sportereignisse gibt, die sonst große Menschenmengen
    nisse waren überraschend und ermutigend. Viele Medien haben           im gemeinsamen Erfahren und Erleben verbinden. Stattdessen ist
    anschließend darüber berichtet, welche unglaubliche Stärke            es die Tagesschau, die man gemeinsam mit Freunden auswertet
    unser Technologiepark in der Coronakrise zeigt. Die darauf            und überlegt, ob Familienbesuche nun okay sind oder nicht. Und es
    folgende Kampagne „#Wissen  schützt“ auf unseren wieder-              sind die Äußerungen, die Politiker/-innen in Talkshows tätigen, die
    verwendbaren Mund-Nasen-Masken hat das noch sichtbarer                man analysiert. Der „Tatort“ wird gern als „Lagerfeuer der Nation“
    gemacht.                                                              bezeichnet – ich denke, zu dem sind Medien in ihrer Gesamtheit in
                                                                          den letzten Monaten geworden.

6      Adlershof Journal | Mai_Juni 2021
Journal Adlershof - Adlershof.de
KOMMUNIZIEREN?
                                                                          SYLVIA NITSCHKE

                                                                          Premiere: Erstes Adlershof Journal im
                                                                          Homeoffice entstanden
                                                                          Die Themen für die Mai-/Juni-Ausgabe 2020 zum Schwerpunkt
                                                                          „Wissenschaftskommunikation“ waren gesetzt, da platzten die
                                                                          Absagen der „Langen Nacht der Wissenschaften“ und aller an-
                                                                          deren Veranstaltungen herein. Sofort war mir klar, wir müssen
                                                                          umplanen. Neue Idee: Wir machen ein Heft zum Homeoffice.
                                                                          Damit wollten wir eine Debatte über neue Arbeitsformen initi-
                                                                          ieren. Weil das gesamte Journalteam mobil arbeitete, entstand
                                                                          die Ausgabe bis auf den Druck vollständig im Homeoffice. Viel
                                                                          Neues haben wir ausprobiert, sogar eine eigene Bildsprache für
                                                                          die Ausgabe entwickelt: Statt Fotos gab es viel Platz für Illustra-
                                                                          tionen.

                                                                      Die Jahrespressekonferenz fiel aus; eine ausführliche Pressemit-
                                                                      teilung wollten wir in jedem Fall herausgeben. Sie sollte nicht
                                                                      nur gute Zahlen enthalten, sondern auch Zuversicht verbreiten.
 Und wie sah es mit der Pressearbeit aus? Wenn alles stillsteht,      Neben dem Hinweis auf das Engagement gegen das Corona-
 verstummt auch das angenehme Grundrauschen im öffentlichen           virus half ein Blick in die Geschichte des Standortes: Sowohl aus
 Raum. Uns war von Anfang an klar: Wir müssen Präsenz zeigen,         der Finanzkrise (2008/09) als auch aus der Solarkrise (2011) ging
 erreichbar sein. Flucht oder Totstellen kam für uns nicht infrage.   Adlershof gestärkt hervor. Etliche Firmen hatten die Folgen der
                                                                      Coronapandemie in aller Härte zu spüren bekommen. Insgesamt
 Wer aber interessiert sich jetzt noch für gute Zahlen und Progno-    jedoch zeichnet unseren Technologiepark ein gehöriges Maß an
 sen aus Adlershof? Würden wir diese überhaupt noch liefern kön-      Robustheit und Resilienz aus. Das ermöglichte es uns, vor die
 nen? Wir mussten herausfinden, wie es den Firmen und Instituten      Kamera des RBB-Fernsehens zu treten und zu sagen, „dass Un-
 im Technologiepark überhaupt geht. Was uns besonders interes-        ternehmen und Einrichtungen in einem so breit aufgestellten
 sierte: Wer von ihnen engagiert sich gegen das Virus? Die Kolle-     Wissenschafts- und Technologiepark wie in Berlin Adlershof ge-
 ginnen vom Marketing griffen zum Telefonhörer. Nach wenigen          rade in Krisenzeiten flexibel agieren und sehr schnell innovative
 Tagen hatten wir über 30 Unternehmen und wissenschaftliche
 Einrichtungen ermittelt. Deren Engagement reicht von gespende-
 ten Atemmasken über Tests bis zur Entwicklung eines Impfstoffs.
                                                                         PEGGY MORY
 Mit dieser beeindruckenden Liste gingen wir an die Öffentlichkeit.
 Wir hatten wieder eine Story. Wir hatten keine schlechte, sondern       Da geht Authentizität verloren
 eine gute Nachricht zu verkünden. Die Medien nahmen diese
 dankbar auf. Die Versorgung der klassischen Medien mit seriösen         Unser Jugend-forscht-Regionalwettbewerb, den die WISTA
 Informationen war uns von Anfang an wichtig. Während in der             Management GmbH als Pate ausrichtet, fand als rein digi-
 „Parallelwelt des Internets ein Feuerwerk an Falschmeldungen            tales Format statt. Ohne öffentliche Ausstellung, bei der uns
                                                                         normalerweise Hunderte Schüler/-innen besuchen. Welch irre
 abgebrannt wird“, haben die meisten Menschen nicht vergessen,
                                                                         Idee hinter manchem Projekt stand, wie ausdauernd die
 „dass es noch ein Diesseits gibt“ und kehren „in Scharen“ zu eben
                                                                         jungen Leute an ihren Ideen gefeilt haben, das konnten nur die
 diesen klassischen Medien zurück, wie die Süddeutsche Zeitung
                                                                         wenigen Menschen erkennen, die jeweils im virtuellen Raum
 prägnant formulierte.
                                                                         zusammenkamen. Euphorie lässt sich so schlecht teilen. Auch
 Im April 2020 standen wir vor einer großen Herausforderung:             die Siegerehrung fand online statt. Ohne direktes Feedback, ohne
 Die Ergebnisse unserer Jahresumfrage 2019 lagen vor; die Zah-           jubelnde Familien und sich umarmende Teenager. Das Ganze
 len waren hervorragend, die Prognosen für 2020 ebenso – beste           ließ uns erschöpft und ratlos zurück. Das „Neudenken-Müssen“
 Voraussetzungen für unsere Jahrespressekonferenz. Bloß: Alle            dieser normalerweise in Präsenz stattfindenden Veranstaltung
 Daten waren vor dem Lockdown erhoben worden. Also im Grun-              hat aber auch Kreativität und Begeisterung freigesetzt. So habe
 de genommen wertlos? Natürlich hätten wir sie „kassieren“ und           ich die Videoreihe „RoleModelsAdlershof“ konzipiert, in der
 stattdessen mit besorgter Miene düstere Szenarien entwerfen             Adlershofer Akteure erzählen, was sie antreibt, wie sie mit
 können. Damit aber hätten wir unserem Standort – und uns –              Erfolgen und Schwierigkeiten umgehen.
 keinen Gefallen getan.

                                                                                                          Adlershof Journal | Mai_Juni 2021     7
Journal Adlershof - Adlershof.de
ANKE LERP, NICOLE THAMM, ALEXANDER SEIFFERT

                                                                            Gut geöltes Online-Team mit erheblicher
                                                                            digitaler Arbeitsroutine
                                                                            Wir hatten einen großen Vorteil: Wir sind ein in der Mobilarbeit
                                                                            erfahrenes Team. Daher konnten wir schnell reagieren und in-
                                                                            nerhalb kürzester Zeit ein umfangreiches Informationsangebot
                                                                            schnüren. Über die Sonderseiten www.wista.de/corona haben
                                                                            wir fortlaufend über die Betriebssituation in Adlershof und an
                                                                            den weiteren WISTA-Standorten informiert. Das Spektrum der
                                                                            Informationen reichte von Empfehlungen zu Präventionsmaß-
                                                                            nahmen über den Betriebsstand der technischen Infrastruktur
                                                                            bis hin zu Mitteilungen zu wirtschaftlichen Fördermaßnahmen,
                                                                            Hilfspaketen und Unterstützungen von Seiten des Berliner
                                                                            Senats. Die Fülle an Berichterstattungen verteilten wir über
                                                                            alle WISTA-Kanäle sowie über den eigens dafür geschaffenen
                                                                            Twitterkanal „WISTA_update“. Mit dem Corona-Sondernews-
                                                                            letter hielten wir die Standortcommunity und Kunden auf dem
Kräfte entfalten können. Das zumindest stimmt uns zuversicht-               Laufenden.
lich, dass der Technologiepark die gegenwärtige Krise in Gänze
erfolgreich durchstehen kann.“
Natürlich galt dieses Statement zunächst nur für den Augenblick.
Daran hat sich bis heute nichts geändert. Auch in der nunmehr
dritten Welle der Pandemie steht jede Prognose unter Irrtums-           darüber zu sprechen? Das kostet Überwindung und verlangt von
vorbehalt. Die Reaktion der Medien war damals durchweg posi-            uns Kommunikator/-innen ein besonderes Fingerspitzengefühl.
tiv; unsere Stimme fand im öffentlichen Raum deutlich hörbare           Aus unserer langjährigen Erfahrung mit den Medien wissen wir,
Resonanz.                                                               dass Journalist/-innen es sehr wohl würdigen, wenn man ihnen
                                                                        offen und ehrlich gegenübertritt.
Im nächsten Schritt ging es darum, ein realistisches Bild des Tech-
nologieparks in der Krise zu zeichnen. Uns ging es dabei nicht um       Damit hatten wir „unsere Linie“ in der Kommunikation gefunden.
abstrakte Zahlenwerke, sondern um konkrete Beispiele. Wer ist           Wir blieben ihr auch dann treu, als sich im pandemischen Herbst
als Unternehmerin oder Unternehmer bereit, in aller Offenheit           das Meinungsklima selbst in seriösen Leitmedien änderte: Oft
                                                                        geht es seither nicht mehr nur um sachliche Aufklärung, sondern
                                                                        schlicht um politische Selbstinszenierung und um Aufmerksam-
    PETER STRUNK                                                        keit. Die vielen „Trompeter im Corona-Panikorchester“ (so der
                                                                        emeritierte Publizistikprofessor Stephan Ruß-Mohl) waren und
    Gleichermaßen Betroffene                                            sind zwar laut, repräsentieren aber nicht „die Medien“ insgesamt.
                                                                        Für uns blieb und bleibt es beim sachlichen und reflektierten
    Lockdown. Ich musste etwas tun! Also griff ich zum Telefonhörer     Dialog mit den Medien, was zum Beispiel eine „Süddeutsche
    und rief einen Journalisten an. Er fragte mich, wie es mir geht.    Zeitung“ und eine „Frankfurter Zeitung“ sehr zu schätzen
    „Das kann ich Ihnen gar nicht so genau sagen“, antworte ich, „ich
                                                                        wissen. Auch in den „Social Media“ achten wir auf unseren guten
    sitze im Homeoffice.“ „Ich auch“, antwortete er.
                                                                        Ruf als seriöse Quelle. Sie sind für uns keine Echokammern, aus
    Pressevertreter/-innen und Pressesprecher/-innen verbindet
                                                                        denen heraus wir jeden anbrüllen, der nicht unsere Ansichten teilt.
    nicht unbedingt eine innige Freundschaft. Aber in diesem
    Augenblick war uns klar: Uns verbindet mehr als wir dachten:        Was ist aus unserer Prognose vom April 2020 geworden? Schon
    Wir sind nämlich gleichermaßen betroffen. Auf Grundlage             Ende des Jahres deutete vieles darauf hin, dass eintritt, was wir
    dieser Erkenntnis fallen Öffentlichkeitsarbeit und Journalismus     vorausgesagt hatten. Am 23. März 2021, ein Jahr nach dem ersten
    eine ganz andere Verantwortung zu.                                  Lockdown, konnten wird auf unserer (digitalen) Jahrespresse-
                                                                        konferenz verkünden, dass Adlershof auch in der Krise mit
                                                                        einem Umsatzplus von 6,8 Prozent einen deutlichen Wachstums-
                                                                        schritt gemacht hat. pst/cb/sn

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8         Adlershof Journal | Mai_Juni 2021
Journal Adlershof - Adlershof.de
MENSCHEN

DER ATOMEFÄNGER
Markus Krutzik erforscht Grundlagen und Anwendungen hochpräziser Messgeräte

A   ls er 2009 nach Berlin zog, um zu pro-
movieren, bekam Markus Krutzik von sei-
nem Doktorvater zu hören: „Wir werden
aber bald nach Adlershof umziehen.“ Der
Name sagte dem gebürtigen Frankfur-
ter damals gar nichts. Mittlerweile ist es
über ein Jahrzehnt her, dass sich sein wis-
senschaftliches und berufliches Dasein
im Berliner Südosten abspielt, derzeit an
gleich zwei Standorten in der Newton- und
der Gustav-Kirchhoff-Straße. Krutzik ist
am physikalischen Institut der Humboldt-
Universität zu Berlin und obendrein am
Ferdinand-Braun-Institut gGmbH, Leibniz-
Institut für Höchstfrequenztechnik (FBH)
tätig.

Er forscht hier an den Grundlagen für die
Entwicklung – wie er sich ausdrückt –
„kompakter und robuster atombasierter
                                              Markus Krutzik brennt nicht nur für die Wissenschaft, er singt auch in einer Heavy-Metal-Band
Sensoren“, hochpräziser Instrumente, die
etwa zur Zeitmessung oder zur Naviga-
tion dienen können. Dabei stehen seine        er gleichwohl sagt: „Das hat mich nicht                   Messungen von Zeit und physikalischen
beiden Arbeitsorte zueinander in einem        mehr losgelassen.“ Die Rede ist von „kalten               Feldern“, beschreibt Krutzik seine Tätigkeit.
Verhältnis gegenseitiger Ergänzung: „Die      Atomen“.
Konzepte, die wir uns als Physiker ausden-                                                              Was damit anzufangen ist? Zum Beispiel
ken, bringen Wissenschaftler am FBH zur       Wer davon noch nie gehört hat, dem                        die Fallgeschwindigkeit einer in Ultra-
Anwendungsreife.“ Ausdenken, anwenden,        erklärt es Krutzik etwa so: Mithilfe von                  hochvakuum frei fallenden „Atomwolke“
Krutziks Leidenschaft gehört beidem.          Laserlicht und Magnetfeldern lassen sich                  messen, meint Krutzik, um so die Erd-
                                              atomare Gase herunterkühlen auf ein                       beschleunigung exakt zu bestimmen.
Er nennt es den „Drang, übergeordnete         Milliardstel Grad oberhalb des absolu-                    Solche „atombasierten“ Geräte seien der
Zusammenhänge zu verstehen und zu be-         ten Nullpunkts. Der wohlgemerkt nicht                     „spannendste Sensortyp, den man sich
leuchten“, der Frage nachzugehen: „Was        mit dem Gefrierpunkt zu verwechseln ist,                  vorstellen kann“.
verbirgt sich hinter dem Unbekannten?“        sondern noch mehr als 273 Grad Celsius
Das hat ihn zur Physik getrieben. Deswe-      darunter liegt. Dabei verlieren die Atome                 Gibt es etwas ähnlich Faszinierendes? Seit
gen auch ist er nach dem Abitur Semes-        enorm an Geschwindigkeit und legen in                     18 Jahren, sein halbes bisheriges Leben
ter für Semester aus der Main-Metropole       einer Sekunde nur rund 100 Mikrometer                     lang, gehört Krutzik als Sänger einer auf
nach Darmstadt gependelt, dessen Tech-        zurück, eine Strecke, die etwa dem Durch-                 dem Schulhof in Frankfurt-Sachsenhausen
nische Universität nach seinem Eindruck       messer eines Haares entspricht. Wirklich                  gegründeten Heavy-Metal-Band an. Mit
in den Naturwissenschaften mehr zu            langsam ist so ein Atom also nicht, für                   der er 2018 auch schon auf dem legen-
bieten hatte. Dem Studium dort verdankt       den Physiker aber doch langsam genug,                     dären Festival im schleswig-holsteinischen
er die Faszination für ein Phänomen, das es   um seine Bewegungen steuern zu können:                    Wacken aufgetreten ist. wid
im Naturzustand gar nicht gibt, von dem       „Wir fangen und manipulieren Atome für

                                                                                                                                                             ANZEIGE

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Journal Adlershof - Adlershof.de
NACHGEFRAGT

Sehen und verstehen
Die Planungen liefen auf Hochtouren, Ende April kam die Absage: Auch dieses Jahr wird die „Lange Nacht
der Wissenschaften” nicht wie gewohnt stattfinden. Wir haben bei den Organisatoren nachgefragt, wie Wissen-
schaftsvermittlung auch digital glücken kann und wie wissenschaftliches Denken davor bewahrt, sich in
Halbwahrheiten, Ideologien und Querdenkertum zu verrennen.

                                                        F   ür viele ist es ein fixer Termin im Kalender, auf den man sich
                                                        schon Wochen vorher freut: Die „Lange Nacht der Wissenschaf-
                                                        ten” (LNdW). Zu ihr strömen jährlich rund 25.000 Menschen, viele
                                                        davon nach Adlershof. Sie ist ein Magnet, der Menschen anzieht,
                                                        die Wissenschaft erleben und hinter die Kulissen von Forschungs-
                                                        laboren schauen möchten. Leider fiel die LNdW als Mitmach-Event
                                                        letztes Jahr flach. Corona. Stattdessen wurde ein Jahr lang monat-
                                                        lich ein Wissenschafts-Podcast mit Inforadio umgesetzt. Mehr
                                                        Normalität hatte man sich für 2021 erhofft.

                                                        Den Vorsitz des LNdW e.  V. hat derzeit Prof. Ulrich Panne, Vor-
                                                        stand IGAFA e.  V. sowie Präsident der Bundesanstalt für Mate-
                                                        rialforschung und -prüfung (BAM). Nur: Ein Jahr später ist die
                                                        Unsicherheit immer noch groß. Was geht? Was nicht? Wie plant
                                                        man überhaupt in Zeiten der Pandemie? Nun steht fest: Auch
                                                        die LNdW 2021 fällt aus. „Unter den gegebenen Bedingungen ist
                                                        die Durchführung so einer Großveranstaltung nicht verantwort-
                                                        bar“, so Ulrich Panne. Mehr als 50 Einrichtungen hatten ihre Teil-
                                                        nahme zugesagt, berichtet er: „Das ist eine enorme Anzahl in
                                                        diesen unsicheren Zeiten. Das zeigt: Der Wille ist groß.“ Es geht
                                                        auch darum, den Draht zu den wissenschaftsinteressierten
                                                        Menschen nicht zu verlieren – gerade in Zeiten, in denen Fake
                                                        News verbreitet werden, Verschwörungstheoretiker und Corona-
                                                        leugner Zulauf erhalten. Gerade jetzt wird klar, wie wichtig
                                                        Wissenschaftskommunikation ist – und Veranstaltungen wie die
                                                        Lange Nacht leisten dazu einen großen Beitrag.

                                                        Neben analogen wurden von Anfang an auch digitale oder
                                                        hybride Programmpunkte von den Einrichtungen geplant, berich-
                                                        tet Nicola Rother, Leiterin der Geschäftsstelle des LNdW e.  V.:
                                                        „Virtuelle 360-Grad-Touren etwa durch den Speicherring BEESY II
                                                        sind so kein Einmalerlebnis, sondern beliebig wiederholbare
                                                        Erlebnisse.“

                                                         Nicola Rother koordiniert die
                                                         „Lange Nacht der Wissenschaften“
                                                         jetzt von Adlershof aus

10    Adlershof Journal | Mai_Juni 2021
„Wissenschaft zum Anfassen” wie hier zur klügsten Nacht 2019, gibt es erst wieder zur LNdW 2022

Hybride Formate könnten auch ab der Pandemie an Popularität                          Nicht zuletzt sei die LNdW das beste Format, damit Wissenschafts-
gewinnen. Ist das die Zukunft? Müssen sich solche Veranstaltun-                      einrichtungen ihre oft komplizierten Forschungsinhalte einem
gen wandeln, digitaler werden? „Von ‚müssen‘ möchte ich nicht                        möglichst großen Publikum verständlich vermitteln können. „Wir
sprechen“, winkt Rother ab, „wir selbst setzen lieber auf eine                       wollen, dass Wissenschaft nah dran bleibt an den Menschen und
Präsenzveranstaltung, weil wir der Meinung sind, dass die LNdW                       nicht unerklärlich wirkt. Wissenschaft erzeugt einen Zugewinn
Wissenschaft zum Anfassen ist und wir die Nähe zu den Besuche-                       für unser Leben“, sagt Ulrich Panne. Forschende gäben Antwor-
rinnen und Besuchern wichtig finden.“ Aber die Pandemie habe                         ten, klärten auf und seien gerade in diesen Zeiten der Pandemie
durch die vielen digitalen Meetings und Veranstaltungen auch                         unersetzlich: „Wir halten das heute, wo Fake News und popu-
gezeigt, was für ein Potenzial im Digitalen stecke: „Wir können                      listische Vereinfachungen an der Tagesordnung sind, für enorm
Menschen einbeziehen, die nicht vor Ort sein können, entwe-                          wichtig.“ Gerade jetzt komme Wissenschaftler/-innen eine be-
der weil sie in einer anderen Stadt, in einem anderen Land oder                      sondere Bedeutung zu, unterstreicht Panne: „Denn sie tragen
schlicht in Quarantäne sind.“ Daher werde die Digitalisierung                        mit ihrer Arbeit zu unserem Schatz an Wissen bei. Wissen, das mit
von Veranstaltungen, oder Teilen davon, nach Rothers Meinung                         der Welt übereinstimmt und auf Evidenz gegründet ist.“
voranschreiten: „Das ist gut und wichtig. Es darf nur nicht
dazu führen, dass wir nicht mehr zusammenkommen und uns                              Bei „radioeins“ vom Rundfunk Berlin-Brandenburg gibt es die
im Privaten einschließen.“                                                           klügste Nacht am 5. Juni 2021 ab 19:00 Uhr mit vielen Forschen-
                                                                                     den aus Berliner Wissenschaftseinrichtungen als Sondersendung
Das Erlebnis einer LNdW als Präsenzveranstaltung sei zumindest                       zu hören. „Nächstes Jahr werden wir unseren Besucherinnen und
dauerhaft digital nicht ersetzbar. Der Kontakt, das Kennenlernen,                    Besuchern alles wieder live anbieten können“, freut sich Nicola
das Eintauchen in neue, fremde Welten, der Geruch von Laboren                        Rother. cl
und Hörsälen, das direkte Erleben von Experimenten und Vor-
trägen, das alles geschehe nun mal vor Ort, so Rother: „Das ist
es auch, woran wir uns erinnern, wenn wir Jahre später zurück-
schauen. Das kann ein digitaler Besuch nicht voll ersetzen.“
                                                                                                                                                             ANZEIGE

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CAMPUS

ZUM 1. JULI 2021 STARTET DAS
EXPERIMENTALLABOR „ANTHROPOSCENES“

Für Bürgerbeteiligung
übers Wasser gehen
Wissenstransfer, Austausch auf Augenhöhe, demokratische Teilhabe:
Moderne Wissenschaft will Erkenntnisse nicht nur kommunizieren,
sondern auch niederschwellig diskutieren. Impulse aus der Bevölkerung
sollen dabei in die Forschung einfließen. Mit der Einrichtung sogenann-
ter Experimentallabore zur Wissenschaftskommunikation hat die Berlin
University Alliance kürzlich einem Projekt mit Adlershofer Beteiligung
den Zuschlag erteilt. „AnthropoScenes“, das im Juli die Arbeit aufnimmt,
wird sich theatraler Formate bedienen, um mit der Bevölkerung ins
Gespräch zu kommen. Koordiniert vom Theater des Anthropozäns
und dem Integrative Research Institute on Transformations of
Human-Environment Systems (IRI THESys) rückt das transdiszipli-
näre Projekt das Thema Wasser ins Zentrum.

I n Brandenburg ist das Wasser knapper als anderswo in Europa       gegeben: Man versteht unmittelbar, warum das ein relevan-
– und auch deshalb wird hier seit Jahren intensiv zu Wasserkreis-   tes Thema für die Forschung ist. Darum eignet es sich, um
läufen geforscht. Doch nicht nur Forschende blicken in diesen       partizipativ mit Menschen dazu zu arbeiten.“ In den kom-
Breiten bang auf Trockenheit und Extremwettereignisse: „Ob          menden drei Jahren wollen Niewöhner und seine Mitstrei-
Waldbrände, plötzliche Sturzregen oder Überschwemmungen             tenden sich daher auf Forschungsergebnisse rund um das
– für die Bevölkerung in Berlin und Brandenburg sind die Folgen     Wasser konzentrieren und im Schulterschluss mit der Öffentlich-
des Klimawandels schon heute deutlich spürbar“, sagt Jörg           keit erkunden, wie es sich unter den regionalen Extrembedingun-
Niewöhner, Sprecher von AnthropoScenes und leitender Direktor       gen leben lässt.
des IRI THESys an der Humboldt-Universität zu Berlin. „Im
Gegensatz zu den häufig sehr abstrakten Themen, die in der
Wissenschaft verhandelt werden, ist hier direkte Betroffenheit

12     Adlershof Journal | Mai_Juni 2021
Inhalte zuliefern sollen Wasserforschende aus
der Region, darunter auch Geografen aus
Adlershof. Kunstschaffende vom Theater des
Anthropozän entwickeln daraus Bühnenauf-
führungen. Wenn das Budget es zulässt, will
das AnthropoScenes-Team sein Theater zudem
mit einem Bus auf Reisen durch Brandenburg
schicken. „Zentral ist, dass es sich um einen offe-
nen Prozess handelt“, so Niewöhner. Das bedeu-
tet, dass die wissenschaftlichen Inhalte mit dem
Publikum diskutiert werden und die Ergebnisse
der Diskussion wieder in die Darbietungen, aber
auch in die Forschung selbst einfließen. Zum
Abschluss wird das Team seine Erkenntnisse zu-
sammentragen und in ein Spiele-Show-Format
einfließen lassen, das 2024 im Humboldt Labor
einer internationalen Öffentlichkeit präsentiert
werden soll.

„Wir wollen Formate kreieren, die Menschen
mehr Möglichkeiten geben, sich in Forschung           Prof. Jörg Niewöhner will den Dialog von Forschenden und der Öffentlichkeit
einzubringen“, betont Jörg Niewöhner. Öffent-         intensivieren
lichkeit müsse frühzeitiger und intensiver in
wissenschaftliche Prozesse eingebunden wer-           Zusammenarbeit zwischen Berlin University Alliance und
den, als das bislang der Fall sei. Zudem sei es       Bevölkerung legen zu können. „Es kommen massive ge-
wichtig, mit Wissenschaftskommunikation nicht         sellschaftliche Umwälzungen wie der Green Deal auf uns
immer nur den sprichwörtlichen pensionierten          zu. Diese sozialökologischen Transformationen müssen
Oberstudienrat zu erreichen. Mithilfe der hier zu     Wissenschaft und Gesellschaft gemeinsam angehen. Mit
entwickelnden theatralen Methoden hofft das           AnthropoScenes hoffen wir, diesen Austausch zu unter-
Projektteam, den Grundstein für eine langfristige     stützen und voranzutreiben.“ nl

                                                                                                                                                     ANZEIGE

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                                                                                von Projekten der angewandten Forschung und
                                                                                Entwicklung!

                                                                                Profitieren Sie von wissenschaftlichem
                                                                                Know-how für Ihr Unternehmen. Das Berliner
                                                                                Förderprogramm Transfer BONUS bezuschusst
                                                                                Forschungsvorhaben von kleinen und mittleren
                                                                                Berliner Unternehmen (KMU) in Kooperation mit
                                                                                Wissenschaftseinrichtungen.

    Informieren Sie sich unter
    www.ibb-business-team.de/transfer-bonus

                                                                                                                 Adlershof Journal | Mai_Juni 2021       13
FORSCHUNG

DIE NEUE REALITÄT
                                                                                       „Book a Scientist“ heißt eine Veranstal-
                                                                                       tungsreihe der Leibniz-Gemeinschaft.
                                                                                       Interessierte können sich dabei
                                                                                       25 Minuten lang mit Forschenden zu
                                                                                       ihrem Lieblingsthema austauschen.
                                                                                       „Ein schönes Format, das in Corona-
                                                                                       zeiten auch digital wunderbar funkti-
                                                                                       oniert – so melden es unsere Institute
                                                                                       zurück“, sagt Anja Wirsing vom For-
                                                                                       schungsverbund Berlin. Oliver Perzborn
                                                                                       von der Bundesanstalt für Materialfor-
                                                                                       schung und -prüfung (BAM) empfindet
                                                                                       die jetzige Pandemie als Katalysator,
                                                                                       der sehr schnell zeigt, was in der
                                                                                       Wissenschaftskommunikation funktio-
                                                                                       niert und was nicht. Dass Wissenschaft
                                                                                       vom Austausch lebt, darüber sind sich
                                                                                       beide Kommunikatoren einig. Und auch
                                                                                       darüber, dass es in Zeiten des Virus
                                                                                       neuer Ideen und unkonventioneller
                                                                                       Formate für deren Vermittlung bedarf.

                                                                                       Selten hat Wissenschaft so viel Aufmerksam-
                                                                                       keit erhalten. Der Anspruch an Wissenschafts-
                                                                                       kommunikation hat sich auch in Coronazeiten
                                                                                       nicht geändert. Noch immer muss der Brücken-
                                                                                       schlag zwischen wissenschaftlicher Seriosi-
                                                                                       tät und verständlicher Ansprache der breiten
                                                                                       Öffentlichkeit gemeistert werden. Arbeitsab-
                                                                                       läufe, Planungssicherheit oder die Möglichkei-
                                                                                       ten zum direkten Austausch haben sich jedoch
                                                                                       komplett verändert.

                                                                                       „Wir müssen andere Wege finden, mit den
                                                                                       Menschen zu reden“, erzählt Anja Wirsing. Sie
                                                                                       ist verantwortlich für die Presse- und Öffent-
                                                                                       lichkeitsarbeit im Forschungsverbund Berlin
                                                                                       (FVB). Inzwischen bereichern wissenschaftliche
                                                                                       Online-Vorträge von Forschenden aus dem FVB
                                                                                       den Schulunterricht. Der Marthe-Vogt-Preis, der
                                                                                       jährlich an eine junge Wissenschaftlerin ver-
                                                                                       geben wird, ist im Rahmen der Berlin Science
                                                                                       Week digital verliehen worden und ein gleich-
                                                                                       namiger Podcast stellt in Gesprächen junge
                                                                                       Forscherinnen und ihre Arbeit vor. „Wer in einer
                                                                                       realen Veranstaltung sitzt, der steht nicht so
                                                                                       schnell auf“, weiß Anja Wirsing, „digital kann
                                                                                       man sich schnell rausklicken – das ist bei der
                                                                                       Wahl der Formate zu bedenken.“

                                                                                       Dass sich physische Veranstaltungen nicht
                                                                                       Eins-zu-eins ins Digitale transformieren las-
                                                                                       sen, weiß auch Oliver Perzborn. Der ehema-
                                                                                       lige Trendforscher hat im vergangenen Sep-
                                                                                       tember die Leitung des neu geschaffenen
                                                                                       Referates Kommunikation & Marketing an der
                                         Oliver Perzborn im BAM-Gebäude in Adlershof

14   Adlershof Journal | Mai_Juni 2021
Offen für experimentelle Formate der Wissensvermittlung: Anja Wirsing vor dem Eingang des Trudelturms in Adlershof

Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM)                               rückt, sei der Wettbewerb um die Aufmerksamkeit in der Pan-
übernommen. Damit hat er seit seinem Jobwechsel noch ganz                            demie alles andere als einfach. Die Nachrichtenlage ist oft ein-
andere Herausforderungen zu bewältigen: Mit seinem Team                              seitig, Themenvorschläge durchzubringen, die sich nicht mit
kommuniziert Perzborn nämlich, von wenigen Präsenztreffen zu                         Corona befassen, schwierig. „Die Relevanz unseres Tuns, unserer
Beginn abgesehen, inzwischen ausschließlich über den Monitor.                        Forschung ist der Schlüssel“, sagt Perzborn. Und schiebt einen
Alles Persönliche ist durch die Pandemie eingeschränkt. „Beim                        Anglizismus hinterher. Unsere Arbeit an der BAM ist „purpose-
Essen zusammensitzen ist anders als digital“, erklärt er. „Die Pan-                  driven“, sie erfüllt einen höheren Zweck. Die BAM, davon ist er
demie schafft aber auch die Möglichkeit, Bestehendes zu hinter-                      überzeugt, sei eine Institution mit „Zweck ohne Ende“. Diesen
fragen und Neues auszuprobieren.“ Und bringt auch Vorteile:                          zeitgemäß für Zielgruppe und Medien zu vermitteln, sei die
Meetings und Abstimmungen laufen effizienter, statt E-Mails                          Hauptaufgabe seines Teams. „Wir müssen Wissenschaft mit
werden Themen- und projektbezogene Chats benutzt, die mehr                           klaren, verständlichen Botschaften konsumierbar machen. Wir
Transparenz mit sich bringen. Die neue Vernetzung führte letzt-                      leben schließlich in einem Häppchen-Zeitalter.“
endlich auch zu mehr Sichtbarkeit und Partizipation jedes bzw.
jeder Einzelnen und damit zu einem größeren Wir-Gefühl. „Mei-                        Anja Wirsing ist offen für experimentelle Formate für die Ver-
ne Aufgabe als Chef ist es, die Möglichkeiten, die uns die neue                      mittlung von Wissenschaft. Doch ihr, wie auch Oliver Perzborn,
Realität bietet, auszuloten und gewinnbringend für unsere Auf-                       fehlt der direkte Austausch. Kommunikation habe mit Begeg-
gaben als Wissenschaftskommunikatoren zu nutzen“, erzählt                            nung zu tun. Richtig erlebbar werde Wissenschaft nur in der
der 52-Jährige.                                                                      persönlichen Begegnung. Einige der aktuellen Formate und
                                                                                     Arbeitsweisen werden sich nach der Pandemie etabliert haben.
Trotz der 150-jährigen Geschichte der BAM, vieler faszinierender                     Den persönlichen Dialog ersetzen werden sie nicht. „Aber“, sagt
Forschungsthemen und -ergebnisse und neuer, digitaler Kom-                           Anja Wirsing, „Kommunikatoren sind ja gewohnt zu improvi-
munikationskanäle, mit denen man näher an seine Zielgruppen                          sieren.“ rb

                                                                                                                                                         ANZEIGE

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UNTERNEHMEN

           FRIKADELLE AUS DEM BIOREAKTOR
       Pilze sind hocheffiziente Verwerter von pflanzlichen Abfällen, die sie zu Proteinen und weiteren wichtigen
           Nährstoffen wandeln. Die junge Hamburger Mushlabs GmbH entwickelt ein Bioreaktorverfahren,
     in dem Pilzzellen Abfälle aus der Lebensmittel- und Agrarindustrie zu einem hochwertigen Basismaterial für
        veganen Fleischersatz wandeln. Jüngst hat ein Adlershofer Mushlabs-Ableger die Arbeit aufgenommen.

A   ls promovierter Biologe möchte Mazen Rizk sein Wissen
nutzen, um drängende Probleme unseres Planeten zu lösen.
Fleischlastige Ernährung ist so ein Problem. So schlägt etwa
die Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch mit einem
Verbrauch von 15.000 Litern Wasser, 7 kg Getreide, 30 Qua-
dratmetern Nutzfläche sowie mit 25 kg CO2-Ausstoß zu
Buche. „Der Ressourcenbedarf für die Ernährung der Mensch-
heit stößt an natürliche Grenzen“, sagt er. Rizk, der in
Hamburg lebt und forscht, trägt seinen Teil dazu bei, das
zu ändern. Dafür hat er vor drei Jahren die Mushlabs GmbH
gegründet.

Mittlerweile ist das Start-up auf 20 Köpfe gewachsen und
expandiert mit einem Forschungs- und Entwicklungs- (F&E-)
Standort nach Adlershof. Ausgestattet mit insgesamt 13 Milli-
onen US-Dollar ( ̴ 11 Mio. Euro) Risikokapital aus zwei Finanzie-
rungsrunden entwickelt Mushlabs ein Verfahren, das Abfälle
aus der Agrar- und Lebensmittelproduktion in hochwertige
vegane Lebensmittel wandelt. Der Schlüssel dazu sind Pilze
– oder genauer deren Myzelien, also das unterirdische Faden-
netzwerk dessen Fruchtkörper wir als Speisepilze schätzen.
Das Team züchtet sie in Bioreaktoren unter Beigabe von sonst
bestenfalls an Tiere verfütterten, aber meist weggeworfenen
Agrar- und Lebensmittelresten. „Auch Kaffeesatz, Sägemehl,
Obstschalen aus Saftpressen oder Bagasse aus Zuckerfabriken
verstoffwechseln die Myzelien in unserem Fermentationsver-
fahren in hochwertige Proteine, Mineral- und Ballaststoffe,
Kohlenhydrate und Vitamine“, erklärt Rizk. Während dieser

16     Adlershof Journal | Mai_Juni 2021
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Mast schwimmen die Pilzzellen in Flüssig-     ersten Schritt deren vorhandene Produk-
keit. Sobald alle Abfälle in nährstoffrei-    tionsinfrastruktur und Vertriebswege nut-
ches Wurzelwerk gewandelt sind, werden        zen zu können.                                         Bringen
die Myzelien entnommen, getrocknet und
wahlweise zu Würstchen, Nuggets oder          Bis dahin wird ein Team um Catherine                   Sie Ihr Lächeln
Burger-Frikadellen weiterverarbeitet.         Chaput in brandneuen Büros und Laboren
                                              in der Adlershofer Schwarzschildstraße 6               in Form
Derzeit haben die eingesetzten Bioreakto-     bei der weiteren Prozessoptimierung mit-
ren Laborformat. Das Team experimentiert      wirken. Chaput ist für den Aufbau des
mit vielen unterschiedlichen Pilzarten und    Berliner F&E-Teams verantwortlich. „Wir
Abfallstoffen, um den Fermentationspro-       planen, bis Ende des Jahres auf fünf Mit-
zess künftig präzise steuern zu können.       arbeitende zu wachsen“, berichtet sie. Ar-             Wir sorgen nicht nur
Der Gründer kann noch nicht im Detail         beit gibt es reichlich. Denn es geht dem
darüber reden, wie die Zutaten den Ge-        Team nicht darum, irgendeinen veganen
                                                                                                     bei Kindern für ein
schmack und die Textur des pilzbasierten      Fleischersatz zu schaffen. Vielmehr möch-              perfektes und
Fleischersatzes beeinflussen: „Noch ist die   te es die Herstellung so energie- und res-             strahlendes Lächeln,
Patentanmeldung nicht abgeschlossen“,         sourceneffizient wie irgend möglich ausle-
erklärt er. Doch aufgrund der bisherigen      gen. Laut Rizk ist das Verfahren schon jetzt           denn Zahnspangen
Ergebnisse ist er überzeugt, dass es sich     doppelt so effizient wie in den Anfängen.              kennen kein Alter.
nicht um eine Ernährungslösung für die        Die exakte Bilanzierung läuft. Weil die
ferne Zukunft handelt. Vielmehr verfolge      Gründer mit Agrarabfällen, voluminösen
                                                                                                     Lassen Sie sich von
Mushlabs das Ziel, in ein bis zwei Jahren     Bioreaktoren statt Ackerflächen und hoch-              uns beraten.
erste Produkte auf den Markt zu bringen.      effizienten Stoffwechslern aus dem Reich
Für die Skalierung der Fermentation auf       der Pilze arbeiten, haben sie im Vergleich
Industriemaßstab führt sein Team zurzeit      zum „Ressourcenfresser“ Fleisch sicher
intensive Gespräche mit potenziellen Part-    nichts zu befürchten. Bleibt nur noch ab-
nern aus der Lebensmittelbranche, um im       zuwarten, wie es schmeckt. pt

                                                                                                     Felix German
                                                                                                     Kieferorthopädie
                                                                                                     kfo-german.de

                                                                                                     Gesundheitszentrum
                                                                                                     Albert-Einstein-Str. 4
                                                              Hier dreht sich alles um Pilze:        Tel: 030 62 90 70-80
                                                              Catherine Chaput (l.) und
                                                              Irmgard Schäffl arbeiten an
                                                                                                     info@kfo-german.de
                                                              der Prozessoptimierung vom
                                                              pilzbasierten Fleischersatz

                                                                                                          Adlershof Journal | Mai_Juni 2021   17
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