Arbeitswelten der Zukunft - Leibniz-Institut für Raumbezogene ...
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No 91 | Oktober 2018 I RS AKTUELL Magazin für Raumbezogene Sozialforschung Arbeitswelten der Zukunft Kreative Routine? – Neue Perspektiven auf den Begriff Arbeit Digitalisierung – Lokales Handeln und virtuelle Räume Wissensökonomie und Kohäsion – Herausforderungen für Europa Erfolgreich evaluiert – Überzeugende Weiterentwicklung des IRS
In dieser Ausgabe Raum- und gesellschaftswissenschaftliche Perspektiven auf den Begriff Arbeit 5 Was wir meinen, wenn wir von „Arbeit“ sprechen 6 Digitalisiertes Arbeiten als Chance für ländliche Regionen 10 Wissensökonomien, Arbeitskräftemobilität und soziale Kohäsion in Europa 15 Zukunft der Arbeit: Kreative Startup-Szene oder Sieg der Routine? 18 Multifunktionale Dienstleister in einer digitalisierten Welt: Zur Arbeit von Stadtplaner/-innen gestern und heute 21 Nachrichten aus dem Institut 24 Personalien 45 Impressum 47
Liebe Leserinnen und Leser, „Arbeitswelten der Zukunft“ – das Thema des diesjährigen Wissenschaftsjahres hat uns angeregt, darüber nachzudenken, welchen Beitrag wir dazu aus der IRS-Forschung leisten können. Dass wir dabei fündig geworden sind, zeigen die Beiträge dieser Ausgabe von IRS aktuell. Unter der Überschrift „Was wir meinen, wenn wir von ‚Arbeit‘ sprechen“ berichten wir beispielsweise über unser „Brandenburger Regionalgespräch“, in dem wir Ende Juni dieses Jahres gemeinsam mit rund 30 Vertreter/-innen aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft darüber debattiert haben, welche Implikationen der Wandel der Arbeitswelten für die Region und den Raum haben. Einig waren sich die Expert/-innen darin, dass mit der Digitalisierung der Arbeitswelt einerseits die wissensintensiven Anforderungen an Arbeitnehmer/-innen und andererseits die sozialen und kommunikativen Anforderungen an das Individuum steigen. Ein anderes Beispiel: In einem Inter- view erläutern zwei IRS-Doktoranden wie sich die Dimensionen von räumlicher Nähe und Distanz unter dem Einfluss der Digitalisierung verändern und welche Folgen dies für die Organisation der Zusammenarbeit in Startups wie auch von Kreativität hat, die wir nicht nur als mentalen Prozess eines brillanten Individuums, sondern auch als kollaborative Leistung mehrerer Personen verstehen. Weitere Themen sind die Chancen der Digitalisierung für strukturschwache ländliche Regionen, die von arbeitsmarktbedingter Abwanderung betroffen sind, wie auch der Wandel der Arbeit von Stadt- planer/-innen in einer digitalisierten Welt. Über ein weiteres Ereignis können wir in diesem IRS aktuell berichten: über die positive Stellungnahme des Senats der Leibniz-Gemeinschaft vom 11. Juli 2018, mit der das wissenschaftliche Evaluierungsver- fahren des IRS erfolgreich abgeschlossen worden ist. Der Senat verweist auf die überzeugende Weiter- entwicklung des Gesamtkonzepts des IRS, die deutlich verbesserte Sichtbarkeit durch die Umbenennung in „Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung“ die gut profilierten und bis zu „sehr gut bis exzellent“ bewerteten Forschungsabteilungen, die überzeugenden Publikationsleistungen sowie die einzigartigen Bestände der Wissenschaft lichen Sammlungen zur Bau- und Planungsgeschichte der DDR. Er befürwortet einen von der Bewertungsgruppe empfohlenen Sondertatbestand für die wei- tere Erschließung der Sammlungsbestände über Datenbanken und Online-Angebote sowie für die Entwicklung modellhafter Verfahren für kleine Archive und Sammlungen. Unser Mitarbeiter Jan Zwilling, der seit Frühsommer 2012 die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des IRS in verantwortlicher Position ausgestaltet und damit an der Profi lierung des IRS mitgewirkt hat, hat auf eigenen Wunsch das IRS zum 15. August 2018 verlassen, um sich neuen beruflichen Heraus- forderungen zuzuwenden. In seiner über sechsjährigen Tätigkeit hat Herr Zwilling immer wieder unter Beweis gestellt, dass sein Engagement für Wissenschaft und Forschung weit über die eigentliche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit hinausgeht. Dafür danke ich ihm sehr herzlich, auch im Namen des gesamten Instituts. Ich freue mich sehr, dass wir mit Dr. Felix Müller, bisher Senior Researcher in der IRS-Forschungsabteilung „Dynamiken von Wirtschaftsräumen“, diese Funktion zeitnah und kompetent wieder besetzen konnten. Mit dieser Ausgabe von IRS aktuell möchte auch ich mich von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, verabschieden, da ich zum 01. Oktober 2018 altersbedingt aus dem IRS ausscheiden werde. Meine bisherige wissenschaft liche Stellvertreterin, Prof. Dr. Gabriela Christmann, wird das Institut bis auf Weiteres kommissarisch leiten. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. Prof. Dr. Heiderose Kilper IRS AKTUELL No 91 | Oktober 2018 3
Nachruf Prof. Dr. Werner Rietdorf Von Dr. Manfred Kühn und Prof. Dr. Christoph Bernhardt Der ehemalige IRS-Abteilungsleiter Werner Rietdorf ist am 9. April dieses Jahres im Alter von 79 Jahren in seiner Heimatstadt Luckenwalde verstorben. Werner Rietdorf wurde im Jahr 1939 in Luckenwalde geboren, studierte von 1958 bis 1964 Architektur an der Technischen Universität Dresden und promovierte dort im Jahr 1970 zum Dr.-Ing. Ab 1964 war er drei Jahre wissenschaftlicher Mit- arbeiter am Institut für Städtebau und Architektur (ISA) der Bauakademie der DDR, anschließend arbeitete er mehrere Jahre in der Bauabteilung des Kom- binates Kernkraftwerks-Bau Berlin. Zwischen 1970 und 1991 arbeitete Werner Rietdorf am Institut für Städte- bau und Architektur (ISA) der Bauakademie der DDR. Seine Ernennung zum Professor erfolgte 1978. 1982 wurde er Leiter der Abteilung Wohngebiete, ab Frühjahr 1991 stellvertretender Direktor des ISA. In seiner Zeit am ISA wurde die Entwicklung der Wohngebiete und insbesondere der Großwohnsiedlungen in der DDR zu seinem Lebensthema. Er veröffentlichte viele Bücher zu diesen Themen, u.a. gab er 1972 zusammen mit Siegfried Kress den reich illustrierten Bildband „Wohnen in Städten: Planung und Gestaltung der Wohngebiete“ heraus. Auf der Grundlage seiner Reisen in die UdSSR, benachbarte Länder und durch die DDR spezialisierte er sich auf das Thema „Neue Wohngebiete sozialistischer Länder“. Sein Interesse an Siedlungsstrukturen und seine Liebe zu Luftbildern spiegelte sich in der Herausgabe des Bildbandes „Überflug: Die DDR aus der Vogelperspektive“ im Jahr 1983 wider. In den letzten Jahren der DDR widmete er sich auch dem innerstädtischen Bauen und der Stadterneuerung. Als Mitarbeiter des ISA bis 1991 erlebte Werner Rietdorf den Niedergang der DDR, die „Wende“ 1989 und die deutsche Wiedervereinigung. Auf der Grundlage einer positiven Evaluation wurde er ab ersten Januar 1992 Mit- arbeiter des neu gegründeten IRS – damals „Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung“. Ab Juni 1992 hatte er die Position des Abteilungsleiters „Siedlungsstrukturelle Entwicklung“ im Institut inne, die er bis zu sei- nem altersbedingten Ausscheiden im Jahr 2002 behielt. Im IRS engagierte sich Werner Rietdorf zunächst für die Weiterentwicklung der Großwohnsiedlungen. In enger Kooperation mit dem damaligen Bundesbauministerium führte er in der Beratung zur Städtebauförderung eine Reihe von anwendungsbezogenen Drittmittelprojekten durch. Er zeigte sich aber auch offen für neue Ansätze, zum Beispiel der Selbsthilfe in Wohnungsbauprojekten. Mit dem Aufkommen von Leerstandsproblemen in vielen Großsiedlungen und der Schrumpfungsdebatte in der Stadtforschung Ende der 1990er Jahre, vollzog auch Werner Rietdorf seinen persönlichen Perspektivenwechsel auf die „Platte“. Als Mitglied einer Bund-Länder-Kommission zum Umgang mit städtebaulichen Leerständen engagierte er sich für den planmäßigen Abriss von Wohnungen und bereitete damit den „Stadtumbau Ost“ als städtebauliches Programm vor, mit dessen wissenschaftlicher Begleitung sich das IRS zu einem Kompetenz- zentrum auf diesem Gebiet entwickelte. In der Institutsleitung genoss Werner Rietdorf mit seiner Sachkenntnis und seinem ausgleichenden Wesen hohe Wertschätzung. Nach seinem Ausscheiden aus dem IRS hielt er den Kontakt und berichtete den ehemaligen Kolleg/-innen wiederholt in stark besuchten Dia-Vorträgen über seine Fernreisen. In den Wissenschaftlichen Sammlungen zur Bau- und Planungsgeschichte der DDR des IRS werden Unterlagen seines einflussreichen Wir- kens im Städtebau Ostdeutschlands aufbewahrt, die in letzter Zeit zunehmend das Interesse der historischen Forschung gewinnen. Werner Rietdorf wurde von seinen Kollegen sehr geschätzt. Das IRS wird ihm ein ehrendes Andenken bewahren. 4 IRS AKTUELL No 91 | Oktober 2018
Raum- und gesellschaftswissenschaftliche Perspektiven auf den Begriff Arbeit Der Wandel ist das zentrale Kennzeichen der Arbeitswelt. Kaum eine Generation hat keinen Umbruch in der Art und Weise, wie gearbeitet wird, erlebt – von der Einführung des Fließbandes bis zur Einführung einer bezahlten Elternzeit für Arbeitnehmer/-innen. Dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das Wissenschaftsjahr 2018 unter den Titel „Arbeitswelten der Zukunft“ gestellt hat, zeugt von einer Phase beschleunigten Wandels und vielen offe- nen Fragen zur Arbeit der Zukunft. Das Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung ist jedoch kein klassisches Arbeitsforschungsinstitut. Warum also eine Ausgabe von IRS aktuell zum Wissenschaftsjahr? Die Antwort lesen Sie hier und auf den folgenden Seiten. Arbeit ist einer der zentralen Organi- In der Forschungsabteilung „Dyna- Schließlich erlaubten Forschungen und sationsmechanismen unserer Gesell- miken von Wirtschaftsräumen“ wird eine Hospitation in einem Planungs- schaften. Die Übereinkunft, sich die beispielsweise erforscht, wie sich büro einer Doktorandin der Histori- Erledigung essenzieller Aufgaben des Wissenszirkulationen global ver- schen Forschungsstelle Einblicke in die Zusammenlebens zu teilen und darauf ändern und dabei sowohl neue digi- sich wandelnde Arbeitswelt der Raum- aufbauend immer komplexer werdende tale Kommunikationswege (und damit und Stadtplaner/-innen in Geschichte Tausch- und Entlohnungsprinzipien Möglichkeiten für Wissensaustausch, und Gegenwart (siehe Seite 21). zu entwickeln, hat vieles erst möglich Innovationen und ökonomische Pro- gemacht, was heute selbstverständlich zesse) als auch neue Orte der Arbeit wie ist: Die Spezialisierung bestimmter Coworking Spaces oder Labs entstehen Tätigkeiten, die Abkehr vom Sub- (siehe Seite 6). Zugleich erforschen die sistenzprinzip und damit die Heraus- Wissenschaft ler/-innen dort, welche bildung von Städten, wo jeder sein Auswirkungen Organisationsformen „Brot verdient“ und nicht selbst erzeugt. wie Seed-Acceleratoren auf die Start- Der Bogen lässt sich bis in die Gegen- up-Szene haben oder wie Organisa- wart schlagen, in der Arbeit das zent- tionen Kreativität gezielt fördern oder rale soziale Konstrukt ist, an dem die steuern können (siehe Seite 18). Menschen ihren Alltag und ihr Leben orientieren, und das das Fundament In der Forschungsabteilung „Kom- für alle wirtschaft lichen Kreisläufe ist. munikations- und Wissensdynami- ken im Raum“ stehen hingegen peri- Durch diesen Blickwinkel wird deut- pherisierte ländliche Räume im Fokus: lich, welche Bezüge die Forschungen Gemeinsam mit Dr. Mareike Meyn des IRS zur Arbeit haben: Die Fragen, (Andreas Hermes Akademie) spricht wie Zusammenarbeit von Menschen Abteilungsleiterin Prof. Dr. Gabriela räumlich organisiert ist, welche Poten- Christmann in einem Interview über ziale bestimmte Konfigurationen der die Chancen, die die Digitalisie- Zusammenarbeit für Innovationen und rung den von arbeitsmarktbedingter Kreativität in Organisationen haben Abwanderung betroffenen struktur- oder wie Migrationsbewegungen oder schwachen ländlichen Regionen bie- sozialräumliche Disparitäten direkt ten könnte (siehe Seite 10). mit dem Faktor Arbeit verbunden sind, zeigen die hohe Interdependenz In der Forschungsabteilung „Regenerie- des Faktors Arbeit und von Aspekten rung von Städten“ wurde kürzlich räumlich-gesellschaft licher Transfor- ein Projekt abgeschlossen, in wel- mation auf. chem Langzeitdaten zur Wirtschafts- struktur, zu den Arbeitsmärkten sowie An unterschiedlichen Punkten knüpfen der Binnenwanderung innerhalb der die Forschungen im IRS daher an das Europäischen Union ausgewertet wur- Thema des Wissenschaftsjahres 2018 an. den (siehe Seite 15). IRS AKTUELL No 91 | Oktober 2018 5
Was wir meinen, wenn wir von „Arbeit“ sprechen Es gibt in industrialisierten Gesellschaften ein traditionelles Bild davon, was in Bezug auf „Arbeit“ als normal angesehen wird: Ein geregeltes Einkommen, feste Arbeitszeiten, Aufstieg innerhalb eines Unternehmens, der wohlverdiente Ruhe- stand als Fernziel jeder Karriere, eine feste Rollenverteilung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und klare räum- liche und zeitliche Trennungen von Arbeit und Freizeit. Dieses Relikt aus industriell geprägter Zeit ist in den Köpfen der Menschen so manifest, dass es auch jenseits von Fließband- oder Fabrikarbeit lange Bestand hatte und bis heute als „normaler“ Maßstab an neue Arbeitsformen angelegt wird und auch den sozialen Sicherungssystemen zugrunde liegt. In der Praxis bröckelt es jedoch an vielen Stellen: Startup-Szene, global vernetzte Projektarbeit oder Arbeit als Selbst- verwirklichung sind einige Schlagworte, die aufzeigen, dass sich die Arbeitswelt derzeit nachhaltig verändert. In der IRS-Forschungsabteilung „Dynamiken von Wirtschaftsräumen“ sind mit neuen Orten der Arbeit wie Labs oder Cowor- king Spaces, neuen Organisations- und Arbeitsprozessen sowie mit Kreativität und Unsicherheit einige Aspekte dieses Wandels Gegenstand von raumbezogener Sozialforschung. Als das Bundesministerium für Bildung Arbeitswelt“ deutlich pluralistischer, als und Sicherheiten, die mit der Arbeit ver- und Forschung das Wissenschaftsjahr es ein Singular vermitteln könnte. Die knüpft sind. Das Nebeneinander von 2018 unter den Titel „Arbeitswelten der Variationen betreffen dabei nicht nur Schichtarbeit und Projektarbeit, von Zukunft“ stellte, war der Plural wohl- den professionell bedingten Arbeits- Home Office und Stempelkarte, von gewählt. Obgleich sich der Wandel der alltag, der sich beispielsweise bei einer Niedriglohnsektor und Beamtenlauf- Arbeit auf große, übergreifende Ent- Pflegekraft im Schichtbetrieb maß- bahn oder von Selbstverwirklichung wicklungen von hoher Relevanz für geblich von dem eines Lehrers unter- und notwendigem Übel sind wesent- nahezu alle Arbeitsbereiche bezieht – scheidet, sondern berühren funda- liche Kennzeichen von Arbeitswelten die Digitalisierung vieler Prozesse von mentale Fragen der Organisation von im Wandel. der Produktion bis zu Dienstleistungen, Arbeit, von Orten und Zeiten sowie von Beratung oder Management –, ist „die Fragen der Erwartungen, Perspektiven 6 IRS AKTUELL No 91 | Oktober 2018
Statt eines notwendigen abteilung, Prof. Dr. Oliver Ibert. Er Übels mit angemessener forscht mit seinen Mitarbeiter/-innen seit mehreren Jahren zur der Frage Entschädigung in Form veränderter Räumlichkeit durch glo- von Lohn oder Gehalt, balisierten Wissensaustausch. Digi- sehen viele Arbeitende tale Kommunikationsinfrastrukturen haben ermöglicht, dass sich Praktiker- heute ihre Tätigkeit als und Wissensgemeinschaften ohne phy- sinnstiftende sische räumliche Nähe herausbilden Selbstverwirklichung an. können, beispielsweise im Computer- spielbereich. Dadurch würden konkrete Orte jedoch nicht obsolet, nur in ihrer Funktion und Nutzung stark verändert, Teil des Wandels sind mehrere Prozesse, so Ibert, man denke an LAN-Events für die in ihrem Zusammenwirken die die Computerspiel-Industrie. Im aktu- Dominanz traditioneller Arbeitsmodelle ellen Leitprojekt seiner Abteilung spre- in Frage stellen. Wissenschaftler/-innen chen die Wissenschaftler/-innen daher in der IRS-Forschungsabteilung „Dyna- auch von „lokalen Ankern translokaler miken von Wirtschaftsräumen“ haben Wissensgemeinschaften“. einige dieser Prozesse näher untersucht. Was für den Wissensaustausch im All- Zunächst konstatieren sie einen erheb- gemeinen gilt, ist natürlich von zen- lichen Umbruch in der Organisation traler Bedeutung für Arbeitsprozesse von Arbeit, der durch die Zunahme von wird dabei nicht mehr nur monetäre aller Art: Längst gehört es zum All- Freelancer-Tätigkeit, projektartig orga- Kompensation erwartet, sondern auch tag, dass teils in physischer, teils in nisierter Arbeit, mobiler und Telearbeit symbolische Gratifikation, also das Tun virtueller Ko-Präsenz zusammen- sowie durch global vernetzte Kollabo- als sinnstiftendes Erlebnis oder als Bei- gearbeitet wird und sich dabei beide rationen sichtbar ist. Dies hat enorme trag zur Verbesserung des sozialen Formen durchdringen und über- Auswirkungen auf „Zusammenarbeit“ Zusammenlebens. lagern. Auch in der klassischen Pro- im klassischen Sinne, weil damit nicht duktion steigt die Translokalität vie- mehr die gleichzeitige Präsenz an Diese Transformationen haben wich- ler Prozesse, etwa wenn Messdaten von einem Ort verbunden sein muss. Es tige zeitlich-räumliche Komponen- der Produktionsschiene einer Auto- hat aber auch Implikationen für Fra- ten, betont der Leiter der Forschungs- gen sozialer Sicherheit, nicht nur, weil sich eine Absicherung durch die Sozial- Das physische systeme für Freiberufliche anders dar- Zusammentreffen an stellt als für Angestellte oder Beamte, attraktiv gestalteten sondern auch weil ein Wechsel zwi- schen diesen Systemen nicht vor- Orten offeriert die gesehen ist und daher mit erheblichen Abwechslung und Nachteilen einhergeht. Reibung, die für Der organisatorische Wandel bringt kreative oder innovative auch Veränderungen in der Räumlich- Arbeitsprozesse oft keit der Arbeit mit sich, durch ortsüber- nötig seien. greifende Kollaborationen und Arbeits- beziehungen, sowie auch durch neue Orte der Arbeit mit spezifischen loka- mobilfabrik zur Qualitätskontrolle len Eigenschaften. Nicht zuletzt wird online übertragen werden. Die von die Arbeit nicht mehr nur als Zweck- der Forschungsabteilung besonders gemeinschaft zwischen Arbeitgeber und intensiv beforschten „Open Creative Arbeitnehmer angesehen: Statt eines Labs“ zeigen auf, dass konkrete Orte notwendigen Übels mit angemessener als lokale Anker die digitale Wissens- Entschädigung in Form von Lohn oder zirkulation erst ermöglichen. Sie bieten Gehalt, sehen viele Arbeitende heute konkrete soziale Einbettung und mate- ihre Tätigkeit als sinnstiftende Selbst- rielle Ausstattung zur Ausübung einer verwirklichung an. Als Entlohnung Praxis. Ohne dies gäbe es das Wissen IRS AKTUELL No 91 | Oktober 2018 7
gar nicht, zu welchem sich Akteure – vornehmlich in nutzungsgemischten wandels in der Hauptstadtregion über Distanz austauschen. Zugleich Innenstadtquartieren wiederfinden. überlagern. Prof. Kuhn betonte in reichern gerade Open Creative Labs Das lokale Umfeld der Arbeitsorte wird seinem Beitrag zur Transformation diese Praktiken auch an, indem sie durch die enge Verflechtung von Freizeit der Lausitzer Seenlandschaft, dass es auch anderen Tätigkeitsfeldern eine und Arbeit wieder wichtiger. Viele die- entscheidend sei, möglichst früh und Heimat bieten und damit Gelegen- ser übergreifenden Entwicklungen sind dauerhaft tragfähige lokale und regio- heiten eröffnen, dass die anderweitig auch in Berlin und Brandenburg sichtbar. nale Spezifi ka des Strukturwandels getrennten Praktiken sich wechsel- seitig wahrnehmen und inspirieren, so Ibert. Das physische Zusammentreffen an attraktiv gestalteten Orten offeriert die Abwechslung und Reibung, die für kreative oder innovative Arbeits- prozesse oft nötig seien. Als zweiten übergreifenden Befund stellten die Wissenschaft ler fest, dass sich auf der Seite der Arbeiter die ide- Arbeitswelten im Wandel elle, zeitliche und räumliche Trennung Widersprüchliche Entwicklungslinien in der Region Berlin-Brandenburg von Freizeit und Arbeit immer stärker auflöst – die vielgestaltige Entgrenzung von Arbeit und Karrieren. Die Fluidi- Im Kontext des Wissenschaftsjahres hat und die damit verbundenen Chan- tät der Grenzen bedeutet beispielsweise, das IRS am 27. Juni 2018 ein „Branden- cen für dessen Gestaltung und Wett- dass die Freizeit in die Arbeit übergreift burger Regionalgespräch“ durch- bewerbsfähigkeit in den Blick zu neh- – symbolisiert durch den Kicker, die geführt, auf dem Vertreter/-innen aus men. Ansätze, wie die Entwicklung Tischtennisplatte oder das Sofa im Politik, Wirtschaft und Gesellschaft schwimmender Häuser auf den neu Arbeitsbereich vieler Startups – und gemeinsam darüber diskutiert haben, entstehenden Seen der Braunkohlerest- umgekehrt die Arbeit in die Freizeit welche Implikationen der Wandel für landschaft, seien vor 15 Jahren noch als ausstrahlt. Zum Beispiel nach „Dienst- die Region hat. Insbesondere waren die „Spinnerei“ diskreditiert worden, heute schluss“ die E-Mails checken, im Home widersprüchlichen Entwicklungslinien würde sich ihr wirtschaft liches und Office arbeiten oder das Strategiepapier der Metropole Berlin und der branden- damit auch arbeitsmarktpolitisches nicht im Büro zwischen neun und fünf burgischen Peripherie Thema, die nicht Potential erst voll zeigen. Daniel Pro- verfassen, sondern abends am heimi- unbeträchtliche Herausforderungen für rep ergänzte, dass die Digitalisierung in schen Schreibtisch. die Politik darstellen. Brandenburg zwar in vollem Gange sei, er die These vom „Jobkiller Digitalisie- Die Entgrenzung von Arbeit und Kar- Gemeinsam mit rund 30 Teilneh- rung“ aber nicht bestätigen könne. Pro- riere steht auch in einem Spannungs- mer/-innen diskutierten Prof. Dr. Oli- rep bezog sich auf den druckfrischen verhältnis zu bis heute einflussreichen ver Ibert und Prof. Dr. Suntje Schmidt Bericht „Arbeit 4.0 in Brandenburg“ städtebaulichen Idealen und Vor- unter der Moderation von Dr. Verena der WFBB. Karl Täuscher hob in sei- stellungen der Bauleitplanung, die ihre Brinks (alle IRS) mit Daniel Prorep von nem Statement auch die Schatten- Wurzeln wie das traditionelle Bild der der Wirtschaftsförderung Branden- seiten der Digitalisierung hervor, da Arbeit in der Hochphase der Indust- burg (WFBB), Rudolf Lange von der sich die Entlohnung der erweiterten rialisierung haben: Motiviert durch Agentur für Arbeit in Frankfurt (Oder), Erwerbsmöglichkeiten sozial höchst die Emissionen der Industrie und aku- Prof. Dr. Rolf Kuhn, Vorsitzender des ungleich verteilen und wenige Super- ten Platzmangel in den Innenstädten, IBA-Studierhauses Lausitzer Seen- stars einen Großteil der Belohnung für etablierte sich eine weitgehende Tren- land e.V. und ehemaliger Geschäfts- sich abschöpfen würden. nung von Wohnen und Arbeiten in führer der Internationalen Bauaus- den Städten der Moderne, die durch stellung (IBA) Fürst‐Pückler‐Land Einig waren sich die Experten darin, die Charta von Athen von 1933 als GmbH sowie Karl Täuscher von der dass mit der Digitalisierung der dominantes stadtplanerisches Leit- Universität Bayreuth. Arbeitswelt einerseits die wissens- bild verankert war. Der gegenwärtige intensiven Anforderungen an Arbeit- Wandel der Arbeitswelten läuft dieser In den Diskussionen wurde deutlich, nehmer/-innen und andererseits Orientierung nun teilweise entgegen, dass sich die übergreifenden Aspekte die sozialen und kommunikativen da sich die lokalen Anker der trans- des Wandels der Arbeitswelt mit den Anforderungen an das Individuum stei- lokalen Wissensgemeinschaften – ob es spezifischen Herausforderungen eines gen. Zu dieser Einschätzung kam auch nun ein Lab oder eine Webagentur ist andauernden regionalen Struktur- Rudolf Lange, der sich auf das Monito- 8 IRS AKTUELL No 91 | Oktober 2018
ring der Arbeitsagentur bezog. In der noch vor 15 Jahren im Gegensatz zu KONTAKT: Agentur für Arbeit in Frankfurt (Oder) heute keine strukturpolitische Rolle mache er zunehmend die Erfahrung, spielen konnten. „Insofern bedeutet dass lebenslanges Lernen inzwischen dann lebenslanges Lernen nicht nur eine Grundvoraussetzung sei, um die Anpassungsfähigkeit von Personen, sowohl technisch-digitale Vorgänge als sondern auch von Regionen“, sagte er in auch interkulturelle und soziale Fähig- seiner Abschlussbetrachtung. Prof. Dr. Oliver Ibert Tel. 03362 793 150 oliver.ibert@leibniz-irs.de Oliver Ibert ist Leiter der Forschungsabtei- lung „Dynamiken von Wirtschaftsräumen“ und Professor für Wirtschaftsgeographie an der Freien Universität Berlin. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Inno- vationsprozesse, neue Orte der Wissens- ökonomie und Resilienzforschung. In seinen Forschungen thematisiert er immer wieder Arbeitsprozesse im Kontext der (räum- lichen) Reorganisation wirtschaftlichen Handelns. keiten auf Dauer verstehen zu kön- Wie sieht es also aus, das neue Bild der nen. Dem schloss sich Prof. Schmidt Arbeit? Die Forschungen der Abteilung in ihrem Beitrag an. Umso wichtiger und die aktuellen Diskussionen zeigen, sei es, so Schmidt, angesichts des Wan- dass sich viel verändert hat: Wir arbei- dels seitens der Politik künftig mehr ten anders, mit anderen Motiven, ande- Prof. Dr. Suntje Schmidt Räume, Gelegenheiten und Strukturen ren Technologien und an anderen Orten. Tel. 03362 793 172 für lebenslanges Lernen und für den Doch nicht für alle ändert sich dies in suntje.schmidt@leibniz-irs.de dynamischen Wandel von Erwerbsbio- gleicher Weise und die Veränderungen Suntje Schmidt ist stellvertretende Leite- grafien bereit zu halten. Als inzwischen bieten Chance und Risiken für unter- rin der Forschungsabteilung „Dynamiken von Wirtschaftsräumen“ und Professorin dramatisch bezeichnete Rudolf Lange schiedliche Teile der Bevölkerung und für Angewandte Wirtschaftsgeographie an die Bewerbungslage in vielen Teil- unterschiedliche Regionen. Arbeit, das der Humboldt-Universität zu Berlin. In ihrer regionen Brandenburgs. Immer öfter ist auch 2018 nicht nur Selbsterfüllung, Forschung untersucht sie die räumliche Organisation der Kreation neues Wissens. könnten frei werdende Stellen nicht sondern Existenzgrundlage. Es ist Schwerpunkte legt sie auf die Frage der mehr besetzt werden. Junge Menschen, unveräußerliches Rückgrat der Öko- Partizipation in der Wissensgenerierung, Unsicherheiten und Resilienzstrategien auf so Lange, litten zunehmend unter nomie. Auch in globalisierten Arbeits- volatilen Arbeitsmärkten sowie die Bedeu- hoher Orientierungslosigkeit. Eine prozessen sind lokale Verankerungen tung offener Kreativorte für Partizipation und Resilienz. zentrale Aufgabe sieht er darin, die und regionale Interessen wichtig. So frühe Berufsorientierung für Jugend- bestätigt sich einmal mehr, dass es rich- liche gezielter zu fördern. tiger nicht sein kann, als von „Arbeits- welten“ im Plural zu sprechen. In den Statements kam schließlich immer deutlicher zum Ausdruck, wel- che hohe Bedeutung künftig der öffent- liche Umgang und die Haltung gegen- über dem Strukturwandel zukommen. Dr. Verena Brinks Tel. 03362 793 281 Prof. Ibert plädierte dafür, den Struktur- verena.brinks@leibniz-irs.de wandel nicht allein nach heutigen Maß- Verena Brinks arbeitet als wissenschaftli- stäben zu bewerten, sondern als Weg che Mitarbeiterin in der Forschungsabtei- zu verstehen, auf dem es im Zeitver- lung „Dynamiken von Wirtschaftsräumen“. lauf gelte, neue spezifische Gelegen- Neben Innovationsprozessen stehen Open Creative Labs als neue Orte der Wissens- heiten und Entwicklungen zu identi- arbeit im Fokus ihrer Forschungen. Derzeit fizieren, die erst im Wandelungsprozess ist sie Teil eines Projektteams, das die Rolle von Beratung bei der Schaffung und Nut- erkennbar würden. Als Beispiel nannte zung von „Gelegenheiten“ in Krisenverläu- Ibert Coworking Spaces und Labs, die fen untersucht. IRS AKTUELL No 91 | Oktober 2018 9
Digitalisiertes Arbeiten als Chance für ländliche Regionen Die Suche nach einer sicheren Arbeit mit guten Entwicklungsperspektiven ist eines der zentralen Motive für die Abwanderung insbesondere junger und gut qualifizierter Menschen aus ländlichen Regionen. Dieser simple Mechanismus hat weit- reichende Folgen, denn wer nicht mehr im Heimatdorf wohnt, fragt dort keine Infrastruktur nach oder bringt sich nicht mehr in die Diskurse vor Ort ein. Ein für periphere Regionen oft unumkehrbarer Kreislauf, denn Negativdiskurse oder schlecht genutzte und daher oft marode Infrastruktur erhöhen den Abwanderungsdruck. Mit dem Schlagwort „Digi- talisierung“ verbinden sich Hoffnungen, diese Kreisläufe zu durchbrechen: Ein Dorf mit Breitbandanschluss könnte für bestimmte Arbeiten nahezu dieselben Standortbedingungen bieten wie ein Lab in einer Metropole, so eine Denkrichtung. Ob dies Wunschdenken oder realistische Chance für Landgemeinden ist und welche Facetten die Digitalisierung für länd- liche Räume noch aufweist, beleuchten Mareike Meyn, Referentin bei der Andreas Hermes Akademie dialog ländliche räume, und Prof. Dr. Gabriela Christmann, Leiterin der IRS-Forschungsabteilung „Kommunikations- und Wissensdyna- miken im Raum“ in einem gemeinsamen Gespräch. Frau Meyn, Frau Christmann, was sind nur über ihre Defizite wahrgenommen schwachen Regionen leiden zudem denn typische Problemlagen struktur- werden. Natürlich gibt es weiterhin erheblich darunter, dass die Nahver- schwacher ländlicher Regionen? strukturschwache Regionen und die sorgung unzureichend ist und es nur Notwendigkeit, etwas dagegen zu sehr reduzierte ÖPNV-Angebote gibt. Meyn: Da muss ich schon gleich ein- unternehmen. In der Öffentlichkeit Vor diesem Hintergrund sehen viele haken: Alleine die Kennzeichnung vermisse ich aber oft eine positive Menschen auf dem Land keine Chan- einer Region als „strukturschwach“ hat und dabei nicht romantisch-verklärte cen mehr für sich. Bis heute führt dies eine negative Signalwirkung. Richtig Stimme für ländliche Räume. immer noch dazu, dass sowohl jüngere ist: Es gibt in Deutschland ländliche Menschen als auch Personen mittle- Regionen, die schwierige Ausgangs- Christmann: Das sehe ich auch so. Das ren Alters abwandern und in städti- lagen in den klassischen Bereichen größte Problem liegt dennoch in einer sche Gebiete ziehen. Als ein weiteres Wirtschaft und Infrastruktur haben. unterdurchschnittlichen wirtschaft- großes Problem ist daher eine stark Das betrifft vor allem Mobilität und lichen Produktivität sowie in geringen zunehmende Alterung der ländlichen Daseinsvorsorge. Wichtig ist jedoch, Ausbildungs- und Berufsperspektiven. Gesellschaft zu nennen – mit den damit dass ländliche Regionen nicht immer Landbewohner/-innen in struktur- 10 IRS AKTUELL No 91 | Oktober 2018
verbundenen Problemen der Gesund- die nicht wegziehen möchten und Hier möchte ich wohnen und arbei- heits- und Pflegeversorgung. immer mehr Menschen in den Städ- ten! Beispiele hierfür gibt es zuhauf ten, die von einem Leben auf dem Land wie etwa die „Allgäuer Job-Challenge“, Abwanderung scheint ein träumen. Zudem sitzen viele „hidden bei der eine Bloggerin ein halbes Jahr Schlüsselproblem zu sein, das mit champions“ auf dem Land, sie sind auf in 30 Jobs eintaucht und über ihre vielen anderen in wechselnden der Suche nach Fachkräften und ver- Erfahrungen und die Region bloggt. Ursache-Wirkungs-Zusammen- suchen, diese anzuwerben. Dass hier Weiße Flecken auf der Landkarte sicht- hängen verbunden ist. Welchen dann eben nicht nur die Arbeit stim- bar und damit erfahrbar zu machen, Stellenwert haben denn Arbeits- men muss, sondern auch das Umfeld, ist eine wichtige Herangehensweise. So markt-Perspektiven für die Ent- lässt sich schnell ableiten: Ist ein Dorf- zeigen die US-amerikanischen „Sili- scheidung, eine Region zu verlassen? laden vor Ort? Können meine Kinder con Prairie News“ die (ländlichen) in die Schule gehen und wie sieht das Innovationsstandorte außerhalb des Christmann: Natürlich sind fehlende feierabendliche Entertainment aus?, Silicon Valleys, von denen vorher kaum Berufsperspektiven ein zentrales sind hier nur einige Fragen, die die berichtet wurde. Dabei gilt: Die Infor- Problem für die Menschen auf dem Wohnortwahl beeinflussen. mationen müssen im Internet verfüg- Land. Aus Umfragen wissen wir, dass bar sein. Ist etwas nicht im Netz, exis- sie das Landleben durchaus schät- Es scheint ein Henne-Ei-Problem tiert es heutzutage für den Großteil der zen, den einen oder anderen Nach- zu sein: Es gibt wenig gute Arbeit Bevölkerung nicht. teil dort in Kauf nehmen und in ihrer für Qualifizierte und zugleich finden Region bleiben würden, wenn sie eine Firmen wenig qualifiziertes Personal. Die Arbeitswelt verändert sich Chance hätten, sich beruflich dort zu An welcher Stelle kann man denn derzeit rasant und mit der Digitali- verankern. Statistiken zeigen außer- ansetzen, um diesen Teufelskreis zu sierung verbindet sich die Hoffnung, dem, dass es typischerweise junge durchbrechen? dass die strukturschwachen länd- qualifizierte oder sich qualifizierende lichen Regionen die Abwärtsspiralen Menschen sowie Menschen mittle- Christmann: Es gibt bereits viele durchbrechen können. Worin liegen ren Alters sind, die den Regionen den Lösungsansätze für dieses Problem. denn die Potenziale der Digitalisie- Rücken kehren. Es liegt nahe, anzu- So kann eine enge und dauerhafte rung für den ländlichen Raum? nehmen, dass sie dies angesichts feh- Kooperation zwischen Schulen und lender Bildungs- oder Job-Angebote Betrieben dafür sorgen, dass auf bei- Christmann: Es gibt durchaus eine tun. Indem sie abwandern, setzen sie den Seiten Berührungsängste und Vor- beachtliche technologische Durch- in strukturschwachen Gebieten inso- urteile abgebaut und Auszubildende dringung der Landwirtschaft. Das fern eine Abwärtsspirale in Gang, als schon in der Schlussphase ihrer Stichwort lautet „Kuhstall 4.0“, um sich wirtschaft liche Entwicklungs- schulischen Ausbildung gewonnen nur ein Beispiel für Digitalisierungen chancen dieser Gebiete wegen feh- werden. Jeder Betrieb hat auch die in der Landwirtschaft zu nennen, das zu lender Fachkräfte verschlechtern. Die Möglichkeit, seine Ausbildung inte- Veränderungen geführt hat. Zum einen wenigen existierenden – lokal oder ressant zu gestalten – beispielsweise ändert sich dadurch die Tätigkeit der regional ansässigen – Unternehmen durch Auslandsaufenthalte von Azu- Bauern selbst, zum anderen können finden kaum noch qualifizierte bis in Partnerunternehmen. Quali- weitere Effizienzsteigerungen in der Arbeitskräfte. Mit der Abwanderung fizierte Mitarbeiter/-innen lockt man Landwirtschaft erzielt werden. Nicht von sehr gut Ausgebildeten ist es auch eben nicht nur durch eine bessere Ver- zuletzt können Bauern am Wissensfluss eine Frage, wie kleine Unternehmen gütung, sondern auch mit Hilfe von in globalisierten agrartechnologischen vor Ort im weltweiten Konkurrenz- modernen Arbeitszeitmodellen, einem Communities partizipieren. Das Digi- kampf mit anderen Unternehmen über- guten Betriebsklima oder einer guten tale eröffnet zudem neue Vertriebswege haupt innovativ sein können. Da sich Vereinbarkeit von Familie und Beruf. für Produkte, die in strukturschwachen Hochqualifizierte – neben dem Beruf Räumen hergestellt werden, zum Bei- – oft für gesellschaft liche Belange Meyn: Weiterbildung und Bildung sind spiel für den exquisiten Kräuter-Ziegen- verschiedenster Art engagieren, feh- aus meiner Sicht essenziell. Hierfür käse eines Hofladens, der sich vor Ort len mit ihrem Weggang nicht zuletzt sind nicht nur Kooperationen zwischen ohne den überregionalen Vertrieb gar auch zivilgesellschaft liche Impulse in Unternehmen und Schulen wichtig, nicht halten könnte. Abgesehen von der der Entwicklung neuartiger Lösungs- sondern auch Weiterbildungsmöglich- Arbeit in der Landwirtschaft eröffnet ansätze für ländliche Problemlagen. keiten innerhalb und außerhalb der die digitale Kommunikation natür- Unternehmen. Auch die Öffentlich- lich auch die Möglichkeit des ortsun- Meyn: Für Arbeitnehmer/-innen war keitsarbeit ist von zentraler Bedeutung, gebundenen Arbeitens vieler anderer der Zugang zum Arbeitsmarkt schon denn nur wenn sich eine Region positiv Arbeitnehmer/-innen, die auf dem Land immer ein wichtiger Aspekt der Wohn- ins Licht rückt, ihre Vorzüge hervor- wohnen. Zumindest lassen sich viele ortwahl. Allerdings gibt es auch viele hebt und mögliche Arbeitgeber prä- Office-Jobs partiell sehr gut im Home Bewohner/-innen ländlicher Räume, sentiert, entwickelt sich der Gedanke: Office erledigen. IRS AKTUELL No 91 | Oktober 2018 11
Meyn: Digitalisierung entkoppelt von wird und die Unterschiede zwischen Regierung, dies zu ändern. Wichtig Raum und Zeit und führt dazu, dass Stadt und Land aufgehoben werden. ist, dass man sich auf der Forderung die Karten ein Stück weit neu gemischt Beim dritten Modell geht es um neue nach Breitband nicht ausruht, sondern werden können. Wenn ein Dorf mit Fördermöglichkeiten. Hier wurde ein bereits mit vorhandenen Ressourcen Highspeed Internet ausgestattet ist, „Ministerium für endogene Potenziale“ den digitalen Wandel einleitet. So bietet dies einen enormen Standortvor- erdacht, welches Innovationen fördert könnte schon jetzt jede Dorfstraße teil bis hin zu einem möglichen Vor- statt Defizite auszugleichen. freies Internet bereitstellen, denn sprung gegenüber Städten. Schließlich durch die Abschaff ung der Störer- sind auf dem Land oftmals die Ressour- Wenn es so viele Chancen gibt, haftung können Betreiber öffentlicher cen zu finden, die Städter missen: fri- warum können dann die Potenziale W-LAN Hotspots nicht für Urheber- sche Luft, Platz, Natur, um nur einige nicht ausgeschöpft werden? Woran rechtsverletzungen belangt werden. zu nennen. Diese sind im Übrigen hapert die Digitalisierung im länd- Der Bewusstseinswandel, der mit der auch nachweislich wichtig, um krea- lichen Raum? Digitalisierung einhergehen muss, tive Ideen zu entwickeln. So bekommt braucht aber Zeit. Schließlich müssen die Geschäftsidee der Gemeinschafts- Christmann: Dafür gibt es zahlreiche viele Bereiche völlig neu und in Ver- büro-Arbeitsplätze, des „Co-Wor- Gründe, von denen der mangel- netzung gedacht werden. king“, auf dem Land eine völlig neue hafte Breitbandausbau nur die Bedeutung. Wichtig ist, dass man die Spitze des Eisbergs darstellt. Auf der Digitalisierung erfordert eine neue Menschen dabei mitnimmt und sensi- Seite der Betriebe gibt es beispiels- Verantwortungs-, Zuständigkeits- bilisiert für die Potenziale der Digitali- weise Unsicherheiten im Umgang und Raumstruktur, denn während sierung und immer nach dem Grund- mit IT-Technik und -Sicherheit. hierzulande das Silo- und Zuständig- satz agiert: Nur was gebraucht wird, Diese Unsicherheiten werden durch keitsdenken herrscht, ist dies in der wird auch genutzt! So hat die And- anspruchsvolle Rechtsetzungen wie Logik der digitalen Welt erst einmal reas Hermes Akademie in Zusammen- Datenschutzrichtlinien oder Urheber- nicht vorgesehen. Diese Freiheit klug arbeit mit dem Fraunhofer Center for rechte nicht gerade geringer. Auf der zu nutzen, ist wichtig und bedarf eini- Responsible Research and Innovation Seite der Landbewohner fehlt zuweilen ger Sensibilisierung. Menschen müs- mit Menschen vom Land ihre digita- auch schon mal die nötige Offenheit sen über die Möglichkeiten der Digi- len Zukunftsvisionen für übermorgen gegenüber der Digitalisierung. talisierung aufgeklärt werden: Was erarbeitet. Herausgekommen sind drei kann die Blockchain-Technologie für Modelle, die die digitalen Möglich- Meyn: Natürlich muss die notwendige meinen Handel tun? Wie kann ich mit keiten ländlicher Räume mit Visions- Infrastruktur geschaffen werden. Ohne Hilfe von digitalen Tools den Grund- kraft und Bodenhaftung beleuchten: schnelles Internet ist die Gleichwertig- schülern eines peripheren Dorfes die Ein Modell beleuchtet die radikale keit der Lebensverhältnisse nicht globale, vernetzte Welt näherbringen? Vernetzung eines Dorfes, ein weiteres gegeben. Zurzeit sind die ländlichen sind nur Beispielfragen – die persön- die dynamischen Sphären einer Region, Räume leider digitale Resträume, doch lichen Fragen muss sich jeder selbst bei der heute Statisches morgen mobil es gibt das erklärte Ziel der jetzigen stellen. Damit dies geschieht, braucht 12 IRS AKTUELL No 91 | Oktober 2018
es qualifizierte Moderatoren, die den sind, wird auch der digitale Arbeits- Meyn: Im internationalen Vergleich Prozess anstoßen und dabei die Bedarfe markt kein alleiniges urbanes Phäno- hinkt Deutschland bei der flächen- der Menschen vor Ort nie aus dem men sein. deckenden Versorgung mit Breitband Blick verlieren. hinterher. Zoomt man in einzelne Christmann: Aus meiner Sicht kann ich Regionen Deutschlands, sieht man: Dennoch scheint die digitale zwei wesentliche Gründe für die Stadt- Die Breitbandverfügbarkeit variiert je Dynamik im Arbeitsmarkt eher ein zentrierung betonen. Auf der einen nach Bundesland und nach Gemeinde- urbanes Phänomen zu sein. Woran Seite ist der Teil des Arbeitsmarktes, prägung. Je städtischer der Raum, desto liegt das? der sich derzeit im rasanten Wandel größer die Breitbandverfügbarkeit. Die durch die Digitalisierung befindet, im ländliche 50 Mbit/s Versorgung liegt Meyn: Dezentralität ist ein Charak- Wesentlichen von wissensintensiven laut dem aktuellen Breitbandatlas mit teristikum der digitalen Welt. Digi- Tätigkeiten geprägt – und das für die 43 Prozent mit einer Differenz von tale Echtzeitkommunikation ist aus Wissensökonomie nötige diversifizierte mehr als 50 Prozentpunkten hinter allen Ecken der Welt möglich. Digi- und reichhaltige Bildungssystem kön- den Städten. Im EU-Vergleich liegt dies tale, dynamische Arbeitsmärkte nen nur die großen Städte bieten. Von unterhalb des durchschnittlichen Wer- machen auch vor dem Land nicht der anderen Seite betrachtet, pfle- tes. Letztes Jahr war ich in den USA halt, so gibt es z.B. bereits jetzt digi- gen digital vernetzte Wissensarbeiter und habe dort geschaut, inwieweit die tale Arbeitsnomaden, die gerade typischerweise einen urbanen Lebens- Möglichkeiten der Digitalisierung auf die ländliche Idylle in Brandenburg stil. Ihre Inspiration beziehen sie aus dem Land genutzt werden. Auch dort bevorzugen. Allerdings sind hierfür kultureller Vielfalt und internationaler sieht die Infrastruktur für den Inter- einige Voraussetzungen notwendig. Diversität. Auch dies ist etwas, was das netzugang nicht gut aus – die „digital So benötigt es nach dem amerika- Land nicht bieten kann. divide“ klafft weit zwischen den digita- nischen Wirtschaftswissenschaft ler len, städtischen Blasen und den oftmals Richard Florida Talent, Technologie abgehängten ländlichen Räumen. Und und Toleranz, damit sich eine krea- Kürzungen im föderalen Budget für die tive Wirtschaft formieren kann. Wo die Entwicklung ländlicher Räume, wel- drei T zusammenkommen, kumulieren ches auch den Breitbandausbau beein- sich Humankapital, Infrastruktur und flusst oder die Abschaff ung der Netz- Lebensqualität und der Region geht es neutralität, sind Entscheidungen, die gut. Talente, die Know-how und intel- die digitale Entwicklung ländlicher lektuelle Fähigkeiten mitbringen, sind Räume in den USA einschränken. essenziell für die Entwicklung einer Region. Diese Talente können sich Digitalisierung bedeutet allerdings aber mittlerweile aussuchen, wohin sie viel mehr als nur eine gute Breitband- gehen; der „war for talents“ ist ein glo- infrastruktur. Sicher, sie ist hierfür baler – nicht nur Arbeitnehmer/-innen eine Voraussetzung. Aber um eine konkurrieren weltweit, sondern auch wirkliche Nutzbarmachung zu ermög- Unternehmen müssen attraktiv sein, lichen, bedarf es einer Strategie, wie dies auch öffentlich bewerben und ggf. Roberto Gallardo vom Extension Ser- sogar dort ansiedeln, wo ihre poten- vice in Mississippi mir erklärte. Der ziellen Mitarbeiter/-innen wohnen. Extension Service ist im ländlichen Dabei ist die Infrastruktur, die Techno- Trotz vielversprechender Ansätze Raum der USA verankert und dort logie ausschlaggebend. Gibt es nur scheint die Digitalisierung ländlicher wichtiger Ansprechpartner für land- unzureichende Internetgeschwindig- Räume in Deutschland noch nicht wirtschaft liche Fragestellungen und keit, ist auch eine Nachbarschaft in wirklich in Gang zu kommen, man Dorfentwicklung. Hier ist auch das Berlin unattraktiv – für Talente wie könnte von digitalen Wüsten „Intelligent Community Institute“ für Unternehmen gleichermaßen. Ein sprechen. Wie sieht es in anderen angegliedert, mit dem Ziel, Dörfer in wichtiger Punkt in Floridas Theorie der Ländern aus? Mississippi auf ihren Weg in das digi- drei T ist die Toleranz. Damit meint tale Zeitalter zu begleiten. Dabei ist ein er Toleranz für andere Lebensstile, Christmann: Von Wüsten würde ich wichtiger Schritt, die Menschen vor Ort Offenheit für Minderheiten, Migran- nicht sprechen. Freilich könnte die für die Potenziale der digitalen Welt zu ten, Künstler etc. Jedes Dorf ist somit Digitalisierung aber in ländlichen sensibilisieren und eine Kultur des Aus- gefragt: Gibt es bei uns ein toleran- Gebieten schon weiter sein. Land- tauschs zu etablieren. Die intelligenten tes Klima, in dem Zugezogene und bewohner/-innen fordern das auch Gemeinschaften im ärmsten Bundes- wir uns wohl fühlen? Wenn die drei zunehmend ein. Doch Frau Meyn kann staat der USA zeigen: Die eigentliche T, die miteinander einhergehen, auch dazu sicher mehr sagen. Hürde für ein digitales Empowerment in den ländlichen Räumen zu finden ist nicht nur die fehlende Infrastruktur, IRS AKTUELL No 91 | Oktober 2018 13
sondern steht und fällt mit der Moti- probieren können, sei es am 3-D-Dru- KONTAKT: vation und Vorstellungskraft der Men- cker, Lasercutter oder beim Program- schen vor Ort. Diese Herangehensweise mieren. Gerade auf dem Land braucht könnte auch ein Vorbild für Dörfer in es analoge Orte für den Austausch, dass Deutschland sein. diese dann auch digital angereichert sind und alle Möglichkeiten neuester Digitales ist ja nicht nur Selbstzweck, Technologien anbieten, finde ich sehr sondern macht auch viele Anschluss- wichtig. aktivitäten möglich. Am IRS steht künftig auch das Zusammenwirken Welche politischen Handlungs- Prof. Dr. Gabriela Christmann digital-technischer und sozialer empfehlungen lassen sich aus diesen Tel. 03362 793 270 Innovationen auf dem Land im Erkenntnissen und Erfahrungen gabriela.christmann@leibniz-irs.de Fokus der Forschung. Welche Bei- ableiten? Wie kann die Digitalisie- spiele gibt es denn dafür? Welche rung ländlicher Räume in Deutsch- Gabriela Christmann ist Leiterin der Rolle spielt die Digitalisierung für land unterstützt und gefördert wer- Forschungsabteilung „Kommunikati- ons- und Wissensdynamiken im Raum“ die Innovationsfähigkeit struktur- den? und außerplanmäßige Professorin für schwacher Regionen? Raum-, Wissens- und Kommunikations- Meyn: Digitalisierung führt dazu, dass soziologie an der Technischen Universi- Christmann: Keine Frage: Digitale eine Dezentralisierung möglich ist. tät Berlin. Zu ihren Forschungsschwer- Geschäftsmodelle können auch auf Warum müssen Universitäten, staatliche punkten zählen unter anderem soziale dem Land entwickelt werden. Und Institutionen, Organisationen, aber auch Innovationen in der Stadt- und Regio- nalentwicklung, auch und insbesondere mit Hilfe der Digitalisierung können Unternehmen in den großen Städten sit- im Kontext von strukturschwachen bestimmte Herausforderungen auf zen? Wenn u.a. in Bezug auf die digitale ländlichen Regionen. dem Land bewältigt werden. Aller- Infrastruktur die Gleichwertigkeit der dings würde ich die Digitalisierung Lebensverhältnisse gegeben ist, wage ich nicht als zwingende Notwendigkeit die These, dass es eine Renaissance der für die Innovationsfähigkeit struktur- ländlichen Räume gibt und der Trend schwacher Regionen betrachten. Die zur sozialräumlichen Polarisierung auf- Innovationsfähigkeit ist entscheidend gebrochen werden kann. abhängig von Schlüsselfiguren, Netz- werken, Ideenreichtum, Wissen und Christmann: Die Digitalisierung des Kompetenzen sowie dem Mut, neue ländlichen Raumes ist kein Selbst- Wege zu beschreiten. läufer. Der Staat ist gefordert, in Mareike Meyn Tel. 030 58 63 20 673 eine zukunftsfähige Infrastruktur m.meyn@andreas-hermes-akademie.de Meyn: Ja, Schlüsselfiguren und Netz- zu investieren. Er muss die Förder- werke sind wichtige Stichworte. Auf impulse setzen, damit Unternehmen Mareike Meyn gehört zum Team der dem Land hängt es oft an ihnen, etwas die Chancen der Digitalisierung nut- Andreas Hermes Akademie (AHA). Sie ist in Gang zu schieben und eine Region zen und die Risiken der Digitalisierung Geschäftsführerin der Plattform Länd- attraktiv zu machen. So gibt es z.B. die minimieren. Das tut er beispielsweise liche Räume und Referentin im AHA dialog ländliche räume. der Andreas Hermes Akademie, um mit dem Programm „go-digital“. Es ist eben jene engagierte, querdenkende aber auch die Aufgabe des Staates, in Menschen hervorzuheben und die eine leistungsfähige, digitalisierte Ver- Power einer Region zu betonen. Mit waltung zu investieren und die nöti- Hilfe digitaler Möglichkeiten ist die gen Regelungen für digitale Services Vernetzung der Schlüsselfiguren viel wie eine telemedizinische Versorgung einfacher geworden und auch Netz- zu treffen. werke können sich weiter stärken und miteinander arbeiten. Digitalisierung fördert Kollaboration, eine Arbeits- weise, die oft zu Innovationen führt. Ideen entstehen aber nicht nur über Impulse von außen, sondern auch vom Mut und der Möglichkeit, etwas aus- probieren zu können. So bin ich ein großer Fan der Labs, die es mittlerweile auch auf dem Land gibt und in denen Menschen ihre Ideen einfach aus- 14 IRS AKTUELL No 91 | Oktober 2018
Wissensökonomien, Arbeitskräfte- mobilität und soziale Kohäsion in Europa Zwischen Beschäftigung, Mobilität und Migration besteht bekanntermaßen ein enger Zusammenhang. Die Aussicht auf eine dem Ausbildungsniveau angemessene Beschäftigung ist ein wichtiger Anreiz zur Migration. Andererseits folgen nicht nur die Menschen den Jobs. Auch Firmen setzen auf ein lokales Arbeitskräftereservoir, wenn sie Standortent- scheidungen treffen – und zwar ganz besonders im Bereich der hochqualifizierten Beschäftigung. Welch große Dynamik sich aus diesem Zusammenhang entwickeln kann, haben viele Regionen Ostdeutschlands nach der Wiedervereinigung erlebt: Auf ökonomische Umbrüche folgten Arbeitsplatzverluste und Abwanderungen mit erheblichen Folgen für die sozialräumlichen Disparitäten. Die jüngst abgeschlossene, im Rahmen des Europäische Forschungsnetzwerk für Raum- entwicklung und territorialen Zusammenhalt (ESPON) erstellte Studie „The Geography of New Employment Dynamics in Europe“ widmet sich den Chancen und Risiken, die sich aus der Entwicklungsdynamik der Wissensökonomie und den damit verbundenen Migrationsbewegungen für die soziale Kohäsion in Europa ergeben. Die Studie konzentriert sich auf die letzten 15 Jahre. Mit Hilfe qualitativer Teilstudien (Szenarien, regionale Fallstudien und Policy-Analysen) identifiziert sie Handlungsperspektiven für die europäischen Regionen. Die Studie wurde von der IRS- (zu Berlin und Mecklenburg-Vor- großen und kleinen Bundesländern, Forschungsabteilung „Regenerierung pommern). Das umfangreiche Karten- inklusive Stadtstaaten, sowie Teilein- von Städten“ gemeinsam mit dem Isti- werk wurde in der Kartenwerkstatt der heiten großer Flächenländer. Die Aus- tuto per la Ricerca Sociale in Mailand Technischen Universität Berlin erstellt. wertung der verfügbaren quantitativen und dem Institute for Employment Indikatoren – etwa Bevölkerungsanteil Studies in Brighton von Mai 2016 Das Fundament der Studie bildet eine mit Hochschulausbildung, Größe des bis November 2017 erarbeitet. Die quantitative Erfassung der Dynamik Forschungs- und Entwicklungssektors Forschungsabteilung brachte hier ihre der Wissensökonomie in der EU ins- sowie Ausstattung mit Forschungs- konzeptionelle Expertise zu Fragen von gesamt und auf Ebene der NUTS-2 einrichtungen und Hochtechnologie- Migration, Mobilität und sozialräum- Regionen (Nomenclature des unités firmen – machte deutlich, dass die licher Entwicklung ein. Sie erarbeitete territoriales statistiques). In Deutsch- Bedeutung der Wissensökonomie in zwei von sechs regionalen Fallstudien land entspricht diese Ebene mittel- der vergangenen Dekade überall in IRS AKTUELL No 91 | Oktober 2018 15
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