MEERESATLAS Daten und Fakten über unseren Umgang mit dem Ozean 2017
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IMPRESSUM Der MEERESATLAS 2017 ist ein Kooperationsprojekt von Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein, Heinrich-Böll-Stiftung (Bundesstiftung), Kieler Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“ und Le Monde diplomatique. Redaktionsleitung: Ulrich Bähr, Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein Wissenschaftlich verantwortlich: Dr. Ulrike Kronfeld-Goharani, Kieler Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“ Peter Wiebe, Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein Grafikkoordination: Natascha Pösel Projektmanagement: Ulrich Bähr, Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein Annette Maennel, Heinrich-Böll-Stiftung (Bundesstiftung) Text: Natascha Pösel, Ulrich Bähr, Dr. Ulrike Kronfeld-Goharani Art-Direktion, Illustration und Herstellung: Petra Böckmann Dokumentation: Alina Dallmann, Lara Behling Die Beiträge geben nicht notwendig die Ansicht aller Partnerorganisationen wieder. Titelfoto: Shutterstock V. i. S.d. P.: Heino Schomaker, Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein 1. Auflage. Mai 2017 Produktionsplanung: Elke Paul, Heinrich-Böll-Stiftung (Bundesstiftung) Druck: Bonifatius GmbH – Druck | Buch | Verlag, Paderborn Klimaneutral gedruckt auf 100 % Recyclingpapier. Dieses Werk steht unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – 4.0 international“ (CC BY 4.0). Der Text der Lizenz ist unter http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/de/legalcode abrufbar. Eine Zusammenfassung (kein Ersatz) ist unter http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de/ nachzulesen. BESTELL- UND DOWNLOAD-ADRESSEN Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein, Heiligendammer Str. 15, 24106 Kiel, www.meeresatlas.org Heinrich-Böll-Stiftung (Bundesstiftung), Schumannstraße 8, 10117 Berlin, www.boell.de/meeresatlas Kieler Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“, Olshausenstr. 40, 24098 Kiel, www.futureocean.org
MEERESATLAS Daten und Fakten über unseren Umgang mit dem Ozean 1. AUFLAGE 2017
INHALT 2 IMPRESSUM 18 DAS MIKROPLASTIKPROBLEM Im Meer treibende Plastikteile sind nur das sichtbare 6 VORWORT Zeichen eines sehr viel größeren Problems. Denn nur 0,5 Prozent des Plastikmülls finden sich in den Müll 8 ZWÖLF KURZE LEKTIONEN strudeln. Der Löwenanteil des Plastiks, das ins Meer ÜBER DAS MEER UND DIE MENSCHEN gelangt, lagert sich am Tiefseeboden ab. 20 VIELFALT UND EINFALT Invasive Arten, die vor allem durch die internationale Seefahrt in fremde Ökosysteme gelangen, verdrängen einheimische Arten. Weitere Störfaktoren wie die Oze anerwärmung schwächen zudem die Widerstands kraft der Organismen gegen Umweltveränderungen. Besonders schmerzlich: Der Verlust genetischer Viel falt ist nicht mehr rückgängig zu machen. 10 FISCH – BALD AUSVERKAUFT? 22 DER OZEAN BREMST DEN KLIMAWANDEL Die Lage vieler Fischbestände ist dramatisch: Viele Ohne die klimaregulierende Funktion des Ozeans wäre sind erschöpft, viele von der industriellen Fischerei unsere Welt eine andere – vor allem wäre sie wärmer. bis an ihre Grenzen ausgebeutet. Das trifft besonders Der Ozean speichert Wärme und CO2 in großen Men Menschen in ärmeren Ländern, die von der traditio gen und verlangsamt so den Klimawandel. Und damit nellen Fischerei vor ihren Küsten leben. Fangquoten auch seine Folgen – gut für uns. Doch der Ozean und und Schutzgebiete werden von der illegalen, nicht ge seine Ökosysteme nehmen erheblichen Schaden. meldeten und unregulierten Fischerei unterlaufen – sie ist für fast ein Drittel des globalen Fischfangs ver 24 HERAUSFORDERUNG MEERESSPIEGEL antwortlich. Die Meere erwärmen sich, der Meeresspiegel steigt – jedoch nicht überall im gleichen Maße. Gerade Inseln 12 HOFFNUNG AUS DER FISCHFARM? und Küstengebiete in der südlichen Hemisphäre sind Die Hälfte des Fischs, der auf den Tellern der Welt lan besonders betroffen, viele werden schon heute von det, stammt heute bereits aus der Aquakultur. Doch ihren Einwohnern verlassen. Doch das ist erst der An nicht nachhaltige Zucht entlastet den Wildfang nicht fang – noch mehr Menschen könnten zur Flucht ge und sorgt für erhebliche Umweltbelastungen. Kann zwungen werden. der steigende Bedarf an Fisch und Meeresfrüchten also gedeckt werden, ohne gravierende Umweltschä 26 LEBEN IN DER RISIKOZONE den anzurichten? Die Mehrzahl der größten Metropolen der Welt liegt an Küsten, viele davon an Flussdeltas. Dort ist das 14 DÜNGER FÜR DIE TODESZONEN Risiko, von Naturkatastrophen getroffen zu werden, Durch den enormen Einsatz von Kunstdünger und besonders hoch. Dennoch hält der Boom der Mega Gülle in der industrialisierten Landwirtschaft gelan citys in Wasserlage unvermindert an – entsprechen gen Unmengen von Nitraten und Phosphaten über den Küstenschutz können sich aber nur reiche Staaten Flüsse in die Küstengewässer und erzeugen dort star leisten. kes Algenwachstum. Dadurch können riesige Todeszo nen entstehen, in denen es keinen Sauerstoff und kein 28 DIE ZUKUNFT WIRD SAURER Leben mehr gibt. Die Meere versauern in einer erdhistorisch bislang un bekannten Geschwindigkeit. Zu schnell für viele Orga 16 MÜLL UND GIFT IM MEER nismen, um sich noch anpassen zu können. Besonders Wir benutzen den Ozean als Müllkippe. Besonders die kalkbildende Arten wie Muscheln, Schnecken und Ko Küstengebiete sind davon betroffen. Die Quellen des rallen sind betroffen – in saureren Gewässern fällt es Mülls sind vielfältig, die Auswirkungen auf die betrof ihnen schwer, ihre Schutzhüllen zu bilden. Aber auch fenen Ökosysteme immens. der Nachwuchs von Fischen ist bedroht. 4 M EERES ATL AS 2017
30 AUSBEUTUNG UND SCHUTZGEBIETE 42 LEBEN MIT DEM MEER Die Idee, dass das Meer geschützt werden muss, ist Das Meer gibt uns vieles, wir sind für unser Leben auf jung. Schon unsere Ahnen betrieben bedenkenlos es angewiesen. Wenn wir auch in Zukunft von seinen Raubbau, auch am Leben im Meer. In der Vergangen Gaben profitieren wollen, sollten wir unser Verhalten heit ist ein Reichtum an Meeresleben verlorengegan gegenüber dem großzügigen „aquatischen Kontinent“ gen, den wir uns heute kaum noch vorstellen können. ändern. Und nicht nur darum. Eine Übersicht. Erst in den letzten 30 Jahren hat die Fläche der Schutz gebiete deutlich zugenommen – doch es ist immer 44 DIE WELT MUSS GEMEINSAM HANDELN: noch nur ein Bruchteil der Gesamtfläche. FÜR EINE NEUE GOVERNANCE DER OZEANE Es gibt keine ganzheitlichen, der Komplexität der 32 WEM GEHÖRT DAS MEER? marinen Ökosysteme gerecht werdenden globa Winzige, unbewohnte Inseln, die tausende Kilometer len Strategien. Die Meere gehören zu den heute am entfernt von ihrem Mutterland liegen, gewinnen heu wenigsten geschützten und verantwortungsvoll ver te geostrategischen Wert: Durch sie können Staaten walteten Gebieten der Erde. Das muss sich angesichts ihr Einflussgebiet ausweiten. Voraussetzung ist die der Bedeutung der Meere schnell ändern. Lage auf einem kontinentalen Festlandsockel. 34 WELTHUNGER NACH ROHSTOFFEN Große Bergbauunternehmen greifen im Verbund mit Industriestaaten nach den Schätzen der Tiefsee. Welt marktpreise und sinkende Akzeptanz für den Berg bau an Land lassen das aufwändige Geschäft lukrativ werden. Der Beginn der Ausbeutung der bisher kaum berührten Tiefen droht, noch bevor die ökologischen und sozialen Folgen ausreichend erforscht sind. 36 WO LIEGT DIE ZUKUNFT? Erneuerbare Energie aus dem Meer macht vielen Hoff nung: Hier könnte die Zukunft der Energieversorgung liegen. Es locken unerschlossene Vorkommen fossiler Brennstoffe, doch ihre Erschließung birgt Risiken – be kannte wie bei der Förderung von Erdöl aus der Tiefsee und unbekannte wie beim Abbau von Methanhydrat. 38 DAS MEER ALS KULISSE Urlaub am und auf dem Wasser boomt. Die Kreuz fahrtschiffe werden immer größer, immer mehr Küs ten werden in Freizeitlandschaften verwandelt. Doch was bedeutet das für die Natur und für die Menschen, die die Urlaubs-Maschinerie am Laufen halten? 40 WELTHANDEL UND PREISKAMPF 46 QUELLEN VON DATEN, KARTEN Die internationale Seefahrt ist der Motor der Welt UND GRAFIKEN wirtschaft. Doch seit 2008 steckt sie in einer tiefen Krise: Frachtpreise sind ins Bodenlose gefallen und 49 EXPERTINNEN UND EXPERTEN Reederei-Multis liefern sich einen Preiskampf, den nur wenige überstehen werden. Doch was geschieht mit 50 ÜBER UNS den überflüssig gewordenen Riesenfrachtern? M EERE S AT L A S 2017 5
VORWORT O zeane bedecken mehr als zwei Drittel Schutzabkommen und Vereinbarungen veran unseres Planeten und nehmen – dreidi kert, mit dem Ziel, uns und den kommenden mensional betrachtet – ein gewaltiges Generationen ein Leben im Gleichgewicht mit Volumen ein, von dem vieles noch unentdeckt der Natur zu ermöglichen und die Gesundheit ist. Sie sind reich an Ressourcen, bieten den und Integrität der globalen Ökosysteme zu Menschen Nahrung, Energie und Mineralien. sichern und partiell wiederherzustellen. Auf den Meeren transportieren wir Güter zwi schen den Kontinenten. Meere sind zentral für So fordern beispielsweise die Mitgliedsstaaten die Stabilität unseres Klimas und des Wetters. der Vereinten Nationen im Abschlussdoku ment der Konferenz Rio+20 im Jahr 2012 ganz- Ohne die Meere gäbe es den heutigen Reich heitliche und integrierte Ansätze für nach tum und Wohlstand nicht, den Teile der haltige Entwicklung und einen nachhaltigen Weltbevölkerung genießen. Doch die Zukunft Umgang mit den Meeren. Die Forschung dieser einzigartigen Ökosysteme ist stark hat sich über die letzten Dekaden besser gefährdet. Denn das jahrhundertelang gelten aufgestellt, um das System Ozean besser zu de Prinzip von der „Freiheit der Meere“, das verstehen und Lösungen für einen nachhal jedem und jeder unbegrenzten Zugang zur tigen Umgang mit dem Ozean zu entwickeln. Nutzung des Ozeans und seiner Ressourcen Auch die 2015 von den Vereinten Nationen ermöglichte, hat zu Überfischung, Verlust verabschiedete Agenda 2030 für nachhaltige der Artenvielfalt und Meeresverschmutzung Entwicklung trägt der Bedeutung der Meere geführt. Rechnung. Von den 17 nachhaltigen Entwick lungszielen (Sustainable Development Goals, Unsere Meere und Küsten als wichtiger Teil SDG) widmet sich SDG 14 dem Ozean. Um unserer Umwelt brauchen dringend Schutz. dieses Ziel zu erreichen, bedarf es gewaltiger Auf internationaler Ebene sind dazu erste An Anstrengungen in der institutionellen Zu sätze zu erkennen. Das Konzept der Nachhal sammenarbeit für die Umsetzung nationaler, tigkeit wird immer mehr in internationalen regionaler und globaler Aktionspläne. 6 M EERES ATL AS 2017
D iese Maßnahmen können langfristig aber Dirk Sc h eelje nur dann Erfolg haben, wenn sie von Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung breiten Schichten der Gesellschaft unter Schleswig-Holstein stützt werden. Expertinnen und Experten aus der Forschung und Verantwortliche aus Politik Ba rba ra Un m ü ß ig und Wirtschaft sind genauso gefragt wie die Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung Akteurinnen und Akteure der Zivilgesellschaft, jede Bürgerin und jeder Bürger. Ma r t in Vis bec k Sprecher des Kieler Exzellenzclusters Hier setzt der vorliegende Atlas an. Er möchte „Ozean der Zukunft“ einen Beitrag leisten und die wichtige Rolle der Meere und ihrer Ökosysteme herausstellen – nicht nur für die Menschen an den Küsten, sondern für uns alle. Welche Reichtümer und welchen Wohl stand verschafft uns der Ozean? Wie gehen wir mit diesen Ressourcen um? Wie steht es um die Gesundheit der marinen Ökosysteme, und was sind die größten Bedrohungen? Wie wirkt sich der vom Menschen verursachte Klimawandel auf Meere und Küsten aus? Welcher Zusammenhang besteht zwischen einer nachhaltigeren Nutzung mariner Ressourcen und Änderungen in unseren Produktions- und Konsummustern? Wir hoffen, mit dem Atlas Impulse für eine breite re gesellschaftliche und politische Diskussion über die Bedeutung des Ozeans als lebenswichtiges System und die Möglichkeiten zu seinem Schutz anzuregen. M EERE S AT L A S 2017 7
12 KURZE LEKTIONEN ÜBER DAS MEER UND DIE MENSCHEN 1 Das Meer ist die LEBENSGRUNDLAGE EINER WACHSENDEN WELTBEVÖLKERUNG. Weltweit decken 2,9 Milliarden Menschen 20 Prozent ihres Proteinbedarfs durch Fisch. Das Klima auf der Erde wird im Wesentlichen von der Wechsel- wirkung zwischen Atmosphäre und Ozean bestimmt. Ohne das Meer können wir auf diesem Planeten nicht überleben. 2 Das Meer hat großen Stress durch unterschiedliche Faktoren. Nicht nur ein Problem, sondern ein ganzes Krisenbündel sorgt für diese Situation. WIR HABEN EINE MEERESKRISE! 3 Der Ozean bedeckt 71 Prozent des Globus. DIE MEERE LEIDEN DURCH DEN KLIMAWANDEL. Versauerung, Erwärmung und Meeresspiegelanstieg verändern bereits Lebensräume. Der globale Meeres- spiegel ist in den letzten hundert Jahren um 20 cm gestiegen. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnte es ein Meter werden. 4 WIR NEHMEN MEHR, ALS DAS MEER GEBEN KANN. Durch starke Übernutzung treiben wir Raubbau am Meer. Beispielsweise durch Überfischung – 90 Prozent der globalen Fischbestände sind maximal genutzt oder bereits überfischt. Besonders besorgniserregend ist die Abnahme der biologischen Vielfalt. 5 WIR BENUTZEN DAS MEER ALS MÜLLKIPPE. Das Meer nimmt viel auf – mehr als es vertragen kann: Treibhausgase, Gülle und Dünger, Plastikmüll, Ölverschmutzungen und vieles andere. Die Zerstörung von marinen Ökosystemen ist die Folge. 6 UNSERE VERBINDUNG ZUM MEER IST OFT UNSICHTBAR. Was wir essen, womit wir unsere Zähne putzen, wohin wir verreisen, welche Kleidung wir tragen – all das hat Auswirkungen auf das Meer. 8 M EERES ATL AS 2017
MEERESATLAS 2017 12 Vieles bewegt sich in die richtige Richtung. Die Meereskrise rückt in den Blickpunkt. Menschen auf der ganzen Welt beginnen, ihr Verhalten und ihren Konsum zu ändern. Die Staatengemeinschaft macht sich mit der Ozeankonferenz in New York 2017 auf den Weg, den MEERESSCHUTZ GEMEINSAM ZU VERWIRKLICHEN. 11 Der Ozean ist weltumspannend. Aber ES GIBT KEINE OBERSTE INTERNATIONALE BEHÖRDE, DIE wirklich für den Schutz des ganzen Meeres VERANTWORTLICH IST. Die Folge sind verschachtelte Zuständigkeiten, lücken- 10 Machen wir weiter wie haftes Recht und Schlupflöcher. bisher, werden viele Menschen ihre Lebens- grundlage verlieren. DIE ÄRMSTEN SIND AM STÄRKSTEN BETROFFEN. Migration ist oft der letzte Ausweg. 9 ES WÄRE GENUG FÜR ALLE DA. Ein nachhaltiger und gerechter Umgang mit den natürlichen Ressourcen des Meeres ist möglich. Voraussetzungen sind ein bewusster Konsum, eine faire Verteilung und ein kluges Fischerei- management. 8 Viele GEHEIMNISSE DER TIEFSEE sind noch unerforscht. Durch Tiefseebergbau vernichten wir 7 möglicherweise Ökosysteme, Dabei steht die INDUSTRIALISIERUNG bevor wir sie kennenlernen. DER OZEANE erst am Anfang! Der große Run steht noch bevor. Rohstoffe und Energie aus der Tiefsee sind heiß begehrt. Der Bedarf wächst. M EERE S AT L A S 2017 9
FISCHEREIMANAGEMENT FISCH – BALD AUSVERKAUFT? Fisch ist ein Eckpfeiler der globalen Nahrungssicherheit. Es ist das weltweit am meisten gehandelte Produkt, das direkt aus der Natur gewonnen wird. Doch diese Abhängigkeit aller Nationen von der Ressource Fisch ist gleichzeitig die größte Bedrohung für unsere Fischbestände. Viele sind überfischt, Tendenz steigend. B ereits vor vielen tausend Jahren fingen und aßen gen stärkerer Fangbeschränkungen. Doch nicht alle Be unsere Vorfahren Fisch. Doch während an Land die stände sind in der Lage, sich relativ schnell zu erholen, Lebensweise des Jagens und Sammelns von der sess auch wenn sie nachhaltig bewirtschaftet werden. Man haften bäuerlichen Kultur abgelöst wurde, ist die Fischerei che Bestände großer Speisefische wie Marlin, Schwert bis heute eines geblieben: Jagd! Und wer fischt, sät nicht. fisch, Hai oder Kabeljau sind bereits um bis zu 90 Prozent Er erntet. geschrumpft. Delfine und Meeresschildkröten, Opfer des Dieses Jagdverhalten und die zunehmende Nachfrage Beifangs, sind teilweise sogar vom Aussterben bedroht. Sie nach Fisch durch eine wachsende Weltbevölkerung ha regenerieren sich nicht so schnell. Auch manche Thunfi ben die globalen Fischbestände schrumpfen lassen. Über sche gehören zu den Arten, deren Bestände sich kaum 30 Prozent sind nach Angaben der Welternährungsorga erholen werden, solange weiter gefischt wird. Und das ge nisation FAO überfischt oder gar zusammengebrochen, da schieht, da ihr Marktwert so hoch ist, dass sich die Jagd auf sie nicht nachhaltig bewirtschaftet werden. sie auch noch lohnt, wenn nur noch wenige Exemplare Zwar bestandserhaltend, aber dennoch bis an die vorhanden sind. Der Rote Thun ist so begehrt, dass er auf Grenze der Belastbarkeit ausgeschöpft sind 58 Prozent. dem japanischen Markt regelmäßig schwindelerregende Das heißt: 90 Prozent der weltweit kommerziell genutzten Höchstpreise erzielt. Neujahr 2013 erwarb eine japanische Fischbestände sind ausgereizt. Mehr Nutzung geht hier Sushi-Gastronomiekette ein besonders prachtvolles Exem nicht. Die meisten Bestände könnten sich allerdings durch plar für umgerechnet 1,3 Millionen Euro. Insgesamt gehen kluges Fischereimanagement im Laufe von ein paar Jah heute 85 Prozent des Mittelmeerfangs nach Japan, welt ren bis Jahrzehnten erholen. Es gibt erfolgreiche Beispiele weit fast zwei Drittel des kompletten Fangs. solcher Konzepte, etwa in den USA, Neuseeland, Australi Viele Entwicklungsländer sind auf die Fischerei be en und Norwegen. Dort haben sich viele Bestände erholt. sonders angewiesen. Denn dort ist die Fischerei Haupter Auch in der Europäischen Union, die 2009 noch von einer werbszweig. Weltweit schätzt man die Zahl der kleinen 90-prozentigen Überfischung ausgegangen war, beträgt Fischerinnen und Fischer auf rund 12 Millionen. In der die Überfischung nur noch 50 Prozent, nicht zuletzt we industriell betriebenen Fischerei dagegen arbeiten nur Subventionen und Ertrag – was am Ende übrig bleibt Flotten-Gesamtvolumen (Hochsee- und Küstenfischerei) in Bruttoraumzahl (BRZ) $$ Summe Subventionen* Wert gefangener Fisch* * in Millionen US-Dollar 127.039 66.447 63.996 157.593 72.080 265 449 215 367 129 132 750 527 672 1771 Niederlande Dänemark Deutschland Italien Griechenland MEERESATLAS 2017 / GOC / EUROSTAT 187.173 171.942 63.077 341.191 94.504 365 520 162 1073 192 346 325 965 Großbritannien 1149 Frankreich Irland Spanien Portugal 2625 Die Fischerei wird in allen europäischen Ländern stark subventioniert. Das Verhältnis von Ertrag und Subvention steht in einem ungleichen Verhältnis. Während Italien und Spanien noch Gewinne einfahren, zahlt Deutschland sogar drauf. 10 M EERES ATL AS 2017
Wer fängt den Fisch – wer isst ihn auf? Pro-Kopf-Verzehr Fisch 8.655 < 2 kg/Jahr 20–30 kg/Jahr 2–5 kg/Jahr 30–60 kg/Jahr Nordost- 5–10 kg/Jahr > 60 kg/Jahr Atlantik 10–20 kg/Jahr 21.968 Fangmengen nach FAO-Regionen in 1.000 Tonnen 3.149 1.842 Nordwest- Nordost- Atlantik Pazifik 1.187 12.822 Westlicher 1.112 1.908 Nordwest- Zentral- 4.416 Mittelmeer und Pazifik Östlicher atlantik Schwarzes Meer Zentralpazifik Östlicher Westlicher Zentral- 4.700 Zentralpazifik atlantik 8.052 6.890 Westlicher 1.575 Indischer Ozean MEERESATLAS 2017 / FAO / GOC 2.420 Östlicher Südost- Südost- 543 Indischer Pazifik Atlantik Südwest- Ozean Südwest- Atlantik Pazifik Fangmengen der Top 10 Hochseefischerei-Nationen in 1.000 Tonnen 939 880 649 624 608 372 346 297 222 98 Chile Japan Südkorea Taiwan China Indonesien Philippinen Spanien USA Frankreich 500.000 Menschen. Pro Kopf fangen diese aber ein Viel völlig überdimensionierte Fischereiflotten subventioniert faches dessen, was kleine, „handwerklich“ Fischende mit und dadurch letztlich den Ausverkauf der Fischbestände ihren Netzen aus dem Meer holen. Mit sogenannten Fab noch beschleunigt. rikschiffen, die mit modernen Technologien wie Echolot, Würden Fischereiministerien den Empfehlungen der Aufklärungsflugzeugen und riesigen Netzen ausgestattet Wissenschaft systematisch folgen und Bestände nur so be sind, schöpfen sie traditionelle Fanggründe gründlich ab. fischt, dass sie auf Dauer den maximalen nachhaltigen Er Die Fangschiffe operieren weltweit und suchen die profi trag abwerfen (Konzept des „Maximum Sustainable Yield – tabelsten Fischgründe auf. Zum Beispiel vor den Küsten MSY), wäre ein stetig nachwachsender Fischreichtum Westafrikas, wo es wenig staatliche Regulierung gibt und in den Meeren der Welt keine Illusion. Ein guter Anfang sie den Einheimischen ungleiche Konkurrenz machen. wäre es wohl, die Subventionen – zum Beispiel für Treib Ein anderes großes Problem für die Erhaltung der Be stände ist die sogenannte illegale, unregulierte und un stoff – konsequent zu streichen. • dokumentierte (IUU-)Fischerei. Fische werden mit uner laubtem Fanggerät, zu Sperrzeiten oder in Schutzgebieten So wenig Fische wie noch nie gefangen. Oder es werden Fischarten gefangen, für die es keine Lizenz gibt, oder mehr Fische gefangen, als erlaubt Prozent MEERESATLAS 2017 / FAO ist. Illegale Fänge machen einen Anteil von bis zu 31 Pro 100 zent der globalen Fischfänge aus. Manche Fangschiffs eignerinnen und -eigner entziehen sich rechtsstaatlicher 80 Kontrolle, indem sie unter einer sogenannten Billigflagge fahren. Andere nutzen aus, dass es beispielsweise sehr schwer ist, IUU-Schiffe inmitten der Inseln und Archipele 60 Indonesiens zu verfolgen. Ähnlich in der Beringsee: Hier wird IUU-Fischerei vor allem durch China und Russland 40 betrieben. Sie liegt hier bei 33 Prozent. Nach Schätzungen werden jedes Jahr mindestens 500.000 Tonnen illegal ge 20 fangener Fisch in Umlauf gebracht. Immerhin wurden in der Europäischen Union nun schärfere Hafenkontrollen eingeführt. Trotzdem landet auf europäischen Tellern im 1974 1979 1984 1989 1994 1999 2004 2009 2013 Jahr mer noch illegal gefangener Fisch. Überfischt Maximal befischt Noch nicht an der Belastungsgrenze befischt Auch politischer Wille hält den Druck auf die Fischbe stände aufrecht: In Spanien und Portugal beispielsweise 58 % der globalen Fischbestände sind maximal genutzt, hat die Politik aus Angst vor Arbeitslosigkeit jahrelang 31 % sind überfischt und bei nur 10 % ist noch Luft nach oben. M EERE S AT L A S 2017 11
AQUAKULTUR HOFFNUNG AUS DER FISCHFARM? Aquakultur boomt – im Jahr 2014 kam fast jeder zweite von Menschen verzehrte Fisch aus einer Fischfarm. Die ökologischen und sozialen Probleme dieser Massentierhaltung unter Wasser sind jedoch immens. P ro Kopf hat sich der Konsum von Fisch und Meeres füttert werden. Aquakultur hilft also nicht zwangsläufig früchten über die letzten 50 Jahre verdoppelt. Vor al dabei, die Überfischung der Weltmeere einzudämmen. lem in den Industrie- und Schwellenländern ist die Aquakultur als Massentierhaltung unter Wasser ist Nachfrage immens gestiegen. Als Antwort wurden Aqua ein ökologisches Desaster. Die Fische verletzen sich, wer kulturen seit den 70er Jahren massiv mit staatlichen und den krank und schneller von Parasiten befallen. Um dem Entwicklungshilfegeldern gefördert. 1950 produzierten entgegenzuwirken, werden weitflächig Antibiotika und Aquakulturen global noch circa 500.000 Tonnen Lebend Chemiekeulen – vom Hygienebad bis zu Pestiziden – ein gewicht, 2014 waren es bereits 73,8 Millionen Tonnen, 88 gesetzt, die das Wasser verunreinigen. Je mehr Tiere in Prozent davon in Asien. China allein produziert 62 Prozent einem Zuchtbecken gehalten werden, desto mehr Exkre der weltweiten Erzeugnisse und ist damit die wichtigste mente, Nahrungsreste und Kadaver entstehen, die auf den Aquakulturnation. Boden unter den Zuchtbecken absinken und so das Wasser Aquakultur findet an Land in Teichen, Durchfluss- und überdüngen. Als Abwasser der Aquakulturen gelangt das Kreislaufsystemen und in großen Netzkäfigen im Meer nährstoffreiche Wasser zusammen mit Chemikalien und statt. Die Zucht auf hoher See und an Küsten macht 36 Medikamentenrückständen dann in Flüsse, Seen, Meere Prozent der Gesamtproduktion aus. Gezüchtet werden und angrenzende Böden. vor allem Fische, Shrimps, Krebse und Muscheln. Damit Hinzukommt, dass oft Mangrovenwälder den Aqua soll nicht nur die stetig steigende globale Nachfrage nach kulturen weichen müssen. Das ist besonders absurd, sind Fisch und Meeresfrüchten gestillt, sondern auch eine sie doch die Kinderstube vieler Fischarten. 20 Prozent der Lösung für Überfischung gefunden werden. Doch Aqua Mangrovenwälder weltweit wurden zwischen 1980 und kulturen sind gerade in ihrem industriellen Ausmaß eine 2005 bereits durch menschliche Eingriffe zerstört, mehr ethisch, ökologisch und meist auch sozial höchst zweifel als die Hälfte davon (52 Prozent) ist auf die Errichtung von hafte Antwort auf Überfischung und Ernährungssiche Aquakulturen zurückzuführen. Allein auf den Philippinen rung. sind wegen Shrimpfarmen zwei Drittel der Mangroven Denn sie ziehen einen großen Futtermittelbedarf nach wälder abgeholzt worden. sich: Für die Produktion von einem Kilogramm Garnelen, Aquakulturen zerstören die Lebensgrundlagen der lo Lachs oder anderer Fische werden rund 2,5 bis 5 Kilo kalen Bevölkerungen und schüren lokale Konflikte. Denn gramm Wildfisch benötigt, bei Thunfisch sogar 20 Kilo die Fänge der traditionellen Küstenfischerei gehen durch gramm. So bedroht zum Beispiel die Mast von roten Thun Aquakulturen massiv zurück. Menschen werden vertrie fischen in Käfignetzen um Malta die lokalen Bestände von ben oder in neue Arbeitsmodelle gedrängt. Heute arbei Makrelen und Sardinen, die an die großen Raubfische ver ten bereits rund 19 Millionen Menschen in diesem Sektor. Es geht auch anders – Aquakultur als geschlossener Nahrungskreislauf Werden Zuchtfische in Netzen oder Käfigen gehalten und Strömung Gelöste Nährstoffe Algen aktiv gefüttert 1 , führen ihre Ausscheidungen normalerwei- se zu einer Überdüngung der Umgebung (Eutrophierung). 1 Es sei denn, es werden zusätzlich andere Organismen in Muscheln Strömungsrichtung 2 gehalten, die sich auf nachgeordne- Fische ten Ernährungsebenen befinden. In Käfigen gehaltene MEERESATLAS 2017 / S. KNOTZ / IBIS-INFOBILD Garnelen, Krebse oder Seegurken 3 fressen absinkende Kot- und Futterpartikel. Muscheln 4 filtern kleinere Partikel heraus. Und deren Ausscheidungen kommen wiederum den 4 Algen und Wirbellosen zugute. Im Gegensatz zur konventionellen Fischzucht ist die soge- Nährstoffpartikel Wirbellose nannte integrierte multitrophische Aquakultur ein scho- 3 nender Ansatz, der die umliegenden Ökosysteme einbezieht anstatt sie zu belasten. Diese stellt aber weltweit nur einen Strömung 2 marginalen Anteil dar und problematisch bleibt auch hier der Einsatz von Fischöl und -mehl zur Fütterung. 12 M EERES ATL AS 2017
Die größten Aquakulturproduzenten weltweit (2014) – Zuchtfische und Meeresfrüchte MEERESATLAS 2017 / FAO Produktion in 1.000 Tonnen 45.469,00 6,3 43,6 402,80 Nordeuropa 304,30 Osteuropa 1.332,50 1.545,10 Norwegen Ostasien Fische 331,40 559,70 295,3 Westeuropa Westasien 0,3 Nordamerika 4.881,00 595,20 Südeuropa China 3.397,10 15,8 Indien 1.214,50 1.137,10 Vietnam Ägypten Chile 1.544,20 4.253,90 Mollusken Lateinamerika 547,40 Südasien Indonesien 2,7 1.956,90 Andere 4,2 Krustentiere 313,20 aquatische 0,3 Nigeria Bangladesch Tiere 0,5 3.194,80 243,70 189,20 Inland-Aquakultur in Mio. Tonnen Subsahara-Afrika Südostasien Ozeanien Marine- und Küstenaquakultur in Mio. Tonnen Hier sind die Arbeitsbedingungen jedoch äußert prekär: Die gravierenden sozialen und ökologischen Folgen in Oftmals werden Arbeitsvereinbarungen nur mündlich ge den gängigen industriellen Aquakulturen können jedoch troffen, Arbeitsschutzregelungen, geschweige denn ihre nicht allein mit technischen und ökologischen Verbesse Durchsetzung, existieren in den seltensten Fällen. Aus rungen gestoppt werden. beutung und Zwangsarbeit sind die Folge. Die Internatio Die Nachfrage nach Fisch und Meerestieren ist der nale Arbeitsorganisation (ILO) zeigt, dass 70 bis 80 Prozent Haupttreiber für den weiteren Ausbau von industriell be der Fischereien (Aquakulturen und Küstenfischerei) Klein triebenen Aquakulturen. Sie bedienen – mehrheitlich als betriebe sind und sich auf die Arbeitskraft innerhalb von Massentierhaltung unter Wasser – einen profitgetriebe Familien stützen. Das bedeutet, dass auch Kinder in die nen Weltmarkt mit großem Hunger nach billigem Fisch. körperlich oft sehr anstrengenden und gefährlichen Pro Der Konsum von Fisch und Meerestieren durch die globa duktionsketten der Fischerei einbezogen sind. Aquakulturen sind grundsätzlich ökologisch zu be len Mittelklassen muss sinken. • treiben, wie die Karpfen- und Forellenzucht zeigt. Viele Jahrhunderte waren ökologisch und selbstbestimmt be Der Fisch aus Aquakultur nimmt zu triebene Aquakulturen Lebensgrundlage und Eiweißquel le vieler Millionen Menschen, insbesondere in Asien. MEERESATLAS 2017 / FAO Fischerei Aquakultur Dass ein Umsteuern möglich ist, zeigt die Pangasius Angaben in kg/Kopf zucht in Vietnam. Nach der Aufdeckung skandalöser 12 Zuchtbedingungen wird sie schrittweise auf neue Um weltstandards umgestellt, unter anderem nach dem 10 ASC-Siegel (Aquaculture Stewardship Council). Das bedeu 8 tet, dass kein Mehl von Fischen aus überfischten Bestän den verfüttert werden soll und dass die Einhaltung einer 6 guten Wasserqualität und eine geringe Sterblichkeitsrate 4 während der Zucht gewährleistet wird. 2 Auch an technischen Lösungen zu einer umweltver träglichen Aquakultur wird intensiv geforscht – geschlos 0 1954 1964 1974 1984 1994 2004 2014 Jahr sene Kreislaufsysteme verringern die Belastungen stark, sind aber teuer und im Betrieb anspruchsvoll und ener Von 1954 bis 2014 ist der Anteil der in Aquakultur gezüchteten gieintensiv. Tiere für den menschlichen Verzehr stetig gestiegen. Heute übersteigt er den Anteil aus Wildfang sogar leicht. M EERE S AT L A S 2017 13
EUTROPHIERUNG DÜNGER FÜR DIE TODESZONEN Im Golf von Mexiko, vor dem Delta des Mississippi, hat sich eine 20.000 Quadratkilometer große Todeszone gebildet. Wie in jedem Sommer. Hier lebt kaum noch etwas. Die Ursachen liegen an Land – 2.000 Kilometer stromaufwärts. D ort, südwestlich der Großen Seen, liegt der Corn Belt, Die Netze blieben leer. Alle Tiere, die fliehen konnten, wie das Hauptanbaugebiet für Soja und Mais. Für den Fische und Krebstiere, waren verschwunden. Wer nicht Anbau dieser Nutzpflanzen werden Unmengen von fliehen konnte, zum Beispiel Miesmuscheln oder Austern Kunstdünger und Schweinegülle eingesetzt, und hier kon populationen, starb – und das schon vor 150 Jahren. zentriert sich auch die US-amerikanische Schweinemast. Eine Ursache war das Wachstum der Städte. In der Folge Die Abfallprodukte dieser extrem intensiven Landwirt gelangten immer mehr Abwässer in die Flüsse und Buch schaft, Nitrate und Phosphate, belasten das Grundwasser ten. Heute gibt es zwar Kläranlagen, doch dafür setzen wir und fließen in das viertlängste Flusssystem der Erde: den seit Mitte des letzten Jahrhunderts in der Landwirtschaft Mississippi-Missouri, der südlich von New Orleans in den so große Mengen an Kunstdünger ein, dass Nutzpflanzen Golf von Mexiko mündet. Dort lassen sie das Meer umkip ihn nicht aufnehmen können und dieser dann im Meer pen – riesige sauerstofffreie Gebiete bilden sich, in denen landet. Hier erledigt er seinen Job – nur dass er jetzt Algen kein Leben mehr möglich ist. und Phytoplankton düngt. Sterben diese Pflanzen ab, sin Weltweit gibt es etliche solcher sauerstoffarmen Zonen ken sie zu Boden, wo Bakterien sie zersetzen und in der im Ozean. Einige der größten sind natürlichen Ursprungs. Tiefe auch noch das letzte bisschen Sauerstoff aufzehren. Sie liegen in tropischen Regionen, zum Beispiel vor der Für viele Arten gibt es dann kein Entkommen mehr. Küste von Peru, vor der arabischen Halbinsel oder vor Na Dieser durch Überdüngung des Meerwassers ausgelös mibia. Hier leben nur wenige angepasste Arten, wie etwa te Effekt – in der Fachsprache als Eutrophierung bezeich Bakterien. Die Todeszonen in Flussmündungsgebieten net – lässt sich an vielen Orten der Welt beobachten: In sind allerdings meist menschengemacht – und sie werden der Pearl-River-Mündung im Südchinesischen Meer oder immer größer. Hier sollten eigentlich Fische, Muscheln auch in Indien, an der Ganges-Mündung in der Bucht und Krebstiere gedeihen, ebenso wie Seegraswiesen und von Bengalen. Die Ostsee, flächenmäßig eine der größten Seetangwälder. Doch sie alle brauchen Sauerstoff zum Le Todeszonen der Welt, erlebt seit den 1950er- und 1960er- ben – den es hier nun kaum noch gibt. Todeszone – diesen Jahren einen starken Rückgang des Sauerstoffgehalts. Namen haben Fischerinnen und Fischer den Sauerstoff- Auch hier ist dies eine Folge der Industrialisierung der minimumzonen gegeben, lange bevor man Sauerstoff Landwirtschaft. In der Ostsee kommt erschwerend hinzu, überhaupt messen konnte. Sie haben als Erste bemerkt, dass es sich um ein flaches Binnenmeer mit wenig Wasser dass da, wo Leben sein sollte, plötzlich keines mehr war. austausch handelt. Bis zu den 1980er-Jahren kam es insgesamt zu einer Vervierfachung der Stickstoffeinträge und zu einer Ver achtfachung der Phosphateinträge gegenüber dem Be Hier wird Sauerstoff knapp ginn des letzten Jahrhunderts. Insbesondere zwischen den 1960er- und 1980er-Jahren ist ein kräftiger Anstieg MEERESATLAS 2017 / WRI / PAULMIER&RUIZ-PINO Todeszone der Nährstoffkonzentrationen im Ostseewasser gemessen Besorgniserregender Zustand worden. Seitdem verharren die Werte auf diesem hohen Gebiet in Erholung Natürliche O2-Minimumzone Niveau. Im Jahr 2009 hatte die Helsinki-Kommission (HEL COM) erstmals eine einheitliche Klassifizierung der Ostsee vorgenommen und 189 Gebiete klassifiziert. Das erschre ckende Ergebnis: Nur elf waren in einem guten ökologi schen Zustand. Immerhin: Es wird etwas getan. Im sogenannten Ost seeaktionsplan, der 2007 von allen Ostseeanliegerstaaten verabschiedet wurde, sind konkrete Ziele zur weiteren Reduktion der Nährstoffeinträge vereinbart. So sollte der Eintrag von Phosphor um 15.250 Tonnen jährlich zurück gehen. Der Stickstoffeintrag sollte um 135.000 Tonnen pro Jahr reduziert werden. Das Ziel ist eine Ostsee frei von Eu trophierung. Natürliche Vorkommen von Sauerstoffminimumzonen sind in den Der Plan ist keine unverbindliche Absichtserklärung: Tropen zu finden. Die zahlreichen Zonen an Flussmündungen sind Deutschland zum Beispiel musste sich im September 2016 allerdings menschengemacht. wegen Verstoßes gegen die Ziele dem Europäischen Ge 14 M EERES ATL AS 2017
So entsteht die Todeszone im Golf von Mexiko – Schweinezucht und intensiver Ackerbau MEERESATLAS 2017 / GRIDA / USDA Montana North Dakota 8.863.000 502.000 207.000 Wyoming South Dakota Wisconsin Minnesota 1.522.000 Pennsylvania 25.745.000 4.372.000 Nebraska Iowa 3.954.000 Indiana 69.000 3.4378.000 Ohio Colorado 985.000 Virginia Illinois 280.000 Kansas Kentucky 6.057.000 North Carolina New Mexiko Missouri 214.000 1.338.000 Tennessee Gesamt Stickstoffdüngung Oklahoma 784.000 für Kulturpflanzen MEERESATLAS 2017 / EPA (kg/km2 und Jahr) Arkansas Soviel Nitrat spült der Mississippi ins Meer 772.000 Alabama Weniger als 10 2.000 10–100 Mississippi Jährliche Nitratfracht Texas in tausend Tonnen 100–500 Florida 500–1.000 Louisiana 1.000 Mehr als 1.000 Todeszone 0 Anzahl Schweine, Stand 2012 1960 1980 2000 Jahr richtshof stellen. Das Land hatte die Grenzwerte für Nitra Küstengewässer unterliegen der gemeinsamen Verant te im Grundwasser auf etwa einem Drittel der Fläche wortung von Anrainerstaaten. Hier tummeln sich Fische, überschritten – eine Folge von zu viel Gülle im Grundwas Muscheln, Shrimps, hier sind die Meere am produktivsten – ser. Bei einer Verurteilung drohen der deutschen Regie gleichzeitig sind sie hier auch den größten Belastungen rung Geldstrafen in sechsstelliger Höhe – pro Tag! Bis die ausgesetzt. Die bittere Ironie: Ausgerechnet von der Land- Grenzwerte wieder stimmen. Die Eutrophierung ist ein und Ernährungswirtschaft geht eine Bedrohung für eine Problem, das ohne solche Abkommen auf internationaler Nahrungsressource aus, die wir für die Welternährung Ebene nicht gelöst werden kann – nationale Regelungen greifen zu kurz, wenn der Nachbar weiter einleitet. Die dringend brauchen. • So entstehen sauerstoffarme Zonen im Meer Wassertiefe MEERESATLAS 2017 / LUMCON in m 1 Nährstoffreiches Wasser strömt ein. 0 2 Algen wachsen unnatürlich stark und sterben 1 wieder ab. 2 5 3 Zooplankton ernährt sich von den Algen. 3 4 Bakterien 10 ernähren sich vom Kot des Zooplanktons und von den abgestorbenen Algen. 4 5 Bakterien verbrauchen den Sauerstoff im Wasser 15 6 beim Abbau des Kots und der abgestorbenen Algen. Sauerstoffreiches Wasser Sauerstoffarmes Wasser 5 6 Sinkt der Sauerstoffgehalt des Wassers unter ein 20 Sauerstofffreies Wasser bestimmtes Niveau, fliehen die Meerestiere oder sterben. Entfernung 0 10 20 30 40 von der Küste in km M EERE S AT L A S 2017 15
VERSCHMUTZUNG MÜLL UND GIFT IM MEER Die Müllberge an manchen Küsten sind ein für alle sichtbares Problem. Andere Verschmutzungen sind nicht so offensichtlich, aber darum nicht weniger gravierend. NI TRATE U ND P HOSP HAT E URSACHEN: Industriell betriebene Landwirtschaft wie intensive Tier mast und intensiver Ackerbau. FOLGEN UND TRENDS: Seit den 1950er- und 1960er-Jahren hat sich die Landwirtschaft weltweit zu einer Massenindustrie fortentwickelt. Einträge von Tiergülle und Kunstdünger gelangen über das Grund wasser in die Flüsse und anschließend ins Meer. Todeszonen vor den Küsten sind die Folge. Internationale Abkommen versuchen mit einer Reduzierung der Einträge gegenzusteuern. P L AST IK M ÜLL URSACHEN: Nur 20 Prozent des Plastikmülls, der im Meer landet, entstehen auf See. 80 Prozent entstehen an Land. C HE MI E U ND SC HW E RME TA L L E Und zwar in solchen Ländern, die kein oder ein sehr URSACHEN: Industrielle Abwässer und Abgase, schlechtes Abfallmanagement betreiben. Bergbau, die Verbrennung von Heizöl. FOLGEN UND TRENDS: Fünf große Müllstrudel sind be FOLGEN UND TRENDS: Nach Angaben der kannt. Der meiste Müll landet jedoch an allen lokalen OECD sind weltweit etwa 100.000 unterschied Küsten und ist somit ein globales Problem. An den abge liche chemische Substanzen im Umlauf. Dazu legenen Küsten Svalbards auf Spitzbergen beispielsweise zählen unter anderem Schwermetalle wie Blei wurden im Jahr 2015 100 Kubikmeter Kunststoffmüll ab und Quecksilber, aber auch langlebige organi gesammelt. Der Müllberg wächst von Jahr zu Jahr. sche Schadstoffe, sogenannte POPs (Persistent Organic Pollutants). Viele dieser Stoffe sind ge sundheitlich höchstproblematisch, da sie sich in den Organismen der Lebewesen im Meer an reichern und über die Nahrungsnetze auch für Menschen eine Gesundheitsgefahr darstellen. 16 M EERES ATL AS 2017
MU NI T I ON I M ME E R URSACHEN: Weltkriege und andere Kon RA D IOAKT IV ITÄT flikte. Etliche Staaten rund um den Erdball haben sowohl chemische als auch konven URSACHEN: Atommächte und Staaten, die Atomkraftwerke tionelle Waffen im Meer versenkt. betreiben, wie die USA, Russland, Japan und etliche europä ische Staaten. FOLGEN UND TRENDS: Die einhellige Meinung der politisch Verantwortlichen FOLGEN UND TRENDS: Von den 1950er-Jahren an haben Staa ist: Eine Bergung wäre zu teuer und mög ten, unter anderem USA, Russland, Japan und etliche europä licherweise auch zu riskant. Risiken be ische Staaten, Fässer mit radioaktivem Müll aus ihren Atom stehen aber auch, wenn alles im Meer kraftwerken legal ins Meer verklappt. Fässer im Ärmelkanal, bleibt: Auch über 70 Jahre nach dem zwei die eigentlich jahrhundertelang dicht bleiben sollten, sind ten Weltkrieg wird beispielsweise weißer dennoch leckgeschlagen. 1993 wurde die Atommüllverklap Phosphor aus Brandbomben in Klumpen pung schließlich verboten. Das gilt für radioaktive Feststoffe. an den Strand geschwemmt. Diese Klum Die direkte Einleitung von radioaktiven Abwässern ist nach pen sehen aus wie Bernstein und werden wie vor erlaubt und wird auch praktiziert. Auch die Reaktor daher gern von Kindern aufgesammelt. katastrophe von Fukushima sowie Atomwaffentest der Groß Kommt Phosphor mit Sauerstoff und Wär mächte haben messbare Auswirkungen. me in Berührung, brennt sich die 1.300 Grad heiße Masse bis auf die Knochen durch. Militärische Altlasten werden uns auch in Zukunft beschäftigen. Ö LV ERSCH MUTZUNG URSACHEN: Abwässer, Leckagen bei der Ölförderung, reguläre Schifffahrt, illegale Tankreinigungen, Tankerunglücke und Bohrunfälle. L ÄRM U ND SC HAL L FOLGEN UND TRENDS: Exponierte Fels- und Sandküsten benötigen einige Mona URSACHEN: Seeverkehr, Tiefseebergbau, mili te bis fünf Jahre zur Regenerierung, ge tärische Aktivitäten, das Rammen von Spund schützte Felsküsten und Korallenriffe zwei wänden für Häfen und Offshore-Anlagen, bis mehr als zehn Jahre. Und geschützte die Suche nach Öl- und Gasvorkommen mit Weichböden, Salzwiesen und Mangroven Schallkanonen, Öl- und Gasförderung. brauchen dazu zwei bis mehr als zwanzig FOLGEN UND TRENDS: Der Lärm auf den Jahre. Meeren nimmt aufgrund immer stärkerer Obwohl die Förderraten hoch sind wie nie, Nutzung der Ozeane zu. Tendenz steigend. ist die Ölverschmutzung durch Tankerun Fische und insbesondere Meeressäuger wie MEERESATLAS 2017 glücke aufgrund strenger Auflagen für Wale und Delfine, die sich über Schall ver den Schiffsverkehr zurückgegangen. Das ständigen und orientieren, werden empfind Risiko von Bohrunfällen steigt dagegen je lich beeinträchtigt. Die Tiere verirren sich, weiter man in die Tiefe vordringt. stranden und verenden im flachen Wasser. M EERE S AT L A S 2017 17
PLASTIKMÜLL DAS MIKROPLASTIKPROBLEM Die Bilder von durch Plastikmüll verschmutzten Stränden, von Seevögeln, die an Plastikteilen zugrunde gegangen sind, sind heute allgegenwärtig. Doch ebenso sehen wir Bilder von Menschen, die Strände säubern, hören von Ingenieursplänen, die die Ozeane wieder reinigen wollen. Also alles auf dem Weg zur Besserung? A uf der Welt werden jährlich 300 Millionen Tonnen Die restlichen 99 Prozent des Mülls, der vor den Küsten Plastik produziert, etwa zwei Prozent davon, unge seine Reise begann, erreichen die Müllstrudel nie. Das Mi fähr 8 Millionen Tonnen, landen im Meer. Eine ge kroplastik verteilt sich im Meer, sinkt letztlich ab, hinab in waltige Menge – jedoch: Nur ein Prozent davon ist an der die kalten Tiefen des Ozeans. Dort, auf dem Tiefseeboden, Meeresoberfläche tatsächlich auffindbar. Wiederum die ist die Plastikkonzentration um das 1.000-fache höher als Hälfte davon, also nur 0,5 Prozent, findet sich in den so an der Meeresoberfläche. Dort lagert sich das Mikroplas genannten Müllstrudeln, die durch die Ozeanzirkulation tik ab, wird in die Sedimente eingebettet und bildet dort gebildet werden. allmählich eine neue geologische Schicht, den Plastikho Wo ist der Rest? Wo sind die anderen 99 Prozent? Für rizont, den Forscherinnen und Forscher der Zukunft der die Wissenschaft tatsächlich ein Rätsel, dem man nur einst unserer Zeit zurechnen werden. Die traurige Wahr langsam auf die Spur kam. Erst um die Jahrtausendwen heit: Wir nutzen die Tiefsee als gigantische Müllkippe und de wurde klar, dass man es mit einem bisher unbekann profitieren davon, dass sie den Großteil des Mülls schein ten Phänomen zu tun hat: Mikroplastik. 80 Prozent des bar auf Dauer verschwinden lässt, ohne ihn uns wieder Plastikmülls gelangen – oft mit den Flüssen – ins Meer, vor die Füße zu spülen. 20 Prozent werden von Schiffen geworfen. Ein Teil des Eine weitere „Plastiksenke“ ist das schwimmende Plastikmülls wird mit den Meeresströmungen weit hin Meereis – auch in ihm findet sich Mikroplastik in höchs ausgetrieben und sammelt sich teilweise in den großen ten Konzentrationen. Doch es ist kein so stabiler Speicher Strudeln wie dem Great Pacific Garbage Patch im Nordpa wie der Meeresboden: Das beschleunigte Abschmelzen zifischen Wirbel. des Eises als Folge des Klimawandels könnte in den nächs Auf dieser Reise, die bis zu zehn Jahre dauern kann, ten Jahren 1.000 Milliarden Plastikpartikel freisetzen, das werden die großen Plastikteile zerrieben, durch Sonnen 200-Fache dessen, das wir zur Zeit im Meer vorfinden. strahlung zersetzt und von Bakterien zerfressen – der Müll Dabei ist schon jetzt der geringe Anteil Mikroplastik, wird zu Mikroplastik, also zu Teilchen, die kleiner als fünf der nicht absinkt, ein großes Problem: Fische halten ihn Millimeter sind. Die Plastikmüllstrudel darf man sich da für Plankton – kein Wunder, findet sich doch an man her auch nicht als massive Müllinseln, die sich im Meer chen Stellen schon sechsmal mehr Plastik als Plankton im drehen, vorstellen. Man könnte sie durchschwimmen, Meerwasser. Sehr kleine verschluckte Teile können durch ohne das Mikroplastik zu bemerken, aus dem sie sich zu die Darmwände der Fische ins umgebende Gewebe ge sammensetzen – in einer zwar sehr hohen, aber immer langen und sich dort ablagern. Damit gelangen sie in die noch mit dem Auge nicht wahrnehmbaren Konzentration. Nahrungsnetze und zuletzt auf unsere Teller und in un Größere Plastikelemente finden sich relativ selten. sere Mägen. Die Folgen, die der Verzehr von Mikroplastik haben kann, sind noch nicht erforscht – erst seit 2007 ist Mikroplastik überhaupt ein Thema der Forschung. Ein Er Wo konzentriert sich der Plastikmüll? gebnis gibt Anlass zur Sorge: Die Plastikoberfläche wirkt wie ein Schwamm für Schadstoffe, hier reichern sich be Oberflächenströmungen MEERESATLAS 2017 / GRIDA / WOR sonders gut Umweltgifte wie zum Beispiel PCB oder auch Plastikmüllstrudel in den Krankheitserreger an, die sich so verbreiten und ganze subtropischen Wirbeln 1000 1000 Fischbestände bedrohen. bis 2500 bis 2500 g/km2 Ist das Plastik erst einmal im Meer, bekommt man es g/km2 nicht mehr heraus. Denn den weitaus größten Anteil – Nordpazifischer Nordatlantischer das Mikroplastik – könnte man nur herausfiltern, und das 1000 Wirbel Wirbel ist keine Option: Zurückbliebe von allem Leben befreites bis 2500 g/km2 0–50 Meerwasser. Bleiben die größeren Objekte, die gerade 50 g/km2 bis 200 für größere Tiere so gefährlich sind. Hier wird an vielen 0 g/km2 technischen Lösungen gearbeitet – Stichwort „Ocean Cle Indischer Ozean g/km2 Südatlantischer Südpazifischer Wirbel anup“. Auch dabei muss man die ökologischen Folgen ge Wirbel Wirbel 50 gen den Nutzen aufrechnen, denn hierbei plant man, den bis 200 1000 1000 g/km2 bis 2500 Müll großflächig abzufischen, und dabei kommt es wie bei bis 2500 g/km2 g/km2 der herkömmlichen Fischerei zwangsläufig zu Beifang. Man muss fragen: Wie groß ist der Nutzen im Verhältnis 18 M EERES ATL AS 2017
Wo kommt der Plastikmüll her? Die Top-20-Länder mit dem schlechtesten Plastikabfall-Management MEERESATLAS 2017 / JAMBECK Plastikmüll mit schlechtem Abfallmanagement* 0,49 0,07 0,19 Anteil davon Eintrag ins Meer, niedrige Schätzung* Türkei Anteil davon Eintrag ins Meer, höhere Schätzung* 0,97 * in Millionen Tonnen pro Jahr 0,39 0,79 0,15 0,30 0,28 Ägypten 0,12 0,31 0,05 0,12 1,88 0,04 0,11 Nordkorea USA 0,52 Bangladesch 0,08 0,21 0,75 Algerien 0,28 1,83 0,31 0,60 Philippinen 8,82 1,32 3,53 0,05 0,12 0,09 0,24 Marokko 0,73 3,22 Indien 1.800 China 0,28 MEERESATLAS 2017 / GRIDA 0,47 Vietnam 1.500 0,07 0,19 0,48 Brasilien 0,07 0,19 0,94 1,29 Pakistan 0,37 0,14 1.000 0,48 0,52 800 1,59 Malaysia 1,03 0,21 Indonesien 600 0,08 0,41 Nigeria 0,15 400 0,64 0,24 Thailand 200 0,63 Sri Lanka 0,46 0,25 1950 1970 1990 2010 2030 2050 0,09 0,07 0,18 Globale Produktionsmengen an Plastik Südafrika Myanmar in Millionen Tonnen 31,9 Millionen Tonnen Plastikmüll werden weltweit unsachgemäß zu dem Schaden, der dadurch entsteht? Das Problem kann entsorgt, 4,8 bis 12,7 Millionen Tonnen davon landen im Meer. vor allem an Land gelöst werden. An Küsten und Fluss Die oben gezeigten Top-20-Länder sind für 83 % des weltweiten mündungen, auf Märkten und in Haushalten. Und das ist Plastikmüll-Missmanagements verantwortlich. die gute Nachricht: Wir haben es wirklich selbst in der Die 23 EU-Küstenstaaten würden zusammengenommen Platz 18 Hand. Ein Teil des Plastikmülls im Meer stammt von Verpa in diesem Ranking einnehmen. Nordamerika, China und Europa ckungen – hier können wir direkt durch unseren Konsum produzieren insgesamt etwa zwei Drittel des weltweiten Plastiks. Einfluss nehmen. Mikroplastik in Kosmetikprodukten soll te verboten werden. Vor allem aber gilt es, eine weltweit Hebel, damit die richtigen Anreize gesetzt werden. Die funktionierende Recyclingwirtschaft aufzubauen, damit Entwicklung hin zu einer Kreislaufwirtschaft ist vor allem weniger neue Kunststoffe erzeugt und weniger unkontrol liert entsorgt werden. Hier ist politisches Engagement der eine Frage des politischen Willens. • Wie gelangt das ganze Plastik ins Meer? Schlechtes oder fehlendes Abfallmanagement / Recyclingsystem MEERESATLAS 2017 1 ist der größte Verursacher 2 Mit ungereinigten Abwässern gelangt Plastikmüll aus Städten und Industrie direkt in den Fluss / ins Meer 1 3 Mikroplastik als Zusatz in Kosmetikprodukten wird von den 3 Kläranlagen nicht herausgefiltert 2 4 Verlorene oder absichtlich auf See entsorgte Fischernetze und Angelleinen 5 5 Verlorene Ladung und Schiffsmaterial 7 6 Illegal auf See entsorgter Müll 4 6 7 Katastrophenmüll: von Hurrikanen, Sturmfluten und Tsunamis auf See getragene Trümmer und Müll M EERE S AT L A S 2017 19
BIODIVERSITÄT VIELFALT UND EINFALT Pazifische Auster oder heimische Miesmuschel – ganz klar, wem die Feinschmeckerinnen und Feinschmecker auf der Promi-Insel Sylt den Vorzug geben. Die fremde Auster hat sich im Wattenmeer explosionsartig ausgebreitet und verdrängt die heimischen Muscheln. D er Hauptgrund für die Bedrohung der marinen futter und Turbo-Dünger auf die Auster. Bis Mitte der Artenvielfalt ist die Nutzung und Verschmutzung 1990er-Jahre zählte man vor Sylt weniger als zehn Ex natürlicher Lebensräume. Die andere Bedrohung emplare der Pazifischen Auster pro Quadratmeter. 2007 ist das Eindringen invasiver Arten. Wie im Fall der Pazi waren es 1.800 Exemplare! Im gleichen Zeitraum ist die fischen Auster im Nationalpark Wattenmeer vor der Insel Miesmuschelpopulation drastisch zurückgegangen. Und Sylt. Denn die „Sylter Royal“ ist nicht nur eine Delikates nicht nur die ist betroffen: Eine Änderung im System zieht se, sie ist auch eine Plage. Aber wie konnte sie überhaupt andere nach sich. Der Austernfischer zum Beispiel ernährt hierherkommen? Das Auseinanderdriften der Kontinente sich hauptsächlich von Miesmuscheln. Die Schale der Pa und Inseln hat in der Evolution dazu geführt, dass sich zifischen Auster ist für ihn viel zu dick und zu hart. Der Millionen von Arten in ihrer ganzen Vielfalt getrennt ent Anpassungsdruck steigt – und je geringer die Biodiversität wickeln konnten. Doch heute rücken die Kontinente wie ist, desto schlechter kann ein Ökosystem auf Umweltver der zusammen – auf andere Weise: Tausende von Spezies änderungen reagieren. reisen täglich in den Ballastwassertanks von Fracht- und Ein anderes, noch größeres Problem für die Biodiver Containerschiffen oder auf treibendem Plastikmüll kreuz sität eines Lebensraums entsteht, wenn eine sogenann und quer über den Ozean und gelangen so in Ökosyste te „foundation species“ bedroht ist: Dazu zählen zum me, in denen sie bisher fremd waren. Davon profitieren Beispiel der Kelptang in den urwaldähnlichen Seetang in erster Linie diejenigen Arten, die gut mit sehr unter wäldern der nordamerikanischen Pazifikküste oder die schiedlichen Umweltbedingungen zurechtkommen. Die Korallen des Great Barrier Reefs vor der Nordostküste Pazifische Auster ist so eine Generalistin. Australiens. Die 360 Hart- und 80 Weichkorallenarten des Bemerkenswert am Fall des Eroberungsfeldzuges der größten Korallenriffs der Erde sind Heimat für über 1.500 Pazifischen Auster im Wattenmeer ist, dass der Verursa Fischarten, 1.500 Schwammarten, 5.000 Weichtierarten cher genau nachgewiesen werden kann. Die Europäische und 200 Vogelarten. Viele von ihnen sind vom Aussterben Auster war dort durch Krankheit und Überfischung seit bedroht, wie auch Meeressäuger wie die Seekuh. Sterben 1950 fast ausgestorben. Ende der 1970er-Jahre begann die Korallen, verliert das gesamte Ökosystem Korallenriff ein Team der Deutschen Bundesforschungsanstalt für sein Fundament – manche flexible Arten können dann Fischerei daher zu erforschen, ob die umweltresistentere ausweichen, andere aber nicht. Wie viele andere Korallen Pazifischen Auster eine Alternative für die lokalen Aus riffe befindet sich das Great Barrier Reef derzeit in einem ternzüchter sein könnte. Ja – die fremde Auster gedieh katastrophalen Zustand. Die gefürchtete Korallenbleiche prächtig in der Nordsee. Das Wattenmeer, nährstoffreich hat 93 Prozent des Riffs erfasst. Große Teile des nördlichen und daher produktiv, wirkte wie ein Cocktail aus Kraft Bereichs sind bereits in dramatischem Maß abgestorben. Die Miesmuschel und ihre Nachbarn im dauerüberfluteten Bereich des Wattenmeeres Pazifischer Pazifischer MEERESATLAS 2017 / AWI / KÜNSTING Beerentang FRÜHER Gespensterkrebs HEUTE Großes Seegras Meerwalnuss Riff-Borstenwurm Miesmuschel Miesmuschel Pazifische Auster Amerikanische Pazifisches Manteltier Europäische Auster Pantoffelschnecke Im Vergleich zu früher hat die Miesmuschel heute Amerikanische Schwertmuschel Heimische Art mit größerem Konkurrenzdruck zu kämpfen. Invasive Art 20 M EERES ATL AS 2017
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