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Mehr als die Summe der Einzelteile Die Entwicklung des Bildhauerviertels Blaue Reihe Beiträge zur Stadtentwicklung 59 1
AUSGEWÄHLTE AKTEURE Christina Weiß Kerstin Gall Tobias Habermann Initiatorin des Projekts und Sachbearbeiterin im Amt Ehemaliger Quartiersmanager im Mitbegründerin des Lindenauer für Stadterneuerung und Leipziger Westen (2003–2010) Stadtteilvereins Wohnungsbauförderung 16–19 9–12 14–15 Roland Beer Sven Riemer Fritjof Mothes Stadtumbaumanager und Ehemaliges Vorstandsmitglied Gründer des Planungsbüros Fotograf der Baulager Nachbarschaftsgärten e. V. und StadtLabor und damaliger 20–22 Projektkoordinator BuchKindergarten Moderator der Workshops 23–25 28–31 Birgit Schulze Wehninck Sebastian Stiess Birgit Seeberger Vorstand des Freischaffender Architekt, wagte Sachbearbeiterin im Amt Buchkinder Leipzig e. V. die Aneignung eines hochverschul- für Stadterneuerung und 32–33 deten Grundstücks Wohnungsbauförderung 34–35 36–37 Anna Schimkat Stefan Geiss Karla Müller Künstlerin und damalige Abteilungsleiter im Amt für Vorstandsmitglied Koordinatorin für die Stadterneuerung und Nachbarschaftsgärten e. V. Ausgestaltung der Josephstraße Wohnungsbauförderung 44–47 38–39 42–43 Rainer Müller (S. 10), Michael Quadflieg (S. 11), Helmut Renelt, Claudia Dahnke, Sonja Golinski, Norbert Raschke, Solomon Oriedo, Michael und Barbara Drinhausen (S. 13), Dr. Katja Cremer (S. 15), Dorothea Frank, Karsten Gerkens Boris Siradovic (S. 18), Rainer Bodey (S. 21), Wilfried Grünert, Inka Perl Amtsleiter Amt für (S. 25), Dr. Frank Dietze (S. 29), Erika und Horst Vetter (S. 37), Thomas Stadterneuerung und Wiebach (S. 43), Attila Szatmari, Olav Petersen (S. 45), Wohnungsbauförderung Frank Lehmann, Jörg Prosch (S. 49) 48–49 3 ← Das Bildhauerviertel im Jahr 2004
Lüt zne r St raß e zukünftiger Standort des BuchKindergartens ße owstra Schad Sieme raße ringst li ngst Schil raße zukünftige Nachbarschaftsgärten Hähn Jose elstr phst aße raße Mer seb urge raße enst r Str li Aure aße N W O 4 S
Leipzig ist vor Denn durch die Zwischennutzungen sind diese Idee für Freiräume und Hauserhalt der Jahrtausend- Prozesse ausgelöst worden, die sich zum gemeinsam an einem privaten Küchen- wende jahrelang Teil entscheidend auf die Entwicklung tisch aus der Taufe gehoben. So können geschrumpft, das von Quartieren ausgewirkt haben. Die Ideen und gemeinsames Engagement »Kleid« der Flächen Nachbarschaftsgärten in der Lindenauer konkret Einfluss auf die Entwicklung und und Gebäude wurde zu Josephstraße, im Westen der Stadt Leip- Gestaltung im Stadtteil nehmen und die groß für die in der Stadt wohnenden Men- zig, sind dafür ein herausragendes Beispiel. Identifizierung der Bürgerinnen und Bürger schen. Insbesondere in den Quartieren der Und auch wenn sich die Rahmenbedingun- mit ihrem Quartier, mit ihrer Stadt stärken. Gründerzeitbebauung blieben viele ehe- gen für Stadtentwicklung in den letzten mals bebaute Grundstücke als Brachen Jahren an einem entscheidenden Punkt ge- Als eine wachsende Stadt stehen wir liegen oder neue entstanden in dieser Zeit ändert haben, glaube ich, dass viele Erfah- vor großen Herausforderungen, die nur in Folge der notwendigen Abrisse ruinöser rungen aus der Zusammenarbeit uns auch gemeinsam und mit enormer Kraftan- Gebäude. Durch die Zwischennutzung von bei der Bewältigung zukünftiger Aufgaben strengung in Sachen Kommunikation und Brachflächen für Gemeinschaftsgärten, helfen können. Abstimmung gelingen können. Das hier Begegnungsräume oder öffentlich zugäng- dokumentierte Beispiel zeigt, wie sehr bei lichen und gestalteten Grünanlagen wur- Die vorliegende Darstellung arbeitet für der Bewältigung solcher Aufgaben eine den sie ein für Leipzig wichtiger Baustein uns alle noch einmal die Rolle des bürger- Kooperation zwischen Bürgerschaft, Zivil- zur Verbesserung der Lebensqualität in schaftlichen Engagements als Motor für gesellschaft, Verwaltung und Politik helfen den benachteiligten Stadtteilen und ein die Stadtteilentwicklung heraus. Der im- kann. Es soll Mut machen, sich auch wei- Signal, dass Stadtentwicklung ein ge- mer wieder neue Antrieb und der damit terhin auf solche – sicher nicht immer rei- meinsamer Prozess von Bürgerinnen und verbundene unerschütterliche Mut, sich bungslose – Zusammenarbeit einzulassen. Bürgern, Eigentümern, Verwaltung, Politik mit anderen zusammen zu tun und einen und Investoren ist. Der Grundgedanke für Konsens zu finden – diese Haltung wird uns Dazu kommt, dass sowohl die Verwaltung die Nutzung der Brachflächen war und ist, nach meiner Überzeugung auch zukünftig als auch die lokalen Akteure heute noch eine Fläche mit Zustimmung der Eigentü- bei der Gestaltung und beim Zusammenle- zahlreiche Anfragen erhalten. Deutsche, merin oder des Eigentümers für eine zeit- ben in unserer Stadt begleiten. europäische und sogar Städte aus Über- weise öffentliche Nutzung zu öffnen, ohne see fragen nach dem Leipziger Beispiel als dass dabei die rechtlich mögliche Nutzung Die Entwicklung rund um die Nachbar- Lehrstück für eigene Entwicklungen. Für formal verändert wird. Die meisten der schaftsgärten, den BuchKindergarten sie soll diese Dokumentation die hier ge- zwischengenutzten Flächen waren und und das Bildhauerviertel haben aus un- machten Erfahrungen ebenfalls zugänglich sind weiterhin Bauland. terschiedlichen Beweggründen sehr ver- machen. schiedene Menschen zu einem Thema Seit Jahren wächst die Stadt wieder, erst zusammengeführt. Unabhängig davon, ob In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine vorsichtig, in den letzten fünf Jahren nun es Einzelnen darum ging das persönliche angenehme, aber auch inspirierende Lek- sehr schnell. Die vor allem für die Wohn- Lebensumfeld aktiv mitzugestalten, Ge- türe. raumversorgung wichtigen Reserven bäude zu erhalten oder insgesamt städte- im Bestand werden zunehmend aufge- bauliche Missstände zu beseitigen: Die braucht, der Wohnungsneubau wird viele gemeinsame Suche nach Wegen und der noch zahlreich vorhandenen Baulücken Lösungen war das Entscheidende. Exem- und Brachen beanspruchen. Zwischen- plarisch kann hierfür die Gründung des nutzungsverträge werden daher unter Haushalten e. V. aus den vielen Entwick- Dorothee Dubrau diesen Bedingungen nicht mehr verlängert lungsschritten rund um die Josephstraße Bürgermeisterin für Stadtentwicklung oder neu abgeschlossen. Wir müssen uns herausgegriffen werden: Eine städtische und Bau nun mit der Frage auseinandersetzen, wie Sachbearbeiterin, eine Beauftragte der viele und welche der vorhandenen Frei- Stadtverwaltung zur Umsetzung eines räume dauerhaft gesichert werden sollten städtebaulichen Förderprogramms und und wie dies gelingen kann. ein ehrenamtliches Vereinsmitglied haben 5 ← Luftbild des Bildhauerviertels im Jahr 2000
E s war Angela Merkel, die 1994 die lichen Raums durch einen möglichen Ein- eine grundlegende Veränderung eingelei- Weichen für die Entwicklung des sturz eines Gebäudes, griff das Bauord- tet. Der Lindenauer Stadtteilverein e. V. Leipziger Westens stellte, indem nungsamt durch Abrisse und Räumung hatte zuvor schon die Roßmarktstraße 30 sie als damalige Umweltministe- ein, wodurch zahlreiche Brachen entstan- in ehrenamtlicher Tätigkeit, unterstützt rin die finanzielle Förderung der Sanie- den. Dominiert wird dieses Gebiet von von der Stadtverwaltung, zu einer auch rung des Karl-Heine-Kanals und den Bau zwei großen Straßen. Von der Lützner Stra- für die Öffentlichkeit zugänglichen Flä- des anliegenden Radwegs genehmigte. ße, einer großen Ausfallstraße in Richtung che ausgestaltet. Den Akteuren auf der Anschließend dauerte es allerdings noch Westen, und von der Karl-Heine-Straße, Suche nach Freiraum und einer Möglich- mehr als ein gutes Jahrzehnt, bis die ein- ein mittlerweile lebendiger, breiter Bou- keit sich auszuprobieren, schlug Frank same Depression überwunden werden levard, der von Platanen und Linden ge- Lehmann, damaliger Geschäftsführer der sollte. Der Leipziger Westen selbst ist säumt wird. Die Karl-Heine-Straße und Pro Leipzig e. G., das Gebiet zwischen der durchsetzt von ehemaligen Industriean- die nahgelegene Zschochersche Straße Joseph- und der Siemeringstraße vor, aus lagen und vorwiegend schlichter Grün- profitierten von einer Wirtschaftsförde- dem später die heutigen Nachbarschafts- derzeitbebauung. Hier wohnten größten- rung und die Stadtverwaltung investierte gärten entstehen sollten. In den Jahren teils wirtschaftlich und sozial schwächer in den Ausbau des Henriettenparks und von 2004 bis 2008 waren sie ein großer gestellte Menschen. Mit der Wende ging in Wegeverbindungen durch das Viertel, Erwachsenenspielplatz, auf dem Dinge die Industrie, die großen Werkhallen blie- den grünen Gleisen. Doch auf das Gebiet ausprobiert werden konnten. Vor allem ben. Die ursprünglich 64.000 Einwohner zwischen Karl-Heine-Straße und Lützner wurde es zu einem großen Freiraum, den Lindenaus reduzierten sich auf 25.000, Straße hatten all diese Maßnahmen kaum jeder mitgestalten konnte. Bald wirkte die dadurch leerstehenden Gebäude ver- Auswirkungen. Erst als 2003 Anwohner dieser Gestaltungsdrang weit über die fielen und die Kriminalität im Viertel stieg vor Ort in Aktion traten und das Gebiet Brachflächen hinaus, hinein in den unbe- an. Bestand eine Gefährdung des öffent- als Gestaltungsfläche entdeckten, wurde lebten Stadtraum. 6
Das Bildhauerviertel im Jahr 2003 Unsanierte Gebäude Brachflächen Nachbarschaftsgärten Vereinssitz seit 2007 Haushalten e.V 2004 2006 Erstes Notsicherung Lützner Straße 23 Wächterhaus Seit 2012 Seit 2010 Gedenkort Die ganze Bäckerei Seit 2013 Bis 2008 BuchKindergarten Baracke Die »Villa« Seit 2013 Verkehrsberuhigter Bereich Seit 2004 Nachbarschaftsgärten 2011 Erster Neubau Flurstück 116 Seit 2004 RAD-Haus 2006–2014 Strohballenhaus Bis 2010 4.8 Mio. Euro Grundschulden N W O Stadt Leipzig 8 Gemarkung Lindenau S
»Es herrschte eine unglaubliche Aufbruchsstimmung.« Gemeinsam mit anderen Akteuren gründete Christina Weiß 2001 den Lindenauer Stadtteilverein, der 2003 auch ein familienfreundliches Projekt in der Roßmarktstraße etablierte. Anschließend arbeitete der Verein aktiv daran, das damals trostlose Viertel um die Josephstraße neu zu beleben. Nachdem sie den Prozess über die Jahre hinweg aktiv begleitete, zog sie sich 2008 mit der Ausgründung des Nachbarschaftsgärten e. V. aus der ersten Reihe zurück und widmet sich seitdem anderen Projekten, unter anderem der Stadtentwicklung in der Georg-Schwarz-Straße. Wann ging das mit der Josephstraße los? als brach und einige Häuser waren ein- Arbeit mit anderen haben. Was wir hier Kurz nachdem wir 2003 in die Roßmarkt- sturzgefährdet. Dort ging man nachts nicht tun, ist mehr als die Summe der Einzeltei- straße gezogen waren, standen jede Woche hin. Es gab Drogendealer, die sich gegen- le – so hatte Stefan Geiss S. 42 das mal Leute bei uns im Garten und wollten einzie- seitig die Buden angezündet haben. Dort, formuliert. Die Stadtverwaltung ist nicht in hen, weil sie es so schön fanden. Uns wurde wo jetzt der BuchKindergarten steht, la- der Lage, mit Wirtschaft und Privateigen- schnell klar, dass sie nicht die Wohnungen gen wochenlang ausgeweidete Hammel in tümern so zu kommunizieren, wie wir das meinten, sondern den großen Garten. Frank den Hinterhöfen. Eine ausgebrannte Pony- können. Die Verwaltung kann Mahnungen Lehmann S. 47, der damalige Geschäfts- kutsche stand lange mitten auf der Straße. schicken, aber das hilft nicht immer. Wir führer unserer Genossenschaft, hatte dann Das kann man sich heute gar nicht mehr haben gemeinsam einen größeren Hand- die Idee, dass man doch die Freiflächen in vorstellen. lungsspielraum und können dann auch an der Josephstraße nutzen und im Umfeld Den Startschuss hat dann Frank Lehmann Eigentümer herantreten, die ihre Post nicht immobilienwirtschaftlich tätig werden gegeben? Um das Projekt in der Joseph- lesen oder im Ausland leben. Man braucht könnte. Damals ging es im Stadtumbau ja straße zu verorten, ja. Wir hatten damals dafür Durchhaltevermögen und in Bezug nur um Abriss. Alles war negativ, es gab in der Roßmarktstraße schon einen Work- auf die Stadtverwaltung auch ein formales überhaupt keine positiven Beispiele für shop mit den benachbarten Eigentümern Konstrukt. Solange ich die Idee zur Freiflä- Nutzungen und weitergehende Konzepte. und Anwohnern organisiert, um zu sehen, chennutzung in der Roßmarkstraße als pri- Es gab zwar Gestattungsvereinbarungen, was jeder vorhat. So hatten wir eine Kom- vate Person vorgetragen habe, gab es keine bei denen der Eigentümer Abrisskosten und munikationsstruktur zwischen Anwohnern, Reaktion. Sobald ich die gleiche Idee als fa- Befreiung von der Grundsteuer erhielt und Eigentümern und auch mit den Zuständigen milienfreundliches Projekt des Lindenauer die Flächen sich als temporäre Grünflächen in der Stadtverwaltung. Richtig los ging es Stadtteilvereins vorgetragen habe, ging es im Stadtteil positiv auf die Entwicklung aus- in der Josephstraße dann nach einem Jahr plötzlich. wirken sollten. Aber ohne private Partner, Vorbereitungszeit mit den Baulagern 2004. Anhand des Verkehrszeichens 325, das um- die das auch füllen konnten, vermüllten die Was halten Sie für unabdingbar, um solch gangssprachlich eine Spielstraße definiert, Flächen eben wieder. In der Roßmarkstraße einen Prozess anzuschieben? Was müs- lässt sich das gut erläutern. Wir lokalen war das plötzlich anders: Da kümmerte sich sen die Engagierten dafür mitbringen? Akteure sagten in den Workshops immer jemand. Auch die Josephstraße lag mehr Sie sollten neugierig sein und Spaß an der Spielstraße dazu, weil das unsere konkrete 9
Vorstellung war. Der Verwaltung hingegen dann der Moment gekommen, an dem ich war die Verwendung der offiziellen Be- nach anderen Ausschau halte, die das bes- zeichnung wichtig. Es war ein gegenseiti- ser können als ich. ger Lernprozess. Die Verwaltung sah, dass Was haben Sie sich für das Bildhauervier- wir sie nicht ärgern wollten, wenn wir die tel gewünscht? Es ging für mich immer um umgangssprachliche Bezeichnung nannten Personen und deren Freiräume, nie nur um und wir lernten, dass die verschiedenen Gebäude. Wenn wir uns mit Räumen be- Ämter über diese Bezeichnung miteinander schäftigten, dann immer nur, um den Men- kommunizieren. schen die Möglichkeit zu geben, ihr Umfeld Es fällt immer der Begriff Akteur, wenn darin selbst mitzugestalten. man über die Entwicklung des Bildhau- Waren die beteiligten Personen dann auch erviertels spricht. Bezeichnen Sie sich die größten Hindernisse? Eigentlich gab Rainer Müller und Wilfried Grünert beim selbst so? Die Bezeichnung selbst ist mir es keine Hindernisse, es gab ja auch kein Mauern des Abwasserschachts 2004. egal, wichtig ist das Selbstverständnis da- vorgegebenes Ziel. Höchstens zu Beginn, hinter. Wenn damit ehrenamtlich agieren- als wir noch nicht so recht wussten, wie de Menschen gemeint sind, die sich ihr wir mit der Stadtverwaltung umgehen soll- Wohnumfeld gestal- »Warum wir als ten möchten, dann Stadtteilverein sowas bin ich Akteurin. Ich »Es ging für mich immer um Personen immer wieder ma- chen? Wir wollten halte den Ansatz für und deren Freiräume, nie nur um falsch, einen Beauf- den Verfall stop- tragten in ein Gebiet Gebäude.« pen – dafür buddel ich dann auch schon zu setzen, der dieses mal am Wochenende eine dann entwickeln soll. Ich engagiere mich in ten. Da war beispielsweise die Einzahlung Abwasserleitung neu. Später habe ich dann meiner Freizeit, weil mir meine Umgebung einer privaten Spende in die Stadtkasse auch Stadtteilführungen zu den Entwicklun- am Herzen liegt. Ich möchte das nicht pro- für die fehlenden städtischen Eigenmittel. gen angeboten, um den Kreislauf zu zeigen in dieser gut 150 Jahre alten Josephstraße. fessionell im Leipziger Osten machen. Das Damit konnten dann Fördermittel abgeru- Vom bäuerlichen Landtagsabgeordneten Engagement muss von den Menschen vor fen werden, die sonst verfallen wären. Das Dr. Hermann Gottlob Joseph über dörfliche Ort selbst kommen. Zum Selbstverständ- war neu, das hatte man vorher so noch Bebauung, Industrialisierung, über lange nis gehört bei mir und meinen Mitstreitern nicht ausprobiert. Am Ende sind es Eigen- Phasen des Verfalls bis hin zu blühenden übrigens auch Wir sind die Stadt. Und in der mittelersatz-Bäume geworden, die wir auf Landschaften – anfangs Brachen, dann wie- Stadtverwaltung arbeiten 5.000 kompe- dem Grundstück der Nachbarschaftsgärten der Gärten. Das Interesse an der Entwick- lung war und ist riesig. Mich selbst fasziniert tente Angestellte, die wissen, wie es geht. damit gepflanzt haben. Das war eine ganz immer, wie Menschen aus unterschiedlicher Wir müssen nur zusammen wollen. wichtige Erkenntnis. Und das war letztend- Motivation doch an einem Strang ziehen Können Sie ihre Rolle in diesem Prozess lich nur möglich, weil uns eine motivierte, können, wenn man sie zusammen bringt in wenigen Worten beschreiben? Wenn aber eben für das Gebiet gar nicht zustän- wie hier in der Josephstraße: Die einen nut- ich mir jetzt etwas anheften soll, könnte dige Sachbearbeiterin S. 14 zu einem Kas- zen den temporären Freiraum, setzen eine Idee um, andere wollen eine Not beheben ich sagen, dass es das alles hier ohne mich senzeichen für die Einzahlung verholfen und bauen einen Kindergarten, ein eigenes nicht gegeben hätte. Das ist für mich so aber hatte. Umwege erhöhen die Ortskenntnis! Haus. Die einen suchen einen privaten Rück- nicht wichtig. Ich kann mich auch immer Welche anderen Meilensteine gab es? Ein- zugsort, andere kümmern sich und setzen leichten Herzens von den unterschiedlichen treffen der ersten Zwischennutzungsver- städtebauliche Fördergelder im öffentlichen Projekten trennen. Tobias Habermann S. 16 träge, Baulager, Eigenmittelersatz-Bäume. Raum ein. Durch die zeitweise Nutzung von konnte damals lange nicht glauben, dass ich Ein Meilenstein war auch der Tisch, den Freiflächen wollten wir Entwicklungen im ganzen Viertel anstoßen. HausHalten e. V. und Nachbarschaftsgärten Jörg Prosch S. 47 damals gebaut hat: einen Alles zusammen ergibt das bunte Bild, das e. V. so einfach ausgründen und abgeben Meter breit und vier Meter lang und das wir jetzt hier haben.« wollte. Für mich war es eine tolle Zeit, es hat zentrale Element, an dem sich alle zusam- Rainer Müller, Vereinsvorstand viel Spaß gemacht; aber andere können das menfinden und gemeinsam reden und es- Lindenauer Stadtteilverein e. V. auch und ich habe dann Platz für Neues. sen konnten. Und dann kam die erste Fami- Wie erkennen Sie den Moment, an dem die lie 2005, die in die Josephstraße gezogen Sache läuft und Sie nicht mehr gebraucht ist. Und natürlich das Strohballenhaus als werden? Für die Georg-Schwarz-Straße Experimentalbau auf einer Gestattungsver- hatte ich das schon 2012 für mich festge- einbarungsfläche. Von der Aktion Mensch stellt – wir waren da als Verein ja seit 2007 hatten wir 2006 3.500 Euro erhalten, mit aktiv. Es gab seit 2011 das Magistralenma- denen wir das Baumaterial für einen Aus- nagement, und es war klar, dass es von nun stattungsgegenstand kaufen konnten. Das an ein Selbstläufer sein wird. Für mich ist andere war die innerstädtische Mast- 10
Ein großer Tisch ist ein wesentliches Element für ehrenamtliche Projekte, alle können sich hier zum gemeinsamen Austausch und Essen zusammenfinden. schweinehaltung. Schon in der Roßmarkt- was dem Ganzen zum Durchbruch verhalf. straße wollten wir Schweine halten – das Wie haben Sie es geschafft, dass die Pres- »Seit ich 20 Jahre Veterinäramt fand, dass das in der Stadt se jeden Tag kam? Es herrschte eine un- alt war, habe ich nicht sein soll. Die zwei Kontrolldamen für glaubliche Aufbruchsstimmung damals in immer von einer Hinterhofwerk- die Josephstraße fanden dann aber unsere den Baulagern. Junge Leute aus aller Welt, statt geträumt, zur Minischweine sooo toll und rieten zu ei- gutes Wetter, leckeres Essen – das war an- Selbstverwirklichung. ner Stallhaltung mit gelegentlichem Auslauf. steckend. Wir haben täglich veröffentlicht, Mit der Josephstraße 27 Ein wichtiger Meilenstein war auch, für was wir benötigten: Gummistiefel, Garten- will ich das für mich oder jemand anderen, das gesamte Projekt Wasser und Strom geräte oder Geschirr, aber auch Menschen, mir Ähnlichem, ermöglichen. Zusätzlich soll sie ein unkommerzieller Treffpunkt sein. Da zu haben. Das war nur möglich durch die die Abendessen kochen oder sich um die die Gefahr bestand, dass das Grundstück urban ii-Förderung und weil zufällig 2004 Wäsche der Gäste kümmern. Wir haben irgendwann einmal verkauft wird und damit eine Baufirma eine Gasleitung in der Jo- schließlich so viel Unterstützung erfahren, die Nachbarschaftsgärten ihre Infrastruktur, sephstraße verlegt und dafür einen Bagger dass wir die Menschen sogar darum bitten sprich Strom, Wasser, Toilette, Küche und hatte. mussten, uns nichts mehr über den Zaun zu die Werkstätten, verlieren würden, fragte Wie begann das erste Baulager? Wir sind werfen, weil wir sonst das Tor nicht mehr Christina Weiß mich, ob ich nicht Interesse hätte. Da der Kaufpreis nicht hoch war, 2003 an den Internationalen Bauorden aufbekommen hätten. hatte ich keine Bedenken, in eine Baulücke herangetreten. Der arbeitet mit Freiwilli- Welche Unterstützung haben Sie in den zu investieren. Baulücke deshalb, weil dieses gen aus der ganzen Welt, die ehrenamtlich ersten Jahren von der Stadtverwaltung Grundstück weiterhin nie als ausschließlich Bauleistungen für gemeinnützige Zwecke erhalten? Das waren die ersten vier Jahre privat genutzter Raum, sondern immer auch erbringen. Die Nachbarschaftsgärten er- meist andere als die zuständigen Sachbe- der Öffentlichkeit zugänglich sein und somit auch an den Anfang der Belebung der streckten sich ja über eine riesige Fläche, arbeiterinnen, eher Quartiersmanagement, Josephstraße erinnern soll. Nach aufwän- die voll war mit Bauschutt und Müll, und Vicky Günsel in einem Jahr für Leipzig, der digen Recherchen zu den verbliebenen elf die erst einmal beräumt werden musste. Es Villa e. V., Selbstnutzer. Es gab am Anfang Erben wurde der Kaufvertrag am 19. Juli gab keinen Mutterboden so wie heute. Zu ja zunächst die Idee mit dem Portfolioma- 2010 unterzeichnet.« Ostern 2004 fand das erste Baulager statt, nagement, in das das Amt für Stadterneu- Michael Quadflieg, über das die Leipziger Volkszeitung täglich erung und Wohnungsbauförderung (asw) Eigentümer Josephstraße 27 berichtete. Jeder kannte auf einmal die Jo- dann aber doch 2003 nicht eingestiegen sephstraße. Auch über das zweite Baulager ist. Die Baulager aber waren nur möglich, im Sommer wurde ausführlich berichtet, weil wir durch Förderung aus dem Pro- 11
Standort zu verstetigen. Das wurde dann ab 2011 nicht alles weitergeführt. Das ist so auch okay; man muss sich aber eben auch der Konsequenzen bewusst sein. Letztlich entscheidet ausschließlich derjenige, dem die Fläche gehört, was damit gemacht wird. War es ein Zufall, dass die große Fläche der Nachbarschaftsgärten nur einem einzigen Eigentümer gehörte? Der große Innenteil war früher einmal ein Gärtnerei- gelände, das zu DDR-Zeiten fast komplett betoniert und später von einer Schweizer Immobilien AG zusammengekauft wurde. Das Gelände umfasste fünf Einzelgrund- stücke, die wir – mit vier weiteren Nachbar- grundstücken – 2008 in einem Vertrag dem Nachbarschaftsgärten e. V. übergeben ha- ben. Für alle anderen Grundstücke hat der ausgegründete Verein eigene Verträge ab- geschlossen. Von den Schweizern war aber Blick auf den zur Josephstraße liegenden Eingangsbereich der späteren Nachbarschaftsgärten im Jahr 2004 kein Ansprechpartner wirklich greifbar. Erst mit den brachliegenden Gebäuden für Holzwerkstatt und RAD-Haus. mit dem Verkauf 2015 gab es jemanden. Deshalb ist der Lindenauer Stadtteilverein dann auch zum Jahresende 2015 aus dem gramm urban ii finanziell die Möglichkeit labor hat die Workshops seitdem mode- letzten Vertrag ausgestiegen. Die Nachbar- dazu erhielten und Norbert Raschke S. 13 riert. Diese dauern etwa vier Stunden und schaftsgärten hatten so die Möglichkeit, als zuständiger Koordinator das zwar zu- werden meist über ein halbes Jahr hinweg das innenliegende Flurstück 116 zunächst nächst etwas skeptisch betrachtete, aber detailliert von uns Ehrenamtlichen vorbe- selbst zu pachten und dann vielleicht zu eben auch neugierig genug war und grund- reitet. Jeder Teilnehmer soll die gleichen erwerben. Der neue Eigentümer baut jetzt sätzlich wohlwollend. Nach dem ersten Ausgangsinformationen haben. Anfangs in Blockrandschließung auf der Siemering- Baulager hat Karsten Gerkens S. 48 dann hatte uns die Stadtverwaltung sogar noch straße fünfgeschossig und wird in die Flä- mehrfach auf meinen Anrufbeantwor- mehr oder weniger verboten, bestimmte In- che dahinter einen Solitärbau setzen. Das ter gesprochen und wollte sich doch über formationen, wie zum Beispiel Bebauungs- ist sein gutes Recht. Super nett ist, dass er Brachflächenmanagement unterhalten. pläne, herumzuschicken. Das ist heute kein die innenliegende Fläche zuerst den Nach- Daraus ist dann leider nicht viel geworden. Thema mehr, und Teil eines Lernprozesses, barschaftsgärten angeboten hat. Unsere konkreten Vor-Ort-Erfahrungen von dem die Sachbearbeiter auch anderswo Wer ist Ihrer Meinung nach die Zielgruppe wurden nicht weiter genutzt, sondern in profitieren können. für diese Dokumentation? Wichtig ist uns, Form einer stadtweiten Datenbank digitali- 2001 war Fritjof Mothes schon Moderator eine Übertragbarkeit der Prozesse ablesbar siert. Das passte einfach nicht zur Materie. in einem Workshop für den Lindenauer zu machen. Das Thema Zwischennutzung Erst als 2007 Birgit Seeberger S. 36 und Markt. Wie haben Sie ihn damals erlebt? Er ist für Leipzig so nicht mehr relevant. Für Stefan Geiss S. 42 zuständig wurden, fing hat das fachliche Wissen und ein unglaubli- andere Städte wird es jetzt erst interes- die Zusammenarbeit mit den asw richtig ches Gespür dafür, was möglich ist. Es war sant. Leer stehende Häuser in Deutschland an. Unsere Forderung war schnell klar: ein immer das Ziel, einen Konsens zu erreichen, findet man nicht mehr nur im Osten, son- sichtbares Zeichen im öffentlichen Raum hinter dem später alle stehen können. dern auch zum Beispiel im Ruhrgebiet oder als Bekenntnis von Verwaltung und Politik Hätte man die gesamten Flächen der im ländlichen Raum. Leipzig erhält immer zum Standort. Die Idee war dann später der Nachbarschaftsgärten Ihrer Meinung mehr Anfragen zur schrumpfenden Stadt, Bau einer Spielstraße. Die Finanzierung war nach erhalten können? Die Frage hat sich zu Zwischennutzung und Leerstand. Des- zwischendurch gefährdet, aber Birgit See- meines Erachtens so nicht gestellt. Was ja halb ist diese Broschüre für Stadtverwal- berger hat einfach nicht locker gelassen. in jedem Fall weiter existieren wird, sind die tung und Vereine auch eine Arbeitserleich- Die Idee zu den Planungs- und Verkehrs- Fläche der Stadt und das RAD-Haus: Wir terung. Und es ist eine Wertschätzung für workshops kam vom Lindenauer Stadt- haben 2008 jemanden gebeten, das Ge- die vielen Menschen, die die Entwicklung teilverein. Gab es für Sie Beispiele, die bäude mit den Versorgungsanschlüssen zu des Bildhauerviertels so maßgeblich mitbe- Sie heranziehen konnten? Die Idee zu den kaufen. Jemanden, bei dem wir sicher sind, stimmt haben. Workshops kam 2001 von Stephan Besier, dass es dann dem Stadtteil erhalten bleibt. Das vollständige Interview finden Sie unter: er ist Stadt- und Verkehrsplaner. Fritjof Wir hatten auch mit den Workshops Ver- weiss.wunderwesten.de Mothes S. 28 vom Planungslabor Stadt- schiedenes auf den Weg gebracht, um den 12
»Als ich kam, war »Ja, was war das »Josephstraße? Das schon ein Anfang ge- hier damals? Das war ein Zeitfenster macht, und jeder hat Förderprogramm mit dem Charakter so seine Ordnung. urban ii war 2004 des Unfertigen; ein Ich habe dann meine noch im Aufbau, der Freiraum, in dem in der Werkstatt Lindenauer Stadtteil- fast alles möglich umgesetzt. Wir haben verein kam als Nachbar in war, und wo eigene Ideen einiges an Spenden eingenommen und dafür unser urban-Zentrum und hatte eine Idee verwirklicht werden konnten. Wir sind neues Werkzeug gekauft. Der ganz große mitgebracht: Brachflächenzwischennutzung als erste Gärtner auch als Mieter an die Coup war, als wir über einen Zeitungsbei- war für uns als Stadtverwaltung damals Nachbarschaftsgärten gezogen – einfach trag zu Materialspenden aufgerufen hatten. eine recht gewagte Idee. Und wir sollten weil wir hier ohne viel Geld, aber mit viel Über 200 Räder haben wir damals aus dann auch noch ein internationales Baulager persönlichem Einsatz einen Wohn- und Leipzig und Umland eingesammelt – eine fördern! Das war für uns einfach ganz neu. Lebensraum für uns und die Kinder schaffen Riesenaktion. Die meisten wurden aufge- Und sehr ungewöhnlich, dass da ein Verein konnten, mit den Nachbarschaftsgärten bessert, andere waren Ersatzteilspender. dafür gerade steht und die Verantwortung als grünem Wohnzimmer. Tür auf und Manche haben sich hier im Projekt ihr zwei- für solche Rechtsgeschäfte mit den Grund- raus. Später haben wir genau so auch ein tes Wohnzimmer eingerichtet. Das habe ich stückseigentümern übernimmt. Kombiniert eigentlich abrissreifes Haus mit diversen zwar nicht, aber wohlgefühlt habe ich mich mit der Herrichtung von Flächen, baulichen verfallenen Nebengebäuden erworben und hier schon, sonst wäre ich ja nicht so lang Maßnahmen, Sachkosten und Investitionen 2010 bezogen. Mit persönlichem Einsatz geblieben. Es war einfach angenehm, mal war das Vorhaben dann aber förderfähig. und Muskelhypothek haben wir uns hier mit Gleichgesinnten für andere Menschen Die Umsetzung hat 2004 dann eine enorme unseren Lebensraum selbst gestaltet. Das da zu sein. Bei mir gab‘s auch täglich Kaffee Aufmerksamkeit bei der lokalen Bevölkerung war im Nachhinein betrachtet manchmal und ein Stückchen Kuchen, das untermauert und auch weit darüber hinaus gefunden: wirklich sehr, sehr hart. Wir haben die einfach die Zugehörigkeit. Man unterhält Wir als Stadtverwaltung, die Fördermittel- Nachbarn vorher bei den städtebaulichen sich dann auch über mehr als nur die Män- geber bis hin zur EU-Ebene – alle waren sehr Workshops kennengelernt oder eben in den gel am Rad.« interessiert und haben mit viel Wohlwollen Gärten – das war eigentlich wie eine Familie. diese Erfolgsstory vor Ort bestaunt. Erinne- Auch mit den Mitarbeitern der Stadtver- Helmut Renelt, Leiter der Fahrradselbst- rungen, die ich persönlich damit verbinde, waltung haben wir dort sehr gut zusammen hilfewerkstatt 2006–2009 sind der langjährige Bestand und die Vielfalt gearbeitet, das ist bestimmt auch nicht der Zwischennutzung: Fahrradselbsthilfe- überall so. Unterstützt hat uns außerdem werkstatt, Holzbau, Garten, Projektzone. das asw beim Abriss, weil wir ja im Sanie- »Ich bin damals durch Entscheidend ist einfach, wie gut das alles rungsgebiet liegen. Vom damals mühevoll meine Diplomarbeit genutzt und angenommen wurde ... letzt- aufgestellten B-Plan sind heute nicht mehr über temporäre endlich die Keimzelle für alle Entwicklungen alle Ideen nachvollziehbar. Die Straße zum Nutzungen nach rund um die Josephstraße.« Beispiel hat sich trotz des schönen Umbaus Lindenau gekommen. zu einer Raserpiste entwickelt. Und als Ich wollte untersuchen, Norbert Raschke, zum x-ten Mal die Laterne umgefahren ob und wie es möglich Amt für Stadterneuerung und Wohnungs- war, wurde sie einfach entfernt. Also unter ist, die damals vielen Brachen in der Stadt bauförderung, 2001–2008 Projektkoordina- Verkehrsberuhigung hatten wir uns etwas ins Bewusstsein der Anwohner zu holen tor Förderprogramm urban ii anderes vorgestellt. Und dennoch – wir und einer temporären Nutzung durch sie hätten es immer wieder gemacht. Nur zuzuführen. Ganz praktisch habe ich bei der hätten wir heute wahrscheinlich nicht mehr Anlage der ersten Gärten geholfen. Das war »It was my first project of this kind. den jugendlichen Übermut, den wir beim besonders spannend, da ganz verschiedene Bau wirklich immer wieder gebraucht haben. Leute unterschiedlichen Alters und mit ganz Working with people of different Und noch was. Micha ist gelernter Maurer. verschiedenen Hintergründen zusammen- Und konnte sich beim Bau des Strohballen- kamen.« backgrounds – stu- dents, working class, hauses ab 2006 absolut nicht vorstellen, Claudia Dahnke, professionals, unem- wozu man mit diesem ›Dreck‹ (Lehm) baut. Landschaftsarchitektin aus Hamburg ployed. I never experienced such a public Heute haben wir Lehmputz an den Wänden, engagement before. The feeling of coming weil das Raumklima so schön ist.« together without any obligation, but with a Michael und Barbara Drinhausen, lot of fun was so amazing. To give the chan- erste Gartennutzer, die 2004 auch in »Das waren andere ce and to show how to use it to everybody. die Josephstraße zogen Zeiten! Wir hatten The building of the strawbale house was so das Gefühl von ›alles interesting for me, too. In towns everybody ist möglich‹. Rück- is handicapped. But in Josephstraße life blickend komme ich took another direction apart from watching mir auch instrumenta- TV and beeing squeezed in small areas of lisiert vor. Die Entwick- private appartments. Especially for young lung des Viertels und auch des gesamten people life is boring in town: We do not Leipziger Westens finde ich zum Teil sehr need houses in every place – we need space erschreckend.« for children. These empty places are more Sonja Golinski, erste Gärtnerin important than houses. Otherwise people will get more and more lost.« Solomon Oriedo, Anleiter Lehmbau 13
»Plötzlich war da eine kreative Szene, die lauter verrückte Sachen machte.« Kerstin Gall arbeitet seit 1990 im Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung (asw). Damals war sie ursprünglich für das Gebiet Grünau zuständig, hatte aber immer ein offenes Ohr für Fragen oder Anliegen zu dem Entwicklungsprozess in der Josephstraße. Die ersten Minischweinchen in den Nachbarschaftsgärten stammten von ihrem Hof. Wie ist das Konzept der Zwischennut- schennutzungszeitraum. Abriss- und Ge- Wann wurden Sie mit der Entwicklung zung entstanden? Wir haben als Amt die staltungsmaßnahmen auf den herzuricht- der Josephstraße betraut? Ich war für die Zwischennutzung zum ersten Mal 1996 enden Flächen wurden durch Fördermitteln Josephstraße eigentlich gar nicht zustän- auf mehreren Grundstücken entlang der unterstützt, wenn die Flächen öffentlich dig. Aber ich kannte Christina Weiß aus Prager Straße und im Blockinnenbereich genutzt wurden. Aus der Zwischennutzung dem Projekt Roßmarktstraße und habe ihr getestet. Wir haben Nutzen und Lasten für von Flächen haben wir 2004 die Zwischen- einfach zugehört und Tipps gegeben, wenn Eigentümer und Nutzer in Form einer Ge- nutzung von Gebäuden entwickelt. Weil wir sie Fragen hatte. Sie hatte die Eigentümer stattungsvereinbarung gerecht aufgeteilt. der Meinung waren, was bei Flächen funk- ausfindig gemacht und mit deren Einver- Damals gab es in Leipzig viele leerstehen- tioniert, kann auch mit Gebäuden klappen. ständnis gemeinsam mit Akteuren aus dem de Wohnungen und wenig wohnungsnahe Als Astrid Heck, Koordinatorin für urban ii Gebiet begonnen, die Flächen zu bespielen. Grün- und Freiflächen. Wir wollten die Stadtraum und Verkehr, und ich gemein- Zu Beginn war ich eher skeptisch, habe aber Gründerzeitquartiere wettbewerbsfähig sam mit Christina Weiß S. 9 frühstückten, gelernt, dass man manchmal Mut und Ver- und attraktiv machen. Wir haben damals ergab sich folgendes Szenario: Uns war trauen haben muss, andere Wege zu gehen. damit gerechnet, dass es Jahrzehnte dau- klar, wir brauchten jemand, der sich um die Dieser Stadtteil tickte ein wenig anders als ern würde, bis alle vorhandenen Woh- leerstehenden, unsanierten und verwahrlo- die anderen Stadtteile, in denen ich bisher nungen bewohnt wären. Die Gestattungs- sten Gebäude in Lindenau kümmert, deren tätig war. Damals gab es den Begriff der vereinbarung diente als Mittel zum Zweck, Eigentümer nicht in Leipzig ansässig waren. Kreativwirtschaft noch nicht. Flächen als Bauland zu erhalten und diese Christina Weiß definierte den Begriff als Was genau meinen Sie damit? Plötzlich als Grünflächen oder Spielplätze zu nutzen. Wächter. Aus dieser Idee heraus entstanden war da eine kreative Szene, die lauter ver- Die Schaffung von Grünen Trittsteinen war die Hauswächter und der Begriff Haushalten. rückte Sachen machte – nur weil man denen eine Perspektive für ungenutzte Grund- Die Idee kam von Astrid Heck, da diese das den Raum dafür gegeben hat. Vom papua- stücke. Die Lasten, die der Eigentümer zu Freiflächenprojekt Stadthalten rund um den nischen Erdlochessen bis hin zur Schwei- tragen hatte, war die Gewährleistung der Lindenauer Markt begleitet hatte. Im Herbst nehaltung. Da hatten sich Menschen ver- Verkehrssicherungspflicht und die Pfle- 2004 wurde der HausHalten e. V. gegrün- sammelt, die engagiert waren und keine ge und Unterhaltung der hergerichteten det – einfach auch um die vielen Leuten und Dollarzeichen in den Augen hatten. Sie Flächen. Im Gegenzug kam es von Seiten deren Engagement zu nutzen, die sich da im haben sich um alles selbst gekümmert und der Stadt Leipzig zur Befreiung von der Laufe des Sommers rund um die Baulager eine große Öffentlichkeit erreicht. Das hat Grundsteuer über den geregelten Zwi- zusammen gefunden hatten. mir Vertrauen gegeben, dieses Vorhaben zu 14
»Die schönste Zeit hatte ich hier mit meinen Kindern – die Freifläche, verträumt und ein bisschen wild, unbeschwert zu genießen, im Garten zu arbeiten, an der frischen Luft zu sein und dass man hier abseits der Hundeplätze auch seine Kinder frei spielen lassen konnte. Und worauf ich auch stolz war, dass wir mitten in der Stadt ein paar Minischweine hatten, die hier grunzten und für ländliche Idylle sorgten. Wir haben das öfter diskutiert, im Vorstand und im Verein, wie man so einen Lebensraum erhalten kann. Vielleicht hat ja alles auch einfach so seine Zeit. Schön wäre es trotzdem, wenn ein Teil der Gärten erhalten bleiben könnte, um diese doch sehr eng bebauten Häuserzeilen in Lindenau aufzulockern.« Dr. Katja Cremer, ehemalige Vorsitzende Nachbarschaftsgärten e. V. Pflanztauschaktion (links oben). Papauanisches Erdlochessen (rechts oben). Pflanzung von Eigenmittelersatz- bäumen (links unten). Fütterung der Minischweinchen (rechts unten). unterstützen. Durch kleine öffentlichkeits- lang nur Kosten mit ihren Grundstücken, die Sehen Sie die Zwischennutzung heute kri- wirksame Beiträge konnte man große Auf- immer mehr verwahrlosten. Dadurch konn- tisch? Die Menschen, die Leipzig lebendig merksamkeit auf die Grundstücksflächen in ten wir ganz anders verhandeln, als wir ihre und bunt gemacht haben, geraten zuneh- der Josephstraße lenken. Zustimmung für die Nutzung der Flächen mend unter Druck, weil sie sich die Miete Ein Meilenstein war die Pflanzung der brauchten. Wir hatten die Nutzer. Durch nicht mehr leisten können oder Zwischen- Eigenmittelersatzbäume. Was ist die diese verrückten Kampagnen haben die Ei- nutzungen beendet werden. Das war von Geschichte dahinter? Es ist verwaltungs- gentümer sicherlich kein Minus gemacht, vornherein klar, wenn die Stadt nicht ge- organisatorisch nicht einfach, eine in die denn die Nutzer haben eine Adresse für die wachsen wäre, hätten wir die Nutzer nicht Stadtkasse eingezahlte Spende an einem Grundstücke gebildet und ein Image herge- verloren. Ich bin froh, dass die Stadt wächst. gewünschten Ort zum Einsatz kommen zu stellt. Da perspektivisch wieder Wohnraum Ich kann aber die Menschen verstehen, weil lassen. Es gab eine Arbeitsgruppe, in der je- fehlt, sind das lukrative Flächen. es weh tut, gewohnte Dinge nicht mehr tun der von uns einen kleinen Betrag spendete Von dieser Entwicklung scheinen vor allem zu können. Das ist auch kein städtisches und dadurch 150 Euro zusammenkamen. die Eigentümer zu proftieren und weniger Problem. Das Eigentumsrecht ist eine ge- Der Verein war lange einem Kassenzeichen die Nutzer, welche die Flächen populär ge- sellschaftsrechtliche Tatsache, die im Bür- zur Einzahlung hinterhergelaufen. Das habe macht haben. Ja, aber es war immer klar, gerlichen Gesetzbuch verankert ist. ich dann einfach mal besorgt. Gemeinsam dass diese Flächen bebaut werden dürfen. haben wir gezeigt, dass es einen Weg gibt Wären die Flächen der Nachbarschafts- und wie genau es geht. gärten nicht gut für sozialen Wohnungs- Haben Sie viele Fördermittel in die Joseph- bau geeignet gewesen? Es sind private straße gesteckt? Ich persönlich habe offizi- Flächen. Die Stadtverwaltung erwirbt kei- ell nur bei den Eigenmittelersatzbäumen ne Flächen von privaten Eigentümern zum mitgewirkt, da die Gebietsverantwortliche sozialen Wohnungsbau. Der Eigentümer im Urlaub war. In diesem speziellen Fall war kann hier selbst entscheiden. gar nicht viel Geld erforderlich. Um Christi- Auf welchen Flächen baut die Stadtver- na Weiß hatten sich Menschen versammelt, waltung? Die Stadtverwaltung selbst be- die auch einmal ohne Geld etwas gemacht treibt keinen sozialen Wohnungsbau. Sie haben. Ihnen fehlten nur die Flächen. Die Ei- stellt höchstens die Grundstücke zur Ver- gentümer auf der anderen Seite hatten bis- fügung. 15
»Die Josephstraße war die perfekte Kulisse für einen Film über den zweiten Weltkrieg.« Direkt im Anschluss an sein Studium der Politikwissenschaft begann Tobias Habermann mit seiner Arbeit im Quartiersmanagement des Stadtteils Lindenau. Im Rahmen verschiedener Förderprojekte begleitete und unterstützte er in der Folge die ersten Projekte der Stadtteilentwicklung rund um die Josephstraße, wie beispielsweise die Baulager 2004. 16
Impressionen der beiden Baulager 2004, die auf den Flächen der späteren Nachbarschaftsgärten stattfanden. Wie sind Sie zu dem Projekt gestoßen? lung. Insgesamt standen 20 Millionen Euro in der Stadt zu generieren. Die Experten Im April 2003 begann ich meine Arbeit für die Entwicklung des Leipziger Wes- haben damals schon von Reurbanisierung im Quartiersmanagement Leipziger Wes- tens zur Verfügung. Beginnend in Klein- gesprochen. Die Menschen ziehen auf die ten und im Herbst fragte mich Christina zschocher, bis nach Leutzsch. Wir konnten Grüne Wiese, weil sie ein Haus mit Garten Weiß S. 9, ob ich sie bei der Blockentwick- nicht frei darüber verfügen. Das Budget wollen. Wozu soll man noch auf das Land lung Josephstraße unterstützen könne. war aufgeteilt in die drei Themenbereiche ziehen, wenn man den Garten auch hier Ist das Quartiersmanagement vergleich- Wirtschaftsförderung, städtebauliche Ent- in der Stadt haben kann. Ausgangspunkt bar mit dem Stadtteilladen heute? Im wicklung und soziale Entwicklung. Damit für diese Idee war das Wohnprojekt in der Prinzip schon. Es gab schon 2002 ein Quar- sind ein Teil des Henriettenparks gebaut Roßmarktstraße 30. tiersmanagement in Kleinzschocher, mit und mehrere Brachflächen umgewandelt Wie würden Sie Ihre Rolle in diesem Pro- Peggy Diebler als Quartiersmanagerin. Auf worden. Das Quartiersmanagement wurde zess beschreiben? Sie haben mit ehren- Drängen der lokalen Akteure in Lindenau, auch von diesen Mittel finanziert. amtlich agierenden Bürgern gearbeitet, Plagwitz und Leutzsch wurde das Quar- Wie wirkte die Josephstraße auf Sie, als zu einer Zeit, zu der das asw ausgestiegen tiersmanagement auf das gesamte Förder- Christina Weiß Sie um Unterstützung ist. Waren Sie ein Vermittler? Ich hatte gebiet urban ii Leipziger Westen erweitert. bat? Die Josephstraße befand sich in ei- eine Moderationsfunktion und war eine Zunächst wollten die Programmverant- nem extrem schlechten baulichen und Schnittstelle zwischen den Bürgern und wortlichen sehen, welche Schwerpunkte auch sozialen Zustand. Es war die perfek- der Stadtverwaltung. Als Beauftragter der man setzen konnte. Einer davon war die te Kulisse für einen Film über den zweiten Kommune war ich nicht angestellt bei der Entwicklung des Lindenauer Markts. Weltkrieg. Auch das Amt für Stadterneu- Stadt. Es war unsere Aufgabe, die Initiati- Ist urban ii ein in sich abgeschlossenes erung und Wohnungsbauförderung (asw) ven der Menschen vor Ort möglichst be- Projekt gewesen? Über welche Summe wusste nicht, was es mit dem Bereich ma- gleitend zu unterstützen. Das Ziel war die konnte das Quartiersmanagement verfü- chen sollte. Die Intention von Frau Weiß Entwicklung des Blocks. Der Fokus der loka- gen? urban ii war ein Förderprogramm des war, die Freiflächen als Potentialfläche zu len Akteure richtete sich aber auf die Fläche europäischen Fonds für regionale Entwick- nutzen, um eine neue Form des Wohnens der Nachbarschaftsgärten. 17
Auch auf das Thema Brachflächen an sich. Bis zu diesem Zeitpunkt riss man üblicher- weise Gebäude ab und installierte eine Grünfläche auf der freigewordenen Fläche. Da ging es nie um Nutzung. In diesem Baulager ist eine extreme Ei- gendynamik entstanden, die zu vielen Sachspenden und persönlichen Kontakten führten. Und dann war auch die Stadtver- waltung mit dabei. Erst wurde man etwas belächelt, aber als die Entwicklung sichtbar wurde, ist auch das asw auf den Zug mit aufgesprungen. Diese Eigendynamik im Jahr 2004 war dann auch die Initialzün- dung für das Konzept der Wächterhäuser, das eine Zwischennutzung von Gebäuden vorsieht. Sehen Sie die Zwischennutzung aus heu- Gruppenbild des Internationalen Bauordens 2004 anlässlich des Baulagers in den Nachbarschaftsgärten. tiger Sicht kritisch? Nein. Ich sehe Zwi- schennutzung nicht kritisch. Man muss dem Begriff folgen und muss sagen, was »Wir sind seit 1904 in Was heißt Blockentwicklung für Sie? Der war und was wird. Die ursprüngliche Idee der dritten Generati- Ursprungsgedanke für den Block Joseph- der Blockentwicklung konnte nur funktio- on mit dem Ladenge- straße war, das große Grün und die vielen nieren, weil sich Christina Weiß an einer schäft vor Ort gewe- vielen leerstehenden Häuser des Blocks zu Sache festbiss und diese mit einer Ausdauer sen – 111 Jahre. Nach der Wende ist ja erst nutzen, die es damals noch gab. Das gingen verfolgte, wo jeder andere bereits aufge- mal alles weggekommen. wir konkret an und versuchten, die Eigentü- geben hätte. Ohne ihr Engagement wäre Betriebe, alle weg – wir waren ja fast die mer zu ermitteln und herauszufinden, was das Viertel noch immer in einem erbärmli- einzigen hier. Nicht mit großen Meilenstei- sie mit ihren Gebäuden und Grundstücken chen Zustand. Es gab Grundstücke in dem nen, aber langsam und immer mehr hat sich vorhatten. Block, bei denen man in den 1990ern eine dann was getan. Das hätten wir so nicht gedacht, dass mal wieder was kommt. Oder War es neu für Sie, mit so vielen Ehren- Sanierung begann, sie dann aber sich selbst wenn, dann 30, 40 Jahre später. Da freut amtlichen zu arbeiten und eine große überließ, nachdem die Fördermittel abge- man sich dann einfach.« Aktionsfläche zu haben? Im Bereich Kon- griffen waren. Christina Weiß hat an ein Dorothea Frank, Firma Eisen-Gross, fliktmanagement war ich während meines herrenloses Haus, auf dem 4,8 Millionen vor Ort seit vier Generationen. Übergab Studiums schon auf Vereinsbasis tätig und Euro Grundschulden lasteten, so lange ein 2016 das Familienunternehmen an eine konnte da Erfahrung sammeln. Man hat Schild gehängt, bis schließlich Sebastian Initiative aus dem Stadtteil. ein Ziel und überlegt gemeinsam, wie man Stiess S. 34 die Aneignung und die damit pragmatisch vorgehen kann. verbundene jahrelange Diskussion mit den Was war Ihr Wunsch für das Viertel? Ins- Gläubigern wagte. Das sind Prozesse, die »Ich laufe die Straße gesamt eine städtebauliche Entwicklung nur über Hartnäckigkeit, dranbleiben, nach- entlang und sehe – im Bereich der Gebäude, der Grün- und telefonieren und immer wieder reingehen ganz viele Risse. Straßenflächen und auch im sozialen Be- funktioniert haben. Die Sachbearbeiter der Frisch verputzt und reich. Die konkrete erste Herausforderung Stadtverwaltung hätten hier vorher aufge- schon Risse. Aber alles hat sich hier war die Ermittlung der Eigentümer. Wir geben. Diese Grundbuchlöschung war eine insgesamt beruhigt, es wollten Aufmerksamkeit auf die Flächen der phänomenalsten Leistungen. Überzeu- ist weniger gefährlich, nette lenken und Menschen dazu bringen, den gen Sie mal eine Bank, Geld abzuschreiben. Leute. Und ich mag auch die neue Architek- Freiraum für sich zu nutzen. Das war ein Hinzu kommt, dass Immobilienfonds unter tur – insbesondere das Backsteingebäude erster Schritt, um mediale Aufmerksamkeit bestimmten Umständen mehr an einem und den Kubus. Einige mögen es nicht, aber ich finde es erfrischend. Alles ist gepflegt.« zu erreichen. Christina Weiß hat dann Kon- leerstehenden Objekt durch Abschrei- takt mit dem Internationalen Bauorden auf- bungen verdienen, als wenn sie es unter Boris Siradovic, Nachbar genommen und erreicht, dass die Leipziger Wert vermieten. Aufgrund der steuerlichen Volkszeitung die Baulager zu Ostern und im Vorteile fahren die Eigentümer damit we- Sommer medial begleitete. sentlich besser, als wenn sie das Gebäude Das war sehr wichtig? Das war ein ganz vermieten. So funktionieren manchmal Pro- wichtiger Punkt, weil so eine Menge Auf- zesse. Vor Ort flucht man, weil man nicht merksamkeit auf das Thema gelenkt wurde. versteht, was dort passiert. Es grenzt an ein 18
Wunder, dass eine Bank, für die nur Zahlen massiver Gewinn, da ihre Immobilien ins zählen, eine Grundschuld auf Null gesetzt Gespräch gekommen sind und so lange ge- hat. halten wurden, bis sie wieder wirtschaftlich Sind Sie mit der Gesamtentwicklung zu- vermietet werden konnten. Für die Zwi- frieden? Mich hat gewundert, dass es so schennutzer lässt sich schwer ein Fazit zie- lange gedauert hat. Nach dem zweiten Bau- hen. Sie haben zwar teilweise viel Kraft und lager 2004 war so viel Eigendynamik in dem Zeit in die Immobilien gesteckt – konnten Projekt, dass es einfach weitergehen muss- dafür für einen bestimmten Zeitraum ihren te. Bereits 2003 gab es die ersten Ideen, die Traum ausleben, den sie sonst nie hätten am Küchentisch von Christina Weiß disku- realisieren können. Hinzu kommt, dass bei tiert wurden. Diesbezüglich hat es schon den Nutzern solcher Projekte auch immer lange gedauert, bis jetzt der letzte Straßen- eine Generationsentwicklung stattfindet. abschnitt der Josephstraße saniert wurde. Bei vielen Menschen wachsen die Wohnun- Sie waren bis 2006 beteiligt? Wir haben gen und Ansprüche mit dem Gehalt: Men- den Prozess weiterhin moderierend beglei- schen werden sesshaft, die früher durch die Kompletter Körpereinsatz machte die Gärten zur tet, hatten eine tragende Rolle aber nur bis Straßen gezogen sind. Die haben jetzt ein grünen Oase. zum zweiten Baulager. Dann gab es so viele vernünftiges Gehalt und gründen Familien. andere Akteure, sodass das Quartiersma- Man kann ja als Nutzer auch zurückschau- es Menschen im asw und bei urban ii, die nagement nicht mehr so wichtig war. en und sagen, ich hatte eine super Zeit und mutige Entscheidungen getroffen haben Wie haben Sie die Eigentümer recher- es hat mir Spaß gemacht. Aber natürlich ist und Fördergelder zur Verfügung stellten. chiert? Da die Eigentümer nicht vor Ort man traurig, weil man viel Herzblut hinein- Man muss auch positiv die Eigentümer er- waren, versuchten wir diese über das Lie- gesteckt hat. wähnen, die konstruktiv und kreativ mitge- genschaftsamt ausfindig zu machen. Am Was sagen Sie zu dem Verkauf der Flä- macht haben. Anfang war das sehr, sehr schwierig. chen? Dass die Gärten zum Teil bebaut Wie ist Ihre Prognose für die Zukunft? Der Würden Sie sagen, dass die Entwicklung werden würden, war von Beginn an klar. Bereich rings um den Plagwitzer Bahnhof in der Josephstraße außergewöhnlich ist? Die kreisfreien Städte in Sachsen haben hat großes Potenzial. In zehn bis fünfzehn Wie kam es zu dieser Entwicklung? Das eine Staubsaugerfunktion für junge gut Jahren sehe ich hier Einfamilienhäuser, Rei- hat viel mit Menschen zu tun. Eine ähnli- ausgebildete Menschen, die hier den henhäuser oder – wenn der Bedarf weiter che Entwicklung wäre sicherlich auch an bisherigen Freiraum auch für sich nut- wächst – dann doch Mehrfamilienhäuser. anderen Orten rein menschlich möglich zen möchten. Das ist ein globaler Effekt. Es gibt diesen Traum vom eigenen Heim in gewesen, aber nicht von der Situation her. Schauen Sie sich die Megastädte in Asi- der Stadt. Optimal gelegen. Bei dieser Auf- Wenn Sie mit Zwischennutzung in Stuttgart en oder Lateinamerika an. Da zieht es die wertung der Viertel bleibt aber immer noch ankommen, werden Sie ausgelacht. Das Menschen massenweise vom Land in die die Frage, was sozial passiert. Wir können ist dort kein Thema und wird in der Region Städte. Das ist ein Trend, der überall zu be- nicht als Erfolg des Projekts vermerken, auf absehbare Zeit nie ein Thema sein. Der dass wir den Sozial- Leerstand hier in Leipzig war der Kern für al- »Es gab einen ungeheuren Willen von schwachen geholfen les. Man hatte einfach unendlich viel Spiel- haben. Das ist ein einzelnen Akteuren, etwas in die Wege raum dadurch. Hinzu kommt eine relativ Kritikpunkt. Vor der große kreative Szene, die solchen Spielraum zu leiten. « jetzigen Verdrängung sucht. Das waren aber die ursprünglichen der Gartennutzer gab Rahmenbedingungen, die eine Entwicklung obachten ist. Und damit einher verringert es schon einmal einen Verdrängungspro- in Leipzig stattfinden ließen. Zwischen- sich in all diesen Städten die Anzahl der zess. Einige der Häuser in der Josephstra- nutzung ist ein gutes Mittel, um Häuser zu Frei- und Grünflächen. ße waren komplett ans Sozialamt vermie- halten, die Substanz zu erhalten. Langfristig Was hat Sie während der Aktion beson- tet. Die Menschen die darin wohnten, sind wird sich ein Haus nicht auf Dauer als Zwi- ders beeindruckt? Es gab einen ungeheu- einfach nur weggeschoben worden, wohin schennutzung halten können. Es sei denn, ren Willen von einzelnen Akteuren, etwas auch immer. Wie viel Kraft hat die soge- die Nutzer investieren auch wieder Geld. in die Wege leiten zu wollen. Diese lang- nannte wirtschaftliche Mittelschicht? Wie Zum Beispiel in eine neue Heizung. Aber ist fristige Perspektive von Christina Weiß und viel Ausdehnung braucht sie, um weiter zu das dann noch Zwischennutzung? Das ist vielleicht auch die Naivität von einigen Leu- wachsen? Die Frage ist wohin? Wo ist dann die Frage. Wo hört Zwischennutzung auf, ten, die sich auf die Zwischennutzung ein- die Grenze? wo beginnt ein Ausbau in Form eines Selbst- gelassen haben. Hätten sie damals nur in Das vollständige Interview finden Sie unter: nutzerhauses? die Zukunft und an das Ende der Zwischen- habermann.wunderwesten.de War die Zwischennutzung als Instrument nutzung gedacht, dann hätten sie vielleicht sehr gewinnbringend für die Eigentümer, nicht so viel investiert. Einige hatten diesen während die Nutzer selbst kaum pro- ungeheuren Willen und die Visionskraft für fitierten? Für die Eigentümer war es ein die Entwicklung dieses Blocks. Auch gab 19
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