Jungenarbeit und Qualifi zierung und lokale Projektentwicklung - Gewaltpravention - Vielfalt Mediathek
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Jungenarbeit .. und Gewaltpravention Qualifizierung und lokale Projektentwicklung Dokumentation des Modellprojekts 2008–2010 Projektleitung MANNE e. V. Potsdam
Impressum MANNE e.V. Potsdam Kiezstraße 16 14467 Potsdam Jungenarbeit und Gewaltprävention - Qualifizierung und lokale Projektentwicklung Dokumentation des im Rahmen von »VIELFALT TUT GUT. Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokatie« geförderten Modellprojekts Oktober 2010 Fotos: Archiv MANNE e.V. Potsdam Redaktion: Christian Bliß, Peter Moser Satz: Alexander Bentheim, Hamburg Druck: Eggers Druck, Heiligenhafen www.mannepotsdam.de 2 Modellprojekt Jungenarbeit und Gewaltprävention MANNE e.V. Potsdam
Inhalt 04 Editorial - Christian Bliß 05 Vorwort - Prof. Frieder Burkhardt 06 Inhaltliche Annäherungen zu den Themen Rechtsextremismus, Jungenarbeit und Gewaltprävention 06 Handlungsmöglichkeiten in der Zivilgesellschaft - Ulrich Dovermann 08 Wie Gewalt entsteht - Rainer Neutzling 13 Sind Jungen besonders »rechtsextremistisch gefährdet«? - Peter Moser 18 Konzeption des Modellprojekts 18 Ziele des Modellprojekts »Jungenarbeit und Gewaltprävention« 19 Zielgruppe: Rechtsextremistisch gefährdete Jungen 19 Methodische Grundhaltungen 21 Struktur und Inhalte des Modellprojekts 22 Gesamtstruktur des Modellprojekts 23 Übersicht: Curriculum der Fortbildungsphase 25 Reflexion und Evaluation des Modellprojekts 25 Auswertung der Fortbildungsphase 29 Auswertung der Praxisphase 34 Übersicht Teilnehmerprojekte 38 Auswertung des Gesamtprojekts auf der Teilnehmerebene 40 Auswertung des Gesamtprojekts auf der Trägerebene 42 Zielüberprüfung 44 Schlussbetrachtung 46 Ausblick 47 Über MANNE e.V. 48 Anhang 50 Dank 51 DVD der Filmdokumentation MANNE e.V. Potsdam Jungenarbeit und Gewaltprävention Modellprojekt 3
Christian Bliß Editorial Mit der vorliegenden Dokumentation schatz der einzelnen Teilnehmer anzu- Foto: privat geht das Modellprojekt »Jungenarbeit siedeln. Insofern liegen sie auch in de- und Gewaltprävention - Qualifizie- ren besonderer Verantwortung - selbst rung und lokale Projektentwicklung« wenn MANNE e.V. die Weiterentwick- nach mehr als drei Jahren zu Ende. lung und Optimierung der Praxispro- mit der Reflexion und Evaluation der Zwischen 2008 und 2010 wurden 14 jekte gerne weiterhin unterstützt. einzelnen Projektebenen und -phasen Männer im Bereich der Jungenpäda- bzw. dem Modellprojekt als Ganzem. gogik umfassend qualifiziert. Es wur- Die Dokumentation (die im Übrigen Dazu wurden die Abschlussberichte den elf Projekte konzipiert und ange- auch als Download auf unserer Web- der Teilnehmer und der Coaches um- boten, acht davon wurden in acht seite zur Verfügung steht) gliedert sich fassend ausgewertet und mit den Ein- Landkreisen des Landes Brandenburg in drei große Abschnitte: drücken des Leitungsteams sowie mit erfolgreich durchgeführt und veran- den Projektzielen abgeglichen. kert. Der erste Teil widmet sich der inhalt- Des Weiteren werden in diesem Ab- lichen Annäherung zu den Themen schnitt die von den Teilnehmern ent- Vieles ist im hinter uns liegenden Zeit- Rechtsextremismus, Jungenarbeit wickelten Praxisprojekte als Kern des raum passiert. Manches davon findet und Gewaltprävention. Ulrich Dover- Modellprojekts mit ihren Konzepten sich auf diesen Seiten bzw. auf der bei- mann von der Bundeszentrale für po- und Ergebnissen vorgestellt. Eine liegenden Filmdokumentation wieder. litische Bildung zeigt im Abschnitt Schlussbetrachtung fasst die Stärken Diverse andere Prozesse und Entwick- »Handlungsmöglichkeiten in der Zi- und Erfolge sowie die Verbesserungs- lungen können im Rahmen einer Do- vilgesellschaft« auf, wie rechtsextre- möglichkeiten des Modellprojekts zu- kumentation nur schwer abgebildet me Gesinnungen und Haltungen zu- sammen, bevor in einem Ausblick werden - dazu gehören neben den Ler- rückgedrängt werden können. Rainer weitere Chancen und Möglichkeiten nerfahrungen des Trägers MANNE Neutzling, Autor des Klassikers zur Stärkung der Jungenarbeit im Land e.V. im Krisenmanagement und in der »Kleine Helden in Not«, analysiert in Brandenburg aufgezeigt werden. komplexen Projektsteuerung vor al- seinem Beitrag anhand von Fallbei- lem die individuellen Erfahrungen, spielen die möglichen Ursachen von Wir von MANNE e.V. wünschen Ihnen die die Qualifizierungsteilnehmer auf Gewalt. Im darauf folgenden Ab- eine ebenso aufschlussreiche wie in- ihrem Weg zum »Jungenarbeiter« ge- schnitt beschäftigt sich Peter Moser spirierende Lektüre der vorliegenden macht haben. von MANNE e.V. mit der Frage, warum Dokumentation und einige ganz kon- gerade Jungen als besonders rechts- krete Einsichten in das Modellprojekt In der geschlechtsbewussten Arbeit extremistisch gefährdet gelten. durch die beiliegende DVD. mit Jungen und männlichen Jugend- lichen kommt es nicht nur auf das theo- Der zweite Teil der Dokumentation retische und methodisch-praktische geht auf die Konzeptentwicklung des Know-How, sondern in besonderem Modellprojekts ein. Nach einer Be- Maße auch auf einen reflektierten nennung der Projektziele, der Ziel- Umgang des Pädagogen mit seiner ei- gruppe und der methodischen Grund- genen Männlichkeit an; mit deren in- haltungen, die im Zuge der konzeptio- dividuellen Ausprägungen ebenso wie nellen Vorüberlegungen entstanden mit ihrer kollektiven Geschichte. Im sind, findet sich in diesem Abschnitt Christian Bliß, Jahrgang 1976, Diplompädago- Hinblick auf diese »Professionalisie- eine Darstellung der inhaltlichen Ge- ge und Trainer für gewaltfreies Handeln. Seit drei rung der individuellen Männlichkeit« samtstruktur des Projekts mit den ein- Jahren freier Mitarbeiter bei MANNE e.V. Pots- als Querschnittsthema des Modellpro- zelnen Projektphasen sowie des Cur- dam. jekts sind die wirklich nachhaltigen riculums. Redaktion der schriftlichen Dokumentation. Projektergebnisse zu einem großen Teil im persönlichen Erfahrungs- Der dritte Teil befasst sich ausführlich Kontakt: bliss@mannepotsdam.de 4 Modellprojekt Jungenarbeit und Gewaltprävention MANNE e.V. Potsdam
Prof. Frieder Burkhardt Vorwort Auf dem Titelbild des Prospektblat- »frag-würdig« im besten Sinne des Foto: privat tes, welches für Januar 2008 unter der Wortes. Überschrift »Jungenarbeit und Ge- waltprävention« den Beginn einer Dass es nun auf der sozialen Land- »Qualifizierung und lokalen Projekt- karte von Brandenburg neue Adressen Praxisprojekten zu finden. Hier wa- entwicklung« ankündigt, sind junge und Namen gibt, die Ausgangspunkte ren Lernende wirklich am Werk. Die Menschen zu sehen, die am Rande ei- für Weiteres sind, ist mehr als gut. Das »Entwicklung von lokalen Angebo- nes Geschehens einen friedlichen Weitere sind »Projekte« im Sinne von ten« trägt die Handschrift ihrer Pro- Eindruck machen: Gruppenbild mit vorweg genommener Zukunft. tagonisten, ist also personal vermit- Hund. Ein Pärchen wird beim Küssen telt. Das kann eine Dokumentation fotografiert. Hände sind in den Ho- Prävention in Bezug auf Gewalt und nicht wirklich authentisch vermitteln. sentaschen. Nur die Kleidung weckt Grausamkeit unter jungen Menschen Vielleicht führen die vielen Filme, die Fragen, Hosen - sehe ich recht - wie bei ist in dem nun zurückliegenden Vor- vor Ort gedreht worden sind, weiter. Himmler ... Ansonsten Abendstimm- haben nicht als Intervention gelungen. mung. Das wäre wohl zu schön und zu naiv, Noch wünschenswerter wäre, wenn um wahr zu sein, wenn Jungen- und die viel beschworene »Nachhaltig- Das Titelbild für die Abschlusstagung Jugendarbeiter die Visitenkarten der keit« - über bedrucktes Papier und se- des Modellprojektes am 5. Juli 2010 so genannten »Rechtsextremen« und henswert Gefilmtes hinaus - einer bringt dann die spiegelblanken Stiefel der jugendlichen Haudegen im Hand- Weiterarbeit keine engen und vor- in Front, die sich eine weiße Blume umdrehen neu mischen könnten. »Prä- schnellen Grenzen setzt. aufgeladen haben. Diesmal ist es kei- vention« ist Weichenstellung für kom- ne weiße Rose, eher ein Gänseblüm- mende Generationen und wenn mög- chen. lich Gegensteuerung gegen jeglichen »Rückfall in die Barbarei« auf allen 2007 traf ich mich mehrfach mit Rü- Ebenen und in jedem Milieu der Ge- diger Stanke und Peter Moser, die mir sellschaft. Wer sich durch »Schnell- ihr Vorhaben erläuterten. Es war deut- schüsse« und kurzatmige »Maßnah- lich spürbar, dass für die Beiden kein men« Erfolge verspricht, den bestraft Projekt ins Land gehen sollte, wie al- die real existierende gesellschaftliche le Jahre wieder eben Projekte vom Sta- Wirklichkeit. pel laufen. Wenn schon, denn schon ... Wo »MANNE« drauf stehe, sollten MANNE e.V. war mit allen an diesem auch ‚richtige' Männer aus ihrem Modellprojekt Beteiligten gut bera- derbdumpfen Schatten und aus ihren ten, da anzuknüpfen, wo die Ent- Fixierungen entbunden werden. Jun- schlusskraft der Teilnehmer und die genarbeit ist Einsatz für »fürsorgli- Tat- und Fachkraft der Mitarbeiter che und lebensbejahende Männlich- hinreichte. Die Balance zwischen ich- keit«. Jungenarbeit ist auch Einsatz nahen Interessen, dem »Gewinn für »gegen Gewalt- und Missbrauchs- die Teilnehmer«, und einem zielorien- handeln« usw. tiertem Engagement ist in jeder Sozi- Frieder Burkhardt ist Jg. 1943. Er hat in Leipzig alarbeit zu beachten, damit die »Un- Theologie studiert, war von 1970 bis 1983 in Wer sich nun in die vorliegende Do- ternehmen« ihre angebliche Gemein- Dresden und im Erzgebirge vornehmlich in Of- kumentation vertieft, dem wird im wohlorientierung nicht veruntreuen. fener Jugendarbeit tätig. 1983 bis 1991 Rektor der Ausbildungsstätte für Gemeindediakonie Text und auch zwischen den Zeilen und Sozialarbeit in Potsdam. Von 1992 bis 2008 vieles begegnen, was sehr anregend Der Charme dieses Modellprojekts ist Prof. für Sozialethik und -geschichte an der FH und bedenkenswert ist, aber auch meines Erachtens in den kreativen Potsdam. MANNE e.V. Potsdam Jungenarbeit und Gewaltprävention Modellprojekt 5
Ulrich Dovermann Handlungsmöglichkeiten in der Zivilgesellschaft Foto: Bundeszentrale für politische Bildung Meine Damen und Herren, sche Antwort auf die Herausforderung war: Verwaltungshandeln, Rechtspre- die Bundeszentrale für politische Bil- chung und über die Medien öffentli- dung hat dieses Projekt mit ebenso che Empörung. Die Bildungsinstitu- doch so vieles vermitteln, was wir großer Sympathie wie intensiver För- tionen wurden ins Feld geführt und heute als Wissenslücke empfinden. derung begleitet. Vorabsprachen und irgendwie hoffte man wohl auch, dass thematische Diskussionen reichen mit dem Sterben der alten SS-Genera- 2001 wurde - wiederum unter Beibe- lange vor die eigentliche Aktionszeit tionen das Problem aus der Welt käme. haltung der staatlichen Bemühungen zurück. So oft es irgendwie ging, war Wir wissen alle, dass das nicht der Fall gegen den Rechtsextremismus - die die bpb auf den Sitzungen des Beira- war: Der Rechtsextremismus schafft Zivilgesellschaft ins Feld geführt. tes vertreten und die Ergebnisse der es immer wieder, sich zu tradieren, Nach der reinen politischen Sicht, Projektarbeit rechtfertigen Förderung Gefolgsleute zu finden, in die Schlag- nach der eher individualisierten, ju- und Einsatz in vollem Umfang. Ich zeilen zu kommen. Die Möglichkeiten gendpflegerischen Sicht, kam nun die bedanke mich bei dieser Gelegenheit der staatlichen Kombattanten wurden gesellschaftliche Sicht zum Tragen. bei allen Akteurinnen und Akteuren ausgereizt, aber sie reichten für eine Und die Zivilgesellschaft brachte mit für Ihren Einsatz und für dieses eben- nachhaltige Wirkung offensichtlich großem Schwung ihre Fähigkeiten so wichtige wie spannende Projekt. nicht aus. Die Sichtweise, dass es sich und ihre Kompetenzen ins Spiel. Sie beim Rechtsextremismus um ein rein bot - und das ist jetzt nur ein stark ver- Die Bundeszentrale für politische Bil- politisches Phänomen handelt, führte gröbernder Überblick - Projektvor- dung ist kein Forschungsinstitut. Sie nicht zu hinreichenden Strategien. schläge in folgenden Bereichen an: ist selbst Akteur der politischen Bil- dung und in der Form meines Fachbe- Einen strategischen Wechsel gab es Kultur reiches Akteur in der präventiven wie dann unmittelbar nach der deutschen allgemeine Pädagogik intervenierenden Auseinandersetzung Vereinigung. Die Aggressionsbereit- Toleranzprojekte mit allen Formen des Extremismus - schaft von Jugendlichen schien den Projekte der Zivilcourage besonders des Rechtsextremismus. Strategen nun der Ansatzpunkt für die Vorschläge zum historisch- Ich kann Ihnen deshalb hier keine Maßnahmen gegen Rechtsextre- politischen Lernen wissenschaftliche Expertise über das mismus und Fremdenfeindlichkeit zu Begegnungsmaßnahmen Projekt und den gesellschaftlichen sein und so stellten sie neben die Interkulturelle Projekte Bedarf an diesem Projekt liefern. Was weiterlaufenden staatlich-politischen Interreligiöse Dialoge ich zu leisten versuchen werde, ist ei- Regelungen auch das »Aktionspro- Genderprojekte mit Fokus auf die ne Einordnung Ihrer Arbeit und Ihres gramm gegen Aggression und Ge- weiblichen Opfer gedanklichen Ansatzes in die bundes- walt«. Damit ging der Fokus von der weite Arbeit gegen den Rechtsextre- reinen politischen Perspektive auf ei- Mit dieser Übersicht ist nicht nur das mismus. Dies versuche ich aus der ne täterorientierte, sekundär- und ter- Angebot benannt, das die Zivilgesell- Perspektive des bpb-Mitarbeiters, tiär-präventive Problemsicht über. Es schaft leisten kann. Es beschreibt auch aber auch des Beirates in den Bundes- ging zudem auch um die Übertragung die Grenzen des zivilgesellschaft- programmen »Vielfalt tut gut« und westlicher Jugendhilfestrukturen auf lichen Handelns. Zivilgesellschaft »Entimon«, sowie als Beobachter der die neuen Bundesländer. Das Pro- bietet keine Täterarbeit an, sie greift Bemühungen, den Rechtsextremis- gramm lief zwar bis 1997, erreichte nicht grundsätzlich strukturelle Pro- mus zurück zu drängen, seit nunmehr nach offiziellen Angaben auch über bleme auf, die zu rechtsextremisti- 20 Jahren. 6.500 Jugendliche, es war aber von schen Schwerpunktbildungen führen, Beginn an heftig umstritten und regel- sie lässt sich nicht auf unmittelbare Das Problem »Rechtsextremismus« gerecht ausgewertet wurde es auch Kontakte mit rechtsextremistischen begleitet die Bundesrepublik Deutsch- nicht. Es verschwand gewissermaßen Gruppierungen ein, wie überhaupt land seit ihrer Gründung. Die politi- von der Bildfläche und es könnte uns zielgerichtete Kommunikationen 6 Modellprojekt Jungenarbeit und Gewaltprävention MANNE e.V. Potsdam
Ulrich Dovermann Handlungsmöglichkeiten in der Zivilgesellschaft zwischen den gesellschaftlichen Mi- gleichenden, gerechten und versteh- habituell und sozial offensichtlich lieus eher die Ausnahme zu sein baren System ist - so meine ich - ein derzeit eine Möglichkeit, das scheinen. Daran haben auch die Ver- männliches. Wo es fehlt oder bedroht Mann-sein zu erproben. Wer das für änderungen und Fortschreibungen der ist, fühlen sich die Männer in beson- falsch hält, muss nicht nur korrigie- Bundesprogramme gegen den Rechts- derer Weise herausgefordert, entwik- ren, sondern er muss auch bewei- extremismus wenig geändert. keln sie Abneigungen und Aggressio- sen, dass man außerhalb solcher nen. Das ist sehr kurz, aber es mag als Kontexte erfolgreich Mann sein Die Bundeszentrale für politische Bil- Anmerkung, als Skizze reichen. kann. dung hat sich in den so entwickelnden 5. Wer diesen Beweis antreten will, Landschaften der Auseinanderset- Wenn man nun den Versuch unter- muss mit dem entsprechenden zung immer als komplementärer Part- nimmt, das Projekt von Manne e.V. in Denken und Fühlen vertraut sein, ner der Strategien verstanden. Sie hat diese politischen, strategischen und Alternativen glaubwürdig vertreten sehr eigenständig - aber immer mit programmatischen Zusammenhänge - vor allem aber muss er in der La- deutlicher Unterstützungsabsicht - einzuordnen, so kann man schlicht ge sein, mit diesem Denken und Projekte der politischen Bildung an- feststellen, dass es in allen Belangen Fühlen effizient zu kommunizie- geboten, von denen anzunehmen war, passt. Es nimmt die sozialarbeiteri- ren. dass sie den unterschiedlichen Akteu- schen Impulse auf, die im zivilgesell- ren nützlich sein können. Sie hat sich schaftlichen Bereich fehlen, es ope- bemüht, einen qualifizierten Diskurs riert gender-orientiert, ohne Fokussie- zum Thema »Extremismus« zu führen. rung auf Opferperspektiven, es gleicht Sie hat in den Themen verstärkt An- da aus, wo die kleinen Männer ihre gebote gemacht, in denen extremisti- zentralen Fragen und Probleme haben. sche Kräfte Zustimmung in der Öff- Zwischen politisch-strukturellen fentlichkeit bekommen. Sie hat die Zi- Maßnahmen und zivilgesellschaft- vilgesellschaft bei Projektentwicklun- licher Kompetenz bietet es da seine gen beraten und schließlich - und das Leistungen, wo sie im sozialen Be- ist ein Alleinstellungsmerkmal in der reich am dringendsten gebraucht, aber politischen Bildung - politische Bil- andernorts nicht angeboten werden. dung für Rechtsextremisten im Straf- Ich bedanke mich für diese Arbeit und vollzug entwickelt und gefördert. Bei hoffe, dass das weitergeht und größer letzterem war es das zentrale Anlie- wird, was Manne begonnen hat. gen, Methoden und Verfahren zu ent- wickeln, mit denen man mit extremis- Im Resultat und als Lehre aus dem, was tisch beeinflussten Menschen umge- ich von Manne erfahren habe, hier hen und nachhaltig kommunizieren noch fünf Thesen, die ich für die wei- kann. tere Arbeit im Problemfeld Rechtsex- Der Verfasser wurde 1949 in Bonn/Rhein gebo- tremismus mitnehme: ren und studierte nach Abitur und Bundeswehr- Um auf das Projekt von Manne über- zeit von 1973 bis 1980 Germanistik und Ge- zuleiten, noch ein kurzer Blick auf die 1. Das Versatzstück zwischen ord- schichte in Bonn. Bereits während seines Studi- ums unterrichtete er an Hauptschulen die Fächer angesprochenen Themen, in denen ex- nungspolitischen Handeln und zi- Sport und Deutsch. Im Jahr 1981 wurde er als tremistische und populistische Kräfte vilgesellschaftlichem Engage- Angestellter im Bereich »Politische Bildung« im Erfolge im öffentlichen Diskurs er- ment, die soziale Arbeit als gesell- Gesamtdeutschen Institut, Bundesanstalt für zielen. Oberflächlich gesehen sind es schafts-unterstützendes Moment, gesamtdeutsche Aufgaben eingestellt. Nach Auflösung des Hauses im Zuge der deutschen Themen der Geschichte, der Nation, braucht in der Auseinandersetzung Vereinigung wurde er in die Bundeszentrale für der Ressourcenverteilung und des un- mit dem Extremismus einen eigen- politische Bildung übernommen. Dort war er zu- befriedigenden Erscheinungsbildes ständigen Raum. nächst in der Arbeitsgruppe »Schulische Bil- von Politik. Dahinter aber liegen 2. Die Jungen als Problemfall der ge- dung« für didaktische Grundsatzfragen und Lehrerfort- und -weiterbildung eingesetzt. Seit hochemotionale Anliegen vieler Men- sellschaftlichen Entwicklung brau- 2001 ist er - zunächst als Projektleiter, danach schen, die das Gefühl haben, dass sie chen Erprobungsfelder für ihr als ordentlicher Fachbereichsleiter - mit der nicht mehr geschützt werden, dass die Mann-sein, Bestätigungen für ihr Auseinandersetzung mit Extremismus befasst. Gerechtigkeit keine Rolle mehr spielt, verändertes Mann-sein und die Er lebt in Bad Godesberg, ist verheiratet und hat 5 Kinder. dass Abweichung, Krankheit und Möglichkeit, sich zu irren. Fremdheit sie überschwemmen und 3. Wer Konfliktlösungen ohne Gewalt Kontakt: Deutschherrenstr. 71, 53177 Bonn dass staatliches Handeln ineffektiv lehrt, muss auch die Verhältnisse zu und wirkungslos ist. Das Gegenbild ändern bereit sein, in denen Gewalt Der vorliegende Text ist die überarbeitete Aus- gabe eines Impulsreferates, das bei der Ab- vom schützenden und beschützenden das erfolgversprechende Hand- schlusstagung des Projekts »Jungenarbeit und Verantwortlichen, vom effektiven und lungskonzept ist. Gewaltprävention« von Manne e.V. in Potsdam eindeutigen Handeln und vom aus- 4. Rechtsextrem sein ist thematisch, am 05. Juli 2010 gehalten wurde. MANNE e.V. Potsdam Jungenarbeit und Gewaltprävention Modellprojekt 7
Rainer Neutzling Wie Gewalt entsteht »Was hat dich denn da so wütend ge- Der zum Zeitpunkt des Interviews 17- Foto: privat macht?« jährige Martin war zwölf Jahre alt, als er mit ansehen musste, wie seine zwei »Mich hat nichts wütend gemacht. Ich Jahre ältere Schwester vom Vater ge- irgendwie vergessen hatten, auf dem fand's einfach nur geil, 'n anderen schlagen wurde. Nicht zum ersten Mal Klo das Licht auszumachen oder so.« Menschen fertig zu machen, kaputt zu und nicht zum letzten Mal. Doch es (5) hauen. Mehr nicht. Das hat mich nicht war das Ereignis, das ihm auf die Fra- »Wie sah das aus? Was heißt das: Eine gestört, ich fand's einfach nur geil. ge einfiel, ob er einmal dabei gewesen auf den Arsch kriegen?« Außerdem wollt ich Aufmerksamkeit sei, als eines seiner Geschwister ge- »Auf den Arsch kriegen heißt: Ja, der haben, und das hab ich von allen be- schlagen wurde. ruft dich, dann gehst du hin, und dann kommen, von allen Seiten. Alle fanden Martin: »Da bin ich von der Schule sagt er: Was hast du da grad gemacht? das toll.« Rudi, 17 Jahre alt, gekommen, und da stand meine Und wenn du sagst: Ja, ich hab doch im Tiefeninterview über seine Gewalterfahrungen Schwester im Hausflur. Ich hatte gra- gar nichts gemacht, dann gibt's sofort de die Tür aufgeschlossen, und mein einen mit dem Gürtel auf den Arsch, Vater stand am Ende des Hausflurs und weil Lügen ist das Tödlichste.« (6) war voll am Rumbrüllen. Ich wusste »Das heißt, er steht auf und zieht den Wenn Kinder und Jugendliche krasse überhaupt nicht, was Sache war, weil Gürtel aus der Hose?« körperliche oder seelische Gewalt ich gerade von der Schule gekommen »Nee, den hat er meist schon in der ausüben, tun sie das fast immer, weil war, und guckte meine Schwester an Hand, den holt er sich schon vorher, sie selbst Gewalt und Vernachlässi- und sagte: Was ist denn hier los? Ja, wenn er uns dann ruft.« gung erfahren haben. Deshalb ist es und daraufhin rannte mein Vater zu »Kannst du dich daran erinnern, als du wichtig, sich damit zu beschäftigen, meiner Schwester und hat ihr ne Ohr- selber gehauen wurdest?« wie sie - und insbesondere Jungen - feige gegeben, von der ihr das Trom- »Ja, das war in der (Straße), da hatten Gewalt erleben, als Opfer und als Zeu- melfell geplatzt ist. (Pause) Da ist sie wir gerade unsere eigene Haushälfte gen: Wie schlagen sich diese Erleb- auf mich drauf geflogen, und wir sind gekauft, und da haben ich und meine nisse seelisch bei ihnen nieder? Am beide vor der Haustür gelandet.« (1) Schwester im Flur Tennis gespielt. Ende geht es darum herauszufinden, Interviewer: »Weißt du noch, was du Und meine Eltern waren grad einkau- wie aus manchen von ihnen kindliche da gefühlt oder gedacht hast?« fen, und als meine Eltern nach Hause oder jugendliche Gewalttäter werden »Im ersten Augenblick hab ich ge- kamen, hatte ich gerade gerufen: ‘Auf- und wie man das möglicherweise hät- dacht: Ich niete den gleich um. Warum schlag!’ und da ist der Tennisball di- te verhindern können. hat der das überhaupt gemacht? Das rekt in den Kronleuchter geflogen. ist seine Tochter, sie ist schwächer. (2) Der ganze Kronleuchter ist dann Vor einigen Jahren führte ich im Auf- Da hab ich mir gedacht: Jetzt ist egal, (puch!) runtergefallen. Ja, da hab ich trag der Evangelischen Jugendhilfe jetzt klatschst du dem eine.« (3) richtig Dresche gekriegt für. (Pause) Münsterland eine Studie über gewalt- »Mochtest du deinen Vater nicht be- Das weiß ich auch noch ziemlich ge- tätige Jugendliche durch. Die befrag- sonders?« nau.« ten Jugendlichen lebten in verschiede- »Eigentlich schon, aber auf der ande- »Was heißt: Richtig Dresche?« nen Heimwohngruppen einer Region ren Seite überhaupt nicht. Das kann »Ja, mit den Fäusten, wird dann drauf- und waren durch zum Teil massives man schwer erklären, weiß nicht.« (4) gehauen.« gewalttätiges Verhalten aufgefallen, »War das damals schon so, dass dein »Kannst du mal so den Ablauf schil- nicht selten in rechtsradikalen Zu- Vater viel gehauen hat?« dern, wie das war?« sammenhängen. Wie sich bei den »Ja.« »Ach, der kommt auf dich zu gelaufen, mehrstündigen Einzelinterviews her- »Wie oft ungefähr?« und sieht nur: Das ist kaputt, und du ausstellte, waren alle Jugendlichen in »Also wir haben täglich auf jeden Fall hast den Schläger in der Hand. Der hat der Vergangenheit selbst Opfer mas- mindestens eine auf den Arsch ge- mich direkt genommen und ins Wohn- siver Gewalt gewesen. kriegt, wenn wir jetzt zum Beispiel zimmer geschubst. Da stand ich und 8 Modellprojekt Jungenarbeit und Gewaltprävention MANNE e.V. Potsdam
Rainer Neutzling Wie Gewalt entsteht hab erst mal ne Ohrfeige gekriegt. grad kommt. Man kann nicht genau mit den Schmerzen verbundenen Und dann geht's richtig los: Dann sagen, wie er gehauen hat. Auf jeden Gefühle ab: Ohnmacht, Trauer, schubst der dich nur noch die ganze Fall hat er’s ziemlich oft gemacht.« Wut, Demütigung, Entsetzen, Zeit hin und her, und du kriegst »Und hat eure Mutter euch auch ge- Angst, Kummer. irgendwas ab und du weißt gar nicht hauen?« (9) Ein gewohnheitsmäßig geschla- mehr genau, was du abkriegst, kriegst »Ja, meine Mutter hat immer versucht, genes Kind ist das entrechtete einfach nur was ab. (7) Den Rest, das sich davor zu stellen. Aber die hat Kind schlechthin: Oft darf es merkst du nach ner Zeit auch gar nicht dann ne Ohrfeige gekriegt und ist in nicht weinen, es hat auf nichts mehr, irgendwie.« die Küche gegangen.« (12) ein Anrecht. »Was heißt das: Du merkst das gar (10) Die Ausweglosigkeit gegenüber nicht mehr?« Der kurze Ausschnitt des zweistündi- der elterlichen Gewalt und die »Ich hab irgendwie versucht, die gen Interviews enthält beinahe alle Unmöglichkeit der Gegenwehr Schmerzen zu unterdrücken, weil man klassischen Aspekte der Entstehung droht das Kind emotional aufzu- denkt eh: Ph!, gleich ist es vorbei, von Gewalt, wie sie auch in den Erin- fressen: Die »Säure im Magen« gleich regt er sich wieder ab, und dann nerungen der anderen Interviewten versinnbildlicht vollkommene kannst du nach oben gehen.« (8) auftauchen: Hilflosigkeit, die sich dann gegen »Und war das auch so?« (1) Ein Kind wird unfreiwillig und sich selbst richtet. »Ja, war so.« hilflos Zeuge von Gewalt. (11) Die elterliche Gewalt ist meist »Und wie lange geht das, wenn er so (2) Das Kind empfindet Unrecht, das unberechenbar. Ihr ist auch nicht draufgehauen hat?« in diesem Augenblick jedoch durch Wohlverhalten zu ent- »Fünf bis sechs Minuten.« weder benannt noch gesühnt kommen. »Glück« und Zufall »Und dann hört der irgendwann auf?« werden kann. entscheiden über Schläge oder »Dann hört der auf, ja.« (3) Die damit verbundene Erfahrung keine Schläge. »Sagt er dann irgendwas?« von Ohmacht beschwört Rache- (12) Eigentlich wäre es an der Mutter, »Ja, ab ins Zimmer. Hoch! Ich will und Größenfantasien gegenüber die Kinder zu schützen. Doch da- dich heut nicht mehr sehen. Und dann dem gewalttätigen Elternteil her- zu ist sie (häufig) nicht in der La- ist empty. Und dann brauchst du heute auf - eine erste kritische Identifi- ge. Oder sie schlägt selbst zu. auch nicht mehr runter kommen und kation. Martin wehrte sich zwei nach irgendwas fragen. (9) (Pause) Jahre später, mit 14, zum ersten Irgendwann beginnt Martin, gegen die Der Tag ist dann gelaufen sozusagen.« Mal gegen seinen Vater. Mutter und seine Geschwister gewalt- »Versuch mal zu schildern, wie du dich (4) Das kindlichen Opfer ist gegenü- tätig zu werden. Er ersetzt den (häufig fühlst, wenn du ihn da so sitzen siehst ber gewalttätigen Eltern in einem abwesenden) Vater als unberechenba- und er hat schon den Gürtel in der ambivalenten Verhältnis gefan- ren Tyrannen. Auch außerhalb der Fa- Hand, und der ruft dich: Heh, komm’ gen. Der Junge liebt seinen Vater milie wird Martin zunehmend gewalt- mal her.« und will von ihm geliebt werden. tätig. »Ah, boh, dann kriegst du erst mal voll Gleichzeitig hasst er ihn. die Säure im Magen. Der Magen (5) Die Gewalt ist oft alltägliche Ge- Interviewer: »Hast du auch außerhalb blubbert, weil du irgendwie voll auf- walt. Der Junge und seine Ge- der Familie Schlägereien gehabt?« geregt bist, und dann denkst du dir nur schwister werden über Jahre hin- Martin: »Ja (leise). Ich war ziemlich noch: Augen zu und durch. (10) Jetzt weg mindestens mehrmals im viel mit Freunden in der Stadt unter- hörst du dir das erst mal an. Vielleicht Monat geschlagen. wegs, ja, und wenn uns dann irgend redet der auch nur, wenn du Glück (6) Das Kind wird vollkommen der einer nicht passte, der grad Kacke hast, und er hat ‘n guten Tag, dann re- Definitionsmacht des gewalttäti- aussah, haben wir unsern ganzen Frust det der auch nur mit dir.« gen Erwachsenen unterworfen: an ihm ausgelassen.« (1) »Das kam vor?« Der Vater entscheidet, ob das »Wo kam denn der Frust her?« »Das kam auch schon vor, ja, aber Kind etwas Strafwürdiges »ge- »Von allem. Weiß ich nicht. Von allem, ziemlich selten. Seltener wie das mit macht« hat oder nicht. was eigentlich immer so anfällt: schu- dem Gürtel halt. Ja, wenn du Glück (7) Das Kind erlebt die Schläge als lischer Stress, zu Hause, keine Per- gehabt hast, hast du Glück gehabt, und Heimsuchung, wie ein heftig wü- spektive für später und alle solche Sa- wenn du kein Glück gehabt hast, dann tender Gewittersturm. Unter den chen. Die kamen irgendwie immer stehst du davor und denkst dir nur: Schlägen wird er zum bloßen zusammen. Da dachte ich: Hm, das (Pause) Mann, mach schnell und Gegenstand, der »hin und her« kannste ja jetzt rauslassen und frisst kurz.« (11) geschubst wird, rechtlos und ent- es wenigstens nicht in dich rein.« (2) »Musst du dich dann umdrehen und würdigt. »Kannst du mal so eine Situation ...?« (8) Im Laufe der Jahre entwickelt das schildern?« »Nein. Der fängt zu schubsen an, so Kind eine gewisse Fühllosigkeit »Ja, klar. Sommer letztes Jahr. Ich war dass du irgendwie hinfällst. Und dann gegenüber den Schlägen und in der Stadt mit Freunden. Wir waren nutzt er die Gelegenheit aus, wie sie spaltet damit auch alle anderen am Stadtbrunnen, wo wir uns immer MANNE e.V. Potsdam Jungenarbeit und Gewaltprävention Modellprojekt 9
Wie Gewalt entsteht Rainer Neutzling treffen. (3) Und da waren zwei Leute, (1) Die zunehmenden Frustrationen ordentlich gewaltfördernd. Eine ent- die wohl auch einen getrunken hatten. und seelischen Verletzungen ver- würdigende Erziehung führt fast Es war schon so gegen 19 Uhr, die langen bald nach stets neuen see- zwangsläufig zu einem negativen lachten ziemlich laut, und wir saßen lisch entlastenden Ausbrüchen. Selbstbild, so dass das Kind wegen alle am Brunnen und sagten: Was la- (2) Seelische Not als Lebensgefühl zunehmender Konflikte auch außer- chen die denn so scheiße? Lachen die lässt sich von gewaltbelasteten halb der Familie bald nur noch Bestä- uns aus oder was wollen die von uns? Kindern und Jugendlichen oft nur tigungen seines Gefühls von Wertlo- Was sind das überhaupt für Vögel? (4) mit Hilfe von eigener Gewalt aus- sigkeit erfährt. Dem bedrückenden Ich hatte die noch nie hier gesehen. halten bzw. kurzzeitig beiseite Lebensgefühl gilt es dann auszuwei- (Pause) Tja, das ging so fünf Minuten drängen. chen - häufig in der Geborgenheit ei- oder so: Guck dir den mal an, was hat (3) Die gewalttätige Gleichaltrigen- ner Gewalt bejahenden Gleichaltri- denn der für Schuhe an? - So abgeläs- gruppe verschafft Aufwertung gengruppe. tert die ganze Zeit. Und irgendwann und Anerkennung durch Andere. sagt dann einer: Ey, dem hau ich jetzt Das Image des Gefährlichen soll Warum aber neigen Jungen mehr als erst mal eine. Ja guck dir mal den alte Wunden heilen: Mir wird Mädchen zu expressiver Gewalt, ob- Spasti an, dem klatsch ich jetzt erst niemand (mehr) etwas antun. wohl Mädchen insgesamt sicher nicht mal eine, der kommt ja wohl voll nicht (4) Ein schiefer Blick, ein falscher weniger Gewalterfahrungen machen mehr klar. Die üblichen Sprüche halt. Ton, selbst eine harmlose Bemer- müssen? Zum einen ist die gesell- Ja, und dann ist der erste von uns hin- kung wird bei Bedarf als tief ver- schaftliche Wahrnehmung gegenüber gegangen, haut dem einen einfach ei- letzender und deshalb strafwür- männlicher Opferschaft und weib- ne, ohne dass der damit rechnen konn- diger Angriff umgedeutet. licher Täterschaft nach wie vor sehr te. Und wenn der Andere sich dann (5) Ist der Gewaltausbruch in diesem eingetrübt, was das Anzeigeverhalten wehrt, dann springt der ganze Treff- Sinn hinreichend legitimiert, und damit die amtlichen Statistiken punkt auf, und dann laufen wir los, gelten keine allgemeinen Kampf- gewiss beeinflusst. Gewalt von Mäd- und dann geht’s voll rund, würd ich regeln mehr. So, wie das kindli- chen und Frauen wird zu einem erheb- sagen.« che Opfer einst beständig entehrt lichen Maß nicht wahrgenommen. »Also dann wurden die beiden ver- wurde, können sich die späteren Zum anderen stehen Jungen und Mäd- kloppt.« Opfer nicht auf einen Ehrenko- chen sehr unterschiedliche Einstel- »Dann wurden die beiden verkloppt.« dex berufen. lungs- und Verhaltensmuster gegenü- »Und dann auch nicht mehr eins zu (6) Ein Gewaltausbruch kann emo- ber Gewalt zur Verfügung. Dabei geht eins, sondern mehrere auf wenige.« tional ausgesprochen positiv auf- es immer um die Frage, welches Ver- »Dann waren wir auch schon ab und geladen werden. In solchen Mo- halten mehr Männlichkeit verspricht, zu mehrere auf wenige.« (5) menten führen sich die Täter so- und welches mehr Weiblichkeit. Stark »Und wie fühlst du dich da während zusagen dem Leben wieder zu. sein, sich prügeln, überhaupt den Kör- dessen?« Die Gewalt hebt für Momente das per einzusetzen, bedeutet für einen »Das ist einfach nur (Pause) toben. Als aus der erlebten Missachtung Jungen, seiner Geschlechtsrolle zu wenn du tobst irgendwo, du auf der und Ohnmacht erwachsene de- entsprechen. Er wird durch den Ein- Wiese voll am Rennen bist, am Fuß- pressive Lebensgefühl auf. satz von Gewalt potentiell in seiner ballspielen, schießt grad den Ball weg (7) Es fehlt oft an Unrechtsbewusst- Männlichkeit aufgewertet. Zur ge- so. (Pause) So’n Gefühl hast du dabei. sein. Gefürchtet wird lediglich waltbereiten Männlichkeit gehört ins- Bist einfach nur am Austoben.« (6) die persönliche Einschränkung, besondere die Aufgabe des Beschüt- »Und hinterher?« die eine Bestrafung durch ein Ge- zers und Retters. Der männliche Auf- »Hinterher denkste erst mal nach: richt mit sich brächte. Eine trag des Beschützers bezieht sich nicht Hoffentlich kriegst du keine Anzeige. Wiederholung, denn auch der ge- nur auf konkrete Menschen, sondern Hauptsache, dich erkennt keiner, und walttätige Erwachsene wurde auch auf das große Ganze: Soldaten dann ist das schon o.k.« (7) früher für seine Taten meist nicht verteidigen eine Stadt, ein System, ei- »Und dass dir die Typen vielleicht ein zur Rechenschaft gezogen. ne Nation. Gewalt wird gelernt, nicht bisschen leid tun?« (8) Hat niemand in der Kindheit der nur im Elternhaus oder in der Gewalt- »Nein, tun mir nicht leid. Die haben Jungen und Mädchen die erlitte- clique, sondern auch von den Medien, mir da überhaupt ... (Pause). Weiß ne Gewalt bezeugen und tröstend die unentwegt die Botschaft verkün- nicht. Ich kannte die nicht, und wenn mitleiden können, empfinden sie den, dass es eine gute männliche Ge- ich Leute nicht kenne, tun sie mir nicht später oft kein Mitleid mit ihren walt gebe, die befugt sei, die böse leid.« (8) Opfern. männliche Gewalt zu bekämpfen. An- leihen an diesem soldatischen Mythos Auch der Transfer seiner Gewalter- Auch eine nicht offen handgreifliche, machen etwa paramilitärisch auftre- fahrungen in spätere Lebenszusam- aber seelische Misshandlung - etwa tende Rechtsradikale. Der Soziologe menhänge verlief bei Martin recht die ständige Missachtung kindlicher Joachim Kersten wies einmal darauf exemplarisch: Anerkennungsbedürfnisse - ist außer- hin, dass sich die jungen Männer der 10 Modellprojekt Jungenarbeit und Gewaltprävention MANNE e.V. Potsdam
Rainer Neutzling Wie Gewalt entsteht rechtsgerichteten Gewalt-Szene häu- Junge namens Frank berichtete von letzlichkeit begreiflich zu machen und fig als »Beschützer eines ganzen Beleidigungen wie »Du Hurensohn!«, gleichzeitig Bedrohungsgefühle ab- Stadtteils« fühlten, wenn sie fremd- die bei ihm zu einem Ausbruch von zubauen. »Das aggressive Kind wird ländisch aussehende Mitbürger an- Gewalt führen konnten, und begrün- nur von innen erreicht über ein Ver- griffen. Solche Angriffe stellten in den dete dies mit Gefühlen, die in solchen ständnis seines Erlebens. Täter kön- Augen eines jungen Rechtsradikalen Momenten hochkamen: »Ja, also, ko- nen nur von ihren Übergriffen lassen, sozusagen eine Mut erfordernde misch ist, dass halt alles wieder aufge- wenn ihr Bindungsbedürfnis geweckt, Männerangelegenheit dar, deren Er- wuschelt wird, dass alles wieder hoch- gestärkt, durch Vertrauen entfaltet und ledigung er in die Hand nehme, weil kommt von früher, von den Eltern und erhalten werden kann.« Betroffene sich das die anderen bloß nicht trau- so. Dass meine Mutter mich gehauen Kinder und Jugendliche bedürfen der ten. Er, nicht die anderen, habe daher hat und so was.« besonderen Betreuung, therapeutisch das Zeug zum Helden. Individuelles und pädagogisch. Antigewalt-Trai- oder kollektives Gewalthandeln kann Was tun? nings, die das Ziel verfolgen, einen sich aus völlig unterschiedlichen Mo- »Wer glaubt, um seinen Stolz, seinen nach außen drängenden Gewaltim- tivationen heraus ergeben: Gewalt zur Selbstwert, seine Identität oder gar puls per Vernunftentscheid zu unter- Bekämpfung von Angst, Gewalt auf- sein Überleben kämpfen zu müssen, drücken, können sicherlich helfen, grund seelischer Frustrationen jed- wird Regeln brechen und aggressives den Alltag der Jugendlichen und ihrer weder Art, Demütigungen und Min- Verhalten zeigen«, sagt der Kinder- Betreuer zu entlasten. Doch in aller derwertigkeitsgefühlen. Gewalt pro- und Jugendpsychiater Franz Resch. Regel reichen sie für ein seelisches voziert, macht den Gewalttätigen Es gelte daher, Kinder einen ange- Heilen nicht aus. Wenn ein Junge (oder mächtiger, als er sich ansonsten fühlt. messenen Umgang mit den eigenen Mädchen) auf der Suche nach einem Sie sichert einen Aufmerksamkeits- Waffen zu vermitteln, Schmerzgren- akzeptablen Ich die eigene Gewalttä- erfolg und bindet ein in einen Grup- zen, körperliche Integrität und Ver- tigkeit entdeckt und sie fortan zur Ent- penzusammenhang. Gleichzeitig lässt Gewalt immer wieder aufs Neue ge- rade jene Gefühle entstehen, die zu ihr geführt haben: Angst, Unsicher- heit, Verletzung - ein Teufelskreis. Die Verleugnung von Hilflosigkeit und Schwäche behindert dann sowohl den inneren Bezug zu sich selbst, als auch zum Opfer. Ein Übriges ist im gege- benen Fall der fehlenden emotionalen Unterstützung in der Familie geschul- det, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus der Eltern und innerer Vereinsamung. Obwohl gewaltbelastete Jugendliche oft eine krasse Gleichgültigkeit ge- genüber der eigenen Gewalt an den Tag legen und andere Menschen nicht selten plan- und gewohnheitsmäßig beleidigen, reagieren sie selbst oft un- gemein empfindlich auf Neckereien. Der 17jährige Rudi, der am Anfang zitiert wurde, begründete seine Ge- waltaktionen oft damit, er sei belei- digt worden mit Aussagen wie »Leck mich am Arsch oder so was in der Art«. Wie auch bei den anderen interview- ten Jugendlichen wurden in solchen oder ähnlichen Situationen schnell die Wunden alter Missachtungserleb- nisse berührt, worauf sie dann reflex- Foto: tobeys / photocase.com artig gewaltsam reagierten. Mitunter lassen sich regelrechte Trigger aus- machen, die gewalttätige Impulse aus- lösen bzw. rechtfertigen sollen. Eine MANNE e.V. Potsdam Jungenarbeit und Gewaltprävention Modellprojekt 11
Wie Gewalt entsteht Rainer Neutzling wicklung seines beschädigten Ichs pold betont, dass es aufgrund früher und andere Gewaltopfer aufzubrin- einsetzt, wird es enorm viel Zuwen- innerfamiliärer Gewalterfahrungen gen. Oft fehlte es nicht an emphati- dung, Zeit und Mühe kosten, einem nicht automatisch zu einem Umschla- schen Fähigkeiten als vielmehr an ei- alternativen gewaltfreien Ich zum in- gen der Traumatisierungen in gewalt- ner seelischen Basis für Reue. Eine neren Wachstum zu verhelfen. Was tätiges Handeln kommen müsse. solche Lücke im Empfindungsreper- auch immer die Jugendlichen nach au- Unterschiedliche Studien berichteten toire geht häufig auf die kindliche Er- ßen hin zur Schau stellen (Gleichgül- übereinstimmend, dass etwa ein Drit- fahrung zurück, selbst nie bemitleidet tigkeit oder Abgebrühtheit), ihr Le- tel aller ehemals misshandelter Eltern worden zu sein. bensthema ist ihr zutiefst negatives die erlittene Gewalt an ihre Kinder Selbstbild, das zudem oft zu heftigen weitergeben. Etwa zwei Drittel wür- Ihre spätere Gleichgültigkeit gegenü- Autoaggressionen bis hin zum Selbst- den jedoch nicht zu Tätern. Sie nennt ber Gewaltopfern ist gewissermaßen mord(versuch) führt. Hinter der ju- drei biografische Aspekte, die es ge- ein Selbstschutz, weshalb es so wich- gendlichen Gewaltfassade steht oft waltbelasteten Kindern erleichtern, tig ist, ihnen zu ermöglichen, irgend- ein kleines, unglückliches Kind, das die eigenen Gewalterfahrungen später wann einmal wieder Mitleid und Reue seelisch blockiert ist und sich deshalb nicht weiterzugeben: zu empfinden. in jenen Situationen, die an die frühe- > Nichtwiederholer hatten in der ren Misshandlungserfahrungen rüh- Kindheit häufig mindestens eine ren, nicht anders als gewalttätig zu Person, an die sie sich mit ihrem Literatur helfen weiß. Um ihm zu helfen, muss Kummer wenden konnten. Diepold, Barbara/ Cierpka, Manfred: Der Ge- man dieses Kind aufsuchen und es an > Sie hatten irgendwann in ihrem Le- waltzirkel: Wie das Opfer zum Täter wird. Vortrag. Lindauer Psychotherapiewochen die Hand nehmen, damit es noch ein- ben eine längere (mehr als ein Jahr) 1997 mal wachsen kann. »Unter den pro- Psychotherapie absolviert. Kersten; Joachim: Der Männlichkeitskult. In: tektiven Faktoren«, schreibt die Ju- > Und sie lebten gegenwärtig häufi- Psychologie heute. Weinheim 9/1993 ristin und Psychoanalytikerin Gisela ger in einer befriedigenden Bezie- Neutzling, Rainer: Gewalt macht die Seele krank. Wie Kinder als Zeugen, Opfer und Tä- Zenz, »die die Folgen schwerer Trau- hung mit einem Ehepartner oder ter Gewalt erleben. Hannover 2005 matisierungen mildern können, ist als Freund. Resch, Franz: Aggressives Verhalten als Krank- wichtigster Faktor immer wieder in »Nicht allein das Ausmaß der Trau- heit? In: Frühe Kindheit 6/2004 großer Übereinstimmung verschiede- matisierung in der Kindheit ist ent- Sutterlüty, Ferdinand: Gewaltkarrieren. Ju- gendliche im Kreislauf von Gewalt und Miss- ner Forschungsrichtungen die stabile scheidend«, so Barbara Diepold, »als sachtung. Frankfurt/M. 2002 Beziehung zu einer verlässlichen und vielmehr die Art und Weise, wie diese Zenz, Gisela: Konfliktdynamik bei Kindesmiss- liebevoll zugewandten erwachsenen Traumata durchgearbeitet, betrauert shandlung und Intervention der Jugendhilfe. Person herausgestellt worden. Bei und in das Leben integriert werden. In: Frühe Kindheit 4/2000 Kindern, die eine solche Beziehung (...) Vieles spricht dafür, dass im Kon- erstmals nach einer Fremdunterbrin- text neuer Beziehungserfahrungen gung außerhalb ihrer Herkunftsfami- verzerrte Wahrnehmungen der Bezie- lie finden, ist daher die Stabilisierung hungspartner korrigiert werden kön- und Erhaltung dieser Beziehung - d.h. nen, so dass vor allem die empathi- die Beziehungskontinuität - von ganz schen Fähigkeiten nachreifen können entscheidender Bedeutung für ihre und die Affektregulation neu model- weitere Entwicklung.« Die Anforde- liert wird.« rungen an das pädagogische Personal etwa von Heimwohngruppen, in de- Lernziel: Mitleid Rainer Neutzling, geb. 1959 in Bendorf/Rhein. nen auch gewaltbelastete Jugendliche In den Gewaltschilderungen des Journalist, Schriftsteller und Soziologe M.A., verheiratet, zwei Kinder. Aus der frühen »Alter- leben, sind ausgesprochen hoch. Das 17jährigen Rudi fielen während des nativpresse" kommend, hat Rainer Neutzling wichtigste Ziel ist, die Jugendlichen Interviews wiederholt Wörter wie seit 1987 als freier Journalist und Autor für di- möglichst mehrere Jahre lang in der »kaputt treten oder kaputt machen« verse (sozialpolitische) Fachzeitschriften und Gruppe zu halten, was jedoch häufig für schlagen, und Sprüche wie »Na verschiedene Rundfunkanstalten gearbeitet. Ab 1990 war er auch in der Erwachsenenbildung tä- nicht gelingt. Gewaltbelastete Ju- und?! Mir doch egal!«, wenn es um die tig zu den Scherpunktthemen »Jungensozialisa- gendliche stellen häufig eine Überfor- Konsequenzen seines Handelns für tion«, »Männliche und weibliche Pubertät« so- derung ihrer Umwelt dar, da sie prak- sich und andere ging. So wie das be- wie »Männersexualität«. Hinzu kamen ausge- tisch jederzeit in der Lage sind, mit ständig misshandelte und missachtete dehnte Vortragsreisen. Gewaltausbrüchen und gezielten Re- Kind das Gefühl haben musste, seine Kontakt: neutzling@netcologne.de gelverstößen das sensible Gefüge ei- Würde und Integrität sei den Erwach- ner Wohngruppe zu sprengen. Dies senen egal, so wenig kann offenbar Auszüge aus dem Vortrag während der Ab- wiederum führt dann schnell zu ihrem später von ihm erwartet werden, sich schlusstagung des Modellprojekts. Der Vortrag basiert auf dem gleichnamigen Kapitel des Bu- Ausschluss und so zu immer wieder oder andere zu schonen. Den meisten ches »Kleine Helden in Not« von ihm und Die- neuen Beziehungsabbrüchen. interviewten Jugendlichen fiel es aus- ter Schnack (komplett überarbeitete Ausgabe, Die Psychoanalytikerin Barbara Die- gesprochen schwer, Mitleid für ihre Reinbek 2011). 12 Modellprojekt Jungenarbeit und Gewaltprävention MANNE e.V. Potsdam
Peter Moser Sind Jungen besonders »rechtsextremistisch gefährdet«? Foto: Alexander Bentheim Rechtsextremistisches, gewalttätiges »Unmännliche« Anteile abwerten Verhalten wird besonders als Jungen- und verdrängen und Männerproblem wahrgenommen. In ihrem Sozialisationsprozess, vor Kein Wunder, sind es doch überwie- allem in ihrer Suche nach Selbstwert, ßen Jungen jedoch - vor allem in der gend männliche Jugendliche und jun- Annerkennung und Zugehörigkeit, Erwachsenenwelt - in der Regel nicht ge Männer, die wegen »rechtsextre- entfremden sich viele Jungen zuneh- gerade auf Verständnis. Ihre Strategien mem« und/oder gewalttätigem Ver- mend von »unmännlich« geltenden werden als auffälliges, negatives Ver- halten auffallen sowie angezeigt und oder empfundenen Gefühlen, Bedürf- halten bewertet und/oder aber als ty- verurteilt werden. nissen und Verhaltensmöglichkeiten; pisches Jungenverhalten erkannt, das sie verdrängen diese oder spalten sie man letztendlich auch von ihnen als Hegemoniale Männlichkeiten und ab. Verhaltensmuster, mit denen Ohn- »richtigem« Jungen so erwartet. Mög- individuelles Junge-Sein - für viele macht, Unterlegenheit und Hilflosig- liche Ressourcen solcher Verhaltens- Jungen ein Dilemma keit usw. konstruktiv bewältigt werden strategien werden selten in den Blick Sobald Jungen sich selbst als »Jungen« könnten, stehen immer weniger zur genommen3. erkennen und definieren, suchen sie Verfügung, wenn diese ihr Männlich- in ihrem Aufwachsen Orientierung bei keitsgefühl bedrohen. Das gilt im Be- Konkurrenz, Überlegenheit und Sie- Angehörigen des eigenen Ge- sonderen auch für Opfererfahrungen gen sind Bestanteil männlicher He- schlechts, bei gleichaltrigen Jungen, von Jungen. gemonialbilder, doch in ihrer Soziali- bei älteren Jungen und bei erwachse- sation erfahren viele Jungen häufig nen Männern. Im Dilemma zwischen Männlichkeits- selbst Abgrenzung, Unterlegenheit Insbesondere dann, wenn anwesende anspruch und dem eigenen Selbst und Abwertung, sowohl gegenüber Männer mit alternativen Männlich- können viele Jungen »unmännliche« Mädchen und Frauen als auch unter- keitsentwürfen in der Sozialisation Gefühle und Bedürfnisse oft nur über einander. von Jungen fehlen, wirken verstärkt einen Umweg wahrnehmen bzw. Jungen werden von Erwachsenen häu- hegemoniale Männlichkeitsbilder kommunizieren; so entwickeln sich figer negativer bewertet als Mädchen. und die damit verbundenen Vorstel- symbolische Verhaltenstrategien2. In der Schule haben sie schlechtere lungen vom richtigen Junge- bzw. Beispielsweise verlaufen Annäherun- Noten und bleiben öfter sitzen. Aus späteren Mannsein1. gen an Mädchen häufig in Formen wie biologischer Perspektive sind sie an- Nachpfeifen, coolen Sprüchen oder fälliger als Mädchen. Dies gilt für Diese Idealvorstellungen sind stark körperlicher Übergriffigkeit. So kann Fehlgeburt, Todgeburt, Säuglings- verbunden mit Erfolg, Leistung, Stär- ein Junge einerseits dem Mädchen und Kinderkrankheiten ebenso wie ke, Souveränität, Macht, Konkurrenz, Interesse und andererseits den ande- für die meisten psychischen Krank- Potenz, Heterosexualität, Rationa- ren Jungen männliche Souveränität heiten. Bedeutsam scheint mir auch, lität, Nach-Außen-Bezogenheit sowie signalisieren. Angst vor Gewalt und dass Jungen im Schnitt ein bis zwei mit der Abwertung von »weiblichen«, Schutzbedürfnisse »kommunizieren« Jahre später als Mädchen in die Pu- »weichen«, »schwachen«, eben »un- Jungen häufig, indem sie sich bewaff- bertät kommen. Der Gehirnforscher männlichen« Anteilen. nen. Trauer und Ohnmacht wird durch Prof. Gerald Hüther bescheinigt Jun- Aggressivität »kommuniziert«, Nähe gen bereits auf Grund ihrer biologi- Der Widerspruch zwischen hegemo- und Kontaktwünsche untereinander schen Ausstattung einen generell stär- nialen Männlichkeitsbildern und den durch Balgen und Raufen. Dadurch keren Bedarf an Zuwendung und Halt eigenen individuellen Empfindungen kann ein Junge sein Interesse, Bedürf- als Mädchen und benennt das männli- und Erlebnissen kann bei vielen Jun- nis oder Problem signalisieren, ohne che Geschlecht als das biologisch gen zu Verdrängungs- und Abspal- dass er dabei sein männliche Maske Schwächere4. tungsmechanismen führen, die sie von fallen lassen oder aus der Rolle fallen Das Aufwachsen und die Umwelt von bestimmten Empfindungs- und Ver- muss. Jungen ist überwiegend weiblich ge- haltensmöglichkeiten abschneiden. Mit derartigen Verhaltensweisen sto- prägt und dominiert. MANNE e.V. Potsdam Jungenarbeit und Gewaltprävention Modellprojekt 13
Sind Jungen besonders »rechtsextremistisch gefährdet«? Peter Moser Männlichkeit hat gesellschaftlich viel Abwertung findet aber auch häufig in Mädchen mehr im »Mittelfeld« blei- Kritik erfahren und ist durch die Pro- homogenen Lebenskontexten, also ben. zesse der Individualisierung und nicht unter Jungen und Männern statt. auch zuletzt infolge ihrer Infrage- Gegenüber hegemonialen Männlich- Der eigene Wert und die eigene Wich- stellung durch die Frauenbewegung keitsentwürfen stehen untergeordnete tigkeit muss bewiesen, die Position sehr brüchig geworden. Dies führt zu Formen von Männlichkeit, von denen behauptet werden; durch besondere einer weiteren Verunsicherung. Es man sich abgrenzt und deren Verhal- Leistungen, etwa durch besondere bleibt unklar, was denn Junge- und tensmuster z.B. als »schwul« abge- Souveränität, Coolness, Kreativität, später Mann-Sein heutzutage noch wertet werden5. Dies gilt, wie ich wei- Geschicklichkeit, Potenz, Kampfbe- bedeutet und welchen Wert dies hat - ter unten darstelle, besonders auch für reitschaft oder Einsatz. Männlichkeit gerade dann, wenn Frauen offensicht- rechtsradikale, soldatisch-faschisti- wird zu etwas, was man nicht natürlich lich auch ohne Männer alles genauso sche Männlichkeitsentwürfe. in sich trägt und das die vielfältigsten gut oder sogar besser machen können. Ausdrucksformen haben kann, son- Verwehrt die Jungenrolle die Integra- Die Beziehungen von erwachsenen dern zu einen Habitus, der erworben tion von Unterlegenheit oder anderen Männern und auch von Jungen unter- werden muss. Die vorhandene männ- »unmännlichen» Seinszuständen und einander sind häufig von Konkurrenz liche Vielfalt wird nicht zur Ressource, Gefühlen, »hilft« es den Jungen, sich und Hierarchie geprägt. Es existieren etwa für die eigene Selbstfindung und von Weiblichkeit generell abzugren- oft Rangordnungen, die bewältigt authentische Selbstverwirklichung, zen und diese abzuwerten. Hegemoni- werden müssen. Diese Tendenz wird sondern zur Bedrohung für das eigene ale Bilder von Weiblichkeit und noch dadurch verstärkt, dass die Männlichkeitsgefühl. Männlichkeit liefern hier entspre- Unterschiede auch zwischen gleichal- Der Kontakt zu anderen Jungen, z.B. chende geschlechtsbezogene Stereo- trigen Jungen oft sehr groß sind. Jun- in realen oder virtuellen Peergruppen typen wie beispielsweise: Frau - emo- gen scheinen in allem extremer zu ist dabei wichtigstes Übungs- und Be- tional, Mann - rational oder Mädchen sein. Sie sind oft an der »Spitze«, aber stätigungsfeld für Jungen beim Erler- - zickig, Junge - laut. ebenso häufig »ganz unten«, während nen des »richtigen« Jungenverhaltens. Foto: FrolleinSophie / photocase.com 14 Modellprojekt Jungenarbeit und Gewaltprävention MANNE e.V. Potsdam
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