KOMMUNALER ZUKUNFTSBERICHT 2015 - 2015 - Der Österreichische ...
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Wie schaut die Gemeinde Helmut Mödlhammer in 20 Jahren aus? 5 Der „Kommunale Zukunftsbericht“ ist eine Publikation des Österreichischen Gemeindebundes, die jährlich erscheint. Stehen wir vor der Aufgabe Walter Leiss des ländlichen Raums? 11 Er ist ein offener publizistischer Think-Tank, in dem Menschen aus vielen unterschiedlichen Bereichen über Zukunftsfragen für Wer soll das bezahlen? Gemeinden nachdenken. Kontroversielle Meinungen und Beiträge Alfred Riedl Gedanken zum Finanzausgleich 21 sind dabei erwünscht, nicht jeder Beitrag entspricht der Meinung oder Position des Österreichischen Gemeindebundes. In Krumbach wartet die Welt Barbara Kaufmann Das Projekt BUS:STOP und die Bushüsle 29 Dieser Bericht hat eine Auflage von rund 5.000 Exemplaren. Er ergeht an alle Bürgermeister/innen sowie zahlreiche Die Ordnung Meinungsträger/innen und –bildner/innen in unserem Land. Thomas Trescher, Rainer Brunnauer der Dinge 39 Die Grenzen Stefan Schmuckenschlager der Bürgerbeteiligung 47 Jugendbeteiligung Simon Schnetzer in der Gemeinde 53 Menschen sind auf der Flucht. Dieter Posch Dürfen wir noch länger wegschauen? 61 Nachhaltigkeit Thomas Weber auf Gemeindeebene 67 Stressberuf Petra Gajar Bürgermeister/in 75 Das kommunale Europa Karin Kadenbach Klein und egal? 81 Titelbild: Stadt Ried im Innkreis in Oberösterreich Was Sie über Österreichs Foto: Thomas Hawlik Gemeinden wissen müssen 87 www.ried.com Der Österreichische Gemeindebund 89 3
WIE SCHAUT DIE GEMEINDE IN 20 JAHREN AUS? Wenn man einen Atlas oder eine schlossen. Und wie wird die Welt Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten. Landkarte Europas von vor 30 in zwanzig oder dreißig Jahren Die Gemeinde von heute ist Jahren in die Hände nimmt, dann aussehen? Die Zukunftsforscher nicht eine Behörde oder ein Amt, kann man es kaum fassen, wie haben zwar Hochsaison, Studien sie ist nicht nur Bereitsteller sich dieses Europa in diesem und Prognosen gibt es viele, eines guten Infrastrukturangebo- Zeitraum bis heute verändert aber in einer schnelllebigen Zeit tes, sie ist Bürger-Servicestelle hat. Riesige Reiche sind zerfallen, sind schon zwei oder drei Jahre für Alles und Jedes. neue Staaten entstanden, die ein fast unabwägbarer Zeitraum. Jahrzehnte lang erstarrten Und je mehr sich Einrichtungen politischen Systeme wurden auf Und wie schaut das mit den von Bund und Ländern zurück- den Kopf gestellt. Der Kontinent Gemeinden aus? Auch sie ziehen, umso mehr kommt die hat sich zusammengefunden zu haben nicht nur ihr Gesicht, Gemeinde in die Verantwortung. einer Gemeinschaft, die in den sondern auch ihr Aufgabenfeld Mit dem Rückzug der Postäm- letzten Jahren freilich wieder am völlig verändert. Ging es bis zur ter wurden viele Gemeinden Bruch entlang schrammt. Wende ins dritte Jahrtausend Postpartner, mit der Schließung Und auch heute gibt es fast täg- hauptsächlich um die harten von Polizeiposten haben viele lich wechselnde Konstellationen, Fakten einer funktionierenden Gemeinden neue Sicherheits- wenn man nach Afrika oder in Infrastruktur, wie Versorgung aufgaben übernommen, mit den Nahen Osten schaut. mit Wasser, die Entsorgung der Auflassung von Bahn- und von Abwasser, den Ausbau des Buslinien wurden viele Kommu- Aber nicht nur die Landkarten Wege- und Straßennetzes oder nen zum Besteller und Bezahler sind einer schier unglaublichen Bau der Pflichtschulen und eines mehr schlecht als recht Veränderung unterworfen, son- Kindergärten, so geht es heute funktionierenden öffentlichen dern auch die Lebensgewohn- meist um die „Soft-Facts“, wie Verkehrs. Und mit dem Einzug heiten und Lebensverhältnisse Kinderbetreuung, Pflege der der Digitalisierung sehen sich der Men-schen. Vor drei Jahr- älteren Bürgerinnen und Bürger, jene Gemeinden, in denen für zehnten war ein Computer ein Ausbau der Serviceleistungen, die Netzbetreiber nicht der große Wunderding, vor fünfzehn Jahren funktionierenden Nahverkehr, Gewinn lockt, gezwungen, Geld Helmut Mödlhammer ein Handy ein finanziell und aber vor allem um Ausbildungs- für das Breitband in die Hand zu Präsident technisch kaum erschwingliches chancen für Kinder und Jugend- nehmen, um nicht jeglichen An- Österreichischer Gemeindebund Gerät, die digitale Welt völlig uner- liche, attraktive und leistbare schluss an die rasante Entwick- 4 5
WIE SCHAUT DIE GEMEINDE IN 20 JAHREN AUS? lung zu verlieren. Wie geht es und Bürger mit Abstand am mei- wurden nicht für den Alltagsbe- Fast täglich melden sich Delega- der sich den Wettbewerbsbedin- lernen, versuche ich, mir ein weiter, gibt es für die Gemeinden sten Vertrauen schenken. Und trieb, für die Abdeckung von Defi- tionen aus dem Ausland, um den gungen stellen müsse. Die Zeit Bild vor Ort zu machen. Unter eine blühende Zukunft oder ist zwar je kleiner die Gemeinde ist, ziten oder kurzfristigen Vorhaben österreichischen Erfolgsweg auf der Dorfpaschas und der Vereins- diesem Aspekt sind auch die das Modell einer kleinen über- desto höher ist dieses Vertrau- aufgenommen. Wir haben solide kommunaler Ebene zu erkunden meier sei vorbei. Facebook und Kommunalreisen in die Länder schau- und durchschaubaren Ein- en. Überraschend und neu ist Finanzierungen für konkrete Pro- und von uns zu lernen. die modernen und rasch wech- zu sehen, die jeweils den EU-Vor- heit im Auslaufen? Die Antworten der überdurchschnittlich hohe jekte verwendet. Das unterschei- selnden Kommunikationsschienen sitz innehaben. Wir schauen uns sind völlig konträr. Die einen Zustimmungsgrad in der Alters- det uns von vielen anderen. Und jetzt zu den „Gemeindes- ersetzen das Gespräch von Ange- die Organisation und Verwaltung sagen, dass sich die Menschen gruppe der 19- bis 29-Jährigen. keptikern“. Ihr Hauptargument sicht zu Angesicht. der Kommunen genauso an wie umso mehr in Kleinräume zurück- Geschätzt wird von den Bürge- Die Gemeinden sind nach wie vor ist, dass die Dörfer aussterben, die Infrastruktur, besonders in ziehen je mehr die Welt zum Dorf rinnen und Bürgern auch die der größte öffentliche Investor. die Menschen in die Ballungs- Medial finden die Argumente der der Kinderbetreuung und im wird, je mehr also die Globalisie- Möglichkeit der Beteiligung und Vor allem die Klein- und Mittelbe- räume ziehen. Tatsächlich ist es Gegner umso mehr Niederschlag, Pflegebereich, wir vergleichen die rung voranschreitet. Die anderen Mitbestimmung. triebe in der Region, die vielfach derzeit so, dass nur ein Drittel je entfernter das Medium von Wirtschaftlichkeit und Service- erklären uns ständig, dass diese das wirtschaftliche Rückgrat der österreichischen Gemein- der Gemeinde ist. Während Re- leistungen und ziehen die not- alten Strukturen überhaupt nicht Aber auch wirtschaftlich bilden sind, profitieren davon. Trotz den, nämlich jene, die entweder gionalzeitungen und auch lokale wendigen Schlüsse daraus. mehr zeitgemäß sind, dass wir die Gemeinden trotz vieler der Vielzahl an Kleingemeinden in Ballungsräumen oder an hoch Radio- oder TV-Sender die Leis- Österreichs Gemeinden sind im großräumig denken und handeln Sorgen und Probleme insgesamt (ähnlich viele Gemeinden mit einer frequentierten Verkehrsadern tungen der Kommunen schätzen Großen und Ganzen hervorragend müssen, die Gemeindegrenzen eine solide Basis. Sie sind die entsprechenden Autonomie gibt liegen, an Einwohner zunehmen - sogar der große ORF plant die aufgestellt und brauchen kaum endlich eingerissen werden sollen einzige Gebietskörperschaft, die es nur mehr in der Schweiz) und die restlichen Gemeinden Einführung eines Frühstücks- Vergleiche zu scheuen. Trotzdem und die Bürger sich nach einer es österreichweit schafft, zumin- sind die Verwaltungskosten im stagnieren oder mit dem durch- fernsehens, bei dem täglich das wird es auch in den Gemeinden grenzenlosen Freiheit sehnen. dest ausgeglichen oder gar mit europäischen Vergleich relativ schnittlichen Wachstum nicht Geschehen in den Gemeinden zu Veränderungen kommen. Und beide Seiten untermauern einem kleinen Überschuss zu gering. So ist die Zahl der mithalten können und damit in geschildert werden soll-, sitzen in Einerseits, weil der Sparzwang ihre Thesen mit entsprechenden wirtschaften. In den Gemeinden Beschäftigten in den Kommunen ihrer Lebensfähigkeit langfristig den zentralen Redaktionsstuben des öffentlichen Sektors vor den tatsächlichen Entwicklungen. stehen den Schulden Werte ge- im viel gepriesenen Dänemark gefährdet sind. Darüber hinaus in Wien oft die vehementesten Gemeinden nicht halt macht, an- genüber, die ein Vielfaches der mit nur mehr rund 90 Gemeinden seien kleinere Einrichtungen Gemeindekritiker. dererseits weil die Anforderungen Zunächst einmal die Argumente Schulden ausmachen. pro tausend Einwohner ungefähr teurer und ineffizienter. Die Zeit der Bürgerinnen und Bürger an der „Gemeinde-Fetischisten“. drei Mal so hoch wie in Österreich. des Kirchturmdenkens müsse Ich habe die Argumente beider ihre Gemeinde stets zunehmen. Das beste Zeugnis für eine Gebäude, Straßen, Leitungssys- Diese und viele andere Aspekte ein Ende finden, die Verwaltung Seiten immer ernst genommen Zukunftstauglichkeit ist das tem für Wasser und Abwasser, führen auch dazu, dass Öster- müsse sich der Entwicklung des und unterziehe sie auch stets Und obwohl ich ein hohes Maß Vertrauen der Menschen in eine all diese Werte wurden in den reichs kommunale Landschaft internationalen Geschäftslebens einer Prüfung. Wo und wann an Skepsis gegen selbsternannte Einrichtung. Die Gemeinden sind letzten Jahrzehnten geschaffen für viele Politiker anderer euro- anpassen. Die Gemeinde sei immer gemeint wird, wir könnten Propheten habe, wage ich jene Ebene, der die Bürgerinnen und finanziert. Unsere Darlehen päischer Staaten ein Vorbild ist. ein normaler Wirtschaftsbetrieb, von anderen Ländern etwas einige Thesen: 6 7
WIE SCHAUT DIE GEMEINDE IN 20 JAHREN AUS? 1) Die Abwanderung aus den 5) Die Gemeinden werden noch gestaltet werden muss. Ziel ländlichen Räumen und der mehr im Wettbewerb untereinan- muss es (auch) sein, mehr Helmut Mödlhammer, 63, Zuzug in die Ballungsräume der aber auch mit der Privatwirt- Frauen für die Kommunalpolitik ist Präsident des Österreich- werden noch längere Zeit an- schaft stehen und ihre Leistungen zu gewinnen. ischen Gemeindebundes. halten, weil die Menschen dort für die Bürger tagtäglich nach- Er war 28 Jahre lang Bürger- hingehen, wo sie Arbeit weisen müssen. 9) Die Gemeinden werden der be- meister seiner Heimat- und Beschäftigung finden. ständigste Teil des Gesellschafts- gemeinde Hallwang. 6) Die Kommunen werden nicht lebens bleiben, weil immer mehr 2) Gleichzeitig wird die Bedeu- nur neue Bürgerbeteiligungs-, Menschen erkennen, dass es tung der Freizeit- und Erholungs- sondern Bürgeraktivierungs- neben dem wirtschaftlichen räume zunehmen, weil die getrie- modelle erarbeiten, die darauf Fundament auch eine soziale benen Menschen Orte der Ruhe abzielen, die Eigenverantwortung Säule braucht, die das Dach des und Stille als Ausgleich zum Be- der Menschen zu erhöhen. Miteinanders, des gegenseitigen rufs- und Freizeitstress brauchen. Nicht alles kann der Gemeinde Verstehens und Helfens trägt. aufgebürdet werden. 3) Die Strukturen und Aufgaben- Das wird sich im raschen Fluss felder der Gemeinden werden 7) Vorbilder sind auch in der vielfältigster Zeiterscheinungen sich natürlich ändern. Nicht heutigen Zeit gefragt. Die Ge- auch nicht ändern. alle Gemeinden können Indust- meinden haben in den Berei- rie-, Gewerbe-, Tourismus- oder chen Energie und Umwelt eine Ich bin selbst sehr neugierig, Einkaufszentren werden. Die Ge- besondere Vorbildfunktion. welche dieser Thesen sich bewahr- meinden werden sich viel mehr Die Bürgerinnen und Bürger heiten wird. Im vor Ihnen liegenden ihrer Stärken und Schwächen werden sie an ihrer Innovations- Zukunftsbericht des Gemeinde- bewusst werden. kraft messen. bundes machen sich noch viele andere, sehr gescheite, Men- 4) Die Gemeinden werden die 8) Die Suche nach Führungsper- schen Gedanken über Zukunfts- Zusammenarbeit verstärken, die sönlichkeiten im politischen wie fragen der kommunalen Ebene. verschiedenen Aufgaben auftei- im gesellschaftlichen Bereich Ich bin stolz darauf, dass wir die- len, von den Belastungen bis zu wird schwieriger, weshalb die se Publikation seit einigen Jah- den Einnahmen. Funktionsausübung nicht ständig ren haben und wünsche Ihnen erschwert, sondern attraktiver eine interessante Lektüre. Weitra / NÖ 8 9
STEHEN WIR VOR DER AUFGABE DES LÄNDLICHEN RAUMS? Schulgebäude, bei denen nur Eine verblasste Erinnerung an Für große Aufregung hat nicht nur mehr die Aufschrift über dem eine bessere Zeit? in den betroffenen Gemeinden großen Eingangsportal an das auch die Schließung von 122 einstige Stimmengewirr von All das sind wesentliche Faktoren Polizeiinspektionen gesorgt. Kindern und Lehrern auf den einer lebendigen Gesellschaft, Aus Gründen der verbesserten Gängen erinnert, Gasthäuser, die nicht nur in der Stadt, Effizienz wurden hier die lokalen bei denen der letzte Stammtisch sondern gerade auch am Land Dienststellen zu größeren Einhei- schon viele Jahre zurückliegt, eine existieren und nicht über Nacht ten zusammengelegt. Es bleibt Polizeidienststelle, deren äußere herbeigezaubert worden sind. abzuwarten, ob sich die Präsenz Hülle keinem Bürger mehr ein der Polizeistreifen tatsächlich Gefühl der Sicherheit geben Sie wurden mühsam aufgebaut erhöht, wie es versprochen kann, oder der Bahnhof, der ver- – das zwar in einer wirtschaftlich wurde. Nicht nur beim Sicher- gebens auf Fahrgäste wartet. prosperierenden Zeit, aber auch heitspersonal, sondern auch bei in einer Zeit, in der das Bekenntnis den Gerichten wurde unter dem Traurige Beispiele einer zen- zum ländlichen Raum nicht nur Motto der Effizienzsteigerung tralistischen Politik könnte eine nett gemeinte Worthülse war. und moderneren Sicherheits- an dieser Stelle sicher jeder systemen fusioniert: Von 2010 Landbürgermeister viele auf- Schaut man auf die Entwicklung bis 2014 nahm die Anzahl der zählen. Denken wir nur an die des ländlichen Raums so stößt Bezirksgerichte um 24 ab und Nahversorger- und Postfilialen- man auf eine lange Liste von steht nun bei 117 Standorten. schließungswellen, das Zusam- Schließungen. Seit 1965 hat Weitere Schließungen werden menlegen der Bezirksgerichte, sich die Anzahl der Gemeinden zum Beispiel im Salzburger das Schließen von Volks- und fast halbiert. Gab es am 1. Jänner Flachgau, wo aus den Bezirksge- Hauptschulen in zahlreichen 1965 noch 3.931 Gemeinden, richten in Oberndorf, Neumarkt und Bundesländern und nicht zuletzt sind es im Jahr 2015 nur mehr Thalgau eines werden soll, folgen. auch an die fehlenden Allge- 2.100. Die größte Strukturreform meinmediziner am Land. wurde zuletzt in der Steiermark Ein radikaler Einschnitt für viele umgesetzt. Dort gab es mit 1. Gemeinden und die lokale Wirt- Walter Leiss Jänner 2015 um 288 Gemein- schaft werden auch die Sparab- Generalsekretär den weniger – freiwillig oder sichten von Verteidigungs- Österreichischer Gemeindebund zwangsweise. minister Gerald Klug, die eine 10 11
ANZAHL DER GEMEINDEN STEHEN WIR VOR DER AUFGABE VON 1965 BIS 2015 DES LÄNDLICHEN RAUMS? Schließung von weiteren 13 hätte diese Maßnahme eine auch die Anzahl der Volksschu- Kasernen bis 2018 vorsehen, noch schnellere Ausdünnung len um 30 Prozent reduziert. Für sein. Laut einer Erhebung des des ländlichen Raums bedeutet. die Gemeinden ist es durchaus Instituts für Wirtschaft und Insgesamt wurden in den letzten nachvollziehbar, dass eine Schu- Standortentwicklung im Auftrag fünf Jahren 614 Postfilialen le mit weniger als zehn Kindern der Wirtschaftskammer Steier- zugesperrt, dafür kamen 888 nur schwer aufrechtzuerhalten mark aus dem Jahr 2011 Post Partner dazu. 2014 gab es ist. Besorgniserregend ist aber brachten alleine die elf steiri- 1.826 Post-Geschäftsstellen. die Absicht vieler Landes- und schen Kasernen eine jährliche Bundespolitiker, Kleinschulen zu Wertschöpfung von rund 150 Weitere Einsparungsmaßnahmen, schließen, weil sie angeblich auf- Millionen Euro für die Regionen. wie die nur mehr einmal die grund des altersübergreifenden Kasernen sind gerade in wirt- Woche erfolgenden Zustellungen Unterrichts qualitativ schlechter schaftlich schwächeren Gebie- von nicht adressierten Materialen seien. Die Praxis, die leider ten ein wichtiger Arbeitgeber und haben aber in der Vergangenheit keiner der Politiker hören will, für die ortsansässigen Betriebe zu teils heftiger Kritik geführt, ist, dass diese Unterrichtsform oft ein Überlebensfaktor. Von denn oft kam es vor, dass sogar zu größeren Bildungserfol- der Tankstelle bis zum Bäcker Trauerparten erst nach der gen führt, als überfüllte Klassen oder Supermarkt profitieren viele Beisetzung des Verstorbenen mit überforderten Lehrkräften. Betriebe davon. zugestellt wurden. Selbst in Ballungsräumen wer- Unter dem Titel „Umstrukturier- Auch in den Schulen haben den altersübergreifende Klassen ung des Post-Geschäftsstellen- wir nach den geburtenstarken mit großem Zuspruch und guten Netzes“ ging eine der größten Jahrgängen nun das Problem, Ergebnissen getestet. Es wäre Infrastruktur-Veränderungen der dass wir eine weitreichende auf jeden Fall wünschenswert, letzten Jahrzehnte über die Bühne. Infrastruktur aufgebaut haben, dass bei Schließungsabsichten Nach der Privatisierung der Post die aber aufgrund der stark mit den Bürgermeistern und (2004) mussten Mitarbeiter gesunkenen Schülerzahlen – Direktoren ein offener Dialog abgebaut und Filialen geschlos- seit 1950 um 51 Prozent bei gestartet wird, anstatt einfach sen werden. Ohne die Hilfe der den Volksschulen zum Beispiel über die örtlichen Besonderhei- Gemeinden, die mittlerweile 219 – nicht mehr überall ausgelastet ten und die Wünsche der Eltern Post-Partner-Stellen betreiben, ist. Seit 1950 hat sich aber drüberzufahren. Auch übergeord- 12 13
STEHEN WIR VOR DER AUFGABE DES LÄNDLICHEN RAUMS? nete Politiker dürfen bei diesen wohner zuständig. Dazu kom- der Vergangenheit in der Ausbil- Schließungsabsichten nicht men durchschnittlich 1.000 dung und Attraktivität nachzu- vergessen, dass eine Schule ein Hausbesuche jährlich. Mit der holen, möchte man den guten integraler Bestandteil der Ge- seit 2013 teilweisen Abschaf- Standard im Gesundheitssektor in meinschaft einer Gemeinde ist fung der Hausapotheken brach GANZ Österreich aufrechterhalten. und dass hier nicht nur mit dem den Landärzten ein wesentlicher Von 1950 bis 2013 ist das eine Reduktion um -30%. Von 1950 bis 2013 ist das eine Reduktion um -51%. Maßstab nichtssagender Zahlen Einkommensbestandteil weg. Erschütternd ist es auch, dass gemessen werden darf. Da können sich die Gemeinden zwar einerseits Unmengen an noch so viel Mühe geben und Geld in Tunnelprojekte gepumpt Ein massives Problem haben die Praxen renovieren, weniger werden, andererseits aber der wir bei den Allgemein- bis gar keine Miete verlangen, Ausbau des öffentlichen Ver- medizinern. Von den derzeit wenn die Rahmenbedingungen kehrs und von wichtigen Schnell- 1.560 Landärzten gehen in den in der Ausbildung und beim spä- verkehrsrouten in ländlichen nächsten fünf Jahren 400 in teren Einkommen nicht passen, Gebieten wie dem Waldviertel, Pension. In den nächsten zehn bleibt dieser Beruf unattraktiv. dem Südburgenland oder der Jahren sind es sogar mehr als Nur wahre Idealisten überneh- Oststeiermark seit Jahrzehnten doppelt so viele. Wir kennen men solche Stellen. stockt. Wie sollen sich diese Einzelbeispiele wie Großarl, wo Regionen weiterentwickeln, wenn man schon seit Jahren nach Da klingt es fast wie Hohn, wenn sie verkehrstechnisch weiterhin einem Arzt für die Gemeinde die Bundespolitiker ankündigen, auf dem Stand der Monarchie sucht. Tatsächlich ist der Man- die Menschen weg von den gehalten werden? gel an Nachfolgern aber öster- Spitalsambulanzen hin zu den reichweit zu beobachten: Immer Allgemeinmedizinern bringen zu Auf die Spitze getrieben wird weniger Jungmediziner bewerben wollen, wenn dieser Beruf so- dieser Konflikt nun in einigen sich um Landarztstellen und von wieso schon so unattraktiv ist, Bundesländern, wo neue diesen springen immer mehr ab, dass sich immer weniger junge Wohngebiete nur mehr in jenen sobald sie sich ein Bild von den Menschen finden, die das ma- Gegenden genehmigt werden Lebens- und Arbeitsbedingungen chen wollen. Hier gilt es – auch sollen, in denen sich eine ent- Von 1950 bis 2013 ist das eine Reduktion um -11%. Von 1950 bis 2013 ist das eine Reduktion um -34%. am ausgeschriebenen Standort im Hinblick auf den steigenden sprechende Anbindung an den gemacht haben. Ein Landarzt Anteil der älteren Bevölkerung - öffentlichen Verkehr befindet. Quelle Statistik Austria ist derzeit für ca. 2.300 Ein- schnellstens Versäumnisse aus Ein Bürgermeister kann gar 14 15
Schließungen von STEHEN WIR VOR DER AUFGABE Bezirksgerichten DES LÄNDLICHEN RAUMS? keine Bus- oder Zugverbindungen Investitionen in die entsprechende titionsstau wird damit noch nicht wohnt, sollte Zugang zu einem organisieren, selbst wenn er das Infrastruktur in Verbindung. abgebaut, obwohl dies gerade in Mindestmaß an Infrastruktur will, denn Bund und Länder sind Die nun gewählte Vorgangsweise dieser wirtschaftlich schwierigen haben, die bezahlbar ist. dafür zuständig. entzieht aber Gemeinden jegli- Zeit einen wichtigen Impuls für che Autonomie, für sich selbst die Bauwirtschaft setzen würde. Von diesem politischen Leitge- Das Abstruse: Gleichzeitig zu entscheiden zu dürfen und zeigt danken sind wir in den letzten solchen Raumordnungsvorschrif- deutliche zentralistische Züge. Auch bei der Breitband-Milliarde Jahrzehnten leider abgekom- ten werden von den Landes- Dürfen sich Gebiete, in denen muss genau darauf geschaut men. Die Taten der hohen Politik bahnbetreibern zahlreiche Re- vielleicht nur zwei Mal am Tag werden, dass die Förderungen haben über Jahrzehnte einen gionalstrecken gesperrt, die Bus- ein Bus fährt, nicht mehr wirklich die Reduzierung der so- Teufelskreis in Gang gesetzt, der frequenz weiter verschlechtert weiterentwickeln? genannten „weißen Flecken“ auf vielen Regionen die letzte Hoff- oder Haltestellen gleich ganz der Breitbandlandkarte zur Folge nung nimmt. Auch die Empfeh- aufgelassen. Es ist zweifelsohne Aber nicht nur auf der Ebene haben. Während sich manche lungen des Rechnungshofs, dem ein wichtiger Gedanke, dass die der Landespolitik kommen in Stadtbewohner über einen neu- sowohl die Schulzusammenle- grenzenlose Versiegelung von Sachen Infrastruktur schlechte en Handymast aufregen, würden gungen als auch die Bezirksge- Flächen in Österreich einge- Signale. Obwohl 30 Prozent der sich Landbewohner in manchen richtsschließungen nicht weit dämmt werden muss - nicht nur Wasserleitungen und etwa 13 Gebieten freuen, überhaupt genug gehen, forcieren diesen wegen der Hochwassersicher- Prozent der Kanäle in Österreich Handyempfang zu haben. Zentralismus. heit. Aber man müsste den zu- älter als 40 Jahre sind und damit ständigen Politikern doch einmal schnellstens saniert werden müs- Ein flächendeckendes Postfili- Wir verstehen die Bemühungen, vorschlagen, mehrere Monate sen, war bis Frühling 2015 un- alnetz, eine Schule, in die die öffentliche Einheiten effizienter am Land zu leben. Vielleicht klar, ob die dringend benötigten Kinder zu Fuß gehen können, zu machen, das darf aber nicht würde ihnen dann klar werden, 100 Millionen Euro Förderung Bäcker, Lebensmittelläden, Ärzte auf Kosten der Bürger am Land welche Auswirkungen ihre Ge- des Bundes pro Jahr bis 2016 in einer Dichte, die von jeder- passieren. Der Spardruck trifft setze in der Praxis haben. wirklich aufgebracht werden mann und jederfrau gut erreich- alle Gebietskörperschaften. können. Mit der mittlerweile bar sind - dieser Aufbau einer Den Gemeinden werden ständig Ein neues Wohngebiet zu schaf- beschlossenen Förderung für flächendeckenden Infrastruktur neue Aufgaben übertragen, bzw. fen ist auch für eine Gemeinde die Siedlungswasserwirtschaft mit kleinen Einheiten ist histo- die Standards (zB. Kleinkindbe- eine weitreichende und gut zu können aber nur Projekte, die risch gewachsen und das nicht treuung, Kindergarten, Bildung) durchdenkende Entscheidung. bereits auf der Warteliste ste- ohne Grund. Jeder Bürger, egal erhöht. Das steigert die Kosten. Quelle Unternehmensservice Portal Stehen doch damit auch große hen, Gelder erhalten. Der Inves- in welcher Gemeinde er oder sie Die Gemeinden erhalten 11,88 16 17
STEHEN WIR VOR DER AUFGABE DES LÄNDLICHEN RAUMS? Prozent der Steuereinnahmen Raum alleine gelassen werden. (Ertragsanteile) und haben bisher Die Kommunen können vom Walter Leiss, 58, positive Maastricht-Ergebnisse Nahversorger über die Post-Part- führt seit 2011 die Agenden erzielt. Wie das nach der Steuer- ner bis hin zum Busbetreiber des Österreichischen Gemeinde- reform aussieht, wird man sehen. nicht immer mehr Aufgaben der bundes als Generalsekretär. Grundversorgung übernehmen, Davor war der Jurist u.a. Klub- Ungeachtet dessen glauben wenn in der Bundes- und Lan- direktor in Niederösterreich und viele Zentralisten, dass gerade despolitik immer mehr Gesetze in der Gemeindeabteilung des durch Einsparungen auf der beschlossen werden, die das Landes NÖ tätig. Gemeindeebene der Staatshaus- Leben am Land immer mehr halt zu retten ist. Kosmetische verunmöglichen. Veränderungen, die meist mehr Nachteile, neue Bürokratie und Der ländliche Raum darf nicht zu kompliziertere Abläufe bringen, einem Energiegewinnungs- und dürfen nicht mehr als Revoluti- Naherholungsraum für gestress- onen in der Verwaltung verkauft te Städter verkommen. Die Poli- werden. Statt weitere Infrastruktur tik muss wieder für alle Österrei- – egal ob es sich dabei um Poli- cherinnen und Österreicher da zeidienststellen, Krankenhäuser, sein und Visionen entwickeln. Schulen, Lokalbahnen uvm. handelt – zusammenzulegen, Es sollte selbstverständlich sein, sollte zuerst darauf geschaut bei allen Reformen auch die werden, welche Aufgaben müssen Auswirkungen auf die ländliche diese bewältigen und könnte Bevölkerung zu analysieren. man Regeln und Dokumentie- Immerhin leben dort 78 Prozent rungsvorschriften reduzieren, der Bevölkerung. Das berühmte damit wieder mehr Zeit für die „Bekenntnis zum ländlichen eigentliche Aufgabe bleibt. Raum“, das hohe Politiker immer Es kann nicht sein, dass die so gerne in ihren Reden ver- Gemeinden als Kämpfer für wenden, muss endlich in die Tat die Bewohner im ländlichen umgesetzt werden. 18 19
WER SOLL DAS BEZAHLEN? GEDANKEN ZUM FINANZAUSGLEICH Die Rahmenbedingungen für die Handlungsspielraum der Kom- nicht mehr zeitgemäßen abge- Gemeindehaushalte haben sich munen zusätzlich begrenzen. stuften Bevölkerungsschlüssels in den letzten Jahren grund- Deswegen wird aus meiner zu führen. legend geändert. Damit steht Sicht auch ein Nachjustieren auch das Finanzausgleichsge- des Finanzausgleichs wenig 3. Wir werden auch darüber setz massiv unter Reformdruck. bringen, weil die Mittel damit nachdenken müssen, Verteilungs- Gesamtwirtschaftlich gesehen nicht mehr, sondern nur umver- mechanismen einzuführen, die ist die Finanzsituation der teilt werden. Vielmehr braucht innerhalb der Länder mehr Spiel- österreichischen Städte und es eine wirkliche Aufgabenre- raum für Feineinstellungen vor Gemeinden nicht schlecht. form, der auch eine Strukturre- allem hinsichtlich wirtschaftlich form folgen könnte. Dazu bedarf benachteiligter Regionen (Gunst- Die Maastricht-Ziele werden es einer Neuordnung der Soli- und Ungunstlagen) zulassen. erfüllt, die Kommunen haben daritätsbegriffe von horizontaler die Krisenjahre gut überstanden und vertikaler Ebene. Drei Aspekte im Zusammenhang und auch die Verschuldung der mit einer Neuausrichtung des Städte und Gemeinden hält sich Was meine ich damit? Finanzausgleiches und den künf- in Grenzen. Das große Problem tigen Handlungs- und Finanzie- ist jedoch, dass der Gestal- 1. Der Staatsaufbau funk- rungsmöglichkeiten der österrei- tungsspielraum der Gemeinden tioniert nur dann, wenn jede chischen Städte und Gemeinden massiv eingeschränkt ist, da Gebietskörperschaft, die für sie erscheinen mir dabei als zentral: sie bei der Finanzierung ihrer am besten geeigneten Kompe- Aufgaben von bundes- und tenzen und Pflichten übernimmt 1. Aufgabenorientierung landesgesetzlichen Bestimmun- (vertikale Solidarität) und erle- gen abhängig sind und damit digt (Regelkompetenz). In der aktuellen Diskussion wird konkrete Bedürfnisse einzelner immer wieder von der Forderung Gemeinden nur eingeschränkt 2. Es ist dringend notwendig, nach einem „aufgabenorientier- umgesetzt werden können. eine offene und ehrliche Debatte ten Finanzausgleich“ gespro- hinsichtlich der Verteilung der chen, der meiner Meinung nach Alfred Riedl Dazu kommt, dass die Kosten Steuereinnahmen zwischen den inhaltlich nicht den Kern der Bürgermeister im Sozial- und Gesundheitsbe- Gemeinden (horizontale Solida- Sache trifft. Aufgabenorientiert Gemeinde Grafenwörth reich enorm steigen und den rität) vor allem hinsichtlich des heißt nicht, eine lieb gewordene 20 21
WER SOLL DAS BEZAHLEN? GEDANKEN ZUM FINANZAUSGLEICH Aufgabe so komplex zu diskutie- tigen Reduzierung der Kosten durch den gesellschaftlichen, ren, um damit einen erhöhten mangelt. Beispielsweise im demografischen aber auch den Anteil aus den gemeinsamen Bereich der Kinderbetreuung topografischen Wandel entstan- Finanzierungsmitteln zu argu- sind derzeit vier Ministerien, den sind und nicht mehr alleine mentieren. Vielmehr geht es neun Bundesländer und alle über die Volkszahl abgedeckt beim „aufgabenorientierten Gemeinden mit der Organisation werden können. Vielmehr gilt Finanzausgleich“ um die genaue und Finanzierung betraut. Was es, zusätzliche Indikatoren wie Festlegung der Pflichtaufgaben soll daran kostensparend und beispielsweise die Altersstruktur oder Basisausgaben, die von effizient sein? der Bevölkerung, Arbeitsplätze, allen Gemeinden zu finanzieren Nächtigungszahlen, aber auch sind. Daher ist es eine große Gemeinden sollten also in erster Straßenlängen künftig verstärkt Herausforderung, nicht zuerst Linie jene Aufgaben erfüllen, die bei der Aufteilung der Gemein- über das große Geld zu reden, sie am besten erledigen können deertragsanteile heranzuziehen. sondern zu definieren, was ist (zum Beispiel die Kinderbetreu- Dazu gehört auch die Selbstver- notwendig und was nicht. ung). Im Gegenzug könnten die ständlichkeit einer Finanzmasse, Gemeinden den Bereich des Ge- um strukturschwachen Regionen Aufgabenorientiert heißt daher: sundheitswesens (insbesondere zu helfen, dass sie ihre Pflicht- Die Pflichtaufgaben in den der Krankenanstalten) abgeben. aufgaben finanzieren können. Prozessen genau zu analysieren und gleichzeitig zu definieren, Die „Verstärkte Aufgabenorien- 2. Ermächtigung zum Abschluss auf welcher Ebene unseres tierung“ muss aber auch damit von Vereinbarungen zur Vertrags- Bundesstaates diese am besten einher gehen, dass der längst fähigkeit nach Artikel 15a B-VG erledigt werden können. Erst überholte abgestufte Bevölke- dann können wir die dafür rungsschlüssel abgeschafft und Neben den ökonomischen Krite- notwendige Finanzierungsmasse stattdessen die Verteilung der rien wird künftig auch zu klären richtig zuteilen. Der derzeitige Gemeindeertragsanteile künftig sein, wer für die Erfüllung der Kompetenzdschungel konkre- aufgabenorientiert organisiert Aufgaben die erforderlichen ge- ter Aufgaben verteilt auf viele wird. Die Einwohnerzahl als setzlichen Rahmenbedingungen Ebenen führt aktuell dazu, dass derzeitiges Verteilungskriterium schafft, weil diese nicht nur das es sowohl an einer seriösen reicht alleine in Zukunft nicht Angebot, sondern auch die Aus- Quelle Wirtschaftskammer/Rechnungshof Bewertung sowie einer nachhal- mehr aus, da zusätzliche Kosten gaben entscheidend mitbestim- 22 23
WER SOLL DAS BEZAHLEN? GEDANKEN ZUM FINANZAUSGLEICH men. Den Gemeinden wurden im verantwortung bei den Städten gestaltung ist nicht gerade der Länder abhängig sind und Situation zu verändern. Wenn zerstört sich selbst, wenn er Rahmen des eigenen oder über- und Gemeinden zu belassen, groß. Die Ertragsanteile und die entsprechend den Vorgaben des beispielsweise die Gemeindever- nicht seine Rahmenbedingun- tragenen Wirkungsbereiches und gegebenenfalls die sog. An- verschiedenen Transfers werden Stabilitätspaktes einen ausgegli- treter dem Landesgesetzgeber gen verändert. Pleite sein ist Angelegenheiten übertragen, um schubfinanzierung zu gewähren, durch den Finanzausgleich chenen Haushalt gesamtstaat- über zig Jahre Beschlüsse über wohl am unsozialsten. Unser diese zu erledigen, die dazuge- für eine nachhaltige wirtschaft- bestimmt. Die für die Kommu- lich einbringen. Gebührenanpassungen abver- wohl größter Fehler ist mei- hörige Gesetzgebungsbefugnis liche Entwicklung unzumutbar. nen so wichtigen und aus- handeln und dann noch lange nes Erachtens, dass für den fehlt den Kommunen jedoch. Was wir in den Städten und schließlichen Gemeindeabgaben Die österreichischen Gemeinden keine Werthaltigkeit beschlos- Einzelnen die Daseinsvorsorge Im Wesentlichen trifft es die Kommunen brauchen, sind keine – Grundsteuer und Kommunal- überweisen an die Länder und sen wird, ist das für die Finan- von der Daseinsfürsorge nicht Bereiche der Kinderbetreuung, populistischen tagespolitischen steuer – werden ebenfalls vom die landeseigenen Fonds be- zierung der Gemeindeaufgaben mehr unterscheidbar ist. Es ist die Schulerhaltung im Pflicht- Meldungen, sondern nach- Bund geregelt und bieten daher achtliche Finanzierungsbeiträge genauso unverantwortlich wie das „Zuviel“ an Fürsorge und schulbereich sowie Aufgaben haltige Finanzierungsmöglich- keine Gestaltungsmöglichkeiten (Sozialausgaben, Krankenanstal- der Bund über zig Jahre mit dem Staat und Patronanz von oben im Sozial- und Gesundheitswe- keiten für die so wichtigen Auf- für Städte und Gemeinden. Die tenfinanzierung, Bildungseinrich- Thema Grundsteuer umgeht. und ein „Zuwenig“ an Zutrauen sen, der Jugendwohlfahrt oder gaben unserer Gesellschaft. Debatte über die notwendige tungen, Kulturbereich etc.). in die eigenen Fähigkeiten, den Wahlen. Neben vielen anderen Neuregelung der Grundsteuer 4. Gesellschaftspolitische Wandel zu bewältigen – nein zu Aufgaben sind diese besonders Daher denke ich, dass wir dort, mit dem Bund dauert mittlerwei- Es bestehen zwar deutliche Herausforderungen: gestalten – und ihn sogar zum hervorzuheben, weil die Kosten wo wir zur Leistungserbringung le Jahrzehnte, ist immer noch Unterschiede in den einzelnen allgemeinen Nutzen voran zu in diesen Bereichen in den verpflichtet sind, nur dann eigen- nicht erledigt und führt zu mas- Bundesländern, aber eine klare Woher kommen unsere Schul- treiben. Und es ist ein tragi- letzten Jahren massiv gestiegen verantwortlich handeln können, siven Einnahmeausfällen, die Aussage lässt sich treffen: Der den heute? Wohlfahrt. Wir sind sches Zuwenig an bürgerlichem sind, ohne dass es dafür eine wenn wir auch von verfassungs- meines Erachtens verfassungs- Saldo aller Transferzahlungen vom Warfare State zum Welfare Selbstbewusstsein. entsprechende Mittelanpassung wegen zum Abschluss von kon- rechtlich bedenklich sind. zwischen den Ländern und Ge- State gewechselt. Finanzkrisen im Finanzausgleich gegeben hat. kreten Vereinbarungen mit Bund meinden verändert sich in den lassen in Wohlfahrtstaaten Unser gegenwärtiges Problem und Ländern ermächtigt werden. Dazu kommt, dass verschiede- letzten Jahren deutlich zu Lasten die Schulden explodieren. Das mit der Arbeit kommt nicht Das heißt, die Gemeinden sind Tagespolitische Anschubfinan- ne Transferbeziehungen zu den der Gemeinden. Die fehlende System Europa, nach dem Krieg daher, dass uns die Arbeit aus- für die Erfüllung dieser Aufgaben zierungen sind unbrauchbar und Ländern von diesen festgelegt Regelkompetenz der Gemeinden Sozialstaaten aufzubauen, hat gehen würde, sondern oftmals zuständig, haben aber kaum unverantwortlich. und geregelt werden. Für die führt vielfach dazu, dass die deswegen funktioniert, weil davon, dass wir nicht schnell oder zu wenig Einfluss auf die Gemeinden ist der Handlungs- gesetzgebenden Körperschaf- das System auf einer Lebens- genug auf Veränderungen reagie- inhaltliche Ausgestaltung, da 3. Kritische Anmerkung zur spielraum damit begrenzt: Sie ten, dort wo die Einnahmen erwartung von knapp unter 70 ren können. Der Sinn von Arbeit ihnen die Regelkompetenz fehlt. eigenen Finanzierungsautonomie müssen die Ausgaben an die ausschließlich den Gemein- und nicht von deutlich über ist nichts anderes, als die Besei- Deswegen ist auch die derzei- Einnahmen anpassen, weil sie den zufließen aus politischer 80 Jahren aufgebaut ist. Ein tigung von Knappheiten und die tige Praxis für gute tagespoliti- Der Spielraum der Städte und von den gesetzlichen Rahmen- Opportunität kein gesteigertes Sozialstaat, der erfolgreich die Befriedigung von Bedürfnissen. sche Botschaften, die Aufgaben- Gemeinden in ihrer Einnahmen- bedingungen des Bundes und Interesse daran haben, diese Lebenserwartung verlängert, Knappheiten und menschliche 24 25
FINANZAUSGLEICH Verteilung des Steueraufkommens WER SOLL DAS BEZAHLEN? GEDANKEN ZUM FINANZAUSGLEICH Bedürfnisse aber gibt es so viele, und mehr Verantwortung und horizontale, wie die vertikale Ver- wie es Wünsche, Menschen, selbständiger Entscheidung. teilung zu berücksichtigen. Träume, Vorstellungen und Ideen gibt. Wie immer man die Ent- Fazit: Keine Reform des Im Zuge einer Gesamtreform ist wicklung hin von der Existenzsi- Finanzausgleichs ohne es auch notwendig über Vertei- cherung zur Selbstverwirklichung Aufgabenreform lungsmechanismen nachzuden- auch sehen mag – sie bedeutet ken, um Spielraum zur Feinsteu- immer auch, dass das, was wir Eine grundsätzliche Reform des erung beispielsweise im Bereich tun, einen Sinn ergibt. Finanzausgleiches ist unum- wirtschaftlich benachteiligter gänglich. Ihr muss jedoch eine Regionen zu ermöglichen. Ich glaube, dass ein grundlegen- substanzielle Aufgabenreform des Verständnis von Wirtschaft vorangestellt werden, die nicht und ökonomischer Basisbildung nur Kompetenzbereinigungen Alfred Riedl, 62, ein unverzichtbarer Bestandteil schafft, sondern auch eine klare ist Bürgermeister von Grafen- der bürgerlichen Rechte ist. Wer Finanzierungsverantwortung wörth (NÖ) und Präsident des nicht weiß, wie Wirtschaft funkti- sowie eine maßgebliche Entlas- NÖ Gemeindevertreterverban- oniert, bleibt immer abhängig. tung der Gemeinden. des der ÖVP. Seit 1998 ist er zudem Abgeordneter zum NÖ Und die Zivilgesellschaft ist kei- Eine Verpflichtung zur Mitfinan- Landtag, seit 2007 auch Vize- neswegs eine vage Angelegen- zierung ohne jegliche Möglich- präsident des Österreichischen heit, sondern etwas ganz Klares: keit der Einflussnahme wie Gemeindebundes. Sie ist, sagt der Ökonom Birger beispielsweise im Sozialbereich Priddat, „die Rückverlegung der muss endgültig aus dem Trans- schwierigen Entscheidungen, wie fersystem herausgenommen man leben will und soll, an die werden, weil dadurch Ineffizien- Einzigen, die das entscheiden zen entstehen. können: an die Bürger selbst“. Für einen ehrlichen „aufgaben- orientierten Finanzausgleich“ Dort liegt sie, die Zukunft des sind alle Finanzausgleichspart- Wohlfahrtstaates: in mehr Subsi- ner und Finanzierungsebenen Quelle ATV Klartext / Zentrum für Verwaltungsforschung diarität, mehr Hilfe zur Selbsthilfe, einzubeziehen und sowohl die 26 27
IN KRUMBACH WARTET DIE WELT DAS PROJEKT BUS:STOP UND DIE BUSHÜSLE Warten in der Stadt bedeutet wandern. Handy, Zeitung, Innen- durch die Strassen, über die der Blick geht nach unten. leben. Man schließt die Augen. Gehwege, auf denen wir unsere Auf das Smartphone, auf die Spuren hinterlassen und unter Gratiszeitung, auf die Wurst- Warten am Land bedeutet der sie hindurch. Blech, Glas, Eisen. semmel. Selten hebt man den Blick geht nach Außen. Er kann Bremsöl, Lichtsignal, Hupe. Kopf, betrachtet die Umgebung, gar nicht anders. Freie Flächen, So kommuniziert der Verkehr mustert die Mitwartenden. Der Felder, Wiesen. Wolken, Himmel, mit seinen Teilnehmern. Bitte Blick will wandern, doch sein Bergkuppen. Die Augen verharren steigen Sie nicht mehr ein, bitte Weg wird ihm von Häuserwänden einen Moment auf einem schwar- treten Sie zurück! Stopp, Los, versperrt. Abgeriegelt, zugemau- zen Punkt in weiter Ferne. Eine nächster Halt. Ein Rhythmus, dem ert, unbarmherzig verschlossen. Kuh auf der Weide? Ein Bauer man sich nicht entziehen kann. Die Weite, das Dahinter, das am Feld? Ein Junge, der Rad Andere bleibt ihm verwehrt. Also fahren lernt auf der Wiese vor Der Verkehr am Land folgt einem kreist er in einem engen Radius dem Hof? Ungelöste Rätsel. Das anderen Takt. Er ist behäbig, um den Platz, an dem man steht müssen sie bleiben, denn Warten freundlich, gutmütig. Der Bus und wartet. Auf die Straßen- am Land kann lange dauern. Da kommt, wenn er da ist. Ein klei- bahn, den Bus, die U-Bahn. Um hat man Zeit zu sinnieren, seine ner Punkt am Horizont, der sich wegzukommen, weiterkommen, Schlüsse zu ziehen, um letztlich langsam durch das Tal schlän- anzukommen. Dazwischen wird wieder alles zu verwerfen. Die gelt, sich sanft und gemütlich wieder gewartet. Sitzend, am Straße hat Geduld. Nur hie und nähert. Das Gefährt passt sich Gang, ans Fenster gepresst. In da kommt ein Auto vorbei. Nur den Ein- und Aussteigenden an. der Stadt ist es oft still in den selten ein Bus, der im Sommer Es steht so lange, bis sie sicher Verkehrsmitteln. Man hätte den Sand von den nahen Feldern an ihrem Platz sind. Der Bus- sich vielleicht etwas zu sagen, aufwirbelt und im Winter knir- fahrer verabschiedet sich meist man würde sich gerne eine schend über die dünne Schnee- persönlich. Mit Winken, Nicken Geschichte erzählen, man traut decke und das Glatteis schlittert. und manchmal findet er sogar sich nicht. Die Fahrten gehen Zeit für ein kurzes Gespräch. schweigend vor sich. Der Blick Der Verkehr in der Stadt ist ein Der Bus ist kein Fremdkörper Barbara Kaufmann erholt sich nicht im Inneren der Untier, das nie zur Ruhe kommt. von außen, der anonym den Ort Journalistin und Transportmittel. Er hat es nun Es poltert, es quietscht, es krei- durchquert. Er ist ein Teil der Filmemacherin gänzlich aufgegeben, umher zu scht unentwegt. Es schiebt sich Gemeinschaft. 28 29
IN KRUMBACH WARTET DIE WELT DAS PROJEKT BUS:STOP UND DIE BUSHÜSLE Das Warten auf den Bus bedeutet über den Meeren Menschen auf definieren. Weit über Volksmu- am Land zur Ruhe zu kommen. den Bus warten. Vielleicht mit sik, über Ziehharmonika und Ausschnaufen. Tief durchatmen. denselben Gedanken, Hoffnun- Trachtenmode hinaus. Qualität, Den Blick schweifen lassen. gen und Alltagssorgen. Nachhaltigkeit, Achtsamkeit. Eine heimliche Zigarette rauchen. Ruhe, Entspannung, Natur- Den geplanten Einkauf im Kopf Im Bregenzer Wald will man verbundenheit. Dafür soll die noch einmal durchgehen. Eine mehr als nur die Imagination, Region stehen. Dafür steht Nachricht an den Liebsten die Vorstellung vom Warten der Krumbach für sie. Sie haben abschicken, der im Nachbarort Anderen. Sie soll Gestalt anneh- eine Vision. Sie wollen ihr Le- wartet. Bin da um 15:54h. men. Die unterschiedlichsten bensgefühl auf andere übertra- Die Mitbringsel für die Neffen Rituale, Fantasien und Gedan- gen. Spürbar, berührbar, sichtbar und Nichten zählen, die in der ken beim Warten, sie alle sollen machen. Krumbach soll sich öff- Umhängetasche baumeln, um sichtbar werden in der Gemein- nen, die Fenster aufmachen und niemanden zu vergessen, nie- de Krumbach. China, Japan, hinaus schauen, weit über die manden zu übergehen. Vier, fünf, Russland, Norwegen, Belgien, Bergkuppen hinweg, in andere und Nummer sechs. Ein Spiel Chile, Spanien. Die ganze Welt Kulturen. Gastgeber spielen und für die Konsole. Busstationen soll in Krumbach auf den Bus zugleich Gast sein in anderen sollen Schutz bieten. Raum, um warten. Also lugt man nicht bloß Ländern. Eine Reise durch die sich zu setzen. Um auf und ab vorsichtig über den Tellerrand Welt mit dem lokalen Landbus. gehen zu können. Um etwas und nähert sich sachte dem An- Dafür sollen neue Busstationen abstellen zu dürfen. Sie sind deren. Man macht aus Tagträu- entstehen. Buswartehüsle. Sie- mehr als nur ein Aufenthalts- men die Wirklichkeit. Aus einer ben an der Zahl. Gebaut werden ort, ein Platz zum Warten, zum Idee ein konkretes Projekt, das sollen sie aus den Materialien Abfahren und zum Ankommen. den Ort prägen und für immer vor Ort, errichtet werden jedoch Sie sind Aussichtsplattformen, verändern soll. nach Entwürfen von Architekten Verstecke. Ausgangspunkte für aus aller Welt. Ambitioniert Reisen. Rastplätze, um in Ruhe Am Anfang steht ein kleiner Ver- und begeistert macht man sich die Welt zu betrachten. Sich ein mit wenigen Mitgliedern. Ein daran, Architekturbüros in Japan vorzustellen wie anderswo in Arzt, ein Tischler, eine Schülerin. zu kontaktieren, in China und einem anderen Land, auf einem Kultur Krumbach nennen sie Spanien. Statt horrender Hono- anderen Kontinent, und weiter sich. Sie wollen Brauchtum neu rare bietet man Elementares: 30 31
IN KRUMBACH WARTET DIE WELT DAS PROJEKT BUS:STOP UND DIE BUSHÜSLE Leidenschaft, Natur, Hingabe. Die Kinder des Ortes singen ein Meer, eine Kindheitserinnerung die spitzen Dächer der Windrä- Die Architekten bekommen eigens verfasstes Lied, eine Ode des Architekten Sou Fujimoto, der in den Gemälden des großen Urlaub in der Region geschenkt an die sieben Hüsle. der an den Küsten Hokkaidos flämischen Malers Jan Brueghel. und Unterstützung beim Um- aufwächst, er führt hier auf Und während man im Häuschen setzen ihrer Ideen angeboten. Und so gestaltet sich die die Wiesen und umliegenden wartet, direkt unter dem Spitz- Und die ist die tatkräftig. Etliche Busfahrt für den Weltreisen- Berge. Die Stahlstangen stören dach, kann man sich die Flügel Gemeindebürger erklären sich den zwischen den Kontinenten nicht. Sie wippen leicht im Wind der Windmühle vorstellen. Wie bereit, mitzuhelfen. Viele davon in Krumbach: Im Süden des so wie die Bäume ringsum im sie gemächlich angetrieben vom ehrenamtlich. Die Begeisterung Ortes liegt die Station Bränden Bregenzer Wald. Wind im Bregenzer Wald ihre überträgt sich, steckt an, trägt und mit ihr ein kleines Stück Runden ziehen. Früchte. Die ersten Architekten Japan. Filigrane Stahlstangen Verlässt man das verspielte sagen zu. Entwürfe werden reichen nach oben. Eng stehen Ensemble und zieht weiter in Nur ein Stück weiter trifft man präsentiert, Materialien ausge- sie nebeneinander wie junge Richtung Norden, stößt man auf ein spanisches Warte- sucht, die Sägewerke angewor- Bäume im Wald, deren Stämme auf Entwürfe aus Belgien und häuschen, das nach frischem, fen. Leben auf der Baustelle, noch dünn sind. Zwischen ihnen Spanien. Unterkrumbach Süd ist feuchtem Holz duftet. Es könnte heißt es in Folge für den Ort. führt eine Stiege aus Holz in schon von Weitem sichtbar, ragt in einem Pinienwald stehen. Die Haltestellen werden zum Ge- die Höhe. Sie kommt jedoch selbstbewusst in den Himmel. Unterkrumbach Nord lautet der meinschaftsprojekt, die Baustel- nirgends an. Die Stahlstangen Ein spitzes, hohes Dreieck aus Name der Haltestelle. Die Spani- len zum Treffpunkt. Alle helfen stehen frei. Wie zarte Halme Metall, offen in zwei Richtungen, er Antón Garcia-Abril und Débora mit. Stahl, Holz und Beton in Reisfeldern. Kein Plateau um Unterschlupf zu bieten. Die Mesa haben rohe, unbehandel- werden gemeinsam verarbeitet. begrenzt sie, kein Dach bietet flämischen Architekten Jan De te Eichenbretter aufeinander Ein Ort wächst zusammen rund Schutz. Stattdessen Freiheit, Vylder, Inge Vinck und Jo Taillieu gestapelt, innen mit Abstufun- um sieben Wartehäuser. Ungezwungenheit, Offenheit, bringen die Liebe zu Funkti- gen, obendrüber ein Dach. Ganz mit der die Landschaft vor dem onalität und Stil aus Belgien hinten im Bau ein Fenster, auch Im Mai 2014 werden sie offiziell Wartenden liegt. mit. So wie diese Station, so seitlich geht es hinaus. Man eröffnet. Bus stop wet day she‘s unüberwindbar und doch offen, kann hier abends auf den Bret- there I say „Please share my Die Sonnenstrahlen werden gastfreundlich, aufnehmend, so tern lümmeln, den Sonnenun- umbrella“ Bus Stop bus goes she vom Stahl zurückgeworfen ohne sieht das Team die Alpen, so tergang betrachten, gemeinsam stays love grows under my umbrel- zu blenden, der Morgentau ver- wild und unübersehbar sind sie den Kindern beim Tempelhüpfen la. Der Musikverein Krumbach fängt sich zwischen den dünnen ihnen begegnet. Und doch erin- zusehen. Das Innere des Baus spielt Bus Stop von The Hollies. Stangen. Der weite Blick aufs nert die Konstruktion auch an lädt auch dazu ein, sich zu 32 33
IN KRUMBACH WARTET DIE WELT DAS PROJEKT BUS:STOP UND DIE BUSHÜSLE verkriechen, wegzustehlen vom Smiljan Radic. Quadratisch, nach der weiten Welt. Und wenn Alltag, sich zu verstecken und leicht, offen. Ein Vogelhäuschen im Hintergrund an einem Sommer- das Leben draußen durch das in den Anden. abend die Grillen zirpen und eine kleine Fenster zu betrachten. kühle Brise von den Bergen her- Ein Aussichtsturm inmitten der Hält man sich im Ort westlich, weht, könnte man auch auf einer Pyrenäen und wenn draußen erreicht man bei der Station Ober- Datscha sitzen, vor sich am Tisch auf der Straße ein Krumbacher krumbach einen Hochstand in der einen frischen Teller Borschtsch. vorbeiradelt, könnte es auch ein russischen Taiga. So könnten sie Fahrer der Tour de France sein, dort aussehen. Vollholzpfosten, Fährt man die Strasse weiter auf dem Weg zum Berganstieg. Glas, dahinter eine Bank, davor nach Westen, kommt man zur Vamos, vamos! ein Tisch, darüber ein Turm mit Station Kressbad. Zweistöckig Aussichtsluken. Dort oben müss- präsentiert sich das Wartehaus Ganz oben, im nördlichsten Teil te man ausharren, stundenlang der norwegischen Architekten von Krumbach schließlich steht und das Wild beobachten, das Sami Rintala, Dagur Eggertsson eine Stube auf der Straße her- sich nähert. Wenn es denn näher und Vibeke Jenssen. Es liegt um. Ausgestattet mit Holzses- kommt. Alexander Brodsky aus direkt am Tennisplatz des Ortes seln und einer gläsernen Wand, Russland hat unter Bedingungen und verbindet Funktionalität mit erinnert die Decke aus schwar- gearbeitet, die in seinem Heimat- mehrfachen Nutzungsmöglich- zem Beton an die schweren land kaum jemals zum Problem keiten. Der Wartende kann sich Holzdecken alter Bauernhäuser. werden könnten. nicht nur ins Vollholzhäuschen Ein gemütlicher Bau, der die Um- vor der Witterung flüchten. Es gebung ebenso sichtbar macht Er hatte nur wenig Platz für seine ist ihm auch möglich, auf der wie die Wartenden. Interpretation des Buswartehäus- anderen Seite der Station die chens. Präzise nutzt er also jeden Konstruktion der Norweger als Der Rückzug aus Natur und Quadratzentimeter Grund aus, Tennistribüne zu nutzen. Kom- Verkehr ist möglich, aber sich um seine Vision zu verwirklichen. pakt, praktisch, skandinavisch. entziehen geht nicht. Zu nahe Und tatsächlich ist sein Haus das Matchball für Norwegen. liegen die Wälder, zu eng ist man gemütlichste, lädt die bequeme durch das Glas mit der Umwelt Bank doch zum Verweilen ein, Die letzte Station der Reise verbunden. Das Design der Sta- zum Sinnieren und Nachdenken, führt wieder in ein fernes Land. tion Zwing stammt vom Chilenen zur melancholischen Sehnsucht Glatzeg heißt der Halt auf einer 34 35
IN KRUMBACH WARTET DIE WELT DAS PROJEKT BUS:STOP UND DIE BUSHÜSLE leichten Anhöhe. Von dort aus hat man freie Sicht in alle Him- melsrichtungen. Wang Shu und Lu Wenyu aus China nutzen den malerischen Hintergrund für ihr Wartehäuschen, das zwar über- dacht ist, aber dessen Wände aus lose aneinander geordneten Holzbrettern besteht, mit vielen Öffnungen dazwischen. Sodass ihr Haus wie ein Rahmen für die Landschaft wirkt. Am Rand ragt eine Holzskulptur wie ein chine- sisches Schriftzeichen in den Himmel empor. Man kann sich auf einer der Bänke niederlas- sen, sie betrachten und versu- chen zu entziffern. Oder einfach nur das Warten genießen. Warten in Krumbach bedeutet die Welt zu sehen. Barbara Kaufmann, 37, ist Journalistin und Filmemache- rin in Wien. Sie gestaltet u.a. für Ö1 Radiobeiträge und publiziert regelmäßig auf nzz.at und in der Monatszeitschrift DATUM. 36 37
DIE ORDNUNG DER DINGE 24.703 Normen regeln, wie wir sogar einen siebenten Dübel, rosch enthalten soll. Oder eben, bauen, wohnen und leben. Sie sicher ist sicher? wie viele Dübel in der Wand werden nicht vom Staat erstellt, Mit Fragen wie diesen muss verankert werden. Mit Stand sondern zumeist von Industrie- sich Georg Pommer herum- 2013 waren es 24.703 Nor- vertretern, während unabhängige schlagen. Er ist einer von neun men, die die Standards unseres Experten aus dem Normierungs- Normenmanagern der Stadt Zusammenlebens setzen. Sie prozess gedrängt werden. Wien, sitzt für die Hauptstadt sind so etwas wie die Geset- in den Arbeitsgruppen, die ze der Dinge. Während aber Der sechste Dübel kostet den Normen festlegen, und kümmert Gesetze der Staat macht, mischt Wiener Steuerzahler 1,3 Milli- sich um deren Umsetzung. Mit er sich in die Normierung kaum onen Euro. Jedes Jahr wieder. Pommer in einem Raum sitzen ein. Umgekehrt greift er dafür Sechs genormte Dübel werden Experten, die wissen sollten, wie bei Gesetzen immer wieder auf in der Regel bei der thermischen viele Dübel es braucht. Aber es Normen zurück. Sanierung pro Quadratmeter in sind Experten mit Interessen Die Geschichte der Normierung die Fassade geschlagen, um hinter ihrem Wissen. »Nur noch beginnt in Österreich im Jahr die Dämmstoffe zur Isolierung zehn bis zwölf Prozent in den 1627, als die Größe eines Zie- anzubringen. Das verlangt die Komitees sind nicht aus einer gels festgelegt wurde. Seitdem ÖNORM B 6400. Die Stadt Wien Industrieumgebung. Der eine will ist viel passiert. Was zur Norm forciert die thermische Sanie- möglichst viele Dübel verkaufen, wird, darüber entscheidet heute rung von Gebäuden mit Förder- der andere möglichst wenig das Austrian Standards Institute geldern, die allein für das Jahr zahlen«, sagt er. (ASI), das bis 2009 Österreichi- 2014 mit 50 Millionen Euro ver- Die ÖNORM gilt allgemein als sches Normungsinstitut hieß. Es anschlagt waren. Dazu kommen Gütesiegel; genormt, das klingt ist keine öffentliche Einrichtung, noch die Wohnungen und Liegen- so wie: sicher. Genau das ist auch keine wissenschaftliche. schaften, die sie selbst isolieren auch die Idee hinter der Normie- Es ist ein privater Verein. 123 lässt. Und: Sie hält sich dabei rung. Die Kordel einer Jalousie Menschen arbeiten dort in 275 an die Norm. Aber würden fünf soll bei einer Belastung von Fachkomitees; insgesamt wirk- Dübel pro Quadratmeter nicht sechs Kilo reißen, damit sich ten laut ASI im Jahr 2012 rund Thomas Trescher ausreichen? Es würde viel Geld kein Kind damit strangulieren 6.000 Personen an der Norme- Chef vom Dienst sparen. Eben 1,3 Millionen Euro kann. Eine Norm legt fest, wie nerstellung mit. Im selben Jahr Monatsmagazin DATUM pro Jahr. Oder bräuchte es nicht viel Schwarzpulver ein Knallf- wurde es mit rund 1,5 Millionen 38 39
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