Katholische Priester als Opfer des Nationalsozialismus - Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2020 in Greifswald Neue ...

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Katholische Priester als Opfer des Nationalsozialismus - Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2020 in Greifswald Neue ...
G R E I F S W A L D E R
                     UNIVERSITÄTS-
                     R E D E N

                     Katholische Priester
                     als Opfer des
                     Nationalsozialismus

Neue Folge Nr. 152   Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus
Greifswald 2020      am 27. Januar 2020 in Greifswald
Katholische Priester als Opfer des Nationalsozialismus - Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2020 in Greifswald Neue ...
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Inhaltsverzeichnis

Vorwort                                                              4
Prof. Dr. Thomas Stamm-Kuhlmann, Greifswald

Vorträge

Gewalt, Opfer, Erinnerung – Gottesmänner im Nationalsozialismus      5
Dr. Christoph Kösters, Bonn

„Wenn man schon diese Pfaffengesichter und Verbrecher-              22
bande sieht …” – Katholische Priester in Pommern als Opfer
des Nationalsozialismus
Prof. Dr. Thomas K. Kuhn, Greifswald

Impressum                                                           39

Greifswalder Universitätsreden                         Neue Folge Nr. 152
Katholische Priester als Opfer des Nationalsozialismus - Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2020 in Greifswald Neue ...
Vorwort
Prof. Dr. Thomas Stamm-Kuhlmann,
em. Professor für Allgemeine Geschichte der Neuesten Zeit,
Universität Greifswald

    Als Ort, an dem Lehrer ausgebildet wer­         Die katholische Kirche in Pommern
    den, hat die Universität eine beson­dere        sah sich als Diaspora, und auch in der
    Verantwortung dafür, dass die Funk­             Pom­ merschen Landesgeschichte galt
    tionsweise und das mörderische Wirken           Katholizismus nicht als identitätsbil-
    des NS-Regimes bekannt und verstan­             dend. Das mag erklären, warum der
    den sind. Seit über zwanzig Jahren              For­
                                                       schungsstand zum Schicksal der
    wird der Gedenktag für die Opfer des            katho­lischen Priester in Pommern lan-
    Nationalsozialismus von Stadt und               ge Zeit so unvollkommen war, obgleich
    Uni­versität in Greifswald gemeinsam            das Gedenken des Pfarrers Alfons Maria
    be­gan­gen, und noch nie wurde ein Vor­         Wachs­mann schon bald nach Kriegs­ende
    trags­thema wiederholt: So vielgestal­tig       in Greifs­wald gepflegt worden ist. Sein
    ist die Liste der Gruppen, die der NS-          Schicksal in einen weiteren Rahmen zu
    Gewaltherrschaft zum Opfer gefallen             stellen, war die Aufgabe, die sich Thomas
    sind. In der historischen Forschung hat         Kuhn in seinem Beitrag vorgenommen
    es sich inzwischen durchgesetzt, von            hat. Möge das erweiterte Wissen uns
    bloßer Distanzierung über Verweigerung          künftig beim Gedenken unterstützen.
    bis zu offener Gegnerschaft gegenüber           Wenn der Nationalsozialismus ein
    dem Regime Abstufungen von Wider­               Regime war, das die Unmenschlichkeit
    ständigkeit wahrzunehmen. Wie Chris­            an sich zum Programm erhoben hatte
    toph Kösters andeutet, lässt sich aber          und die Idee der Menschenrechte an sich
    aus der Tatsache der Verfolgung nicht           rück­gängig machen wollte, dann ist klar,
    immer ein vorausgegangener Wider­               dass ganz zwangsläufig die zu seinen
    stand ableiten.                                 Fein­den werden mussten, die, aus wel-
                                                    cher Überzeugung auch immer, solche
                                                    univer­sellen Menschenrechte ernst ge-
                                                    nommen haben.

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Gewalt, Opfer, Erinnerung –
                                Gottesmänner im Nationalsozialismus1
                          Dr. Christoph Kösters, Kommission für Zeitgeschichte, Bonn

 „Immer wieder wird bei der Kirchlichen           Zum einen lässt er erkennen, dass ins-
 Statistik nach Material über die Ver­            besondere die im Kon­zen­trationslager in­
 folgung der Kirche in Deutschland in den         ternierten Geistlichen ihre Leidenszeit als
 Jahren 1933–1945 angefragt. Versuche             geis­tig-religiöses Opfer deuteten. Zum
 zu einer nachträglichen statistischen            anderen gewährt er einen Ein­blick in die
 Erhe­bung haben sich aber als undurch-           nach 1945 einsetzende Erin­­ne­­rungskultur
 führbar herausgestellt. Viele Geistliche,        der katho­­li­schen Kirche.
 die in jenen Jahren inhaftiert waren, den-       Im Folgenden soll die Geschichte katho-
 ken nicht gerne an jene Zeit zurück. Einer       lischer Priester im Nationalsozialismus
 von ihnen fügte einem knappen Bericht            aus den genannten drei Blickwinkeln
 seiner sechsjährigen Zeit in Konzen­tra­         beleuchtet werden: der politischen
 tionslagern die Worte an: ‚Nicht gerne           Verfolgung (2.), der priesterlichen Iden­
 schreiben wir von dieser Zeit, denn sie          tität (3.) und der kirchlichen Memoria nach
 wurde Gott geschenkt und gehört darum            1945 (4.). Auf diese Weise soll zu einem
 Ihm, der uns mit Gnaden überhäufte.‘ Nur         historischen Verstehen eines bis heute
 von einigen deutschen Diözesen besitzen          umstrittenen Themas beigetragen wer-
 wir über einige Verfolgungsarten genaue          den.4 Dazu gehört auch ein hinführender
 Erhebungen. Sie sind in Tabelle 1 zusam-         Einblick in eine aus heutiger Sicht unter-
 mengestellt.“2 (Abb. 1)                          gegangene katholische Lebenswelt (1.).
Bereits 1945 waren in zahlreichen deut­           Die Ausführungen bieten somit zugleich
schen Bistümern die Geistlichen auf­ge­           einen Bezugsrahmen für die Geschichte
for­dert worden, zeitgenössische Do­    ku-       katholischer Priester in Pommern als
­men­te und Gedächtnisberichte zu Mate­­          Opfer des Nationalsozialismus.5
 rial­sammlungen über „Verfolgung“ und
 „Wider­stand“ der katholischen Kirche in         1. Konfessionsgebundene
 der NS-Zeit beizusteuern.3 Zehn Jahre            Lebenskultur: „Widerstrebende
später war ein Bild der politischen Ver­          Peripherie“
folgung allenfalls in ersten Umrissen
erkenn­bar. Dies jedenfalls legt der ein-         Wie viele Priester zwischen 1933 und
gangs zitierte Befund nahe, der einem             1945 in den fast 12 000 katholischen Pfar­
knappen Bericht der Kölner Zentralstelle          reien und Seelsorgebezirken, in An­stal­
für kirchliche Statistik aus dem Jahr 1955        ten oder im Schuldienst der insge­samt
ent­nommen ist.                                   25 deutschen Diözesen tätig waren, lässt
Allerdings enthält dieser Bericht zwei            sich nicht mehr genau sagen. Seriöse
weitere bemerkenswerte Hin­         weise:        Zahlen gehen von mindestens 27 000

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Abb. 1: „Zur Verfolgung der Kirche in Deutschland” 1933–1945, Übersicht von 1955

Weltpriestern aus. An der Spitze jeder                   knüpft. Der Historiker David Blackburn
Diözese stand ein Bischof, an der jeder                  hat sie treffend als „widerstrebende
Pfarrei ein Pfarrer. Darüber hinaus gehör-               Peripherie um das protestantische Kern­
ten mehr als 15 000 Männer und mindes-                   gebiet des Reiches“7 bezeichnet. Diese
tens 90 000 Frauen einer der zahlreichen                 konfessionell und geschichtlich grundier-
katholischen Ordensgemeinschaften an.                    ten Landschaften bestimmten den Klerus
Sie waren vor allem in der Krankenpflege,                in seinem Verhalten nach 1933 entschei-
Sozialfürsorge und Schulbildung tätig.                   dend mit. „Widerstrebend“ wirkte diese
Ergänzt wurde das seelsorgliche Netz                     Peripherie in mehrfachem Sinne: Der
durch Vereine, Verbände und Organi­                      größte Teil der katholisch eingefärbten
sationen, in denen sich Laien „vor Ort“                  Lebensräume im Westen, Süden und
für die katholische Sache einsetzten.6                   Osten des Deutschen Reiches war länd-
Dieses Netz war in den traditionell ka-                  lich geprägt. Wo das Industriezeitalter
tholischen Regionen besonders eng ge-                    die Landschaften in atemberaubendem

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Tempo verändert hatte und – wie an                         Minderheiten ein, zu denen eben auch
Rhein und Ruhr, in Schlesien oder                          die Katholiken selbst gehörten.8
Sachsen – Groß­städte entstanden wa-                       Das war keineswegs eine Petitesse.
ren, bildeten Katholiken zumeist das                       Viel­
                                                               mehr ging es in der modernen
einwandernde, oft sozial deklassierte                      Gesellschaft um entscheidende Fragen
Arbeitskräftereservoir. Nicht zuletzt for-                 katholischer Lebensführung und reli­
mierte sich hier in einem „Kulturkampf“                    giöser Sinnstiftung, insbesondere in
die politische Interessenvertretung der                    Fragen der Erziehung und Bildung,
Katholiken: Die Zentrumspartei trat in                     aber auch des Ritus und seiner öffent-
der kulturprotestantisch bestimmten                        lichen Praxis, etwa der Prozessionen
Bürgergesellschaft des kleindeutschen                      bzw. Wallfahrten. Bis in jede Pfarrei
Nationalstaates für religiöse Freiheits-                   spannte sich unter Führung des Klerus
und Sozialrechte der benachteiligten                       das seelsorgliche Netz samt seiner ka-

1 Überarbeiteter und mit Anmerkungen versehener Vortrag, gehalten im Rahmen der Veranstaltung der Uni-
versität Greifswald anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2020. Für
die Druckfassung wurde der Wortlaut weitgehend beibehalten. – Der Ausdruck „Gottesmänner” ist übernom-
men von Michael Burleigh, Die Zeit des Nationalsozialismus. Eine Gesamtdarstellung, Frankfurt a. M. 2000, 830.
2 Franz Gruner (Hg.), Kirchliches Handbuch. Amtliches statistisches Jahrbuch der katholischen Kirche
Deutschlands, Bd. 24: 1952–56, Köln 1956, 370.
3 Vgl. Ulrich von Hehl/Christoph Kösters/Petra Stenz-Maur/Elisabeth Zimmermann, Priester unter Hitlers
Terror, Paderborn 41998, 69.
4 Zur Erforschung der christlichen Kirchen im Dritten Reich vgl. Christoph Kösters/Mark Edward Ruff (Hgg.),
Katholische Kirche im Dritten Reich, Freiburg i. Br. 22018; Hans Günter Hockerts/Friedrich Wilhelm Graf (Hg.),
Distanz und Nähe zugleich? Die christlichen Kirchen im „Dritten Reich“, München 2017; Olaf Blaschke, Die
Kirchen und der Nationalsozialismus, Stuttgart 2014; Manfred Gailius/Armin Nolzen (Hg.), Zerstrittene „Volks-
gemeinschaft”. Glaube, Konfession und Religion im Nationalsozialismus, Göttingen 2011. Als ältere, immer
noch nützliche Gesamtdarstellung Heinz Hürten, Deutsche Katholiken 1918–1945, Paderborn 1992.
5 Vgl. dazu den Beitrag von Thomas Kuhn in diesem Heft.
6 Die Zusammenstellungen der Zahlen für die einzelnen Diözesen in Ulrich von Hehl/Christoph Kösters/Petra
Stenz-Maur/Elisabeth Zimmermann, Priester unter Hitlers Terror, Paderborn 41998 121; Karl-Joseph Hummel/
Christoph Kösters (Hgg.), Zwangsarbeit und katholische Kirche 1939–1945. Geschichte und Erinnerung, Ent-
schädigung und Versöhnung. Eine Dokumentation, Paderborn 2008, 134–136. Allgemein zur Geschichte der
katholischen Pfarreien, des Klerus, der Orden und der katholischen Laienorganisationen, in: Erwin Gatz (Hg.),
Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende des 18. Jahrhunderts,
8 Bände, Freiburg i. Br. 1991–2008.
7 David Blackburn, Fortschritt und Frömmigkeit. Liberalismus, Katholizismus und Staat im Kaiserreich, in:
David Blackburn (Hg.), Landschaften der deutschen Geschichte. Aufsätze zum 19. und 20. Jahrhundert (Kritische
Studien zur Geschichtswissenschaft, 217), Göttingen 2016, 15–40, hier 17; zu regionalen Ausprägungen des
katholischen Lebens und seiner Identitäten vgl. die von Dietmar Schiersner verantwortete Tagungsdokumen-
tation „Regionale Katholizismen im 19. und 20. Jahrhundert in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte
38 (2019), 13–192.
8 Zur Zentrumspartei vgl. zuletzt Wilfried Loth, „Freiheit und Würde des Volkes“. Katholizismus und Demo-
kratie in Deutschland, Frankfurt 2018; vgl. auch Manuel Borutta, „Kulturkampf“, in: Staatslexikon. Recht, Wirt-
schaft, Gesellschaft, Bd. 3: Herrschaft – Migration, Freiburg i. Br. 82019, 1185–1189.

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tholischen Schulen, Krankenhäuser,                   Reich.9
Sozial­stationen, Fortbildungs- und Frei­            Diese konfessionell geprägten, kultur-
zeitorganisationen. Diesem Geflecht                  räumlichen Vorerfahrungen katholischer
kam in seiner Abgrenzung zu anderen                  Priester gilt es mitzubedenken, damit
konfessionellen oder weltanschaulichen               die nun vorzustellenden Beobachtungen
Gruppierungen nicht nur religiöse und                über ihr Konfliktverhalten nicht zu fal-
soziale, sondern auch politische Relevanz            schen Schlüssen führen. Die Angaben
zu: Der unmittelbare Zusammenhang                    über „Maßnahmen“, mit denen Polizei,
zwischen Konfession und Wahlverhalten                Justiz, Ver­waltungs­
                                                                         behörden und NS-
zugunsten der Zentrumspartei zeigte                  Organisationen aufgrund von „Ver­
sich selbst noch bei den schwierigen                 gehen“ gegen Priester vorgingen, sind
Reichstagswahlen 1932/33. In den                     eben kein Maßstab für deren Wider­
„widerstrebenden Peripherien“ hatte                  standsverhalten.10 Warum dem so ist,
die NSDAP einen erkennbar schwere-                   wird im Folgenden deutlicher werden.
ren Stand als anderswo im Deutschen

Abb. 2: Maßnahmen gegen katholische Priester 1933–1945 im Monatsdurchschnitt

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2. NS-Religionspolitik:                                    strafen, Schutz- und KZ-Haft. Soweit
„Entkonfessionalisierung des                               datier­bar bilden sie in ihrem zeitlichen
öffentlichen Lebens“                                       Verlauf recht genau die Phasen national-
                                                           sozialistischer Religionspolitik ab.12
1984 erschien unter dem Titel „Pries­                      Die Tiefpunkte des Kurvenverlaufs ver-
ter unter Hitlers Terror“11 eine Doku­                     weisen auf Phasen einer relativen, weil
mentation, die wissenschaftlich aufbe-                     taktisch bestimmten Annäherung an
reitete, was 1955 der Zentralstelle für                    die katholische Kirche: Nach dem 1933
kirchliche Statistik noch als aussichts-                   abgeschlossenen Reichskonkordat, zu
los gegolten hatte: eine biographische                     dem Hitler nicht einmal die Unterschrift
und statistische Erhebung über die im                      beigetragen hatte, scheiterte 1936
Dritten Reich verfolgten katholischen                      auch der zweite Anlauf, Kirche und
Geistlichen. Zu den insgesamt ca. 8 000                    Katholiken in die Herrschaftspraxis des
Personeneinträgen kamen bis zur vierten                    NS-Regimes und der Volksgemeinschaft
Auflage 1998 mehr als 4 000 weitere                        zu integrieren. Der deshalb gewalt-
neu hinzu. Insgesamt sind über 38 000                      sam durchgeführte „Kampf gegen den
Maßnahmen nachgewiesen, von der                            politischen Katholizismus“13 und für eine
Schikane durch Parteiangehörige über                       „Entkonfessionalisierung des öffentli-
Verhöre und Verwarnungen bis zu Geld­                      chen Lebens“14 war nur um den Preis

9 Vgl. dazu im Karten zu Konfessionsverhältnissen und Wahlverhalten in: Karl-Joseph Hummel/Michael
Kißener (Hgg.), Die Katholiken und das Dritte Reich. Kontroversen und Debatten, Paderborn 2009, Anhang; zu-
letzt Jürgen W. Falter, Hitlers Parteigenossen. Die Mitglieder der NSDAP 1919–1945, Frankfurt a. M. 2020,
152–163
10 Eine komplexe Verschränkung von Vorstellungen katholischer Priester in Österreich und Deutschland mit
dem Nationalsozialismus weist die Studie von Lucia Scherzberg auf; vgl. Lucia Scherzberg, Zwischen Partei
und Kirche. Nationalsozialistische Priester in Österreich und Deutschland, Frankfurt a. M. 2020. Zu Selbstver-
ständnis und Konfliktverhalten des katholischen Klerus im Nationalsozialismus vgl. außerdem Thomas Forstner,
Priester in Zeiten des Umbruchs. Identität und Lebenswelt des katholischen Pfarrklerus in Oberbayern 1918
bis 1945, Göttingen 2014; Michael Hirschfeld/Maria Anna Zumholz (Hgg.), Oldenburgs Priester unter NS-Ter-
ror 1932–1945. Herrschaftsalltag in Milieu und Diaspora. Festschrift für Joachim Kuropka zum 65. Geburtstag,
Münster 2006.
11 Ulrich von Hehl (bearb.), Priester unter Hitlers Terror. Eine biographische und statistische Erhebung, im
Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz und unter Mitwirkung der Diözesanarchive, Mainz 1984. Bis 1998
erschienen vier Auflagen; vgl. oben Anm. 3.
12 Eine Gesamtdarstellung der NS-Religionspolitik fehlt bis heute. Wesentliche kirchenpolitische Quellen bei
Carsten Nicolaisen/Gertraud Grünzinger (Bearb.), Dokumente zur Kirchenpolitik des Dritten Reiches, Bd. 1–5,
München 1971–2008; wegweisend Wolfgang Dierker, Himmlers Glaubenskrieger. Der Sicherheitsdienst der SS
und seine Religionspolitik 1933–1941, Paderborn 22003.
13 Runderlass Görings vom 16.07.1935 über den politischen Katholizismus, in: Carsten Nicolaisen/Gertraud
Grünzinger, Dokumente. Bd. 3: 1935–1937, Nr. 2, 5–9.
14 Rede Fricks am 07.07.1935 auf einer NSDAP-Parteiversammlung in Münster, in: Bernhard Stasiewski
(Bearb.), Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933–1945. Bd. 2: 1934–1935, Mainz 1979, 335.

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zahlreicher Auseinandersetzungen mit               reichen Polizeiverordnungen tief in den
dem Klerus und den Gläubigen zu haben.             Seelsorge-Alltag der Pfarreien ein, ging
Diese nahmen die Konflikte mit Staat und           mit Schutzhaftstrafen gegen Laien wie
Polizei als neuen „Kulturkampf“ wahr.15            Kleriker vor und beantragte bei den
Daher schnellen die Zahlen 1934/35 und             Sonder­gerichten die Einweisung in ein
1937 steil in die Höhe. Am Vorabend                Kon­ zentrationslager. Über 2500 Frei­
des Krieges hatte sich dann das                    heits­strafen wurden gegen katholi­
Regime durchgesetzt. Die katholischen              sche Geistliche verhängt, 417 deutsche
Organisationen und Konfessionsschulen              Pries­ter in ein Konzentrationslager
waren von der Bildfläche der national-             „überstellt“. Dabei zeigt der Verlauf der
sozialistischen Volksgemeinschaft ver-             KZ-Einweisungen, dass der nach innen
schwunden. (Abb 2)                                 gerichtete Terror während der Kriegsjahre
Am ehesten scheint die Integration in die          nicht ab-, sondern sogar noch zunahm.
nationalsozialistische Kriegsgesellschaft          Waren es 1939 monatlich umgerechnet
nach 1939 gelungen zu sein.16 Aber                 zwei, sind es zwei Jahre später zehn
auch hier verweist der hohe Ausschlag              KZ-Strafen pro Monat; 1944 steigt diese
der Kurve im Jahr 1941 darauf, dass                Zahl gegen den abfallenden Trend der
Spannungen phasenweise noch größer                 Strafmaßnahmen insgesamt noch einmal
wurden. Hitler hatte nämlich das Feld der          an und liegt mit gut fünf Einweisungen
Religionspolitik inzwischen Goebbels,              monatlich immer noch mehr als doppelt
Himmler, Bormann u. a. überlassen.                 so hoch wie zu Kriegsbeginn.
Diese nutzten die Kriegssituation stra-            1940 hatte die SS damit begonnen, die
tegisch, um das katholische Christentum            noch in Schutzhaft befindlichen Geist­
als weltanschaulichen Gegner vollstän-             lichen der verschiedensten Natio­     nen
dig zurückzudrängen. Nach 1939 wurden              vor den Toren Münchens im Konzen­
reichsweit über 300 Klöster beschlag-              trationslager Dachau zusammenzufüh-
nahmt, entschädigungslos enteignet                 ren.19 Die religionspolitische Strategie
und über 10 000 Ordensleute aus ihren              des Regimes, den Klerus zu kriminalisie-
Ordenshäusern vertrieben.17                        ren und seine Seelsorge als „politisch“ zu
Priester wie Laien bekamen in den                  diskreditieren, hatte seitdem auch einen
Auseinandersetzungen vor allem die                 festen Ort: die drei gesonderten, völlig
Aus­wir­ kungen einer in den gleichge-             überfüllten Baracken der sogenannten
schalteten Staats­  apparat eingeschmol­           Priesterblöcke 26, 28 und 30. Dabei
zenen politischen NS-Bewegung zu                   trennte die Lagerführung entsprechend
spüren. Seit 1934 hatte die SS unter               der NS-Weltanschauung die fast 1800
der Führung Himmlers sukzessive die                aus dem besetzten Polen deportierten
Schalt­­stellen der politischen Polizei und        Priester in den Blöcken 28 und 30 von den
Kriminalpolizei übernommen. Gestützt               nicht-polnischen Geistlichen im Block 26
u. a. auf das sogenannte „Heim­      tücke­        und der dort im Januar 1941 eingerich-
gesetz“18 griff die Gestapo mit zahl-              teten provisorischen Kapelle. Innerhalb

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des Lagers besaßen die Geistlichen in-                     das Lager deportiert, etwa 4000 von ih-
sofern einen Sonderstatus, als sie die                     nen dort von der SS erschossen. Die jüdi-
einzige Häftlingsgruppe bildeten, die als                  schen Häftlinge Dachaus deportierte die
Berufsgruppe gefangen gehalten wurde.                      SS in das Vernichtungslager Auschwitz,
Bis zu seiner Befreiung Ende April                         nachdem Himmler am 5. Oktober 1942
1945 waren im Konzentrationslager                          angeordnet hatte, die in Deutschland
Dachau insgesamt 2720 v. a. katholi­                       liegenden Konzentrationslager „juden-
sche (2579) und evangelische (109)                         frei“ zu machen. Der alltägliche Kampf
Geist­liche interniert, unter ihnen 447                    um das Überleben ist auch von den KZ-
deut­sche und 94 österreichische.20 Die                    Priestern vielfach beschrieben worden:
gewaltsame Inhaftierung von Priestern                      das Grauen des ständigen Hungers und
aus ganz Europa in Dachau zählte                           der lebensbedrohlichen Krankheiten, des
zu den Auswirkungen des national­                          grenzenlosen Terrors und angstbesetz-
sozialistischen Eroberungs- und Vernich­                   ten „Bunker“-Arrestes, der rücksichts-
tungskrieges: 1940/41 gelangten mit                        losen Zwangsarbeit und gnadenlosen
Trans­porten aus Lódz, Posen, Kielce und                   Hinrichtungen. Über 1000 Priester über-
Warschau etwa 25 000 Häftlinge nach                        lebten die erbarmungslose Lagerhaft in
Dachau, ab Oktober 1941 wurden tau-                        Dachau nicht.
sende sowjetische Kriegsgefangene in

15 Vgl. Christoph Kösters, „Kulturkampf” im Dritten Reich. Zur Deutung der Konflikte zwischen NS-Regime
und katholischer Kirche im deutschen Episkopat, in: Thomas Brechenmacher/Harry Oelke (Hgg.), Die Kirche und
die Verbrechen im nationalsozialistischen Staat, Göttingen 2011, 67–112.
16 Vgl. Karl-Joseph Hummel/Christoph Kösters (Hgg.), Kirchen im Krieg. Europa 1939–1945, Paderborn 2007;
Thomas Brodie, German Catholicism at war, 1939–1945, Oxford 2018. Nach Abschluss des Manuskripts er-
schien zu dem in diesem Zusammenhang höchst wirksamen religiösen Gewalt- und Friedenssemantiken And-
reas Holzem/Antonia Leugers, Katholische Kriegsfriedensdiskurse 1914/18-1939/45. München zwischen kultu-
rellem Pluralismus und „Hauptstadt der Bewegung”, Paderborn 2020.
17 Vgl. Annette Mertens, Himmlers Klostersturm. Der Angriff auf katholische Einrichtungen im Zweiten Welt-
krieg und die Wiedergutmachung nach 1945, Paderborn 2006.
18 Das „Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Partei und Staat“ vom 20.12.1934 stellte jede Art von Kritik
am NS-Regime unter Strafandrohung.
19 Vgl. Stanislav Zámečnik, Das war Dachau, Frankfurt a. M. 2007; Günter Kimmel, Das Konzentrationslager
Dachau. Eine Studie zu den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen in: Martin Broszat (Hg.), Bayern in der
NS-Zeit, Bd. 2: Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt, München 1979, 349–413. Zu den Zusammenhängen
vgl. Nikolaus Wachsmann, KL. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bonn 2016. Zur Ge-
schichte der evangelischen Geistlichkeit in den Konzentrationslagern vgl. Rebecca Scherf, Evangelische Kirche
und Konzentrationslager (1933–1945), Göttingen 2019. Aus kulturgeschichtlicher Perspektive Eike Lossin, Ka-
tholische Geistliche in nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Frömmigkeit zwischen Anpassung, Befehl
und Widerstand, Würzburg 2011. Vgl. auch Ursula Pruß, Die katholischen Geistliche im KZ Sachsenhausen, in:
Priester im KZ Sachsenhausen. Der Gedenkstein für die inhaftierten katholischen Geistlichen, hg. v. Erzbischöf-
lichen Ordinariat Berlin, Berlin 2007, 11–36.
20 Zahlenangaben und ihre Diskussion im Wikipedia-Artikel „Pfarrerblock“,
https://de.wikipedia.org/wiki/Pfarrerblock#Gesamtzahl_und_Todesf%C3%A4lle (Stand: 2020-06-01).

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Leisner feierte seine erste und einzige
                                                    Heilige Messe, die sogenannte Primiz,
                                                    am 26. Dezember, dem Gedenktag des
                                                    Heiligen und ersten christlichen Mär­ty­
                                                    rers Stephanus. Er starb wenige Monate
                                                    später an den Folgen der Haft, kurz nach-
                                                    dem das Lager durch amerikanische
                                                    Truppen befreit worden war.
                                                    Von der „Priesterweihe im Häft­       lings­
                                                    kleid“22, wie man das Geschehen ge-
                                                    nannt hat, ging offenbar eine tiefe sym-
                                                    bolische und spirituelle Wirkung aus. Die
                                                    alltägliche Erfahrung des Leidens und
                                                    Sterbens im KZ und dessen Annahme
                                                    als Kreuzesnachfolge Christi verdichtete
                                                    sich hier zu einem tradierte Vorstellungen
                                                    überholenden idealtypischen Vorbild
Abb. 3: Andenken an die Primiz Karl Leisners        priesterlicher Existenz, und zwar im Sinne
im KZ Dachau am 26. Dezember 1944,                  einer radikalen Lebenshingabe für Gott
gemalt von Bruder Raphael Tijhuis, OCarm            und den Nächsten.23 (Abb. 3)
                                                    „Opferer und Geopferter muss der Pries­
                                                    ter sein, wenn er ganz Christus darstel-
3. Konkurrierende Identitäten:                      len will“, hieß es sinngemäß auf einem
Die Opfer der Gottesmänner                          der im Lager angefertigten Primizbilder.
                                                    Diese Spiritualisierung von Verfolgung,
Wie haben die „Gottesmänner“ – Priester             Leid und gewaltsamem Tod erwies sich
wie Bischöfe – diese Erfahrungen ge­                auch als anschlussfähig für eine Deutung,
deutet, wie die existenzielle Frage nach            die nach 1945 das erlebte Geschehen in
dem Sinn von Krieg und Verfolgung be-               die Erinnerung an die Märtyrer der frühen
antwortet?                                          Kirche einreihte. Das neue Ideal priester-
In den Aufzeichnungen vieler katholischer           licher Existenz wurde mit dem Vorbild des
KZ-Priester ragt ein Ereignis besonders             jungen Märtyrers verschmolzen, also der
heraus: die Priesterweihe des sterbens-             freien, stellvertretend erlittenen und mit
kranken, jungen Diakons Karl Leisner aus            Gott versöhnenden Selbsthingabe des
der Diözese Münster am 17. Dezember                 Lebens um der Wahrheit des Glaubens
1944.21 Nicht nur die geheimen Wege,                willen.24 Priesterweihe und die Feier des
auf denen die Vorbereitungen getrof-                Messopfers am Stephanustag wurden
fen wurden, erinnerten die Beteiligten              daher im Kreis der Überlebenden als be-
rückblickend an die Katakombenzeit der              sonders eindrückliches, gewaltloses und
frühen Christenheit. Der jugendbewegte              religiöses Bekenntnis gegen Verfolgung

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Abb. 4: Katholischer Kriegspfarrer beim Feldgottesdienst in der Ukraine, 1941

und Unterdrückung des NS-Regimes ver-                      Kirche nach 1939 erneut Gebäude und
standen.                                                   Krankenhäuser zu Lazarettzwecken be-
Die Bischöfe von Münster und München-                      reit. Hunderte Militärgeistliche dienten
Freising, Clemens August von Galen                         als Divisions-, Lazarett- und Gefängnis­
und Michael von Faulhaber, wussten                         pfarrer in der Wehrmacht. Tausende von
um die Vorgänge in Dachau, weil sie                        Priestern, Ordensmännern und Theo­
ihre Zustimmung zur Priesterweihe                          logiestudenten waren vereinbarungs-
Leis­ners hatten geben müssen. Für sie                     gemäß zum Sanitätsdienst eingezogen.
stand allerdings ein anderes Priester­                     Bei den Antworten auf die Fragen nach
bild im Vordergrund, welches mit der                       dem Sinn von Leiden und Sterben im
Mitwirkung der Kirche am Krieg ver-                        Krieg bewegten sich alle in jahrhunderte­
bunden war.25 Denn wie schon im                            alten, christlich überlieferten Bahnen.
Ersten Weltkrieg stellte die katholische                   Krieg war in solcher religiös bestimmten

21 Zu Leisner vgl. Christoph Kösters, Karl Leisner (1915–1945). Zeitgeschichtliche Annäherung an „Marty-
rium” und „Widerstand” im 20. Jahrhundert, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 218
(2015), 47–78. Grundlegend Hans-Karl Seeger/Gabriele Latzel (Hgg.), Karl Leisner. Tagebücher und Briefe. Eine
Lebens-Chronik, Bd. 1–5, Kevelaer 2014.
22 Vgl. Reimund Schnabel, Die Frommen in der Hölle. Geistliche in Dachau, Frankfurt a. M. 1966, 158.
23 Vgl. dazu auch die bemerkenswerten Beobachtungen zu im KZ Dachau entstandenen Überlegungen zum
Laiendiakonat als Korrektiv zum Priesterberuf. Ulrich Helbach, Der Diakonat im 19. und 20. Jahrhundert bis zum
Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils, in: Günter Riße/Ulrich Helbach/Hermann Josef Klein (Hgg.), Boten
einer neuen Zeit. 50 Jahre Ständige Diakone im Erzbistum Köln, Paderborn 2018, 101–129, hier 110–114.
24 Vgl. dazu Hans Maier (Hg.), Martyrium im 20. Jahrhundert, Annweiler 2004. Eine kirchenoffizielle
Zusammenstellung in: Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts, 2. Bd., Paderborn
72019.

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Abb. 5: Übersicht über die Opfer der Katholischen Kirche im Zweiten Weltkrieg, 1953

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Sicht nicht allein ein säkulares, macht-                  Bolschewismus“ der Sowjetunion nahe-
politisches Konfliktgeschehen, son-                       zu sakrale Züge.26 (Abb. 4)
dern eine Art ultima ratio innerhalb der                  Das Sterben des miles christianus, des
von Gottes Gerechtigkeit bestimmten                       mittelalterlichen Idealtypus des christli-
Ordnung. Dass sich die verantwortliche                    chen Soldaten, war zwar nicht unmittel-
staatliche Obrigkeit außerhalb dieser                     bar anschlussfähig an die altkirchliche
Ordnung bewegen würde, war zwar nicht                     Märtyrertradition – ging es doch hier um
ausgeschlossen. Wann es jedoch für den                    Lebenshingabe im soldatischen Kampf
christlichen Soldaten galt, Gott mehr zu                  und nicht in leidertragender Verfolgung.27
gehorchen als den Menschen, war eine                      Gleichwohl rückte mancher Bischof das
Gewissensfrage und keineswegs eindeu-                     Lebensopfer der an der Front für Volk und
tig bestimmt.                                             Vaterland gefallenen Priestersoldaten
Die Hirtenbriefe der Bischöfe waren des-                  – am Ende waren es über 1500 – in die
halb durchzogen von Aufrufen zu Treue,                    Nähe des Martyriums.28 Solche sinn-
Gehorsam und Pflichterfüllung, zu christ-                 stiftende Deutung verlor allerdings desto
licher Bewährung, Gebet und duldsamem                     mehr an Überzeugungskraft je deutlicher
Ertragen des Leides. Die Opfer, die es zu                 Eigenart und Verbrechen des national­
bringen galt, waren allerdings in ein pat-                sozialistischen Vernichtungskrieges zu-
riotisch-nationales Denken eingebunden.                   tage traten. Jene, für die sich die erleb­
Dies verlieh dem Leiden und Sterben                       ten Kriegsgräuel gar zu existenziellen
nach dem Sieg 1940 gegen den franzö-                      Sinn- und Glaubensfragen verdichteten,
sischen Erbfeind zusätzlichen Sinn. Und                   blieben letztlich ohne eine kirchlich-
es erhielt in der Aufforderung zum christ-                religiöse Antwort.29
lichen „Kreuzzug“ gegen den „gottlosen

25 Vgl. Hans Jürgen Brandt (Hg.), Priester in Uniform. Seelsorger, Ordensleute und Theologen als Soldaten im
Zweiten Weltkrieg, Augsburg 1994; Jürgen Brandt./Peter Häger (Hgg.), Biographisches Lexikon der katholischen
Militärseelsorge Deutschlands 1848–1945, Paderborn 2002; Antonia Leugers, Jesuiten in Hitlers Wehrmacht.
Kriegslegitimation und Kriegserfahrung, Paderborn 2009; Dagmar Pöpping, Passion und Vernichtung. Kriegspfar-
rer an der Ostfront 1941–1945, Göttingen 2019; Dagmar Pöpping, Kriegspfarrer an der Ostfront. Evangelische
und katholische Wehrmachtseelsorge im Vernichtungskrieg 1941–1945, Göttingen 2017; Lauren Faulkner Rossi,
Wehrmacht Priests: Catholicism and the Nazi War of Annihilation, Cambridge 2015.
26 Dazu einschlägig Wilhelm Damberg, Kriegserfahrung und Kriegstheologie 1939–1945, in: Theologische
Quartalsschrift 182 (2002), 321–341.
27 Zur Verklärung des Soldatentodes vgl. Dagmar Pöpping, Passion und Vernichtung. Kriegspfarrer an der Ost-
front 1941–1945, Göttingen 2019, 108–126; Dagmar Pöpping, Kriegspfarrer an der Ostfront. Evangelische und
katholische Wehrmachtseelsorge im Vernichtungskrieg 1941–1945, Göttingen 2017, 127–131.
28 Hinweise bei Karl-Joseph Hummel, Glaubenszeugnis und Erinnerung. Verlust und Wiederkehr. Zum Um-
gang mit Märtyrern in Deutschland 1933–2000, in: Karl-Joseph Hummel/Christoph Kösters (Hgg.), Kirche, Krieg
und Katholiken. Geschichte und Gedächtnis im 20. Jahrhundert, Freiburg i. Br. 2014, 114–147, hier 140.
29 Vgl. Karl-Theodor Schleicher/Heinrich Walle (Hgg.), Aus Feldpostbriefen junger Christen 1933–1945. Ein
Beitrag zur Geschichte der Katholischen Jugend im Felde, Stuttgart 2005.

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4. Kirchliches Gedächtnis:                               Kriegsverbrechen, begegnete kirchlichem
Die Erinnerung der Opfer                                 Widerspruch, der zwischen „Tätern“ und
                                                         „Opfern“ unterschied. Eindeutig wurde
Die Bilanz des Krieges war mehr als ver-                 jeder Versuch abgelehnt, die „Täter“
heerend: ca. 66 Millionen Kriegstote,                    kollektiv zur Rechenschaft ziehen zu wol-
davon etwa die Hälfte Zivilisten; mindes­                len: Um der Gerechtigkeit willen müsse
tens 5,7 Millionen ermordete Juden;                      jeder einzelne seiner schuldhaften Taten
weitere 7,7 Millionen Opfer national­                    entsprechend bestraft werden; nicht alle
sozia­lis­tischer Massenverbrechen: so­                  Deutschen seien als Nationalsozialisten
w­je­­tische Kriegsgefangene, Zwangs­                    an deren Verbrechen beteiligt gewesen.
arbei­ter, Deportierte, KZ-Häftlinge, Sinti              Im Übrigen habe jeder sein Gewissen zu
und Roma, körperlich und geistig                         erforschen, seine Sünden zu bekennen
Kranke.30 Die Bilder und Nachrichten                     und Buße zu tun.31
aus den befreiten Lagern gingen um die                   Schwieriger war der Umgang mit den
Welt. Die zahllosen unschuldigen Opfer                   Opfern. Dass die katholische Kirche zu
des Krieges klagten an und stellten die                  den Opfern nationalsozialistischer Ver­
Frage nach Schuld und Verantwortung.                     folgung zählte, war angesichts der vielen
Der Vorwurf der Sieger, das deutsche                     Geistlichen, die inhaftiert gewesen und
Volk insgesamt treffe die Schuld für die                 gar ihr Leben verloren hatten, weit­hin

Abb. 6: Sühnewallfahrt anlässlich der Einweihung der Todesangst-Christi-Kapelle
auf dem Gelände des ehemaligen KZ Dachau, 1960

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unbestritten. (Abb 5) Ihre ablehnende                         auf den Sinn von Krieg und Leid schon
Haltung gegenüber den Verbrechen                              während des Krieges patriotisch-natio-
des NS-Regimes stand selbst für die                           nale Untiefen besessen hatten.32 Auf die
Alliierten nicht in Frage. Allgemein er-                      Verständigung mit den Alliierten wirk-
kannten die Bischöfe im apokalyptisch                         te es sich durchaus aus, inwieweit es
wahrgenommenen Ende des Krieges wie                           die Bischöfe jeweils vermochten, auch
ehedem Gottes Strafgericht über das                           die von den Siegermächten erbrach-
gottlose Handeln der Menschen; des-                           ten Kriegsopfer zur Befreiung vom NS-
halb sei das Leid als Sühne geduldig zu                       Regime in den Blick zu nehmen.33 Und
tragen. In den Hirtenbriefen erzeugten                        nicht zuletzt vermochte die Erinnerung
allerdings die vielen, vor allem „frem-                       an den verborgenen Einsatz für verfolg-
den“ Opfer Ambivalenzen, und zwar an                          te Juden die allseits bedrückende Frage
jenen Stellen, an denen die Antworten                         nach dem Schweigen der Kirche nicht
                                                              wirklich zu beantworten.34

30 So die Zahlen der vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) herausgegebenen Dokumentation
„Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg“, zit. n. dem Artikel „Tote im Zweiten Weltkrieg“,
https://de.wikipedia.org/wiki/Tote_des_Zweiten_Weltkrieges (Stand 2020-06-01).
31 Hirtenbrief der deutschen Bischöfe vom 23. August 1945, in: Ludwig Volk (Bearb.), Akten deutscher
Bischöfe zur Lage der Kirche 1933–1945, Bd. VI: 1943–1945, Mainz 1985, Nr. 1030/IIb, 688–694, hier 689.
Vgl. Mark Edward Ruff, Katholische Kirche und Entnazifizierung, in: Christoph Kösters/Mark Edward Ruff (Hgg.);
Die katholische Kirche im Dritten Reich, 142–153.
32 Ulrich Helbach hat anhand der Vor- und Entstehungsgeschichte des Gemeinsamen Hirtenbriefs vom August
1945 gezeigt, dass die Bischöfe unmittelbar nach Kriegsende durchaus unterschiedlicher Auffassung über das
Verhalten des deutschen Volks bzw. der Katholiken in der NS-Zeit und die Frage des – auch eigenen – schuldhaf-
ten Versagens waren. Vgl. Ulrich Helbach, Das „gemeinsame“ Hirtenwort „zur Behebung der religiösen und sitt-
lichen Kriegsschäden“ im Juni 1945. Desorientierung unter den westdeutschen Bischöfen, in: Historisches Jahr-
buch 130 (2010), 323–348. Vor allem aus Kreisen katholischer Laien, zumal von dem Dichter Reinhold Schneider,
kam die eindringliche Bitte, die Zeichen der Zeit auch für ein aufrichtiges, d. h. selbstkritisches Schuldbekenntnis
zu nutzen. Vgl. Ulrich Helbach, „Ein Laie“, „der hofft, im besten Falle eine Stimme in der Kirche und in der Zeit
zu sein“ – Reinhold Schneider und die deutsche Schuld: Sein Beitrag zum Hirtenbrief der deutschen Bischöfe
in Fulda vom 23. August 1945, in: Karl-Heinz Braun (Hg.) Geschichte des Erzbistums Freiburg, Freiburg i. Br.
(im Druck).
33 Vgl. dazu die Beobachtungen von Andreas Holzem, Transnationaler Katholizismus als Modus des Verste-
hens? Die Bischöfe Joannes Baptista Sproll und Clemens August von Galen im Erstkontakt mit der französischen
und britischen Militärregierung (April bis Oktober 1945), in: Andreas Henkelmann/Christoph Kösters/Rosel
Oehmen-Vieregge/Mark Edward Ruff (Hgg.), Katholizismus transnational. Beiträge zur Zeitgeschichte und Ge-
genwart in Westeuropa und in den Vereinigten Staaten, Münster 2019, 185–210.
34 Vgl. Ulrich Helbach, „Es hätte unserer Kirche und unserem Volk mehr gedient, wenn wir weniger geschwie-
gen hätten …“ Die Schuldfrage im Frühjahr 1945 im Lichte eines neuen Quellenfundes. Eingabe der west-
deutschen Bischöfe an Papst Pius XII, in: Siegfried Schmidt (Hg.), Rheinisch, Kölnisch, Katholisch. Beiträge zur
Kirchen- und Landesgeschichte sowie zur Geschichte des Buch- und Bibliothekswesens der Rheinlande, Köln
2008, 341–372.

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Umso stärker richtete sich der Blick auf         Bedingungen als in der sozialistischen
das stellvertretende Leiden und Sterben          Diktatur der DDR.39 Es war kein Zufall,
der jungen Märtyrer. Zwar erinnerte ihr          dass der Anstoß zur schon erwähn-
Zeugnis zusammen mit dem der KZ-Über­            ten Dokumentation „Priester unter
lebenden schmerzlich daran, dass um              Hitlers Terror“ 1963 von einer lebhaf-
der Wahrheit und des Gewissens willen            ten Debatte auf einem katholisch-
ein anderes Verhalten möglich gewesen            evangelischen Publizistentreffen in
wäre. Die Märtyrer waren nach 1945 zu-           Fulda ausging. Es sollten allerdings
nächst alles andere als populär.35 Dies          noch eineinhalb Jahrzehnte verge-
wurde aber dadurch überdeckt, dass die           hen, bis Quellenmaterial, statistisches
Märtyrer an die Spitze von Verfolgung            Instrumentarium und methodische
der Kirche bzw. ihren Widerstand ge-             Begriffe für die systematische biogra-
rückt wurden. In der vom Münchener               phische und statistische Erhebung zur
Weihbischof Neuhäusler 1946 veröf-               Verfügung standen. Die Kontroversen
fentlichten Dokumentensammlung hieß              über Verfolgung und Widerstand katho-
es: „Und mit Märtyrerblut ist auf viele          lischer Priester im Nationalsozialismus
Blätter der Geschichte der katholischen          waren damit keineswegs erledigt – im
Kirche Deutschlands in diesen zwölf              Gegenteil. Sie dauern bis heute an.40
Jahren geschrieben: ‚Der Widerstand              In der Forschung ist gegenwärtig von reli-
war auch kirchlicherseits da!‘“36                giös-kirchlichem grundiertem „Abstand“
Einen bemerkenswert anderen Akzent               die Rede, aus dem sich aktives widerstän-
setzte die katholische Friedensbewegung          diges Handeln bis zur Beteiligung an poli-
Pax Christi 37: Die 1947 in Aachen begon-        tischen Widerstandszirkeln entwickeln
nenen, sogenannten Sühnewallfahrten              konnte – eine Distanz, die Nähe in Gestalt
führten schon bald zu den entstehen-             „antagonistischer        Kooperationen“41
den Gedenkorten nationalsozialisti-                                 42
                                                 nicht aus­schloss. Jüngst haben Olaf
scher Verbrechen: nach Plötzensee,               Blaschke und Thomas Großbölting so-
nach Mauthausen oder 1960 – anläss-              gar einen Perspektivwechsel vorge­
lich der Einweihung der Todesangst               schlagen, der die Kirchen stärker als
Christi-Kapelle – nach Dachau.38 Die an          bisher als Religionsakteure der NS-
einen katholischen Bußritus angelehnten          Volksgemeinschaft fokussiert.43 Von
Wallfahrten wurden von den einstigen             der Verfolgung der katholischen Pries­
Gegnern in ihrer tiefen religiös-symbo-          ter im Nationalsozialismus auf deren
lischen Bedeutung als Bekenntnis zu              Widerstand zu schließen, ist daher histo­
Schuld und Versöhnungsbereitschaft ver-          risch nicht so zwingend, wie es für die
standen und angenommen. (Abb. 6)                 Erleb­nis­generation der Kriegs- und Nach­
Die nächste Generation hingegen führte           kriegsjahre bis weit in die 1960er Jahre
die Schulddebatte unter geschichts-              den Anschein hatte.
politischen Vorzeichen – in der freiheit-        Am 29. April 2020 hat sich die katholi­
lichen Bundesrepublik unter anderen              sche Deutsche Bischofskonferenz in

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einem „Wort zum Ende des Zweiten                             torischen Verstehens. Nur so entkom-
Welt­kriegs vor 75 Jahren“ mit Verhalten                     men wir der Versuchung, das damalige
ihrer bischöflichen Amtsvorgänger wäh-                       Geschehen nicht nah genug an uns her-
rend des Zweiten Weltkriegs in über-                         ankommen zu lassen.“45 Mit einem be-
zeugend historisch-kritischer Weise                          merkenswerten Resultat: „Bei aller inne-
auseinandergesetzt.44 „So schwer ver-                        ren Distanz zum Nationalsozialismus und
ständlich, wenn nicht sogar falsch uns                       bisweilen sogar offener Gegnerschaft
das Verhalten unserer Vorgänger im                           war die katholische Kirche in Deutsch­
Bischofsamt heute auch erscheint, es                         land Teil der Kriegsgesellschaft. Daran
enthebt uns nicht der Mühen des his-                         änderten auch die zunehmende Repres­

35 Darauf verweist Hummel, Glaubenszeugnis, 128.
36 Johannes Neuhäusler, Kreuz und Hakenkreuz. Der Kampf des Nationalsozialismus gegen die katholische
Kirche und der kirchliche Widerstand, Zweiter Teil: Der Widerstand der katholischen Kirche gegen den National-
sozialismus, München 1946, 26.
37 Vgl. Jens Oboth, Pax Christi Deutschland im Kalten Krieg 1945–1957. Gründung, Selbstverständnis und
„Vergangenheitsbewältigung“, Paderborn 2017; Arkadiusz Stempin, Das Maximilian-Kolbe-Werk. Wegbereiter
der deutsch-polnischen Aussöhnung 1960–1989, Paderborn 2006; Jean-Pierre Guérend (Hg.), Franz Stock. Weg-
bereiter der Versöhnung, Tagebücher und Schriften, Freiburg i. Br. 2017; vgl. auch Christoph Kösters, Europä­ische
Integration und Katholizismus in Deutschland (1945–1990), in: Karlies Abmeier/Petra Bahr (Hgg.), Katholizismus
– eine politische Kraft, Sankt Augustin 2016, 45–66.
38 Vgl. Roland Götz, Christus die Mitte. Drei Bauwerke zum Eucharistischen Weltkongress 1960, in: Peter
Pfister (Hg.), Für das Leben der Welt. Der Eucharistische Weltkongress 1960 in München, Regensburg 2010,
93–111, hier 106–111.
39 Vgl. Mark Edward Ruff, The battle fort he Catholic Past in Germany, 1945–1980, Cambridge 2017. Karl-
Joseph Hummel, Die Schuldfrage, in: Christoph Kösters/Mark Edward Ruff (Hgg.), Die katholische Kirche,
154–170.
40 Einen eigenständigen Zweig innerhalb der Debatte bildet das von der katholischen Kirche verantwortete
Martyrologium. Vgl. Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts, hg. i. A. der Deut-
schen Bischofskonferenz v. Hubert Moll, zwei Bde, Paderborn 7. Aufl. 2019.
41 So die Formulierung von Winfried Süß, Antagonistische Kooperationen. Katholische Kirche und national-
sozialistisches Gesundheitswesen in den Kriegsjahren 1939–1945, in: Karl-Joseph Hummel/Christoph Kösters
(Hgg.), Kirchen im Krieg, Paderborn u. a. 2007, 317–342.
42 Vgl. Hans Günter/Friedrich Wilhelm Graf (Hgg.) Distanz und Nähe zugleich? Die christlichen Kirchen im
„Dritten Reich“, München 2017.
43 Nach Abschluss des Manuskripts erschien Olaf Blaschke/Thomas Großbölting (Hgg.), Was glaubten die
Deutschen zwischen 1933 und 1945? Religion und Politik im Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 2020.
44 Zum Folgenden vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.) Deutsche Bischöfe im Weltkrieg.
Wort zum Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren vom 29. April 2020, Bonn 2020.
45 Ebd., 16.
46 Ebd., 12.
47 Ebd., 15.
48 Ebd., 21.
49 Ebd.

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sion gegen das Christentum, der Ver­           der Jahre ist der Umstand, dass für die
nichtungskrieg sowie die seit der Wende        Leiden und die Opfer der Anderen lan-
des Kriegsgeschehens und mit dem               ge Zeit jeder Blick fehlte – von offenen
Bombenkrieg gegen Deutschland an-              Worten ganz zu schweigen – besonders
wachsenden Verluste der Deutschen we-          beschämend“, heißt es im abschließen-
nig.“46 Und weiter: „Indem die Bischöfe        den Kapitel in der Erklärung.48 Aber: „Der
dem Krieg kein eindeutiges ‚Nein‘ ent-         Austausch und die Wege der Versöhnung
gegenstellten, sondern die meisten von         mit unseren Nachbarn, insbesondere mit
ihnen den Willen zum Durchhalten stärk-        Frankreich und Polen, haben uns gehol-
ten, machten sie sich mitschuldig am           fen, diese von Vermeidung, Verdrängung
Krieg.“47                                      und eigenem Schmerz geprägten ver-
Bei diesem Bekenntnis zur Mitschuld            engten Sichtweisen hinter uns zu lassen.
ihrer Vorgänger geht es nicht um ein           […] Dabei haben wir erleben können,
„Scherbengericht“, sondern im Gegen­           dass diese Begegnungen wesentlich
teil um ein neues Glied in der Erinne­         auch zur Erneuerung der Kirche beige-
rungskette der katholischen Kirche.            tragen haben und beitragen.“49 Damit
Christliche Memoria wird dabei nicht           ist kaum weniger als eine neue Seite im
als Selbstzweck, sondern als Dienst            Kapitel christlich-kirchlicher Erinnerung
am Frieden und an der Versöhnung der           des Zweiten Weltkrieges aufgeschlagen
Völker verstanden. „Mit dem Abstand            worden. Es kann und wird nicht die letzte
                                               sein!

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Abbildungsverzeichnis

Das Redaktionsteam dieser Broschüre an der Uni-
versität Greifswald war bestrebt, zu den verwen-
deten Abbildungsvorlagen die Urheberrechtsfragen
zu klären. Nicht berücksichtigte Inhaber von Bild-
rechten werden gebeten, sich an die Pressestelle
der Universität Greifswald unter pressestelle@uni-
greifswald.de zu wenden.

Abbildung 1                                               Abbildung 4
„Zur Verfolgung der Kirche in Deutschland” 1933–          Katholischer Kriegspfarrer beim Feldgottesdienst in
1945, Übersicht aus dem Kirchlichen Handbuch für          der Ukraine, 1941; Archiv des Katholischen Militär-
das katholische Deutschland von 1955.                     bischofs (AKMB) AR 191.
Abbildung 2                                               Abbildung 5
Maßnahmen gegen katholische Priester 1933–                Übersicht über die Opfer der katholischen Kirche im
1945 im Monatsdurchschnitt; Priester unter Hitlers        Zweiten Weltkrieg, 1953; Kirchliches Handbuch für
Terror I, 41998.                                          das katholische Deutschland, Bd. XXIV: 1952–1956,
Abbildung 3                                               Köln 1956.
Andenken an die Primiz Karl Leisners im KZ Dachau         Abbildung 6
am 26. Dezember 1944, gemalt von Bruder Raphael           Sühnewallfahrt anlässlich der Einweihung der Wei-
Tijhuis, OCarm. Mit Genehmigung des Internationa-         he der Todesangst-Christi-Kapelle auf dem Gelände
len Karl Leisners-Kreises; Bistumsarchiv Münster,         des ehemaligen KZ Dachau, 1960, Fotograf: Rudolf
Karl-Leisner-Archiv (Depo­situm).                         Pröhl. Mit Genehmigung von Margarete Pröhl und
                                                          Schirin Pröhl-Schraml.

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„Wenn man schon diese Pfaffengesichter und
Verbrecherbande sieht …”1 – Katholische Priester in
Pommern als Opfer des Nationalsozialismus
Prof. Dr. Thomas K. Kuhn, Lehrstuhl für Kirchengeschichte, Greifswald

    1. Katholische Kirche in Pommern                Formen konfessioneller Segregation
                                                    sowie die Bildung exklusiver religiöser
    Die seit dem Preußischen Konkordat vom          Milieus. Berichte der Gestapo, die im
    14. Juni 1929 zu dem neu gegründeten            „Sonderarchiv“ des Russischen Staat­
    Bistum Berlin2 gehörende katholische            lichen Militärarchivs in Moskau liegen,
    Kirche in Pommern kennzeichnete in der          nennen Beispiele dafür, wie sich diese
    ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwei         konfessionelle Abgrenzung konkret im
    Merkmale: Zum einen war sie eine ver-           Alltag der Katholiken auswirkte.6 Es gab
    schwindend kleine religiöse Minderheit.         anscheinend „dauernde Reibereien“
    Der Bevölkerungsanteil der auf dem              zwischen katholischen und evangeli-
    Territorium des Bistums Berlin lebenden         schen Siedlern. Die katholischen Siedler
    Katholiken betrug lediglich gut sieben          vermieden es zum Beispiel, bei einem
    Prozent. Für Pommern wird ein Anteil            evangelischen Händler einzukaufen.
    von knapp 3,5 Prozent genannt: Auf 1,9          Doch damit nicht genug: Als bei einem
    Millionen Einwohner kamen 60 000                evangelischen Siedler durch Blitzschlag
    Katholiken.3 Man lebte als Katholik             Feuer ausgebrochen war, beteiligte
    also in der so genannten Diaspora, in           sich anscheinend kein Katholik an den
    der „Zerstreuung“. Die dort tätigen             Löscharbeiten.7
    Geistlichen hatten überaus weite Wege           Das zweite Merkmal der katholischen
    auf schlechten Straßen zurück­  zulegen.        Kirche in Pommern ist die spezifische
    Oft nur mit dem Fahrrad unter­wegs be-          Zusammensetzung ihrer Gemeinden.8
    suchten sie – so oft es ging – ihre weit        Neben einer vor Ort oder verstreut leben­
    verstreut lebenden Gemeindemitglieder           den Minderheit deutscher Katholiken
    und konnten von der protestantischen            stellten die überwiegend aus Polen stam­
    Majorität geradezu als Exoten wahr-             menden „Schnitter“ genannten Saison­
    genommen werden. Für die Katholiken             arbeiter, später die „Zwangsarbeiter“
    galt es, diese spezielle Situation als          die personelle Majorität dar.9 Katholizi­
    Minderheit anzunehmen und zu leben.             tät und Polonität standen deshalb in
    Das geschah auf vielfältige Weise:              der öffentlichen Wahrnehmung in
    Neben der wissenschaftlichen Reflexion          einem unmittelbaren Zusammenhang.
    über die Diaspora, wie sie beispiels-           Für die Nationalsozialisten avancierten
    weise 1936 der damalige Greifswalder            beide, Katholiken wie Polen, zu einer
    Pfarrer Alfons Maria Wachsmann (1896–           perma­nenten Gefahr für das deutsche
    1944)4 in einer seinerzeit viel beachte-        „Volkstum“.10 Damit ist eine erste
    ten Publikation vorlegte5, finden sich          Mo­ tivation für die Überwachung und

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Verfolgung katholischer Geistlicher und                    ge“13 galt als „nunmehr wichtigste
Gemeindemitglieder durch die Gestapo                       nachrichtendienstliche Aufgabe […] die
benannt.11 Seit der kirchenpolitischen                     umfassende Beobachtung und Erfassung
Wende von 193712 in Folge der päpst­                       des Klerus“, die zuvor noch „vergleichs-
lichen Enzyklika „Mit brennender Sor­                      weise schwach ausgebaut“ gewesen

1 Aussage von Kommissar Karl Trettin vor dem Kriegsgericht in Halle; siehe dazu den Bericht von Propst
Daniel Ernst, in: Richard Gohm (Hg.), Selig die um meinetwillen verfolgt werden. Carl Lampert – ein Opfer
der Nazi-Willkür. 1894–1944, Innsbruck, Wien 2008, 71. – Ich danke Herrn Dr. Gotthard Klein, Diözesanarchiv
Berlin, ganz herzlich für seine überaus hilfreiche Unterstützung.
2 Siehe dazu Michael Höhle, Die Gründung des Bistums Berlin 1930, Paderborn 1996.
3 Robert Thévoz/Hans Branig/Cécile Lowenthal-Hensel, Pommern 1934/35 im Spiegel von Gestapo-Lage­
berichten und Sachakten (Darstellung), Köln 1974, 148.
4 Zur Person siehe Franz Herberhold, A. M. Wachsmann. Ein Opfer des Faschismus. Leben und Tod des
Greifswalder Pfarrers Alfons Maria Wachsmann, hingerichtet am 21. Febr. 1944, Leipzig 1964; sowie Ursula
Pruß, Alfons Maria Wachsmann, in: Karl-Joseph Hummel/Christoph Strohm (Hgg.), Zeugen einer besseren Welt.
Christliche Märtyrer des 20. Jahrhunderts, Leipzig 42002, 209–224.
5 Alfons Maria Wachsmann, Zur Situation der Diaspora, Paderborn 1936.
6 Dr. Matthias Uhl, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Moskau, danke ich
ganz herzlich für die Bereitstellung der Akten.
7 Siehe dazu Bericht der Gestapo vom 12. August 1937, in: Sonderarchiv Moskau: 501/1/295 (1–10): Über
katholische Siedler im Raum Stettin.
8 Martin Holz, Von einer „Schnitterpfarrei“ zur „bürgerlichen Pfarrei“. Flucht, Vertreibung und Neuanfang aus
der Perspektive der katholischen Kirche in der Diaspora der SBZ/DDR am Beispiel der Insel Rügen 1943–1961,
in: Josef Pilvousek (Hg.), Aufnahme – Integration – Beheimatung. Flüchtlinge, Vertriebene und die „Ankunfts-
gesellschaft“, Berlin, Münster 2009, 143–168, hier: 146–150.
9 Siehe dazu Wolfgang Knauft, Schnitter, KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter. Vergessene Kapitel der Seelsorge
im Bistum Berlin, Berlin 2001. Zu den Zwangsarbeitern aus Polen siehe Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem
Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten
Europa 1939–1945, Stuttgart 2001, 44–56; ferner Czesław Łuczak, Polinische Arbeiter im nationalsozialistischen
Deutschland während des Zweiten Weltkrieges. Entwicklung und Aufgaben der polnischen Forschung, in: Ulrich
Herbert (Hg.), Europa und der „Reichseinsatz“. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in
Deutschland 1938–1945, Essen 1991, 90–105.
10 Hans-Michael Körner, Katholische Kirche und Zwangsarbeiter 1939–1945, in: Historisches Jahrbuch 112
(1992), 128–142.
11 Zur Frühphase des nationalsozialistischen Regimes siehe Thévoz, Pommern (Darstellung); dies., Pommern
1934/35 im Spiegel von Gestapo-Lageberichten und Sachakten (Quellen), Köln 1974.
12 Die nationalsozialistische Kirchen- und Religionspolitik zielte nun darauf, „die politischen Kirchen und
Sekten als Gegnerformen des nationalsozialistischen Staates und der nationalsozialistischen Weltanschauung
aus Deutschland völlig zu verdrängen und gleichzeitig ihre Kampfstellung gegen Deutschland im Ausland zu
brechen“. So ein „Arbeitsplan für das Gebiet II 113“ des SD; zitiert bei Wolfgang Dierker, Himmlers Glaubens-
krieger. Der Sicherheitsdienst der SS und seine Religionspolitik 1933–1941, Paderborn, München, Wien, Zürich
2002, 335.
13 Siehe dazu Heinz-Albert Raem, Pius XI. und der Nationalsozialismus. Die Enzyklika „Mit brennender Sor-
ge“ vom 14. März 1937, Paderborn 1979; ferner Helmut Moll, Die Enzyklika Pius‘ IX. „Mit brennender Sorge“
(14. März 1937) im Spiegel der Glaubenszeugen der NS-Zeit, in: Römische Quartalschrift für Christliche Alter-
tumskunde und Kirchengeschichte 113 (2018), 131–150.

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