BAYERISCHER GEMEINDETAG 11/2022
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BAYERISCHER GEMEINDETAG 11/2022 VERBAND KREISANGEHÖRIGER STÄDTE, MÄRKTE UND GEMEINDEN KÖRPERSCHAFT DES ÖFFENTLICHEN RECHTS
INHALT QUINTESSENZ GUT INFORMIERT INHALTSVERZEICHNIS WICHTIGES IN KÜRZE ÜBERSENDUNG VON 353 QUINTESSENZ GERICHTSENTSCHEIDUNGEN AN DIE GESCHÄFTSSTELLE Die Auskunfts– und Beratungstätig- 355 EDITORIAL keit der Geschäftsstelle hängt in einem hohen Maße davon ab, wie gut der Informationsfluss zwischen FACHBEITRÄGE Mitgliedskörperschaften und der Ge- schäftsstelle ist. Wir bitten deshalb 356 Johann Böhm THEMA DES MONATS Gemeinden und Städte, aber auch Papier zu bringen und sie der ge- unsere Mitglieder dringend, uns ge- 50 Jahre Gebietsreform – Ein Rückblick die vielen Landkreise fühlten sich ei- neigten Leserschaft zugänglich zu richtliche Entscheidungen umgehend GEBIETSREFORM nerseits „wohl“ in ihrer Rolle mit viel machen. Das Hauptstaatsarchiv zu überlassen und uns über anhängige 361 Gerhard Fürmetz und Rainer Jedlitschka Kaum ein anderes Thema bewegte in Lokalkolorit; andererseits dämmerte hat sich dankenswerter Weise dazu Verfahren bei den Verwaltungsgerich- Neues Design für Schwaben – Wie die Gebietsreform von 1972 den 70er Jahren des letzten Jahrhun- es nicht wenigen Kommunalpolitikern bereiterklärt, einen bereits in der Bei- ten oder bei den obersten Bundesge- einen Regierungsbezirk und seine Kommunen verändert hat. derts die Gemüter in Bayern so wie und auch der Bayerischen Staats- lage „Unser Bayern“ der Bayerischen richten zu informieren, damit andere die Gebietsreform. Zumindest, wenn regierung, dass es so auf Dauer nicht Staatszeitung erschienen Aufsatz Mitglieder schnell und zeitnah von die- 370 Josef Mend man Kommunalpolitiker oder Verwal- weitergehen konnte. Eine moderne, beizusteuern. Alle Abbildungen im sen Erfahrungen profitieren können. Wie ich vor 50 Jahren die Gebietsreform erlebte – Teil I tungsbediensteter war. leistungsfähige Kommunalverwaltung Aufsatz des Staatsarchivs stammen auf allen Ebenen – Bezirke, Landkrei- aus der aktuellen Ausstellung des 379 ans Eichhorn H Ende der 60er Jahre war sich die Lan- se, Gemeinden – müsse künftig an- Hauptstaatsarchivs. Jahrhundertwerk Gebietsreform Bayern – despolitik unter Ministerpräsident ders aussehen. Um dafür die Grund- IMPRESSUM Vor 50 Jahren im (heutigen) Landkreis Donau-Ries Alfons Goppel mit vielen Kommunal- lagen zu legen, wurde Anfang der Alle, die die Gebietsreform noch HERAUSGEBER UND VERLAG vertretern einig, dass eine tiefgrei- 70er Jahre die große Gebietsreform in selbst miterlebt haben, werden Bayerischer Gemeindetag, 383 Radonschutz an Arbeitsplätzen – fende Reform der bayerischen Ver- Bayern in Angriff genommen. sich an das eine oder andere noch Körperschaft des öffentlichen Rechts; Geschäftsführendes Präsidialmitglied Schutzmaßnahmen für Bestandsgebäude waltung und ein geänderter Zuschnitt erinnern; alle anderen bekommen Direktor Dr. Franz Dirnberger der kommunalen Landschaft notwen- Das ist nunmehr 50 Jahre her. Zahl- auf diese Weise eine gute Anschau- dig sei, um den gestiegenen Anfor- reiche Medien haben in diesem Jahr ung darin, wie der Freistaat Bayern ANZEIGENVERWALTUNG Bayerischer Gemeindetag SERVICE derungen an „moderne“ Verwaltung an diese Zeiten erinnert und das vor 50 Jahren die kommunale Land- Katrin Zimmermann, Tel. 089 360009–43 Genüge zu tun und den Bürgerinnen Bayerische Hauptstaatsarchiv eine schaft neu geordnet hat. 385 Aus dem Verband und Bürgern die bislang gewohnten sehenswerte Ausstellung erarbeitet. VERANTWORTLICH FÜR Leistungen optimal anbieten zu kön- Der Bayerische Gemeindetag ist sich Seiten 356 bis 382 REDAKTION UND ANZEIGEN Bayerischer Gemeindetag, Wilfried Schober 391 Veranstaltungen nen. Über 7.000 Gemeinden, Märkte der Brisanz der Thematik wohl be- Dreschstraße 8, 80805 München und Städte sowie über 140 Landkrei- wusst: es gab bei der Reform Gewin- Telefon 089 360009–30 baygt@bay–gemeindetag.de 393 Aktuelles aus Brüssel se schafften zwar auch damals eine ner und Verlierer. Während die einen BAYERISCHER GEMEINDETAG „ordentliche“ Verwaltung; allerdings recht zufrieden mit dem Zugewinn an KREATION UND UMSETZUNG vielfach mit unzulänglichen Mitteln. Gebiet und Bedeutung sind, trauern RÜCKBLICK: Benkler & Benkler GmbH, Werbeagentur 84032 Altdorf bei Landshut, benkler.com DOKUMENTATION Statt EDV gab es noch Karteikarten andere ihrer verlorenen Eigenstän- LANDESVERSAMMLUNG 2022 und viel Papier. digkeit noch heute nach. Am 12. und 13. Oktober fand in DRUCK, HERSTELLUNG, VERSAND 402 Ergebnis der 163. Sitzung des Arbeitskreises Neunburg vorm Wald die diesjährige Druckerei Schmerbeck GmbH Gutenbergstraße 12, 84184 Tiefenbach Steuerschätzung vom 25. bis 27. Oktober 2022 Der Bürger war nicht Bürger im heu- Es besteht daher kein Anlass, die Landesversammlung des Bayerischen BayGT-Schnellinfo vom 31.10.2022 tigen Sinne, sondern Antragsteller Gebietsreform zu „feiern“. 50 Jahre Gemeindetags statt. Die Landesver- PAPIER oder gar Bittsteller. Verwaltungs- sind jedoch ein guter Anlass, auf sammlung ist satzungsgemäß das Umschlag: Magno Volume 1.1 170 g/m2 Innenteil: Bavaria matt 70 g/m2 404 Verlängerte Mittagsbetreuungen als rechtsanspruchs- verfahren dauerten eine gefühlte Hintergründe und Ablauf der damali- oberste Organ des Gemeindetags. erfüllendes und förderfähiges Angebot Ewigkeit, auf Genehmigungen oder gen Reform zurückzublicken und sie Es treffen sich die 142 Kreisver- ERSCHEINUNGSWEISE UND PREISE BayGT- Rundschreiben 68/2022 vom 2.11.2022 Erlaubnisse musste man bisweilen durchaus einer kritischen Betrach- bandsvorsitzenden und ihre Stellver- Die Erscheinungsweise ist monatlich. Bezugspreis 33,– EUR jährlich, sehr lange warten. Bürgermeister tung zu unterziehen. Hierfür hat die treter sowie zahlreiche Ehrengäste bei Mitgliedern im Beitrag enthalten kamen nur zu bestimmten Tagen ins Redaktion und der Kommunalreferent aus Politik und Wirtschaft. Neben Rathaus, um Bescheide zu unter- der Geschäftsstelle des Bayerischen satzungsgemäßen Erforderlichkeiten BILDNACHWEISE Titelbild: © BayHStA, MInn DS 2237 schreiben, Entscheidungen wurden Gemeindetags, Dr. Andreas Gaß, nehmen der Präsident des Gemein- Bilder ohne Kennzeichnung: alle © BayGT oft recht „hemdsärmlich“ getroffen. Zeitzeugen gebeten, ihr Erlebtes zu detags und der Bayerische Minister- 11/2022 BAYERISCHER GEMEINDETAG 353
QUINTESSENZ EDITORIAL 50 JAHRE GEMEINDEGEBIETSREFORM – Folgen Sie uns auf Twitter: twitter.com/BayerischerGem1 EIN GRUND ZUM FEIERN?! präsident traditionell eine aktuelle serer Gesellschaft. Das Zusammen- Nation, von einer Gleichwertigkeit Dieses Heft der Verbandszeitung ist legenen Grenze, wo bereits geöffnete Standortbestimmung vor. treffen mehrerer Krisen zur gleichen der Lebensverhältnisse kann mit ausnahmsweise einem einzigen Thema Grenztore auf sie warteten. Alles übri- Zeit wirkt als Brandbeschleuniger Blick auf verbilligte ÖPNV-Tickets, of- gewidmet: Der in den 70er Jahren des gens zunächst vergebens, allerdings er- So auch diesmal. Gemeindetags- zunehmender Unzufriedenheit und fenbar angestrebtes voraussetzungs- letzten Jahrhunderts durchgeführten langte die Gemeinde dann 1994 doch präsident Dr. Uwe Brandl richtete Radikalisierung in der Gesellschaft. loses Grundeinkommen und weiteren Gebietsreform und dabei insbesonde- wieder ihre Selbständigkeit… eindringliche Worte an die Delegier- Viele fühlen sich zu Recht abgehängt sozialen Wohltaten nicht ansatzwei- re der am 1.5.1978 abgeschlossenen Ge- ten und den Ministerpräsidenten: und unverstanden. se gesprochen werden. Ich appelliere meindegebietsreform. Von ehemals Und doch ein Grund zu feiern: Im „Vor dem Hintergrund der aktuellen an die Politik in Bund und Freistaat: über 7.000 Gemeinden waren seiner- Nachhinein hat sich das Gesamtvor- Situation – Ukraine-Krieg, Energie- Die Energiekostenentwicklung die Gleichwertigkeit der Lebensver- zeit noch 2052 übrig geblieben, viele haben der damaligen Staatsregierung knappheit, Abgleiten der Wirtschaft beinhaltet zusätzlichen Stoff zur hältnisse hat Verfassungsrang. Die davon eingegliedert in etwa 400 Ver- aber als richtig und wegweisend erwie- in Richtung Rezession, erneuter Popularisierung. Transferleistungs- Politik hat darauf hinzuarbeiten, waltungsgemeinschaften. Fast 5.000 sen. Die extreme Kleinteiligkeit der Massenzuzug von Einwandern und empfänger werden als Privilegierte diese Gleichwertigkeit zu schaffen. vorher separate Gemeinden verloren Gemeindestruktur vor 50 Jahren hät- galoppierender Inflation – habe ich empfunden, sozialversicherungs- Das ist ein Verfassungsauftrag!“ also ihre Selbständigkeit, die gleiche te auf Sicht die Herausforderungen größte Sorgen um den sozialen und pflichtige Beschäftigte empfinden Zahl von Bürgermeisterinnen und Bür- und Probleme der Zukunft nicht mehr demokratischen Zusammenhalt un- sich zunehmend als Melkkühe der Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. germeistern – jedenfalls rein mathe- bewältigen können. Völlig zu Recht matisch – ihr Amt. ging mit der damaligen Gebietsreform DR. FRANZ DIRNBERGER auch eine Funktionalreform einher, die Geschäftsführendes Präsidialmitglied Und das soll ein Grund zum Feiern die öffentliche Verwaltung insgesamt des Bayerischen Gemeindetags sein? Vor 50 Jahren jedenfalls sahen deutlich verändert hat. Zur Wahrheit das nicht alle Beteiligten so. In vie- gehört aber auch, dass das Prinzip der für die Gemeinden waren in den letz- len betroffenen Kommunen wurden Selbstverwaltung ein Stück weit ge- ten Jahren permanent und riesengroß. damals Tempo und Umfang der Ge- schmälert worden ist. Die Distanz der Aber gerade diese Notlagen haben bietsreform heftig kritisiert. Teilweise Bürgerinnen und Bürger zu den Ent- gezeigt, dass die Nähe zwischen Bür- nahmen die Proteste durchaus mächti- scheidungsträgern wurde größer, der gerinnen und Bürgern und den Ge- ge Ausmaße an. Eine ganze Reihe von enge Kontakt zur lokalen Politik ging meinden, zwischen den unmittelbar Klagen bei den Verwaltungsgerichten ein wenig verloren. Betroffenen und den vor Ort verant- und beim Verwaltungsgerichtshof wur- wortlichen Entscheidungsträgern auch de eingereicht, aber auch in der Bür- Um nicht falsch verstanden zu werden: weiterhin einen Wert an sich darstellt. gerschaft regte sich nicht selten Empö- Niemand will an dieser Stelle das Rad Nur dadurch sind flexible und schnelle rung und Widerstand. Ein besonders der Geschichte zurückdrehen. Aber Reaktionen möglich, nur so sind kur- drastisches Beispiel erlebte man in der die Grundthese eines optimalen kom- ze Kommunikationswege gewährleistet, Gemeinde Ermershausen, die in das munalen Gefüges gilt gleichermaßen nur so werden Verständnis und Akzep- benachbarte Maroldsweisach einge- heute wie damals: So groß wie nötig, tanz bei den Menschen erzeugt, nur so meindet werden sollte. Dort wurde so klein wie möglich. Und da hat die werden wir auch die Herausforderun- bei einem nächtlichen Polizeieinsatz, Gebietsreform vor 50 Jahren offenbar gen der Zukunft meistern. an dem über 1.000 Einsatzkräfte betei- ins Schwarze getroffen und die Kom- ligt waren, das Rathaus sowie die ge- munen nachhaltig und bis heute hand- Oder mit einem Satz: samte Ortschaft geräumt. Eine größere lungsfähig gemacht. Small is (auch in Zukunft) beautiful! Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern drohte den Übertritt auf das Staatsge- Flüchtlingskrise, Coronakrise, Ukra- biet der DDR an und zog zur nahege- inekrise, Energiekrise. Die Probleme 354 BAYERISCHER GEMEINDETAG 11/2022 11/2022 BAYERISCHER GEMEINDETAG 355
FACHBEITRÄGE FACHBEITRÄGE 50 JAHRE GEBIETSREFORM – EIN RÜCKBLICK Text Johann Böhm, Landtagspräsident a. D. „Gebietsreform”: Das war eine der Die Gemeinden haben – im Unter- Wasser und Energie versorgt wird; dass vom Zentrum entfernen. Ein Vater meistdiskutierten staatlichen Zielset- schied zu Bezirken und Landkreisen – Abwasser- und Abfallbeseitigung funk- des Landes hat weniger zu denken zungen zu Beginn der siebziger Jahre hohen Verfassungsrang – Sie sind „ur- tionieren; dass die Straßen in Ordnung als ein Vater der Stadt” Ich kann mich des vergangenen Jahrhunderts. Es ging sprüngliche Gebietskörperschaften” sind; dass Kinder in ordentlichen Kin- gut erinnern, dass mir der eine oder darum, die Bezirke, Landkreise und sie „bilden die Grundlagen des Staa- dergärten und Schulen betreut werden, andere Bürgermeister sagte: „Ich muss Gemeinden in Bayern neu zu ordnen. tes”, wie die Gemeindeordnung sagt. dass Bauland zur Verfügung steht; dass aufhören. Das Amt reibt mich auf. Das Thema erhitzte die Gemüter. Der Staat darf sie umbilden, darf die er kontaktfreudige und leistungsfähi- Tagsüber arbeite ich im Beruf; abends eine oder andere auflösen, er darf die ge Verwaltung vorfindet. Die kommu- erledige ich Verwaltungsarbeiten. Die Neuabgrenzung der sieben bayeri- Gemeinden aber nicht abschaffen. Mit nale Ebene ist – wie der frühere Ober- Vor allem muss ich für die Bürger an- schen Bezirke freilich ging relativ rei- ihnen muss er sehr behutsam umgehen. bürgermeister von Stuttgart, Manfred sprechbar sein”. So wie bei uns war es bungslos über die Bühne. Es wurde ja Deshalb war jede Bezirksregierung im Rommel, einmal festgestellt hat – die auch in anderen Landstrichen Bayerns. kein einziger Bezirk aufgelöst; somit Zuge der Gebietsreform gehalten, von Ebene, auf der nicht nur die Theorie So war es eigentlich in ganz Deutsch- ging kein Präsidentenposten verloren, Fall zu Fall zu prüfen, welche Lösung vom Leben, sondern das wirkliche Le- land. Deshalb setzte sich überall die die Bezirkstage blieben alle erhalten, die verfassungsrechtlich gebotene sein ben beobachtet werden kann. Erkenntnis durch, es müsse eine Be- die Bezirkshauptstädte wurden nicht kann. Die Vorarbeiten leisteten die reinigung auf kommunaler Ebene, eine in Frage gestellt. Landratsämter. Sie kannten die örtli- Gemeinden sind unverzichtbare Ein- Gebietsreform, erfolgen. Die Fachzeit- chen Verhältnisse, die jeweiligen Füh- richtungen. Sie haben Bebauungsplä- schriften diskutierten dies in aller Brei- Die Landkreisreform dagegen war rungspersonen und die Stimmungsla- ne aufzustellen, müssen Erschließungs- te. Anfangs der siebziger Jahre war in heißer umkämpft. Rund die Hälfte gen in den Orten. beiträge erheben; sie brauchen dazu einem Aufsatz zu lesen: der Kreise verlor die Selbständigkeit; Satzungen. Das setzt Verwaltungswis- sie wurden Nachbarn angegliedert Vom Frühjahr 1969 bis Juli 1973 war ich sen voraus, erfordert qualifiziertes Die Gebietsreform sei nötig. Überall oder mit anderen zu neuen Kreisen z als juristischer Staatsbeamter am Land- Personal. Die Zeit, in der ein Bürger- sei sie schon in Gang gesetzt; nur in usammengelegt. Da fielen viele Pos- ratsamt Bad Neustadt tätig. Als solcher meister mit seinem „Gemeindeschrei- Bayern sei sie nicht über Ansätze hin- ten für Mandatsträger weg; da verloren war ich tief eingebunden in die Bemü- ber” die Aufgaben bewältigen konnte, ausgekommen. Das war die Feststel- viele Städte das Attribut „Kreisstadt”; hungen um eine sinnvolle Neuordnung war Ende der sechziger Jahre vor- lung eines nichtbayerischen Autors. da mussten Kreisbedienstete an einen in meinem Wirkungskreis. Ab Herbst bei. Die ehrenamtlichen Bürgermeis- anderen Dienstort überwechseln; da 1974 gehörte ich – als für das Land- ter der kleinen Gemeinden waren bald Es hatte indes in Bayern keinen Still- wurden die Wege vieler Bürger zu kreisgebiet Rhön-Grabfeld zuständi- überfordert. Nicht von den Fähigkei- stand gegeben. Hier ging man nur „ihrem” Landratsamt weiter. Aber Be- ger Abgeordneter – dem Landtag an. ten, sondern vom Zeitaufwand her. Sie mit größerer Behutsamkeit vor. Man zirke und Landkreise sind keine his- Da die sog. Freiwilligkeitsphase bis standen ja oft ihrerseits in Arbeitsver- ordnete erst die oberen kommunalen torisch gewachsenen Gebilde; sie sind 1978 lief, war ich weiterhin, aber in an- hältnissen, mussten also die Aufgaben Ebenen, also die Bezirke und die Land- gestaltete Verwaltungseinheiten, denen derer Funktion, in den Ablauf der Ge- des Bürgermeisteramts nebenher in der kreise. Erst danach legte man Hand die „Ursprünglichkeit” der Gemein- meindegebietsreform eingeschaltet. Es Freizeit leisten. Und die Last der Auf- an die Gemeinden. den fehlt. Ihre Neuordnung ließ sich war mir klar: Neugliederung der Ge- gaben wog schwer. leichter durchführen. Jeweils auf dem meinden ist kein bloßes organisatori- Auf der Ebene des Bezirks gab es in Die Gebietsreform in Bayerisch-Schwaben hatte unzählige Presseartikel zur Folge. Wege der Gesetzgebung (Bezirke) oder sches Problem. Bei ihr geht es nicht nur Der Dichter Jean Paul, der dem fränki- Unterfranken keine besonders weitrei- Lokale und überregionale Zeitungen beschäftigten sich immer wieder mit dem Münchner des Verordnungserlasses (Landkreise) um Veränderungen des Zuschnitts von schen Raum sehr verbunden war, hat in chenden Veränderungen. Die Land- Reformprojekt. Gezeigt wird eine Collage aus Schlagzeilen, Artikeln und Pressefotos. – also zentral für ganz Bayern – wurde Verwaltungseinheiten; bei ihr geht es seinen politischen Schriften schon vor kreisreform dagegen brachte tiefe- © Gestaltung: Karin Hagendorn, Generaldirektorin der Staatlichen Archive Bayerns für die Ausstellung des Staatsarchivs Augsburg und des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, 1972 die neue Struktur festgelegt. Mit letztlich um Angelegenheiten der Bür- rund 200 Jahren den drastischen Satz re Einschnitte. Bayernweit verringerte Juli 2022 ihr fanden sich die Bürger im Großen ger. Wo auch immer der Bürger seinen geprägt: „Alle Posten des Staates neh- sie die Zahl der Landkreise von 143 auf und Ganzen ab. Wohnsitz hat: Er erwartet, dass er mit men an Arbeit zu, wie sehr sie sich 71. Der Weg zum neuen Amt wurde für 356 BAYERISCHER GEMEINDETAG 11/2022 11/2022 BAYERISCHER GEMEINDETAG 357
FACHBEITRÄGE FACHBEITRÄGE viele Bürger weiter. Ein Stück Vertraut- ren sie dafür, Defizite in den aufge- gen Rechtspositionen vereinigten sich dieser Erkenntnis kam die Alternati- Einschnitt empfand, wenn sie in ihrer einer VG zu, sofern sie Zukunfts- heit ging für sie verloren. Bei uns wur- nommenen Gemeinden abzubauen dann in einer Hand, in der des Auf- ve zu den Einheitsgemeinden, die Ver- Selbständigkeit beeinträchtigt wurde. chancen erkennen ließ. Im Rückblick den die Altlandkeise Bad Königshofen, und gleichwertige Lebensbedingungen nehmers. Dieser könne also – weil er waltungsgemeinschaft, in die Diskus- Jede Beeinträchtigung ihrer Selbstän- von heute hat sich diese „Großzügig- Mellrichstadt und Bad Neustadt zu- in den neuen Gemeinden zu schaffen. an die Stelle des kleineren Partners ge- sion. Diese ließ den Einzelgemeinden digkeit erschien ihr als „Übel”. keit” als richtig erwiesen. Keine dieser sammengelegt. Dem Neugebilde, das Die Gemeinden schlossen in der Regel treten ist, – dessen Rechtsposition ihre ureigenen Rechte, ihre Entschei- Das größere Übel war dabei der völli- Kommunen ist gegenüber denen, die 1973 den Namen Rhön-Grabfeld er- Eingemeindungsverträge, in denen die aufgeben. Trotzdem waren diese Ver- dungsbefugnis über die sog. „eigenen ge Verlust der eigenen Rechtspersön- über dem 1.000er-Richtwert lagen, in hielt, wurde eine Gemeinde aus dem Verwendung der Mittel geregelt wur- träge – wenn auch rechtlich nicht ganz Angelegenheiten”; sie übernahm nur lichkeit, also die Eingliederung in eine Rückstand geraten. Landkreis Bad Kissingen angegliedert. de und in denen die aufnehmende Ge- „wasserdicht” – wichtig; sie schufen die Verwaltungs- und Vollzugsaufga- größere Einheit; das kleinere Übel war Es entstand eine topographisch sinn- meinde Zusagen für die Fortentwick- für die Kleinen zumindest einen mo- ben und entlastete so die Funktionsträ- der Beitritt zu einer VG. Wenn man Bei der Bildung von Verwaltungsge- volle Einheit, die zwischen Rhön und lung der aufgenommenen Gemeinden ralischen Anspruch. Jede Großgemein- ger in den Mitgliedsgemeinden. die Wahl hat, dann entscheidet man meinschaften war es wichtig, darauf Haßberge eingebettet ist. machten. Solche Verträge waren durch- de, die sich von der Verpflichtung des sich sinnvollerweise für das kleinere zu achten, dass die einzelnen Mitglie- aus empfehlenswert. Gleichwohl habe Aufnahmevertrags befreit hätte, hätte Etliche Akteure auf dem Gebiet der Ge- Übel. Deshalb tendierte ich, wo es ging, der von der Größe her einigermaßen Die Gemeindereform war ein 6 Jahre ich die Betroffenen darauf hinge- sich den Ruf zugezogen, unglaubwür- meinde-Neuordnung sahen in der „VG” grundsätzlich zur VG. homogen waren. Die Gebietsreform dauernder Prozess. Es gab eine Frei- wiesen, dass die Vereinbarungen kei- dig und unzuverlässig zu sein. Und die ein ungeliebtes Kind oder gar eine Ver- hatte ja nicht nur eine passive Seite – willigkeitsphase, während derer sich ne 100%-protzentige Sicherheit bö- politischen Folgen eines solchen Rufes wässerung des Reformziels. Sie hielten Ein weiterer Gesichtspunkt schien mir die „Verfügungsmasse der Kleinge- benachbarte Gemeinden arrangieren ten. Denn am Vertrag seien zwar zwei wollte niemand auf sich laden. sie für „nichts Halbes und nichts Gan- wichtig: In der großen Einheitsgemein- meinden – , sondern auch eine aktive. konnten. Der Staat gewährte als Start- Vertragspartner beteiligt; aber nach der zes”. Manche meiner Amtskollegen teil- de, die aus sieben oder acht Ortstei- beihilfen besondere Zulagen; die- Eingliederung des kleineren Partners in Die anfänglichen Planungen zur ten diese Meinung. Ich gehörte zu de- len besteht, wird letztlich vom Zent- Die ehemaligen oder neuen Kreissitze se sollten Anreize zum Zusammen- den großen falle dessen eigene Rechts- Gemeindegebietsreform sahen als nen, die in der VG eine gute Lösung rum aus entschieden. Das Gewicht der wollten sich vergrößern und warben gehen schaffen und Bewegung in den fähigkeit weg und gehe auf die aufneh- Ziel der Neugliederung nur Einheitsge- erblickten. Wer die Dinge von der Ebe- Ortsteile selber wird gering. In der VG aus der Nachbarschaft „Zugewinn” Reformprozess bringen. Gedacht wa- menden über. Die beiden eigenständi- meinden vor. Diese sollten rund 5000 ne der Rechtsaufsicht her beurteilte, entscheidet jede Mitgliedsgemeinde an. Soweit es ihnen nicht gelang, Einwohner umfassen. Die konsequen- dem erschien es effektiver und prakti- selbst über ihre ureigenen Angelegen- Nachbarn zur Eingliederung zu über- te Durchführung dieser Zielsetzung kabler, in einem Landkreis nur Einheits- heiten. Als selbständige Partner leben reden, boten sie an, mit ihnen eine hätte die Auflösung vieler Gemein- gemeinden statt einer Reihe von Verw.- sie zudem innerhalb der VG in einem VG zu bilden. Auf der einen Sei- den bedeutet. In anderen Bundeslän- Gemeinschaften zu haben, die sich natürlichen Wettbewerb. Und sie leben te eine Stadt mit z. B. 8.000 Einwoh- dern scheute man sich nicht, „ maß- ihrerseits jeweils in etliche Mitgliedsge- in einem ständigen Gedankenaustausch. ner und auf der anderen Seite drei oder stabsgerecht” – aber nicht unbedingt meinden aufdröselten. Im letzteren Fall Der Wettbewerb befruchtet; der Ge- vier Gemeinden mit jeweils rund 1.000 „ bürgerfreundlich” zu handeln. Wir in waren natürlich erheblich mehr Einrich- dankenaustausch weitet den Blick. oder 1.500 Einwohnern hätte zu einem Bayern hatten aber immer die Verfas- tungen zu beaufsichtigen und betreuen. Ungleichgewicht und leicht auch zu ei- Foto: © BayHStA, Präsidium der Bereitschaftspolizei 331 sungsbestimmung vor Augen, dass die Entsprechend den staatlichen Vorga- ner Interessenkollision geführt. Des- Gemeinden „ursprüngliche Gebiets- Wer bei seiner Beurteilung dagegen ben sollten die Einheitsgemeinden halb lag es nahe, in solche Bemühun- körperschaften” , also die Keimzellen die Verfassung richtig ernst nahm und sollten 5.000 Einwohner umfassen. gen steuernd einzugreifen. So legten des staatlichen Aufbaues seien, die das die Dinge aus der Sicht der betroffe- In den Verwaltungsgemeinschaften wir Wert darauf, dass in die Kreisstadt „Recht haben, ihre eigenen Angelegen- nen Gemeinden – und nicht von oben sollten die einzelnen Mitgliedsgemein- Bad Neustadt nur die Umlandgemein- heiten im Rahmen der Gesetze selbst her – sah, kam allerdings zu einem an- den ca. 1.000 Einwohner zählen. den eingegliedert wurden, die bis- zu ordnen und zu verwalten” siehe (Art deren Ergebnis. Ich bemühte mich um Aber das waren Richtwerte. Bei uns her schon in einer Art Symbiose zu ihr 11 BV). Hätte man eine große Zahl von eine solche Sichtweise. Mir war gene- im Zonenrandgebiet lagen die Verhält- standen und die das sinnvolle Wachs- Gemeinden aufgelöst und sie in grö- rell klar, dass „jede Gemeinde – auch nisse grundsätzlich anders als in den tum der Stadt förderten. Die weiteren Aufstand in Ermershausen am 19. Mai 1978, dort kam es zu gewaltsamen Protesten ßere Einheiten eingefügt, dann wäre die allerkleinste – , die seit eh und je Ballungsräumen. Wir billigten auch Gemeinden im näheren Umland wur- gegen die zwangsweise Angliederung. Die Lage eskalierte völlig, als starke Polizeikräfte eigentlich diese Verfassungsbestim- gewohnt war, eine selbständige Ein- Gemeinden unter dem 1.000-Richt- den zu einer VG vereinigt. am frühen Morgen Akten aus dem Rathaus räumten. mung ausgehöhlt worden. Anbetracht heit zu sein, es als tiefen, existentiellen wert die Selbständigkeit innerhalb 358 BAYERISCHER GEMEINDETAG 11/2022 11/2022 BAYERISCHER GEMEINDETAG 359
FACHBEITRÄGE FACHBEITRÄGE NEUES DESIGN FÜR SCHWABEN WIE DIE GEBIETSREFORM VON 1972 EINEN REGIERUNGSBEZIRK UND SEINE KOMMUNEN VERÄNDERT HAT. Text Gerhard Fürmetz und Rainer Jedlitschka Im angrenzenden Landkreis Bad Kis- verfolgt habe – betrachte, komme ich den, nicht nur über Mitteilungsblät- DER WEG ZUR GEBIETSREFORM singen legte man stärkeres Gewicht auf zum Ergebnis, dass letzten Endes alles ter, durch Zeitungsberichte oder durch DER 1970ER-JAHRE die Bildung von Großgemeinden. So gut geraten ist. Man kann Bayern kei- die jährlichen Bürgerversammlungen folgten um Münnerstadt herum die nesfalls einen Verzug vorwerfen, wie mit den Bürgern in Kontakt zu stehen, Überlegungen zu einer systematischen Umlandgemeinden in der Freiwillig- es der oben genannte Autor getan hat. sondern wirklich das Ohr am Mun- Gebietsreform begannen in Bayern keitsphase der Empfehlung von oben, Bedächtig, nicht überstürzt, und mit de der Leute – nicht der Schreier und schon wenige Jahre nach Kriegsende. sich der Stadt anzuschließen. Nur eine Blick auf die Bedürfnisse der Bürger ist Aufdringlichen – zu haben. Innenminister Willi Ankermüller (CSU) Gemeinde, nämlich Burglauer, war man bei uns vorgegangen. Verunglück- legte 1949/50 einen Plan zur Zusam- nicht zu diesem Schritt bereit. Da eine te Konstruktionen hat man im Nach- Es ist notwendig, den Selbsthilfewillen menlegung und Neuabgrenzung der zweigliedrige VG zwischen Münner- gang korrigiert. der Bevölkerung zu stärken und Moti- Stadt- und Landkreise vor, der 1956 im stadt mit über 8000 Einwohner und vation dafür zu schaffen, dass die Bür- Ministerrat wieder aufgegriffen wur- Burglauer mit knapp über 1000 Ein- Die Gebietsreform hat nicht nur eine ger mitmachen. Wir brauchen Mitma- de. Unter dem schon aus der Zeit der wohnern ein völlig unhomogenes Ge- regionale Neuordnung gebracht und cher. Mir stößt es unangenehm bitter Weimarer Republik bekannten Stich- bilde gewesen wäre, wäre schließlich die Gemeinden schlagkräftiger ge- auf, wenn ich aus Politikermund den wort „Staatsvereinfachung” regte eine nur die Eingemeindung als sinnvol- macht. Sie hat den Verwaltungsstil oberflächlich-pathetischen Spruch Arbeitsgemeinschaft unter Leitung Rainer Jedlitschka (li.) ist Archivoberrat im Staatsarchiv Augsburg. Gerhard Fürmetz ist Archivdirektor und Abteilungsleiter im Bayerischen Hauptstaatsarchiv. Beide Autoren sind le Lösung übriggeblieben. Burglauer verändert: Größere Professionalität, höre: „Wir machen Politik für den von Ottmar Kollmann, dem vormali- Kuratoren der Ausstellung ‚50 Jahre Gebietsreform – Bayerns Neuordnung und das Beispiel lag indes unmittelbar an der Land- bessere personelle Ausstattung, durch- Bürger”. Politik gehört „mit den Bür- gen Präsidenten des Bayerischen Ver- Schwaben‘, die nach einer ersten Station im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München kreisgrenze. Ihre Nachbargemeinden organisierte Verwaltung, mehr Techno- gern” gemacht. „Für den Bürger” zu waltungsgerichtshofs, in einem Gut- am 10.11.2022 im Staatsarchiv Augsburg eröffnet wurde und dort bis zum 23.12.2022 im Westen gehörten alle zur VG Bad kratie. Vieles organisiert heute die Ge- handeln, klingt sehr bevormundend. achten von 1957 an, zumindest die Zahl zu sehen ist (Salomon-Idler-Str. 2, 86159 Augsburg, poststelle@staau.bayern.de) Neustadt. Aus Überlebensgründen ten- meinde, das früher die Bürger im Wege Eltern handeln für ihre Kinder und der kleineren Landkreise und Gemein- dierte Burglauer dorthin. Das Problem der Selbsthilfe erledigten. Anstelle der betreuen sie. Wer mit den Bürgern den zu verringern. Jahrelang blieben tigste innenpolitische Aufgabe” vor, und mindestens 25 000 Einwohner für war: Konnte die Landkreisgrenze über- Bereitschaft zuzupacken, ist viel Erwar- handelt, nimmt sie ernst und macht die 1955 bereits eingeleiteten Pläne zur die bis Herbst 1974 zu meistern sei. kreisfreie Städte angepeilt. „Neue Kraft sprungen werden? Ich wandte mich tungshaltung gewachsen. Es ist deshalb sie aktiv, macht sie zu Mitwirkenden. „Neuorganisation der Landkreise im Er begründete sie vor allem mit der in neuen Kreisen”, lautete 1972 die Pa- als Abgeordneter an den Innenminis- für die Bürgermeister und die sons- Und so muss es auch sein! Zuge von Verwaltungsvereinfachungen” Gewährleistung einer ausreichenden role (siehe Plakat Seite 369). ter, und wies darauf hin, dass es recht- tigen Funktionsträger wichtig gewor- allerdings der Öffentlichkeit verborgen. Daseinsfürsorge und einer bürgernahen lich problematisch wäre, der Land- Ein noch relativ moderater Vorschlag Verwaltung. Als Ziele der Reform sah NACH DEN LANDKREISEN kreisgrenze – als Abgrenzung eines der Bezirksregierungen vom April 1959 er die Schaffung von leistungsfähigen DIE GEMEINDEN „Verwaltungsbezirks” – mehr Gewicht wurde bewusst als „vertraulich” einge- Gemeinden, Verwaltungsgemeinschaf- zuzusprechen, als dem Recht einer „ur- stuft. Erst acht Jahre später war die Zeit ten, Landkreisen und Bezirken. Aber Die weitaus kompliziertere Gemein sprünglichen Gebietskörperschaft” auf reif für eine groß angelegte Reform- es kam im Lauf der Jahre zu Konflikten. degebietsreform ging mit dem am Beibehaltung der Selbständigkeit. Das diskussion. Mit seiner Regierungser- Zunächst wurden 1971 die Landkreise 15. Dezember 1971 vom Bayerischen Ministerium gab „grünes Licht” und klärung vom 25. Januar 1967 ließ Minis- neu strukturiert und mit ihnen die Landtag beschlossenen „Zweiten Foto: © BayHStA, Bildersammlung 8046/6 billigte, den Anschluss Burglauers an terpräsident Alfons Goppel (CSU) die Abgrenzungen der Regierungsbezirke. Gesetz zur Stärkung der kommunalen die VG Bad Neustadt. Und so hat- Katze aus dem Sack: Er kündigte eine In Kraft trat die Landkreisreform be- Selbstverwaltung” in eine entscheiden- te dieser Schritt auf der Ebene der Ge- grundlegende Gebietsreform an und reits am 1. Juli 1972. Sie sollte bewusst de Phase – zunächst noch auf freiwil- meindereform eine Veränderung auf erklärte die Ideen dahinter. Sofort leg- zügig durchgezogen werden, um voll- liger Basis, mit gezielten finanziellen Foto: © BayHStA, Miletic Landkreisebene zur Folge. ten verschiedene Planungsgremien los. endete Tatsachen zu schaffen. Die Zahl Förderanreizen. Das neu geschaffe- der Landkreise in Bayern halbierte sich ne Instrument der Verwaltungsge- Wenn ich abschließend die Neuord- Am 7. August 1968 fand bereits die 4. Sitzung der Arbeitsgruppe „Kommunale Verwaltungs- Innenminister Bruno Merk stellte am von 143 auf 71, die der kreisfreien Städ- meinschaft sollte dabei helfen, benach- nung der Gemeindeebene – die ich na- reform“ statt. Vertreter des Innenministeriums und der kommunalen Spitzenverbände 14. Januar 1971 der CSU-Fraktion im te von 48 auf 25. Als Richtgröße hatte barten kreisangehörigen Gemeinden türlich genauer nur im Heimatbereich erarbeiten konkrete Vorschläge zur Schaffung von leistungsfähigen Gebietskörperschaften. Landtag die Gebietsreform als „wich- man 80 000 Einwohner pro Landkreis ein gewisses Maß an Unabhängigkeit 360 BAYERISCHER GEMEINDETAG 11/2022 11/2022 BAYERISCHER GEMEINDETAG 361
FACHBEITRÄGE FACHBEITRÄGE zu erhalten. Eigenständige Gemein- am 23. Februar 1971. Grund war das Be- anderen Kreisgemeinden bedeutete. Denn dessen bei den Betroffenen um- Landkreises waren in der Mehrheit, den sollten mindestens 5000 Einwoh- kanntwerden der zuvor geheim gehal- Die Zahl der schwäbischen Gemeinden strittene Formierung veränderte durch wurde Bestler nominiert. Er gewann ner aufweisen, Mitglieder von Verwal- tenen Gebietsreformvorschläge der verringerte sich von 1039 im Jahr 1970 die „Schwäbischwerdung” des ehemals dann auch die Landratswahl 1972 tungsgemeinschaften mindestens 1000. Regierung von Schwaben. Nach den auf 340 nach der Reform. oberbayerischen Landkreises Aichach gegen den Herausforderer der SPD. Ab 1976 wurde es dann auch für dieje- beiden vorgelegten Varianten sollte die zugleich die Grenze des Regierungs- nigen Kommunen ernst, die keine Zu- Zahl der kreisfreien Städte in Schwa- Wie überall in Bayern wurde die Kreis- bezirks Schwaben. Er ist somit auch ein Auch um den Verwaltungssitz gab sammenlegung wollten. ben von zehn auf zwei – Augsburg und und Gemeindegebietsreform auch in Beispiel für die Bezirksreform, die sich es ein langes und zähes Ringen. Die Kempten – reduziert werden. Außer- Bayerisch-Schwaben emotional dis- zwangsläufig aus der Neuabgrenzung Friedberger führten ins Feld, die größe- Mit Wirkung vom 1. Mai 1978 galt dem war vorgesehen, elf oder neun der kutiert. Neben grundsätzlichem Ver- von Landkreisen und Gemeinden er- re Gemeinde zu sein und näher am Re- die kommunale Gebietsreform in 20 schwäbischen Landkreise aufzulösen. ständnis für die Notwendigkeit einer gab. Sowohl die Regierung von Schwa- gierungssitz Augsburg zu liegen, außer- Bayern als abgeschlossen. Von 7073 Kritisiert wurde nicht nur die konkrete Reform, Zustimmung und geglückten ben als auch diejenige von Oberbayern dem gehörten mit Mering und Kissing Gemeinden im Jahr 1970 waren zu Gebietseinteilung, sondern auch das Beispielen gab es auch dort Protest hatten sich für diese Lösung ausge- weitere große Gemeinden zu Fried- diesem Zeitpunkt nur mehr 2052 übrig, Verfahren und die an den Tag gelegte und Widerstand. Im Folgenden soll sprochen. Der Zusammenschluss der bergs Einzugsbereich. Genau dage- viele davon in insgesamt 393 Verwal- Eile. Es sollte noch einige Anpassun- die Entwicklung in Schwaben in den beiden Landkreise und vor allem der gen argumentierten die Aichacher: Der tungsgemeinschaften miteinander gen geben, bis das endgültige Ergebnis Blick genommen und an einigen Bei- Wechsel der Aichacher zu Schwaben neue Landkreis solle dezentral struk- verbunden. Anschließend folgte für den Regierungsbezirk feststand: spielen näher betrachtet werden. bewegte jedoch lange die Gemüter. turiert sein, nicht alle Behörden in ei- noch eine Nachkorrekturphase bis In Schwaben wurden aus 20 Land- nem Raum konzentriert werden. Denn 1983. Flankierend kam im Lauf der kreisen zehn und aus zehn kreisfreien Der neue Großlandkreis wurde gebil- Friedberg grenze direkt an Augsburg. 1970er-Jahre eine Funktionalreform Städten vier, nämlich Augsburg, Kauf- AICHACH-FRIEDBERG: det aus den Gebieten der beiden Alt- Dazu kam die Abneigung der Aicha- Im Oktober 1972 gab das Innenministe- rium eine Broschüre für Bürgermeister hinzu, die weite Teile der öffentlichen beuren, Kempten und Memmingen. ALTBAYERN IN SCHWABEN landkreise Aichach und Friedberg cher, sich – wenn man schon Schwaben und Gemeinderäte heraus. Markant auf Verwaltung verändern sollte. Dagegen wurden Dillingen, Donau- sowie aus fünf Gemeinden des Alt- zugeschlagen werde – auch noch ei- dem Einband ist das für die Gebietsreform wörth, Günzburg, Lindau, Neu-Ulm Am 1. Juli 1972 trat der erste Teil der landkreises Fürstenfeldbruck, fünf ner schwäbischen Kreisstadt unterord- entwickelte Logo. Mit „Weitblick” wiesen die Planer und Nördlingen mit dem Status einer Reform, die Landkreisreform, in Kraft. Gemeinden des ehemaligen Landkrei- nen zu müssen. Die Entscheidung fiel darauf hin, dass die Reform für eine Großen Kreisstadt abgefunden, der Ein interessantes Beispiel hierfür ist ses Neuburg und einer Gemeinde des schließlich im Kreistag, der trotz einer deren Umsetzung gefragt. Landrat zeitgemäße, zukunftsfähige Behörden- noch gewisse Vorrechte gegenüber der Landkreis Aichach-Friedberg. früheren Landkreises Schrobenhau- Mehrheit der Vertreter des südlichen Bestler listete in seiner Antwort auf: organisation notwendig sei. Die Ge- sen. Allerdings waren der rein geogra- Landkreises überraschend für Aichach „Die Zusammenführung der beiden bietsreform wurde als gemeinsame fische Landkreisname „Augsburg-Ost” votierte. Er stimmte ebenfalls für den Landratsämter, die Bestimmung des Aufgabe dargestellt, um mehr Akzep- und der Kreissitz in Aichach nur vor- Landkreisnamen Aichach-Friedberg. Kreissitzes im Streit zwischen den bis- tanz in der Bevölkerung zu gewinnen. läufig, ihre Festlegung sollte dem neu- herigen Kreisstädten, das neue Kfz- Rund 800 000 Werbeblätter wurden en Kreistag vorbehalten bleiben. Der „Gründungs-Landrat” Bestler Kennzeichen, die Neuorganisation im im August 1971 gedruckt. Man entwi- erinnert sich in seinen Memoiren an neuen Amtsgebäude, die Verteilung der ckelte für die Gebietsreform sogar ei- Die Gebietsreform wurde zum Haupt- seinen ersten Arbeitstag im Juli 1972. Führungspositionen der beiden bisher Foto: © HSS-ACSP, Foto Rolf Sanzenbacher gens ein Logo (siehe Titelseite), aus thema der folgenden Landratswahlen Am Eingang des Landratsamts war eine selbstständigen Landratsämter, Abbau dem ein „Gütesiegel", eine „Wertmar- am 11. Juni 1972. Bei der Kür des Land- Lederhose mit Schmähgedicht an der Emotion im Altlandkreis Aichach Foto: © BayHStA, MInn DS 2237 ke”, zu machen sei. ratskandidaten der CSU für den neu- die Holztür genagelt – als Zeichen wegen der Zuordnung zum Regierungs- en Landkreis kam es zu einer Kampf- des Protests gegen die Zuordnung bezirk Schwaben”. Bis heute bezeichnet abstimmung zwischen den beiden Aichachs zu Schwaben. sich manch Alteingesessener in der DAS BEISPIEL SCHWABEN bisherigen Amtsinhabern Fabian Kastl Region Aichach als „Beuteschwabe”. Einig war man sich in der CSU-Spitze keineswegs: Innenminister Bruno Merk (Zweiter von links) und Ministerpräsident Alfons Goppel (rechts) trieben die Gebietsreform maßgeblich (61) aus Friedberg und Josef Bestler (47) Bei einer Umfrage des Landkreisver- „Kritik vom Allgäu bis zur Donau” voran, während CSU-Chef Franz Josef Strauß und sein Generalsekretär Max Streibl (links) aus Aichach. Völlig überraschend, bands zur Gebietsreform wurde 1982 Die große Herausforderung war es titelte die Augsburger Allgemeine den Widerstand der Parteibasis erahnten. denn die Delegierten des südlichen auch nach den Schwierigkeiten bei also, die emotionale Stimmung zu be- 362 BAYERISCHER GEMEINDETAG 11/2022 11/2022 BAYERISCHER GEMEINDETAG 363
FACHBEITRÄGE FACHBEITRÄGE ruhigen, regionale Befindlichkeiten Amtsgebäude in der Münchener Stra- DER HOFNARR ALTUSRIED – „FREIWILLIGER“ des Staates zu erhalten. Laut Amtsblatt Gebietsrefom” wurde 1977/78 vom und Stammestraditionen zu berück- ße erfolgte im April 1978. Der Neubau SILBERHOCHZEIT ZUSAMMENSCHLUSS vom Mai 1971 hat man dafür den Betrag Bayerischen Verfassungsgerichtshof sichtigen, zu versöhnen und aus den nach den Plänen der Architekten Wil- von 1 767 760 DM erhalten. In Einge- gar nicht erst zugelassen. beiden Altlandkreisen eine Einheit helm Kücker und Karlheinz Rudel war Genau ist's 25 Jahre her, Im zweiten Teil der Reform, der meindungsverträgen vom April 1971 zu formen. Dabei war Landrat Best- der erste Neubau eines Landratsamts schon ärgert es fast niemand mehr, Gemeindegebietsreform, ging es war der faire Umgang untereinander ler der Erhalt des altbayerischen Er- nach der Gebietsreform in Bayern. Sei- daß Friedberg-Aichach so getrimmt, um die Formierung leistungsstarker vereinbart worden. Die staatlichen HORGAU: MIT MISTGABELN bes im neuen schwäbischen Landkreis ne Planung, gemeinsam durch Obers- daß sie ein Paar geworden sind. politischer Gemeinden. Sie begann Mittel sollten in Projekte der einzelnen GEGEN DIE REFORM ein großes Anliegen. So wurde be- ten Rechnungshof, Landkreisverband, schon vor der Landkreisreform, war Dörfer investiert werden. Und so reits 1974 zusammen mit der Kreishei- Innen- und Finanzministerium sowie Bestimmt war's Liebesheirat nicht, aber auf eine deutlich längere Dauer setzte man die Gelder in erster Linie Die Kommunalreform im Gebiet des matpflegerin Irmgard Hillar ein Jahr- den Landkreis Aichach-Friedberg er- für Friedberg war es ein Verzicht, angelegt. Zunächst wurde eine geför- für Bauten in den Gemeindeteilen ein, Flusses Roth westlich von Augsburg buch für Geschichte und Kultur mit stellt, wurde vorbildhaft für den Bau doch ist es ohne Federlesen derte Freiwilligkeitsphase vorgeschal- etwa den Neubau einer Turnhalle und ist ein Beispiel für die zweite Phase dem programmatischen Titel Altbay- bayerischer Landratsämter der folgen- ’ne Art Vernunftheirat gewesen. tet. In dieser konnten sich Gemeinden eines Kindergartens in Krugzell 1973/74, der Gemeindegebietsreform, in der ern in Schwaben begründet, das vom den Jahre. aus freien Stücken zusammenschließen. der damals vom Gemeinderat als Eingemeindungen „von Amts wegen” Landkreis finanziert und bis heute he- Natürlich fand beim Doppelnamen, Nach Ende der gesetzten Frist sollten „Ehrenschuld der Gebietsreform” be- durchgeführt wurden. rausgegeben wird. Darin sollten „das Zehn Jahre nach der Landkreisreform den sie als Landkreispaar bekamen, Gemeinden „von Amts wegen”, also zeichnet wurde. Erscheinungsbild” des nordwestli- ergab eine Umfrage, dass die gerisse- man es in Friedberg allerhand, unter Zwang, nach den von den Re- Mit Rechtsverordnung vom chen Teils Altbayerns, der nun schwä- nen Wunden wenn nicht geheilt, so daß Aichachs Name vorne stand. gierungen entwickelten Zielplanungen Bürgermeister Hans Rausch (CSU) 8. April 1976 war die Gründung der bisch geworden war, „in seiner natürli- doch „vernarbt” seien. 1997 erschien ein eingemeindet werden. bemühte sich, die fünf Ortsteile als Einheitsgemeinde Horgau veranlasst chen und kulturellen Eigentümlichkeit versöhnliches Gedicht zur kommuna- In Friedbergs Auge war's ein Dorn, eigenständige, funktionierende Orts- worden, bestehend aus den Gemein- erfasst werden, seine historischen und len „Silberhochzeit”. Humorvoll griff daß Aichach mit der Nase vorn, Staatliche Förderleistungen gab es für gemeinschaften zu erhalten und zu den Horgau, Agawang, Rommelsried geographischen Grundlagen (…) er- der Text das Gefühl der Zurücksetzung daß bei der Autonummer gar ein freiwilliges Zusammengehen, wenn pflegen. So wurden etwa die Vereine und Streitheim (3012 Einwohner). Die forscht und seine Geschichte erhellt der Friedberger beim Doppelnamen das FDB verschwunden war. die jeweiligen Gemeinderäte dem bis nicht zentralisiert, es blieben alle sie- Gemeinde Agawang reichte jedoch im werden”, wie es im Vorwort zum ersten des Kreises und beim Kfz-Kennzeichen zum 1. Januar 1976 zustimmten. Diese ben Feuerwehren erhalten. Sommer 1976 eine Normenkontroll- Band hieß. Auf eine Idee des frühe- ebenso auf wie die Frage der gerechten Doch wie's auch sei, die Zeit, Chance wurde auch in Schwaben ge- klage beim Bayerischen Verwaltungs- ren Dasinger Bürgermeisters Matthias Verteilung der Infrastruktur, etwa das sie läßt vergessen und sie heilt. nutzt. So schlossen sich zum Beispiel gerichtshof gegen die Eingemeindung Feiger geht der Begriff „Wittelsbacher für das Jubiläumsjahr geplante prak- Zusammenhält als Eheband die Allgäuer Gemeinden Altusried, STOPP PER VOLKSBEGEHREN? nach Horgau ein, bekam recht und Land” zurück, der als ein Geschich- tisch neue Krankenhaus am bewährten das Wittelsbacher Herkunftsland. Frauenzell, Kimratshofen, Krugzell wurde der Verwaltungsgemeinschaft te transportierender Name zunehmend Standort in Friedberg. und Muthmannshofen schon zum In aller Eile strengte etwa eine Gessertshausen zugeordnet. In der regionale Identität im „Bindestrich- Zur Silberhochzeit als Präsent, 1. Januar 1972 zu der Einheitsgemeinde „Arbeitsgemeinschaft” um Sebastian Folge wurde eine neue Zielplanung in Landkreis” stiftet. Ein 1999 gegrün- zu Happy-Birthday, Happy-End Altusried zusammen. Freiherr von Gumppenberg aus Pött- diesem Raum notwendig, da eine Ein- deter Verein gleichen Namens fördert bekommt das Jubelpaar Applaus mes 1971 eine Verfassungsänderung heitsgemeinde Horgau ohne Agawang bis heute die wirtschaftliche und kul- und auch ein neues Krankenhaus. Dem Zusammenschluss vorausgegan- per Volksbegehren an. Landkreisein- mit nunmehr 2500 Einwohnern als turelle Entwicklung im Landkreis. gen war die Überlegung der Bürger- teilungen sollten nur mit Zweidrit- nicht leistungskräftig genug erachtet Viel Freude soll's bereiten, meister der fünf Dörfer, dass der Staat telmehrheit des Landtags geändert wurde. Am 19. Dezember 1977 trat die Ein Neubau des Landratsamts in wenn es gebaut beizeiten, seine Gebietsreform in jedem Fal- werden dürfen. Das Volksbegehren neue Rechtsverordnung der Regierung Aichach war als Ergebnis der Gebiets- das wünschen alle heute le durchsetzen würde. Auch erkannten „Demokratische Gebietsreform” von Schwaben in Kraft, wonach die reform des Jahres 1972 unumgänglich: vor allem aber Merings Leute. sie die Notwendigkeit größerer Ein- scheiterte im November 1971 aber Gemeinden Rommelsried und Aga- Die Aufgaben des neuen Landkrei- heiten, um die Aufgaben eines moder- an der Zehn-Prozent-Hürde – nur wang in die Verwaltungsgemeinschaft ses waren enorm gewachsen, das ent- Friedberger Allgemeine vom 05.07.1997 nen Gemeinwesens zu bewältigen. Also 3,7 Prozent der Stimmberechtigten Gessertshausen, Horgau und Streit- sprechende Personal musste unterge- entschied man sich für den freiwilli- in Bayern waren dafür. Ein zweites heim hingegen in die Marktgemeinde bracht werden. Der Einzug in das neue gen Weg, um so die Sonderförderung Volksbegehren „Bürgerfreundliche Zusmarshausen eingegliedert wurden. 364 BAYERISCHER GEMEINDETAG 11/2022 11/2022 BAYERISCHER GEMEINDETAG 365
FACHBEITRÄGE FACHBEITRÄGE Gegen diese verordnete Eingemein- kotts mit öffentlichem Verbrennen Transparent beim Siegestanz zu lesen gab sich ein Emblem, das die Wappen HEIMATGEFÜHL: TRADITION bürger, die sich in den vorangegange- dung liefen die Horgauer Sturm. Am der Wahlscheine bis zur Verteidigung ist (siehe Foto unten). Aus Dankbar- der bisherigen Landkreise Günzburg UND IDENTITÄT nen Jahren für die Wiedereinführung 20. März 1978 gründeten sie den Bür- des Rathauses mit Mistgabeln. Zu keit errichtete der Bürgerverein Roth- und Krumbach verband. Die General- des Altkennzeichens SMÜ (Schwab- gerverein Rothtal e. V. mit dem Ziel, gewaltsamen Auseinandersetzungen tal 1986 am Ortsrand von Horgau eine direktion der Staatlichen Archive Bay- Offenbar sind Kfz-Kennzeichen für münchen) eingesetzt hatten. Die Bür- die Selbstständigkeit ihrer Gemeinde mit der Polizei wie im berühmt gewor- dem heiligen Wendelin geweihte Ka- erns als zuständige Fachbehörde be- viele Menschen Ausdruck regionaler gerinitiative „Pro SMÜ” unter Führung wiederzuerlangen. Der Verein wuchs denen unterfränkischen Ermershausen pelle mit einer Dankinschrift „zur schrieb und befürwortete das neue Identität. Nur so erklärt sich einerseits von Ivo Moll, dem früheren Präsiden- bald auf über 600 Mitglieder und in- kam es in Horgau aber nicht. Erinnerung an die wiedererlangte Wappen in einem Gutachten: „Die im der Unmut nach der Gebietsreform, ten des Verwaltungsgerichts Augsburg, formierte in den folgenden sechs Jah- Selbständigkeit unserer Gemeinde”. Wappen enthaltenen Motive bringen wenn in neuen Landkreisen nur noch hatte mehr als 2000 Unterschriften ren die Öffentlichkeit: zum Beispiel Nach der 1981 durch den Bayerischen den Zusammenschluss der früheren eine einheitliche Kennung möglich war, gesammelt. Nach Molls Argumenta- mit der eigenen Vereinszeitschrift Verwaltungsgerichtshof abgelehnten Landkreise Günzburg und Krumbach und andererseits der große Erfolg der tion sei die Einheit des Landkreises „D'r Rothtaler“ (die bis heute besteht) Normenkontrollklage hatten die Hor- GÜNZBURG: NEUE WAPPEN symbolhaft zum Ausdruck: Das von Wiedereinführung abgeschaffter Kür- durch das Kürzel SMÜ keineswegs ge- und Bürgeraktionen. Der Verein lei- gauer mit ihrer Popularklage vor dem BRAUCHT DAS LAND einem goldenen Pfahl überdeckte, von zel der Alt-Landkreise in Bayern. Die- fährdet. Schließlich gebe es bayern- tete Proteste und bereitete rechtliche Bayerischen Verfassungsgerichtshof Silber und Rot geteilte Feld steht für se wurde ermöglicht durch Bundes- weit bereits in 65 Landkreisen verschie- Schritte vor. Eine geschickte Öffent- endlich Erfolg. Dieser entschied am Jeder Landkreis in Bayern führt ein die ehemal. Markgrafschaft Burgau, verkehrsminister Peter Ramsauer, der dene Nummernschilder und keiner sei lichkeitsarbeit machte die „Rebellen 27. Oktober 1983 zu ihren Gunsten, eigenes Wappen. Die Zusammenlegung die im 18. Jh. von Günzburg aus ver- dem Bundesrat 2012 die entsprechende deswegen auseinandergebrochen. Auch gemeinde” Horgau überregional be- was mit einem großen Fest gefeiert von Landkreisen zum 1. Juli 1972 be- waltet wurde. Der halbe silberne Adler Vorlage präsentiert hatte. Kurz darauf der höhere Verwaltungsaufwand sei kannt. Die Protestaktionen reichten wurde. Tags darauf war Horgau erneut deutete in vielen Fällen die Notwen- weist auf den Krumbacher Gebietsteil wurden auch in Bayerisch-Schwaben kein Argument, da die Kosten von den von Schweigemärschen, Auto- und selbstständige Einheitsgemeinde und digkeit neuer Hoheitszeichen. Der neu hin als ein der Adelsfamilie Schwabegg- wieder frühere Nummernschilder ein- Bürgern getragen würden. Traktorendemonstrationen, Wahlboy- „endlich wieder frei”, wie auf einem gebildete Landkreis Günzburg etwa Ursberg zugeschriebenes Wappen, da geführt, so zum Beispiel in den Land- mit den Schwabeggern die Anfänge kreisen Ostallgäu (MOD für Markt- Seit dem 1. März 2017 darf man im des Prämonstratenserklosters Ursberg oberdorf und FÜS für Füssen) oder Landkreis Augsburg neben dem bis- und des adligen Damenstifts Edelstet- Donau-Ries (NÖ für Nördlingen). lang allein gebräuchlichen A auch die ten verknüpft sind.” Wunschkennzeichen SMÜ und WER Nicht jeder begrüßte diese Liberalisie- (Wertingen) für die Zulassung wählen. Die Kreiswappen sollten – wie in rung. So hielt etwa der Vater der Ge- Allerdings wird die Sehnsucht nach Günzburg – die administrativ neu bietsreform Bruno Merk die Wieder- Demonstration der Herkunft dadurch einführung des Kennzeichens KRU ad absurdum geführt, dass jeder aus (Krumbach) im heutigen Landkreis dem Landkreis Augsburg unabhängig Günzburg für einen „Schmarrn”. Auch vom Wohnsitz die neuen Nummern- in der Forschung gab es kritische Stim- schilder wählen kann. men. Die Landeshistorikerin Marita Krauss vermutete, dass die Wiederein- Nach den Erfahrungen der Zulassungs- führung der alten Kürzel den Identi- stellen ist etwa 80 Prozent der Kunden fikationsprozess der Landkreise eher weniger an den alten Landkreiskürzeln Foto: © StAA, Altregistratur 604-1 wieder unterbrechen werde. Einen neu- gelegen als an der Möglichkeit, dahin- Foto: © Bürgerverein Rothtal en Spaltkeil in den Landkreisen be- ter die eigenen Initialen oder Wunsch- gebildeten Einheiten veranschau- fürchteten auch Lokalpolitiker wie buchstaben zu ergattern. lichen und als Erkennungszeichen der Augsburger Landrat Martin Sailer. die Bildung eines neuen Kreisbe- Nach längerem Zögern gab er aber im wusstseins befördern. Oktober 2016 doch nach. Er entsprach damit dem Wunsch vieler Landkreis- 366 BAYERISCHER GEMEINDETAG 11/2022 11/2022 BAYERISCHER GEMEINDETAG 367
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