Geschichten Wir wollen - Magazin der - Universität Luzern
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EDITORIAL Die Erzählung als Gegenmittel Pernille Budtz Liebe Leserin, lieber Leser Redaktionsleiterin LINK Redaktionsleiterin LINK Vor Kurzem war ich in Dubai. Ein dreitägiger Stopover zwischen Colombo und Zürich. Es war 47 Grad heiss, die Luftfeuchtigkeit 70 Prozent. Trotz des Verlangens, Kulturel- les zu erleben, verschlug es mich in die Dubai Mall, eines der grössten Einkaufszentren der Welt. Überwältigt und ziellos irrte ich mit meiner Familie durch den hypermodernen Megaladen. Es hat dort alles. Sachen, von denen ich nicht einmal wusste, dass es sie gibt. Günstiges, Teures, Ramsch, Gucci, sogar dänische Lakritze und eine Sprüngli- Filiale. Schlussendlich habe ich fast nichts gekauft, zu überwältigend war das Erlebnis. Und so geht es mir – zurück im Büro – auch mit den Medien: Das Informationsange- bot im virtuellen Megaladen von Google & Co. ist schier grenzenlos. Der Kampf um die knappe Aufmerksamkeit der Kundschaft ist hart und fordert zunehmend seine Opfer in der Schweizer Medienlandschaft; Zeitungstitel werden aufgekauft, Redaktionen zusammengelegt, es wird zentralisiert, schnell produziert, automatisiert. Der Journalismus muss neue Konzepte, neue Visionen für die Zukunft suchen. Und es gibt gute Ansätze, wie dies gelingen kann. Ihnen gemeinsam ist: Sie greifen auf das Urbedürfnis des Menschen zurück, Geschichten zu erleben. Und sie entfalten ihre Kraft dort, wo die Krise entstanden ist: im Internet. Zum Beispiel hat sich die werbefreie Onlineplattform «Republik» einen Namen gemacht, nicht nur mit ihrer unkonventionellen Organisationsform, sondern vor allem auch mit ihren hervorragenden Narrativen (lesen Sie das Interview mit Gründer Constantin Seibt auf S. 4–7); oder die neuen Digital Storytellers bei SRF, die ihren Arbeitstag damit verbringen, komplexe Zusammenhänge in kurzen digitalen Geschichten zu erklären; oder Radio SRF, das in einem Podcast-Erzählexperiment in sechs Episoden einem gesellschaftsrelevanten Thema auf den Grund geht. Fotos: Cover: colourbox.de; Editorial: Thomas Züger Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre! 2 LINK | September 2018
INHALT IN KÜRZE Fokus Seite 4 «Republik»- Neue SRG-Konzession: Gründer Seibt im Interview Mehr Service public Der Bundesrat hat der SRG am 29. August 2018 technologischen Rahmenbedingungen und der eine neue Konzession erteilt. Diese tritt am Nutzungsgewohnheiten eine Anpassung des Ser- 1. Januar 2019 in Kraft und gilt bis zum 31. De- vice public im Medienbereich erfordern. Diese An- zember 2022. Sie setzt kurzfristige Massnahmen passung soll in zwei Phasen erfolgen: Mit der neuen zur Stärkung des nationalen Service public um, SRG-Konzession will der Bundesrat kurzfristig ab insbesondere in Bezug auf Integration, Qualität 2019 das Leistungsprofil der SRG schärfen und und Rechenschaftspflichten der SRG. Zudem er- deren Service-public-Charakter deutlicher um- Seite 8 füllt sie politische Vorstösse, welche noch auf der reissen. Mittelfristig will er das heutige Radio- und Digital Storytelling bei SRF: Grundlage des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehgesetz zu einem Bundesgesetz über Kurz und vertieft Fernsehen (RTVG) realisiert werden können. elektronische Medien (BGeM) weiterentwickeln In seinem Bericht zum Service public im Medien- und der Digitalisierung im Medienbereich Rech- Seite 10 bereich vom 17. Juni 2016 hatte der Bundesrat nung tragen (siehe Seite 12). Die aktuelle Konzes- Das Leben von «Edi» – neuer dargelegt, dass die rasanten Veränderungen der sion hat deshalb Übergangscharakter. Podcast von Radio SRF Medienpolitik Seite 12 Auszeichnung Bescheidener Entwurf zum Mediengesetz für SRF-Info- sendungen Unternehmen Im Rahmen des Medien- qualitätsratings von Seite 14 Medienqualität Schweiz «mitenand»: wurden die 50 wichtigsten Lichtblick auf Informationsmedien der Schweiz anhand ihrer der Müllkippe Qualität bewertet. Die zweite Ausgabe des Seite 16 Ratings konzentrierte sich Der neue SRF-Unterhaltungs- dabei auf die Qualitätsver- chef Stefano Semeria im änderung der Medien. Interview Gleich zwei Sendungen von Radio SRF fallen dabei Verein MEHR PROGRAMM auf: Die Sendung «Ren- Seite 20 FÜR SINNESBEHINDERTE dez-vous» ist die Quali- tätsaufsteigerin des Jah- Umzug Bern: res, während «Echo der «Tagesschau» kritisch beäugt Der Bundesrat hat am 29. August 2018 die Radio- und Zeit» die insgesamt beste Fernsehverordnung (RTVV) angepasst. Der Bundesrat Wertung aller 50 Teilneh- Seite 22 hat entschieden, die Medienleistungen für Sinnes- menden erhält. Beide Junges Echo gesucht behinderte auszubauen. Die SRG wird verpflichtet, den erhalten als Auszeichnung Anteil der untertitelten Sendungen in den linearen das goldene Q. Aber auch Junge SRG Seite 24 «MoJo»: Mobiler, schneller, Fernsehprogrammen in den nächsten Jahren auf min- «10vor10» (TV) erreiche Fotos: Mirco Rederlechner, stock.xchng, flexibler destens drei Viertel anzuheben. Der Anteil der Unter aufgrund der Inhalts titelung der von der SRG ausschliesslich im Internet analyse ein ähnlich hohes Ombudsstelle Seite 26 veröffentlichten Beiträge (Web-only) ist auf zwei Drittel Niveau wie «Echo der Zeit» Die Kritik am Doppeladler zu erhöhen. Damit wird ein Beitrag zur Umsetzung und «Rendez-vous», falle musste sein des UNO-Übereinkommens über die Rechte in der Befragung aber von Menschen mit Behinderungen geleistet. leicht zurück. LINK | September 2018 3
«Es war eine dunkle, stürmische Nacht, als …» Mit Posaunen und Trompeten ist zum Jahresbeginn die «Republik» gestartet. Das werbefreie Onlinemagazin verblüfft seither mit hervorragend erzählten Geschichten und experimentiert mit innovativen Erzählformen. Der grosse Test kommt im Januar. Vinzenz Wyss sprach in der Halbzeit mit Mitbegründer Constantin Seibt über den (Wahn-)sinn hinter der Idee der Rothaus-Redaktion im Zürcher Kreis 4. Vinzenz Wyss: Besonders auffallende Journalis- Dann ist der grosse Test, ja. Der Erfahrungswert tinnen und Journalisten verlassen ihre Arbeit- liegt bei etwa fünfzig Prozent Erneuerer. Wir wer- geber und stocken das knapp 40-köpfige Team den mit einer Herbstoffensive für 66 Prozent kämp- der «Republik», auf. Was motiviert sie? fen. Das ist ein ambitioniertes Ziel. Blutig wird es Constantin Seibt: Wir sind der einzige Laden mit ei- bei unter vierzig Prozent. ner klaren Vision für die Zukunft – so unperfekt wir auch noch sind. Wir versuchen sehr energisch, Was ist, wenn das Ganze scheitert? ein neues Modell zu entwickeln, wir wollen aus Scheitern ist schlicht keine Option. Diese Chance dem Nichts eine Institution bauen. Das ist eine Auf- hat man nur einmal im Leben. Man kommt bei ei- gabe, die Menschen mit Wahnsinn und Tempera- ner Unternehmensgründung an die Grenzen seines ment gefällt. Könnens, weit hinaus in das Reich seiner Unfähig- keit. Als Journalist hat man quasi als Anarchist ge- Wer zur «Republik» wechselt, verlässt in der lebt: Man hat null Erfahrung in Management, Mar- Regel einen guten Arbeitgeber und stürzt sich keting oder Fundraising. Und im Zweifel erst in ein riskantes Abenteuer. einmal Sand in den Motor der Routine geworfen. Es ist ein Abenteuer, das sich nicht immer angenehm Und dann stellst du fest, was für eine Kunst es ist, anfühlt, weil die Strukturen noch nicht fertig ge- vernünftige Routinen aufzubauen. Im Nachhinein baut sind. Weil wir aber einen genauen Finanzplan leiste ich einigen meiner Chefs Abbitte. Nun selbst haben, ist das Risiko nicht superdramatisch. Zwei der Verantwortliche für den Motor zu sein, ist eine Jahre sollten wir mindestens durchhalten – was im- verdiente Strafe. Hart, aber gut fürs Karma. mer passiert. Ausser wenn bei der Erneuerung im Januar die Abonnenten in Scharen von Bord gehen. Vor was fliehen denn die Journalisten, die zur Dann würde ich das Land verlassen müssen. «Republik» wechseln? Fotos: Mirco Rederlechner Die grossen Schweizer Verlage verlassen die Pub- Damit es nicht so weit kommt, müsste am lizistik – zumindest als Geschäftsmodell. Sie wer- 14. Januar ein Grossteil eurer bisherigen 22 000 den zu Internet-Handelshäusern – und haben kei- «Verleger» das erste Jahresabo erneuern. nen langfristigen Plan mehr für den Journalismus 4 LINK | September 2018
FOKUS Die «Republik» Bereits vor mehr als sieben Jahren begannen Constantin Seibt (Bild. Früher Studentenzeitung ZS, die Wochenzeitung WOZ und «Tages-Anzeiger») und Christof Moser (früher «Facts», «Weltwoche», «SonntagsBlick» und «Schweiz am Sonntag») aufgrund ihrer Analyse eines «kaputten Mediensystems» damit, über das Projekt «Republik» nachzudenken. Am 14. Januar 2018 ging dann das mit viel Pathos angekündigte Onlinemagazin an den Start. In ihrem Manifest betonen die Herausgeber die Bedeutung des Journalismus für die Demokratie und dessen Aufgabe, «den Bürgerinnen und Bürgern die Fakten und Zusammenhänge zu liefern, pur, unabhängig, nach bestem Gewissen, ohne Furcht vor niemandem als der Langweile«. Das Magazin beschäftigt mittlerweile knapp 40 Personen, darunter überdurchschnittlich viele Datenjournalisten. Die Redaktion experimentiert mit neuen Erzählformen von der «Ameise» über den Videotalk bis zum Podcast und pflegt intensiv den Dialog mit der Leserschaft. Finanziert wird das Magazin über das Abon- nementmodell (CHF 240/Jahr). Foto: LINK | September 2018 5
FOKUS – ausser die Kosten schneller zu senken, als die Ein- Schweizer Markt ein Medium zu verankern, das nahmen fallen. überlebt. Und gross genug ist, um überhaupt wahr- genommen zu werden. Dabei ist unsere These, dass Von den neusten Zusammenlegungen der im heutigen Journalismus die Ware nicht Nachrich- Redaktionen versprechen sich die Verleger aber ten sind, sondern Vertrauen. Dazu braucht es: Auf- auch einen Qualitätsschub im Überregionalen. richtigkeit, Mut und Handwerk. Du musst den Leu- Es ist ökonomisch sicher das Richtige, alles zusam- ten zuhören, eine klare Stimme haben, Fehler menzulegen. Man gewinnt so durchaus Schlagkraft. zugeben, verlässliche Qualität bieten und von Zeit Das passiert aber, ohne dass wirklich eine klare pu- zu Zeit etwas wirklich Erstaunliches tun. Und dann blizistische Richtung zu sehen wäre, ohne dass eine sind wir auch ein wenig im Ablasshandel tätig. Das Handschrift da ist. Dabei geht die Identität flöten heisst, wer bei uns abonniert, kauft sich auch das und die Zukunftsentwicklung besteht aus irgend- Gefühl, etwas für die Welt getan zu haben. welchen Gadgets wie Roboterjournalismus, Da- ta-Mining und weiteren Fusions- und Abbau-Ideen. Worin besteht das Versprechen? Man antwortet auf die Herausforderungen des 21. Wir haben ehrgeizige Ziele. Wir arbeiten zum Bei- mit den Mitteln des 19. Jahrhunderts: mit industri- spiel hart daran, weniger zu bieten als die grossen ellem Journalismus. Und baut Abfüllstationen. Ich Medien: möglichst weniger als drei Artikel pro Tag. sehe das Problem im Ge- Unser ehrgeizigstes samtsystem. Wir hätten Ziel als Nischenme- die Mühe nicht auf uns dium ist sicher, den genommen, wenn wir Mainstream wieder nicht davon überzeugt herzustellen – durch wären, dass das Medien- offene Debatten mit system ein neues Modell Präzision und Höflich- braucht. keit. Denn der Main- stream ist entschei- Woran krankt das Sys- dend: als Bühne für die tem denn? politische Öffentlich- Die Verleger hatten keit. Je besser der lange eine Gelddruck- Mainstream, desto bes- maschine, die Journalis- Constantin Seibt zum Projekt «Republik»: «Eine Aufgabe, ser das Land. ten eine garantierte die Menschen mit Wahnsinn und Temperament gefällt.» Kanzel. Journalismus Aber manche war ein Jahrhundert lang eine geschützte, natio- Medienkritiker wettern ja gerade gegen diesen nale Branche – inklusive Gewinnen, Macht, Pres- so genannten Medien-Mainstream. tige. Kein Wunder, arbeiteten dort nicht die erfin- Dabei ist der Mainstream das Gemeinsame der derischsten Köpfe. Und kein Wunder, haben die Menschen, da, wo man sich versteht, wo man einen Journalisten grösste Schwierigkeiten mit Verände- «Common Ground» hat. Das Verbindende ist heute rungen. Als Journalist war ich gewöhnt, ein Pro das Interessantere als das Trennende. Das Aufbau- blem zu dramatisieren. Dass ich Teil des Problems ende ist publizistisch die schwierigere Aufgabe als sein könnte, war verblüffend neu für mich. Und das Empören oder Niederreissen. Wir sagen ja noch neuer, dass ich ein Teil der Lösung sein nicht, dass wir die Wahrheit gepachtet haben. Aber könnte. wir versuchen, mit unserem Handwerk der Wirk- lichkeit so nah wie möglich zu kommen. Dies ge- Was ist nun die Antwort lingt uns nicht immer – und auch dann nur höchs- der « Republik» auf die neuen B edingungen? tens zu 80 Prozent. Und gerade weil das eigene Unser Job ist ja nicht, die Probleme des gesamten Scheitern und die eigene Blindheit zu diesem Be- Systems zu lösen. Selbst im allerbesten Fall wird ruf gehören, ist es wichtig, dass wir Journalisten die «Republik» nie eine Grundversorgung bieten immer auch unser Handwerk erklären. können: Die ist zu komplex und zu teuer. Da bleibt das SRF-Modell unverzichtbar. Unser Ziel ist be- Die «Republik» ist für Medienunternehmen scheidener: ein Medium, das für die Öffentlichkeit atypisch als G enossenschaft plus AG sinnvoll ist und seiner Leserschaft Spass macht. organisiert. Ist das auch eine Antwort auf die Und das ist schwer genug: Auf dem winzigen neuen Herausforderungen? 6 LINK | September 2018
Ja, die zentrale Antwort. Wir haben lange darüber das schreibt, was einen wirklich interessiert. Und nachgedacht, was das richtige Verhältnis zur Le- alles andere weglässt. Schreiben ist in einem Wort: serschaft ist. Und kamen darauf: Sie ist unverzicht- Aufrichtigkeit. bar. Deshalb machen wir auch keine Werbung, denn so haben wir nur einen Kunden, ein Ziel – und Die «Republik» fällt durch ihre hervorragend damit auch nur einen Chef. Wir haben sie deshalb geschriebenen Erzählungen auf, zugleich wird auch nicht als Leser, sondern als Verleger angespro- Kritik wegen der monströsen Länge laut. In chen. Das hat ausserdem den Vorteil, dass man mit e urem Jargon: zu viele Wale, zu wenig twitterfä- ihnen viel direkter sprechen kann. hige Ameisen 2.0. Stehen Kürze und Erzählung in einem Widerspruch? Die «Republik» setzt stark auf Erzähl Nein, tun sie nicht. Grundsätzlich gilt, dass eine journalismus. Ist «Storytelling» das Allheil Geschichte jede Länge haben kann, so lange sie in- mittel gegen den Systemfehler? teressant ist. Wir haben ja selbst vor dem Start nicht Wenn man es «Storytelling» nennt, hat man es nur das Panorama und das Steak versprochen, son- nicht begriffen. Es klappt nie, wenn man sagt, jetzt dern auch das Konzentrat und das Dessert. Der bringen wir mal die Fakten als Erzählung. Vielmehr Grund, warum die «Republik» mit Artikeln epi- geht es darum, die Erzählung in der Wirklichkeit scher Länge begann, war in einem Wort: Angst, zu suchen. Und zu finden. Dabei sind die Fakten nackte, magendrehende Angst. Wir haben dann nur die Zutaten. Diese müssen zwar rein sein, man hart um Kürze ringen müssen. Zuerst mit Konzen- darf sie weder verbiegen noch tratsformaten wie «Briefing aus übergehen – aber der Kuchen sind sie nicht. Denn erst eine Erzählung «Erst eine Bern». Dann mit der Einführung von «Ameisen», einer Produktelinie, die lässt den Menschen verstehen. Die Erzählung lässt kurz, subjektiv, dessertfähig ist. Erzählungen bleiben, die Fakten den Menschen verschwinden. verstehen. Wie versucht die «Republik», dem veränderten Nutzungs Was macht denn eine gelungene Die Erzählungen verhalten des Publikums im Netz journalistische Erzählung aus? Indem ich beispielsweise in dem Ton bleiben, zu begegnen? Unser Marktplatz ist – leider, aber über komplexe Themen wie Banken- die Fakten ver- dennoch – Facebook und Co. Social krise oder Derivate schreibe, als schwinden.» Media sind die Vertriebskanäle. Die wäre mein erster Satz: «Es war eine «Republik»-Seite hat zwar eine dunkle, stürmische Nacht, als …» Und man muss ei- harte Paywall, die einzelnen Artikel sind jedoch nen klaren Weg durch den Faktenwust finden. Denn unendlich teilbar. Das heisst, unser Kernprodukt für eine wirklich gute Geschichte braucht es auch ist zugleich auch das wichtigste Werbemittel. Un- unglaublich viele, präzis gecheckte Details. Zum Bei- sere besten Artikel, die, die viel gehen, sind auch spiel bei unserer viel beachteten Story zum Bündner das Marketing. Damit haben wir den Anreiz, dass Baukartell haben unsere Leute über zwei Monate überzeugende journalistische Arbeit auch der Mo- lang recherchiert wie die Irren. Alle diejenigen, die tor für den Verkauf ist. dann sagten, dass da nichts Neues drin war, täuschen sich. Die Eckdaten des Skandals waren zwar seit Jah- Unendlich teilbar heisst aber letztlich auch gratis. ren bekannt. Aber erst die präzise Erzählung, wie Natürlich. Nur: Wir haben ja auch unseren Verle- genau die Deals liefen, liess die Leute plötzlich ver- gern versprochen, dass wir in der öffentlichen De- stehen. Plus der Zusammenhang. Die Leser bekamen batte einen Unterschied machen. Und nicht, dass die Geschichte vorher nur in Bruchstücken. wir ihnen pro Jahr exklusiv eine bestimmte An- zahl von Artikeln liefern. Unsere Geldgeber inte- Ist guter Erzähljournalismus auch eine Frage ressieren sich dafür, dass der Job des Journalismus der journalistischen Haltung? gemacht wird – weil das ein Job ist, den jede Ge- Ein guter Erzähljournalist recherchiert zum einen sellschaft braucht. Sie wollen darüber hinaus gele- gegen aussen, in der Wirklichkeit, was die Fakten gentlich stolz sein, Verleger der «Republik» zu sein. sind. Aber recherchiert auch gegen innen, ins ei- Wenn wir es schaffen, jemanden im Jahr zehn Mal gene Herz, was ihm die Fakten bedeuten. Was hat stolz zu machen, wird er oder sie uns erneuern. ihn wirklich verblüfft, interessiert, berührt? Und was nicht? Ein Text ist dann stark, wenn man nur VINZENZ WYSS LINK | September 2018 7
FOKUS D ie Moderatorin Rosanna Grü- ter steht vor der Haustüre ei- nes Wohnblocks und drückt auf einen Klingelknopf. Sie kennt den Mann nicht, mit dem sie auf diese Weise in Kontakt treten möchte, seine Adresse hat sie gegen Geld erwor- ben. «Daten kann man kaufen – Dates auch?» – so lautet ein Beitrag der noch jun- gen Sendung «Bytes/Pieces» von SRF. Das ganze Sendungs-Päckli mit drei Beiträgen erschien Mitte Jahr und war dem Thema Datenschutz und Datenhandel gewidmet. Die trocken und kompliziert anmutende Thematik scheint sich im besten Fall für eine Hintergrundsendung am Abend zu eignen. Zielpublikum: Erwachsene mit Sitzleder. Könnte man denken. Aber es ist komplett anders. Der Dreiteiler richtet sich an ein junges Publikum, ist so kurzweilig wie eine Soap und so lehrreich wie eine Wissenschaftssendung – und es gibt ihn nur im Internet, wie alles, was die Mache- rinnen und Macher von «Bytes/Pieces» produzieren. Die Sendung ist eines der vie- len und vielseitigen Beispiele dafür, was SRF derzeit unter dem Begriff «Digital Storytelling» produziert. Ein ungenauer Begriff notabene. Inner- halb von SRF findet man in den verschie- densten inhaltlichen Abteilungen digitale Storyteller, bei den News ebenso wie in der Unterhaltung und der Kultur. Eine bes- sere Eingrenzung ergibt sich über das erste Kurz gesagt Wort: «Digital». Es ist genau so gemeint, umfasst also ausschliesslich journalisti- sche Arbeiten, die SRF online publiziert. Aber da wird’s bereits wieder kompliziert: «Online» kann bedeuten: auf den eigenen Websites, aber auch auf Youtube und in und vertieft erklärt den sozialen Netzwerken Facebook, Twit- ter, Instagram und weiteren. Ist die nahe- liegende Übersetzung «Online-Journalis- mus» gleichbedeutend mit Digital Story- telling? Nein, sagt Marius Grieder und «Digital Storytelling» gewinnt an Bedeutung. lacht. Er muss es wissen, denn seine Berufs- Was beinhaltet d ieses «digitale Geschichtenerzählen», bezeichnung bei SRF lautet «Digital Story- wer übt es aus, was ist das Neue daran und welche Bedeutung teller». «Ich bin Allrounder. Ich filme, hat Digital Storytelling für SRF – jetzt und für die Zukunft? schneide, animiere und überlege auch, wie ein Inhalt aufgebaut werden kann, woran wir ihn ‹aufhängen›. Ich recherchiere aber nicht selber, das machen die Journalisten, Illustration: iStock mit denen ich zusammenarbeite. Wir sind ein Team.» 8 LINK | September 2018
«Daten kann man kaufen – Was Digital-Storytelling-Beiträge aus- zeichnet, ist ihre Multimedialität: Text, Dates auch?» zielle Dates für CHF 9.80», staunen die beiden. Und die Zuschauenden erfahren Audio, Film, Fotografie, Illustration, Gra- Unerwartetes über Recherche. fik, Infografik – es ist ein individuelles Zu- Mit der Dating-Idee wird zwar vor al- sammenspiel von mehreren dieser Diszi lem ein junges Publikum angesprochen, plinen. Teamarbeit war schon immer relevant ist dieser dreiteilige Beitrag aber selbstverständlich im Radio- und Fernseh- auch für Ältere. Die über 50-Jährigen seien journalismus, aber jetzt kommen neue übrigens auch das Klientel, bei dem die di- Spezialisten in die Teams: Programmierer gitalen Inhalte von SRF derzeit am stärks- und Designer respektive Multimedia-Pro- ten zulegen würden, sagt Konrad Weber. duzenten. «Unser Ziel ist es, dass sie alle Dies nicht von ungefähr, denn SRF produ- auf gleicher Stufe zusammenarbeiten, dass ziert Digital Storytelling längst nicht nur es kein Gefälle zwischen ihnen gibt», sagt für ein junges Publikum. Auch Christoph der langjährige SRF-Journalist Konrad Aebersold will mit einem Vorurteil aufräu- Weber, der heute Projektleiter für die di- men, nämlich jenem, wonach es online nur gitalen Angebote ist. Hier finde ein Um- «20 Jahre, 20 Titel» oberflächliches Kurzfutter zu konsumie- denken statt, wie auch bei den Überlegun- – eine animierte ren gebe. Der Leiter Strategie und Ange- gen, für welche Kanäle ein Beitrag bote für die junge Zielgruppe sagt: «Klar produziert werde: «Früher arbeitete man Datenanalyse zu gibt es viele Kurzformen. Aber es gibt auch immer erst mal fürs Radio oder Fernsehen. Roger Federer. viele neue und immer mehr Formen und Heute gibt es Beiträge, die zuerst einmal Möglichkeiten, Informationen online zu für Online recherchiert und produziert vertiefen. Das entspricht auch dem Bedürf- werden.» nis des jungen Publikums: Es wünscht In- Anschauliche und vielseitige Beispiele formation, Orientierung und Einordnung.» dafür liefert SRF Data, ein Team von Da- Gerade was das Radio betrifft, sieht Ae- tenjournalisten, das im Online bei SRF bersold im Digital Storytelling Gemein- News angesiedelt ist. Angelo Zehr ist ei- samkeiten: «Radio darf nicht ausufernd ner von ihnen. Der 28-Jährige, der sein sein, es muss Inhalte herunterbrechen. Das Studium in Multimedia Production an der ist eine Qualität, die auch das Digital Sto- Hochschule für Technik und Wirtschaft in rytelling erfordert.» In ihm sieht er vor al- Chur mit einer Bachelorarbeit über multi- lem Chancen – auch fürs Erreichen von medialen Politjournalismus abgeschlossen Hörerinnen und Hörern, zu denen SRF hat, zeigt von den vielen Arbeiten eine, die sonst keinen Zugang (mehr) hätte. «Digi- zu recherchieren und zu produzieren ihm Infografiken zu tal Storytelling bietet uns die Möglichkeit, besonders Spass gemacht hat: «20 Jahre, 20 Titel» – eine grosse, animierte Daten- Waffenexporten Inhalte zu produzieren, mit denen wir an ein neues Publikum herankommen – ins- analyse zur Karriere von Roger Federer. aus der Schweiz besondere auch an das junge, das Medien Sie erschien im Januar und beeindruckte kaum noch linear konsumiert.» Und da- auch externe Medienkritiker. «Aktuell bin rum gehe es ja: «SRF hat mit dem Service ich an einer Geschichte zur Entwicklung public den Auftrag, alle Bevölkerungs- der politischen Mehrheitsverhältnisse in gruppen zu erreichen.» den zehn grössten Schweizer Städten. Das war eine Anfrage des Regionaljournals ESTHER BANZ Bern Freiburg Wallis.» Auch das eine fun- dierte Analyse. Dass sich vermeintlich trockener, tech- nischer Datenjournalismus frisch vermit- teln lässt, zeigt beispielhaft die bereits er- wähnte Sendung «Bytes/Pieces», auch sie wird von SRF Data produziert. In einer der Geschichten Folgen sieht man Angelo Zehr neben von SRF Data Rosanna Grüter sitzen. Er erklärt ihr, wie Fotos: SRF Data er an die Adressen vermeintlich passender www.srf.ch/news/srf-data Männer für sie gekommen ist. «28 poten- LINK | September 2018 9
FOKUS Das Leben von «Edi» Radio SRF nimmt seine Hörerinnen und Hörer mit auf eine neue Erzählreise. Weshalb der neue Podcast «Edi – Leben am Limit» weder ein Radiobeitrag noch ein Hörspiel ist und warum die Geschichte eines K riminellen uns alle etwas angeht. Fussballer wollte er werden – «Das Podcast-Format schafft eziehen will und kann. Dieses b Ähnlich wie in einem Hörspiel. Verbrecher ist er geworden. So neue Möglichkeiten, gesell- individuelle Hören verlangt an- Der SRF-Podcast unterschei- startet die Geschichte. «Ich schaftlich relevante Themen in dere Formen des Storytelling», det sich aber von einem Hör- habe fast alle Gesetze gebro- neuen Erzählformen an ein meint Witzig. Genau hier liegt spiel, indem die Geschichte chen, die man brechen kann», Audio-Publikum zu bringen», ein zentraler Unterschied zum wahr ist und auf Recherchen sagt Eduardo T., kurz Edi. Edi ergänzt sie. herkömmlichen Radiobeitrag: mit echten Menschen basiert, ist ein notorischer Verbrecher, Mit «Edi» folgt nach «Einfach Podcasts tauchen tiefer ins The- während Hörspiele meist fiktive Einbrecher, Drogenkurier, Bor- Politik» der zweite Original- ma ein, der Inhalt gibt die Länge Geschichten erzählen. Was die dellbesitzer und Lottogewin- Podcast von SRF. Original, weil vor. Dadurch, dass sie bedeu- beiden Formate im Gegensatz ner, der das Schweizer Rechts- es sich nicht um einen Sende- tend länger und persönlicher zu klassischem Radio verbindet: system immer wieder an seine mittschnitt oder eine Zusammen sind als Radiobeträge, entsteht «Sie erfordern die volle Auf- Grenzen gebracht hat. Der fassung eines Radiobeitrags eine viel intimere Beziehung merksamkeit; deshalb werden neue SRF-Podcast, der den handelt, sondern um ein für sich zwischen der Person, die sie gerne beim Pendeln oder Namen des Verbrechers trägt, stehendes Produkt. «Podcasts spricht, und dem Hörer oder der Spazieren gehört», so Witzig. erzählt seine Geschichte. Der sind eine wichtige und gute Hörerin. Und das passt. Denn mit dem Fall hat hohe gesellschaftliche Ergänzung zum Radio, das eher Neben dem Sprecher Aaron Handy in der Tasche und den Brisanz: «Sein Leben spiegelt ein breiteres Publikum Hitz und den beiden Journalis- Stöpseln in den Ohren können die Resozialisierungsgeschich- anspricht. Wir haben ein wach- tinnen Sabine Meyer und Patricia wir über den Platzspitz schlen- te der Schweiz», erklärt sendes Publikum, das seine In- Banzer kommen in «Edi» diverse dern, während Edi uns von Susanne Witzig, Radio-Forma- formationen individuell mobil Personen aus Edis Umfeld vor. seinen dubiosen Geschäften tentwicklerin bei SRF und für an genau diesem Ort erzählt. die Produktion von «Edi – Leben am Limit» z uständig. «Edi» herunterladen unter Luca Passerini • www.srf.ch/edi • Spotify • iTunes • Deezer Bild: SRF 10 LINK | September 2018
KOLUMNE Nachrichten des Heimkehrers Zeig mir bloss keine Fotos!, hof- fen wir, wenn jemand aus den «Die besten Ferien zurückkommt. Als die Nachrichten be- Welt für die meisten noch ein kommt man, paar Quadratkilometer gross war, war einer aber ein gefrag- wenn man Gele- ter Zeitgenosse, der ein biss- senes mit einem chen weiter wanderte als über Besuch ergänzt.» die zu bestellenden Felder und bis zur Kirche. Kehrte er von einer Handelsreise zurück, aus Ich bin gerade auf einer Reise Asien oder der nächsten Stadt, in Israel und im Westjordanland. versammelte sich viel Volk, um Ich wohne bei Politaktivistinnen zu erfahren, was sich in der in Jerusalem, nehme an Touren weiten Welt ereignet hatte. teil, besuche Konzerte und Im September 1605 erschien in stehe um halb vier auf, um mich Strassburg die erste Zeitung. mit palästinensischen A rbeitern Es war die «Relation: Aller Fuer- am Checkpoint in Bethlehem in nemmen und gedenckwuerdi- die Schlange zu stellen. gen Historien». In der ersten Es wird so viel über die weite Hälfte des 20. Jahrhunderts Welt, beispielsweise über den erlebten die gedruckten Nach- Nahostkonflikt, geschrieben, richten dann ihren Höhepunkt: dass man unmöglich alles lesen Korrespondenten in aller Herren kann. Die besten Nachrichten Länder. Frau und Herr Schweizer bekommt man meiner Meinung lasen die Neuigkeiten aus Kap- nach aber, wenn man Gelesenes stadt oder Peking neuerdings mit einem Besuch ergänzt. täglich am Frühstückstisch. Ich hoffe, wenn ich zuhause bin, Seit dem ersten Internetauftritt wird sich vielleicht sogar ein der «Schweriner Volkszeitung» wenig Volk versammeln. am 5. Mai 1995 gehen die Aufla- Ich hätte ein paar Geschichten. gen der Printmedien kontinuier- Und Fotos! lich zurück. Als sich Internet und ke r Social Media bis in die einsams- ic Zw ic Frédéric Zwicker Fr é d é r a t , Musik er ten Winkel des Erdballs aus L it e r ) is t hie n ( *1983 . 2 0 16 e r s c breiteten, glaubte man, die ur nali s t e n Sie und Jo H ie r kö n n Nachrichten über den Arabischen büt rom a n « in Rap s ein D e ic k e r le bt Frühling oder die brutale Unter- n ». Z w d e sie r e is g e h e a b er gera drückung von Demonstrationen im K ach t e sib ar, , ver br nd S an Foto: SRF / Lukas Maeder (www.ansichten.srf.ch) p e r s w il g r e b u n in der Türkei ab sofort direkt Za n Ro m a nat e in z weit e von den Betroffenen zu erhalten. ben Mo in e m h e n n se r o at is c Die Freude wurde indes bald wo er a n euen, k ts a m K n u von Suchmaschinen, die wissen, s ow ie in e r B and se A lbum ar b eit e t e. wo und wer wir sind, Face- Ko f f e r book-Algorithmen, Zensur oder vom Skandal um Cambridge Analytica getrübt. LINK | September 2018 11
MEDIENPOLITIK Bescheidener Entwurf zum Mediengesetz Der Bundesrat will die elektronischen Medien gesetzlich neu regeln. Vom in Aussicht gestellten Mediengesetz ist nicht mehr die Rede. Schade. Dennoch gibt die neue Gesetzesvorlage heftig zu diskutieren. D ie Erwartungen waren den Online-Bereich ausgeweitet, wird also mission (KOMEM) ausserhalb von hoch und vielfältig an zu einer Regelung auch für elektronische Staat und Verwaltung soll neu über die das sogenannte Medien- Medien. Damit hat der Bundesrat das Umsetzung des Gesetzes entscheiden gesetz: Kurz vor der RTVG der digitalen Realität angepasst. – statt wie bisher Bundesrat, Departe- Sommerpause hat der Bundesrat dann • Entsprechend wird explizit anerkannt, ment oder BAKOM. seinen lange angekündigten Entwurf dass neben Radio und Fernsehen ebenso • Aus dem Gebührentopf können neu ein vorgestellt. Konkret geliefert hat er ein Online-Publikationen Teile des Ser- Teil der Aus- und Weiterbildung im Jour- Gesetz zu den elektronischen Medien, vice-public-Auftrages vermitteln und da- nalismus, der Presserat und eine Nachrich- BGeM. Und dieser Name macht gleich mit auch zum Auftrag der SRG oder ande- tenagentur unterstützt werden. klar: Die Vorlage ist kein Mediengesetz. rer Veranstalter gehören können. Das alles scheinen vernünftige Ansätze zu • Publizistische Online-Angebote und sein. Man kann bezüglich BGeM-Entwurf Das bringt das BGeM digitale Infrastrukturen können neu via Gebührengelder unterstützt werden. aber auch grosse Defizite respektive Kritikpunkte auflisten. im Wesentlichen • Die Leistungsaufträge für jene «Sender», • Es gibt eine deutlich sichtbare Medien- welche Gebührengelder erhalten, werden krise: Die Finanzierung des Journalismus Illustration: Medianovis • Das Radio- und Fernsehgesetz (RTVG), anders geregelt. Insbesondere der Auftrag ist über die bisherigen Modelle nicht mehr das sich bisher auf lineares Radio und an die SRG wird enger definiert. garantiert, die Folgen sind ein massiver Fernsehen beschränkte, wird teilweise auf • Eine neue unabhängige Expertenkom- Abbau von Redaktionskapazitäten und ein 12 LINK | September 2018
starker Konzentrationsprozess im Medien schuss des Gebührentopfs. Warum die diesem Bericht zu bedeuten hat, muss bereich. Warum also hat der Bundesrat Verlagshäuser über Gebührengelder für ebenfalls diskutiert werden. nicht gleich ein Mediengesetz vorgelegt? elektronische Medien die Postzustellung Das Gesetz regelt viele Details – und Dieses könnte eine staatsunabhängige Me- von Zeitungen unterstützen wollen und auch hier verstecken sich viele Teufel be- dien- respektive Journalismusförderung warum die Verleger ausschliesslich auf ziehungsweise muss man kritische Fragen beinhalten. eine Unterstützung im Zeitungsbereich fo- stellen. Etwa: Erhält diese neue KOMEM • Online-Medien können gemäss Entwurf kussieren, wird bestimmt Diskussionen zu viel Macht? Warum wird nicht auch für nur gefördert werden, wenn sie «im We- auslösen. die rätoromanische Sprachregion ein line- sentlichen» aus Audio- und Videobeiträ- Den Verlegern geht aber auch die ein- ares Radioprogramm als Minimalangebot gen bestehen – und nicht hauptsächlich aus geschränkte Möglichkeit («im Wesentli- gesetzlich verankert? Warum wird die Be- Textelementen. Damit werden zum Bei- chen» Audio- und Videobeiträge), On- günstigung der ausländischen Werbefens- spiel kleinere Online-Zeitungen von einer line-Publikationen zu unterstützen, zu ter nicht aufgehoben? Ist es richtig, dass Förderung ausgeschlossen. Warum ist die weit: Das sei ein zusätzlicher Angriff auf Radiosender ohne Gebühren und Leis- Förderung von Online-Medien derart res- die Presse. tungsauftrag künftig politische und religi- triktiv angelegt? Entspricht diese Unter- Man darf davon ausgehen, dass sich die öse Werbung ausstrahlen dürfen? Und scheidung überhaupt der konvergenten di- härtesten Differenzen in der Debatte um gefährdet die Neuregelung des Ausland- gitalen Realität in den Redaktionen? das BGeM um diese Fragen drehen wer- angebots die Unabhängigkeit und die Diese Fragen kann man auf der recht- den: Welche Förderung im Bereich der On- Breite des bisherigen Angebots? lichen Ebene beantworten – und der Bun- line-Medien und was darf die SRG im On- Kontroverse Diskussionen kann man desrat argumentiert entsprechend: Die line-Bereich überhaupt publizieren? auch bei anderen, grösseren Schwachstel- Verfassung lasse eine weitergehende För- len im Gesetzesentwurf erwarten. Kritisch derung über den elektronischen Bereich hinaus gar nicht zu. Gefragt werden muss, Das bringt das BGeM beurteilt werden muss etwa, dass die Netz- betreiber (wie Swisscom oder UPC) kei- ob es nicht angebracht wäre, einen neuen für die SRG SSR nen Regelungen unterworfen werden. So Verfassungsartikel zur Sicherung von ge- werden diese weiterhin frei entscheiden sellschaftlich notwendigen medialen Leis- • Der Online-Bereich gehört nun auch ge- können, ob sie Dienste (wie zum Beispiel tungen vorzulegen. Damit könnte man die setzlich definiert zum elektronischen Be- HbbTV) auch jener Sender, welche verbrei- Grundlage schaffen für eine nachhaltige reich. Aber die SRG muss sich dennoch im tet werden müssen («must carry»), an die Sicherstellung von gesellschaftlich not- Wesentlichen auf den Audio- und Vi- Konsumenten weiterleiten. Und schliess- wendigen Journalismusleistungen – unab- deobereich konzentrieren. Im Vergleich lich: Wie soll die wichtige Absicht im hängig davon, in welcher Form sie publi- zur aktuellen Praxis ändert sich damit BGeM, eine «nicht gewinnorientierte» ziert werden. nichts. Nachrichtenagentur als Basisdienst für alle Die halbherzige Vorlage des Bundesra- • Die SRG darf via Online keine Werbung Medien unterstützen zu können, umge- tes widerspiegelt aber auch die Fronten der verkaufen. Das war bisher schon so, ist nun setzt werden können, wenn doch die ein- aktuellen medienpolitischen Auseinander- aber im Gesetz festgehalten. zige Nachrichtenagentur in der Schweiz, setzung. Die Verleger, die dauernd argu- • Die SRG erhält engere Vorgaben beim die SDA, sich eben eine neue Struktur ge- mentieren, sie seien aus wirtschaftlichen Leistungsauftrag (Definition von Quali- geben hat, die Gewinn erwirtschaften Gründen gezwungen, Kapazitäten abzu- tätsanforderungen), bei der Organisation muss? Das BGeM ist kein Mediengesetz. bauen, wehren sich gegen eine umfassende des Publikumsdiskurses, beim Eingehen Dennoch wird es grundsätzliche medien- öffentliche Medienförderung. Und sie von Partnerschaften und Kooperationen politische Debatten über den elektroni- wehren sich ebenfalls gegen eine On- und im Bereich der kommerziellen Ein- schen Bereich hinaus auslösen. Und das ist line-Förderung, die den Textbereich ein- nahmen. Es ist davon auszugehen, dass die gut so. bezieht. Diese Fundamentalposition galt SRG diese Einschränkungen nicht alle po- zumindest bis kürzlich. Jetzt erfolgte eine sitiv beurteilt, weil es ihre Flexibilität im PHILIPP CUENI bemerkenswerte Richtungsänderung: Die Alltag einengt. Presse werde beim neuen Gesetz nicht be- • Unklar bleibt, wie die SRG bei sinken- rücksichtigt, das sei falsch und gefährlich. den Werbeerträgen adäquat finanziert Sie «wird mit der einseitigen Bevortei- werden soll, um ihren Auftrag zu erfüllen. lung der elektronischen Medien weiter Der Bundesrat hat die Einnahmen für die unter Druck gesetzt», kritisiert der Ver- SRG bekanntlich bereits plafoniert. Im er- legerverband den BGeM-Entwurf. Er läuternden Bericht zum Gesetz ist zu le- verlangt eine Aufstockung der Bei- sen, es sei auch denkbar, «dass die SRG träge an die Postzustellung der Zei- künftig mit weniger Mitteln auskommen tungen, finanziert aus dem Über- muss». Was dieses politische Statement in LINK | September 2018 13
UNTERNEHMEN Überall finden sich p ositive Geschichten – wie auf dieser philippi nischen Mülldeponie, die «mitenand»-Leiter Mitja Rietbrock mit der heute 17-jährigen Jenly (Mitte, kniend) Lichtblick F ür sie ist das Leben kein Zucker- schlecken: Sie werden als Rand- gruppen diskriminiert, wühlen im Müll, sind schwer behindert, auf der Müllkippe leben auf der Strasse – kurz: Sie sind Men- schen, die fürs Leben kämpfen. Für die meis- ten Medien sind ihre Geschichten wenig in- teressant. Nicht so für die Redaktorinnen und Redaktoren der SRF-Sendung «miten- 1975 hiess sie «… ausser man tut es», seit 1990 kennen wir die and», die mitunter gleichzeitig auch Video- Sendung als «mitenand». Ein kleines, feines TV-Format mit journalisten sind. Sie gehen dorthin, wo grossem Engagement: Die vierminütige Sendung richtet jeden Hilfe und Unterstützung dringend gebraucht Sonntag den Fokus auf jene, die im medialen Schatten stehen. wird. «Das kann in Entwicklungsländern Der neue Redaktionsleiter möchte vor allem positive Geschichten der Fall sein, aber auch hier in der Schweiz», erzählen – denn davon gibt es viele. sagt Mitja Rietbrock, der seit März 2018 das sechsköpfige «mitenand»-Team leitet. Im Fokus der Sendungen stehen stets so- ziale oder ökologische Projekte gemeinnüt- ziger Organisationen, was natürlich Betrof- fenheit mit sich bringt – und dadurch eine gewisse Schwere. Rietbrock möchte mit sei- nem Team den Blickwinkel wechseln: «Wir machen ‹Constructive Journalism› – konst- 14 LINK | September 2018
ruktiven Journalismus», erklärt er. Das heisst: Statt auf die Tränendrüse zu drücken, habe sich die «mitenand»-Redaktion, die zur 1400 Mal wurde «mitenand» seit dem Start am 25. August 1990 nehmen zu können, kündete die SRG den während 30 Jahren geltenden Vertrag mit der Zewo, der Schweizerischen Zertifizierungs- DOK/Reportage-Familie gehört, dafür ent- ausgestrahlt. Die erste Sendung stelle für gemeinnützige Spenden sammelnde schieden, die positiven Aspekte in den Vor- berichtete über den Organisationen. Dieser habe die inhaltliche dergrund zu stellen – ohne jedoch dabei die Schweizerischen Samariterbund. Verantwortung der SRG eingeschränkt, er- Ernsthaftigkeit des Themas aus dem Blick klärte SRG-Sprecher Daniel Steiner damals zu verlieren. der NZZ. 168 So ging es in einer Sendung beispiels- «Wir entscheiden nun selbst, nach journa- weise um ein Ferienlager für Kinder Multi- listischen Kriterien, welches Thema wir ple-Sklerose-kranker Eltern. «Wir haben wann aufgreifen», erklärt Rietbrock, der uns natürlich damit auseinandergesetzt, was 2014 noch nicht Leiter des «mitenand»-Teams die Diagnose MS für die Erkrankten und ihre war, sondern als Videojournalist für die Sen- Angehörigen bedeutet und wie schwierig Sendungen produzieren dung unterwegs war. So habe es immer wie- auch ihr Alltag ist», so Rietbrock. Doch den «mitenand» (SRF) und ihre der die Situation gegeben, dass wichtige ak- Fokus haben sie auf das gerichtet, was ein SRG-Schwestersendungen tuelle Themen in der Sendung nicht solches Ferienlager den betroffenen Fami- «Ensemble» (RTS) und stattgefunden hätten. Dies soll nun Dank der lien ermöglicht: «Die Erkrankten können «Insieme» (RSI) pro Jahr. Neuausrichtung nicht mehr passieren. sich zuhause ganz auf sich und ihre Gesund- Für die herbeigesehnte journalistische heit konzentrieren, und ihre Kinder können Unabhängigkeit verzichtete die SRG mit der 60 sich mit Gleichaltrigen austauschen – und Vertragsauflösung auf die finanzielle Betei- merken so, dass sie mit ihren Sorgen nicht ligung der Hilfswerke an den Produktions- alleine sind.» kosten. Die jeweils vorgestellten NGOs hat- Die positive Herangehensweise wird auch ten bis dato nämlich einen Teil davon im Beitrag über Jenly von den Philippinen finanziert. Ein Umstand, der in der Vergan- deutlich. In diesem besucht Rietbrock zusam- Bisher hat «mitenand» über genheit immer wieder Propaganda-Vorwürfe men mit der 17-Jährigen jenen Ort, an dem soziales Engagement gegen das Format hat laut werden lassen. sie die meiste Zeit ihres Lebens verbracht hat: aus der Schweiz in mehr als «Diese waren nie gerechtfertigt, doch es war die Müllkippe der Stadt Cagayan de Oro. 60 Ländern berichtet. schwierig, gegen die Unterstellungen anzu- Dort lebte und arbeitete sie, um ihre Familie gehen», so Rietbrock. zu unterstützen. In Jenlys Leben aber gibt es Mit der neuen Ausrichtung hat der Recher- 4 heute Lichtblicke: Sie lebt bei der Schweizer cheumfang deutlich zugenommen: Seit 2014 Organisation «Island Kids Philippines», geht überprüft die Redaktion selbst die Organisa- dort zur Schule – und träumt heute sogar da- tionen – früher konnte sie sich noch auf das von, mal Ärztin zu werden. von der Zewo verliehene Gütesiegel verlas- «Über solche Menschen und Themen zu sen. Zudem sind die neuen Fokusthemen kom- berichten, gibt einem das Gefühl, etwas Mal pro Jahr berichtet plexer und entsprechend rechercheaufwändig. Sinnvolles zu tun», so Rietbrock, der trotz «mitenand» über die Tätigkeiten «Es geht uns heute primär um die grossen He- seiner Leitungsfunktion immer noch selbst der «Glückskette». rausforderungen unserer Zeit wie Klimawan- für «mitenand» auf Drehs geht, vor allem in del, Armut, Gleichberechtigung von Frauen. Krisengebieten. Erst kürzlich ist er aus dem Und erst dann um die NGOs, die sich in die- Irak zurückgekommen. Dass es vor allem sen Bereichen engagieren», so Rietbrock. ihn in unruhige Gebiete verschlägt, liegt Sendeplatz Der Mehraufwand zahlt sich aber aus: nicht daran, dass er die Gefahr explizit Durch die intensivere Auseinandersetzung sucht, sondern daran, dass er da niemanden TV: SRF 1, Sonntag, 19:20 Uhr mit den Themen, den Organisationen und mit aus seinem Team hinschicken würde, «es sei Online: www.srf.ch/mitenand den betroffenen Menschen fühlt sich das «mi- denn, sie wollen es». Wichtig ist ihm, dass tenand»-Team stärker in die Protagonistin- solche Themen in der Sendung vorkommen, nen und Protagonisten und ihr Umfeld ein. Foto: «mitenand», Quellen: Faro und NZZ auch und gerade wenn sie sich an Orten ab- Seine kurzen Reportagen ziehen die Zu- spielen, zu denen wenige Journalisten Zu- schauerinnen und Zuschauer in den Bann gang haben. und nehmen sie mit auf eine Reise jenseits Welche Themen das sind, darüber ent- der Schlagzeilen. scheidet seit Anfang 2014 die Redaktion selbst. Denn um selbst das Steuer in die Hand FEE RIEBELING LINK | September 2018 15
UNTERNEHMEN Zur Person Stefano Semeria (52) ist seit 2011 für SRF tätig, zunächst als Programmleiter TV und dann als Leiter Junge Ziel- gruppen. In den vergangenen zwei Jahren richteten Seme- ria und sein Team das Ange- bot für das junge Publikum komplett neu aus und lan- cierten über zwanzig Webse- rien wie «True Talk», «Nr. 47» oder «Zwei am Morge». Vor seinen Tätigkeiten bei SRF hatte Semeria die allscreenz in Berlin gegründet, eine Be- ratungs- und Entwicklungs- firma für Onlinevideo und die Analyse digitaler Strategien internationaler Medienunter- nehmen. Zudem war er als Programmplaner bei der ARD, als Leiter Programmplanung Fernsehen ORB/RBB sowie als Head of International For- mat Research bei der ProSie- benSat.1 Media SE tätig. SRF / Oscar Alessio 16 LINK | September 2018
Neuer Chef aus der Generation Mitte Seit Anfang August leitet Stefano Semeria (52) die Abteilung Unterhaltung von Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) in Zürich. Im Gespräch mit LINK erklärt der erfahrene TV-Mann, wie er den Spagat zwischen junger Zielgruppe und älterem Stammpublikum schaffen will. Als Erfolgsfaktor sieht er die «Scharniergeneration» der 30- bis 55-Jährigen. Sie sind seit 1. August im Amt als Unter bei zu fragen: Was wollen wir denn in Zu- haltungschef von Schweizer Radio und kunft anbieten? Das freut mich sehr, weil Fernsehen (SRF). Was befähigt Sie zu dieser ich mir dieselbe Frage stelle. Aufgabe? Ich habe in meinem Leben sehr unter- Was macht im Kern ein Unterhaltungsan schiedliche Funktionen ausgeübt, aber es gebot eines Service-public-Anbieters aus? gab immer zwei Kernelemente. Das eine Am Anfang steht für mich die Frage, wie war Planung und Organisation und das an- ernst wir unser Publikum nehmen. Das gilt dere war Trendscouting im weitesten Sinne. «Am Anfang eigentlich für alle Formen und Formate. Wie Ich habe mich sehr viele Jahre für private, steht für mich präsentieren wir Personen, wie erzählen wir aber auch für öffentlich-rechtliche Medien Geschichten? Damit können wir uns auch mit der Frage auseinandergesetzt, was es die Frage, wie von den Privaten unterscheiden. Nehmen Neues an audiovisuellen Medieninhalten ernst wir unser wir «Scripted Reality» als Beispiel. Dürfen weltweit gibt. Publikum wir das machen? Ich würde das nicht per se ausschliessen. Es ist nur die Frage, ob wir Was haben Sie in den ersten Wochen im nehmen.» dem Publikum klarmachen würden, wie wir neuen Job alles schon gemacht? in und mit dem Genre spielen. Wir dürften Viel gelesen, viele Gespräche geführt. Für es nicht im Glauben lassen, die «Reality» sei viele Mitarbeitende geht es zuerst einmal Stefano Semeria, echt. Und wir führen unsere Protagonisten Leiter Unterhaltung Schweizer darum, zu wissen, wer ich bin, was sie von Radio und Fernsehen (SRF) nicht vor. Es besteht ein grosser Unterschied, mir erwarten können, wofür ich stehe. Na- was die Fairness gegenüber dem Publikum türlich gibt es bei solchen Wechseln auch angeht. Ich behaupte, dass es kein Genre immer die Frage: Wie findet er das, was wir gibt, das uns gar nicht ansteht. Unsere Hal- bisher gemacht haben? tung ist entscheidend. In welchem Zustand befindet sich die Die TV-Unterhaltung war jahrzehntelang Abteilung Unterhaltung? geprägt von den grossen Samstagabend- Ich sehe, dass alle Mitarbeitenden extrem kisten, «Benissimo» gab es z wanzig Jahre motiviert sind. Es freut mich besonders, lang auf (damals) SF. Wird es solche Publi- dass es eine relativ junge Abteilung ist. kumsmagnete in Zukunft noch geben? Mein ehemaliges «Junge Zielgruppe»-Team Die klassische Show hat ihre Halbwertszeit (siehe Personenkasten) bestand natürlich irgendwann erreicht. Wir stehen jetzt ge- mehrheitlich aus jungen Mitarbeitenden. rade in diesem Transitionsprozess und Dass dies auch in der Unterhaltung der Fall überlegen, wie wir damit umgehen. Es wird ist, war mir vorher gar nicht bewusst. Si- weiterhin ein Publikum geben, das gerne cherlich ist nicht allein das Alter der Grund eine Samstagabendshow sieht, und einen für die Motivation. Ich merke, dass es ein anderen Teil, der lieber etwas anderes Bedürfnis ist, den Umbruch mitzugestalten, guckt. Und darauf müssen wir Antworten den es in der Unterhaltung und in den Me- finden. Aber eine lange Samstagabendun- dien gibt. Ich spüre das Selbstverständnis terhaltung wird es noch sehr lange geben. der Mitarbeitenden, für ein Service-pub- Gute Beispiele unter vielen anderen sind lic-Unternehmen zu arbeiten und sich da- etwa «Happy Day» und «SRF bi de Lüt LINK | September 2018 17
UNTERNEHMEN live». Es gibt dieses Bedürfnis des Publi- kums, am Samstagabend lange unterhalten Angesichts der verbreiteten digitalen und und begeistert zu werden. mobilen Nutzung, denkt Ihr heute a lles vom Web her? Wie sieht für Sie eine ideale Unter Für mich geht es zuerst um die Idee und haltungssendung aus? dann um den Kanal oder die Plattform. Bei Ich kann das gut an einem Beispiel illustrie- einer Webserie, wie etwa «Nr. 47», denke ren, das mich in den letzten Monaten sehr ich aber natürlich zuerst ans Web – obwohl beschäftigt hat, weil es ein Format ist, das wir solche auch am Fernsehen in einer zu- ich sehr intelligent finde und das aufzeigt, wie man ein breiteres Publikum ansprechen «Für mich geht es sammengefassten Form ausgestrahlt haben. Und ein «SRF bi de Lüt» schaut die grosse kann. Der britische Channel 4 brachte letz- zuerst um die Mehrheit am heimischen TV. Die Sendung tes Jahr «Old People’s Home for 4 Year Olds» als Zweiteiler. Das ist eine Sendung, die Kin- Idee und dann um machen wir darum nicht per se fürs Netz. Aber: Wir müssen uns viel mehr Gedanken dergartenkinder über einen längeren Zeit- den Kanal oder darüber machen, wie wir auf welcher Platt- raum mit Senioren in einem Betagtenheim die Plattform.» form mit welchen Inhalten wie oft, wie zusammengebracht hat. Das Format zeigt – lange, in welcher Art präsent sind. Denn ne- in sehr unterhaltender Weise – ein gesell- ben Radio, Fernsehen und Online srf.ch sind schaftlich hochrelevantes Thema: Älter wer- wir auch auf Drittplattformen unterwegs, den und die Frage, wie wir unsere älter wie Facebook oder Instagram, wo wir An- werdenden Mitmenschen in der Gesellschaft gebote für spezifische Publika schaffen. betreut wissen wollen. Es ist ein gutes Bei- spiel dafür, was Service public leisten kann, Sie müssen es allen recht machen. dass es möglich ist, mehrere Generationen Aber welches Publikumssegment wollen Sie mit einem relevanten Inhalt anzusprechen. speziell umwerben? Wenn ich mir etwas wünschen würde, dann Eine Zielgruppe, die wir noch stärker in den wäre es, dass auch wir noch mehr in diese Mittelpunkt rücken müssen, sind die 30- bis Richtung denken. 55-Jährigen. Das sind genau die Kinder vom älteren, bestehenden Publikum und Was bei SRF möglich und machbar ist, die Eltern von denen, die wir auch als Pub- hängt auch von Konzession und Gesetz ab. likum haben wollen. Diese Generation in Im Entwurf zur neuen Konzession wird der Mitte – ich nenne sie «Scharniergene- eine klare Abgrenzung vom Angebot der ration» – spielt eine wahnsinnig wichtige Privaten gefordert. Sehen Sie solche Rolle bei der Mediensozialisierung, weil sie Vorgaben als störendes Korsett oder als beides kennt: Sie hat das analoge Medien- willkommene Leitplanke? angebot miterlebt und ist damit grossge- Weder noch. Ich glaube, die Unterhaltung worden. Sie ist aber auch digital total auf hat das, was nun gefordert wird, schon längst dem Quivive. gemacht. Wir unterscheiden uns bereits jetzt sehr deutlich von den Privaten. Wir thema- Sie sind 52 Jahre alt: Ist dies ein ideales tisieren auch Integration, wir beschäftigen Alter als Unterhaltungschef, um den uns mit Randgruppen und mit schwierigen Spagat zwischen junger Zielgruppe und Themen, die im Umfeld privater Medienan- älterem Stammpublikum auszuhalten? bieter kaum zu refinanzieren wären. Ich Wenn ich jetzt nein sagen würde, wäre ich nenne mal als Beispiel die SRF Virus-Sen- ja nicht am richtigen Ort. Wenn ich ja sage, dung «Rehmann S.O.S. – Sick of Silence», in klingt das wie eine Selbstbehauptung. Aber der Moderator Robin Rehmann mit jungen es ist natürlich nie ganz falsch, mit dem Al- Leuten spricht, die chronisch krank sind. ter auch etwas Alter und Erfahrung mitzu- Und in Youtube-Videos lässt Robin Men- bringen. schen, vermittelt über Schauspieler, zu Wort kommen, die sich mit ihren oft tragischen NICK LÜTHI SRF / Oscar Alessio Geschichten nicht in seine Sendung trauen. Ich freue mich natürlich, wenn auch private Medien sich dieser Themen annehmen. 18 LINK | September 2018
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